Aufrüstung neuer Mächte: China, Indien, Brasilien und Iran

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Nummer 1

                                                                                              2010

                                                                                              ISSN 1862-3581

Aufrüstung neuer Mächte:
China, Indien, Brasilien und Iran
Stefan Dördrechter, Daniel Flemes, Georg Strüver und Thorsten Wojczewski

Brasilien, China, Indien und Iran untermauern ihre globalen und regionalen Am­bi­tio­nen
mit dem Ausbau ihrer Kriegswaffenarsenale. Der militärische Mo­der­ni­sie­rungsprozess
Beijings hat das Land als regionalen und globalen Machtpol weiter konsolidiert. Auch
Indien und Brasilien haben ihre kon­ventionellen Rüs­tungsapparate in der jüngsten
Vergangenheit erheblich ausgebaut und damit bereits bestehende Macht­asymmetrien in
ihren Regionen verstärkt. Iran bleibt dagegen in konventioneller Hinsicht, auch im regio­
nalen Kontext, ein militärisches Leichtgewicht. Der Beitrag skizziert die wichtigsten quan­
titativen und qualitativen Ver­änderungen in den Rüs­tungspolitiken dieser vier Länder
und fragt nach den Motiven, Zie­len und Wirkungen dieser neuen Rüs­tungsdynamik.

Analyse
 China hat seinen Verteidigungshaushalt in den letzten zehn Jahren auf zuletzt 63 Mrd.
    USD verdreifacht. Die Rüstungsanstrengungen zielen auf die Erneuerung veralteter
    Waf­fensysteme und sind Ausdruck des globalen Gestaltungsanspruchs Beijings. Die
    konventionelle Aufrüstung wird in der Region als Bedrohung wahrgenommen.
 Neu-Delhi verfolgt ebenfalls ein ambitioniertes Aufrüstungs- und Moderni­sierungs­pro­
    gramm, auch um Indiens weltpolitisches Gewicht zu untermauern. Damit heizt Indien
    den Rüstungswettlauf mit China weiter an.
 Trotz seiner großen militärischen Überlegenheit wird Brasilien in Südamerika nicht
    als Bedrohung wahrgenommen. Der Amazonasstaat pflegt gute Beziehungen zu allen
    Nach­barstaaten und flankiert seine konventionelle Aufrüstung mit verteidigungspoli­
    tischer Re­gionalkooperation.
 Die Regionalmachtambitionen Teherans fußen nicht auf materiellen Ressourcen, son­
    dern auf der potenziellen Atom­waf­fen­fähigkeit und der damit verbundenen Ver­hand­
    lungs­macht. Iranische Atomwaffen könnten zu einem nuklearen Wettrüsten und zur
    weiteren De­sta­bilisierung des Nahen und Mittleren Ostens führen.
 Mit ihrer signifikanten Aufrüstung, die teils auf Atomprogramme, teils auch auf den
    Aufbau eigener Flugzeugträgerflotten setzt, verstärken die neuen Mächte militärische
    A­sym­metrien in ihren Regionen und beschleunigen bereits entfachte Rüstungswettläufe
    in Asien, Südamerika und im Nahen und Mittleren Osten.

Schlagwörter: Brasilien, China, Indien, Iran, Führungsmächte, Rüstung, Militär, regionale
              Sicherheit, Verteidigungspolitik, globale Machtverschiebungen

www.giga-hamburg.de/giga-focus
Einleitung                                                  durch­schnitt­lichen Wachs­tum des Mi­litär­budgets
                                                            von rd. 12 Pro­zent von 1995 bis 2008 nieder. Seit 2005
Die fünf führenden Kriegswaffenexporteure – USA,            über­steigen die Mi­litär­ausgaben Chinas die der ande­
Russland, Deutschland, Frankreich und Groß­bri­tan­         ren (süd-) ost­asiatischen Staa­ten deutlich.
nien – sind seit dem Ende des Kalten Krieges die glei­
chen, und der Rüstungshandel ist weiterhin global or­       Militärausgaben Ostasien in Mrd. USD
ganisiert. Geändert hat sich dagegen die geopolitische                           1990           2000           2008
Dimension der Konflikte, die potenziell mit den akqui­
                                                             China               13,15*         23,77*         63,64*
rierten Kriegswaffen ausgetragen werden: Während
                                                             Japan               39,52          43,80          42,75
die bipolare Machtstruktur des Kalten Krieges regi­
                                                             Südkorea            12,52          16,65          23,77
onale Sicherheitsdynamiken weitestgehend überla­
                                                             Taiwan                9,09           7,81             9,50
ger­te, sind die Sicherheitsinteressen der allermeisten
Staa­ten heute nahezu ausschließlich regionaler Na­          Nordkorea            k. A.          k. A.             k. A.
tur. In den letzten Jahren sind mit dem Aufstieg neuer      * Schätzungen; k. A. = keine Angaben
Mäch­te auch neue geostrategische Machtpole in un­          Quelle: SIPRI, online: 
ter­schied­lichen Weltregionen entstanden. Dabei ma­
nifestieren sich die Regionalmachtstellungen Chinas,        Die aktuelle Rüstungspolitik steht im Kontext der
In­diens, Brasiliens und Irans nicht zuletzt in ihren       stra­tegischen Ausrichtung, die Staatspräsident Hu
si­cher­heitspolitischen Führungsrollen. Im globalen        Jin­tao der Volks­befreiungsarmee mit der „neuen his­
Ver­gleich der Verteidigungsausgaben rangiert China         to­ri­schen Mission“ (xinde lishi shiming) 2004 vor­gab.
nach den USA bereits auf dem zweiten Platz, danach          Hand­lungs­fel­der sind u. a. der Schutz vor tra­di­tio­
fol­gen Indien (10. Rang), Brasilien (13. Rang) und mit     nellen mi­litä­rischen Be­dro­hungen und neu­en si­cher­
ei­nigem Abstand Iran (22. Rang).                           heits­politischen Herausforderungen (Ter­rorismus,
     China, Indien und Brasilien haben beim G20-            Na­turkatastrophen). Dies soll der Si­che­rung stabiler
Gip­fel in Pittsburgh ihr wirtschaftliches und beim         Rah­men­bedingungen für die na­tio­na­le Ent­wicklung
Ko­penhagener Klimagipfel ihr politisches Gewicht           und dem Schutz der Sou­ve­ränität, ter­ritorialen In­te­
gel­tend gemacht. Die teils erhebliche konventionel­le      gri­tät und internen Sta­bi­lität Chinas dienen.
Auf­rüs­tung und der damit einhergehende mi­li­tä­ri­             Wesentliche innerstaatliche Herausforderungen
sche Auf­stieg, den diese Staaten als Vor­be­dingung        sind separatistische Bewegungen (Xinjiang, Tibet)
für ei­nen glo­balen Groß­machtstatus be­trachten, fin­     und die Un­abhängigkeits­bestrebungen Taiwans. Zwi­
det in der öffentlichen Diskussion weniger Auf­merk­        schen­staatliches Konflikt­potenzial re­sultiert aus Terri­
sam­keit als ihr wirtschaftlicher Aufstieg. Die neu­en      to­rial­streitigkeiten mit Indien, Japan (Diayu/Senkaku-
Mäch­te er­heben bereits heute den Anspruch, über           In­seln) und südostasiatischen Staaten (Spratley-,
glo­bale Si­cherheitsfragen, etwa im VN-Sicher­heits­rat,   Pa­racel-Inseln). Weitere Bedrohungen gehen vom Nu­
mit­zu­ent­scheiden. Die Grundlage für den künf­tigen       klearwaffenprogramm Nordkoreas und der Fra­gi­li­tät
Ein­fluss der neuen Mächte auf globale Si­cher­heitsfra­    des hoch militarisierten Nachbarstaates aus. Chi­nas
gen bil­den ihre re­gionalen Sicherheits- und Rüs­tungs­    Sta­tus als aufstreben­de politische und wirt­schaft­liche
po­litiken und mithin ihre Fä­higkeiten, Kon­flikte zu      Groß­macht stellt neue An­for­de­rungen an die mi­li­tä­
ma­nagen und regionale Sta­bilität zu ge­währ­leis­ten.     rischen Fäh­ig­keiten des Lan­des. Na­tio­na­le In­te­ressen
                                                            werden nicht mehr aus­schließlich in­ner­halb des Staats­
                                                            gebiets vertreten. Ne­ben dem Auf­bau mi­li­tä­risch nutz­
Chinesische Rüstungspolitik                                 barer Welt­raum­tech­nologien sind dies v.a. der Schutz
                                                            der aus­schließ­lichen Wirt­schafts­zo­ne (EEZ), die
Am 1. Oktober 2009 präsentierte die VR China der            Durch­set­zung maritimer Ter­ri­to­rial­an­sprü­che und
Welt­öffentlichkeit anlässlich des 60. Jahrestags der       die Ab­si­cherung des interna­tio­nalen See­han­dels. Die
Grün­dung der VR China die größte Mi­litärparade            welt­wirtschaftliche In­te­gra­tion und in­ter­nationale
ih­rer Ge­schichte und damit die Er­gebnisse eines um­      Interdependenz erfordert Be­tei­li­gung an multilate­
fassenden Mo­der­ni­sierungs­prozesses, der in der ers­     ralen Ope­rationen der globalen Frie­dens­sicherung.
ten Häl­fte der 1990er Jahre einsetzte. Die Um­set­zung           Hauptziele der Rüstungsbemühungen sind der
der drei Kom­po­nenten dieses Pro­zesses – Er­neu­e­rung    Aus­bau der militärischen Kapazitäten zur Durch­
der Waf­fen­be­stände, in­stitu­tionelle Re­for­men, An­    füh­rung integrierter gemeinsamer Ope­rationen
passung der Mi­litär­doktrinen – schlug sich in einem       der Teil­streit­kräfte unter Ein­satz von Informa­tions­

GIGA Focus Global 1/2010                                                                                              --
tech­no­logien, der Ka­pazitäten zur elektromag­ne­           ßig entlang der Taiwanstraße und neben modernen
ti­schen Kriegs­füh­rung (z. B. Störung der Auf­klä­          Luftabwehrsystemen in den Militärregionen Nord­
rungs­kapazitäten und Tele­kommunikation des                  chinas stationiert. Mit den bisherigen Erneuerungen
Geg­ners und Abwehr von Stör­signalen) und zur                erhöhte die VR China die militärische Machtprojek­
Be­wäl­tigung nicht tra­ditionel­ler und asymme­tri­          tion auf Taiwan, die koreanische Halbinsel und das
scher Her­aus­for­derungen sowie die Er­hö­hung               südchinesische Meer bereits signifikant.
der Mo­bilität und die Umsetzung des de­fen­siven                  Mit den Rüstungsanstrengungen übernimmt Bei­
Kon­zepts der „aktiven Verteidigung“ und der nu­              jing die Rolle einer auf­strebenden militärischen Füh­
kle­aren Zweitschlagfähigkeit.                                rungs­macht in A­sien und positioniert sich gegen­ü­ber
      China hat seit den 1980er Jahren die Land­streitkräf­   den ver­teidigungspolitischen Am­bitionen In­diens
te profes­sionalisiert und deren Mann­schafts­stärke          und Ja­pans (und der regionalen Präsenz der USA).
drastisch reduziert. Seit den 1990er Jah­ren wird             Da­bei wird die wachsende militärische Stärke Chinas
das Heer technologisch modernisiert und die Mo­               auch wegen der Intransparenz des Ver­tei­digungs­
bi­li­tät schrittweise erhöht. Unter den aktuellen            sek­tors von den Nachbarstaaten als potenzielle Be­
Neu­er­wer­bungen finden sich neben amphibischen              dro­hung wahrgenommen. Ein massives re­gionales
Trup­pentransportern und Ra­ketenwerfersystemen               Wett­rüsten ist jedoch bisher ausgeblieben. Eine Reihe
(Reich­wei­te zwischen 130 und 200 km) ca. 200 moder­         un­ge­löster, überwiegend maritimer Territorialstrei­tig­
ne Kampf­pan­zer des Typs 98 und 99. Die militäri­            kei­ten und Grenzfragen besteht aber fort und die ver­
sche Schlag­kraft der Bo­dentruppen – ebenfalls das           teidigungspolitischen Kommunikationskanäle zwi­
Ar­senal ballis­tischer Kurz­strecken­raketen – kon­          schen den Ländern weisen einen geringen In­sti­tu­tio­
zentriert sich nach wie vor auf Mi­litärregionen entlang      na­lisie­rungsgrad auf.
der Tai­wan­straße. Die mo­dernsten Pan­zer­einheiten
sind hin­ge­gen in den an Nord­korea an­grenzenden
Mi­li­tär­re­gio­nen sta­tioniert. Die chi­nesische Ma­rine   Indische Rüstungspolitik
mo­der­nisierte in den letzten Jahren ins­besondere die
U-Boot­flotte. Neben land­gestützten Trä­ger­systemen         Neu-Delhi hat 1998 ein umfassen­des mi­li­tä­risches
si­chern U-Boote mit atomaren Ge­fechts­körpern die           Modernisierungs- und Auf­rüs­tungs­pro­gramm auf
nu­kleare Zweit­schlag­fähigkeit Chinas. Der Flot­ten­        den Weg gebracht und seinen Ver­tei­digungshaushalt
ausbau beinhaltet den Er­werb russischer Lenk­waf­            seither – mit jährlichen Zu­wächsen zwischen 13 und
fenzerstörer sowie diver­ser Kampf­schiffe und eines          25 Prozent – kontinuierlich aufge­stockt. Mit einem
Hos­pitalschiffs aus chinesischen Werf­ten. Zu­sätzlich       Ver­teidigungshaushalt von 25 Mrd. USD im Jahr 2008
baute die Ma­ri­ne den Einsatz von Über­ho­ri­zont­           weist Indien die größ­ten Verteidigungsausgaben in
radaren zur Ziel­er­mitt­lung aus und begann mit der          Südasien und nach China und Japan die dritthöchs­
F&E für den Flug­zeug­trägerbau, wodurch China                ten in Asien auf.
(nach In­dien) zum zweiten asiatischen Land mit Flug­
zeug­trägerverbänden werden dürfte. Mit Brasília ko­          Militärausgaben Südasien in Mrd. USD
operiert Beijing bereits in der Ausbildung von Piloten                           1990           2000           2008
für den Einsatz auf Flug­zeugträgern.                          Indien             12,04         17,70          24,72
      Der operative Fokus der Seestreitkräfte verla­ger­
                                                               Pakistan            3,05           3,32          4,22
te sich von der Küstenverteidigung auf die Durch­
                                                               Sri Lanka           0,27           0,90          0,86
führung von Hochseeoperationen, wie der Bau eines
                                                               Bangladesch         0,38           0,68          0,77
Flottenstützpunktes auf der Insel Hainan verdeutlicht.
                                                               Nepal               0,05           0,06          0,14*
Der Tiefwasserhafen ist für Hochseeoperationen stra­
tegisch günstig und bietet direkten Zugang zum süd­           * Schätzungen
                                                              Quelle: SIPRI, online: 
chinesischen Meer und dessen umfangreichen Öl- und
Gasvorkommen. Die Luftwaffe erhielt in den letzten            Seine rüs­tungspolitischen An­stren­gungen haben das
Jahren die ersten rd. 200 modernen Kampfflugzeuge             Ziel, die Einsatzfähigkeit der Streit­kräf­te und ihre
der Jian-Reihe, die nach ausländischer Unterstützung          kon­ven­tionellen wie nu­kle­aren Ab­schre­ckungs­ka­pa­
(Israel, Russland) in der Entwicklungsphase in China          zi­täten zu ver­größern und die Vor­aus­setzungen für
pro­du­ziert werden. Die Bomberflotte und Luft­ver­           die ver­netzte Kriegs­füh­rung zu schaf­fen. Durch den
tei­di­gungssysteme wurden ebenfalls ausgebaut.               Aus­bau seines Mi­litärpotenzials will In­dien seinen
Mo­derne Luft­waffeneinheiten sind schwerpunktmä­             Sta­tus als auf­streben­de Welt­macht un­ter­mau­ern und

GIGA Focus Global 1/2010                                                                                             --
mi­litärische Ka­pa­zitäten zur Ver­teidigung seiner sich   In­dischen Ozean verschaffen und damit auch Chi­nas
im Wan­del be­grif­fenen wirt­schaft­lichen, po­litischen   Vor­dringen in „Indiens Hin­terhof“ ein­dämmen soll.
und stra­te­gischen In­teres­sen ak­quirieren. Vor dem      Das 2008 verkün­dete Ziel ist, bis 2022 eine mindes­
Hin­ter­grund der Öff­nung zum Welt­markt und der           tens 160 Schiffe umfassende Flotte auf­zu­bieten, die
stei­genden Roh­stoff­abhängigkeit hat In­dien sein         um drei Flugzeugträgerkampfverbän­de po­sitioniert
dip­lomatisches und wirt­schaftliches En­gage­ment in       ist und durch 20 U-Boote sowie 400 Flug­zeuge mit
Schlüs­sel­regionen wie Südostasien oder dem Nahen          Lang­streckenpräzisionswaffen ergänzt wird. Neben
Os­ten deutlich aus­ge­weitet und strebt dort daher         dem kurz vor seiner Aus­lieferung ste­hen­den Flug­
auch eine stärkere militärische Rolle an.                   zeug­träger Vikramaditya aus russi­scher Pro­duk­tion
     Dieses verstärkte Engagement bringt In­dien in         baut Indien einen eigenen Flug­zeugträger, der Platz
ein Kon­kurrenzverhältnis zu Chi­na und er­schwert          für 16 Kampflugzeuge so­wie 20 Heli­kopter hat (Fer­
die bereits belasteten Be­zie­hungen. In­dien und Chi­      tigstellung bis 2015). Gleich­zeitig werden An­stren­
na haben einen un­gelös­ten Grenz­kon­flikt, der 1962       gungen zum Auf­bau der not­wendigen flankie­renden
zu einem Krieg führ­te und re­gel­mäßig für Ver­stim­       Flot­ten­verbände un­ter­nommen wie etwa der Kauf
mungen im bi­lateralen Ver­hält­nis sorgt. Chinas           von sechs französischen Skor­pion-U-Booten und die
macht­po­litischer Auf­stieg ruft in Neu-Delhi Ängste       Ei­gen­produktion von neun Zer­störern und Fre­gat­
vor einer möglichen ex­pansiven und aggressiven Au­         ten. Zudem wurden neue Ra­ke­tensysteme wie die nu­
ßen­politik hervor. Neben der Volks­republik stellt Pa­     klearwaffen­fähige BrahMos-Ra­kete ein­geführt und
kistan, das dank der Un­ter­stützung Chinas und der         über 100 Flugzeuge zur ver­besserten Über­wachung
USA über eine relativ schlag­kräftige Armee verfügt,        und Angriffsfähig­keit erworben.
weiterhin eine strategische Heraus­forderung dar. Als           Zur Modernisierung der Armee hat Neu-Delhi 347
Reak­tion setzt Indien auf nukleare Abschreckung.           T-90S-Kampfpanzer aus Russland be­stellt und plant
Mit den 2008 durchgeführten Tests der Lang­stre­            die Ei­gen­produktion von 1.000 weiteren Panzern.
ckenrakete Agni-III und der U-Boot-gestützten Mit­          Der­weil wurden 124 des in Eigenregie entwickel­
tel­streckenrakete K-15 verfügt Indien nun über ge­         ten Arjun-Kampf­panzers an die Armee aus­ge­liefert.
sicherte Zweitschlagkapazitäten, entsprechend seiner        Nach­dem Indien bereits zu Beginn des Jah­res 2009
Nu­kleardoktrin der credible minimum deterrent.             zwei weitere Armeedivisionen in der Grenz­region
     Auf dem Gebiet der konventionellen Waffen will         zu China stationierte, sollen die Pan­zer auch zur wei­
In­dien seine Streitkräfte an die militärischen An­for­     teren Stärkung der indischen Ost­flanke dienen.
derungen des 21. Jahrhunderts anpassen und eine                 Mit seiner Rüstungspolitik heizt Indien den Rüs­
mo­bi­le, weit­läufig einsetzbare Militärmacht aufbau­      tungswettlauf in Asien weiter an und baut auf dem
en, die Krie­ge unter In­formationsbedingungen füh­         südasiatischen Subkontinent seinen Machtvorsprung
ren und dabei zwi­schenstaatliche wie auch asymmet­         aus. Während China vor allem Indiens Ambitionen
rische Heraus­forderungen meistern kann. Die Luft­          im Indischen Ozean mit großem Misstrauen begeg­
waffe wird zu diesem Zweck mit verbesserter Auf­            net, sieht Pakistan die wachsenden Militärkapazitä­ten
klä­rungskapazität, Reichweite und Schlag­kraft aus­        Indiens als direkte Bedrohung für sein Überleben an.
ge­stattet. Sie soll ihren Einfluss vom Per­sischen Golf    Vor dem Hintergrund des tief sitzenden Misstrauens
bis zur Straße von Malakka geltend machen kön­nen           zwischen den beiden Rivalen und des Fehlens einer
sowie die Fä­higkeit zu offensiven, in die stra­te­gische   regionalen Sicherheitskooperation verstärkt Indiens
Tie­fe des Geg­ners reichende O­pe­ra­tio­nen haben. An­    Aufrüstung die Instabilität in Südasien zusehens.
fang 2009 erhielt Indien seine ersten AWACS-Auf­klä­
rungs­flugzeuge und das ers­te von drei is­raelischen
Phalcon-Radarsystemen, wo­durch das Land ge­gne­            Brasilianische Rüstungspolitik
rische Ra­ke­ten orten und Ak­ti­vi­täten in seinen Nach­
bar­län­dern beobachten kann. Die Mo­der­nisie­rung         Auch Brasiliens im Dezember 2008 veröffentlichte
und Auf­sto­ckung der Kampf­flug­zeuge hat die Singh-       Verteidigungsstrategie (END) überrascht mit der
Re­gie­rung durch den Erwerb von 40 Sukhoi Su-30-           Rückbesinnung auf Relikte des Kalten Krieges: Auf­
Kampf­flug­zeugen und die Ausschreibung für den             rüstung und Abschreckung. Zum Ausbau der mili­
Kauf von 126 Mehr­zweckkampfflugzeugen for­ciert.           tärischen Abschreckungsfähigkeit und Machtprojek­
Die Ma­rine soll mittels eines ambitio­nierten Auf­rüs­     tion ist die Redislozierung der Streitkräfte sowie ihre
tungs­programms zu einer Hoch­see­flotte trans­for­         Mo­dernisierung und Aufrüstung geplant. Truppen
miert werden, die Indien eine Vor­macht­stel­lung im        und Material werden künftig in Amazonien und

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im Südatlantik konzentriert, um einer militäri­schen       sich vertiefen­de po­litische Gräben, die zu erheblichen
Intervention der USA vorzubeugen. Die Be­dro­hungs­        bilateralen Span­nungen bis hin zum Abbruch diplo­
szenarien beinhalten außerdem konventionelle und           matischer Be­ziehungen und Truppenmobilisierungen
asymmetrische Konflikte in Südamerika.                     geführt haben. Die Konflikte sind zumeist historisch
                                                           (Chile-Peru-Bolivien) oder ideologisch (Venezuela-
Militärausgaben Südamerika in Mrd. USD                     Kolum­bien-Ecuador) aufgeladen. Brasilien ist in kei­
                     1990          2000          2008
                                                           nen dieser Kon­flikte involviert, sondern spielt die Rol­
                                                           le einer po­litisch moderaten Vermittlungsmacht.
 Brasilien          8,03*          12,91         15,48
                                                                 Der Großteil der brasilianischen Rüstungs­in­ves­
 Kolumbien          1,91*           3,43          6,57
                                                           ti­tionen soll auf die Seestreitkräfte entfallen, um die
 Chile              2,00*           3,05          4,78
                                                           Si­che­rung der Küstengewässer zu ge­währ­leisten.
 Argentinien        1,83*           2,08          2,08*
                                                           Nach­dem die Modernisierungsbe­stre­bun­gen der bra­
 Venezuela           k. A.          1,48          1,99     si­lia­ni­schen See­streitkraft lange Jah­re un­ge­hört ge­blie­
* Schätzungen; k. A.= keine Angaben                        ben waren, haben sie mit der Ent­de­ckung im­men­ser
Quelle: SIPRI, online:        Er­dölvorkommen in der exklu­siven Wirt­schafts­zone
                                                           vor der At­lantikküste neue Sub­stanz er­halten. Die
Nachdem Rüstungskäufe aufstrebender Mittel­mäch­           angestrebte Strukturreform der brasilianischen Streit­
te wie Venezuela und Chile seine militärische Do­mi­       kräfte zielt auf eine stärke­re Ver­netzung von Heer,
nanz in den letzten Jahren auf die Probe gestellt ha­      Luftwaffe und Marine. Ei­ne erhöhte In­ter­operabilität
ben, sucht Bra­silien den außenpolitischen Status als      zwischen den Teil­streit­kräf­ten (TSK) soll durch die
Re­gionalmacht militärisch zu untermauern. Zwar            Angleichung ihrer Aus­rüs­tungen er­reicht werden.
be­müht sich Brasilien mit der Er­richtung eines re­gio­   Die TSK operieren der­zeit mit teil­wei­se inkompa­
na­len Ver­teidigungsrates im Rahmen der UNASUR            tiblen Aufklärungs- und Kom­man­do­systemen. Für
um die Einbindung der Nachbarstaaten in eine mul­          die technische Modernisierung und Auf­rüstung der
tilaterale Sicher­heitsarchitektur (und die Ausgren­       Streitkräfte sollen laut END jährlich 2,5 Pro­zent des
zung der USA). Doch gefährdet die unilaterale Auf­         BIP bereitgestellt werden. Bisher liegt der investive
rüs­tung zusehends die Reputation als kooperative          Anteil des Militärhaushalts am BIP bei 1,5 Prozent.
Füh­rungs­macht in Südamerika. Die brasilianischen               Die strategische Allianz mit Frankreich im Rüs­
Ver­tei­di­gungs­ausgaben sind höher als die Sum­me        tungs­sektor soll die Abhängigkeit von externer Rüs­
der Ver­tei­digungsausgaben von Ko­lumbien, Chile,         tungs­technologie reduzieren. Das Herzstück des
Ar­genti­nien und Venezuela, den südamerikanischen         bra­si­lianisch-französischen Rüstungsdeals bildet ein
Staa­ten mit den schlagkräftigsten Streitkräften. Wäh­     U-Boot-Geschäft mit einem Vertragsvolumen von 5,8
rend Brasilien zum Ausbau seines Mili­tär­po­tenzials      Mrd. USD. Bis zum Jahr 2018 werden fünf U-Boo­te
eine strategische Partnerschaft mit Frank­reich einge­     der Scorpène-Klasse samt tech­nologischem Know-
gangen ist, haben sich Venezuela mit Russland und          how geliefert. Eines der U-Boote wird für den Nu­
Ko­lumbien mit den USA ebenfalls potente Partner           klearbetrieb konstruiert. Den Nuklearantrieb will
zur Aufrüstung ihrer Arsenale gesucht. Chile dage­         die brasilianische Ma­rine eigenständig im Ma­ri­ne­
gen hat die Herkunftsländer seiner Rüstungsimporte         for­schungszentrum Aramar entwickeln. In dem For­
in den letzten Jahren diversifiziert (Deutschland, Nie­    schungs­zentrum wur­de auch jene Ultrazentrifuge ent­
derlande, Frankreich, Spanien, Großbritannien) und         wickelt, die Bra­silien seit dem Jahr 2006 als neun­tes
nicht mit bilatera­len Allianzen auf politischer Ebene     Land der Erde den vollständigen Brennstoffkreislauf
vermengt. Ge­meinsam sind Brasilien, Chile, Ko­lum­        beherrschen lässt. Auch der Militärhubschrauber
bien und Venezuela die Hauptverursacher einer be­          EC-725-Cougar wird künftig von der Helibras, einer
schleunigten Rüstungsdynamik in Südamerika.                Zweig­nieder­lassung der europäischen Eurocopter,
    Der technologische Modernisierungsbedarf der           in Itajubá im Bundesstaat Minas Gerais gebaut. Der
süd­amerikanischen Streitkräfte ist unbestreitbar und      notwendige Tech­nologietransfer ist im Rahmen eines
die Integration der Teilstreitkräfte durch mehr In­ter­    knapp 2,7 Mrd. USD-Vertrags mit Frankreich ge­re­
operabilität überfällig. Damit und mit den spru­deln­      gelt, mit dem Bra­silien 51 der für Kampf- und Trans­
den Rohstoffeinnahmen (Erdöl, Erdgas, Kup­fer etc.),       port­ein­sätze geeigneten Helikopter akquiriert. Das
aus denen die Rüstungskäufe hauptsäch­lich fi­nan­         französische Modell Dassault Rafale gilt als Fa­vorit
ziert werden, lässt sich die beschleunigte Rüs­tungs­      bei der Aus­schreibung eines weite­ren Groß­auftrags
dynamik aber nur teilweise er­klären. Hinzu kommen         der Luftwaffe, der auf den Import von 150 Kampf­

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flugzeugen bis zum Jahr 2025 zielt. Im Ge­gensatz zu       Jahre 2008 und einer Steigerungsquote von 76 Pro­zent
den zögerlich agierenden US-ame­rika­nischen und           seit dem Jahr 2002 Saudi-Arabien. Die israelischen
schwedischen Konkurrenten ist die fran­zösische Re­        Ausgaben stiegen hingegen nur leicht, zählen aber
gierung zu einem Tech­nolo­gie­transfer bereit.            pro Kopf weiterhin weltweit zu den höchsten.
    Die Vereinbarungen von Rüstungsallianzen mit
ex­traregionalen Großmächten verleihen der viel­           Militärausgaben Mittlerer Osten in Mrd. USD
schichtigen re­gionalen Sicherheitsagenda eine zu­                                1990          2000          2008
sätzliche „externe Dimension“. Obwohl sich die ko­
                                                            Saudi-Arabien         18,12         20,13         33,14
ope­ra­tions­bremsende Wirkung der Aufrüstung in
                                                            Israel                 8,00          9,57         12,14*
Süd­ame­rika im Falle Brasiliens und Venezuelas durch
                                                            Türkei                10,13         15,89         11,66*
die Fo­kussierung auf das Feindbild USA relativiert,
                                                            Syrien                 3,22*         5,35             6,30
nehmen regionale Konflikthypothesen (insbesondere
im Amazonasbecken) in der neuen brasilianischen             Iran                   1,34          4,73             6,09
Verteidigungsstrategie mehr Raum ein als noch zur          * Schätzungen
Jahrtausendwende. Brasilien hatte sich seit den 1990er     Quelle: SIPRI, online: 
Jahren als Vorreiter der regionalen Sicherheitszusam
menarbeit erwiesen und militärische Konflikte mit          Die iranischen Rüstungsgeschäfte mit China (Luft­
Nachbarstaaten nicht mehr in Erwägung gezogen.             ab­wehrraketen, Mittelstreckenraketen), Nord­korea
                                                           (Mit­telstreckenraketen) und Russland (Panzer, Ab­
                                                           wehr­raketen, Flugzeuge) zielen im Wesentli­chen
Iranische Rüstungspolitik                                  auf den Er­halt militärischer Reichweite und damit
                                                           auf Macht­pro­jektionsfähigkeit ab. Insbesondere die
Iran hat sich als unumgänglicher Machtfaktor am            nord­ko­reanische Mittelstreckenrakete No-Dong
Persischen Golf etabliert. Die Ziele der irani­schen       ver­half I­ran durch eine eigene Weiter­entwicklung
Außen- und Sicherheitspolitik sind dabei Ab­schre­         (Sha­hab 3) zu einer Reich­weite von 1.300 bis 2.000
ckungsfähigkeit, Regimesicherheit und die Etablie­         km (i­ra­nische An­gaben). Damit sind Israel und die
rung als Regionalmacht. Die Rüstungs­be­mühungen           Tür­kei er­reichbar. Fer­ner besitzt Iran mit der Fateh-
Irans unterstreichen diese Ziele. Obwohl die USA           110-Fest­stoffantriebsrakete mit einer Reichweite von
in den Jahren 2001 und 2003 die Iran feindlich ge­         200 km ei­ne im Ver­gleich zu einer Rakete mit Flüs­
sonnenen Regime in Afghanistan und Irak als poten­         sig­brenn­stoff deut­lich schnellere und daher schwe­
zielle Bedrohungsfaktoren für die Regimesicherheit         rer be­kämpf­bare Ra­kete. 2001 akquirierte Iran zwölf
und die territoriale Integrität des vornehmlich schi­      Marsch­flugkörper aus der Uk­raine, die auch mit nu­
itisch geprägten Iran ausgeschaltet haben, sieht sich      kle­aren Ge­fechtsköpfen ausgerüstet werden können.
Iran von politischen Gegnern konventionell und                  Vor dem Hintergrund der internationalen Sank­
nuklear eingekreist. Die konventionelle Drohkulisse        tio­nen und der Isolation kauft Iran Waffen­syste­me
bilden mehrere Hunderttausend in Afghanistan und           und baut diese mit dem Ziel nach, ei­ne un­abhängige
im Irak stationierte US-Soldaten. Die Beziehungen          Rüstungsindustrie aufzubauen. Die ira­nische Pro­duk­
zu Israel sind nach wie vor durch gegenseitige Droh­       tion und der Handel mit kon­ven­tio­nellen Rüs­tungs­
gebärden gekennzeichnet. Im Persischen Golf pa­            gütern fallen im Vergleich zur nu­klearen Di­men­
trouilliert die US-Marine, und Saudi-Arabien wird          sion politisch jedoch kaum ins Ge­wicht. Einzig die
von Iran als pro­westlicher Vasall angesehen. Auch         Verbindungen Irans zu schiiti­schen Ex­tremisten im
die po­tenziell als Ver­mittlungs­macht in Betracht kom­   Irak, Syrien und Libanon bzw. deren Versor­gung mit
mende Türkei ist letztlich ein NATO-Mitglied mit           Waffen und Gerät stellen eine Stabilitätsbe­las­tung für
Am­bitionen, der EU beizutreten. Nuklear sieht sich        die Region dar. Das gleiche gilt für die Ver­bin­dun­gen
das Teheraner Regime von Indien, Israel, Pa­kis­tan,       zu den sunnitischen Ex­tremisten der HAMAS und
Russland und von den strategischen Ver­brin­gungs­         des Pa­lästinensischen Is­lamischen Jihads (PIJ) im Ga­
mitteln (U-Boote, Flugzeugträger) der auch im Per­         za­streifen. Das Nu­kle­ar- und das Ra­ke­tenpro­gramm
sischen Golf operierenden USA umringt.                     bilden ei­nen destabili­sie­renden Fak­tor für den ge­
    Seit der Aufdeckung des iranischen Atom­pro­           samten Na­hen und Mitt­leren Osten und könn­ten im
gramms im Jahre 2002 stiegen die iranischen Militär­       Fal­le irani­scher Atom­waf­fenfähigkeit ein nu­kleares
aus­gaben um 56 Prozent auf 6,1 Mrd. USD. Der Spit­        Wett­rüsten auslösen. Ver­mutlich ist die Ver­dop­pe­
zen­reiter in der Region bleibt mit 33,1 Mrd. USD im       lung der iranischen Militärausgaben seit 2002 nahe­zu

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voll­stän­dig auf die Investitionen in das mut­maß­          um die Macht­projektion zur See. Ins­be­son­dere in
lich mi­li­tärische Nuklearpro­gramm (ein­schließ­lich       Asien wird der Aufbau der nationa­len See­streit­kräfte
Trä­ger­technologien) zurückzuführen. Nach An­sicht          die Verschiebung der konventio­nellen mi­litärischen
vie­ler in­ternationaler Beobachter versucht Te­heran,       Kräf­te­verhältnisse bestimmen. Die Ab­hängigkeit
unter dem Deckmantel der Nuk­lear­an­rei­che­rung zu         von maritimen Trans­port­routen ist vor allem für die
zivilen Zwecken, militärische Fak­ten zu schaffen.           auf­stre­benden Han­dels­na­tionen In­dien und China
     Das Destabilisierungspotenzial der iranischen Nu­       ein zen­trales Mo­tiv für die Mo­der­nisierung der See­
klear- und Ra­ketenprogramme ist besonders be­droh­          streit­kräfte. Auch um ihren Groß­macht­anspruch zu
lich, da die ideologische wie die atomare Ge­men­ge­         ma­nif­estieren, mes­sen beide Staa­ten dem Aufbau
lage im Nahen und Mitt­leren Osten bereits heute von         von Flug­zeug­trä­gerverbänden große Bedeutung zu.
In­transparenz und In­sta­bi­li­tät ge­kenn­zeichnet sind.   Iran gilt dagegen als schwer berechenbarer Ak­teur
Dafür zeichnen auch die De-facto-Atom­macht Israel,          und Unsicherheitsfaktor für den globalen See­han­del.
das politisch instabile Pa­kistan und die US-ameri­          Mit­hilfe seiner entlang des Persischen Golf stationier­
kanische In­ter­ventions­macht verantwortlich. Ein nu­       ten konventionellen Potenziale, bestehend aus Tor­
klear bewaffneter und ra­dikal regierter Iran würde          pedobooten und Schiff-Schiff-Raketen, kann Tehe­ran
bestehende Krisenherde wie den israelisch-palästi­           den Schiffsverkehr, insbesondere in der Stra­ße von
nensischen Konflikt und die bür­gerkriegsähnlichen           Hormuz, kurzzeitig stören und den Ölpreis stei­gen
Zustände im Irak weiter be­feuern.                           lassen. Mit Ausnahme der Verbindungen nach Sy­
                                                             rien, Irak, Libanon und in den Gazastreifen spielt Iran
                                                             jedoch im Vergleich zu Bra­si­lien, Chi­na und Indien
Schlussbetrachtung                                           mit Blick auf sein konven­tio­nelles Militärpotenzial
                                                             keine dominante Rolle in sei­ner Region.
In allen untersuchten Staaten ist eine be­schleunigte            Der Vergleich der Zuwachsraten der Ver­tei­di­
Rüs­tungsdynamik zu kon­sta­tieren. Indien und China         gungsaus­gaben verdeutlicht die regionalen Un­ter­
sind zu den welt­weit größ­ten Waffen­importeuren            schie­de: Chi­na und In­dien verz­eichneten in den letz­
aufgestiegen. Beijing und Neu-Delhi wollen vor               ten zehn Jah­ren ei­nen drastischeren Anstieg ihrer
dem Hintergrund ihrer ra­pi­de wach­senden Volks­            na­tio­nalen Ver­tei­di­gungsbudgets als ihre Pendants
wirtschaften und ihrer zu­neh­men­den weltpolitischen        in La­teinamerika und im Mitt­leren Osten. Der chi­ne­
Bedeutung ihre Streit­kräf­te durch ein forciertes Auf­      sische und der i­ra­nische Ver­tei­di­gungssektor sind von
rüstungs- und Mo­der­ni­sierungsprogramm auf neue            hoher In­transparenz geprägt, was Be­drohungs­perzep­
strategische Her­aus­for­derungen – Absicherung              tionen in den Nach­bar­staa­ten schürt. Im iranischen
von Seehandelswegen, Teil­nah­me an multilatera­             Fall erschwert das Nuklearprogramm als mutmaß­
ler Friedenssicherung und Si­cherung der Roh­stoff­          licher Kern der iranischen Rüstungsbestrebungen
versorgung – vorbereiten und ihren Status als Groß­          die Sta­bilisierung des Nahen und Mittleren Ostens,
macht untermauern. Gleiches gilt in geringerem Maße          die freilich von zahlreichen weiteren endogenen und
für Brasilien. Der Machtstatus Teherans basiert nahe­        exogenen Faktoren unterminiert wird.
zu ausschließlich auf seiner potenziellen Atom­waf­              Während auch im indischen Verteidigungssektor
fen­fäh­igkeit und der daraus resultierenden Ver­hand­       er­heb­liche Transparenzdefizite bestehen, ist die brasi­
lungs­macht. Der Re­gierung Ahmadinedschad gelingt           lianische Verteidigungspolitik transparenter organi­
es, die intransparenten Nuklear- und Trä­ger­pro­gram­       siert. Brasília riskiert durch unilaterale Aufrüstung
me als bargaining-chips zu instrumentalisieren. Mit          und die Rückkehr zu strategischen Prinzipien wie Ab­
den immer wieder scheiternden Ver­hand­lungen über           schre­ckung und Machtprojektion seine Re­pu­tation als
das Atomprogramm sichert sich das Re­gime eine von           kooperative Regionalmacht. Ge­mein­sam ist China,
seinen militärischen Ressourcen ab­gekoppelte Rolle          In­dien, Iran und Brasilien, dass die Ex­pansion ihrer
in der globalen und regionalen Si­cherheitspolitik.          Kriegswaffenarsenale bestehende Rüs­tungswettläufe
     Abgesehen vom iranischen Fall genießt der Aus­          in Asien, Südamerika und im Mitt­leren Osten be­
bau der Seestreitkräfte (etwa durch Atom-U-Boote)            schleunigt. Die aufstrebenden Mächte scheinen (in
bei den Aufrüstungs- und Modernisierungs­be­mü­              unterschiedlichem Maße) bereit, die Stabilität und
hun­gen der aufsteigenden Mächte strategische Prio­          friedliche Entwicklung ihrer Regionen auf dem Altar
ri­tät. Es geht den Staaten zuvorderst um den Schutz         ihrer Großmachtambitionen zu opfern.
der Küs­tenge­wässer und der exklu­siven Wirt­schafts­
zo­nen (auch aufgrund von Roh­stoff­vor­kom­men) und

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 Die Autoren
Stefan Dördrechter ist Diplompolitologe (Helmut-Schmidt-Universität) und Offizier der Luftwaffe. Er bereitet der­
zeit seine Dissertation zur iranischen Sicherheitspolitik vor. E-Mail: 
Dr. Daniel Flemes ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIGA Institut für Lateinamerika-Studien und Mitarbeiter im
Regional Powers Network. E-Mail: , Website: 
Georg Strüver ist Sinologe und Mitarbeiter am GIGA German Institute of Global and Area Studies und Dokto­rand
am Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg. E-Mail: 
Thorsten Wojczewski studiert Politikwissenschaft (Regionalschwerpunkt Südasien/Indien) an der Univer­sität Ham­
burg und ist studentischer Mitarbeiter im Regional Powers Network. E-Mail: 

 GIGA-Forschung zum Thema
Im regionenübergreifenden Forschungsprojekt „Regionale Führungsmächte in Afrika, Asien, Latein­ame­
rika und dem Nahen und Mittleren Osten” befasst sich das GIGA mit regionalen und globalen Macht­trans­
formationen. Seit Januar 2008 besteht am GIGA das Regional Powers Network (RPN). Das globale For­
schungsnetzwerk für Internationale Beziehungen und Comparative Area Studies wurde gemeinsam mit
der Universität Oxford, der Sciences Po in Paris und der Universität Hamburg etabliert.

 GIGA-Publikationen zum Thema
Flemes, Daniel (2008), Brasiliens neue Verteidigungspolitik: Vormachtsicherung durch Aufrüstung; GIGA Focus
  Lateinamerika, 12, online: .
Flemes, Daniel und Detlef Nolte (2009), Externe Rüstungs- und Militärallianzen: Eine neue Dimension in Lateinamerikas
  Sicherheitsagenda, GIGA Focus Lateinamerika, 9, online: .
Flemes, Daniel und Detlef Nolte (2008), Zukünftige globale Machtverschiebungen: Die Debatte in den deutschen
  Thinktanks, GIGA Focus Global, 5, online: .
Godehardt, Nadine, Melanie Hanif und Ryoma Sakaeda (2009), Sicherheitspolitische Herausforderungen der
  Regierung Obama in Asien, GIGA Focus Asien, 1, online: .
Nolte, Maximilian und Ryoma Sakaeda (2009), Die Zukunft des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen
  – Iran, Nordkorea und die Überprüfungskonferenz 2010, GIGA Focus Global, 9, online: .
Radseck, Michael (2007), Rohstoffe und Rüstung. Hintergründe und Wirkungen ressourcenfinanzierter
  Waffenkäufe in Südamerika, in: Lateinamerika Analysen, 16, 203-241
Scholvin, Sören und Hanspeter Mattes (2007), Geopolitik und sicherheitspolitisches Potenzial neuer regionaler
  Führungsmächte, GIGA Focus Global, 8, online: .

                   Der GIGA Focus ist eine Open-Access-Publikation. Sie kann kostenfrei im Netz gelesen
                   und heruntergeladen werden unter  und darf gemäß
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Redaktion: Andreas Mehler; Gesamtverantwortlicher der Reihe: Bert Hoffmann; Lektorat: Kerstin Labusga
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