Der "Barcelona Chair" von Ludwig Mies van der Rohe - Ein Designklassiker aus fügetechnischer Sicht

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Der "Barcelona Chair" von Ludwig Mies van der Rohe - Ein Designklassiker aus fügetechnischer Sicht
Der „Barcelona Chair“ von Ludwig Mies van der Rohe –
Ein Designklassiker aus fügetechnischer Sicht
                                                                                                                         Bild 2 • Barce-
                                                                                                                         lona-Pavillon –
                                                                                                                         Rekonstruktion
                                                                                                                         1986.

                                                 Ingenieurtechnische Untersu-                    habe ich aufmerksam verfolgt. Von den
                                                 chungen zur Klärung von Kon-                    mehr als 300 dort aufgenommenen Fotos
                                                 struktionsdetails notwendig                     zeigt Bild 2 eines, das für Postkarten mit Son-
                                                      Die Rekonstruktion des Barcelona-Pa-       derbriefmarken verwendet worden ist. Zu
                                                 villons zu Mies’ 100. Geburtstag im Jahr 1986   sehen ist der Hauptraum im rekonstruierten
Bild 1 • Mies van der Rohe – *27. März 1886 in
Aachen, † 17. August 1969 in Chicago (Foto:
Dirk Lohan, Enkel von Mies, Chicago 1966).

    Im Juni 1928 klingelte das Telefon im
Atelier des Architekten Ludwig Mies van der
Rohe, Am Karlsbad 24 in Berlin. Am Apparat
war Heinrich von Schnitzler. Er sagte zu
Mies: „Herr Mies, für die internationale Aus-
stellung in Barcelona im nächsten Jahr be-
nötigen wir einen Pavillon.“ Darauf Mies:
„Pavillon, was ist denn das, was meinen Sie
denn damit?“ Antwort von Herrn von
Schnitzler: „Das wissen wir auch nicht, aber
die anderen Nationen haben auch einen!“
(Zitat aus einem Interview mit Mies van der
Rohe, ZDF 1986). Daraufhin entwarf Mies
den Barcelona-Pavillon, der nach der Re-
konstruktion in 1986 auch heute noch in
Barcelona zu besichtigen ist. Mies war voll-
kommen klar: In dieses elegante Gebäude
konnte er kein voluminöses Fauteuil stellen.
Deshalb entwickelte er den Pavillonsessel.
    Dieser Sessel war nicht so einfach zu
bauen, wie es auf den ersten Blick scheint.
Mies hat 1930 selbst gesagt: „Es ist schwie-
riger, einen guten Stuhl zu bauen, als einen
Wolkenkratzer!“ Deshalb lag es für mich als
Werkstofftechnikerin nahe, zu versuchen
herauszufinden, wie er es tatsächlich ge-
macht hat. Bis zum 17. August 1969 hätte
ich ihn, Bild 1, noch selbst fragen können,
aber diese Chance habe ich leider verpasst.

Schweißen und Schneiden 65 (2013) Heft 9                                                                                                   645
Der "Barcelona Chair" von Ludwig Mies van der Rohe - Ein Designklassiker aus fügetechnischer Sicht
BERICHTE

                                                                                                     mussten: Maße des Sesselgestells und des
                                                                                                     verwendeten Flachstahlbands, Art der Be-
                                                                                                     gurtung und Ausführung der Auflagekissen,
                                                                                                     Oberfläche und Güte des Stahls sowie Form
                                                                                                     der Kufen, Schweißverbindung des Knotens
                                                                                                     und der Verbindungen von Seitenteilen und
                                                                                                     Streben.
                                                                                                          Damit standen – wie für zweidimensio-
                                                                                                     nale Kunstwerke heute üblich – ingenieur-
                                                                                                     technische Untersuchungen an, um heraus-
                                                                                                     zufinden, wie der Barcelona-Sessel denn
                                                                                                     nun seit 1929 hergestellt worden ist und was
                                                                                                     (frei nach Goethes Faust) die Stahlkonstruk-
                                                                                                     tion im Innersten zusammenhält. Für die-
                                                                                                     sen technischen, aber zerstörungsfreien
                                                                                                     Blick auf Kunst und Design kamen mir mei-
                                                                                                     ne Mitgliedschaft im Deutschen Verband
                                                                                                     für Schweißen und verwandte Verfahren
                                                                                                     (DVS) seit 1999 und die Mitwirkung bei der
Bild 3 • Die Originale des Pavillon-Sessels von 1929; oben: bekannte Aufnahme der Sessel mit ver-    Schweißtechnischen Ingenieurausbildung
chromtem Gestell und weißem Bezug [2 – Bild 148, S. 147] (Foto (Ausschnitt): Berliner Bildbericht    an der Bergischen Universität Wuppertal
1929), unten: weniger bekannte Aufnahme weiterer Sessel, einige mit dunklen Bezügen [2 – Bild 165,   (BUW) ebenso zugute wie die seit 2004 be-
S. 162] (Foto: Deutsche Bauzeitung, Berlin 1929).
                                                                                                     stehende Kooperation mit der Bundesan-
                                                                                                     stalt für Materialforschung und -prüfung
      Bild 4 • Risszeichnung
      des Pavillon-Sessels –                                                                         (BAM) in Berlin.
      datiert 14. September
       1931 [2 – Bild 159, S.                                                                        Das Fehlen der Originale lässt
                        158].                                                                        Fragen offen
                                                                                                          Zur Vorbereitung des von Helmut Reu-
                                                                                                     ter konzipierten und von der „Henry van de
                                                                                                     Velde Gesellschaft“ in Hagen im März 2007
                                                                                                     veranstalteten Symposiums „Mies’ Möbel-
                                                                                                     entwürfe und Innenraumkonzepte“ habe
                                                                                                     ich im Jahr 2005 mit den technischen For-
                                                                                                     schungsarbeiten zu den Fertigungsdetails
                                                                                                     des Barcelona Chair begonnen. Die Ergeb-
                                                                                                     nisse dieser als „Pilotprojekt“ für das künf-
                                                                                                     tige Werkverzeichnis zu bezeichnenden Ta-
                                                                                                     gung sind als gewichtiges Buch „Mies und
                                                                                                     das neue Wohnen“ im Jahr 2008 im Hatje
                                                                                                     Cantz Verlag erschienen [1]. Weitergehende
                                                                                                     Forschungsergebnisse, insbesondere aus
Pavillon und zwei Pavillonsessel vor der frei      für das Unternehmer-Ehepaar Fritz und             den Materialanalysen und werkstoff- sowie
stehenden Wand aus Onyx d´oré. Die Ge-             Grete Tugendhat entworfene „Haus Tugend-          fertigungstechnischen Untersuchungen,
stelle dieser Sessel aus der Sonderserie von       hat“ wurde in Brünn, Tschechien etwa zur          wurden in der gemeinsam mit meiner Kol-
Knoll International bestehen allerdings aus        gleichen Zeit gebaut wie der Barcelona-Pa-        legin Gerda Breuer kuratierten Ausstellung
Chrom-Nickel-Stahl. Die Auflagekissen sind         villon und war ebenfalls mit Pavillonsesseln      „Das Original – vom Prototyp zum Kultob-
aus weißem Rindleder und jedes durch Ke-           eingerichtet worden. Aus den Gesprächen           jekt. Der Barcelona Chair von Ludwig Mies
dern und Polsterknöpfe in 5 × 4 Felder ge-         mit den in München versammelten Werk-             van der Rohe“ im Jahr 2009 in Wuppertal
teilt. Die Gestelle der Originale 1929 bestan-     stoffkollegen wurde schnell klar: Das Ge-         gezeigt. Die zwei in dem bekannten Foto
den aus Baustahl, waren verchromt und hat-         heimnis der im ZI gezeigten Barcelona-Ses-        aus dem Jahr 1929 zu sehenden Pavillon-
ten anders gearbeitete Auflagekissen (De-          sel würde sich nur mit teuren Methoden wie        sessel, Bild 3 oben [2], hatten ein verchrom-
tails weiter unten).                               Röntgen und Computertomografie zur zer-           tes Stahlgestell. Die Sitzkissen aus weißem
     Als ich 1998 die Werkstoffwoche in Mün-       störungsfreien Prüfung der Verbindungen           Ziegenleder waren nicht kassettiert, son-
chen besuchte, fand dort gerade die von            lüften lassen. Eine unmittelbare Bestim-          dern diagonal geheftet und lagen auf neun
Wolf Tegethoff im Zentralinstitut für Kunst-       mung des Alters einzelner Sesselgestelle          Gurten auf, die zwischen die vordere und
geschichte (ZI) veranstaltete Ausstellung          durch Werkstoffanalyse hätte an „Kaffee-          mittlere Strebe gespannt waren. Weniger
„Im Brennpunkt der Moderne: Mies van der           satzleserei“ gegrenzt, weshalb folgende mit-      bekannt ist das Foto in Bild 3 unten [2], auf
Rohes Haus Tugendhat“ statt. Das von Mies          telbare Kriterien herangezogen werden             dem zu erkennen ist, dass es im Pavillon

646                                                                                                       Schweißen und Schneiden 65 (2013) Heft 9
Der "Barcelona Chair" von Ludwig Mies van der Rohe - Ein Designklassiker aus fügetechnischer Sicht
Bild 5 • Pavillon-Sessel vom Haus Tugendhat, Brünn 1928 bis 1931, mit unterschiedlicher Gurtbe-
spannung; oben: im Haus Tugendhat, Brünn [2 – Bild 166, S. 163] (Foto: Atelier de Sandalo 1931),
unten: im Archiv des Museums der Stadt Brünn (Foto: Miroslav Ambroz 2011).

nicht nur die beiden oben genannten wei-            Bild 5 oben [2], zeigt die Rückseiten von
ßen Sessel gab, sondern mindestens vier             zwei Pavillonsesseln, die zwar senkrechte
weitere Sessel mit zum Teil dunkleren Le-           Ledergurte aufweisen, aber in unter-
derkissen. An dem Pavillonsessel im Vor-            schiedlicher Anzahl von sieben bzw. neun
dergrund sind deutlich vier waagrecht ge-           Gurten. Bei dem linken Sessel ist die Haar-
spannte Rückengurte zu sehen. Ob es Le-             fuge zwischen Seitenteil und Strebe des
der- oder Gummigurte waren, ist nicht be-           Sesselgestells deutlich sichtbar. Diese bei-
kannt.                                              den – mit an Sicherheit grenzender Wahr-
    Die so leicht und elegant aussehenden           scheinlichkeit aus dem Haus Tugendhat
Sessel im Barcelona-Pavillon von 1929 hat-          stammenden – Sessel sind von Miroslav
ten ein Stahlgestell, das scheinbar aus einem       Ambroz in Brünn aufgespürt worden, Bild
Stück besteht. Auf der Zeichnung aus dem            5 unten. Ich habe sie am 1. April 2011 im
Büro von Mies, Bild 4 [2], ist jedoch eine          Archiv des Museums der Stadt Brünn in
Haarfuge zwischen Seitenteilen und waag-            Augenschein genommen und anschlie-
rechten Streben zu sehen. Die Zeichnung             ßend detailliert – auch mittels Röntgen –
stammt allerdings erst vom 14. September            untersucht.
1931. Ob die Stahlgestelle der Sessel, die tat-         Die verchromten Gestelle dieser Pavil-
sächlich im Barcelona-Pavillon gestanden            lonsessel sind etwa 750 mm hoch und
haben, aus einem Stück gefertigt oder aus           ebenso breit und tief. Sie haben acht über
zwei Seitenteilen und drei waagrechten Stre-        Schnallen verstellbare Sitzgurte und neun
ben zusammengesetzt waren, ist auf den              bzw. sieben Rückengurte aus smaragdgrü-
Originalfotos nicht erkennbar. Trotz inten-         nem Rindleder. Sie bestehen aus je zwei
siver Bemühungen konnten bislang die Ori-           Seitenteilen und drei Streben. Jedes Sei-
ginalsessel nicht sicher nachgewiesen wer-          tenteil besteht aus Flachstahlband – ein-
den. Die Zeichnung aber kann der Fertigung          facher Baustahl – mit etwa 35 mm × 13
der Sessel im Jahr 1929 nicht zugrunde ge-          mm im Querschnitt. Die Kufenenden sind
legen haben, weil sie zwar neun Sitzgurte,          nicht gerundet. Jedes Seitenteil wiederum
aber acht senkrechte Rückengurte vorsieht.          besteht aus zwei miteinander verschweiß-
                                                    ten Stücken, aus einem zu einem ¼-Kreis
Modellvarianten der                                 (Radius 750 mm) gebogenen und einem
Vorkriegsproduktion                                 S-förmig gebogenen Stück. Sie sind beide
Sessel aus dem Haus Tugendhat                       jeweils an der Stelle, an der sie miteinander
   Das berühmte Foto aus dem 1928 bis               verbunden sind und den Knoten bilden,
1930 in Brünn erbauten Tugendhat-Haus,              in der Breite zur Hälfte ausgenommen und

Schweißen und Schneiden 65 (2013) Heft 9                                                            647
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BERICHTE

                                                  Bild 7 • Querverbindung des Pavillon-Sessels aus   Bild 8 • Sessel aus dem Grassi-Museum (um
                                                  dem Haus Tugendhat (9 Rückengurte): Messing,       1930) [1 – Bild 131, S. 132; 2 – Bild 133, S.
                                                  verchromt, U-Profil (35 mm × 12 mm × 2 mm)          144].; oben: Gestell mit originaler Gurtbespan-
                                                  mit eingenietetem Vierkantprofil; Seitenteil aus-   nung (Foto: Margit Behrens, ZI München), Mitte:
                                                  gebohrt, Flacheisen eingesteckt und vernietet      Knoten aus Vorder- und Hinterteil mit einge-
                                                  (Fotos: Miroslav Ambroz, Brünn; Röntgenauf-        schweißtem Flacheisen (Zeichnung Mathias
                                                  nahme: TU Brünn 2011).                             Winkler, München 2008), unten: Röntgenauf-
                                                                                                     nahme, seitliche Ansicht (SLV München 2007).

Bild 6 • Knoten des Pavillon-Sessels aus dem      mit den Abmessungen 35 mm × 12 mm × 2              Grassi-Museum in Leipzig verwahrte
Haus Tugendhat (9 Rückengurte, Knoten 45,8
                                                  mm, in das ein Vierkantstahl eingenietet ist,      Exemplar, Bild 8 [1; 2]. Das mit einer auf
mm × 36,4 mm); Ergebnis der Röntgenuntersu-
chung (untere Bilder): Knoten gekämmt, ohne       Bild 7. Bei dem Sessel mit neun Rückengurten       den 27. Oktober 1933 datierten und sig-
Zulagen verschweißt (Foto: Miroslav Ambroz,       sind diese Streben über in die Seitenteile ein-    nierten Zeichnung inventarisierte Exem-
Brünn; Röntgenaufnahmen: TU Brünn 2011).          genietete Verbindungsstücke von der Sitzseite      plar (Inventar-Nr. 72.35) stand im ZI für
                                                  her mit den Seitenteilen verschraubt. Zur Auf-     umfangreiche Untersuchungen im Jahr
ineinander gesteckt, Bild 6. Diese Art der Ver-   nahme der Verbindungsstücke wurden die             2007 zur Verfügung. Auffallend sind die
bindung wird Kämmung genannt. Sie macht           Seitenteile auf der Schmalseite aufgebohrt         originalen, pompeijanisch roten neun
notwendig, vier Ecken lagenweise auszu-           und die verbliebenen Stege herausgeschlagen,       Sitz- und acht Rückengurte aus Leder. Die
schweißen und zu verputzen, um den Knoten         siehe Röntgenaufnahme in Bild 7 unten. Die         Sitzgurte weisen auch hier unter ledernen
in der gewünschten Form und Größe zu er-          in das Messing-U-Profil eingelegten Stahlpro-      Zungen Schnallen auf. Das verchromte
halten. Der X-förmige Knoten hat die Abmes-       file sind auf der Schmalseite in regelmäßigen      Gestell dieses Pavillonsessels ist 755 mm
sungen von etwa 46 mm waagrecht und 36            Abständen zur Aufnahme der Gurtbefestigung         hoch, 750 mm breit und 753 mm tief. Es
mm senkrecht und ist handwerklich sorgfältig      aufgebohrt und mit Gewinden versehen.              besteht aus zwei Seitenteilen und drei
gearbeitet, wie aus den an der Technischen                                                           Streben. Die Seitenteile sind aus Flach-
Universität Brünn gemachten Röntgenauf-           Sessel im Grassi-Museum                            band aus unberuhigt vergossenem Stahl
nahmen erkennbar ist. Die drei waagrechten            Bis zur Wiederentdeckung dieser Ses-           (U-St 37-2) in den ungefähren Abmessun-
Streben bestehen aus einem Messing-U-Profil       sel galt als ältester bekannter Sessel das im      gen 35 mm × 13 mm hergestellt. Die Ku-

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Der "Barcelona Chair" von Ludwig Mies van der Rohe - Ein Designklassiker aus fügetechnischer Sicht
Bild 9 • Querverbindung des          rerseits mussten nur oben und unten die
                                           Sessels aus dem Grassi-Museum;       Schweißnähte verputzt werden. Die drei
                                           oben: Verbindung des Querholms mit
                                                                                waagrechten Streben bestehen aus einem
                                           dem Seitenstück, Mitte Konstrukti-
                                           onsskizze (Zeichnung: Mathias        Messing-U-Profil mit den Abmessungen
                                           Winkler, München 2008), unten:       35 mm × 12 mm × 2 mm, in das ein Flach-
                                           Röntgenaufnahme (SLV München         eisen von 10 mm × 8 mm eingenietet ist,
                                           2007).                               Bild 9. Diese Streben sind über in die Sei-
                                                                                tenteile eingesteckte und vernietete Ver-
                                                                                bindungsstücke aus Stahl angeschlossen
                                            fenenden sind nicht gerundet. Je-   und von der Sitzseite sichtbar verschraubt.
                                            des Seitenteil wiederum besteht     Für die Verbindungsstücke wurden die Sei-
                                            aus zwei C-förmig gebogenen         tenteile auf der Schmalseite aufgebohrt
                                            Stücken, die als Vorder- und Hin-   und die verbliebenen Stege herausgeschla-
                                            terteil über ein eingeschweißtes    gen. Die in das Messing-U-Profil eingeleg-
                                            Stück Flachstahl miteinander        ten Stahlprofile sind in regelmäßigen Ab-
                                            verbunden sind. Der Knoten hat      ständen zur Aufnahme der Gurtbefesti-
                                            die Abmessungen 37 mm waag-         gung aufgebohrt und mit Gewinden ver-
                                            recht und 34 mm senkrecht. Die      sehen. Die Angaben von Mathias Winkler
                                            Art der Konstruktion ist erstaun-   in [3] für das Flachstahlband und das Mes-
                                            lich, weil das Stahlband in der     sing-U-Profil nebst Stahleinlage erwiesen
                                            Waagrechten an der Außenkante       sich bei nochmaliger Inaugenscheinnah-
                                            stark gedehnt und an der Innen-     me im Grassi-Museum in Leipzig im Jahr
                                            kante stark gestaucht ist. Ande-    2011 als zu groß.

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BERICHTE

Sessel von James Johnson Sweeney                                                              Wahrscheinlichkeit von der Firma „Berli-
    Aus dem Nachlass von James Johnson                                                        ner Metallwerkstätten Josef Müller“ bzw.
Sweeney stand ein weiterer Pavillonsessel                                                     „Bamberg Metallwerkstätten“ im Berliner
für eingehende Untersuchungen zur Ver-                                                        Stadtteil Neukölln, Lichtenrader Straße 33
fügung. James Johnson Sweeney war ein                                                         hergestellt worden. Die Firma Bamberg
mit Mies befreundeter Kunstkritiker und                                                       war die Nachfolgefirma der Firma Josef
-sammler. Er war Kurator des Salomon-R.-                                                      Müller und stellte Stahlmöbel in Serie her.
Guggenheim-Museums in New York und                                                            Sie bot 1930 den Pavillonsessel als Modell
hatte sich in den 1930er Jahren seine New                                                     MR 90 in der verchromten Ausführung mit
Yorker Wohnung mit Möbeln von Mies                                                            Schweinslederkissen für 520 Reichsmark
ausstatten lassen. Das verchromte Gestell                                                     an, was in etwa dem zwei- bis dreifachen
dieses Pavillonsessels ist 752 mm hoch, 750                                                   Monatslohn eines Facharbeiters entsprach.
mm breit und 755 mm tief. Es hat nur sie-                                                     Die Konstruktionsweise der Pavillonsessel
ben Sitzgurte und auch acht Rückengurte.                                                      ist also schon in der kurzen Zeit zwischen
Es besteht ebenfalls aus zwei Seitenteilen                                                    1929 und 1933 verändert worden, um
und drei Streben. Die Seitenteile aus Flach-                                                  durch Rationalisierung die Kosten für die
stahlband mit etwa 35 mm × 13,5 mm im                                                         Herstellung zu senken. Dieter Noack, des-
Querschnitt sind auch aus unberuhigt ver-                                                     sen Urgroßvater Carl Wilke wahrscheinlich
gossenem Stahl (U-St 37-2) hergestellt. Die                                                   1929 die ersten Gestelle des Pavillonsessels
Kufenenden sind auch hier nicht gerundet.                                                     in einer Kunstschmiede in Berlin-Neukölln
Jedes Seitenteil wiederum besteht aus zwei                                                    handwerklich als Einzelstücke hergestellt
miteinander verschweißten Stücken, Bild                                                       hat, berichtete mir, wie aufwändig es war,
10, und entspricht in der Ausführung den                                                      die Seitenteile zu produzieren. Der Flach-
Sesseln aus dem Tugendhat-Haus in                                                             stahl musste stückweise erwärmt und ge-
Brünn. Vorteilhaft ist hierbei eine günsti-                                                   bogen, eingekämmt, verschweißt, geschlif-
gere Beanspruchung des Werkstoffs als                                                         fen, poliert, verkupfert, vernickelt und ver-
beim Grassi-Exemplar. Der Knoten ist mit                                                      chromt werden. Von Anfang an diktierte
34 mm waagrecht und 25 mm senkrecht                                                           das Gebot der Rationalisierung die Pro-
ziemlich klein, aber handwerklich äußerst                                                     duktionsweise der Sesselgestelle, damit die
sorgfältig gearbeitet, wie die Röntgenauf-                                                    Kosten für den Sessel wenigstens einiger-
nahmen in Bild 10 belegen. Die drei waag-                                                     maßen erschwinglich blieben. Die unter-
rechten Streben bestehen wie beim Gras-                                                       schiedliche Herstellungsweise spiegelt also
si-Modell aus einem Messing-U-Profil mit                                                      die Bemühungen wider, die Kosten zu sen-
den Abmessungen 35 mm × 12 mm × 2                                                             ken.
                                               Bild 10 • Sessel aus dem Nachlass von James
mm, in das ein Vierkantstahl von 20 mm
                                               Johnson Sweeney; oben: Knoten (schematisch),
× 8 mm eingenietet ist, Bild 11. Diese Stre-   gekämmt, ohne Zulagen verschweißt, Mitte und   Die Nachkriegsfertigung – die
ben sind über in die Seitenteile eingelötete   unten: Röntgenaufnahmen (SLV München 2007).    Produktion wird international
Verbindungsstücke von der Sitzseite her                                                               Auch die Gestelle des Barcelona-
mit den Seitenteilen verschraubt. Zur                                                             Sessels, die nach dem Krieg von der Fir-
Aufnahme der Verbindungsstücke wur-                                                               ma Knoll International vertrieben wur-
den die Seitenteile auf der Schmalseite                                                           den, zeigen in ihren unterschiedlichen
aufgebohrt und die verbliebenen Stege                                                             Ausführungen das Bemühen, die Pro-
herausgeschlagen. Die in das Messing-                                                             duktion so kostengünstig wie möglich
U-Profil eingelegten Stahlprofile sind                                                            zu gestalten, ohne von der ästhetischen
in regelmäßigen Abständen zur Auf-                                                                Konzeption von Mies auffällig abzuwei-
nahme der Gurtbefestigung aufgebohrt                                                              chen. Die äußerste Reduktion auf das
und mit Gewinden versehen. Auch hier                                                              konstruktiv Notwendige war das Anlie-
stimmen die von Mathias Winkler in                                                                gen von Mies. Ihm ging es um eine ehr-
[3] angegebenen Maße für Flachstahl-                                                              liche Konstruktion mit der Reduzierung
band und Messing-U-Profil mit Stahl-                                                              auf „Haut und Knochen“. Billig aller-
einlage nicht.                                                                                    dings durfte der Sessel nicht aussehen.
                                                                                                      Im Jahr 1946 hatte der aus einer
Bemühungen um Produktionskosten-                                                                  Stuttgarter Tischler- und Postermeis-
senkung in den Berliner Herstellwer-                                                              terfamilie stammende Hans G. Knoll
ken                                                                                               (1914 bis 1955) in New York, zusammen
   Die Stahlgestelle der vorgestellten                                                            mit seiner Ehefrau Florence, geborene
Pavillonsessel, sowohl der Tugendhat-          Bild 11 • Querverbindung des Sessels aus dem       Schust, die Knoll Ass. Inc. gegründet.
wie des Grassi- und des Sweeney-Exem-          Nachlass von James Johnson Sweeney; (Zeich-    Die Innenarchitektin Florence Knoll hatte
plars sind mit an Sicherheit grenzender        nung: Mathias Winkler, München 2008).          1947 von ihrem Lehrer Mies die Erlaubnis

650                                                                                                Schweißen und Schneiden 65 (2013) Heft 9
Der "Barcelona Chair" von Ludwig Mies van der Rohe - Ein Designklassiker aus fügetechnischer Sicht
erhalten, die Barcelona-Sessel zu produzie-
ren. Einem eigenen Geschäftsmodell fol-
gend stellte die Firma Knoll International
die Barcelona-Sessel nicht selbst her, son-
dern beauftragte damit mittelständische
Betriebe in verschiedenen Ländern. Im Jahr
1947 begann die Zusammenarbeit zwi-
schen Hans G. Knoll Ass. Inc. New York mit
der Vergabe der Lizenz an die Wohnbedarf
AG (Zürich) für die Herstellung von Wohn-
möbeln von Knoll International für die
Schweiz. Ein Auftrag des amerikanischen
Department of State, 90 Häuser amerikani-
scher Beamter in Deutschland einzurich-
ten, war Anlass für die Gründung der Firma
Knoll International GmbH am 20. Novem-
ber 1951 in Stuttgart. Dort wirkte unter der
Leitung von Toby E. Rodes, dem Präsiden-
ten des europäischen Bereichs der Knoll
Ass. Inc., ein kleiner Planungs- und Verwal-
tungsstab.

Von Meili in der Schweiz gefertigte Sessel
    Im Auftrag des Geschäftsführers der
Wohnbedarf AG Zürich fertigte Walter Meili
etwa 1949 ein Gestell für einen Barcelona-
Sessel aus nichtrostendem Stahl. Dieses
Sesselgestell, Bild 12, besteht aus zwei Sei-
tenteilen und drei Streben. Die aufstehen-
den Kufenenden sind gerundet. Jedes Sei-
tenteil besteht aus drei Stücken Flachstahl-
profil mit dem Querschnitt 30,4 mm × 12,4
mm. An den zu einem Viertelkreis geboge-
nen, durchgehenden Rückenfuß sind im
                                                Bild 12 • Barcelona-Sessel für die Wohnbedarf AG, Zürich, gefertigt etwa 1949 von Walter Meili
Knoten die Sitzleiste und der Fußbogen          (Fotos: Friederike Deuerler, Iserlohn 2011; Röntgenaufnahme: SLV Duisburg 2011).
über einfache Kappnähte angeschweißt.
Der Knoten ist mit 29 mm waagrecht und
21 mm senkrecht auf ein Minimum redu-
ziert. Die drei Streben bestehen aus 680 mm
langem Flachstahlband von 30,2 mm × 12,4
mm im Querschnitt. Die Gewindebohrun-
gen in den Schmalseiten dienen zur Befes-
tigung der Gurte. An den Enden sind die
Streben durch eine Fase für die Verschwei-
ßung mit den Seitenteilen vorbereitet, so-
dass schließlich ein Sesselgestell aus einem
Stück entsteht. Nach dem Schleifen und Po-
lieren wird also galvanisch nicht nachbe-
handelt, das heißt keine Chromschicht auf-
gebracht.
    In Deutschland beauftragte die Firma
Knoll International die Firma Waldemar
Stiegler in Marbach am Neckar mit der
Herstellung der Barcelona-Sessel. Hier
wurden von 1954 bis 1976 die Metallge-
stelle für den Barcelona-Sessel als „Modell
250“ auf der Grundlage einer Zeichnung
Nr. 239/6 der Firma Knoll Ass. Inc. vom 13.
September 1951 gefertigt. Die ledernen

Schweißen und Schneiden 65 (2013) Heft 9                                                                                                         651
Der "Barcelona Chair" von Ludwig Mies van der Rohe - Ein Designklassiker aus fügetechnischer Sicht
BERICHTE

                 Bild 13 • Der im Archiv der Stiftung Bauhaus,
                 Dessau, verwahrte Sessel von Lucius D. Clay
                 (etwa von 1954/55; Fotos: Friederike Deuerler;
                 Röntgenaufnahmen: Bernhard Redmer, BAM
                 Berlin 2008); oben links: Seitenteil, oben rechts:
                 Streben mit originalen Ledergurten, Mitte links:
                 Seitenteil mit Überblattung (Schlagzahl 44),
                 Mitte rechts: Knoten, unten links: Röntgenauf-
                 nahme des Knotens (Seitenansicht), unten
                 rechts: Röntgenaufnahme des Knotens (Ansicht
                 von oben).

                   Gurte und Auflagekissen wurden von der
                   Firma Möller, Marbach beigestellt. Die Fir-
                   ma Stiegler produzierte die Sessel in ver-
                   schiedenen Versionen hinsichtlich der
                   Verbindung von Seitenteil und Streben so-
                   wie der Ausführung des Knotens. Zur Bie-
                   gung der Seitenteile entwickelte ein Mit-
                   arbeiter eine spezielle Horizontalbiege-
                   maschine.

                   Der Sessel von Lucius D. Clay im Archiv
                   der Stiftung Bauhaus Dessau
                       Das im Archiv der Stiftung Bauhaus
                   Dessau verwahrte Sesselgestell, Bild 13 aus
                   dem Büro des Hochkommissars der Alli-
                   ierten Streitkräfte, Lucius D. Clay, wurde
                   aus blank gezogenem Flachstahl der Güte
                   St 37 K (Baustahl) hergestellt. Das ver-
                   chromte Metallgestell aus zwei Seitentei-
                   len und drei Streben entspricht der zuvor
                   genannten Zeichnung in ihrer ursprüng-
                   lichen Fassung. Es ist mit neun Sitzgurten
                   und acht Rückengurten bespannt. Die auf-
                   stehenden Kufen sind gerundet. Jedes Sei-
                   tenteil besteht aus zwei Stücken Flach-
                   stahlprofil mit dem Querschnitt 30 mm ×
                   12 mm. Beide Teile sind gekämmt, inei-
                   nander gesteckt und im Knoten nach der
                   ursprünglichen Fassung der Zeichnung
                   über einfache Kappnähte miteinander ver-
                   schweißt. Der Knoten ist mit 30 mm waag-
                   recht und 20,6 mm senkrecht sehr klein.
                   An die Seitenteile sind 85 mm lange Stücke
                   Flachstahl mit einer Dicke von 4 mm an-
                   geschweißt. Die Streben sind an ihren En-
                   den jeweils korrespondierend abgesetzt
                   und ergänzen sich mit den angeschweiß-

                 Bild 14 • Wenig ansprechende Konstruktionslö-
                 sung mit Stabilitätsproblemen: Barcelona-Sessel
                 mit Ecküberblattung (Fotos oben: Christoph Be-
                 cker, Wuppertal 2009; Fotos unten: Friederike
                 Deuerler, München 2008); 1) Gestell, 2) Detail
                 Ecküberblattung, 3) Verbindung obere
                 Strebe/rechtes Seitenteil (von oben), 4) Verbin-
                 dung vordere Strebe/rechtes Seitenteil (von
                 oben).

652                       Schweißen und Schneiden 65 (2013) Heft 9
Der "Barcelona Chair" von Ludwig Mies van der Rohe - Ein Designklassiker aus fügetechnischer Sicht
ten Stücken zu einer vollständigen Strebe
von 12 mm Dicke. Streben und ange-
schweißte Stücke sind über je zwei Schrau-
ben von der Sitzfläche her miteinander
verbunden. Um sicherzustellen, dass in
der Serienfertigung Streben und Seitentei-
le nach der Endbearbeitung wieder richtig
zusammengesetzt werden konnten, befin-
den sich in den Strebenüberblattungen
Schlagzahlen. Diese Konstruktionsweise
zeigt die Grenzen der Rationalisierung, da
durch die Art der Verbindung zwischen
Streben und Seitenteil die Stabilität des
Sessels begrenzt ist. Der Sessel ist bei ei-
nem Umzug vom Lastwagen gefallen. Bei
diesem Unfall sind die Laschen verbogen
und teilweise sogar abgerissen. Deshalb
konnte der Sessel nicht wieder zusammen-
geschraubt werden. Bei dem zweiten
Exemplar aus dem Bestand der US-Army
ist der Zielkonflikt zwischen ästhetischer
Reduktion und statischer Notwendigkeit
gelöst worden, indem die kritischen Ver-
bindungsstellen verstärkt wurden.

Nach qualitativem Tiefpunkt
ökonomische und ästhetisch
ansprechende Lösung
     Die Firma Knoll International hat wegen
der Unzulänglichkeiten der nach der Zeich-
nung 239/6 gefertigten Gestelle folgende
Konsequenzen gezogen: Es wurde dickeres
Flachstahlband (Querschnitt 30 mm × 14
mm) verwendet und der Knoten der Seiten-
teile wurde entsprechend dem handschrift-
lichen Nachtrag in der Zeichnung durch das
Einschweißen von Zulagen vergrößert (40
mm × 35 mm). Diese Maßnahme ist meines
Erachtens jedoch nicht ausschließlich auf
technische Anforderungen zurückzuführen.
Vielmehr sind dafür im Wesentlichen ästhe-
tische Gründe maßgebend. Damit ent-
spricht der Knoten äußerlich wieder der ur-
sprünglichen Version des Pavillonsessels.
Die Spitze der Rationalisierungsbemühun-
gen, bei der die Grenze zur Billigkeit dann
tatsächlich erreicht wird, stellt eine Bauart
der Sesselgestelle dar, wie sie in den Jahren
1955 bis 1958 gefertigt worden ist. Die Ver-
bindungen zwischen Seitenteilen und Stre-
ben wurden als sogenannte Ecküberblat-
tungen, Bild 14, ausgeführt. Zwar sind die
Seitenteile der Sesselgestelle wie zuvor jedes
aus zwei Teilen gekämmt, ineinander ge-
steckt und über Zulagen miteinander ver-
schweißt, aber Seitenteile und Streben sind
miteinander verbunden, indem die Streben
an ihren Enden zur Hälfte der Dicke abge-
setzt sind und die Seitenteile zur Aufnahme

Schweißen und Schneiden 65 (2013) Heft 9         653
Der "Barcelona Chair" von Ludwig Mies van der Rohe - Ein Designklassiker aus fügetechnischer Sicht
BERICHTE

                                                                                                                          gen nicht. Allein der Preis
                                                                                                                          von 795,- DM für einen
                                                                                                                          Barcelona-Sessel in der
                                                                                                                          Liste von Knoll Internatio-
                                                                                                                          nal im Jahr 1957 ist also
                                                                                                                          kein Grund für die unbe-
                                                                                                                          friedigende Ästhetik.
                                                                                                                              Ab etwa 1958 wurde
                                                                                                                          von der Firma Stiegler ei-
                                                                                                                          ne Version des Sesselge-
                                                                                                                          stells entwickelt, die
                                                                                                                          schließlich alle techni-
                                                                                                                          schen und ästhetischen
                                                                                                                          Forderungen weitgehend
                                                                                                                          erfüllte und daneben
                                                                                                                          noch kostengünstig her-
                                                                                                                          zustellen war. Während
                                                                                                                          die Ausführung des Kno-
                                                                                                                          tens zunächst weitgehend
                                                                                                                          unverändert blieb, wurde
                                                                                                                          die Verbindung von Sei-
                                                                                                                          tenteilen und Streben ge-
                                                                                                                          ändert. Die Seitenteile er-
                                                                                                                          hielten angeschweißte
                                                                                                                          Gewindestücke, Bild 15,
                                                                                                                          die an ihren Enden zur
                                                                                                                          Hälfte der Breite um 34
                                                                                                                          mm (Fertigungszeich-
                                                                                                                          nung 173) abgefräst wa-
                                                                                                                          ren. Korrespondierend
                                                                                                                          dazu wurden die Streben
                                                                                                                          an ihren Enden ausge-
                                                                                                                          nommen, Fertigungs-
                                                                                                                          zeichnung 172, 16. Stre-
                                                                                                                          ben und Gewindestücke
                                                                                                                          wurden durch eine Inbus-
                                                                                                                          schraube verbunden. Der
                                                                                                                          Kopf der Inbusschraube
                                                                                                                          verschwand in der Strebe
                                                                                                                          und alle diese Stufenver-
                                                                                                                          bindungen wurden von
                                                                                                                          den ledernen Spanngur-
                                                                                                                          ten überdeckt. Die Her-
                                                                                                                          stellung der Streben und
Bild 15 • Sesselgestell mit Stufenverbindung; oben: Ferti-   Bild 16 • Streben des Sesselgestells mit Stufenverbindung;
gungszeichnung (Firma Stiegler, Marbach 1970), Mitte und     oben: Fertigungszeichnung (Firma Stiegler, Marbach 1970),    Gewindestücke war mit
unten: Seitenteil mit oberem bzw. vorderem Gewindestück      unten: Streben mit Gurtbefestigungen (Fotos: Ernst Schauf,   Bohr- und Fräsmaschinen
(Fotos: Ernst Schauf, Essen 1998).                           Essen 1998)                                                  erleichtert und erzielte

dieser Strebenenden korrespondierend ab-                       Bild 17 • Röntgenaufnahme eines Kno-
                                                                     tens aus Ober- und Unterteil, ge-
gefräst wurden. Die Ecküberblattungen wa-
                                                                 schweißt mit zwei Zulagen (Foto: Jens
ren durch den Einsatz von Fräsmaschinen                                   Meisner, SLV Duisburg 2010).
einfach und kostengünstig herstellbar.
Durch diese Art der Verbindung ließ sich
aber eine erhöhte Stabilität der Gestelle           der Schrauben in den Eckverbindungen ver-
nicht erzielen, wenn nicht äußerst exakt ge-        hinderte nicht, dass sich die Gestelle bei er-
arbeitet wurde. Eine genaue Fertigung aber          höhter Belastung zu einem Parallelogramm
hob einen Teil des Rationalisierungseffekts         verschoben. Abgesehen davon überzeugen
wieder auf. Auch die diagonale Anordnung            die ins Auge springenden Ecküberblattun-

654                                                                                                           Schweißen und Schneiden 65 (2013) Heft 9
befriedigende Ergebnisse bezüglich der                                                               die Garage, die Waschküche oder die
Genauigkeit und damit der Stabilität.                                                                Rumpelkammer gehen. Denn auf die mit
     In der bis 1976 gefertigten Version                                                             letzter Sicherheit als Originale zu bestim-
aus Flachstahl (30 mm × 14 mm) wurden                                                                menden Pavillonsessel von 1929 warten
dann die Seitenteile aus einer unteren                                                               wir noch. Falls Sie irgendwo etwas Inte-
und oberen Hälfte zusammengesetzt. Die                                                               ressantes in Sachen Barcelona-Sessel ent-
Umstellung der Produktion kann nicht                                                                 decken, benachrichtigen Sie mich bitte
vor dem Jahr 1970 dokumentiert werden.                                                               (deuerler@uni-wuppertal.de).
Die Fertigung der Seitenteile aus Ober-                                                               Der Betreuer meiner Doktorarbeit (ein
und Unterteil, Bild 17, senkte die Produk-                                                           Physiker) hat mir den Picasso-Spruch
tionskosten weiter, weil bereits mit dem                                                             „Kunst wäscht den Staub des Alltags von
Biegen der Stahlabschnitte zwei fertige                                                              der Seele“ ans Herz gelegt. Falls Sie mal
Ecken in den Kreuzungspunkten entstan-                                                               ein solches Bedürfnis haben und die
den und nur noch die beiden anderen                                                                  Raumwirkung des Barcelona Chair in der
Ecken ausgefüllt und nachgearbeitet wer-                                                             originalen Umgebung, Bild 19, ansehen
den mussten. Diese Vereinfachung be-                                                                 wollen, besuchen Sie doch einfach das
ansprucht den Werkstoff wegen der grö-                                                               am 29. Februar 2012 nach der umfang-
ßeren Biegeradien weniger als bei dem                                                                reichen Rekonstruktion wiedereröffnete
                                            Bild 18 • Barcelona-Sessel mit Windhund, (Werbe-
Grassi-Exemplar aus Vorder- und Hin- prospekt der Firma Knoll International, Stuttgart.              Tugendhat-Haus in Brünn.
terteil und ist wegen der werkstoffgerech-                                                                   Prof. Dr.-Ing. Friederike Deuerler,
ten Konstruktion besser. So wie die Firma                                                                                            Wuppertal
Stiegler die Sesselgestelle bis 1976 gefer-
tigt hat, werden sie auch heute noch welt-                                                           Literatur
weit produziert. Allerdings wurden die                                                               [1] Reuter, H., u. B. Schulte (Hrsg.): Mies
Maße des Flachstahlbands und des Kno-                                                                      und das neue Wohnen – Räume, Möbel,
tens reduziert. Es wurden von Knoll In-                                                                    Fotografie. ISBN 978-3-7757-2220-9,
                                                                                                           Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2008.
ternational offensichtlich auch Barcelo-
                                                                                                     [2] Tegethoff, W.: Der Pavillonsessel – Die
na-Sessel für Hunde gefertigt, Bild 18,                                                                    Ausstattung des Deutschen Pavillons in
vermutlich nicht nur für Windhunde.                                                                        Barcelona 1929 und ihre Bedeutung. In:
Dem jeweiligen Eigentümer oder Besit-                                                                      Mies und das neue Wohnen – Räume,
zer war die Konstruktion sicher herzlich Bild 19 • Tugendhat-Haus in Brünn.                                Möbel, Fotografie (Hrsg. H. Reuter u. B.
                                                                                                           Schulte), S. 144/73. ISBN 978-3-7757-
egal.                                                                                                      2220-9, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern
                                                                                                           2008.
Originale aus Barcelona noch                     Firma Knoll International Stuttgart und Herrn    [3] Winkler, M.: Untersuchungen zum frühen
gesucht                                          Toby E. Rodes († 21. April 2013), ehemaliger         Barcelona-Sessel – Untersuchungsreihe im
    Ich bin schon oft gefragt worden, was        Manager von Knoll International Europa. Tat-         Rahmen von „Möbel und Möbelentwürfe
                                                                                                      Mies van der Rohes“. In: Mies und das neue
mich an dem Barcelona-Sessel so fasziniert.      kräftige Unterstützung erfuhr ich bei den kos-       Wohnen – Räume, Möbel, Fotografie (Hrsg.
Trotz aller Begeisterung für die Technik ist     tenträchtigen Werkstoffanalysen und Rönt-            H. Reuter u. B. Schulte), S. 174/83. ISBN 978-
es mir nicht gelungen, die Barcelona-Sessel      genuntersuchungen durch: Prof. Cord-Chris-           3-7757-2220-9, Hatje Cantz Verlag, Ostfil-
zum Sprechen zu bewegen und so über die          toph Vogt von der FH Schweinfurt, Bernhard           dern 2008.
                                                                                                  [4] Deuerler, F., u. H. Deuerler: Die Produktion
Entstehungsgeschichte des Möbels Auskunft        Redmer von der BAM, Berlin sowie Dr. Mar-
                                                                                                      des Barcelona-Sessels in Deutschland nach
zu erhalten. Nach dem Motto von Wilhelm          kus Holthaus, Jens Meißner und Prof. Rein-           1945. In: Mies und das neue Wohnen –
von Humboldt „Im Grunde sind es immer            hardt Winkler von der SLV Duisburg. Detail-          Räume, Möbel, Fotografie (Hrsg. H. Reuter
die Verbindungen mit Menschen, die dem           lierte Auskünfte erhalten habe ich unter an-         u. B. Schulte), S. 184/93. ISBN 978-3-7757-
Leben seinen Wert geben“, habe ich die zahl-     derem von: Dr. Miroslav Ambroz, Brünn/Cz,            2220-9, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2008.
                                                                                                  [5] Deuerler, F.: Der Barcelona-Sessel von Ludwig
reichen Begegnungen mit sehr interessanten       Rüdiger Messerschmidt von der Stiftung Bau-
                                                                                                      Mies van der Rohe – Eine Design-Ikone im
Menschen als große Bereicherung empfun-          haus Dessau, Serge Mauduit und Andreas               Röntgenfokus. BUW.Output Nr. 6/Winterse-
den. Die vorgestellte Forschungsarbeit wäre      Nutz vom Vitra Design Museum, Weil am                mester 2011/12, Forschungsmagazin der Ber-
nicht möglich gewesen ohne die Hilfe fol-        Rhein und last but not least Caterina Valente        gischen Universität Wuppertal, S. 24/31.
gender Personen, bei denen ich mich aus-         aus Lugano. Liebe Leserinnen und Leser, nun      [6] Deuerler, F.: Mies van der Rohe´s Barcelona
                                                                                                      chair – A design icon in X-ray close-up.
drücklich bedanke: Edwin Burkhardt hat seit      wissen Sie, auf was Sie achten müssen, wenn
                                                                                                      http://www.buw-output-archiv.uni-wup-
1999 mit Engelsgeduld und viel Herzblut alle     Sie das nächste Mal auf den Dachboden, in            pertal.de/ausgabe6/deuerler/index-
meine Fragen zum Barcelona-Sessel uner-                                                               en.html.
müdlich beantwortet. Reinhold Frick hat die      DANKSAGUNG                                       [7] Deuerler, F.: Mit dem Röntgenblick auf die
hier gezeigten Fertigungspläne gezeichnet                                                             Details – Neuere Methoden der Werkstoff-
                                                   Die Arbeit wird im Rahmen des DFG-Projekts         prüfung beim Barcelona-Sessel helfen bei
und Werner Halbgewachs die wirtschaftli-           „Kommentiertes Werkverzeichnis der Möbel           der Frage nach der Originalität. In: Mies –
chen Gesichtspunke der Knoll-Produktion            und Möbelentwürfe Ludwig Mies van der Ro-          Tot oder Lebendig? (ISBN 978-3-935053-55-
erläutert. Ich danke weiterhin Herrn Walter        hes“ gefördert (Kennzeichen DE 756/3-1).           6), Mies Haus Magazin 7 (2011), H. 8, S.
Franoscheck, ehemaliger Vertriebsleiter der                                                           64/71.

Schweißen und Schneiden 65 (2013) Heft 9                                                                                                       655
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