Der Deutsche Schulpreis Die Preisträger 2007 - Robert Bosch ...

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Der Deutsche Schulpreis Die Preisträger 2007 - Robert Bosch ...
Bosch_Brosch_T_413x250_RZ   26.11.2007   17:32 Uhr   Seite 1

                                                               Der Deutsche Schulpreis
                                                               Die Preisträger 2007
Der Deutsche Schulpreis Die Preisträger 2007 - Robert Bosch ...
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Inhalt

 2 Vorwort
 4 Robert-Bosch-Gesamtschule, Hauptpreisträger
12 Helene-Lange-Schule, Preisträger
18 Montessori-Oberschule, Preisträger
24 Friedrich-Schiller-Gymnasium, Preisträger
30 Carl-von-Linné-Schule, Preisträger
36 Die nominierten Schulen
38 Die Jury des Deutschen Schulpreises
39 Gute Schule – was ist das?
   Die sechs Qualitätsbereiche des Deutschen Schulpreises
40 Impressum
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    Vorwort

    Viele Schulen haben sich auf den Weg gemacht, um eigene Antworten auf die großen Heraus-
    forderungen zu finden, denen sich Schule heute gegenübersieht. Dabei sind überzeugende
    Modelle entstanden, von denen andere lernen können. Solche Vorbilder wollen die Robert
    Bosch Stiftung und die Heidehof Stiftung und ihre Partner ZDF und stern vorstellen. Mit dem
    Deutschen Schulpreis werden seit 2006 in jedem Jahr allgemeinbildende Schulen aller
    Schularten in Deutschland ausgezeichnet. Der Preis würdigt die pädagogische Leistung von
    Schule und macht sie für die Schulentwicklung im ganzen Land nutzbar. Der Hauptpreis ist
    mit 50.000 Euro dotiert, vier weitere Schulen erhalten Preise in Höhe von je 10.000 Euro.

    Im ersten Wettbewerbsjahr gingen die vier Preise an die Offene Schule Waldau in Kassel, an
    die Jenaplan-Schule in Jena, an die IGS Franzsches Feld in Braunschweig und an die Max-Brauer-
    Schule in Hamburg. Den Hauptpreis erhielt die Grundschule Kleine Kielstraße in Dortmund.

    Um den Deutschen Schulpreis 2007 haben sich 170 Schulen aller Schularten, in privater oder
    öffentlicher Trägerschaft, aus allen Bundesländern beworben. Die Auswahl orientierte sich bei
    den Bewertungen der schulischen Praxis an den sechs Qualitätsbereichen des Deutschen Schul-
    preises: Leistung, Umgang mit Vielfalt, Unterrichtsqualität, Schulleben, Verantwortung und
    Schule als lernende Institution. Auch die Kooperationen mit externen Partnern wurden bei der
    Auswahl berücksichtigt.

    Durch den Wettbewerb entsteht über die Jahre ein Netzwerk exzellenter Schulen. Die Weiter-
    entwicklung dieser Schulen, ihre Kooperation untereinander, aber auch die Weitergabe ihrer
    guten Praxis an möglichst viele reforminteressierte Schulen – dies ist die Aufgabe der Akademie
    des Deutschen Schulpreises. Sie hat in diesem Jahr mit ersten Veranstaltungen ihre Arbeit auf-
    genommen. So wurde in dem ersten »Exzellenzforum«, das allen Bewerberschulen des Wett-
    bewerbsjahres 2006 offenstand, anhand der sechs Qualitätsbereiche die Unterrichtspraxis
    der Teilnehmerschulen kritisch aufgearbeitet. Im ersten Multiplikatorenseminar, das an der
    Dortmunder »Kleinen Kielstraße« durchgeführt wurde, kamen ausgewählte Schulräte aus ganz
    Deutschland zusammen, um über Gelingensbedingungen guter Schule aus der Sicht von Schul-
    verwaltung und Schulaufsicht zu diskutieren. Stipendien ermöglichten es 20 Lehrern, an den
    Preisträgerschulen mehrwöchige Hospitationen durchzuführen. Weitere Maßnahmen folgen.
    Auf diese Weise kann der Deutsche Schulpreis seine nachhaltige Wirkung entfalten und seinen
    eigentlichen Zweck, Schulentwicklung, erfüllen.
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Die Robert Bosch Stiftung wie die Heidehof Stiftung blicken auf eine lange Tradition zur Reform
des Schul- und Bildungswesens zurück. Reformpädagogische Konzepte, Integration und Krea-
tivitätsförderung sind Wurzeln, aus denen umfangreiche Programme zur Schulentwicklung
hervorgingen, immer mit dem Ziel, die Qualität des Unterrichts zu verbessern und Schülern die
Möglichkeit zu Eigenständigkeit und hoher Leistung zu geben. Diese Bildungstradition wurde
von Robert Bosch begründet, von seinen Kindern weiter gepflegt und in beiden Stiftungen sys-
tematisch fortentwickelt. Der Deutsche Schulpreis sieht sich in der Kontinuität dieser langjäh-
rigen Bildungsarbeit.

Wir danken unseren Medienpartnern stern und ZDF, die der »Guten Schule« in Deutschland
eine breite Öffentlichkeit verschaffen. Besonders aber danken wir den zahllosen Lehrern,
Eltern und Schülern, die immer wieder unter Beweis stellen, dass gute Schule in Deutschland
möglich ist.

Ebenso danken wir der Bundesministerin für Bildung und Forschung Annette Schavan, dass
sie den Deutschen Schulpreis 2007 persönlich überreicht. Den Juroren und den pädagogischen
Experten danken wir für ihre wertvolle Arbeit.

Wir hoffen, dass der Deutsche Schulpreis weiterhin viele Schulen motiviert, in der Schulent-
wicklung neue Wege zu gehen und eigene Konzepte zu erproben.

Dr. Ingrid Hamm             Dr. Eva Madelung
Robert Bosch Stiftung       Heidehof Stiftung
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Die Lehrer an der Robert-Bosch-Gesamtschule
arbeiten in Jahrgangsteams und Fachberei-
chen zusammen. Ständig überprüfen sie ihre
Arbeit: Sie befragen ihre Schüler und hospi-
tieren gegenseitig im Unterricht. An anderen
Schulen wäre dies undenkbar. Doch hier hat
keiner Angst vor Offenheit.
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Robert-Bosch-Gesamtschule, Hildesheim
Hauptpreisträger

Wer es mal zu etwas bringen soll, der ging in    ganzheitlich und projektorientiert. Anderen
Hildesheim früher auf ein klassisches Gymna-     Schulen ist sie in ihrer Entwicklung zehn
sium: zum Beispiel auf das Josephinum, eine      Jahre voraus. Sie wird hochprofessionell ge-
katholische Schule, gleich neben dem tausend     managt.« Sein Kollege aus der Jury, der nieder-
Jahre alten Mariendom erbaut und fast genau-     ländische Schulinspektor Johan van Bruggen,
so alt. Wer heute in Hildesheim etwas werden     hat schon viele gute Schulen gesehen. Er sagt
will, der geht auf die Robert-Bosch-Gesamt-      über die Robert-Bosch-Gesamtschule: »Gute
schule (RBG). Die liegt hinterm Bahnhof im       Schulen haben den Willen zu lernen. Die Leh-
Norden der Stadt neben dem Zentralfriedhof.      rer in Hildesheim sind nie zufrieden, sie su-
                                                 chen immer nach Möglichkeiten, noch besser
Die Schule im nüchternen Betonbau aus den        zu werden.«
70er-Jahren kann sich vor Anmeldungen
kaum retten, im Sommer musste Schulleiter        Für Nicolas ist das abstrakte Theorie. Für den
Wilfried Kretschmer von 380 Bewerbern über       Elfjährigen zählt etwas anderes: »Hier küm-
die Hälfte ablehnen. Noch vor 15 Jahren          mert sich einer um den anderen«, sagt er. Nico
kämpfte die Schule um jeden neuen Schüler.       geht erst seit ein paar Wochen in die sechste
Anfang der 90er-Jahre war sie ganz unten.        Klasse der Robert-Bosch-Gesamtschule und
Damals hatte die Gesamtschule einen miesen       gehört bereits dazu. An seiner alten Schule
Ruf und galt als Schule für Schwache. Jetzt      hatte er Probleme, Freunde zu finden.
bekommt sie den Deutschen Schulpreis.
                                                 Zusammen mit vier Mädchen sitzt er um einen
Die Schule wurde nach folgenden Kriterien        Tisch. Sie sind allein in dem großen Klassen-
beurteilt: Leistung, Umgang mit Vielfalt,        raum. Die fünf Sechstklässler bekleben Holz-
Unterrichtsqualität, Verantwortung, Schul-       rahmen mit buntem Papier. »Wir basteln für
leben und Schulentwicklung. Bei allen sechs      den Weihnachtsbasar«, erklärt Nico, während
hat die Schule die Jury der Robert Bosch         er vorsichtig dünnes Seidenpapier mit Kleb-
Stiftung überzeugt. Der Sprecher der elf Jury-   stoff bestreicht. Lynn bestreut ihren Rahmen
mitglieder, Peter Fauser, Professor an der       derweil mit Glitzer. Die Mutter einer Schüle-
Universität Jena, hat die Schule im Sommer       rin leitet diese sogenannte »Gruppenstunde«,
zwei Tage inspiziert. Bei seinem Urteil über     so wie 149 andere ehrenamtlich tätige Eltern
die Hildesheimer Gesamtschule gerät der          in den fünften und sechsten Klassen. »Mir
Erziehungswissenschaftler regelrecht ins         macht das Spaß«, sagt Claudia Skibbe, die Mut-
Schwärmen: »So guten Unterricht habe ich         ter von Mayra-Lee, einer Klassenkameradin
selten gesehen«, sagt er. »Die Schule arbeitet   von Nico, die ebenfalls Rahmen beklebt. »Und
                                                 wir Eltern bekommen einen ganz anderen Ein-
                                                 blick in den Schulalltag unserer Kinder.« Auf
                                                 der Suche nach einer Schule für ihre beiden
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    Töchter hat sie sich bewusst für die Gesamt-      Die RBG ist eine riesige Schule, aber keine
    schule entschieden – gegen ein Gymnasium.         Lernfabrik. Trotz der Hunderte von Schülern,
    »Für mich zählt soziales Engagement, ich will     die täglich durch die Pausenhalle strömen,
    keine Einzelkämpfer«, sagt Claudia Skibbe.        gibt es kein Zeichen von Vandalismus. Selbst
                                                      eine Stehlampe aus zartem Reispapier neben
    Während Nico und die Mädchen basteln,             einem Podest bleibt heil. Überall stehen
    kochen ihre 20 Klassenkameraden mit Eltern        Grünpflanzen, kein Schüler rupft an ihren
    Marmelade oder spielen Inlinehockey in der        Blättern. An den Wänden auf den Gängen
    Turnhalle. Fünf Mädchen proben ein Theater-       hängen Plakate oder Bilder von Schülern,
    stück im Schwarzlichtraum. »Das ist besser,       Schmierereien gibt es nicht. In der Pausenhalle
    als den ganzen Tag rumzusitzen wie an mei-        stehen Terrarien mit Schildkröten und ein
    ner alten Schule«, erzählt Nico, während er       großer Vogelkäfig, die von Schülern gepflegt
    das klebrige Seidenpapier vorsichtig um den       werden. Auf dem großen Schulgelände finden
    Rahmen wickelt. »Diese Gruppenstunden sind        sich überall Nischen, kleine Gärten, ein Steg
    mindestens so wichtig wie Deutsch oder Ma-        am Schwimmteich oder das UNESCO-Café, ein
    the«, erklärt Nicos Klassenlehrerin Rosemarie     Brunnen unter einem Baldachin, gestaltet von
    Steinkühler. »Wer in einer kleinen Gruppe         Schülern.
    funktioniert, kommt auch in der großen klar.«
                                                      Haupt- und Realschüler und Gymnasiasten
    1.318 Schüler gehen auf die Robert-Bosch-         lernen gemeinsam, ab der siebten Klasse wird
    Gesamtschule in Hildesheim, sie werden von        der Unterricht schrittweise in A- und B-Kurse
    103 Lehrern unterrichtet. Außer dem Namen,        differenziert. Bei der Zusammensetzung der
    den die Schule in den 70er-Jahren erhielt, gibt   Klassen orientiert sich Schulleiter Wilfried
    es keine Verbindungen zu der Stiftung. »In        Kretschmer an der Empfehlung der Grund-
    den letzten Jahren haben wir die Person           schule für die weiterführende Schule. Etwa
    Robert Bosch wieder für uns entdeckt«, sagt       55 Prozent haben eine Empfehlung für die
    Schulleiter Wilfried Kretschmer. »Er passt zu     Haupt- und Realschule. Jeder Dritte schafft
    uns mit seinem Verständnis von Bildung und        hier einen höheren Abschluss als von der
    Völkerverständigung.« Seit 28 Jahren gehört       Grundschule prognostiziert. Keiner bleibt sit-
    die Gesamtschule zum Netzwerk der UNESCO-         zen, und kaum einer geht ohne Schulabschluss.
    Projektschulen.                                   Jury-Sprecher Peter Fauser sagt: »Das ist eine
                                                      enorme Leistung. International wird kritisiert,
                                                      dass die deutschen Schulen viel zu selektiv
                                                      sind. Die übliche Formel, die Herkunft eines
                                                      Schülers entscheidet über seine Zukunft, gilt
                                                      an der Hildesheimer Gesamtschule nicht.«
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Das gelingt, weil die Schüler Verantwortung       Man muss, muss.« – »Stopp!«, unterbricht sie
für ihr Lernen übernehmen. So wie in der          der Lehrer. »Gut finde ich, dass ihr die Span-
Deutschstunde der 6.3 bei Christoph Domm-         nungskurve aufgemalt habt«, verbessert sich
nich. Er ist der zweite Klassenlehrer von Nico.   Michelle. Das findet auch Finn, aber er kriti-
Die Klasse wiederholt die Regeln einer Erzäh-     siert, dass nicht alle aus der Gruppe vorgetra-
lung. Zunächst soll jeder Schüler diese allein    gen haben.
auflisten, dann mit seinem Nachbar diskutie-
ren und in der Gruppe ein Plakat dazu ent-        Ein paar Mädchen kichern, die Klasse wird
werfen. Anschließend muss jede Gruppe ihr         unruhig, die Konzentration lässt nach. Kein
Plakat vor der Klasse präsentieren. Nico          Wunder, es ist bereits 14.30 Uhr. »Alle stehen
schreibt auf: »1. Man soll in der Vergangen-      jetzt mal auf«, sagt Lehrer Dommnich. »Wollt
heit schreiben, 2. spannende Wörter benut-        ihr Laurenzia oder eine Entspannungsübung?«
zen, 3. Höhepunkte spannend machen und            Die Schüler rufen: »Laurenzia!« Dann singen
4. wörtliche Rede.« – »Es ist wichtig, dass die   sie laut: »Laurenzia, liebe Laurenzia mein,
Kinder die Regeln selbst aufschreiben«, er-       wann wollen wir wieder beisammen sein? Am
klärt Lehrer Dommnich. »Ich kann ihnen die        Mooontag!«, und gehen dabei zum Takt in die
fünfmal erzählen, viele behalten sie trotzdem     Knie. Nach ein paar Minuten sind alle völlig
nicht.« Nico malt inzwischen mit seiner Grup-     aus der Puste – aber die Spannung ist raus, es
pe auf einem gelben Plakat eine Spannungs-        ist wieder ruhig. Der Unterricht kann weiter-
kurve, gemeinsam listen sie die Regeln auf.       gehen. »Nach dem Mittag kann ich nicht ein-
                                                  einhalb Stunden durcharbeiten«, sagt Chris-
Jetzt präsentieren die Schüler ihre Arbeit,       toph Dommnich. »Das ist für alle die Hölle – für
Nicos Gruppe ist als Erste dran: Christian,       die Schüler und für mich auch.«
Nico, Isabelle, Semra und Shannon gehen
nach vorn und kleben ihr Plakat an die Tafel.     An der RBG dauert der Unterricht bis 15.30
Semra und Shannon erklären, was sie aufge-        Uhr, für die Oberstufe bis 16.15 Uhr. Kein
schrieben haben. Ihre Mitschüler melden           Klingeln unterbricht das Lernen; die Schul-
sich, um die Präsentation zu kommentieren.        glocke wurde abgeschafft, »weil wir keine
Lehrer Dommnich sagt: »Denkt dran – erst          Fabrik sein wollen«, sagt Schulleiter Wilfried
etwas Positives sagen, dann: Man könnte           Kretschmer. Der Unterricht wird überwie-
eventuell noch verbessern …« Michelle sagt:       gend in Doppelstunden organisiert, dazwi-
»Ich fand nicht so gut, dass ihr gesagt habt:     schen gibt es 20 bis 25 Minuten Pause, mittags
                                                  haben die Schüler 45 Minuten Zeit zum Essen
                                                  in der Schulkantine mit bunten Stühlen im Kel-
                                                  ler der Schule. Am Nachmittag stehen nicht
                                                  bloß zusätzliche Freizeitangebote auf dem
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    Stundenplan, sondern Unterricht. Erholungs-       Chemiearbeit. Franca ist im A-Kurs, Sharon,
    zeiten, Sport, Musik und Theater sind über        6, geht in den B-Kurs und hat die Reaktions-
    den Tag verteilt. Nico ist in der Bläserklasse,   gleichung noch nicht kapiert. Franca erklärt
    alle 25 Schüler der 6.3 lernen ein Blasinstru-    es ihr geduldig. »Es ist leichter, einen Schüler
    ment. Nico spielt Klarinette, Christian Wald-     zu fragen«, sagt Sharon, »deshalb gehe ich zu
    horn und Semra lernt Tuba. Die Instrumente        Franca, sie ist der Crack bei uns.« – »Und ich
    bekommen sie von der Schule gestellt. »Hier       muss es verstanden haben, um es erklären zu
    finde ich es eindeutig besser als in meinem       können. Dafür kann ich Sharon in anderen
    alten Gymnasium«, sagt Nico. »Wenn um halb        Fächern fragen. Das ist ein Geben und Neh-
    vier die Schule vorbei ist, habe ich keine        men«, sagt Franca. Die Starken helfen den
    Hausaufgaben mehr.«                               Schwachen – noch ein Grund für den Erfolg
                                                      der Schule.
    Einzelarbeit, Gruppenarbeit, Präsentieren
    ziehen sich wie ein roter Faden durch den         Nach einer Erfolgsgeschichte sah es lange Zeit
    Unterricht von der fünften Klasse bis zum         nicht aus. Gegründet wurde die RBG 1971.
    Abitur. An »Methodentagen« lernen die Schü-       Gegen die Gymnasien in Hildesheim konnte
    ler, wie man Referate hält, die wesentlichen      sich die Schule nicht durchsetzen. Die Schüler
    Thesen in Texten unterstreicht oder recher-       blieben weg, vor allem die guten. Vor über
    chiert. Die Techniken wenden sie jeden Tag        fünf Jahren machte sich die Schule auf den
    an. Während der Arbeits- und Übungsstun-          Weg. »Wir haben uns buchstäblich am eige-
    den arbeitet jeder Schüler für sich: Nico malt    nen Schopf aus dem Sumpf gezogen«, sagt
    ein Plakat über Ungarn für das Fach Gesell-       Schulleiter Wilfried Kretschmer, 55. Er kam
    schaft, sein Tischnachbar Christian schreibt      1979 als Referendar an die Schule und wollte
    an seiner Erzählung für Deutsch weiter und        ursprünglich nach fünf Jahren wieder weg,
    Lynn macht ihre Englischaufgabe zu Ende.          die Süßwasserforschung lockte den Lehrer
    Wer mit seiner Aufgabe fertig ist, geht zu        für Biologie und Politik. Doch aus fünf Jahren
    einem Zettel an der Wand und zeichnet auf         wurden 28 Jahre, erst war er Oberstufenkoor-
    dem Wochenplan seine Aufgabe ab.                  dinator, seit 2002 ist er Schulleiter.

    »Wir fanden es toll, den Wochenplan für alle      Auslöser für systematische Reformen war die
    sichtbar abzuhaken«, erzählt Franca. »Das         Wahl zur Expo-Schule im Jahr 2000. Ausge-
    war ein Wettbewerb, wer ist der Schnellste?«      rechnet die Gesamtschule wurde ausgewählt,
    Die 16-Jährige geht in die zehnte Klasse und      und nicht eines der Gymnasien, sich auf der
    benutzt wie alle Großen für ihre Arbeitspla-      Weltausstellung in Hannover zu präsentieren.
    nung jetzt einen Timer. Während der Arbeits-
    stunde in der 10.1 üben die meisten für eine
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»Das war das erste Mal, dass wir öffentliche       An anderen Schulen wäre das undenkbar.
Anerkennung bekamen«, sagt Kretschmer.             Doch hier hat keiner Angst vor Offenheit – im
Danach suchten sich die Lehrer einen profes-       Gegenteil, sie motiviert. Der Krankenstand
sionellen Unternehmensberater und zogen            unter den Lehrern ist mit zwei Prozent auf-
Bilanz: Wo liegen unsere Stärken? Wo unsere        fallend niedrig.
Schwächen? »Wir stellten fest: Wir machen
tolle Projekte, aber konventionellen Unter-        Projektwochen, die den gesamten Unterricht
richt«, erzählt der Schulleiter. Es gab viele      lahmlegen, wie an anderen Schulen, gibt es
Ideen, die kaum aufeinander abgestimmt             nicht. Fächerübergreifendes Lernen findet so
waren. 25 Lehrer, die Schulleitung und das         oft wie möglich und in jedem Fach statt. Das
»mittlere Management«, so Kretschmer, ent-         geht so weit, dass Schüler in der Oberstufe aus
warfen einen Masterplan. Die Ziele: Entwick-       dem Biologie- und Geschichtskurs gemeinsam
lung eines Leitbilds, Schaffung transparenter      Facharbeiten zum Thema Natur schreiben.
Gremien, Erarbeitung eines modernen Lehr-          Auch in Kunst und Deutsch wird zu dem Thema
plans und eines pädagogischen Konsens, Ver-        gearbeitet.
besserung des Unterrichts.
                                                   Gelernt wird nicht nur in der Schule. So fährt
Sie entwickelten »Jahresarbeitspläne«. Die         der achte Jahrgang jedes Jahr zur Sommer-
bunten grafischen Übersichten hängen über-         schule auf die dänische Insel Aarö. Die Schüler
all in der Schule. Vor den Sommerferien plant      erforschen die Natur und die Lebensbedin-
ein Lehrerteam das gesamte Schuljahr, Stufe        gungen auf der Insel und halten Referate. Das
für Stufe, Fach für Fach. So entsteht nicht nur    Camp ist ein fester Bestandteil in der Schul-
eine Übersicht, sondern die Fachlehrer stim-       laufbahn, es ist ein Initiationsritus für die
men ihren Unterricht aufeinander ab und            Schüler. »Die Woche schweißt richtig zusam-
legen gemeinsam Lernziele fest. In der sechs-      men«, schwärmt Franca aus der Zehnten.
ten Klasse wird das Thema Afrika zum Bei-
spiel parallel in drei Fächern behandelt: Kunst,   Kann jede Schule so arbeiten wie die Robert-
Gesellschaft und Religion, Werte und Nor-          Bosch-Gesamtschule? »Natürlich!«, sagt
men. Geschichtslehrer Christian Augustin sagt:     Schulleiter Kretschmer. »Das ist eine Frage
»Wir wollen weg von: ›Ich und mein Fach‹, hin      des Wollens, nicht der Ressourcen.«
zu: ›Wir und unsere Schule‹.«

Die Lehrer arbeiten in »Jahrgangsteams« und
Fachbereichen zusammen. Ständig überprü-
fen sie ihre Arbeit: Sie befragen ihre Schüler
und hospitieren gegenseitig im Unterricht.
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     Aus der Laudatio

     Die Robert-Bosch-Gesamtschule besticht durch heraus-
     ragende Qualitäten auf den wesentlichen Feldern. Das
     pädagogische Klima ist beeindruckend. Die Schule ist sehr
     groß, und doch fühlen Schüler und Lehrer sich zu Hause.
     Jeder spürt: »Auf mich kommt es an.« Bei der Ausgestal-
     tung als Ganztagsschule setzt die Robert-Bosch-Gesamt-
     schule Maßstäbe. Vormittag und Nachmittag, Unterricht
     und Projekte, Breiten- und Spitzenförderung, Eltern, Lehrer
     und außerschulische Experten, Wettbewerbe, Feste und
     öffentliche Aktionen sind hier in einer wohldurchdachten
     Choreografie aufeinander abgestimmt. Schülerinnen und
     Schüler erreichen allgemein hohe und exzellente Leis-
     tungen, besonders aber in Biologie, wo preisgekrönte
     Schülerforschung und praktische Umweltverantwortung
     Hand in Hand gehen.
Ernsthaftigkeit, Selbstdisziplin und Hingabe
an die Sache, das sind zentrale Anliegen der
Helene-Lange-Schule in Wiesbaden, die seit
den Achtzigerjahren zu den wichtigsten
Reformschulen in Deutschland zählt und als
»Leuchtturm« unter den Schulen gilt.
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Helene-Lange-Schule, Wiesbaden
Preisträger

Dass im Proberaum dicke Luft herrscht, hört       pe vor vollem Saal mit Stottern und lahmen
man schon draußen auf dem Flur. »Ich bin          Rezitationen blamiert. Also wird fünf Wochen
doch nicht eure Kindergärtnerin!«, schimpft       lang Tag für Tag geprobt, auch an den Sams-
eine Frauenstimme. »Wenn ihr nicht zu-            tagen, manchmal bis in den späten Abend, so
hören könnt, brechen wir ab! Zehn Minuten         lange, bis jeder Satz und jede Geste sitzt. Die
Pause!«                                           Schüler nehmen ihrer Regisseurin den Kaser-
                                                  nenhofton nicht übel, denn sie spüren ihre
Ein Dutzend Neuntklässler schleicht mit ge-       Leidenschaft. »Du musst in seinem letzten Satz
senkten Köpfen aus dem Raum. Einige haben         mitatmen, fall ihm ins Wort!«, feuert Ulrike
ihre Texte nicht richtig gelernt, einer hat mit   Gubisch Henriette an. »Solche Projekte in der
dem Nachbarn getuschelt. So was kann die          Pubertät sind nicht nur wichtig für die Identi-
Regisseurin nicht ausstehen. Ulrike Gubisch,      tätsfindung, sondern halten auch die Klassen-
Schauspielerin am Hessischen Staatstheater        gemeinschaft zusammen«, sagt Schulleiterin
Wiesbaden, verlangt Konzentration, Disziplin      Ingrid Ahlring. Henriette holt tief Luft, ihre
und höchste Aufmerksamkeit. Schließlich will      Stimme wird laut und hart, gekonnt fährt sie
sie mit ihnen ein anspruchsvolles Stück ein-      ihrem Mitspieler in die Parade.
studieren: »Die Hexenjagd« von Arthur Miller.
In drei Wochen ist Premiere.                      Ernsthaftigkeit, Selbstdisziplin und Hingabe
                                                  an die Sache, das sind zentrale Anliegen
Klassenlehrer Arnulf Kunze wirkt nicht beson-     der Helene-Lange-Schule in Wiesbaden, die
ders mitleidig. »Sie dürfen ruhig die Ernsthaf-   seit den Achtzigerjahren zu den wichtigsten
tigkeit spüren«, sagt er. Das Theaterprojekt      Reformschulen in Deutschland zählt und als
der Klasse 9 an der Helene-Lange-Schule ist       »Leuchtturm« unter den Schulen gilt – ein
keine nette Abwechslung vom Schulalltag,          Anspruch allerdings, den auch eine Versuchs-
sondern das wirkliche Leben – und das kann        schule wie die Helene-Lange-Schule jeden
auch mal so hart sein wie Frau Gubisch. Alles     Tag neu einlösen muss, im Theaterraum wie
darf passieren, nur nicht, dass sich die Trup-    im Klassenzimmer.
14

     Dabei macht die Schule mit ihren 600 Schülern     bleibt in der Gesamtschule sitzen. Dennoch –
     auf den ersten Blick einen eher kuscheligen       oder vielleicht gerade deswegen – hat die
     Eindruck: brauner Nadelfilzteppich überall,       Schule einen Leistungsbegriff, der weit über
     Pflanzen, selbst gemalte Bilder an den Wän-       gute Noten hinausgeht. »Unsere Schüler sol-
     den, Ruheecken, Wohnzimmeratmosphäre              len Verantwortung für ihren eigenen Lern-
     auf den Fluren. Schüler der Klasse 6 fläzen       prozess übernehmen«, sagt Ingrid Ahlring.
     sich in Gruppen auf dem Teppich, in ihre          »Wir erwarten viel – wir wollen, dass sie
     Hefte vertieft, lassen sich von keinem stören.    selbstständig werden«, sagt Englischlehrerin
     So viel Konzentration und Respekt will er-        Marianne Strasser, die vor zwanzig Jahren
     lernt sein. »Die ersten Jahre, wenn wir Rituale   ans »Hela« kam. Dabei dürfen sie sich Zeit las-
     wie das Ruhezeichen einführen, sind schweiß-      sen. Sauer wird Marianne Strasser nur, »wenn
     treibend«, räumt Ingrid Ahlring ein, »aber es     einer rumsitzt und nix tut – das tadle ich.«
     lohnt sich.«
                                                       Casimir aus der 9c wechselte vom Gymnasium
     Als hilfreich empfinden die Lehrer dabei, dass    auf die »Hela«, wie die Schüler ihre Schule
     keiner von ihnen ein Einzelkämpfer ist. Jede      nennen. »Da musste man vor der Bioarbeit
     Klassenstufe hat ihr eigenes Lehrerzimmer,        dicke Ordner auswendig lernen. Im Gedächt-
     die sechs bis acht Lehrer arbeiten eng zusam-     nis haften blieb gar nichts. Hier ging ich
     men, jeder kennt die Lernfortschritte, Stärken    mit einem Klassenkameraden in den Wald,
     und Schwächen aller hundert Schüler seines        um herauszufinden, welche Bäume und
     Jahrgangs. Die Türen stehen auch während          Tierarten es gibt.« Zum Schluss hatte er wie-
     des Unterrichts fast immer offen. Die Lehrer      der einen Ordner in der Hand –, aber alles
     begleiten ihre Schüler sechs Jahre lang von       darin war selbst erarbeitet. »Da ist man richtig
     Klasse 5 bis 10, danach wechseln die Besten       stolz.« Leistung werde an dieser Schule mehr
     aufs Gymnasium – mehr als die Hälfte der          respektiert als anderswo, sagt Casimir. »Auf
     Schüler. Noten gibt es erst ab Klasse 7. Keiner   meiner alten Schule galt einer, der gute Leis-
                                                       tungen bringt, gleich als Streber.« Ebenso
                                                       viel Wert legt die Schule aber auf ȟberfach-
                                                       liche Kompetenzen«: tolerant zu sein beispiels-
                                                       weise, Menschen in völlig anderen Lebens-
                                                       umständen verstehen zu lernen.
15

Tommaso, der später mal Arzt werden will,          gegen verstößt, bekommt die rote Karte ge-
machte sein Betriebspraktikum als Vierzehn-        zeigt und fliegt aus dem Stuhlkreis.
jähriger im Krankenhaus, wo er Patienten
wusch. Besonders an die Nieren ging ihm die        In Klasse 8c steht heute die neue Sitzordnung
Antwort einer Patientin. »Ich fragte sie, ob ich   auf der Tagesordnung des Klassenrats. Jannik
ihr helfen könne, sie sagte nur: Du kannst mir     eröffnet die Diskussion. Dann werden die
nicht helfen. Sie lag im Sterben.« Casimir be-     Sitznachbarn ausgelost. Plötzlich lauter lange
suchte mit einer alten Dame die Synagoge und       Gesichter: »Ach du Scheiße!« – »Nein, ich sitz
irgendwann erzählten sie und ihre Freundin-        nicht neben dem!« Tobias will nicht neben
nen ihm von ihrer Zeit im Konzentrationslager      Julius, Jule nicht neben ihre Freundin Domi-
von Riga – und was es hieß, unter solchen Be-      nique, »weil wir uns dann gegenseitig ablen-
dingungen schwanger zu sein. »Solche Erfah-        ken«. Ein Mädchen in der hinteren Reihe
rungen verändern dich«, sagt er. »Wäre ich an      weint – sie sitzt jetzt schon das dritte Mal
einer anderen Schule, wäre ich heut anders.«       neben einem Jungen, neben dem sie sich
                                                   schlecht konzentrieren kann. »Können wir
Zu den wichtigsten Institutionen der Schule        nicht noch mal losen?«, fragt einer. »Das
zählt der Klassenrat, der jeden Freitag tagt.      bringt es nicht, einer ist immer unzufrieden«,
Wer Schüler ernst nimmt, so die Erkenntnis         lautet der Einwand. »In der Grundschule hat
der Lehrer, gibt ihnen die Möglichkeit, Demo-      einfach die Klassenlehrerin bestimmt«, schlägt
kratie und damit die eigene Kompetenz zu           Jule vor. Doch das will Klassenlehrerin Car-
erfahren statt »Objekt« zu sein. Dazu gehört       men Bietz nicht – und die Klasse auch nicht.
auch die Freiheit, den Lehrer kritisieren zu       Die Stunde ist zu Ende. Drei Nächte dürfen
dürfen. Regel: »Man darf den anderen nicht         ihre Schüler drüber schlafen. Dann lautet die
persönlich angreifen, sondern muss sach-           salomonische Entscheidung: Wir losen noch
lich bleiben«, fasst Lena zusammen. Wer da-        einmal neu, aber an diesem Ergebnis ist nicht
                                                   mehr zu rütteln. »Ist doch nicht so schlimm«,
                                                   sagt Sarah einsichtig, »wir haben uns doch
                                                   jedes Mal aneinander gewöhnt, oder?« Schließ-
                                                   lich ist hier das wirkliche Leben.
16

     Aus der Laudatio

     Wie nur wenige Schulen hat die Helene-Lange-Schule zur
     Modernisierung unseres Erziehungsdenkens beigetragen:
     mit ihrer exzellenten pädagogischen Arbeit und ihrem
     Ideenreichtum, mit ihren provozierenden Impulsen sowie
     mit ihrer fachlichen und öffentlichen Präsenz. Ihr Bildungs-
     konzept ist zugleich praktisch und verständnisintensiv.
     Es umfasst forschendes Lernen und handwerkliche Arbeit,
     demokratisches Engagement im eigenen Haus und welt-
     weit, künstlerische und theatrale Arbeit, die ihresgleichen
     sucht und Jugendlichen zu sich selbst befreit – zu ihrer
     Kreativität und zur Leidenschaft für eine Sache.
Die Montessori-Schule in Potsdam verzichtet
auf jede Form des Frontalunterrichts. So
sitzen die Kinder im Kreis, alle teilen sich die
Lernmaterialien und Rücksicht gehört zu
den obersten Geboten. Das ist lebenswichtig
in einer Schule, in der auch Behinderte am
normalen Unterricht teilnehmen.
19

Montessori-Oberschule, Potsdam
Preisträger

An der Montessori-Oberschule übernehmen            In Potsdam hat sie den Wandel geschafft.
Kinder Verantwortung für ihre Mitschüler und       Nach der Wende kämpfte die Anstalt ums
lernen dabei wie von selbst.                       Überleben. Es gab nicht genug Anmeldungen.
                                                   1991 begann man mit der Integration behin-
Das Wichtigste sagt sie zuletzt. »Soziale In-      derter Kinder und übernahm Ideen aus der
telligenz steht bei uns an erster Stelle!«, sagt   Montessori-Pädagogik. »Beides war eher dem
Ulrike Kegler und fährt mit dem Finger vor         Überlebenstrieb geschuldet als innerer Über-
und zurück. So, als wolle sie die Worte an der     zeugung«, sagt Ulrike Kegler, die damals als
Wand festnageln. Sie dreht sich um, hinter ihr     Lehrerin nach Potsdam wechselte und die
hängt ein rotes Bild an der Wand. Überall in       erste Montessori-Klasse aufbaute.
der Schule dominieren bunte Farben. »Hätten
Sie gedacht, dass diese Schule von innen so        Doch der damalige Rektor und die Kollegen
hübsch ist?«, fragt sie.                           begegneten der Montessori-Pädagogik mit
                                                   großer Skepsis. Das Prinzip des offenen
Nein, auf diesen Gedanken kommt keiner, der        Unterrichts widersprach ihren Methoden in
das Gebäude nur von außen kennt. In der Tat        wesentlichen Punkten. Es verzichtet zum Bei-
ähnelt die Montessori-Oberschule in Potsdam        spiel auf jede Form des Frontalunterrichts.
dem Verwaltungstrakt eines abgewickelten           So sitzen die Kinder im Kreis, keiner dreht
Industriekombinats. Grau in grau duckt sie         dem anderen den Rücken zu, alle teilen sich
sich zwischen aufgeplatzten Waschbeton-            die Lernmaterialien, Rücksicht gehört zu
platten auf der einen und windschiefen Bäu-        den obersten Geboten – lebenswichtig in einer
men auf der anderen Seite.                         Schule, in der auch behinderte Kinder am
                                                   normalen Unterricht teilnehmen.
Ulrike Kegler lächelt. »Wir hätten auch zuerst
die Fassade renovieren können, aber der Wan-       Als der Schulleiter in den Ruhestand ging, bat
del muss von innen kommen.«                        das Schulamt Ulrike Kegler, den Posten zu
20

     übernehmen. »Die Lehrerrolle hat sich seither    und andere irgendwo versanden. Schließlich
     völlig verändert«, sagt ihre Kollegin Monika     geht Raul zum Klassenlehrer und fragt: »Was
     Peater. Sie sitzt in der Ecke eines Klassen-     stimmt denn nun, Herr Meyer?«
     zimmers, auf einem kleinen Stuhl an einem
     kleinen Tisch. Auf dem Boden liegt ein bunter    Als Nicolas Meyer auf eine Lösung deutet,
     Teppich. In Regalen, auf Augenhöhe und           setzt sich Raul wieder neben Carl auf den Bo-
     in Griffweite der Kinder stehen Rechenhilfen,    den und erklärt mithilfe von bunten Kugeln,
     Lesebücher und eine Weltkugel.                   die er über den Teppich rollt, wie er auf die
                                                      Lösung gekommen ist. Aber Carl hat bald
     Hinter ihr baut sich eine Wand aus Ordnern       keine Lust mehr, holt sein Schreibheft und
     auf, jeder Schüler hat einen eigenen, den er     beginnt, Buchstaben zu üben. Er kann das
     gestalten kann, wie er möchte. Irgendwo vor      besser als Leonora, die neben ihm sitzt und
     dem Fenster steht der Lehrertisch. Sie sagt:     weil er dazu noch ein Jahr älter ist als sie,
     »Man steht nicht mehr gottgleich vor der         guckt sie ihm bewundernd über die Schulter
     Klasse, sondern ist eher Moderator.« Aber:       und tut es ihm nach. Als der Lehrer den Raum
     »Natürlich achten wir darauf, dass die Schüler   verlässt, blickt keiner der Schüler auf, so ver-
     die Lernziele erreichen.« Offenbar mit Erfolg:   tieft sind alle in ihre Arbeit.
     Bei den zentralen Abschlussprüfungen und
     Vergleichsarbeiten des Landes Brandenburg        Jede Klasse besteht aus Kindern verschiede-
     schneiden viele Montessori-Schüler über-         ner Altersstufen, jeder Schüler gehört also
     durchschnittlich gut ab.                         zuerst zu den Jüngeren, dann zu den Älteren
                                                      und wenn er in die nächste Gruppe kommt, ist
     Auf dem Fußboden hocken der achtjährige          er wieder Anfänger. Auf diese Weise können
     Raul, Piratentuch um den Kopf, Haare bis zu      Ältere den Jüngeren helfen, Jüngere können
     den Schultern, und der ein Jahr jüngere Carl.    Ältere fragen. Ziel ist eine Schulform, in der
     Sie versuchen, eine Matheaufgabe zu lösen,       das Lernen wichtig ist, nicht ein auswendig
     minutenlang und immer wieder auf anderen         aufgesagtes Ergebnis.
     Wegen, von denen manche zum Ziel führen
                                                      Am Anfang war solch ein Arbeiten schwierig.
                                                      Um sich an die neue Art des Unterrichts
                                                      zu gewöhnen, teilten sich zwei Lehrer eine
21

Klasse, »da sind dann Eifersüchteleien ausge-    Kerze, die Lebenslicht und Sonne in einem
brochen«, sagt Monika Peater. Das Kollegium      darstellt. Franz hat einen Globus in der Hand.
habe sich belauert und einer habe dem an-        Er läuft elfmal um die Kerze, wobei sich
deren den Erfolg nicht gegönnt. Manche           spielerisch erklärt, dass sich die Erde um die
besuchten Weiterbildungskurse, andere boy-       Sonne dreht und wie lange das dauert.
kottierten die Montessori-Pädagogik. »Die
Widerstände waren teilweise sehr groß«, sagt     Danach wählt Franz elf Schüler aus, einen für
sie und faltet die Hände wie zum Gebet. »Das     jedes Jahr. Weil er eine Sprachstörung hat,
ist jetzt komplett weg.«                         redet er nicht besonders laut, aber alle helfen
                                                 ihm, Worte in Sätzen zu ordnen. Schließlich
Vor allem die Kinder profitieren davon. Zum      umringen sie ihn und heben ihn mit dem Stuhl
Beispiel Franz, der seinen elften Geburtstag     elfmal über ihre Köpfe. Seine Beine fliegen
feiert. Die Kinder sitzen im Kreis um eine       hoch, er lacht und gluckst.

                                     Ulrike Kegler, Schulleiterin:

                                     »Wir hätten auch zuerst die Fassade
                                     renovieren können, aber der Wandel
                                     muss von innen kommen.«
22

     Aus der Laudatio

     Die Montessori-Oberschule in Potsdam ist heute eine
     Reformschule mit überregionaler Ausstrahlung. Mit Maria
     Montessori bilden Freiheit und Disziplin für sie nicht
     Gegenpole, sondern korrespondierende Elemente der
     Erziehung. Dass jedes Kind anders lernt, weiß hier jedes
     Kind. Kinder und Jugendliche, die ihren eigenen Lern-
     prozess mit positiver Spannung organisieren, Eltern, die
     verantwortungsbewusst ihre Kinder begleiten, Lehrerinnen
     und Lehrer, die assistieren statt zu kritisieren und eine
     Schulleitung, die nach innen und außen stärkt und profiliert –
     das ist die Montessori-Oberschule Potsdam.
Schüler abzuschieben, nur weil sie schwierig
sind, gilt am Friedrich-Schiller-Gymnasium
als verpönt. Vergangenes Jahr empfahl die
Schule 17 von insgesamt 1.000 Schülern den
Wechsel auf die Realschule. Das sind wenige
im Vergleich zu anderen Gymnasien, aber
immer noch 17 zu viel.
25

Friedrich-Schiller-Gymnasium, Marbach
Preisträger

Warnung: An dieser Schule wird Lehrern ei-        nur so sprudelt. Ein Patriarch, so heißt es
niges zugemutet. Das fängt schon beim Vor-        über ihn, aber einer, der zuhören kann – und
stellungsgespräch an. »Sie können Englisch        nicht nur die eigenen Ideen gelten lässt. »Ich
und Geschichte – was können Sie sonst noch?«      brauche ständig jemand um mich, den ich
ist eine Lieblingsfrage des Schulleiters an       anlabern und nach seiner Meinung fragen
Bewerber.                                         kann«, sagt Offermann. »Zum Beispiel, was
                                                  haltet ihr vom Laptop in Klasse 5?« Ein Schul-
An dieser Schule wird auch Kindern einiges        leiter könne noch so viele Ideen haben, stellt
zugemutet. Wer schlechte Noten schreibt,          er klar, »getragen werden sie von der Mann-
wird schon mal verdonnert, die Arbeit so oft      schaft«. Manchen Zahn haben ihm die Kollegen
nachzuschreiben »bis aus der Fünf eine Zwei       gezogen. »Aber wenn etwas beschlossen war,
geworden ist«. Oder gemeinsam mit älteren         haben sie mich nie im Stich gelassen.«
Schülern in den Sommerferien den Stoff nach-
zubüffeln – die Schule bleibt dafür vier Wochen   Wie man überzeugt, hat der Sohn eines Obst-
lang geöffnet.                                    händlers schon im Laden der Eltern gelernt,
                                                  wo er auch mal Bananen verkaufte, »die schon
Der Direktor der Friedrich-Schiller-Schule im     ein bissle fleckig waren«.
schwäbischen Marbach stellt Ansprüche an
Lehrer, Schüler und Eltern. Letzteren gibt er     Dass er seinen Kollegen weder überreife
schon mal auf, »daheim für bessere Stimmung       Früchte noch unreife Ideen andrehen konnte,
zu sorgen und nicht dauernd zu fragen, wann       war ihm schnell klar, als er vor 18 Jahren als
der Fünfer weg ist«.                              Schulleiter antrat. Davor hatte er zehn Jahre
                                                  lang unterrichtet und vier Jahre als Referent
Günter Offermann, 57, ist ein Machertyp, der      im Oberschulamt viele Kontakte geknüpft.
eher durch seine Schule fliegt als geht, neben-   Offermann versuchte es erst gar nicht auf
bei Papierschnipsel aufklaubt und vor Ideen       autoritäre Art. »Ein Schulleiter in Baden-Würt-
                                                  temberg kann nichts anweisen – er muss über-
                                                  zeugen.«
26

     Das Werk scheint gelungen. Binnen 15 Jahren         sagt, hier kriege ich Anerkennung – egal ob
     hat sich die Schülerzahl auf fast 2.000 Schüler     Spanisch, Chinesisch oder die Tüftler-AG.
     verdoppelt, damit zählt die Schule in Marbach       Dann gilt der Deal, den Rest nehm’ ich mit. So
     zu den größten Gymnasien in Deutschland.            einfach muss man Schule konstruieren.«
     Allein Klassenstufe 5 besteht aus zehn Paral-
     lelklassen. Und Offermann will weiter expan-        Ähnlich einfach klingt auch ein anderer Satz
     dieren. Die Partnerschaft mit einer Schule in       von Günter Offermann, der zugleich die größ-
     China will er weiter ausbauen, Chinesisch als       te Herausforderung für ein Gymnasium dar-
     zweite Fremdsprache in Klasse 6 einführen.          stellt: »Jeder kommt ans Ziel.« Schüler »abzu-
     »Je früher, desto besser.«                          schulen«, nur weil sie schwierig sind, gilt am
                                                         Friedrich-Schiller-Gymnasium als verpönt.
     Weltoffen sollen sie sein, die Schüler aus Mar-     »Einer, der als struppig gilt, aber das Zeug
     bach. »Wir haben viele Eltern, die für interna-     hat zum Lernen, um den kümmern wir uns
     tionale Konzerne wie Bosch arbeiten.« Er            selbst«, stellt der Schulleiter klar. Jeder Lehrer
     führte vor drei Jahren »internationale Klassen«     ist für Erfolg oder Misserfolg seiner Schüler
     ein. Dort lernt Elftklässlerin Eva aus Marbach      verantwortlich. »Abschieben, im Stich lassen,
     gemeinsam mit Liina aus Finnland und Mart           das geht hier nicht«, stellt Englischlehrerin
     aus Estland – alles auf Englisch. Die Gastschüler   Andrea Saffert klar. Vergangenes Jahr emp-
     leben ein Jahr lang bei Marbacher Familien          fahl die Schule 17 von insgesamt rund 1.000
     und sorgen für ein internationales Netzwerk,        Schülern der Unter- und Mittelstufe den
     das von China bis Argentinien und von den           Wechsel auf die Realschule, »weil sie insbe-
     USA bis Estland reicht.                             sondere mit der zweiten Fremdsprache
                                                         überfordert waren«. Das sind wenige im Ver-
     Einige Schüler wollen zusammen mit einem            gleich zu anderen Gymnasien, aber immer
     pensionierten Lehrer einen Griechischkurs           noch 17 zu viel.
     einführen? Der Schulchor hat eine Einladung
     nach Schanghai bekommen? »Super!« Der               »Wenn ein Schüler absackt, versuchen wir
     Rektor hilft, dass das Projekt läuft und küm-       herauszukriegen, woran es liegt«, sagt Offer-
     mert sich um die Finanzierung. Jeder Schüler        mann. »Liegt es an der Qualität des Unter-
     »braucht zumindest eine Sache, von der er           richts? Hat er Liebeskummer? Oder Probleme
                                                         daheim? Das muss geklärt werden. Der Lehrer
                                                         ist dafür da, dass er wieder gut wird.« Der Leh-
                                                         rer? Nein, ein ganzes »Unterstützungssystem«.
27

Fünfte Stunde – auffällig still ist es auf den   antwortung abzugeben, den Schülern die
Fluren, obgleich hinter den Türen im Ober-       Bühne zu überlassen. »Manchmal ist es besser,
stufenflügel fast 400 Schüler arbeiten. Allen-   wenn ihnen etwas in ihrer eigenen Sprache
falls Murmeln ist im »Tutoriat«, der Übungs-     erklärt wird«, sagt Andreas Dold. »Einen
stunde, erlaubt. Die Mathelehrer Andreas         Gleichaltrigen traut man sich eher zu fragen
Dold und Falk Bittermann halten sich im          als den Lehrer«, bestätigt Jessica, 18. Über-
Hintergrund. »Wir werden nur noch bei ganz       heblichkeit gegenüber Schwächeren ist ver-
schwierigen Fragen gebraucht«, sagt Andreas      pönt. Schulsprecher Constantin hilft in der
Dold. Die Hauptarbeit machen die Schüler.        Mittagspause Hauptschülern bei den Haus-
Stärkere helfen den Schwächeren. Nina aus        aufgaben. Gymnasiastin Hannah, 17, übt mit
der Dreizehnten erklärt Jessica die zweite       dem elfjährigen Miguel aus der Hauptschule
Steigerung der Parallele. Jan hilft Sarah bei    Deutschaufsatz. Gymnasiasten, Realschüler
einer komplizierten Gleichung.                   und Hauptschüler planen einen gemeinsamen
                                                 Ruder-Achter. »Wir wollen den Kindern zeigen,
»Rollentausch« nennt das Andreas Dold, und       wie die Welt aussieht«, erklärt der Direktor –
er dürfte zum Schwierigsten zählen, was man      auch die, die nur einen Steinwurf entfernt
einem Gymnasiallehrer zumuten kann – Ver-        liegt.

                  Die Jury:

                 »Diese Schule ist stolz auf
                 jedes Kind, das sie behält,
                 und nicht darauf aus, Kinder
                 zu verlieren.«
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     Aus der Laudatio

     Mit über 1.800 Schülerinnen und Schülern ist das Friedrich-
     Schiller-Gymnasium in Marbach eine der größten Schulen
     in ganz Deutschland. Umso mehr überrascht und fasziniert
     bei dieser Größe die Prägekraft und Sogwirkung von Zu-
     gehörigkeit und individueller Förderung, von Reformstärke
     und Ergebnisorientierung. An dieser Schule gilt: »Wir
     machen das Beste daraus.« Leistung wird hier als ein huma-
     ner Inbegriff erfüllter Lebensführung begriffen – als ein
     selbstverständlicher, gelebter und erstrebter Wert, der
     dieser Lerngemeinschaft von Schülern, Eltern und Lehrern
     Richtung und Profil verleiht.
Als einzige Schule für Körperbehinderte betei-
ligt sich die Carl-von-Linné-Schule in Berlin-
Lichtenberg an landesweiten Vergleichstests.
»Das traut sich sonst keine Sonderschule«,
sagt Schulleiter Friedsam.
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Carl-von-Linné-Schule, Berlin
Preisträger

An der Carl-von-Linné-Schule in Berlin macht        sie«, erklärt Friedsam. Umso erstaunlicher,
jeder Schüler einen Abschluss – selbst wenn         dass jeder seiner Schüler einen Abschluss
er im Rollstuhl sitzt.                              macht. »Manche Leute halten uns für chao-
                                                    tisch, aber wir haben einen roten Faden: den
Die Schülerin steht schon eine Weile in der         Schulabschluss.«
Tür des Sekretariats. Was macht sie hier? »Ich
wollte nur mal Hallo sagen«, erklärt sie. »Ich      Auch Carmela aus der siebten Klasse wird ihn
vermisse die Schule.« Im Hintergrund eilt           schaffen. Sie steht mit ihrem Rollstuhl vor ei-
Schulleiter Peter Friedsam durch den Raum,          ner Tafel voller Tiersymbole und Buchstaben.
kramt irgendwas zusammen, er muss los. Als          Weil sie bei ihrer Geburt unter Sauerstoff-
er die ehemalige Schülerin hört, bleibt er kurz     mangel litt, kann sie nicht sprechen. An ihrem
stehen und freut sich – nicht nur, weil sie vor     Stuhl ist ein Computer angebracht, der ihr
sechs Monaten ihren Abschluss gemacht hat           helfen soll, sich auszudrücken. »Stell dir vor,
und eine Lehrstelle hat. Er fühlt sich bestätigt,   der Motor deines Stuhls ist kaputt«, sagt
er sagt: »Hier will eben keiner weg.«               Lehrer Frank Bühling. »Was machst du?«
                                                    Carmela wackelt hin und her, schlägt mit den
Den meisten Ehemaligen geht es ähnlich.             Handrücken auf die Tastatur und sagt etwas
Denn die 1977 gegründete Ganztagsschule             Unverständliches, aber ihr Lehrer versteht,
Carl-von-Linné in Berlin-Lichtenberg ist mit        dass sie »Schieben« gesagt hat.
470 Schülern nicht nur die größte Schule für
behinderte Kinder in Europa, sondern unter-         »Fast geschafft«, sagt er, aber eines noch:
richtet auch als einzige sonderpädagogische         »Bilde mal einen Satz mit ›Schieben‹.« Carmela
Institution nach dem Prinzip der Gesamtschu-        drückt auf der Tastatur herum, Buchstaben-
le. Eine schwere Aufgabe bei Schülern mit           folgen gleiten über den Monitor, der Computer
Querschnittslähmung oder offenem Rücken,            besitzt ein Programm, das nach dem passen-
bei Kindern, die an Legasthenie, Epilepsie          den Wort sucht. Von allen acht Rollstuhlfah-
oder Diabetes leiden – oder gar an schweren         rern, die an dem Sprachcomputer ausgebildet
Herzfehlern. »Da muss immer eine Begleit-           werden, ist Carmela eine der schnellsten.
person bereitstehen, die bei einem Anfall           »Kannst du mich schieben?« steht schließlich
sofort eine Spritze setzen kann, sonst sterben      auf dem Bildschirm.
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     Mittlerweile ist Peter Friedsam zurück in sei-     sehend, »deswegen gehen unsere Schüler oft
     nem Büro. Er reibt sich die Hände, so, jetzt hat   auf Reisen.«
     er kurz Zeit: »Ist doch Quatsch, wenn ein Kind
     nach der Schule den ganzen Tag im Rollstuhl        Jedes Jahr gibt es Sommercamps und Klassen-
     sitzt und aus dem Fenster sieht. Wie soll man      fahrten. Im nächsten Sommer wird die Schule
     denn da selbstbewusst werden?« Lernen              einen Surfkurs anbieten. Vor Jahren gab es
     funktioniere durch Emotionalität, davon ist        ein EU-Programm, bei dem die Lehrer nach
     er überzeugt, aber will man in Lichtenberg,        Brüssel eingeladen wurden: »Wir haben die
     Storkower Straße, östliches Ostberlin, wirk-       Schüler einfach mitgenommen«, sagt Fried-
     lich emotional sein?                               sam. »Wir stärken das Ich, indem wir mit den
                                                        Schülern so oft es geht Sachen außerhalb der
     Plattenbauten bestimmen die Szene. Die             Schule machen.« Als einzige Schule für Kör-
     Schule sieht aus wie aus einem Baukasten zu-       perbehinderte beteiligt sich seine Anstalt an
     sammengesteckt, irgendwann, so scheint es,         landesweiten Vergleichstests. Dabei werden
     hatte der Bauherr keine passenden Kompo-           den Schülern in einer Art Klausur eine Reihe
     nenten mehr und hat einfach andere benutzt.        von Aufgaben in Fächern wie Deutsch, Mathe
     »Hm«, macht Friedsam, aus dem Fenster              und Englisch vorgelegt. »Das traut sich sonst

           Peter Friedsam, Schulleiter:

           »Manche Leute halten uns für
           chaotisch, aber wir haben einen roten
           Faden: den Schulabschluss.«
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keine Sonderschule«, sagt Friedmann und            Die Schule glaubt es nicht, interveniert beim
freut sich, dass seine Schüler besonders bei       Jugendamt und bekommt Recht. Das Mädchen
Englischtests regelmäßig besser abschneiden        bleibt, wo es ist.
als nicht behinderte Schüler.
                                                   »Und das ist noch ein leichter Fall«, sagt
Nsimba, acht Jahre alt, zwei Zöpfe baumeln an      Friedsam. Oft sind Eltern mit ihren behinder-
ihrem Kopf, sehr gut in Mathe und Deutsch,         ten Kindern überfordert, dann muss die
aufgeweckt und redegewandt, hat Sichelzel-         Schule einspringen. Das Angebot ist vielfältig.
lenanämie, eine Blutkrankheit, die in schwe-       In einfachen Fällen reicht es, Kontakte zu
ren Fällen zu Organschäden führen kann.            Behörden oder Hilfsangeboten herzustellen
                                                   oder den Eltern einfach zuzuhören. 40 so-
Sie steht im Musikraum und hüpft auf der           genannte ambulante Lehrer gehen zu den
Stelle. Hier gibt’s keine Stühle, hier wird Wert   Kindern nach Hause und geben Tipps, wie
auf Bewegung gelegt. Hampelmann, Boxen,            Eltern zum Beispiel die Wohnung behinder-
sich-im-Kreis-drehen, Knie vor die Brust, das      tengerecht gestalten können.
klappt bei den meisten ganz gut, Nsimba hat
damit ohnehin keine Probleme. Eigentlich hat       »Stimmt schon, wir sind eine Schule«, sagt
sie, von ihrer unsichtbaren Erkrankung abge-       Peter Friedsam, zum ersten Mal sitzt er ruhig
sehen, überhaupt keine Probleme. »Die wird         in seinem Sessel. »Aber wir machen mehr als
es weit bringen«, sagt Hella Schulze, ihre         Schule. Wir machen lebensfähig.«
Klassenlehrerin. Gäbe es da nicht ein außer-
schulisches Dilemma.

Nsimba kommt aus Angola, ihre Eltern sind
verschollen, sie lebt bei einer Pflegefamilie.
Plötzlich sind Leute aufgetaucht, die behaup-
ten, Verwandte zu sein, sie wollen das Mäd-
chen zu sich holen, haben einen Anwalt, sogar
einen Pfarrer eingeschaltet. Sind sie wirklich
Verwandte? Der Beweis fehlt. Ist das im Sinne
des Mädchens?
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     Aus der Laudatio

     Die Carl-von-Linné-Schule ist ein »Sonderpädagogisches
     Förderzentrum für den Förderschwerpunkt ›Körperliche
     und motorische Entwicklung‹ mit Grundschule, Oberschule,
     Schule mit dem Förderschwerpunkt ›Lernen‹ und Sonder-
     berufsschule«. Hinter dieser sperrigen Bezeichnung blüht
     und gedeiht eine pädagogische kleine Stadt für Kinder aus
     der Großstadt Berlin. In unwirtlicher Umgebung ist sie
     wie eine Oase für das Lernen, mehr noch: sie bildet einen
     eigenen förderlichen Lebenskreis für die ihr anvertrauten
     Kinder und Jugendlichen. Die gemeinsame Fürsorge durch
     Familien und Lehrpersonen, Erzieherinnen und Fachkräfte,
     deren großes berufliches Können und ebenso ihr ehren-
     amtliches Engagement sind es, was die exzellente Qualität
     dieser Schule prägt und trägt.
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     Die nominierten Schulen

     Aus den 170 Bewerberschulen       Friedrich-Schiller-Gymnasium
     wurden zehn Schulen in einem            Staatliches Gymnasium
     mehrstufigen Auswahlverfahren                    Schulstraße 34
     für den Deutschen Schulpreis                71672 Marbach am
     nominiert.                        Neckar/Baden-Württemberg
                                      Schulleiter: Günter Offermann
                                               www.fsg-marbach.de

     Carl-von-Linné-Schule
     Staatliche Förderschule
     Paul-Junius-Straße 15
     10367 Berlin
     Schulleiter: Peter Friedsam
     www.linne-schule.cidsnet.de

                                       Gymnasium Neckartenzlingen
                                             Staatliches Gymnasium
                                                         Auwiesen 4
                                          72654 Neckartenzlingen/
                                               Baden-Württemberg
                                        Schulleiter: Helmut Kopecki
                                                              www.
                                     gymnasiumneckartenzlingen.de
     Der Ravensberg
     Staatliches Berufliches
     Gymnasium
     Rankestraße 2
     24118 Kiel/Schleswig-Holstein
     Schulleiter: Wulf Wersig
     www.bsravensberg-kiel.de

                                                Helene-Lange-Schule
                                                Staatliche Integrierte
                                                         Gesamtschule
                                             Langenbeckstraße 6–18
                                          65189 Wiesbaden/Hessen
                                     Schulleiterin: Dr. Ingrid Ahlring
                                       www.helene-lange-schule.de
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IGS List                                 Montessori-Oberschule
Staatliche Integrierte                 Staatliche Oberschule mit
Gesamtschule                            integrierter Primarstufe
Röntgenstraße 6                                 Schlüterstraße 2
30163 Hannover/Niedersachsen       14471 Potsdam/Brandenburg
Schulleiter: Oswald Nachtwey         Schulleiterin: Ulrike Kegler
www.igs-list.de                    www.potsdam-montessori.de

                                   Robert-Bosch-Gesamtschule
                                            Staatliche Integrierte
                                                    Gesamtschule
                                             Richthofenstraße 37
                                              31137 Hildesheim/
                                                   Niedersachsen
                                Schulleiter: Wilfried Kretschmer
                                             www.robert-bosch-
Laagbergschule
                                                 gesamtschule.de
Staatliche Grundschule
Masurenweg 9
38440 Wolfsburg/Niedersachsen
Schulleiterin: Karola Städing
www.laagbergschule.de

                                                  Waldhofschule –
                                              Eine Schule für alle
                                Private Grund- und Förderschule
                                            Röddeliner Straße 36
                                    17268 Templin/Brandenburg
                                     Schulleiter: Wilfried Steinert
                                          www.waldhofschule.de
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     Die Jury des Deutschen Schulpreises

     Drs. Johan van Bruggen                                  In den Auswahlprozess waren darüber
     Hauptinspektor a. D. beim niederländischen Schul-       hinaus einbezogen:
     inspektorat

     Prof. Dr. Hannelore Faulstich-Wieland                   Klemens Auberle
     Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität      Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
     Hamburg
                                                             Dr. Wolfgang Beutel
     Prof. Dr. Peter Fauser                                  Helga Boldt
     Institut für Erziehungswissenschaften der Universität   Dr. Gislinde Bovet
     Jena
                                                             Karin Brügelmann
     Prof. Dr. Eckhard Klieme                                Prof. Dr. Monika Buhl
     Deutsches Institut für Internationale Pädagogische      Prof. Dr. Helmut Frommer
     Forschung, Frankfurt
                                                             Hanns Hämker
     Prof. Dr. Jürgen Oelkers                                Dr. Wolfgang Harder
     Pädagogisches Institut der Universität Zürich,          Prof. Dr. Gotthilf Hiller
     Schweiz
                                                             Prof. Dr. Katrin Höhmann
     Prof. Dr. Manfred Prenzel                               Hiltrun Hütsch-Seide
     Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissen-     Ingrid Kaiser
     schaften, Kiel
                                                             Dr. Manuela Kiehne
     Enja Riegel                                             Susanne Kienle
     Ehemalige Schulleiterin und Gründerin des Campus        Kurt Ohmann
     Klarenthal
                                                             Erich Ott
     Dr. Erika Risse                                         Götz Plessing
     Vereinigung der Deutschen Landeserziehungsheime,        Prof. Dr. Volker Reinhardt
     Oberhausen
                                                             Dr. Fritz Schäffer
     Prof. Dr. Michael Schratz                               Rolf Schwarz
     Institut für Lehrerbildung und Schulforschung der       Elke Urban
     Universität Innsbruck, Österreich
                                                             Klaus Wenzel
     Dr. Otto Seydel                                         Axel Weyrauch
     Dr. Otto Seydel Institut für Schulentwicklung,          Dr. Klaus Wild
     Überlingen
                                                             Dr. Wolfgang Wildfeuer
     Prof. Dr. Erich Thies                                   Dr. Beate Wischer
     Generalsekretär der Ständigen Konferenz der
     Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik
     Deutschland, Bonn
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