Der Euro in der Vertrauenskrise - Das Eurobarometer im Prozess der Europäischen Integration Jenny Preunkert Georg V
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
SERIE EUROPA EUROPE SERIES Der Euro in der Vertrauenskrise Das Eurobarometer im Prozess der Europäischen Integration Jenny Preunkert Georg V No.1/2013
Jenny Preunkert Der Euro in der Vertrauenskrise Jenny Preunkert Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Universität Leipzig Research fellow at the Institute for Sociology at the University of Leipzig preunkert@sozio.uni-leipzig.de Serie Europa – Europe Series ISSN: 2193-8318 Institut für Soziologie Institute for Sociology Universität Leipzig University of Leipzig Beethovenstr. 15 Beethovenstr. 15 04107 Leipzig 04107 Leipzig Deutschland Germany
Zusammenfassung In diesem Artikel werden der Euro und seine aktuellen politischen Herausforderungen unter- sucht. Meine These ist, dass eine Währung eine politisch gerahmte Institution ist, welche als Kre- ditgeld und als Zahlungsmittel genutzt wird. Die Reproduktion einer Währung beruht auf dem Vertrauen der Akteure sowohl in die Währung selbst als auch in die Politik, die für die Stabilität der Währung in verschiedenen Rollen Sorge trägt. Bisher wurde diese politische Verantwortung von staatlichen Akteuren wahrgenommen und mit der nationalstaatlichen Souveränität legiti- miert. Mit dem Euro wird nun Neuland betreten, denn hier teilen sich eine supranationale Zent- ralbank als zentraler Gläubiger und die nationalstaatlichen Regierungen der Euromitglieder als zentrale Schuldner die politische Verantwortlichkeit. Bezogen auf die aktuellen Entwicklungen wird gezeigt, dass sich der Euro als Zahlungsmittel in keiner institutionellen Vertrauenskrise be- findet, auch wenn sich andeutet, dass einzelnen Regierungen zunehmend das Vertrauen entzogen wird. Dagegen wird für den Euro als Kreditgeld gezeigt, dass aufgrund der fragmentierten Ve- rantwortungsstruktur die Vertrauenskrise einiger Euromitglieder zu einer institutionellen Vertrau- enskrise führte. Verloren ging das Vertrauen nicht nur in die Zahlungsfähigkeit von Staaten wie Griechenland und Irland, sondern auch in die Lösungsstrategien der Europartner. Summary This article analyses the Euro and its current political challenges. My thesis is that a currency is a politically framed institution, which is used as credit money and as an instrument of payment. Reproduction of a currency is based on the trust of the actors, both in the currency itself and in the policy, which has in different roles the responsibility for the stability of the currency. Up to now, this political responsibility was held by state actors and legitimized by the national sover- eignty. With the Euro, the European societies broke new ground, as here a supranational central bank as the key creditor and the nation-state governments as the central debtors share the politi- cal responsibility. In relation to the current developments, it will be shown that the Euro as an instrument of payment is seem as stabile und trustworthy, even if there are indicators that some individual governments have lost some trust. However, it is shown for the Euro as credit money that the fragmented structure of responsibilities is one reason that the mistrust of the solvency of some governments result in an institutional crisis. Not only loose the government of the Greece or Ireland the trust of the creditor, we can also see a loss of trust in the strategies of the Euro Partners.
Inhalt 0 I. Einleitung 03 II. Vertrauen und Währung 04 III. Währung und Nationalstaat 06 IV. Euro als Zahlungsmittel 09 V. Euro als Kreditgeld 013 VI. Fazit 18 Literatur 20
I. Einleitung1 In der Öffentlichkeit herrscht Uneinigkeit darüber, in welchem Sinn die aktuellen Probleme in der Eurozone eine Krise darstellen. Einerseits sind sowohl die Kaufkraft innerhalb der Eurozone als auch der Außenwert des Euro gegenüber anderen Währungen relativ stabil, was für ein Ver- trauen der Konsumenten und Sparer in den Euro spricht. Andererseits werden die Staatsschul- denkrisen im öffentlichen Diskurs oft als eine Vertrauenskrise der Finanzmärkte gegenüber dem Euro interpretiert. In diesem Artikel wird nun untersucht, ob und in welchem Zusammenhang sich der Euro in einer Vertrauenskrise befindet. Um die aktuellen Entwicklungen innerhalb der Eurozone2 verstehen zu können, ist es notwendig, einen Schritt zurückzugehen und zu fragen, was eine Währung aus soziologischer Perspektive ist, auf welcher Basis sie funktioniert und wel- che Aufgaben politische Akteure dabei übernehmen. Darauf aufbauend kann dann analysiert werden, wie die politische Verantwortung innerhalb der Eurozone organisiert und institutionali- siert ist und vor welchen Herausforderungen die politischen Akteure stehen. Aufbauend auf der Geldsoziologie von Simmel und institutionalistischen Geld- und Währungs- theorien argumentiere ich, dass eine Währung eine politisch gerahmte Institution ist, d.h. für das Funktionieren einer Währung sind in verschiedenen noch genauer zu bestimmenden Rollen poli- tische Akteure verantwortlich. Bisher wurde diese Verantwortung in nationalstaatlichen Katego- rien gedacht; es hatten stets staatliche Akteure, für eine stabile Währung zu sorgen und mögliche Krisen abzuwenden. Legitimiert wurde diese Verantwortungszuschreibung mit der nationalstaat- lichen Souveränität. Mit dem Euro wird nun Neuland betreten: Erstmals schlossen sich freiwillig mehrere souveräne Nationalstaaten zu einem Währungsraum zusammen, allerdings ohne dass die Staaten ihre Souveränität vollkommen aufgaben. Der Euro ist deshalb keine Währung mit einer eindeutigen supranationalen Verantwortungsstruktur, vielmehr teilen sich eine supranationale Zentralbank als zentraler Gläubiger und die Regierungen der Euromitglieder als zentrale Schuld- ner die politische Verantwortlichkeit. Bezogen auf die aktuellen Entwicklungen lautet meine The- se, dass durch diese Akteurskonstellation aus dem Misstrauen in die Zahlungsfähigkeit einiger Regierungen mittlerweile eine Vertrauenskrise des Euro als Kreditgeldsystem insgesamt wurde. Ich werde zunächst einen soziologischen Vertrauensbegriff und darauf aufbauend ein soziologi- sches Verständnis einer Währung entwickeln und hierbei die Funktion einer Währung als Kredit- geld von der als Zahlungsmittel unterscheiden. Aufbauend auf diesen theoretischen Vorüberle- gungen werde ich den Euro sowohl als Zahlungsmittel wie auch als Kreditgeld untersuchen. Ab- schließend werde ich die Ergebnisse meiner Argumentation zusammenführen. 1 Das Manuskript beruht auf einen Vortrag, der im Plenum „Politische Ungleichheit und Zusammenhalt. Politik im Spannungsverhältnis von Heterogenisierung und Homogenisierung“ auf dem DGS-Kongress in Bochum gehalten wurde. 2 Bei meinen folgenden Betrachtungen konzentriere ich mich auf die Euromitglieder, die seit dem Jahr 2002 dabei sind und klammere weitere Beitritte aus. 3
II. Vertrauen und Währung Dass Vertrauen eine zentrale Voraussetzung für das Funktionieren von Geld ist, ist keine durch die aktuellen Entwicklungen gewonnene Einsicht, vielmehr arbeiteten bereits Simmel wie auch später Luhmann diesen Zusammenhang heraus. Modernes Geld ist für Simmel ein Tauschmittel ohne eigene Substanz. Der Wert von Geld ist relational und daher in hohem Maß unsicher. Die Nutzung von Geld bzw. die Sinnzuschreibung von Geld trotz dieser hohen Unsicherheit kann nach Simmel nur verstanden werden, wenn man die Vertrauensbeziehung des Geldnutzers zum Geld berücksichtigt. „Wie ohne den Glauben der Menschen aneinander überhaupt die Gesell- schaft auseinanderfallen würde, so würde ohne ihn [also den Glauben an das Geld an sich, JP] der Geldverkehr zusammenbrechen (…)“ (Simmel 2001: 215). Akteure, die Geld verwenden, müssen eben jenem Geld vertrauen. Entziehen sie dem Geld das Vertrauen, verliert es seine Funktionalität und wird durch ein Äquivalent ersetzt. Damit Geld jenes Maß an Stabilität aufwei- sen kann, das zur Bildung eines kontinuierlichen und damit dauerhaften Vertrauensverhältnisses zwischen dem Geld und seinen Nutzern notwendig ist, braucht es für Simmel eine weitere In- stanz, und zwar die Politik. Denn „das Fundament und der soziologische Träger jenes Verhält- nisses zwischen den Objekten und dem Gelde ist das Verhältnis der wirtschaftlichen Individuen zu der Zentralmacht, die das Geld ausgibt und garantiert.“ (Simmel 2001: 213). Die Institution Geld beruht also auf dem Vertrauen der Akteure sowohl in das Geld selbst als auch in die Politik, die für die Stabilität des Geldes Sorge trägt. Anknüpfend an Simmel möchte ich nun einen insti- tutionellen Vertrauensbegriff formulieren, der Grundlage für meinen Währungsansatz ist. Dafür werde ich zunächst kurz skizzieren, was allgemein unter Vertrauen in der Soziologie verstanden wird, darauf aufbauend werde ich einen institutionalistischen Vertrauensbegriff entwickeln und dabei im letzten Schritt die besondere Rolle der politischen Akteure untersuchen. Vertrauen bedeutet in der Soziologie, trotz fehlendem Wissen entscheidungsfähig zu sein und damit das Problem der doppelten Kontingenz zu überwinden. Unter Vertrauen verstehen Sozio- logen „eine Erwartung, die sich auf ein bestimmtes Ereignis richtet (…), wobei derjenige, der diese Erwartung hegt, (…) über ein wie auch immer unvollständiges Wissen über die Wahr- scheinlichkeit des Eintretens dieses Ereignisses verfügt und selbst (…) keine (vollständige) Kon- trolle über das Eintreten dieses Ereignisses hat“ (Nuissel 2002: 89f.). Vertrauen ist damit Voraus- setzung, aber auch Folge von stabilen Interaktionen (vgl. Endreß 2012: 85). Vertrauen gilt als konstitutiv für Interaktionen, denn ohne ein Minimum an Vertrauen sind Interaktionen kaum möglich. Jede vertrauensbasierte Interaktion ist dabei sozial eingebettet, d.h. es gibt nicht das Vertrauen an sich, sondern jedes Vertrauensverhältnis ist kontextabhängig. Vertrauen ermöglicht in einer bestimmten Akteurskonstellation stabile Interaktionsverhältnisse in einem jeweils speziel- len Kontext. So kann man einem Arbeitskollegen beruflich vertrauen, ihm jedoch privat miss- trauen. Vertrauen schafft Stabilität, allerdings ist jeder vertrauensbasierten Beziehung die Unsi- cherheit immanent, dass sich Alter anders verhält als Ego erwartet (vgl. Sztompka 1999: 29ff.). Für den Aufbau und den Erhalt von Vertrauen ist es deshalb notwendig, diese Unsicherheit durch die Einführung von internen oder externen Kontrollmechanismen auf ein für den jeweili- gen Kontext und die jeweilige Konstellation erträgliches Maß zu reduzieren (vgl. Barber 1983: 15, Sztompka 1999: 140ff.). Es kommt zu einer „Institutionalisierung von Misstrauen um institutio- nelles Vertrauen auf Dauer stellen zu können“ (Endreß 2012: 93). Misstrauen wird hier nicht als 4
Gegenstück zu Vertrauen betrachtet, sondern begrenzte und teilweise bewusste eingesetzte Miss- trauensmomente ermöglichen erst Vertrauensbeziehungen. Vertrauen heißt zusammenfassend, nicht handhabbare Unsicherheiten in Risiken umzuwandeln, wobei eine Restunsicherheit dem Vertrauen immanent ist. Im Zentrum meiner Überlegungen steht das Vertrauen, das der Institution Euro entgegenge- bracht wird. Ein institutionalistisches Vertrauensverständnis unterscheidet sich in drei Aspekten von akteurszentrierten Vertrauensbegriffen (vgl. als Überblick Hartmann und Offe 2001, Endreß 2001 oder Nuissel 2002): Erstens stehen die Institution und ihre Reproduktion im Fokus; es wird untersucht, welche Mechanismen ihren Fortbestand sichern. Zweitrangig ist dagegen die Frage, warum bzw. wann es aus Sicht der Akteure angebracht oder sinnvoll erscheint, der jeweiligen Institution zu vertrauen. Vertrauen wird hier somit in Anlehnung an Luhmann (2001: 102) primär aus der Perspektive der Institution und nur sekundär aus der Perspektive der Akteure betrachtet. Zweitens handelt es sich beim institutionellen Vertrauen3 um ein „Vertrauen in Vertrauen“ (Luhmann 2000: 85). Für den Einzelnen ist es unerheblich, wie genau er die Innenstruktur der Institution kennt. Für seine Handlungsstrategie ist vielmehr entscheidend, ob er darauf vertrauen kann, dass die anderen beteiligten Akteure der Institution vertrauen (Luhmann 2001: 85-92). Dies bedeutet eine kognitive Entlastung für den Einzelnen, gleichzeitig aber auch den Zwang, Spielre- geln unhinterfragt zu akzeptieren. Institutionelles Vertrauen ist nicht auf das konkrete Handeln von bestimmten Akteuren reduzierbar, sondern ergibt sich aus der wechselseitigen Beobachtung der Akteure. Dieses reflexive Vertrauen ermöglicht den Aufbau von komplexen Institutionen, denen der Einzelne vertrauen und die er damit reproduzieren kann, ohne sie im Detail kennen zu müssen. Gleichzeitig basiert das Vertrauen auf einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, denn der erwartete Zustand ergibt sich nur, wenn die Akteure darauf vertrauen, dass die Situation ein- tritt. So „vertraut [man] in die Kaufkraft des Geldes, obwohl man weiß, daß der Wert des Geldes überzogen und bei den geldschöpfenden Institutionen nicht durch einen entsprechenden Ge- genwert gedeckt ist, sondern auf der erfahrungsgestützten Erwartung beruht, daß nicht alle zu- gleich ihr Geld in Sachwerte einlösen wollen.“ (Luhmann 2001: 90). Institutionelles Vertrauen kann im positiven wie im negativen Sinne eine Eigendynamik entwickeln, weshalb ihm eine hohe Restunsicherheit immanent ist. Für den Aufbau von stabilen Erwartungsmustern ist deshalb drit- tens die Installation von Kontrollmechanismen zentral, welche das Enttäuschungsrisiko reduzie- ren, wenn auch nicht aufheben. Internen bzw. externen Kontrolleuren wird hierbei die Aufgabe zugewiesen, mithilfe von bestimmten Instrumenten die Vertrauensbeziehungen zu stabilisieren. Dabei stellt sich jedoch die Frage: „Who guards the Guardians?“ (Shapiro 1987: 645) Dafür sind zwei Lösungen denkbar (vgl. Shapiro 1987: 645ff.): Entweder werden weitere Kontrollinstanzen installiert, wobei auch bei diesen bleibt offen, wer sie kontrolliert; oder man vertraut den Kon- trolleuren. Institutionelles Vertrauen beruht somit letzten Endes auf dem Vertrauen in das Ver- trauen der anderen und das Vertrauen in die Kontrolleure, welche das Vertrauen in das Vertrauen stabilisieren sollen. 3 Institutionelles Vertrauen ist dabei von institutionalisiertem Vertrauen zu unterscheiden: Institutionelles Vertrauen bezieht sich auf Vertrauen, das in eine Institution gelegt wird, während institutionalisiertes Vertrauen auch persönli- che Vertrauensbeziehungen umfassen kann, welche durch eine Institutionalisierung eine besonders hohe Akzeptanz durch die Akteure aufweisen. 5
Bezogen auf das Vertrauen in eine Währung heißt dies für den Einzelnen: Er muss weder verste- hen, wie eine Währung funktioniert, noch muss er sich bei seinen Handlungen fragen, ob er der Währung noch vertraut. Entscheidend ist, dass er darauf vertrauen kann, dass das jeweilige Kol- lektiv, welches die Währung verwendet, ihr vertraut. Für die Reproduktion der Währung ist somit zentral, dass sie kollektiv als stabil und gültig gilt. Der Wert einer modernen Währung ist jedoch weder an objektive Kriterien noch an einen absoluten Maßstab gebunden, sondern ergibt sich aus den jeweiligen Interaktionen. Die Restunsicherheit bei einer Währung ist daher sehr hoch, wes- halb die Implementierung von Kontrollmechanismen unerlässlich für das Funktionieren der Währung ist. Die Kontrolle und damit die Sicherung und Stabilisierung der Währung sowie ihrer Funktionsmechanismen wird in modernen Währungssystemen von politischen Akteuren über- nommen. Aus der Perspektive der Geldnutzer sollen diese für die Einhaltung Stabilität verbür- gender Regeln sorgen und so den Aufbau von stabilen Erwartungsmustern ermöglichen. Aus der Perspektive der Institution ist es ihre Aufgabe, mögliche Ansätze von Misstrauen zu beheben. Für beide Aufgaben steht den politischen Kontrolleuren ein Set an Instrumenten zur Verfügung, allerdings können sie das Vertrauen in eine Währung nicht erzwingen oder direkt lenken, sondern nur mittelbar beeinflussen. Die politischen Kontrolleure stehen somit vor der Herausforderung, für die Reproduktion einer Institution verantwortlich zu sein, ohne dies garantieren zu können. Auch tragen sie die Verantwortung für institutionelle Störungen, welche sie nicht verursachen. Zusammenfassend ist zu sagen: Die Reproduktion einer Institution setzt ein gewisses Maß an Vertrauen der Akteure in die Institution voraus. Institutionelles Vertrauen ist eine reflexive Er- wartungsstruktur innerhalb einer bestimmten (also begrenzten) Akteurskonstellation. Es handelt sich um ein kollektives Vertrauen, das durch Kontrolleure stabilisiert wird, ohne dass diese das der Institution immanente Enttäuschungsrisiko überwinden können. Aufbauend auf dem bisher Gesagten verstehe ich unter einer Vertrauenskrise, dass das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Kontrolleure und damit in die Institution sowie deren Funktionieren so gestört ist, dass die Gefahr besteht, dass die Institution nicht mehr reproduziert wird und damit aufhört zu existieren. Eine institutionelle Vertrauenskrise ist ein Moment, in dem aus Perspektive der Akteure ihr Kol- laps und damit ein Zusammenbruch im Bereich des Möglichen liegen. Um die Vertrauenskrise des Euro fassen zu können, wird nun im nächsten Schritt die Institution Währung, die damit verbundenen Akteurskonstellationen und Vertrauensdynamik nachgezeichnet. III. Währung und Nationalstaat Bisher wurde argumentiert, dass die Reproduktion einer Währung das Vertrauen in sie selbst und in ihre politischen Kontrolleure voraussetzt. Eine Währung wird sowohl als Kreditgeld als auch als Zahlungsmittel genutzt und beruht damit auf zwei sich gegenseitig bedingenden Akteurskonstellationen und unterschiedlichen Vertrauensbeziehungen, die ich zunächst getrennt untersuchen möchte. Daran anschließend wird für beide Dimensionen gezeigt, dass die politische Verantwortung bisher in nationalstaatlichen Kategorien gedacht wurde. Eine Währung als Kreditgeld beruht auf einer Gläubiger-Schuldner-Konstellation. Eine Summe wird für eine gewisse Zeit vom Gläubiger dem Schuldner überlassen, letzterer stellt hierfür Si- 6
cherheiten und muss einen Zins zahlen. Im Zins vereinen sich eine Aufwandsentschädigung, da der Gläubiger das Geld in der Zeit nicht selbst nutzen kann, und ein Risikoausgleich gegenüber einem möglichen Kreditausfall (vgl. Spahn 2009: 8). In einem Kreditsystem richtet sich die Höhe der Zinsen und der geforderten Sicherheiten sowohl an individuellen Kriterien als auch am all- gemeinen Zins- und Absicherungsniveau aus. Voraussetzung für ein dauerhaft funktionierendes Kreditgeldsystem ist, dass die Gläubiger und Schuldner dem Kreditgeldsystem an sich vertrauen sowie darauf vertrauen, dass die politischen Akteure für ein stabiles Zinsniveau sorgen, risikoar- me Sicherheiten bereitstellen sowie eine permanente Abfolge von Krediten gewährleisten. Für ein stabiles und den ökonomischen Rahmenbedingungen entsprechendes Zinsniveau ist vor allem die Zentralbank verantwortlich. Als Gläubiger vergibt sie Kredite an Banken, damit diese wiederum Kredite an weitere Akteure gewähren und damit Geld schöpfen. Der hierbei verlangte sogenannte Leitzins weicht von dem üblichen Prinzip der Zinsfestlegung ab, da er nicht auf Grundlage von schuldnerbezogenen Merkmalen, sondern auf Basis von makroökonomisch Über- legungen ermittelt wird (vgl. Heine und Herr 2008: 123f, Spahn 2009: 110ff.). Zur Risikominimie- rung verlangen die Zentralbanken deshalb standardisierte und nicht schuldnerbezogene Sicher- heiten. In einem Kreditgeldsystem hat der Leitzins eine Signalwirkung für das allgemeine Zinsni- veau, da die Akteure darauf vertrauen, dass er der ökonomischen Situation in dem Währungs- raum entspricht sowie erwarteten wirtschaftlichen Entwicklungen Rechnung trägt. Tritt die Zentralbank als zentraler Gläubiger auf, ist die Regierung eines Nationalstaates zentraler Schuldner, deren Schuldpapiere zur Stabilisierung und damit zum Funktionieren des Kreditgeld- systems beitragen. Sicherheiten dienen Schuldnern zur Absicherung ihrer Kredite und sollen ge- währleisten, dass Gläubiger zumindest einen Teil ihrer Kredite zurückbekommen. Aber auch professionell agierende Gläubiger bedürfen Sicherheiten, denn nur so kann verhindert werden, dass Kreditausfälle in eine Insolvenz der Gläubiger münden. Insbesondere in Systemen, in denen Akteure gleichzeitig als Schuldner und als Gläubiger auftreten, bedarf es zum Schutz des Gesamt- systems der Rücklage von Sicherheiten. Als Sicherheiten dienen vor allem solche Kapitalanlagen, deren Wertverlustsrisiko als gering eingestuft wird. Neben Edelmetallen wie Gold gelten als „be- sonders sichere Sicherheiten“ die Schuldpapiere der hochindustrialisierten Industrienationen. Besonders sichere Sicherheiten basieren auf der Fiktion der Risikofreiheit, denn es wird unter- stellt, diese seien so risikoarm und damit in ihrer Wertbeständigkeit so sicher, dass sie risikolose Investitionen sind. Gläubiger wie Schuldner vertrauen somit darauf, dass Staatspapiere risikofrei sind und daher als kalkulierbare und stabile Sicherheiten genutzt werden können, was sich darin ausdrückt, dass Staatspapiere auch als „sichere Häfen“ gelten (vgl. Bell 2001). Schließlich ist zentral, dass in einem Kreditgeldsystem auf die permanente Reproduktion von Krediten vertraut werden kann. Als „lender of last resort“ ist die Zentralbank dafür verantwort- lich, dass den Banken stets genug Kredite zur Verfügung stehen, um eine permanente Kreditver- gabe sicherzustellen. Die Banken können darauf vertrauen, dass die Zentralbank ihnen auch in Krisenzeiten Kredite und damit einen Zugang zum Kapitalmarkt zur Verfügung stellen wird. Ferner wird darauf vertraut, dass Regierungen als Schuldner wirtschaftliche Aktivitäten und so eine Nachfrage an Krediten generieren bzw. als „lender of last resort“ für die Nicht-Banken dafür sorgen, dass systemrelevanten Akteuren Zugang zum Kapitalmarkt erhalten bleibt, wobei die Frage, wer systemrelevant ist, im Einzelfall geklärt wird. 7
Eine Währung als Kreditgeld wird somit durch die Zentralbank als den zentralen Gläubiger und die Regierung als den zentralen Schuldner stabilisiert. Beide interagieren miteinander und versu- chen gemeinsam, Vertrauenskrisen abzuwehren oder zu überwinden (vgl. Spahn 2009: 271). Wenn das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit der Regierungen sinkt und die Zinsen für die Staats- papiere steigen, wird erwartet, dass diese Kostensteigerung für den Staatshaushalt durch eine Senkung des Leitzinses und damit eine Erhöhung der Inflation ausgeglichen wird (vgl. Spahn 2011: 4, Eichler 2011: 722, Dodd 2011: 187). Eine Währung dient bei Kaufgeschäften als Zahlungsmittel, Recheneinheit und Wertaufbewah- rungsmittel und beruht auf der Käufer-Verkäufer-Konstellation mit einer einmaligen Zahlung. Jedoch ermöglicht es eine Währung, dass Kaufgeschäfte prinzipiell permanent zustande kommen können. Als Zahlungsmittel funktioniert eine Währung nur, wenn die Währungsnutzer in ihre Stabilität und Gültigkeit vertrauen. Stabilität meint, dass der Wert der Währung (auch durch poli- tische Interventionen) stabil gehalten wird, wobei es in unterschiedlichen Währungssystemen differierende Vorstellungen davon gibt, was eine stabile Währung ausmacht. Eine zentrale Rolle übernimmt hierbei die Zentralbank, deren Geldpolitik den Wert der Währung stabil halten soll. Aber auch die Regierungen stehen in der Verantwortung, da sie für stabile Rahmenbedingungen Sorge tragen. Gültigkeit erlangt eine Währung als Zahlungsmittel nur, wenn sie in einem Kollek- tiv allgemein anerkannt ist. Denkbar wäre, dass die Gruppe, in der eine Währung seine Anerken- nung findet, die Menschheit insgesamt ist. Denn Geld bedarf nur einer internen Anerkennung, jedoch keiner Abgrenzung nach außen. Kennzeichen der modernen Währungen ist jedoch, dass ihre Anerkennungsreferenz der moderne Nationalstaat ist. Gesetzlich bindendes Zahlungsmittel ist eine Währung nur innerhalb nationalstaatlicher Grenzen (vgl. Issing 2011: 53ff.). Zwar kann man Geld mit ins Ausland nehmen, jedoch muss es dort keinen Nutzen haben; teilweise verbie- ten Staaten auch seine Ausfuhr. Auch ist es möglich, dass ein Staat keine eigene Währung hat, dies gilt jedoch als Zeichen eines schwachen Staates. Das dann genutzte Zahlungsmittel unterliegt auch nicht dem Einfluss des betroffenen Staates. Als Zahlungsmittel wird eine Währung unmit- telbar durch die Zentralbank und mittelbar durch die Regierungen stabilisiert. Die Grenzen seiner Gültigkeit sind dabei deckungsgleich mit den nationalstaatlichen Grenzen. Vertrauen in eine Währung heißt auch Vertrauen in die verantwortlichen politischen Akteure. Zur Erklärung und Begründung, weshalb die Politik in die Verantwortung genommen wird und warum die Verantwortung bisher von staatlichen Akteuren übernommen wurde, möchte ich Simmel aufgreifen. Dieser betont, dass das Vertrauen in Geld an die jeweilige „Zentralmacht“ gebunden ist. Diese tritt als Stellvertreter „der Gesamtheit des Wirtschaftskreises“ (Simmel 2001: 213) auf, d.h., es wird angenommen, dass der Wert einer Währung durch das Vermögen aller beteiligten Akteure abgesichert wird. Im modernen Nationalstaat sind staatliche Akteure Vertre- ter der Gesamtheit. Es wird angenommen, dass nur die staatlichen Akteure als Vertreter der Ge- samtheit und mit dem Rückgriff auf die Ressourcen der Gesamtheit (also deren Besteuerung), in der Lage sind, das Funktionieren einer Währung zu gewährleisten (vgl. Dodd 2011: 183f, Ingham 2004: 143, Bell 2001). So wird eine Regierung über die Möglichkeiten, die Bevölkerung zu be- steuern, zu einem vertrauenswürdigen Schuldner, gleichzeitig sind die von der Zentralbank ver- gebenen Kredite durch eine Rückgriffsmöglichkeit auf die Steuern abgesichert. Die Legitimierung der nationalstaatlichen Akteurskonstellation beruht auf einer zirkulären Schließung: Die Bevölke- 8
rung, welche die Währung nutzt, sichert diese als Bürge der staatlichen Akteure auch ab. In der Moderne sind demnach Währungssysteme und Nationalstaaten eng miteinander verknüpft (vgl. auch Polanyi 1995: 274). Die Nationalstaaten tragen die Verantwortung für das Funktionieren der Währungen, umgekehrt gelten stabile Währungen als Beleg für einen erfolgreichen Staat und als Teil der nationalstaatlichen Identität (vgl. Helleiner 1998). Zusammenfassend wird eine Währung in dieser Arbeit wie folgt definiert: Eine Währung ist eine Institution, die auf einer politischen Rahmung beruht. Im nationalstaatlichen Kontext wird diese Aufgabe von staatlichen Akteuren übernommen. Eine Währung wird sowohl als Kreditgeld als auch als Zahlungsmittel genutzt. Die Geldschöpfung einer Währung erfolgt durch das Kredit- geldprinzip. Bei Kaufgeschäften wird eine Währung jedoch auch als Zahlungsmittel verwendet. Um die politische Verantwortung für eine Währung im Detail verstehen zu können, muss die Rolle von Vertrauen für beide Aspekte der Institution analysiert werden. Denn Vertrauen in eine Währung als Kreditgeld bezieht sich auf andere Rahmenbedingungen und Akteurskonstellationen als Vertrauen in eine Währung als Zahlungsmittel, auch wenn beide Dimensionen nur gemeinsam funktionieren. Die Regierung fungiert im Kreditgeldsystem als zentraler Schuldner, während die Zentralbank zentraler Gläubiger ist. Bei einem Zahlungsmittel ist das Vertrauen in seine Wertsta- bilität und in seine Gültigkeit zentral, hier tritt die Zentralbank als Herausgeber und die Regie- rung als Rahmengeber auf. Nur wenn den politischen Akteuren in all ihren Rollen vertraut wird, ist eine Währung funktionstüchtig. Der Euro als transnationale Währung stellt nun praktisch wie auch theoretisch eine Herausforde- rung dar. Es handelt sich um eine Währung, welche mehrere Nationalstaaten umfasst, ohne dass hierdurch ein Supranationalstaat entsteht. Damit stellen sich zwei Fragen: Wie sind die politi- schen Verantwortlichkeiten verteilt und wie wird die Akteurskonstellation legitimiert? Darauf aufbauend kann dann gefragt werden, wie mit Misstrauen gegenüber den Einzelaspekten der Währung oder gegenüber Teilen der staatlichen Akteurskonstellation umgegangenen wird, und welchen Einfluss dies für die Gesamtkonstruktion hat. IV. Euro als Zahlungsmittel Der Euro wurde am 1.1.2002 als verbindliches Zahlungsmittel eingeführt. Seitdem wird er inner- halb der Eurozone als Tauschmittel, Recheneinheit und Wertaufbewahrungsmittel genutzt. Wich- tig für sein Funktionieren ist, dass sein Wert als stabil gilt und seine Gültigkeit allgemein aner- kannt ist bzw. dass die Akteure, welche den Euro als Zahlungsmittel nutzen, darauf vertrauen, dass politische Stellen erfolgreich intern für Preisstabilität und extern für stabile Wechselkurse sorgen. Im Folgenden wird zunächst untersucht, wie der Euro als Zahlungsmittel institutionali- siert wurde und inwieweit er dabei den bekannten Prinzipien nationalstaatlicher Währungssyste- me entspricht. Darauf aufbauend wird gefragt, wie stabil er als Zahlungsmittel seit dem Jahr 2002 ist und ob sich seit dem Jahr 2008 mögliche Krisentendenzen abzeichnen. Von einer Vertrauens- krise wäre zu sprechen, wenn das Vertrauen in die Gültigkeit und Stabilität der Währung als Zah- lungsmittel verloren geht. Im Falle einer Krise würde somit den politischen Akteuren das Ver- trauen entzogen, dass sie den Wert der Währung stabil halten können und die Gefahr besteht, 9
dass die Währung durch ein anderes formelles oder informelles Zahlungsmittel ersetzt wird (vgl. Holtemöller 2008: 383f.). Zentrale Indikatoren für eine Vertrauenskrise sind, dass die Währung als Zahlungsmittel extern oder intern rasant an Wert verliert4 und es zu einer Inflationsspirale kommt (vgl. Heine und Herr 2008: 113f.). Ferner ist ein Indikator für eine Vertrauenskrise, wenn Kapital plötzlich im hohen Maße aus dem Geltungsbereich abgezogen wird und die Akteure so versuchen, ihr Vermögen in Sicherheit zu bringen (vgl. DeGrauwe 2009: 73). Für den Euro als Zahlungsmittel wurde eine Akteurskonstellation installiert, welche nationalen Währungssystemen ähnelt. Der Euro ist innerhalb der Eurozone gesetzlich verbindliches Zah- lungsmittel. Für die Stabilität der Währung ist auch in der Eurozone eine Zentralbank verant- wortlich. Die Europäische Zentralbank (EZB) steht dabei in der Tradition der deutschen Zent- ralbank, d.h., sie ist im hohen Maße unabhängig und konzentriert sich ausschließlich auf ein stabi- les Preisniveau, was sie z.B. von der amerikanischen Zentralbank unterscheidet (vgl. Heine und Herr 2008, DeGrauwe 2009). Der Euro als Zahlungsmittel wurde demnach in institutionelle Rahmenbedingungen eingebettet, welche sich an nationalstaatliche Modelle anlehnen und deren Prinzipien übernehmen. Ein Blick auf die Entwicklung des Euro als Zahlungsmittel zeigt, dass sein Wert seit seinem Be- stehen stabil ist und ihm institutionelles Vertrauen entgegengebracht wird. Die Inflationsrate in der Eurozone lag zu keinem Zeitpunkt über sechs Prozent. Zwar lässt sich in den letzten zwei Jahren ein Anstieg derselben beobachten, jedoch begann diese Steigerung auf einem historisch niedrigen Niveau. Mit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise im Jahr 2008 haben sich die nationa- len Inflationsraten innerhalb der Eurozone angeglichen (siehe Abb. 1). Als Reaktion auf die Fi- nanzmarktkrise kommt es in allen Ländern der Eurozone zunächst zu einer Inflation, wobei diese unter sechs Prozent bleibt. Ab Frühling 2009 sinkt die Inflationsquote wieder, in einigen Staaten kommt es sogar bis Sommer 2009 zu einer leichten Deflation. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2009 steigt die Inflationsquote wieder, jedoch auf maximal fünf Prozent (in Griechenland). Abweichungen von der allgemeinen Entwicklung zeigen sich zum einen in Irland mit einer stär- keren und länger andauernden deflationären Preisentwicklung als in den übrigen Eurostaaten, zum anderen im Griechenland, wo die deflationäre Preisentwicklung nicht so stark ausgeprägt war und es rasch wieder zu steigenden Preisen kam. Allerdings verlaufen auch diese beiden Ent- wicklungen parallel zu den anderen Eurostaaten bzw. sind die Abweichungen nicht besonders stark ausgeprägt. 4 Ökonomen sprechen dabei bei einer Inflationsquote von unter fünf Prozent von leichter, bei über fünf Prozent von schwerer Inflation. Von einer Hyperinflation wird bei einer Teuerungsrate ab 13 Prozent gesprochen. 10
Abbildung 1: Inflationsraten in der Eurozone 6 Jährliche Veränderungsrate (des gleitenden 5 4 Jahresdurchschnitts) in % Greece 3 Euro Area 2 Germany 1 Ireland 0 -1 -2 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Quelle: Eurostat, Stand Januar 2013 Auch im Verhältnis zu anderen wichtigen Währungen bleibt der Euro im zeitlichen Verlauf rela- tiv stabil. Zwar verlor der effektive reale wie nominale Wechselkurs des Euro seit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise an Wert, jedoch liegt sein Wert stets über den Wechselkursen aus den Jah- ren 1999 bis 2001. Auch zeigen Analysen der bilateralen nominalen Wechselkurse zu den Wäh- rungen US-Dollar, Britisches Pfund und Schweizer Franken, dass diese Entwicklung differenziert zu bewerten ist (siehe Abb. 2). So verlor der Euro im Jahr 2012 gegenüber den angelsächsischen Währungen an Wert, sein Marktwert gegenüber diesen Währungen liegt jedoch immer noch über seinem Wert vor dem Ausbruch der Finanzmarktkrise im Jahr 2008. Nur gegenüber dem Schwei- zer Franken verlor der Euro auch über die Zeit an Wert und der Wertverlust wäre noch höher ausgefallen, wenn die Schweizer Zentralbank nicht interveniert hätte (vgl. Sueddeutsche.de 2011). Die skizzierten Turbulenzen der Wechselkurse können zwar als Ausdruck von Misstrauen gegen- über der Wertstabilität des Euro gewertet werden, jedoch konnten die staatlichen Maßnahmen bisher diesen Tendenzen erfolgreich entgegenwirken. Der Euro ist demnach ein stabiles Zahlungsmittel, das Vertrauen genießt bzw. dessen Vertrauen durch staatliche Maßnahmen stabilisiert werden konnte. Betrachtet man allerdings die Entwick- lungen innerhalb der Eurozone, so deuten Indizien darauf hin, dass einigen Mitgliedern der Eu- rozone immer weniger zugetraut wird, dass ihre Regierungen mittel- und langfristig für stabile Rahmenbedingungen sorgen. Seit dem Jahr 2010 lassen sich innerhalb der Eurozone enorme Kapitalverschiebungen im Rahmen des sogenannten TARGET2-Systems5 beobachten (siehe Abb. 2). Das TARGET2-System ist das technische System, mit dem seit dem Jahr 2007 der Zah- lungsverkehr zwischen Geschäfts-, aber auch Zentralbanken innerhalb der Eurozone abgewickelt wird. Während Geschäftsbanken die Salden sofort ausgleichen müssen, ist dies zwischen den 5 Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System. 11
Zentralbanken nicht der Fall, weshalb es hier zu erheblichen Differenzen kommen kann (vgl. Sachverständigenrat 2011: 83f.). Seit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise im Jahr 2008 sind die Salden zwischen den Zentralbanken massiv angestiegen, was darauf hindeutet, dass es nationale Bankensysteme gibt, denen Kapital zufließt und solche, aus denen Kapital abgezogen wird. Be- sonders hohe Nettoverbindlichkeiten haben Italien und Spanien. Einen negativen Saldo auf etwas niedrigerem Niveau weisen Griechenland, Irland und Portugal sowie auf deutlich niedrigerem Niveau Belgien und Österreich aus. Die höchsten Forderungen hat umgekehrt die Deutsche Bundesbank, mit Abstand gefolgt von den Niederlanden, Luxemburg und Finnland. Abbildung 2: Salden zwischen Zentralbanken der Eurostaaten im Rahmen von TARGET2 750.000 Germany 550.000 Nettobilanz in der Eurozone in Mio € 350.000 150.000 Luxembourg Finland -50.000 Greece Ireland -250.000 Italy Spain -450.000 Oct-02 Oct-03 Oct-04 Oct-05 Oct-06 Oct-07 Oct-08 Oct-09 Oct-10 Oct-11 Feb-03 Feb-04 Feb-05 Feb-06 Feb-07 Feb-08 Feb-09 Feb-10 Feb-11 Feb-12 Jun-02 Jun-03 Jun-04 Jun-05 Jun-06 Jun-07 Jun-08 Jun-09 Jun-10 Jun-11 Jun-12 Quelle: Institut für Empirische Wirtschaftsforschung, Stand Dezember 2012 Erklärt werden können die Saldendifferenzen entweder mit Leistungsbilanzdefiziten oder mit privaten Kapitalabflüssen. Die Leistungsbilanzdefizite sind nach einer Studie des Sachverständi- genrats gerade für die schwächeren Staaten jedoch rückläufig, auch ist der Zusammenhang zwi- schen den nationalen TARGET2-Salden und den jeweiligen Leistungsbilanzdefiziten nicht be- sonders ausgeprägt (vgl. Sachverständigenrat 2011: 83f.). Die wachsenden Salden sind daher we- niger als das Ergebnis von unausgeglichenen Leistungsbilanzen, sondern von privaten Finanz- transaktionen zu interpretieren. Für den Sachverständigenrat „spiegeln die steigenden TARGET- Salden in erster Linie die wachsende Verunsicherung auf den Finanzmärkten, insbesondere das immer geringere Vertrauen in die Banken der Problemländer wider.“ (vgl. Sachverständigenrat 2011 85, H.i.O., ähnliche Ergebnisse Sachverständigenrat 2012: 78-81). Aufbauend auf dieser Interpretati- on der TARGET2-Salden kann zu dem Verhältnis politischer Verantwortung und Vertrauen in den Euro als Zahlungsmittel gesagt werden, dass sich nicht nur die nationalen Bankensektoren in den südeuropäischen Staaten in einer Vertrauenskrise befinden, da ihre Anlageangebote als unsi- cher angesehen werden. Vielmehr können diese Transaktionen auch auf eine Vertrauenskrise der dortigen Regierungen deuten, da ihnen offensichtlich nicht mehr zugetraut wird, innerhalb ihres 12
Territoriums eine stabile Wertaufbewahrung ermöglichen bzw. garantieren zu können. Innerhalb der Eurozone wird differenziert zwischen Staaten, deren Banken durch die nationalen Entwick- lungen als instabil gelten, und solchen Staaten, welche als „sichere Häfen“ genutzt werden. Zusammenfassend: Der Euro beruht als Zahlungsmittel auf einem dem nationalstaatlichen Mo- dell ähnlichen institutionellen Design. So ist eine Zentralbank für die gemeinsame Währung zu- ständig. Allerdings wird auch an nationalstaatlicher Verantwortung festgehalten und die Regie- rungen sind verantwortlich für stabile Rahmenbedingungen in ihrem Territorium. Die stabile Preisentwicklung wie auch die stabilen Wechselkurse zeigen, dass der Euro institutionelles Ver- trauen genießt. Auch die beobachteten eurointernen Kapitalverschiebungen können so interpre- tiert werden, dass in die Stabilität des Euro vertraut wird. Wem jedoch misstraut wird, das sind einzelne, nationale Bankensektoren und die für sie verantwortlichen Regierungen. Bisher konnte verhindert werden, dass diese Akteurskrisen zu einer Destabilisierung der Eurozone als Ganzes führen. Möglich ist dies, da die nationalen Zentralbanken unter dem Dach der EZB den privat- wirtschaftlichen Kapitalströmen als ein Akteur begegnen (vgl. Spahn 2011: 8). Denn dadurch, dass die Zentralbanken der finanziell starken Staaten Nettoforderungen aufbauen, die nicht aus- geglichen werden müssen, ist es den Zentralbanken der finanziell schwächeren Staaten möglich, ihren Bankensektor weiterhin mit Euro zu versorgen (vgl. Sachverständigenrat 2010: 85). Die wachsenden TARGET2-Salden deuten die transnationalen privatwirtschaftlichen Vermögensver- schiebungen an, zeigen aber auch, dass die Zentralbanken einander Handlungsspielräume ein- räumen (vgl. Spahn 2011: 7f.). Offen bzw. unklar ist allerdings, wie lange die EZB die privatwirt- schaftlichen Kapitalströme aus der instabilen Peripherie in das sichere Zentrum ausgleichen kann bzw. welche Destabilisierungstendenzen für die Geldwertstabilität der gesamten Eurozone sich daraus ergeben können. V. Euro als Kreditgeld Kreditgeld dient der Geldschöpfung und ist die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum. Im nationalstaatlichen Kontext sorgt die Zentralbank als zentraler Gläubiger für die Vergabe von Krediten und stellt als „lender of last resort“ der Banken sicher, dass jene dauerhaft Zugang zu Kapital haben. Die Regierung ist zentraler Schuldner des Systems, dessen Staatspapiere als Si- cherheiten dienen. Darüber hinaus trägt sie die Verantwortung für die Systemstabilität der Wirt- schaft, d.h. es liegt in ihrer Zuständigkeit, strauchelnde Wirtschaftssektoren oder systemrelevante Unternehmen im Falle einer drohenden Insolvenz zu stützen. Indikatoren für hohes institutionel- les Vertrauen in das Kreditgeldsystem sind niedrige Zinssätze und stabile Kreditbeziehungen. Im Folgenden werden zunächst die Akteurskonstellationen innerhalb der Eurozone untersucht. Hierbei steht die Aufgabenverteilung zwischen den politischen Akteuren im Fokus sowie die Frage, wie sich diese vom nationalstaatlichen Modell unterscheidet. Daran anschließend untersu- che ich das Vertrauen, das dem Euro als Kreditgeld entgegengebracht wird, und gehe hierbei insbesondere auf die Entwicklungen seit dem Jahr 2008 ein. Gezeigt wird, dass sich der Euro als Kreditgeldsystem in einer Vertrauenskrise befindet, deren Ursache die multipolare Verantwor- tungsstruktur zwischen den politischen Akteuren ist. Abschließend wird kurz diskutiert, wie die Regierungen in der Eurozone auf die Probleme reagierten. Von einer Vertrauenskrise ist zu spre- 13
chen, wenn das institutionelle Vertrauen in das Kreditgeldsystem schwindet, d.h. den politischen Akteuren das Vertrauen entzogen wird, dass sie das Kreditgeldsystem stabil und permanent re- produzierbar halten, was sich zunächst in steigenden Zinssätzen und schließlich in einer Einstel- lung der Kreditvergabe äußert. In der Eurozone tritt an die Stelle einer bipolaren Akteurskonstellation mit einer Zentralbank und einer Regierung eine multipolare Akteurskonstellation, was auch bedeutet, dass die Regierungen zueinander in einem neuen, im nationalen Kontext unbekannten Abhängigkeits- und Konkur- renzverhältnis stehen. Bei der Einführung der gemeinsamen Währung wurde vor dem Hinter- grund dieser diffusen Verantwortungen festgelegt, dass jeder Staat seine Schulden selbstständig refinanzieren muss. Zwischen den politischen Akteuren innerhalb der Eurozone sollte es explizit keine transnationale Verantwortung geben. Es gibt keine gemeinsam aufgenommenen Schulden. Der EZB wurde in Anlehnung an die deutsche (und österreichische) Tradition untersagt, Staats- anleihen auf dem Primärmarkt zu kaufen (vgl. Heine und Herr 2008: 51).6 Auch wurde mit der sogenannten No-Bail-Out Klausel festgelegt, dass Staaten einander nicht helfen (vgl. DeGrauwe 2009: 239ff.). Damit sollte ein moral harzard Problem vermieden werden: Einzelnen Regierungen sollte es in ihrer Rolle als Schuldner nicht möglich sein, über die gemeinsame Währung nationale Vorteile zu erlangen (vgl. Heine und Herr 2008: 51f.), d.h. für die Schulden einzelner Staaten sollte es keine transnationale Kostenübernahme durch die Bevölkerung der Eurozone als Bürgen oder Konsumenten geben. Stattdessen wurden Regulierungs- und Kontrollmechanismen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts eingerichtet, welche den Fokus auf Haushaltskon- solidierung und damit auf eine Begrenzung der Staatsschulden legten (vgl. Collignon 2004, DeGrauwe 2009: 231f.). Die Regierungen überwachen sich im Rahmen des Pakts gegenseitig. Zusätzlich sollten die Finanzmärkte zu einer Kontrolle der Regierungen beitragen. Denn da es der EZB untersagt ist, Staatspapiere zu kaufen, müssen sich die Regierungen auf den Finanz- märkten finanzieren. Gedacht war, dass die Finanzmärkte die Staatspapiere entsprechend der Kreditwürdigkeit der einzelnen Regierungen bewerten und so zur Haushaltsdisziplinierung bei- tragen würden. Allerdings zeigte sich rasch, dass weder die wechselseitige Kontrolle der Regie- rungen noch die Kontrolle durch die Märkte funktionierte (vgl. Goodhart 2006, Jabko 2010, Bearce 2009, DeGrauwe 2009: 243ff, Hodson 2009). Was in Krisenfällen zu tun ist, blieb offen. Der Euro basiert demnach als Kreditgeldsystem auf einer multipolaren Verantwortungszuschrei- bung mit starkem nationalstaatlichem Fokus ohne ein institutionalisiertes transnationales Zu- sammenspiel. Das stellt nur dann kein politisches Problem dar, wenn das Vertrauen in alle staatli- chen Akteur gleich hoch ist und die Regierungen finanzierbare Kredite erhalten. In den ersten zehn Jahren wurde dem Euro als Kreditgeld hohes Vertrauen entgegengebracht, was sich in einer Angleichung der Zinsen für Staatspapiere auf niedrigem Niveau zeigt (siehe Abb. 3). Trotz der weiterhin bestehenden wirtschaftlichen Unterschiede (vgl. Bearce 2009) wurde allen Euromitgliedern eine nahezu identische Kreditwürdigkeit zugeschrieben. Diese positive 6 Die deutsche und österreichische Regelung der strikten Trennung von Zentralbank und Regierung ist unter den hoch entwickelten Industrienationen eine Besonderheit, die sich vor allem historisch erklären lässt. Gleichzeitig zeigt das deutsche Beispiel, dass in Krisenzeiten (in diesem Fall in den 1970er Jahren) die Bundesbank durchaus bereit war, Staatspapiere der Bundesregierung zu erwerben. 14
Einschätzung der Staatspapiere durch die Finanzmärkte bedeutete in Kombination mit der be- schriebenen Öffnung der Kreditmärkte gerade für die vormaligen Hochzinsstaaten, dass ihnen mehr Kredite zu besseren Konditionen zur Verfügung standen (vgl. Eichengreen 2012: 126f.). Die Erfolgsgeschichte des Euro beruht demnach in großen Teilen auch auf einer ähnlich guten Einschätzung seiner Mitglieder durch die Finanzmärkte trotz weiterhin bestehender bzw. sich in den zehn Jahren verstärkender wirtschaftlicher Unterschiede. Abbildung 3: Spread zwischen Eurostaaten ab 1995 bis 2011 bei Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit 30 Greece 25 20 Spread in % 15 Portugal 10 Ireland Italy 5 Spain Euro area Germany 0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Quelle: OECD, Stand August 2012 Mit der Finanzmarktkrise seit 2008 steht nicht nur die Kreditwürdigkeit von Privatschuldnern auf dem Prüfstand, auch das Vertrauen in die staatlichen Schuldner differenziert sich erstmals seit der Einführung der gemeinsamen Währung aus, was unterschiedliche Zinsforderungen zeigen (vgl. Preunkert 2012). Während Staaten wie Deutschland niedrigere Zinsen für Staatsanleihen zahlen müssen, steigen die Zinssätze für Staaten wie Griechenland, Irland, später auch Portugal und Italien und Spanien. Die Euroregierungen werden in schwache und starke Schuldner unterteilt. Aber nicht nur einige Staaten werden von den Anlegern als „sichere Häfen“ bewertet, auch die EZB gilt als solcher, was sich in einer hohen Einlagefazilität ausdrückt. Es kommt somit zu einer Ausdifferenzierung zwischen politischen Akteuren, deren Bonität nur noch wenig Vertrauen ent- gegengebracht wird, politischen Akteuren, die als sichere Häfen gelten und solchen politischen Akteuren, die dazwischen liegen. Die Gründe für die Vertrauenskrisen der einzelnen Staaten können hier im Einzelnen nicht un- tersucht werden. Studien (vgl. Eichengreen 2012, Featherstone 2011, Gros 2012, DeGrauwe 2010, 2011) zeigen jedoch, dass die Vertrauenskrisen in den einzelnen Staaten sowohl einen nati- onalspezifischen als auch einen transnationalen Hintergrund haben. Bereits vor der Vertrauens- 15
krise hatten Griechenland und Italien die höchste Staatsverschuldung in der Eurozone (vgl. u.a. Featherstone 2011, Gros 2012). Die nominale Lohnentwicklung lag in Griechenland, Spanien und Portugal lange Zeit über der durchschnittlichen Lohnentwicklung innerhalb der Eurozone, weshalb diese Staaten an Wettbewerbsfähigkeit einbüßten. Allerdings deuten die Studien auch an, dass die europäische bzw. die globale Einbettung der Staaten zu den aktuellen Entwicklungen beitrug. So erhöhten sich innerhalb der Eurozone die Leistungsbilanzdifferenzen (vgl. DeGrauwe 2010, 2011). Auch erwies sich die europäische Regulierung als unzureichendes Kontroll- und Sanktionsinstrument gegenüber Regelverstößen bzw. wurden bestimmte Entwicklungen, wie die wachsenden Leistungsbilanzdifferenzen oder die wachsende Gesamtverschuldung einiger Euro- staaten gar nicht erst als Problem wahrgenommen (vgl. Eichengreen 2012). Schließlich resultierte die Finanzmarktkrise nicht nur in einer Neubewertung der Staatsschulden, in einigen Fällen (z.B. Irland) trugen die Krise und der europäische Ansatz ihrer Bewältigung erheblich zu den Proble- men bei (vgl. Eichengreen 2012, Gros 2011, 2012). Die Re-Evaluierung der Kreditwürdigkeit führte dazu, dass Schuldnerqualitäten der Euromitglie- der nun differenziert bewertet werden und einigen Regierungen das Vertrauen entzogen wurde. Auch wenn diese Krisen in den einzelnen Staaten auch spezifische Ursachen haben und einen jeweils eigenen Verlauf nahmen, gibt es mittlerweile vier Indizien, die dafür sprechen, dass aus der Vertrauenskrise einzelner Regierungen eine institutionelle Vertrauenskrise des Euro als Kre- ditgeld geworden ist und dass das verlorene Vertrauen in die Institution Euro zunehmend auch einzelne Teilnehmer belastet.7 Erstens lässt sich beobachten, dass zu einigen Zeitpunkten Zins- forderungen gegenüber einem Staat von politischen Verlautbarungen aus anderen Staaten beein- flusst wurden. Beispielsweise stiegen im Jahr 2011 die Zinsforderungen an Italien und Spanien mehrmals in Reaktion auf politische Verlautbarungen aus bzw. über Griechenland.8 Gleichwohl muss einschränkend betont werden, dass es sich hierbei um keinen kausalen oder zwangsweise erfolgenden Zusammenhang handelt und gerade im Jahr 2012 beobachtet werden kann, dass sich 7 Ergänzend ist zu erwähnen, dass in der Literatur mittlerweile einhellig argumentiert wird, dass hohe Zinsen für Staatsanleihen gerade in den südeuropäischen Staaten keine Neuheit sind, vielmehr zahlten gerade Griechenland und Italien vor der Einführung des Euro teilweise sehr hohen Zinsen. Die Ausdifferenzierung des Vertrauens muss- te somit nicht zwangsweise in Akteurskrisen münden. Diese Entwicklung ist daher nur verständlich, wenn man die Vertrauensprobleme im Kontext einer Währungsunion betrachtet. Wie bereits erwähnt, wird im nationalstaatlichen Kontext erwartet, dass steigenden Zinsen für Staatsschulden mit einer Erhöhung der Inflationsrate begegnet wird, durch das Sinken des Geldwertes reduziert sich auch der reale Wert der Staatsverschuldung, weshalb Regierungen handlungsfähig bleiben. Dieses Zusammenspiel von Zentralbank und Regierung ist in der Eurozone nicht möglich. Vielmehr gehen hohe Zinszahlungen mit einer niedrigen Inflationsrate einher, was die Realverschuldung ansteigen und die Rückzahlungsmöglichkeiten der betroffenen Regierungen sinken lässt. DeGrauwe (2010) wie auch Spahn (2011) sehen diese Konstellation analog zu einer Verschuldung in einer Fremdwährung und betonen, dass dies zwar aus Schwellenstaaten oder Entwicklungsstaaten ein bekanntes Phänomen sei, für europäische Staaten jedoch eine Neuheit. Somit ist festzuhalten: Erst die Ausdifferenzierung zwischen den staatlichen Schuldnern in Kombination mit dem einer transnationalen Währung immanenten geringen staatlichen Handlungsspielraum führen in den Jahren 2009/2010 zu einer Akteurskrise von Griechenland, Irland und Portugal, welche sich nicht mehr selbstständig fi- nanzieren können, und zu einer Krisengefahr für Italien und Spanien. 8 Die Ergebnisse stammen aus einer Analyse von Zeitungsartikeln. Ausgewertet wurden Artikel in der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus den Jahren 2011 und 2012. Hierbei wurde gefragt, ob politi- sche Verlautbarungen zu Griechenland oder vonseiten europäischer Politiker oder Ratingagenturen über Griechen- land Folgen für Zinsforderungen in Italien und Spanien hatten. 16
die Entwicklungen in Griechenland nicht auf die Zinsforderungen an andere Staaten auswirken. Ich würde die vorliegenden Ergebnisse daher wie folgt interpretieren: Es gibt Hinweise, dass ge- rade im Jahr 2011 die südeuropäischen Staaten unter intensiver Beobachtung durch die Gläubiger bzw. potenzielle Finanzgeber standen und von einem kritisch beobachteten Staat auf andere ebenfalls als schwach eingestufte Staaten geschlossen wurde. Allerdings deutet sich auch an, dass nationalspezifische Entwicklungen weiterhin bei der Bewertung der staatlichen Kreditwürdigkeit im Vordergrund stehen und gerade seit Beginn des Jahres 2012 die Entwicklungen in Griechen- land keinen weiteren Einfluss mehr auf die Einstufung anderer Staaten haben. Zu ähnlichen Er- gebnissen kommt der Sachverständigenrat in seinem neuesten Jahresgutachten, in dem auf die Studien verwiesen wird, die zeigen, dass die Risikoaufschläge in den Krisenstaaten überproporti- onal gestiegen sind und sich dieser Anstieg nicht ausschließlich mit der wirtschaftlichen Lage er- klären lässt. Die gestiegenen Risikoprämien werden erklärt mit einer gestiegenen Sensibilität ge- genüber der wirtschaftlichen Situation in den Staaten, aber auch mit einer Ansteckungsgefahr bzw. der Einkalkulierung eines Auseinanderbrechens der Währung (vgl. Sachverständigenrat 2012: 67f.). Zweitens werden die Zinsforderungen an sogenannte Krisenstaaten von europäischen Verlautba- rungen beeinflusst (vgl. Buiter und Rahbari 2012). Zumindest konnte zeitweise die Ankündigung der EZB, Staatspapiere auf dem Sekundärmarkt zu kaufen, die Zinsforderungen senken (vgl. z.B. Tober 2012: 354, Sachverständigenrat 2012: 21). Offen ist allerdings, welchen langfristigen Effekt die europäischen Maßnahmen haben. Drittens bewerten Finanzmarktakteure wie die Ratingagenturen die Mitglieder der Eurozone mittlerweile öffentlich nicht nur vor dem Hintergrund der nationalen Situation, sondern auch im Kontext der Eurozone. Beispielsweise betont die Ratingagentur Standard and Poor‘s bei der Herab- stufung von vier Eurostaaten um zwei Noten und von fünf Staaten um eine Note am 13. Januar 2012: „Today’s rating actions are primarily driven by our assessment that the policy initiatives that have been taken by European policy makers in recent weeks may be insufficient to fully ad- dress ongoing systemic stresses in the eurozone.” Schließlich ist anzuführen, dass die Regierungen der Eurozone und die europäischen Institutio- nen die aktuellen Entwicklungen mittlerweile als eine Vertrauenskrise des Euro interpretieren. Die politischen Kontrolleure selbst sehen somit den Euro in einer Vertrauenskrise und damit eine gemeinsame Verantwortung und einen gemeinsamen Handlungsbedarf. Zwar kann die Ve- rantwortungszuschreibung innerhalb der Staaten umstritten sein (wie die politische Debatte in Deutschland zeigt), auf der Ebene der Euromitglieder herrscht jedoch zumindest in den öffentli- chen Verlautbarungen Konsens, dass es sich um eine Vertrauenskrise mit gemeinsamer Verant- wortung handelt (vgl. u.a. Europäischer Rat 2012, Mitglieder der Eurozone 2011, Mitglieder der Eurozone 2012a, Mitglieder der Eurozone 2012b). Zusammenfassend lässt sich sagen: Auch wenn sich das Misstrauen der Finanzmarktakteure stets gegenüber einzelnen Regierungen äußert, gibt es Indizien dafür, dass es sich um einen „Vertrauensverlust in die Integrität der Währungs- union“ (Sachverständigenrat 2012: 21) handelt. Auch betrachten die politischen Akteure selbst die Entwicklungen als Problem der gesamten Eurozone. Der Euro als Kreditgeld befindet sich in einer Vertrauenskrise, d.h. den politischen Akteuren wird nicht mehr zugetraut, dass sie es schaf- fen, das Kreditgeldsystem insgesamt wieder zu stabilisieren. 17
Sie können auch lesen