Vertrauen in der Gesellschaft - Evelyne Binsack
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Vertrauen in der Gesellschaft Sam, quoditio volenihita comnima iorero eum atem exped etur adi beatemp orectae perore, qui dest, tem desequas mincte voluptatio occaepere, asinim que parumquam, senis re, solores dolorectus explique nustruptas dolupti oribus anto excerum et fuga. Luptatur autemporem quatium idella viduciae preicie nduntiumqui nusanimus nobis mo culpa eos que et quia nonseque prerum volum Herausgeber: esequi dolorest et ute placcae rae is et officius velibus PwC, Birchstrasse 160, 8050 Zürich, con ratqui as pre exeritin commo bla dem nullam eaque Schweiz senis re, solores dolorectus explique nustruptas dolupti Layout: PwC, Katrin Baur, Birchstrasse 160, oribus anto excerum et fuga. Luptatur autemporem 8050 Zürich, Schweiz quatium idella viduciae preicie. Bildbearbeitung/Druck: Linkgroup AG, Mühlebachstrasse 52, In dieser Ausgabe portraitieren wir herausragende 8008 Zürich, Schweiz Persönlichkeiten sowie kleine und grosse Unternehmen Titelfoto: TBD aus ganz unterschiedlichen Branchen, die sich diesen Die von den Autoren geäusserten und weiteren Fragen stellen. Meinungen können von jenen des Herausgebers abweichen. Diese Ausgabe des «ceo Magazins» erscheint in deutscher, französischer und englischer Sprache. Auflage: 7’000. © 2019 PricewaterhouseCoopers AG. All rights reserved.
ceo 1/19 | Editorial Vertrauen gehört zu den seltenen Dingen, die sich ver- mehren, wenn man sie weggibt. Denn Vertrauen entwickelt und entfaltet sich mit der Zeit – und beruht ganz wörtlich auf Gegenseitigkeit. Vorausgesetzt, beide Parteien nehmen das eine grosse Risiko auf sich, das Vertrauen in sich trägt: enttäuscht zu werden. Im vorliegenden ceo Magazin leuchten wir die Facetten des Vertrauens aus. Wir fragen Persönlichkeiten aus Unternehmenskommunikation, Umweltschutz, Vertrauensforschung, Verhaltenspsychologie, Wirtschaftspolitik, Aviatik, Hersteller- industrie und Extremsport, was ihnen Vertrauen persönlich und beruflich bedeutet. Und was sie tun, um es zu gewinnen, zu multiplizieren und zu kapitalisieren. Die Antworten und Denkanstösse sind so vielschichtig wie der Begriff selbst. Allen gemeinsam ist die Erfahrung, dass Vertrauen Positives freisetzt, ganz gleich ob im Privaten, Geschäftlichen oder in der Öffentlichkeit: Vertrauen ist die Grundlage für Spitzenleistungen und ein fruchtbares Miteinander, gibt Ordnung und hilft zu entscheiden, festigt Beziehungen und gemeinsame Ziele, stärkt Selbstvertrauen, schärft das Selbstbewusstsein, öffnet Türen und zieht Talente an. Die Wissenschaft definiert Vertrauen als «sich auf das Gegenüber einzulassen und sich verletzlich zu zeigen». Dazu gehört erstens der Glaube, dass der andere das Vertrauen nicht ausnützt, zweitens das Gefühl, sich auf ein Versprechen verlassen zu können, und drittens die Hoffnung, dass sich eben dieses Vertrauen bezahlt macht. Abstrakta wie Verletzlichkeit, Glaube, Gefühl oder Hoffnung gehören nicht gerade zum Vokabular unserer daten- und faktengetriebenen Welt. Trotzdem wollen wir doch Andreas Staubli eigentlich mehr als Daten und Fakten. Wir suchen die Nähe zu unseren Familien, CEO PwC Schweiz Freunden, Kunden, Investoren, Mitarbeitenden, Ökosystempartnern, Mitstreitern, Weggefährten, Teamkollegen, Vorbildern, Meinungsgenossen. Wir suchen deren Vertrauen – und damit einen passenden Umgang mit unserer eigenen Verletzlichkeit. Dazu braucht es mehr als ein zurechtgelegtes Image. Es braucht den Mut, Kritik zu üben und einzustecken. Es braucht die Offenheit, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Es braucht die Geduld, genau hinzuhören und auch das zwischen den Zeilen zu verstehen. Es braucht die Hartnäckigkeit, sich mit einer Materie tiefgreifend aus- einanderzusetzen. Es braucht eine transparente und ungeschönte Kommunikation, vor allem in Krisensituationen. Und vor allem braucht es immer wieder den Dialog. Diese Lektüre wird Sie inspirieren und Ihre Gedanken beleben. Vertrauen Sie einfach auf unser Wort, wir werden Sie nicht enttäuschen. Andreas Staubli ceo 3
Aktuelle PwC-Studien zum Thema Aktuelle Studien zum Thema (Extern) Schweiz Studie von PwC Schweiz Sicherheit in einer vernetzten ETH-Sicherheitsstudie (2019) Sicherheit in einer Welt (2019) vernetzten Welt Vertrauen in öffentliche Institutionen Sicherheit 2019 Mit dieser Publikation beleuchten wir die aktuelle Situation und Entwicklung der Vertrauen in die Polizei und Behörden Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitische Meinungsbildung im Trend Sicherheit in der Schweiz. Im Mittelpunkt stehen die Herausforderungen der Cyberkriminalität und die Polizei der Zukunft. Die aktuelle Situation und Entwicklung Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungs- Tibor Szvircsev Tresch, Andreas Wenger, Stefano De Rosa, Thomas Ferst, Mauro Giovanoli, Eva Moehlecke de Baseggio, Thomas Reiss, Andrea Rinaldo, Olivia Schneider, Jennifer Victoria Scurrell der Sicherheit in der Schweiz politische Meinungsbildung im Trend www.pwc.ch Hrsg.: Tibor Szvircsev Tresch und Andreas Wenger Militärakademie (MILAK) an der ETH Zürich Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich 0,+-+*& *! The journey Digital Trust Insights (2018) Datenvertrauensstudie (2019) to digital trust Digital businesses that lead in safety, security, reliability, privacy and data Vertrauen in die Digitalisierung Vertrauen in Datenschutz ethics will be the titans of tomorrow. It is a journey worth taking. 10 Möglichkeiten, um Vertrauen in Preisgabe persönlicher Daten im Internet Fall 2018 die Digitalisierung zu schaffen – mit Menschen, Technologien und pwc.com/us/digitaltrustinsights Prozessen $ PwC’s Global Blockchain Survey 2018 Blockchain is here. What’s your next move? 600 blockchain-savvy executives 44% C-suite and VPs 31% with revenue $1 billion+ 15 territories Global Blockchain Survey (2018) Distributed ledger technology and digital tokens are rewiring commerce. But lack of trust and regulatory uncertainty means few businesses have fully committed. Here’s a look at where companies are in their blockchain journey, and four strategies for navigating this new world. Vertrauen in Blockchain 84% How far along are companies with blockchain? 14% 20% 32% 10% 15% 7% Die aktuelle Situation von Blockchain- say their organisations have Unternehmen und vier wertvolle None Research Development Pilot Live Paused some involvement with Blockchain blockchain technology. project stage Includes companie at any stage Sorgenbarometer (2018) Credit Suisse Industries seen as leaders in blockchain Signs of the new blockchain world Strategien für die Zukunft Sorgenbarometer Financial services Tokenised everything 2018 Vertrauen in Institutionen Industrial products and manufacturing • Energy and utilities The representation of real or virtual assets on a blockchain Healthcare 12% is spreading to raw materials, finished goods, membership rights, and more. These digital tokens will transform 58 % Government 12% finden, der Egoismus gefährde die company processes and usher in new business models. 11% 6FKZHL]HU,GHQWLW¦WbDZGDPLWN¸QQWHDXFK Retail and consumer 8% 4% • ICOs are self-funding the tech das Vereins sterben gemeint sein. Sorgen und Identitätsmerkmalen Entertainment and media 1% Initial coin offerings, in which a company sells a predefined Die MILIZFEUERWEHR BASEL- STADT number of digital tokens to the public, are a growing ist seit 1845 tätig und hat zurzeit 115 Mitglie- alternative to classic debt/capital funding. They’re raising der. Sie unterstützt die Berufsfeuerwehr und billions of dollars for the development of blockchain wird eingesetzt bei Brand- und Elementar- technology platforms. ereignissen, dem Wassertransport über lange Strecken, dem Aufbau und Betrieb der mobi- • ERP + blockchain des Landes aus Sicht der Schweizer len Sanitätshilfestelle, bei Sicherheitswachen Enterprise software platforms that are the engine for und vielem mehr. company operations like finance are beginning to integrate blockchain. Using blockchain with their ERP systems, companies can streamline processes, facilitate data sharing, and improve data integrity. 46% • New leaders emerge Our survey respondents still perceive financial services to be the current and near-term future leader of blockchain, but other industries are on the rise (see left). Bevölkerung pwc.com/blockchainsurvey ,QGHU6FKZHL]G¾UIHQ0HQVFKHQZ¦KOHQXQGDEVWLPPHQ Was beschäftigt sie? Wem vertrauen sie? Welche Werte zählen? Das Sorgenbarometer misst der Stimmbevölkerung die Temperatur. Global Consumer Insights Survey 2018 Whom do Global Consumer Insights consumers really trust? Survey (2018) Vertrauen in den Handel Herausforderungen für Marken und Händler, um authentisch und Global vertrauenswürdig zu sein Edelman Trust Barometer (2019) 2019 EDELMAN TRUST BAROMETER Global Report Workplace of the future Vertrauen in Institutionen Workf rk kfforce k force orc rce of rce of (2018) Vier mögliche «Worlds of the he e futu utture uture ure re Work» für 2030 The hee compet compe mpeting ng forces fo forc shap shaping hapi 2030 haping 030 0 Vertrauen in die Arbeitswelt #TrustBarometer Vier mögliche «Worlds of Work» für 2030 www.pwc.com/people Digital News Report (2019) Credit Suisse Sorgenbarometer 2018 Vertrauen in Medien 58 % finden, der Egoismus gefährde die 6FKZHL]HU,GHQWLW¦WbDZGDPLWN¸QQWHDXFK das Vereins sterben gemeint sein. Nachrichtennutzung von Menschen Die MILIZFEUERWEHR BASEL- STADT ist seit 1845 tätig und hat zurzeit 115 Mitglie- der. Sie unterstützt die Berufsfeuerwehr und wird eingesetzt bei Brand- und Elementar- ereignissen, dem Wassertransport über lange Strecken, dem Aufbau und Betrieb der mobi- mit Internetzugang len Sanitätshilfestelle, bei Sicherheitswachen und vielem mehr. Vertrauen in Medien (2018) Vertrauen in die Medien Vertrauen der Bevölkerung in die deutschen Medien ,QGHU6FKZHL]G¾UIHQ0HQVFKHQZ¦KOHQXQGDEVWLPPHQ Was beschäftigt sie? Wem vertrauen sie? Welche Werte zählen? Das Sorgenbarometer misst der Stimmbevölkerung die Temperatur. 4 ceo
ceo 2/19 | Interview Vertrauen heisst entwickeln Vertrauen spielt für PwC Schweiz eine Schlüsselrolle – im Firmenzweck ist festgehalten, das Vertrauen in der Gesellschaft aufzubauen und wichtige Probleme zu lösen. Stefan Räbsamen, neuer Verwaltungsratspräsident von PwC Schweiz, detailliert die Tragweite dieses Anspruchs. Er erläutert, welchen Wertbeitrag an die Gesellschaft geleistet wird und inwiefern er Vertrauen als Grundlage für Entwicklung sieht. Herr Räbsamen, was bedeutet Vertrauen für Sie persönlich? Drei Dinge: Erstens heisst es für mich, geerdet zu sein und mit beiden Füssen im Leben zu stehen. Zweitens bedeutet es, auf die eigenen Fähigkeiten und diejenigen seiner Mitmenschen zu vertrauen. Und drittens setze ich Vertrauen mit dem Mut gleich, sich selber in Frage zu stellen. Denn daraus eröffnen sich einmalige Entwicklungschancen. Was bedeutet ihr Firmenzweck «Vertrauen in der Gesellschaft aufbauen und wichtige Probleme lösen» für die Schweizer Gesellschaft? Als Wirtschaftsprüfer geben wir der Gesellschaft die Sicherheit, dass die Abschlüsse der geprüften Unternehmen vollständig und korrekt sind. Dieser Wertbeitrag wird als solcher wahrgenommen. Durch unsere weiteren Dienstleistungen helfen wir Probleme zu lösen und schaffen dabei einen wirtschaft- lichen Mehrwert, der regelmässig der Gesellschaft als Ganzes zu Gute kommt. Stefan Räbsamen Desweitern ist es uns wichtig, auch über unsere Kerntätigkeit hinaus einen gesellschaftlichen Beitrag Partner und Verwaltungsrats- zu leisten. Im Rahmen unserer Corporate Responsibility verfolgen wir die unterschiedlichsten Initiativen, präsident, PwC Schweiz etwa die Equal-Salary-Zertifizierung, die Reduktion unseres ökologischen Fussabdrucks, die Freiwilligen- plattform Alaya, die Unterstützung von sozialen Unternehmerinnen und Unternehmern im Rahmen des Coachingprogramms SEIF oder die Projektpartnerschaft mit «Schweizer Jugend forscht». In welchen Situationen ist Vertrauen besonders wichtig; wann ist Kontrolle besser? Vertrauen ist überall dort zentral, wo es ums Wachsen und Entwickeln geht, sei dies bei Menschen, Organisationen oder Volkswirtschaften. Kontrolle ist dann angebracht, wenn man wissen möchte, wie schnell oder erfolgreich Entscheidungen umgesetzt werden. Dabei kann Kontrolle Leitplanken setzen. So gesehen ist Kontrolle nichts Negatives, sondern stärkt das Vertrauen. Wie entwickeln Führungskräfte Vertrauen in ihre Teams? Dafür gibt es kein Erfolgsrezept. Das hat viel mit Persönlichkeit und Charisma zu tun. In einer Krise zum Beispiel kann ein instruktiver Top-down-Führungsstil Sicherheit und Vertrauen schenken. Denn die Mannschaft ist froh, dass sie sich auf die klaren Anweisungen und Fähigkeiten ihres Vorgesetzten verlassen kann. Im normalen Wirtschaftsleben wollen die Mitarbeitenden verstehen, warum sie etwas tun oder lassen sollen. Da bietet sich ein integrativer Führungsstil an, bei dem die Führungskraft ihre Mitarbeitenden in den Entscheidungsprozess einbezieht und ihnen als Coach zur Seite steht. So schöpft sie das volle Potenzial ihrer Leute zugunsten des Firmenerfolgs als auch der Weiterentwicklung der Mitarbeitenden aus. Das verstehe ich übrigens unter einer «unbossed company» – eine Firma mit Coaches statt Bossen. Der Begriff wird heute leider oft falsch interpretiert und mit Führungslosigkeit gleichgesetzt. Was macht einen vertrauensvollen Arbeitgeber aus? Er hat einen starken Firmenzweck. Damit bleibt er für seine Mitarbeitenden verlässlich und berechenbar. Ausserdem bietet er seinen Angestellten die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Schliesslich muss ein Unternehmen für das Vertrauen seiner Leute über den eigenen Tellerrand hinausblicken. Nur so spürt es den Puls der Zeit und wird den Bedürfnissen seiner Anspruchsgruppen gerecht. Stefan Räbsamen, vielen Dank für das Gespräch. ceo 5
«Trotz allen Missständen und Rückschlägen gibt es auch die andere Seite: :HQQPDQDP6FKLIIVEXJVWHKW XQG'HOğQHVSULQJHQUXQGXP GDV6FKLIIKHUXPŋGDQQZHLVVPDQ ganz genau: Es ist das Richtige, was ich tue.» Iris Menn CEO, Greenpeace Schweiz 6 ceo
ceo 2/19 | Inhalt 8 12 16 Antoinette Weibel Universität St. Gallen 20 Iris Menn Gunnar Jansen Greenpeace Schweiz Patrouille Suisse 24 Reportage Vertrauen Teil 1 – Tour Evelyne Binsack d’Horizon durch ein facettenreiches Gefühl 30 34 38 Prof. Martin Schweer Heinz Karrer 46 economiesuisse 42 Reportage über Vertrauen Teil 2 Martin Eisele Beatrice Tschanz Brunex ceo 7
5HSRUWDJH9HUWUDXHQ Teil 1 Tour d’Horizon durch ein facettenreiches Gefühl Vermutung, Eindruck, Glaube, Haltung, Überzeugung, Spekula- tion, Erwartung, Wette – für Vertrauen finden Wissenschaftler, Wirtschaftsexperten, Politiker, Kultur- und Medienschaffende die unterschiedlichsten Beschreibungen und Synonyme. Keines ist abschliessend. Und alle sind sich in einem Punkt einig: Vertrauen ist eine der komplexesten Befindlichkeiten überhaupt. 8 ceo
Reportage | Vertrauen Die hohe Kunst der Nation des Vertrauens Verletzlichkeit Die Schweiz vertraut der Regierung und «Vertrauen ist das Gefühl, den Behörden stärker als jede andere OECD-Nation. einem Menschen sogar dann zu glauben, wenn man weiss, dass man an seiner Stelle lügen würde», so der US-amerikanische Schrift- steller und Kulturkritiker Henry Louis Mencken. Vertrauensforscher definieren Vertrauen als «Bereitschaft, sich verletzlich zu zeigen». Dazu gehört erstens der Glaube, dass der andere kein Egoist ist oder dass ein National government Unternehmen nicht nur den 80% Gewinn maximieren will. Dazu gehört zweitens eine Intuition, dass man sich auf 42% Versprechungen verlassen kann. Und dazu gehört drittens die Hoffnung, 100 dass sich Vertrauen irgendwann auszahlt. Die wissenschaftliche Definition von 80 Health Vertrauen ist umstritten. Denn Begriffe wie Gefühle, Irrationalität, Verletzlichkeit, Police 60 care Glaube oder Hoffnung haben in der ökonomischen Welt der harten Fakten einen 88% 40 93% schweren Stand – obwohl Vertrauensbeziehungen auch und gerade hier überlebens- 77% 20 70% wichtig sind. Quellen: Prof. Dr. Antoinette Weibel, Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten, Universität St. Gallen; Mayer, Davis & Schoorman, 1995; Rousseau, Sitkin, Burt & Camerer, 1998 Judicial Education system system 81% 82% Wer vertraut, ist optimistisch 55% 67% Vertrauen schafft Sicherheit. Denn es gibt den Menschen das Gefühl, dass Personen Switzerland oder Instanzen «die Dinge schon richtig machen». Das Schweizer Volk vertraut der öffentlichen Hand wie kaum ein anderes. Das Interessante: Das Vertrauen in die Behör- World Average Range den und der Optimismus der Menschen korrelieren in der Schweiz positiv. Übrigens: % of citizens expressing confidence/satisfaction Die schweizerische Bundesverfassung sieht kein parlamentarisches Misstrauensvotum (Source: Gallup World Poll) gegen einzelne Regierungsmitglieder oder gegen die Gesamtregierung vor. Die Schweiz ist kulturell heterogen und der Wille des Einzelnen oder einer Gruppe zählt. Trotzdem zeichnen viele Menschen die Identität des Landes mit denselben Merkmalen. Dazu ge- hören ein hohes Wohlstandsniveau, verlässliche politische Institutionen, ein gutes Bildungssystem, ein stabiler Wirtschaftsstandort, ein starker Finanzplatz und eine schöne Land- schaft. Die Neutralität ist ebenfalls identitätsbildend und untrennbar mit dem Staatsgedanken verbunden. Quellen: Government at a Glance 2017, OECD; Quelle: «Sicherheit 2019 – aussen-, sicherheits- und verteidigunsgpolitische Meinungsbildung im Trend», Sorgenbarometer 2018 der Credit Suisse ETH Zürich, 2018 ceo 9
Sicher ist sicher Trust in companies headquartered in each market Distrust Neutral Trust - 0 + Y-to-Y Change 65 66 69 70 70 70 61 63 53 54 54 48 35 39 39 40 +2 +3 +5 +3 +4 +2 +3 +4 +5 +1 +7 +2 +9 +1 +7 +3 Ein Wort zum Wort Mexico Brazil India China S. Korea Italy Spain U.S. France The Netherlands U.K. Australia Japan Canada Germany Switzerland Vertrauen ist als Wort seit dem 16. Jahrhundert bekannt. Das Mittel- hochdeutsche «triuwe» bezeichnet Eigenschaften wie Treue und Aufrich- tigkeit. Es hat seinen Ursprung in Das Vertrauen in Unternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz wird grossgeschrieben. althoch-deutschen Begriffen wie «triuwa» und «gitriuwi». Diese haben sich aus der indogermanischen Wurzel Die Schweiz gilt in der internationalen Gemeinschaft als vertrauenswürdig, besonders «deru» entwickelt. Ihre Bedeutung wenn es um Bank- und Finanzdienstleistungen geht. Das hat diverse Gründe. Zum verbindet man mit den Begriffen Baum einen geht die Schweiz mit den globalen Markttrends. So wurden zum Beispiel das und Eiche, die für innere Festigkeit Bankgeheimnis oder die Steuerregimes abgeschafft. Zum anderen bietet die Schweiz stehen. Grammatikalisch betrachtet ist eine hohe Rechtssicherheit. Dadurch wird sie ein verlässlicher Partner für Unterneh- «vertrauen» ein «schwaches» Verb. men, also ein attraktiver Standort. Und schliesslich ist mit der direkten Demo- kratie jede Bürgerin und jeder Bürger in den politischen Entscheidungsprozess Quellen: PwC-eigene Recherchen und eingebunden. NZZ-Serie «Vertrauen», Oktober 2018 Quellen: 2019 Edelman Trust Barometer; exchangemarket.ch von August 2018 10 ceo
Digitale Ambivalenz macht die Gesellschaft bequem 87 1 12 vereinfacht staatliche Kontrolle 83 5 12 verbessert Lebensqualität 79 2 19 [in %] sehr/eher macht Gesellschaft verletzlicher 75 4 21 einverstanden eher nicht/nicht provoziert psychische Krankheiten 74 3 23 einverstanden weiss nicht/k.A. sorgt für mehr Übersicht auf dem Arbeitsmarkt und verbessert die Chancen 70 6 24 man wird eher gefunden von potenziellen Arbeitgebern 68 8 24 Die Chancen der Digitalisierung für das Alltagsleben überwiegen; doch Bedenken bleiben. Das Schweizer Elektorat äussert sich gespalten zu den gesellschaftlichen Auswirkun- gen neuer Technologien. Trotz des drohenden Verschwindens von Arbeitsplätzen durch den technologischen Fortschritt bezeichnen es 75 % als unwahrscheinlich, dass ihr Job in den nächsten 20 Jahren automatisiert wird. Digitale Technologien schaffen Verhängnisvolle Spirale einen Überblick auf dem Arbeitsmarkt und bessere Arbeitsbedingungen. Zudem fördern sie die Kreativität am Arbeitsplatz. Allerdings wächst die Angst, Arbeitgeber Der Begriff Misstrauen ist relativ neu müssten ständig erreichbar sein. Eine Mehrheit glaubt, die Digitalisierung würde die und wird kontrovers diskutiert. Ist er Gesellschaft bequemer und verletzlicher machen, die zwischenmenschliche Kommu- das Gegenteil von Vertrauen, mit nikation abwerten und psychische Krankheiten provozieren. geringem Vertrauen gleichzusetzen oder hat er nichts mit Vertrauen zu «Vertrauen ist das Gefühl, einem Menschen sogar dann zu glauben, wenn man weiss, tun? Die Verhaltensforschung erklärt dass man an seiner Stelle lügen würde», so der US-amerikanische Schriftsteller und Misstrauen als «Unwille, Verletzlichkeit Kulturkritiker Henry Louis Mencken. Vertrauensforscher definieren Vertrauen als zu akzeptieren, basierend auf einer «Bereitschaft, sich verletzlich zu zeigen». Dazu gehört erstens der Glaube, dass der allgegenwärtig negativen Wahrneh- andere kein Egoist ist oder dass ein Unternehmen nicht nur den Gewinn maximieren mung der Motive, Absichten oder will. Dazu gehört zweitens eine Intuition, dass man sich auf Versprechungen verlassen Verhaltensweisen des Gegenübers». kann. Und dazu gehört drittens die Hoffnung, dass sich Vertrauen irgendwann aus- Misstrauen verstärkt sich selbst, da zahlt. Die wissenschaftliche Definition von Vertrauen ist umstritten. Denn Begriffe wie misstrauisches Denken und Handeln Gefühle, Irrationalität, Verletzlichkeit, Glaube oder Hoffnung haben in der ökonomi- misstrauische Einstellungen und schen Welt der harten Fakten einen schweren Stand – obwohl Vertrauensbeziehungen Verhaltensweisen bestärken. Nach auch und gerade hier überlebenswichtig sind. jüngsten Erkenntnissen stellt Miss- trauen eine eigenständige Befindlich- Quelle: Sorgenbarometer 2018 der Credit Suisse keit dar, da es durch andere Faktoren verursacht wird als Vertrauen. Studien der Neurowissenschaften und Neuro- biologie zeigen, dass sowohl verschie- dene Hirnregionen aktiviert als auch unterschiedliche Hormone freigesetzt werden, je nachdem, ob ein Mensch vertraut oder misstraut. Quellen: Prof. Dr. Antoinette Weibel, Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeits-welten, Universität St. Gallen; Bijlsma-Frankema et al., 2015; Dimoka, 2010; Zak, Kurzban, & Matzner, 2005 ceo 11
«Wir erkennen derzeit ein zunehmendes Misstrauen in der Gesellschaft gegenüber den Institutionen: den Medien, Unternehmen, der Politik oder der Regierung.» 12 ceo
Antoinette Weibel | Universität St. Gallen Vertrauen ist gut, PHKU9HUWUDXHQ ist besser «Vertrauen bedeutet, den Willen zu haben, sich auf das Gegenüber einzulassen und sich verletzlich zu zeigen», sagt Antoinette Weibel. Die Professorin, die an der Universität St. Gallen lehrt und forscht, schenkt anderen zunächst einen Vertrauensvorschuss. Text: Redaktion ceo Magazin Bilder: Markus Bertschi Forschungsprojekt Es gilt als eine grundlegende Voraussetzung Konfliktsituationen modelliert: «Vertrauen Stakeholder Trust für die Zusammenarbeit, ja ganz generell für ist abhängig von der Intensität der Bezie- alles Wirtschaften: Vertrauen. Ein spannen- hung: je besser man sich kennt und je Antoinette Weibels aktuelles, vom des Thema, findet Antoinette Weibel, an intensiver der Dialog stattfindet, desto Schweizerischen Nationalfonds (SNF) dem die Ökonomin seit ihrer Studienzeit grösser ist der Einbezug in die Entschei- gefördertes Forschungsprojekt behandelt arbeitet, «Vertrauen ist ein Schmiermittel, dungsprozesse.» das Thema «Misstrauen in Stakehol- das Transaktionen erst ermöglicht», sagt die der-Beziehungen». Der Fokus liegt dabei viel beschäftigte Professorin und Direktorin auf einem integrierten Managementan- des Instituts für Arbeit und Arbeitswelten Suche nach zuverlässigen satz, mit dem Misstrauen vermieden und in St. Gallen und versucht sich damit an Quellen prosperierende Vertrauensbeziehungen einer ersten Definition des vielschichtigen zwischen den Stakeholdern einer Begriffs. «Was wir derzeit erkennen, ist ein zuneh- Unternehmung gebildet werden sollen. mendes Misstrauen in der Gesellschaft Das gemeinsam mit Prof. Dr. Sybille Vertrauen sei aber auch ein «Enabler», der erkennbar gegenüber den Institutionen: Spielraum für Verhandlungen eröffnet und den Medien, Unternehmen, der Politik oder Sachs von der Hochschule für Wirtschaft Ressourcen spart. Für Unternehmen ist der Regierung, aber auch gegenüber Zürich (HWZ) durchgeführte Forschungs- Vertrauen schliesslich die Grundlage, um Nichtregierungsorganisationen, den NGO», projekt läuft bis 2021. gute Leistungen zu erbringen sowie Talente hat Weibel festgestellt. Dies zeige auch der in die Organisationen zu holen und sie an «Edelman Trust Barometer», eine jährlich www.unisg.ch diese zu binden. Ein Thema, das viel mit publizierte Studie des PR-Beraters Edel- Emotionen und Hoffnungen zu tun hat. mann, für die zuletzt 33’000 Menschen in 27 Ländern zum Thema Vertrauen befragt Wer Vertrauen schenkt, hofft, dass die worden sind. Die Menschen würden wieder andere Partei dieses nicht ausnützt. Dabei nach zuverlässigen, vertrauenswürdigen müssen sich beide Seiten aufeinander Quellen suchen. Generell aber hat sich laut einlassen und willens sein, sich verletzlich der jüngsten Erhebung der Vertrauensver- zu zeigen, sagt Weibel im Gespräch. Der lust in die Institutionen etwas abgebremst, Charakter der Beteiligten spiele dabei eine in einzelnen Regionen sind die Werte sogar wichtige Rolle, ebenso Integrität und wieder leicht gestiegen. «Der freie Fall ist Werte. Weibel bringt eine Erkenntnis aus vorbei», so das Fazit des 19. Trust Barome- der Spieltheorie ein, einer Methode, die ters vom Januar 2019. Entscheidungssituationen in sozialen ceo 13
ʼn=LHOXQVHUHV)RUVFKXQJVSURMHNWVLVWHV 0LVVWUDXHQPLW+LOIHYRQ ,QGLNDWRUHQPHVVEDU]XPDFKHQŊ Aufbauend auf Studien wie dieser, forscht Es schade nichts, in solchen Fällen ein auch Antoinette Weibel und ihr Team am wenig grosszügig zu sein und Selbstkritik zu Thema Vertrauen und seinem Gegenpol, äussern. Man müsse die andere Seite ernst dem Misstrauen (siehe Box). Wobei: «Miss- nehmen und sensibel sein für ihre Anliegen. trauen ist nicht einfach das Gegenteil von «Wer agil bleiben und sich Freiräume Vertrauen, sondern eine eigene Kategorie», schaffen will, sollte einen solchen Fall sagt sie. Während Vertrauen langfristig gründlich aufarbeiten, Schlussfolgerungen erarbeitet werden muss, kommt Misstrauen ziehen und die nötigen Massnahmen oft unerwartet und schnell daher. einleiten», sagt die Professorin. Vertrauen messbar machen Zuhören und mutig sein Für Unternehmen bedeutet Misstrauen vor Im Geschäftsleben lässt sich Vertrauen allem Aufwand: Zu nennen sind erhöhte mittels Verträgen absichern. Diese sollten so Kontrollkosten oder die Bemühungen zur ausgestaltet sein, dass sie das Verhalten der Reputationspflege. Misstrauen löst bei Partner in eine gute Richtung lenken, so Betroffenen Stress und Abwehr aus, es kann Weibel. Lieferanten fragen sich: Wie verläss- zu Feindseligkeiten und Konflikten führen. lich ist ein Unternehmen, zahlt es pünktlich? Sie selbst habe schon erfahren müssen, Wie geht es mit mir um, lässt es mich im dass Misstrauen auch körperlich zu spüren Zweifel fallen? Auch Mitarbeitende, die sich ist, sagt Weibel. «Es geht an die Nieren, kann als Einzelne noch verletzlicher fühlen, Bauchweh und Schlafstörungen auslösen.» machen sich Gedanken – um die Laufbahn, Da habe sie gemerkt, dass sie auf diesem die Lohnentwicklung und das eigene Gebiet weiter forschen muss. Selbstbild: Wie loyal ist mein Arbeitgeber mir gegenüber? Was bin ich ihm wert? Vorge- «Ziel unseres Forschungsprojekts ist es, setzte sollten zuhören können und mutig Misstrauen mit Hilfe von Indikatoren mess- sein, auch Unbequemes auszusprechen. bar zu machen und aufzuzeigen, wie es zu Denn auch das schafft Vertrauen. Misstrauen kommt und wie dieses wirkt», beschreibt sie den Ansatz des jüngsten Personalmanagement und dessen Mittel Projekts. Eine der Fragestellungen lautet: und Methoden können sowohl Vertrauen als Wie lässt sich verloren gegangenes auch Misstrauen fördern. Ein Beispiel dafür Vertrauen zurückerlangen und was sollten ist das in der Unternehmenswelt weit Unternehmen nach einem Vorfall mit verbreitete, meist Bonus-relevante «Perfor- Vertrauensverlust tun? Gerade, wenn die mance-based Management», also das Erwartungen der Stakeholder an ein Unter- Führen mittels Zielsetzung, Zahlen und nehmen hoch sind, kann dieses schnell tief Resultaten und periodischer Bewertung. fallen. Transparenz wirkt immer. Dabei sind Das Signal an die Mitarbeitenden lautet: Die zum Beispiel technische Probleme in der geleistete Arbeit ist messbar und Motivation Regel einfacher zu erklären, als vorsätzli- erfolgt extrinsisch über Geldanreize. ches mutwilliges Handeln. «Den Vorfall nicht Vergessen geht dabei manchmal, dass es totschweigen und die Verantwortung nicht für viele Beschäftigte weitere Kriterien der einfach nach unten delegieren», rät Weibel, Wertschätzung gibt, zum Beispiel das in sie «Man sollte Sühne zeigen und den Dialog mit gesetzte Vertrauen, die Zuteilung an- den betroffenen Stakeholder suchen und spruchsvoller Aufgaben oder ein attraktives mehr als nur eine Entschuldigung abgeben». Arbeitsumfeld. 14 ceo
Antoinette Weibel | Universität St. Gallen Antoinette Weibel ist Professorin an der Universität Hinter Organisationen stehen immer St. Gallen und Direktorin des Forschungsinstituts für Menschen mit all ihren Stärken und Schwä- Arbeit und Arbeitswelten. Zu ihren aktuellen For- chen. Die Rollen der Akteure wechseln sich schungsgebieten gehören der Einfluss von Institutionen ab, mal ist man Individuum, mal vertritt man auf die Motivation von Beschäftigten, Vertrauen im die Organisation und agiert doch immer im Unternehmen, Stakeholdervertrauen sowie das Kontext der gesetzten Normen und Regeln. Wohlbefinden der Menschen an ihrem Arbeitsplatz. Von Führungspersonen wie zum Beispiel Ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften schloss einem CEO wird heute auch erwartet, dass Weibel 2002 an der Universität Zürich mit einer sie sich einbringen und Stellung beziehen, Promotion zum Thema «Vertrauen und Kontrolle in gerade bei gesellschaftlich relevanten strategischen Netzwerken» ab. 2008 habilitierte sie sich Themen wie dem Klimawandel oder die ebenda mit einer Arbeit über «Voluntary Work Engage- Zukunft der Arbeit. ment». Im gleichen Jahr übernahm sie den Lehrstuhl für Management an der universitären Hochschule Liech- Sie sollten den öffentlichen Auftritt nicht scheuen, ohne dabei narzisstisch oder tenstein, 2010 den Lehrstuhl für Personal, Führung und heroisch zu wirken, und den Mut haben, Entscheidung im öffentlichen Sektor an der Deutschen trotz aller Anforderungen an Compliance Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. und Political Correctness auch einmal Im Oktober 2010 folgte sie einem Ruf der Universität spontan zu entscheiden. Wichtig sei, betont Konstanz und wurde Inhaberin des Lehrstuhls für Weibel, dass danach auch gehandelt und Verwaltungswissenschaft. Von 2014 bis 2016 war sie geliefert, statt nur geredet und angekündigt Direktorin am Institut für Führung und Personalma- werde. Denn wie schon der römische Dichter nagement an der Universität St. Gallen und Ordinaria und Satiriker Horaz wusste: «All zu viele für Personalmanagement. Versprechen mindern das Vertrauen». Und wie geht sie selbst, als Direktorin eines Weibel ist Mitglied mehrerer Stiftungsräte, Präsidentin Instituts, mit dem Vertrauen in ihr Team um? der First International Network of Trust Researchers «Ich gebe meinen Mitarbeiterinnen und (FINT) und Mitglied des Lenkungsausschusses der Mitarbeitern viel Freiraum», versichert sie. European Group for Organizational Studies (EGOS). Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und zwei Katzen in der Nähe von Zürich. ceo 15
«Vertrauen steht an erster Stelle» Für Gunnar «Gandalf» Jansen ist Vertrauen überlebenswichtig. Nur so lassen sich die Kunstflug-Manöver der Patrouille Suisse bei Geschwindig- keiten von bis zu 1000 Kilometer pro Stunde bewerkstelligen. Für das nötige Vertrauen investiert der Leader Pilot der Staffel viel Zeit in die Vorbereitung, den Team-Spirit und in Gespräche. Gunnar «Gandalf» Jansen, 36, Text: Roberto Stefàno Bilder: Andreas Zimmermann ist seit 2010 Mitglieder der Patrouille Suisse und seit 2017 ihr Leader. Wie vertraut sind Sie mit «Der Herr der bahn richtig einzuschätzen. Meine Team- Der Major der Schweizer Luftwaffe Ringe», in dem Gandalf, von dem Ihr kameraden müssen mir vertrauen – sie ist seit 2004 Berufsmilitärpilot und Codename stammt, ein Protagonist ist? sehen keinen Boden. flog auf der FA-18 in der Flieger- Gunnar «Gandalf» Jansen: Den Namen staffel 18 in Payerne. Als Pilot hat er habe ich seit der Pilotenschule, da ich schon Blindes Vertrauen, im wahrsten Sinne über 2500 Flugstunden absolviert. damals mehr weisse Haare hatte als meine des Wortes. Der gelernte Polymechaniker mit Fluglehrer. Ich wusste vorher nicht einmal, Der Leader wird vom Team gewählt – man Berufsmatur hat nach der Flie- wer Gandalf ist. traut mir diese Aufgabe also zu. Vertrauen ger-RS im Tessin die Ausbildung entsteht nicht von heute auf morgen, es Was hat es mit solchen Übernamen braucht Zeit. Auch ins Flugprogramm für zum Linienpiloten bei der Swiss auf sich? eine Show müssen wir das Vertrauen erst Aviation Training gemacht. Jansen Es ist eine Tradition in der Fliegerei. Bei der aufbauen. Dazu führen wir jedes Jahr ein ist verheiratet (keine Kinder) und Patrouille Suisse hilft er, Beruf und Privates zweiwöchiges Trainingslager durch. Am lebt im Kanton Zürich. zu trennen. Anfang fliegen wir es in grosser Höhe, fernab von Bergen oder anderen Hindernissen. Die Patrouille Suisse fliegt spektakuläre Sobald das Programm sitzt, gehen wir tiefer. Flugshows im In- und Ausland. Welchen Dann bildet unser Kommandant auf einem Zweck hat sie abgesehen davon? Bergkamm den fiktiven Boden. Darunter Wir sind ein PR-Instrument der Schweizer bleiben aber noch 1000 Meter Luft, damit Luftwaffe und zeigen den Leuten im In- und nichts passiert, wenn man sich verschätzt. Ausland, was die Schweiz und ihre Armee Wir üben, bis alle wirklich bereit sind. Erst leisten können. Dabei vermitteln wir als zuletzt fliegen wir über dem Gelände. typisch wahrgenommene Schweizer Eigenschaften wie Präzision, Pünktlichkeit, Wer entscheidet, ob jemand fliegt? Sicherheit und Dynamik. Grundsätzlich jeder selber. Wenn jemand nicht fliegen kann, braucht es keine Welche Rolle innerhalb der Staffel Begründung. Ich vertraue ihm. übernehmen Sie als Leader? Ich führe die Staffel an. Alle anderen fünf Welche Rolle übernimmt der Piloten schauen während des Fluges nicht Commander? nach vorne, sondern orientieren sich an mir Er ist für alles Administrative verantwortlich oder an jenem Kollegen, der neben ihm und der Chef im Team. Der Commander fliegt. Wenn wir also einen Looping vollzie- schafft uns ein Umfeld, in dem wir frei fliegen hen und mit 600 Kilometer pro Stunde auf können. Er gibt keine Anweisungen, sondern die Erde zurasen, liegt es an mir, die Flug- nur Feedback. 16 ceo
Gunnar «Gandalf» Jansen | Patrouille Suisse «Wenn ein Mechaniker bestätigt, dass ein Flieger bereit ist, dann würde ich dies nie hinterfragen.» ceo 17
Gunnar Jansen persönlich Teamleistung zurückstellen. Diese Wertauf- fassung muss man pflegen und immer mal wieder ansprechen. Es nützt nichts, wenn Wann sind Sie zum ersten Mal ein Welche Flugshow gefällt ihnen am vier von fünf schon sehr nahe fliegen Flugzeug geflogen? besten? können, jemand aber noch mehr Abstand Mit 16, in einem selbst gebauten Flieger Jene beim Lauberhorn-Rennen in Wengen, benötigt. Dann muss sich die Gruppe an eines Freundes im Tessin. Er hatte mir kurz vor allem wegen der Kulisse. Es ist einmalig, das Steuer überlassen. Den ersten Flug in vor der Eiger-Nordwand einen Looping zu diesem orientieren, damit das Bild stimmt. einer Militärmaschine absolvierte ich vollziehen. Das ist nicht immer so einfach. während der Rekrutenschule mit 19 in einer PC-7. Wie schnell sind Sie privat unterwegs? Wie spüren Sie das Vertrauen Ihrer Ich habe gerne schöne Motoren und fahre Teamkameraden? Welches war Ihr Traumberuf als Kind? hin und wieder auf der Rennstrecke. Wenn das Team gelassen scheint. Dies Ich wollte Astronaut werden. Die Faszination für den Weltraum ist geblieben. Heute bin Wie sind Sie ansonsten privat? spüre ich, wenn ich mit jemanden über Funk ich froh, dass ich nicht so weit weg muss. Das absolute Gegenteil. Ich fische gerne spreche oder während des Fluges zurück- und betreibe Astrofotografie. Dabei lade ich blicke. Solange alles ruhig ist, ist das Welche Rituale pflegen Sie in der meine Batterien auf. Ich schätze es, einmal Vertrauen da. Erhalte ich einen anderen Patrouille Suisse? alleine zu sein, nicht sprechen zu müssen. Eindruck, muss ich etwas dagegen unter- Wir fliegen mit weissen Socken. Es geht nehmen. Ihre liebste Feriendestination? darum, am Tag der Vorführung zu 100 Wenn es einen Strand hat, dann bin ich Prozent bereit zu ist. Vergisst man sie, muss glücklich. Sie ändern noch etwas während des man barfuss in die Schuhe. Weiter klopfen wir uns vor einem Flug als Glückwunsch auf Welches persönliche Ziel wollen Sie Fluges? den Fallschirm. Und nach dem Flug kommt in diesem Jahr noch erreichen? Ja. Ich reduziere beispielsweise die Ge- es zum Handshake. Schliesslich feiern wir Grundsätzlich möchte ich möglichst viele schwindigkeit. Dann dauert das Programm einen Piloten, wenn er im Ausland zum junge Leute für die Aviatik begeistern. Da die zwar etwas länger, doch am Boden merkt erstmals vor 100›000 Leuten ein Schönwet- Patrouille Suisse 2019 ihr 55-Jahre-Jubi- ter-Programm geflogen hat. Er geht dann dies niemand. läum feiert, findet eine Feier mit vielen baden... ehemaligen Piloten statt. Ihnen möchte ich eine besonders schöne Vorführung bieten. Wie stehen Sie im Team privat Welches ist Ihr liebstes Flugzeugmodell? zueinander? Die F-16. Das Flugzeug fasziniert mich seit Was wollen Sie unseren Lesern Wir kennen uns extrem gut und treffen uns meiner Kindheit. Geflogen bin ich es aber mitgeben? Man darf sich nie auf dem ausruhen, was oft neben der Arbeit – auch mit unseren noch nie. man schon erreicht hat. Dies gilt auch beim Liebsten. Vertrauen: Man muss jeden Tag daran arbeiten und darf sich nicht zurücklehnen. Dennoch könnten Spannungen entstehen. In diesem Fall bin ich als Leader gefragt. Ich nenne es aggressives Zuhören: Genau hinhören, um in einer Diskussion zu verste- Wie gehen Sie bei der Planung der verschiedenen Vorführorten ein und vermer- hen, was geschieht und auch die Zwischen- Shows vor? ken diese in der Karte. Wenn das Komitee töne mitzukriegen. Es ist meine Aufgabe, Ich plane sie auf einer Landkarte. Dabei mit der Analyse einverstanden ist, erhalten nachzufragen und die Personen anzuspre- orientiere ich mich am Publikum und beziehe wir die Freigabe für das Programm. chen. Das Ganze braucht Zeit und kann Städte, Berge und andere Hindernisse mit anstrengend sein, ist aber enorm wichtig. ein. In der anschliessenden Analyse schätze Wie üben Sie die Manöver an den unter- ich ab, welche Flugfiguren sich in diesem schiedlichen Vorführorten? Und wenn jemand nicht in die Gruppe Umfeld eignen und zeichne sie auf der Karte Wir fliegen das Programm zuerst ohne passt? ein. Wenn sich das gesamte Team zur Publikum und zeichnen es mit der Kamera Wir wählen alle unsere Teammitglieder Vorführung trifft, erläutere ich meinen Plan. aus der Perspektive der Zuschauer auf. selber aus – auch unseren Chef, den Dann ist die Diskussion eröffnet. Jeder kann Nach dem Training analysieren wir es am Commander. Wir «müssen» niemanden seine Meinung und Vorbehalte einbringen. Bildschirm. Am Vorführtag können wir so aufnehmen, sondern nur hoffen, dass Am Ende entscheiden wir uns für ein noch Korrekturen vornehmen. jemand zusagt. Programm. Was ist Ihnen als Leader innerhalb des Wie sehr verlassen Sie sich als Pilot auf Besteht keine zusätzliche Sicherheits- Teams besonders wichtig? die Techniker am Boden? stelle, die das Programm absegnet? Das Vertrauen steht an erster Stelle, es muss Wir sind wohl eines der wenigen Länder, in Doch. Wir präsentieren Anfang Jahr das immer vorhanden sein. Weiter müssen alle denen das Team ihre Fluggeräte nicht selber gesamte Programm, welches wir in den Teammitglieder zu 100 Prozent verstanden kontrolliert. Wir haben ein sehr enges darauffolgenden Monaten fliegen werden, haben, dass es alle braucht, damit die Verhältnis zu unseren Technikern. Wenn ein dem Display-Kontrollkomitee. Zudem gehen Formation am Ende gelingt. Manchmal muss Mechaniker bestätigt, dass ein Flieger bereit wir auf die besonderen Hindernisse an den man dafür das eigene Ego zugunsten der ist, dann würde ich dies nie hinterfragen. 18 ceo
Gunnar «Gandalf» Jansen | Patrouille Suisse wir unsere Familien, unsere Liebsten, in überzeugt bin, dass dies das Publikum gar Wie stehen Sie grundsätzlich zu techni- unsere Arbeit einbeziehen. nicht richtig mitbekommt. schen Hilfsmitteln in der Fliegerei? Man muss ihnen vertrauen. Allerdings gibt Inwieweit hat das Vertrauen darunter Wie nehmen Sie den Zuspruch, das es in der Aviatik immer eine Absicherung. gelitten? Vertrauen in der Bevölkerung wahr? Wir verlassen uns nie auf ein einziges Es stand nie zur Diskussion, nicht mehr Wir erhalten sehr viel Wertschätzung vom System. Ohnehin ist in unseren Flugzeugen miteinander zu fliegen oder kein Vertrauen Publikum. relativ wenig Technik vorhanden. mehr zu haben. Das Risiko eines Unfalls gehört zu unserem Beruf. Hat sich dies verändert mit der Ihre Flieger gelten als veraltet. Klimadiskussion? Sie sind total veraltet – aber nur für den Inwieweit fliegt die Angst mit? Erstaunlicherweise nicht. Es gibt vereinzelte militärischen Einsatz. Wir jedoch brauchen Ich habe nie Angst, wenn ich selber fliege. Anfragen. Aber wir fliegen eigentlich zu die Flugzeuge für Shows. Dazu sind sie noch Aber ich habe nach wie vor Lampenfieber. wenig als Team, als dass wir einen grossen voll im Schuss. Es ist der Respekt vor der Aufgabe. Und es Einfluss auf die Emissionen hätten. hilft auch, konzentriert zu bleiben. Das 2016 ist es erstmals bei der Patrouille Lampenfieber verfliegt, sobald ich den Wie lange werden Sie noch für die Suisse zu einem Absturz gekommen. Wie Antrieb spüre. Patrouille Suisse fliegen? begleitet Sie dieses Ereignis? Mit 42 muss man die Staffel verlassen. Ich Die Auswirkungen waren riesig. Inzwischen Welches Manöver würden Sie an einer werde aber, wie viele andere vor mir, schon neigt sich die Untersuchung dem Ende, so Flugshow nie fliegen? Wo ist das Limit? vorher austreten. Inzwischen bin ich zehn dass man abschätzen kann, welche damals Unser Programm muss innerhalb von zwei Jahre dabei. Irgendwann sollte man jünge- eingeleiteten Sofortmassnahmen weiterge- Wochen stehen. Das ist nicht viel Trainings- ren Leuten Platz machen. führt werden müssen, um einen solchen zeit. Wir versuchen zwar immer wieder neue Vorfall zukünftig zu vermeiden. Manöver, doch diese müssen nach wenigen Flügen sitzen, sonst schaffen sie es nicht ins Und im Team? Programm. Ausländische Teams, denen Wir sprechen heute viel über solche Vor- deutlich mehr Zeit zur Verfügung steht, kommnisse, um mental darauf vorbereitet zu führen hin und wieder einen Verbandsflug sein. Es war ein einschneidendes Erlebnis, auf dem Rücken aus, was extrem schwierig das uns alle verändert hat – auch die Art, wie ist. Das würde ich nie tun – auch weil ich Die Patrouille Suisse ist eine Kunst- flugstaffel der Schweizer Luftwaffe. Sie wurde 1964 gegründet mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit, Präzision und Einsatzbereitschaft der Schweizer Luftwaffe im In- und Ausland zu demonstrieren. Die Patrouille Suisse ist auf dem Militärflugplatz Emmen stationiert. ceo 19
ʼn(LQYHUKXQJHUWHU(LVEÃURGHU HLQHONDWDVWURSKHLQGHU$UNWLVŋ GDVZLUNWQRFKLPPHU DEHUHEHQQLFKWPHKU so lange wie früher.» Iris Menn Die gebürtige Hessin studierte in Marburg, Braunschweig und Hamburg und ist promovierte Meeresbiologin. Im Jahr 2002 stiess sie zu Greenpeace, wo sie während elf Jahren als Kampagnen- und Teamleiterin engagiert war und sich an vielen Aktionen beteiligte. Anschlie- ssend trug sie als Direktorin für Interna- tionale Programme und Politische Arbeit der Christoffel-Blindenmission (CBM), einer internationalen Organisation der Entwicklungszusammenarbeit, die strategische und operative Führung von Projekten mit, unter anderem in Afrika. Seit Juli 2018 ist Iris Menn Geschäftslei- terin von Greenpeace Schweiz. Sie lebt in Zürich. 20 ceo
Iris Menn | Greenpeace ʼn:DVZLUYRQ anderen fordern, PđVVHQZLUDXFK selbst so leben» Wenn Iris Menn sich auf hoher See befindet und Delfine um das Boot springen, schlägt ihr Herz höher. Die Geschäftsleiterin von Greenpeace Schweiz kämpft seit vielen Jahren für die Natur – seit kurzem von ihrem Büro in Zürich aus. Text: xxx Bilder: xxx www.greenpeace.ch Brauchen die eigentlich keine Pause? internen Veränderungen ist die Hauptmis- Greenpeace Die Unermüdlichkeit der Umweltaktivisten sion der Chefin natürlich viel grösser. Die politische Non-Profit-Organisation spürt man im Greenpeace-Hauptsitz selbst «Unser aktueller Schwerpunkt ist der wurde 1971 von Friedensaktivisten in dort, wo in anderen Büros eine Kaffeema- Klimaschutz», sagt sie. Im Fokus stehen Vancouver gegründet, ihren Hauptsitz hat schine und Sofas zum Reden und Rasten erstens die Schweizer Banken, die immer sie in Amsterdam. Das Ziel ist, sich auf einladen. noch Investitionen in fossile Energieträger gewaltfreie Weise für die Natur einzuset- unterstützen, zweitens die Landwirtschaft Kaffee gibt es in der Küchenecke zwar mit ihrer Fleischproduktion und drittens zen. Weltweit hat die Organisation rund auch, und an der Pinnwand hängt die das neue CO2-Gesetz, das so ausgestaltet drei Millionen Fördermitglieder und Büros übliche Büropost-Mischung aus Geburts- werden soll, damit auch die Schweiz das in rund 55 Ländern. Greenpeace Schweiz anzeigen und handgeschriebenen Briefen. Klimaschutz-Abkommen von Paris endlich wurde 1984 als gemeinnützige Stiftung Doch statt gemütliche Sitzgelegenheiten umsetzt. gegründet und ist Mitglied von Greenpe- hat man einen drei Meter langen Stehtisch ace International. In der Schweiz zählt die hingestellt, der auch zu Sitzungen – oder Profitiert Greenpeace bereits von der Organisation rund 145‘000 Mitglieder. besser: Stehungen – dient. Und neben der neuen grünen Welle, welche derzeit die Post an der Wand befinden sich Zettel mit politische Agenda bestimmt? «Solche Stichworten wie «Climate», «Energy» und Dinge wirken immer erst verzögert», sagt «Fundraising» sowie ein Plakat mit einer Art Iris Menn. Bisher verzeichne man keinen Leiterspiel. «Hier stellen wir den aktuellen Mitgliederzuwachs. Ein Schulterschluss mit Stand der Entwicklung unseres neuen den jungen Streikenden findet dennoch Organisationssystem für die Mitarbeiter*in- statt. «Fast täglich sitzen Jugendliche bei nen dar», sagt Iris Menn. «Das Konzept uns im Büro, wir können sie logistisch und lautet ‹Holokratie statt Hierarchie›. Das fachlich unterstützen», sagt Menn. Das bedeutet für die Angestellten mehr Selb- reicht vom Öffnen unserer Räume und storganisation und mehr Mitentscheidung.» konkreten Tipps, wie man bei Demonstrati- onen Menschenmassen lenkt, damit es Im vergangenen Sommer zog die 48-Jäh- nicht gefährlich wird oder in Gewalt rige von Frankfurt am Main nach Zürich ausartet bis zu strategischen und takti- und ist seither Geschäftsleiterin von Green- schen Überlegungen damit die Forderun- peace Schweiz. Im Vergleich zu den gen in der Politik ankommen. ceo 21
«Man muss sich mit der Materie auseinandersetzen, da kommt man nicht drumherum.» «Greenpeace nalen Bilder. «Ein verhungerter Eisbär oder eine Ölkatastrophe in der Arktis – das wirkt Iris Menns Verantwortungsgefühl, sich zu engagieren, wuchs rasch. «Ich kaufte mir ein hat fast 50 Jahre noch immer, aber eben nicht mehr so lange T-Shirt der Kampagne ‹Nuclear free seas›. wie früher.» Die Laufzeit der sogenannten Damit war ich an der Schule zwar nicht Erfahrung damit, «mindbombs», mit denen Greenpeace ab modern, aber es galt auch als eine Form und wir spüren den 1970er-Jahren Umweltsünden anpran- gerte und die Bevölkerung für grüne jugendlicher Rebellion.» Der ruhige, ernste Ton, mit dem Iris Menn über die Visionen das Vertrauen in diese Anliegen sensibilisierte, ist deutlich ge- und Ziele von Greenpeace gesprochen hat, schrumpft. ist bei dieser Erinnerung einem Lächeln Kompetenz.» gewichen. Als junge Biologiestudentin an Doch Iris Menn ist Optimistin, wie sie betont. der links orientierten Universität Marburg Menn weiss, wovon sie spricht. Abgesehen Diese Kraft schöpft sie unter anderem aus habe sie mit Verbündeten «Tag und Nacht» von einem vierjährigen Ausflug in die Welt der Natur, in der sie schwimmend, wandernd vor der Kaserne gesessen und gegen den der Entwicklungszusammenarbeit hat die oder radfahrend so viel Zeit wie möglich Vietnam-Krieg protestiert. Sie lacht kurz auf. promovierte Meeresbiologin ihr bisheriges verbringt. «Trotz allen Missständen gibt es Trotz allem Ernst muss auch viel Spass Berufsleben dem Schutz der Umwelt eben auch die andere Seite, zum Beispiel dabei gewesen sein. Es folgten viele Jahre gewidmet, viele Jahre davon als Greenpea- wenn man am Bug steht, und fünfzig Delfine als Greenpeace-Aktivistin, oftmals auf ce-Kampagnenleiterin und natürlich als springen rund um das Schiff herum. Dann hoher See. Sie riskierte Aktionen, die zwar Aktivistin. weiss man genau: Es ist richtig, was ich tue.» waghalsig, aber stets gewaltfrei waren. Das gehört – wie der Name schon sagt – zum Erzählt sie von Aktionen, kommt sie in Fahrt: Seit frühen Jugendjahren setzt sie sich für Credo von Greenpeace. «Ich war oft auf Schiffen unterwegs, und die Natur ein. Aufgewachsen auf dem Dorf in viele Bilder haben sich in meinem Gehirn Hessen, verbrachte sie als Kind die meiste Seit einem Jahr verbringt Iris Menn jedoch eingebrannt.» Zum Beispiel jenes von Zeit draussen. Mit 13 Jahren – den Grünen in viel mehr ihrer Zeit im Grossraumbüro des mehreren hundert Meter langen Fischerei- Deutschland gelang gerade der Einzug in Schweizer Hauptquartiers, das sich im netzen, die nach oben gezogen wurden, den Bundestag – spendete Iris Menn ihr Genossenschaftsbau Kalkbreite befindet. prall gefüllt mit Fischen, deren Augen sich erstes Taschengeld für Greenpeace. Deren Einen fixen Platz hat hier niemand, auch aufgrund des Druckverlust nach aussen Aktionen beeindruckten sie. Die frühen die Chefin nicht. Seine Bürosachen stülpten. Oder in denen Korallen hingen, die Kampagnen der 1971 gegründeten NGO verstaut man in Kisten, die mit einem Trage- 150 Jahre gewachsen waren und nun ein richteten sich gegen Kernwaffentests und gurt ausgestattet sind und nach getaner jähes Ende fanden. Selbst heute, in Zeiten gegen den Walfang, später kamen Themen Arbeit beim Ausgang deponiert werden. der Bilderflut aus dem Internet, glaubt Iris wie Klimaerwärmung, Abholzung der Für viel Papier hat es darin nicht Platz. Aber Menn weiterhin an die Kraft solcher emotio- Urwälder, Atomenergie und Gentechnik dazu. wozu auch? 22 ceo
Iris Menn | Greenpeace Iris Menn persönlich Wem vertrauen Sie? Ich bin grundsätzlich jemand, der vertraut. Für mich ist Vertrauen etwas, das ich sowohl den anderen wie auch mir selber schenke. Jemandem zu vertrauen beweist auch Mut, weil man stets enttäuscht werden könnte. Hier lade ich meine Batterien auf. Ich verbringe öfter Zeit in einem ehemaligen Kloster, das heute ein Zentrum für Meditation und Achtsamkeit ist und einen wunderschönen Zen-Garten hat. Dort spüre ich Kraft und Ruhe. Ausserdem meditiere ich täglich zehn bis zwanzig Minuten. Meine Botschaft. Vertrauen Sie auf sich selbst und vertrauen Sie auf andere, dass wir unseren Planeten gemeinsam zu einer grünen und friedlichen Welt hinbekommen. Vernetzung und Informationsbeschaffung – zwei der wichtigsten Kampagneninstru- «Wenn man bio, mente – finden sowieso im Internet statt. lokal, saisonal und Das bewundert Iris Menn denn auch an der neuen Generation grüner Kämpfer. «Sie sind dies unverpackt irre schnell, wenn sie etwas beschliessen, digitale Kanäle bespielen, Informationen einkauft, hat man suchen und sich organisieren. Das war schon einen wichtigen früher so gar nicht möglich.» Schritt getan.» Was gleich geblieben ist wie früher: Der Anspruch an die eigene Glaubwürdigkeit. Hat sie denn das Vertrauen in die Mensch- Sie ist das Fundament des Vertrauens, das heit, dass wir den Klimawandel noch in den die Mitglieder in Greenpeace haben. «Bei uns Griff bekommen? «Ja, auf jeden Fall. wird natürlich sehr scharf gemessen – zu Dazu ist insbesondere die Politik gefordert, recht. Was wir von anderen fordern, müssen denn wir brauchen Verbote und rechtliche wir auch selbst so leben. Und machen wir Regulatorien, um eine Veränderung herbei- Fehler, müssen wir auch dazu stehen.» zuführen», ist Iris Menn überzeugt. «Wir schaffen das nicht allein auf freiwilliger Vertrauenswürdige «grüne» Unternehmen zu Basis, wie viele Politiker und Firmen noch finden, ist heute ziemlich komplex gewor- glauben.» den. Viele Firmen betreiben «Greenwashing» und heften sich das Label «Nachhaltigkeit» Die Aufgabe ist gewaltig, und die Zeit ans Revers, genügen aber den Standards drängt. Für Pausen in der Sofaecke bleibt nicht. Leicht verliert man auch den Überblick wahrlich wenig Zeit. bei den Gütesiegeln. Was rät Iris Menn den Konsumenten? «Man muss sich mit der Materie auseinandersetzen, da kommt man nicht drumherum», räumt sie ein. «Dabei hilft es sich Prioritäten setzen und nicht zwin- gend alles auf einmal zu.» Selbst mit einfachen Dingen wie der Lebensmittelwahl könne man schon sehr viel erreichen. ceo 23
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