Vertrauen in Demokratie - Wie zufrieden sind die Menschen in Deutschland mit Regierung, Staat und Politik?

Die Seite wird erstellt Stefan-Di Pfeiffer
 
WEITER LESEN
Vertrauen in Demokratie - Wie zufrieden sind die Menschen in Deutschland mit Regierung, Staat und Politik?
Frank Decker, Volker Best,
Sandra Fischer, Anne Küppers

Vertrauen in
Demokratie
Wie zufrieden sind die Menschen
in Deutschland mit Regierung, Staat
und Politik?
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN

Ein Projekt der Friedrich-Ebert-Stiftung 2018 – 2020
Wachsende soziale Ungleichheit, gesellschaftliche Polarisierung, Migration und
Integration, die Klimakrise, Digitalisierung und Globalisierung, die ungewisse
Zukunft der Europäischen Union – Deutschland steht vor tief greifenden Heraus-
forderungen.

Auf diese muss die Soziale Demokratie überzeugende, fortschrittliche und zu-
kunftsweisende Antworten geben. Mit dem Projekt „Für ein besseres Morgen“
entwickelt die Friedrich-Ebert-Stiftung Vorschläge und Positionen für sechs zentrale
Politikfelder:

–   Demokratie
–   Europa
–   Digitalisierung
–   Nachhaltigkeit
–   Gleichstellung
–   Integration

Gesamtkoordination
Dr. Andrä Gärber leitet die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Projektleitung
Severin Schmidt ist Referent für Sozialpolitik in der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Kommunikation
Johannes Damian ist Referent für strategische Kommunikation dieses Projektes im Referat
Kommunikation und Grundsatzfragen.

Die Autor_innen
Prof. Dr. Frank Decker lehrt und forscht am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der
Universität Bonn. Von 2002 bis 2005 und von 2009 bis 2011 war er dort geschäftsführender Direktor.
Seit 2011 ist er wissenschaftlicher Leiter der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer
Politik (BAPP). Schwerpunkte seiner Arbeit sind Parteien, westliche Regierungssysteme, Demokratie-
reform und Rechtspopulismus.

Dr. Volker Best ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie
der Universität Bonn. Er beschäftigt sich unter anderem mit Parteien, Koalitionen und Demokratie-
reformen.

Dr. Sandra Fischer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politische Wissenschaft und
Soziologie der Universität Bonn. Sie beschäftigt sich unter anderem mit vergleichender Wohlfahrts-
staatsforschung, Föderalismus und Geschlechterpolitik.

Anne Küppers, M. A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politische Wissenschaft und
Soziologie der Universität Bonn. Derzeit promoviert sie mit einer empirischen Arbeit zum Thema
„Urwahlen in den Landesverbänden von SPD und CDU“.

Für diese Publikation sind in der FES verantwortlich
Jochen Dahm leitet die Akademie für Soziale Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Alina Fuchs ist Referentin für Demokratie & Partizipation im Forum Politik und Gesellschaft
der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Weitere Informationen zum Projekt finden Sie hier:
www.fes.de/fuer-ein-besseres-morgen
Frank Decker, Volker Best, Sandra Fischer, Anne Küppers

Vertrauen in Demokratie
Wie zufrieden sind die Menschen in Deutschland mit
Regierung, Staat und Politik?

         Auf einen Blick                                  2

1.       EINORDNUNG UND METHODIK                          4

2.       SOZIALES UND POLITISCHES VERTRAUEN –
         BEGRIFFE UND EINFLUSSFAKTOREN                    7

3.      DIE UMFRAGE:
        VERTRAUEN IN DIE DEMOKRATIE                       27

4.      VERTRAUEN ZURÜCKGEWINNEN –
        VORSCHLÄGE FÜR DIE POLITIK                        76

         Abbildungverzeichnis                            82
         Literaturverzeichnis                            83
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN                                                                              2

Auf einen Blick

Weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland ist damit      Aussage, es sei ein Problem, dass sich ärmere Bürger_innen
zufrieden, wie die Demokratie in unserem Land funktioniert.       seltener an Wahlen beteiligen (71 Prozent).
Zwei Drittel glauben, dass es den nachfolgenden Generatio-
nen schlechter gehen wird. Das ist das besorgniserregende         Deutlich wird der Zusammenhang vor allem in der Bewer-
Ergebnis der vorliegenden Studie.                                 tung von Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik. Über zwei Drittel
                                                                  der Befragten sind sich einig, dass ein erheblicher Teil der
                                                                  Bevölkerung nicht von der guten wirtschaftlichen Entwick-
GESPALTENE GESELLSCHAFT                                           lung profitiert. Besonders schlecht fällt die Bewertung der Po-
                                                                  litikergebnisse in den Bereichen Rente und Wohnen aus. Hier
Vor allem sozial schlechtergestellte Bürger_innen haben we-       sind nur rund 25 bzw. 15 Prozent damit zufrieden, wie der
nig Vertrauen in die politischen Prozesse und Ergebnisse. Da-     Staat seine Aufgaben erfüllt.
zu zählen mehr als 70 Prozent derjenigen, die sich selbst der
Arbeiter- oder Unterschicht zuordnen, und 67 Prozent der
Menschen mit geringem Einkommen.                                   DEMOKRATIEZUFRIEDENHEIT UND
                                                                  ­POLITIKERGEBNISSE
Auch regional zeigen sich erhebliche Unterschiede. In West-
deutschland ist knapp die Hälfte der Bürger_innen zufrieden       Die Bewertung von Sozial- und Wirtschaftspolitik und die Zu-
mit der Demokratie. In Ostdeutschland hingegen ist es nur         friedenheit mit dem Funktionieren des politischen Systems
etwas mehr als ein Drittel. Auffallend ist, dass dieser Abstand   hängen deutlich zusammen. Diejenigen, die mit der Sozialpo-
zwischen den Werten in Ost und West seit der Wiederverei-         litik unzufrieden sind, sind auch zu fast zwei Dritteln mit dem
nigung nahezu unverändert geblieben ist.                          Funktionieren der Demokratie unzufrieden. Unter denjenigen,
                                                                  die einen Anstieg sozialer Ungleichheit feststellen, sind
                                                                  60 Prozent unzufrieden.
KRITIK AM POLITISCHEN SYSTEM

Die Unzufriedenheit richtet sich einerseits dagegen, wie das      VERTRAUEN ZURÜCKGEWINNEN
politische System funktioniert. Sie entzündet sich aber auch
an den Ergebnissen von Politik. Erfreulich ist, dass nur eine     Neben einem differenzierten Bild des Vertrauensverlustes
verschwindend geringe Minderheit von rund einem Prozent           bietet die Studie zahlreiche Ansatzpunkte, wie Vertrauen zu-
ein autoritäres Regierungsmodell der Demokratie vorzieht.         rückgewonnen werden kann. Dazu gehört der deutliche
Bei der Frage nach verschiedenen Demokratiemodellen wird          Wunsch nach mehr Möglichkeiten der Beteiligung. Zum ei-
jedoch die Unzufriedenheit mit dem aktuellen repräsentati-        nen befürworten die Befragten Verfahren der direkten De-
ven System deutlich. Letzteres rangiert in der Zustimmung         mokratie. Hier muss man allerdings feststellen, dass die Be-
knapp hinter der Volksgesetzgebung. Hinzu kommt, dass die         geisterung dafür seit dem Brexit abgenommen hat. Zudem
Menschen den Politiker_innen allgemein ein schlechtes Zeug-       meinen fast 90 Prozent der Befragten, ihre Mitbürger_innen
nis ausstellen, auch wenn immerhin zwei Drittel anerkennen,       seien nur mangelhaft politisch informiert. Nimmt man hinzu,
dass diese einen schweren Job haben. Die allgemeine Unzu-         dass die Menschen erhebliche gesellschaftliche Spaltungen
friedenheit geht einher mit dem deutlichen Wunsch nach            sehen, scheint zweifelhaft, ob es dem gesellschaftlichen
mehr Möglichkeiten, sich politisch zu beteiligen.                 Fortschritt zuträglich wäre, politische Entscheidungen auf Ja/
                                                                  Nein-Fragen zu reduzieren.

KRITIK AN ERGEBNISSEN VON POLITIK
                                                                  GELOSTE BÜRGER_INNENFOREN
Daneben gibt es viele Hinweise, dass auch die Kritik an den
Ergebnissen von Politik mitverantwortlich für die verbreitete     Eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie, die sowohl
Unzufriedenheit ist. Beide Aspekte sind eng miteinander ver-      der Komplexität von Politik Rechnung trägt als auch das Risiko
bunden. Das zeigt nicht zuletzt die hohe Zustimmung zu der        sozialer Selektivität begrenzt, können repräsentative Bürger_
VERTRAUEN IN DEMOKRATIE                                                                                                                    3

innenforen (Loskammern) sein. Diese sind zum Beispiel in Ir-       ten. Wir müssen dieses Vertrauen wiederherstellen, um unse-
land erfolgreich eingesetzt worden. Zwei Drittel der Befrag-       re Demokratie auf Dauer nicht zu gefährden. Politik muss
ten befürworten solche deliberativen Beteiligungsformen.           wieder stärker hinsehen, hinhören und sich öffnen und der
Neben den klassischen Wegen der politischen Willensbildung         Staat muss wieder mehr anpacken und gestalten – im Sinne
über Parteien und andere Akteur_innen bieten diese Bürger_         eines solidarischen Miteinanders.
innenforen die Chance, gesellschaftliche Zukunftsfragen oder
konkrete Gesetzesvorhaben unter Einbeziehung von Bürger_           Wir knüpfen mit dieser Studie als FES an eine intensive
innen zu diskutieren, eine breitere öffentliche Debatte anzu-      ­Beschäftigung mit dem Themenfeld „Demokratie und Ver-
stoßen und eine Beratungsfunktion für die politischen Ent-         trauen“ an.1 Herzlich danken möchten wir Prof. Frank Decker
scheidungsträger_innen auszuüben. Dies würde nicht nur die         und seinem Team von der Universität Bonn bestehend aus
politische Selbstwirksamkeit der Bürger_innen und den ge-          Volker Best, Sandra Fischer und Anne Küppers sowie Roberto
sellschaftlichen Konsens und Zusammenhalt stärken. Es könn-         Heinrich und Jürgen Hofrichter von Infratest dimap.
te darüber hinaus dazu beitragen, politische Entscheidungen
zusätzlich zu legitimieren.                                        Wir wollen mit dieser Studie die notwendige Debatte darüber
                                                                   bereichern, wie das Vertrauen in unsere Demokratie gestärkt
                                                                   werden kann. Die Friedrich-Ebert-Stiftung wird in den kom-
WUNSCH NACH AKTIVEM STAAT                                          menden Monaten konkrete Vorschläge machen, wie wir un-
                                                                   sere Demokratie gemeinsam stärken und beleben können.
Sehr klar belegen die Umfrageergebnisse den Wunsch der
 Bürger_innen nach einem aktiven Staat, der sich für den ge-
sellschaftlichen Zusammenhalt und den Abbau bestehender            JOCHEN DAHM
 Ungleichheiten einsetzt. Deutlich wird dies etwa an hohen         Leiter der Akademie für Soziale Demokratie der
Zustimmungswerten für eine höhere Besteuerung von hohen            Friedrich-Ebert-Stiftung
Vermögen und Einkommen, für die „beste“ Personal- und
­Finanzausstattung an Schulen in ärmeren Stadtteilen, für den      JOHANNES DAMIAN
 Einsatz von Steuermitteln zur Verbesserung des Ö
                                                ­ PNV, aber        Referat Kommunikation und Grundsatzfragen der
 auch für Maßnahmen wie den Ankauf von Steuer-­CDs.                Friedrich-Ebert-Stiftung

Interessant sind die Präferenzen in den Bereichen, in denen        ALINA FUCHS
die Befragten mit dem Handeln des Staates besonders unzu-          Forum Politik und Gesellschaft der
frieden sind: Rente und Wohnen. Unter den Befragten gibt es        Friedrich-Ebert-Stiftung
über alle politischen Lager hinweg eine Zustimmung zu einer
Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung. Im Politikfeld Woh-
nen finden auch weitreichende Maßnahmen wie ein Vor-
kaufsrecht der öffentlichen Hand die Zustimmung von zwei
Dritteln der Befragten.

Eine ähnlich hohe Zustimmung gibt es für eine präsente Kom-
mune, welche die Bürger_innen auch außerhalb von Rathaus
und Ämtern aktiv über deren Ansprüche und Mitwirkungs-
möglichkeiten informiert. Eine differenzierte Unterstützung
von Regionen – wie sie der Disparitätenbericht der FES kürz-
lich nahegelegt hat – wird ebenfalls positiv bewertet. So sind
etwa 87 Prozent der Befragten für schnelles Internet in Rand-
regionen.

Dass eine solche solidarische Politik unsere Gesellschaft wie-
der stärker einen kann, zeigt sich auch an diesem Wert: Über
90 Prozent kritisieren, der gesellschaftliche Zusammenhalt ha-
be gelitten, weil „Egoismus heute mehr zählt als Solidarität“.

DAS BESSERE MORGEN

Im Rahmen des Projekts „Für ein besseres Morgen“ entwi-
ckelt die Friedrich-Ebert-Stiftung politische Vorschläge für die
                                                                   1   Christian Krell/Tobias Mörschel (2012), Demokratie in Deutschland;
großen Herausforderungen unserer Zeit und bezieht Position.            Katrin Matuschek (2014), Vertrauen schaffen! Politik und Glaubwür-
Wir glauben, diese Studie macht deutlich:                              digkeit; Martin Hartmann (2017), Krise des Vertrauens – Politik in der
                                                                       Krise; Alina Fuchs/Dietmar Molthagen (Hrsg.) (2019, im Erscheinen),
                                                                       Trust me if you can! Die Bedeutung von Vertrauen für die Demokratie;
Das Vertrauen, dass unsere Demokratie alle hört und das Le-            Thomas Hartmann/Frank Decker/Jochen Dahm (2019, im Erscheinen),
ben der Menschen im Alltag verbessert, hat erheblich gelit-            Zukunft der Demokratie.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN                                                                                            4

1

EINORDNUNG UND METHODIK

Vertrauen ist ein Schlüsselbegriff der sozialen Beziehungen          gewählt sind, aber nicht unbedingt demokratische Werte und
und damit auch der Demokratietheorie. In der Demokratiefor-          Prinzipien vertreten. Dass sie nicht zögern werden, ihre illibe-
schung hat er jahrzehntelang ein Schattendasein gefristet –          ralen und antipluralistischen Vorstellungen umzusetzen, ha-
hier dominierten seit den 1960er Jahren andere Konzepte              ben sie dort, wo sie selbst über Regierungsmacht verfügen,
wie das der politischen Kultur (Almond/Verba 1963), der dif-         bereits hinlänglich bewiesen.
fusen oder spezifischen Unterstützung (Easton 1975) und der
Legitimation bzw. Legitimität (Easton 1965). Soziologische           Welche Ursachen liegen der Repräsentations- und Vertrau-
Arbeiten wie die von Niklas Luhmann (1968), der das Vertrau-         enskrise zugrunde? In der Rechtspopulismusforschung kon-
en als Mechanismus begreift, um soziale Komplexität zu re-           kurrieren Erklärungsangebote, die eher auf gesellschaftlich-
duzieren und den Menschen dadurch in seiner Umgebung                 kulturelle (Koppetsch 2019) oder auf ökonomische Faktoren
handlungsfähig zu machen, fanden in der Politikwissenschaft          (Manow 2018) abstellen. In der vorliegenden Studie greifen
wenig Widerhall. Erst in den 1990er Jahren erfuhr das Ver-           wir diese Dreiteilung auf. Im ersten Teil geht es um die politi-
trauenskonzept eine Renaissance, die vor allem auf die Arbei-        schen Institutionen im engeren Sinne, also das, was soeben
ten von Robert Putnam (1993) zurückgeht. Darin analysierte           als Input-Legitimation bezeichnet wurde, im zweiten Teil um
er, welche Bedeutung soziales Vertrauen und das Vorhanden-           die Output-Legitimation durch sozial- und wohlfahrtsstaatli-
sein von Sozialkapital in einer Zivilgesellschaft für ein stabiles   che Politik und im dritten Teil um den von ökonomischen und
Funktionieren der Demokratie gewinnen.                               kulturellen Entwicklungen bestimmten gesellschaftlichen Zu-
                                                                     sammenhalt. Dass die drei Bereiche stark ineinandergreifen,
Die Rede von einer Vertrauenskrise unserer heutigen Demo-            liegt auf der Hand. So wie Input- und Output-Legitimation
kratie ist gängige Münze und – bei aller Vielschichtigkeit des       eng aufeinander bezogen sind und sich gegenseitig stärken
Krisenbegriffs (Merkel 2015) – empirisch unabweisbar. Nie-           oder schwächen (Decker et al. 2013: 10 ff.), 2 so haben wir es
derschlag findet sie zum einen in der abnehmenden Zufrie-            im dritten Bereich mit Faktoren zu tun, die der Demokratie
denheit mit dem Funktionieren der Demokratie, die sich wie-          selber vorausgehen und durch staatliches Handeln nur partiell
derum aus zwei Quellen speist: der Bewertung der politischen         beeinflussbar sind. Die Handlungsempfehlungen am Schluss
Institutionen und Wahrnehmung der eigenen politischen Rol-           müssen solche Restriktionen berücksichtigen. Das in der For-
le (Selbstwirksamkeit) und der Bewertung der inhaltlichen            schung bis heute letztlich ungeklärte Rätsel der Ursache-Wir-
Politik und staatlichen Aufgabenerfüllung. Das Erstgenannte          kungs-Richtung (sind es die Institutionen und die im Rahmen
wird in der Demokratietheorie als „Input-Legitimation“, das          dieser Institutionen von den Akteur_innen betriebene Politik,
Letztgenannte als „Output-Legitimation“ bezeichnet.                  die zur Vertrauensbildung beitragen, oder ist das Vertrauen
                                                                     Voraussetzung, damit gute Institutionen entstehen und eine
Zum anderen verändern sich das Wähler_innenverhalten und             gute Politik hervorbringen?) kann und wird auch diese Studie
in dessen Folge die Parteiensysteme. Während sich ein wach-          nicht auflösen.
sender Teil der Bürger_innen ganz von der Politik verabschie-
det, indem er den Wahlen fernbleibt, wendet sich der andere          Vertrauen ist nicht per se etwas Positives und Misstrauen nicht
vermehrt systemkritischen oder -oppositionellen Randpartei-          per se schlecht. Es kommt darauf an, wer jeweils vertraut oder
en und hier vor allem dem Rechtspopulismus zu. Dessen Er-            misstraut und wem das Vertrauen oder Misstrauen entge-
starken und der gleichzeitige Niedergang der einstmals „sys-         gengebracht wird (Warren 2018). Dass die Demokratie als
temtragenden“ Volksparteien sind der prominenteste und               Staatsform dem Wesen nach auf Misstrauen beruht, ist in
sichtbarste Ausdruck der gegenwärtigen Vertrauenskrise.              ihrem Sprachgebrauch fest eingewoben – so bildet etwa die
Diese stellt im Kern eine Krise des Vertrauens in die repräsen-      jederzeit mögliche Abberufung der Regierung bzw. des
tativen Institutionen der parlamentarischen Parteiendemokra-
tie dar, weshalb man sie auch als „Repräsentationskrise“ apo-
strophieren kann. Manche Autor_innen sehen in dieser
Entwicklung kein Alarmzeichen, sondern deuten sie als „de-           2   Den Vorrang der Output-Legitimation betont demgegenüber Gio-
mokratisierenden Zuwachs im pluralistischen Parteienange-                vanni Sartori (1992: 235): „Für die breite Bevölkerung bedeutet Volks-
                                                                         herrschaft [...] kaum, dass das Volk wirklich die Macht in die Hände
bot“ sogar eher positiv (ebd.: 480). Damit wird freilich ausge-          nehmen sollte, sondern die Erfüllung der Wünsche und Bedürfnisse
blendet, dass die neuen Rechtsparteien zwar demokratisch                 des Volkes.“
VERTRAUEN IN DEMOKRATIE                                                                                                         5

Regierungschefs durch ein „Misstrauensvotum“ des Parla-           sen. Diese Antwortoptionen wurden bei den meisten Fragen
ments die institutionelle Grundlage des parlamentarischen         von weniger als fünf Prozent und bei keiner Frage von mehr
Systems (Steffani 1979: 39 f.). Unzufriedenheit und wachsen-      als zehn Prozent der Befragten gewählt.
des Misstrauen der Wähler_innen gegenüber den Regieren-
den und den demokratischen Institutionen sind nicht mit un-       Um die Nähe oder Ferne der Befragten zu den Parteien zu
demokratischen Einstellungen oder einer systemfeindlichen         ermitteln, haben wir einerseits nach dem Wahlverhalten bei
Haltung gleichzusetzen. Bedenklich wird es erst, wenn sie         der letzten Bundestagswahl und andererseits nach der „am
eine bestimmte „systemkritische“ Schwelle überschreiten.          besten gefallenden“ Partei gefragt. Dient die Rückerinne-
                                                                  rungsfrage auch dazu, Informationen über die Nichtwähler_
Der Hauptteil der Studie besteht aus zwei in etwa gleich langen   innen zu erlangen, ist sie für eine genaue Bestimmung der
Kapiteln – einem Literaturbericht, der Schneisen in die wis-      Parteianhänger_innenschaft weniger gut geeignet, da es bei
senschaftliche Diskussion zum Thema „Vertrauen und Demo-          der Erinnerung aus vielerlei Gründen nachweislich oft zu
kratiezufriedenheit“ zu schlagen versucht, und einer Bevölke-     Verzerrungen kommt (Schoen/Kaspar 2009). Deshalb haben
rungsumfrage, deren Ergebnisse dargestellt und interpretiert      wir hierfür die präferierte Partei zugrunde gelegt. Die Befrag-
werden. Anschließend folgen einige zusammenfassende               ten konnten dabei auch angeben, dass ihnen keine Partei
Handlungsempfehlungen. Der Literaturbericht rezipiert die         gefällt.
internationale, stark angelsächsisch dominierte ebenso wie
die deutschsprachige Forschung. Letzteres ist wichtig, weil        Der Fragebogen enthält sowohl bewährte Messinstrumente
sich der nachfolgende empirische Teil ausschließlich auf die      (beispielsweise die Frage zur Zufriedenheit mit dem Funktio-
Bundesrepublik bezieht. Fragebogen bzw. Umfrage folgen             nieren der Demokratie oder zum Institutionenvertrauen) als
derselben Dreiteilung, die dem Literaturbericht und der Studie    auch neue Messinstrumente zu den Reformpräferenzen der
insgesamt zugrunde liegt.                                          Befragten, den Problemen der repräsentativen Demokratie
                                                                  und der Bewertung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Die Umfrage fand als telefonische Repräsentativbefragung          Standardmäßig wurden ebenfalls die wesentlichen soziode-
(computergestützte Telefonumfrage – CATI) im Erhebungs-            mografischen und -ökonomischen Merkmale der Befragten
zeitrum 4. März bis 2. April 2019 statt. Sie wurde vom Berliner   wie Alter, Geschlecht, Bildung, Haushaltseinkommen, soziale
Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap unter Leitung          Schichtzugehörigkeit und Erwerbsstatus, aber auch der
von Roberto Heinrich und Jürgen Hofrichter durchgeführt, die       Migrationshintergrund erhoben. Über einen solchen verfügen
zusammen mit ihrem Team auch an der Erstellung und „Op-            entsprechend der Definition des Statistischen Bundesamtes
timierung“ des Fragebogens mitgewirkt haben. Die Grund-           alle Personen, die selbst oder von denen mindestens ein
gesamtheit bilden Deutsche ab 18 Jahren in Privathaushalten.      ­Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren
Die repräsentative Zufallsstichprobe umfasst 2.500 Befragte.      sind. Die sozialdemografischen und -ökonomischen Merk­
Sie wurde bewusst hoch angesetzt, um auch in regionaler            male werden ebenso wie die Abfrage des allgemeinen und
Hinsicht möglichst repräsentative Befunde zu erlangen. Als        spezifischen Vertrauens mit dem Antwortverhalten in den
Regionen werden unterschieden: Ostdeutschland (neue               anderen Bereichen gekreuzt, um genauere Auskunft über
Bundesländer einschließlich Berlin), Norden (Niedersachsen,        die verschiedenen Untergruppen zu erhalten.
Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen), Süden (Bayern,
Baden-Württemberg) und Westen (Nordrhein-Westfalen,               Aus den erhobenen Daten wurde für die Auswertung eine
Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland). Für die westliche Re-       Reihe von Indizes gebildet, nämlich zum Institutionenvertrau-
gion wird das Ruhrgebiet noch einmal getrennt ausgewiesen.         en, zum Politiker_innenbild, zur Bewertung der sozialstaatli-
                                                                   chen Aufgabenerfüllung und zur Wahrnehmung gesellschaft-
Den Antworten auf alle inhaltlichen Fragen zum Vertrauen           licher Konflikte. Beim Politiker_innenbild war hierfür eine
sowie den Einstellungen und Reformwünschen der Befragten           Umcodierung der Hälfte der Items erforderlich, damit alle
liegt eine vierstufige Skala (ohne die Kategorie „teils/teils“)    Items die gleiche Richtung (positiv versus negativ) aufwiesen.
zugrunde. Auf eine solche Mittelkategorie wurde bewusst            Beim Institutionenvertrauen wurden nur Bundesregierung,
verzichtet, weil sie von Befragten gerne als Ausflucht genutzt     Bundestag, Parteien, Justiz/Gerichte und Medien einbezogen,
wird, damit sie sich – insbesondere bei heiklen Themen –           also die für die Formulierung, Anwendung und Auslegung
nicht klar positionieren müssen. Auch wenn Befragte die Fra-      von Recht sowie die Information der Öffentlichkeit maßgeb-
ge ansonsten mit „keine Angabe“ oder „weiß nicht“ beant-           lichsten Institutionen. Die einzelnen Items innerhalb der Indi-
worten würden, kann es passieren, dass sie aus Gründen der        zes wurden gleich gewichtet und die ordinale Antwortskala
sozialen Erwünschtheit lieber die mittlere Antwortkategorie        als quasimetrisch behandelt (zum Beispiel sehr großes Ver-
wählen, um ihr Unwissen oder ihre fehlende Einstellung zu          trauen = 4, großes Vertrauen = 3, wenig Vertrauen = 2, kein
verbergen. Des Weiteren wird die Mittelkategorie bisweilen        Vertrauen = 1). Je nachdem, ob der arithmetische Mittelwert
von demotivierten oder ermüdeten Befragten genutzt, die            für die Elemente eines Index größer oder kleiner als 2,5 war,
damit ihren kognitiven Aufwand bei der Beantwortung des            wurden die Befragten in zwei Gruppen unterteilt (zum Bei-
Fragebogens reduzieren wollen („Satisficing“-Verhalten). In        spiel großes versus geringes Institutionenvertrauen). Aus den
Kauf genommen wird mit einer Skala ohne mittlere Antwort-          Items „Demokratiezufriedenheit“ und „politisches Interesse“
kategorie allerdings, dass Befragte mit tatsächlich neutraler      (als Proxy für aktives/passives Verständnis der eigenen Rolle
oder ambivalenter Einstellung in weniger passende Antwort-         als Bürger_innen) wurden vier Typen von Bürger_innen kon-
kategorien gezwungen werden. Die Angaben „weiß nicht“              struiert (siehe Abb. 1 im Literaturbericht). 2 Bei den hierfür
oder „keine Angabe“ wurden aus der Analyse ausgeschlos-           ­verwendeten Dummy-Variablen wurde mittleres politisches
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN                         6

Interesse als niedrig eingeordnet und somit als passives Rol-
lenverständnis gewertet. 3

Einzelne Fragen (Meinung zu Politiker_innen, demokratiepo-
litische Vorschläge sowie sozialstaatliche Reformpräferenzen
mit Ausnahme der Items „aufsuchende Kommune“ und „Vor-
kaufsrecht“) wurden – um die Interviewdauer zu reduzieren –
nur der Hälfte des Samples vorgelegt. Die durchschnittliche
Dauer eines Interviews lag bei 25 Minuten. Um ein Interview
zu erhalten, mussten 15 Teilnehmer_innen angewählt wer-
den – ein üblicher Wert. Auch die Abbrecher_innenquote
bewegte sich mit 0,5 Prozent im normalen Rahmen. Befragte,
die ein Interview begannen, führten es also in fast allen Fällen
auch vollständig zu Ende.

3   Denk et al. (2015: 366) ziehen darüber hinaus für die Systembewer-
    tung noch das Vertrauen in das Parlament, die Parteien und die Po-
    litiker_innen sowie für das Rollenverständnis noch zwei Items zur
    politischen Selbstwirksamkeit hinzu, gewichten diese aber jeweils
    deutlich geringer als die Demokratiezufriedenheit und das politische
    Interesse. Im Ergebnis erscheinen sie uns verzichtbar.
VERTRAUEN IN DEMOKRATIE                                                                                                           7

2

SOZIALES UND POLITISCHES VERTRAUEN –
BEGRIFFE UND EINFLUSSFAKTOREN

Nachfolgend soll ein kurzer Überblick über die nationale und       Komplexität besteht darin, dass wir trotz aller Bemühungen
internationale Forschung zum Vertrauenskonzept und dessen          um Organisation und rationale Planung niemals genau wis-
empirischer Verwendung in der Politikwissenschaft gegeben          sen können, wie sich unser Handeln auswirkt. Diese Unsicher-
werden. Wir gehen in vier Schritten vor. Am Beginn stehen die       heiten müssen absorbiert werden. In Unternehmen wird
theoretischen Grundlagen. Hier soll gezeigt werden, was un-        ­diese Aufgabe typischerweise von den Manager_innen über-
ter sozialem und politischem Vertrauen im Allgemeinen zu           nommen, im Staat von den Politiker_innen. Ob sie darin er-
verstehen ist und wie sich der Vertrauensbegriff zum Konzept       folgreich sind, kann nur im Nachhinein beurteilt werden. „Die-
der politischen Unterstützung sowie zur Bestimmung und             ses Zeitproblem überbrückt das Vertrauen, das als Vorschuß
empirischen Messung der Demokratie(un)zufriedenheit ver-           auf den Erfolg im voraus auf Zeit und auf Widerruf gewährt
hält. Im zweiten Teil geht es um die Input-Legitimation und        wird, zum Beispiel durch Einsetzung von Personen in Ämter,
das Institutionenvertrauen. Die Input-Seite eines politischen      durch Kapitalkredit usw. Das Komplexitätsproblem wird auf
Systems umfasst die politischen Institutionen und Normen           diese Weise verteilt und dadurch verkleinert: Einer vertraut
(„polity“), die die Verarbeitung der innerhalb der Gesellschaft    dem anderen vorläufig, daß er unübersichtliche Lagen erfolg-
vorhandenen politischen Einstellungen und Präferenzen              reich meistern wird, also Komplexität reduziert, und der an-
strukturieren. In einem weiteren Sinne können auch die inner-       dere hat auf Grund solchen Vertrauens größere Chancen, tat-
halb des Institutionengefüges ablaufenden Prozesse („poli-         sächlich erfolgreich zu sein“ (Luhmann 1968: 30 f.).
tics“) hierunter gefasst werden. Der dritte Teil wendet sich der
Bedeutung des Vertrauens auf der Output-Seite zu, also der         Die verlässlichsten Anhaltspunkte für Vertrauen stellen eige-
konkreten Gesetzgebungstätigkeit, bzw. auf der Outcome-            ne Erfahrungen mit dem Handeln anderer in der primären
Seite, den intendierten und nicht intendierten Folgen von          Lebenswelt dar. Die auf diesen Erfahrungen basierenden In-
Staatstätigkeit. Die Leistungsfähigkeit eines politischen Sys-     formationen werden generalisiert und in die Zukunft projiziert.
tems gilt als ein zentraler Bestimmungsfaktor des politischen      Luhmann (ebd.: 22) bezeichnet diese Voraussetzung von Ver-
Vertrauens. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob und auf wel-        trauen als Vertrautheit. Das Problem des interpersonalen Ver-
che Weise (Wohlfahrts-)Staatstätigkeit Einfluss auf das soziale    trauens liegt in seiner begrenzten Reichweite. Ich kann Freun-
und politische Vertrauen bzw. die Demokratiezufriedenheit          den, Bekannten und Kolleg_innen vertrauen, aber es gibt
ausübt. Der abschließende vierte Abschnitt fragt, welche öko-      keine überzeugenden Gründe, Fremden zu vertrauen, die ich
nomischen und kulturellen Entwicklungen dem abnehmen-              nicht kenne und über die ich demzufolge keine bedeutsamen
den gesellschaftlichen Zusammenhalt zugrunde liegen. Dabei         Informationen haben kann. In den komplexen Gesellschaften
wird einerseits auf soziologische Erklärungsansätze, anderer-      der Moderne ist das Individuum aber permanent genötigt, als
seits auf das politikwissenschaftliche Cleavage-Konzept und        Akteur_in innerhalb des wirtschaftlichen und politischen Sys-
dessen Anwendung in der neueren Populismus- bzw. Rechts-           tems in der Gegenwart Entscheidungen zu treffen, die mit
populismusforschung zurückgegriffen.                               dem Handeln fremder Personen in der Zukunft rechnen müs-
                                                                   sen. Auf diese Weise entsteht ein Bedarf an Vertrauen, das –
                                                                   so Luhmann – „immer weniger durch Vertrautheit gestützt
A) SOZIALES UND POLITISCHES VER-                                   werden kann“ (ebd.: 24). Ist ein solches Vertrauen überhaupt
TRAUEN – THEORETISCHE GRUNDLAGEN                                   möglich?

                                                                   Das Vertrauen, das damit gemeint ist und das komplexe Ge-
VERTRAUEN ALS SOZIALWISSENSCHAFT-                                  sellschaften erfordern, ist das Vertrauen in Institutionen. Diese
LICHER BEGRIFF                                                     basieren auf bestimmten Werten und Normen, die die Bür-
                                                                   ger_innen kennen und teilen und von denen sie wissen oder
Dieser einführende Abschnitt soll drei Fragen beantworten:         annehmen, dass sie auch die anderen Bürger_innen kennen
Was ist Vertrauen? Wie entsteht Vertrauen? Und welche Be-          und teilen. Indem wir den anderen Bürger_innen auf diese
ziehung besteht zwischen sozialem und politischem Vertrauen?       Weise vertrauen, vertrauen wir zugleich den Entscheidungs-
                                                                   träger_innen, die im Rahmen der politischen Institutionen
Der Soziologe Niklas Luhmann betrachtet Vertrauen als einen        handeln. Für dieses Vertrauen sind keine weiteren Informati-
Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität. Die soziale        onen über die anderen notwendig, es kann sich also auch auf
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN                                                                                              8

fremde Personen beziehen, mit denen wir im luhmannschen            an denselben Personenkreis denken und sich die Breite oder
Sinne nicht vertraut sind. Streng genommen handelt es sich         Enge des Vertrauensradius kulturell unterscheidet. 4
bei diesem Konzept nicht um ein Vertrauen in Institutionen,
sondern weiterhin um ein Vertrauen in andere Akteur_innen
bzw. Personen, nur dass die Quellen des Vertrauens weniger         MÖGLICHE ERKLÄRUNGEN – WOHER KOMMT
in den Akteur_innen selbst liegen als in den Werten und Nor-       SOZIALES VERTRAUEN?
men der Institutionen, die ihr Verhalten steuern.
                                                                   Darüber, worin der Ursprung sozialen Vertrauens liegt,
Delhey und Newton (2005: 311) definieren Vertrauen als die         herrscht keine Einigkeit und gibt es eine Vielzahl von Erklä-
Überzeugung, dass die Akteur_innen oder Institutionen, de-         rungsansätzen mit widersprüchlichen empirischen Ergebnis-
nen man sein Vertrauen schenkt, einem willentlich oder wis-        sen. Glanville und Paxton (2007: 231) unterscheiden zwei
sentlich keinen Schaden zufügen werden und bestenfalls im          theo­retische Perspektiven: Vertrauen beruht demnach entwe-
Interesse der/des Vertrauenden handeln werden.                     der auf Erfahrungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens
                                                                   macht, oder Vertrauen ist eine Veranlagung, die ein Mensch
Laut Putnam ist Sozialkapital, dessen Hauptbestandteil sozia-      von Geburt an besitzt oder in frühester Kindheit entwickelt.
les Vertrauen ist, Voraussetzung dafür, dass Menschen ko-          Das impliziert, dass das Maß an Vertrauen sich nicht oder
operieren können. Ohne Vertrauen bleiben Probleme des              kaum durch Erfahrungen ändern lässt.
kollektiven Handelns bestehen, das heißt, eigentlich stünden
alle besser da, wenn sie kooperieren würden, aber gleichzei-       Laut Putnam ist der durch Vertrauen bewirkte soziale und
tig hat die/der Einzelne einen rationalen Anreiz, sich egois-      kulturelle Zusammenhalt der Bürger_innen in einer Zivilgesell-
tisch zu verhalten, und erwartet ein ebensolches Verhalten         schaft, der sich an ihrem Engagement in freiwilligen Organi-
auch von ihrem/seinem Gegenüber. Ein einzelner Mensch              sationen oder Netzwerken festmacht, der maßgebliche Fak-
verhält sich für sich genommen rational, aber das Gesamter-        tor für die Qualität und Stabilität einer Demokratie. In der
gebnis ist nicht rational im Sinne aller (Putnam 1993: 164).       bahnbrechenden Studie „Making Democracy Work“ 5 unter-
Vertrauen hilft uns folglich dabei, Probleme des kollektiven       suchte er diese Zusammenhänge am Beispiel Italiens, wo das
Handelns aufzulösen.                                               Sozialkapital zwischen dem Norden und Süden des Landes
                                                                   sehr unterschiedlich verteilt ist. In seinem zweiten wichtigen
Vertrauen ist kein einheitliches Konzept. Es ist zwischen par-     Werk, das unter dem Titel „Bowling Alone“ im Jahre 2000
tikularem sozialem Vertrauen, generellem (oder generalisier-       erschien,6 beschrieb Putnam, wie sich das Sozialkapital in den
tem) sozialem Vertrauen und politischem Vertrauen zu unter-        USA seit Ende des Zweiten Weltkrieges in einem schleichen-
scheiden. Eine Person kann dabei – je nach Art des Vertrauens      den Prozess aufgelöst habe. Infolge der Ausbreitung individu-
(partikular, generell, politisch) – ein unterschiedlich hohes      alistischer Selbsterfahrungswerte, der Durchsetzung des Fern-
Maß an Vertrauen aufweisen. Partikulares soziales Vertrauen        sehens als dominierender Form der Freizeitgestaltung, der
meint Vertrauen in die Familie, Freund_innen, die Nachbar-         Technisierung menschlicher Kommunikationsbeziehungen
schaft – also Menschen, die uns persönlich bekannt sind, und       und der erhöhten Mobilität verbrächten die Menschen ihre
Menschen, die so sind wie wir. Generelles soziales Vertrauen       Freizeit nicht mehr gemeinsam mit anderen in Sport- und Ge-
bezieht sich dagegen auf Menschen, denen wir zum ersten            sangvereinen, Kegelclubs und Wohltätigkeitsorganisationen.
Mal begegnen, Menschen anderer Nationalität oder anderer           Stattdessen säßen sie vor ihren Fernsehgeräten oder PCs, gin-
Religion (Newton/Zmerli 2011: 171). Besonders letztere Art         gen alleine zum Bowlen und beruhigten ihr soziales Gewis-
von Vertrauen ist für das Zusammenleben in modernen und            sen mit Geldspenden für karitative Zwecke.
komplexen Gesellschaften aber unabdingbar (ebd.). Unter po-
litischem Vertrauen wird Vertrauen in bestimmte Politiker_in-      Putnam reklamiert die Erfindung des Begriffs „Sozialkapital“
nen oder in die politischen Institutionen (wie die Regierung,      nicht für sich, sondern verweist darauf, dass das Konzept in
das Parlament oder die Parteien) verstanden. Vertraut wird         seinen Grundzügen bereits im frühen 20. Jahrhundert von
dabei im Prinzip den Akteur_innen, die innerhalb dieser Insti-     einem Pädagogen namens Lyda Judson Hanifan (1920) ent-
tutionen ein Amt innehaben. Nur speist sich dieses Vertrauen       wickelt wurde. Hanifan definierte das Sozialkapital als Produkt
aus den Werten und Normen der jeweiligen Institutionen, die        informeller Nachbarschaftsbeziehungen und solidarischer
das Verhalten der Akteur_innen leiten (Warren 2018: 88).           Netzwerke in einer Gemeinde, das nicht nur der/dem Einzel-
                                                                   nen zum Vorteil gereiche, sondern zugleich der Verbesserung
Beinahe alle Menschen vertrauen der eigenen Familie. Je ent-       der Lebensbedingungen der gesamten Gemeinschaft und
fernter bzw. abstrakter aber das Objekt des Vertrauens ist, je     damit der allgemeinen Wohlfahrt diene. Der Grund dafür sei,
weiter also der Vertrauensradius gezogen ist, desto niedriger      dass die Netzwerke zur Entstehung von „Normen einer ver-
liegt der Anteil derjenigen, die diesem Objekt (etwa Men-          allgemeinerbaren Gegenseitigkeit“ beitrügen. Man tut etwas
schen, denen wir zum ersten Mal begegnen, Menschen an-             für die anderen, auch wenn man dafür keine unmittelbare
derer Religion) ihr Vertrauen schenken (Zmerli/Newton 2011: 74).   Gegenleistung erhält, weil man weiß, dass die anderen dieses
Generelles soziales Vertrauen wird zumeist mit der Frage ge-
messen, ob jemand den „meisten Menschen“ vertraut. In der
                                                                   4   Delhey et al. ( 2011) zeigen, dass der Radius derer, die die Befragten
Vertrauensliteratur wird vor allem in der ländervergleichenden         unter „meiste Menschen“ subsumieren, in asiatischen Ländern wie
Forschung vor dem unkritischen Einsatz dieses Items gewarnt,           Südkorea und China wesentlich enger ist als in westlichen Ländern.
da die Formulierung „meiste Menschen“ den Befragten einen          5   Putnam (1993).
Interpretationsfreiraum lässt. Das führt dazu, dass nicht alle     6   Putnam (2000).
VERTRAUEN IN DEMOKRATIE                                                                                                                    9

Verhalten irgendwann erwidern werden. Vertrauen wird damit         vertrauenswürdiges Verhalten sanktionieren, dafür sorgen,
zum „Gleitmittel“ des gesellschaftlichen Lebens. „Wenn wirt-       dass Menschen sich vertrauenswürdig verhalten.
schaftliches und politisches Handeln in dichte Netzwerke so-
zialer Interaktion eingebettet sind, verringern sich Anreize für   Zwei weitere Quellen für Vertrauen werden auf der gesell-
Opportunismus und Fehlverhalten“ (Putnam/Goss 2001: 21 f.).        schaftlichen Ebene identifiziert: In Gesellschaften mit einer als
Der Begriff „Kapital“ verweist darauf, dass solche Netzwerke       geringer wahrgenommenen Intensität sozialer Konflikte ist
nicht einfach da sind – wie physisches und Humankapital            das Vertrauen höher (Delhey/Newton 2002: 17). Zudem hat
müssen sie vielmehr aufgebaut und gepflegt werden. In sie          soziale Ungleichheit einen negativen Effekt auf soziales Ver-
zu investieren liegt dabei nicht nur im Interesse der Gemein-      trauen in einer Gesellschaft (Uslaner/Brown 2005).
schaft selbst, sondern ist auch eine Aufgabe des Staates.
                                                                   Auf der individuellen Ebene setzt dagegen die sogenannte
Besonders wichtig für die Herausbildung generellen sozialen        Gewinner_innenhypothese an. Sie besagt, dass die „Gewin-
Vertrauens sind laut Putnam sogenannte brückenbildende             ner_innen“ der Gesellschaft, also Menschen mit höherer Bil-
(„bridging“) Freiwilligenorganisationen, in denen Menschen         dung, höherem Einkommen, höherer sozialer Schichteinstu-
mit einem unterschiedlichen sozialen Hintergrund zusam-            fung, ein höheres Maß an sozialem Vertrauen haben.
menkommen. Bindendes („bonding“) Sozialkapital dient im            Vertrauen beruht hier vor allem auf Erfahrungen, die ein
Gegensatz dazu, Gruppenidentitäten zu stärken. Es entsteht         Mensch im Erwachsenenalter macht. Zmerli und Newton
in Organisationen mit einer homogenen Mitgliedschaft (Put-         (2011) unterschieden zwischen einem psychologischen, ei-
nam 2002: 22). Empirische Untersuchungen haben allerdings          nem rationalen, einem soziologischen und einem institutio-
gezeigt, dass Bürger_innen in Freiwilligenorganisationen in        nellen Erklärungsansatz für die Gewinner_innenhypothese.
der Regel ausschließlich mit ihresgleichen zusammenkom-            Psychologisch haben die Gewinner_innen mehr Grund, opti-
men, diese Organisationen also nicht dazu beitragen können,        mistisch zu sein, und Optimismus steht – so Uslaner – in en-
Vertrauen gegenüber Fremden zu entwickeln: „[I]f diversity         ger Verbindung zu hohem sozialem Vertrauen. Der rationale
matters for the socialization of cooperative values then volun-    Erklärungsansatz besagt, dass Vertrauen immer mit dem Ri-
tary associations might not be the place to look, as such          siko verbunden ist, enttäuscht zu werden. Die/der Vertrauen-
groups have been found to be relatively homogeneous in             de ist denen, denen er/sie vertraut, ausgeliefert. Die Gewin-
character“ (Stolle 2002: 26). Mehrere Autor_innen äußern zu-       ner_ innen der Gesellschaf t , das heißt die sozial
dem Kritik an der von Putnam vermuteten Richtung der kau-          Bessergestellten, können es sich eher leisten, dieses Risiko
salen Beziehung. Sie weisen darauf hin, dass Personen mit          einzugehen, denn sie verkraften es besser, Geld und/oder Ei-
einem ohnehin hohen Maß an sozialem Vertrauen eher bereit          gentum zu verlieren, wenn ihr Vertrauen missbraucht wird.
sind, sich in Freiwilligenorganisationen zu engagieren (Stolle     Die soziologische Erklärung geht davon aus, dass Besserge-
2002: 25; Uslaner 1999: 146).                                      stellte in einem vertrauenswürdigeren Umfeld leben. Sozial
                                                                   schlechtergestellte Menschen haben in ihrem Umfeld häufi-
Die Theoretiker_innen des Sozialkapitals haben plausibel zei-      ger Kontakt mit Krankheiten, Gewalt, Kriminalität, Diskriminie-
gen können, warum das Engagement in bürgergesellschaft-            rung oder Drogen. Diejenigen, die sich auf der Gewinner_innen-
lichen Vereinigungen sich positiv auf das soziale und politi-      seite der Gesellschaft befinden, können den gesellschaftlichen
sche Vertrauen auswirkt. Sie tun sich aber schwer, das genaue      Institutionen eher vertrauen. Diese Institutionen haben ihnen
Verhältnis von Ursache und Wirkung zu bestimmen. Ist Ver-          schließlich zum Erfolg verholfen und schützen sie, indem sie
trauen eine Folge des Engagements? Oder setzt das Engage-          Recht und Gesetz aufrechterhalten und Menschen für nicht
ment ein gewisses Maß an Vertrauen bereits voraus? Handelt         vertrauenswürdiges Verhalten bestrafen. Zudem verfügen die
es sich um eine reziproke Beziehung, stellt sich die Frage, wel-   Gewinner_innen über mehr Ressourcen, um ihre Interessen
che Einflussrichtung überwiegt. Die Befunde der hierzu vor-        in der Gesellschaft durchzusetzen.7 Das führt zu einer selek-
liegenden Studien geben darauf bisher keine klaren Antwor-         tiven Responsivität seitens der politischen Entscheidungsträ-
ten. Dies könnte zum einen auf konzeptionelle Schwächen            ger_innen zugunsten der Reichen. Die Präferenzen der Rei-
zurückzuführen sein, wenn die Studien zum Beispiel zwischen        chen haben eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, politisch
den verschiedenen Formen des Sozialkapitals nicht genü-            umgesetzt zu werden, wohingegen die Präferenzen ärmerer
gend unterscheiden. Oder es liegt an der Unzulänglichkeit der      Bevölkerungsteile nur dann eine Chance auf Verwirklichung
verfügbaren Daten und/oder eingesetzten Methoden (Pax-             haben, wenn sie mit denen der Reichen übereinstimmen (Gi-
ton/Ressler 2018).                                                 lens 2012; Elsässer et al. 2018).

Als weitere Quelle sozialen Vertrauens gelten politische Insti-    Uslaner vertritt dagegen die Auffassung, dass Vertrauen eine
tutionen. Die Bürger_innen projizieren dabei ihre positiven        psychische Veranlagung ist. Hohes soziales Vertrauen gehe
oder negativen Erfahrungen mit den staatlichen oder kom-           dabei Hand in Hand mit anderen Persönlichkeitszügen wie
munalen Behörden und den in ihr tätigen Beamt_innen auf            Optimismus, wohingegen Menschen mit einem niedrigen
ihre Mitmenschen. Wird die Verwaltung als unfair, korrupt          Grad an sozialem Vertrauen misanthropisch und pessimistisch
oder nicht vertrauenswürdig wahrgenommen, wird diese ne-           eingestellt seien. Optimist_innen seien nicht nur im Hier und
gative Wahrnehmung auf die Mitbürger_innen übertragen,             Jetzt optimistisch, sondern auch mit Blick auf die Zukunft. Als
die dann ebenfalls als nicht vertrauenswürdig eingestuft wer-
den (Rothstein/Stolle 2002: 199). Eine andere Erklärung für
die Beziehung zwischen Institutionen und Vertrauen lautet,         7   Für eine Zusammenfassung der vier Erklärungsansätze siehe Zmerli/
dass Institutionen wie Polizei und Gerichte, indem sie nicht           Newton (2011: 71).
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN                                                                           10

Hauptursache für das schwindende generelle Vertrauen der         politisches System. Spezifische Unterstützung wird den zen­
Amerikaner_innen macht Uslaner – anders als Putnam – nicht       tralen politischen Akteur_innen wie der Regierung entgegen-
das rückläufige Engagement in Freiwilligenorganisationen,        gebracht und ist eine Reaktion auf die alltäglichen politischen
sondern deren sinkendes Zukunftsvertrauen aus. Nur wenn          Entscheidungen dieser Akteur_innen. Diffuse Unterstützung
man zuversichtlich in die Zukunft blicke, könne man sich das     ist dagegen eine stabile Orientierung und bezieht sich auf das
Risiko leisten, andere als vertrauenswürdig einzuschätzen (Us-   politische System oder die Identifikation mit der politischen
laner 1999: 139).                                                Gemeinschaft (Easton 1975: 436 f.). Diffuse Unterstützung
                                                                 sorgt für Stabilität, wenn die Bürger_innen mit einer amtieren-
                                                                 den Regierung oder dem Regierungshandeln unzufrieden
BESTEHT EIN ZUSAMMENHANG ZWISCHEN                                sind: „Nur wenn ein hinreichend großer Teil der Systemmit-
SOZIALEM UND POLITISCHEM VERTRAUEN?                              glieder seine Beziehung zum politischen Regime von denen
                                                                 zur amtierenden Regierung und der von ihr verfolgten Politik
Die Sozialkapitaltheorie besagt, dass es einen Zusammen-         trennt, ist gewährleistet, dass nicht jede größere Führungs-
hang zwischen politischem und sozialem Vertrauen gibt.           oder Effizienzkrise in eine Systemkrise umschlägt“ (Gabriel
Newton und Zmerli (2011) unterscheiden drei theoretische         1989: 77). Zum Problem für die Demokratie werde ein Rück-
Modelle, wie soziales und politisches Vertrauen zusammen-        gang politischer Unterstützung dann, wenn der politische Un-
hängen können: das Kompatibilitäts-, das Inkompatibilitäts-      mut größerer Bevölkerungsteile nicht mehr nur die amtieren-
und das konditionale Modell.                                     de Regierung bzw. die politische Elite trifft, sondern das
                                                                 politische System als Ganzes oder gar die Idee der Demokra-
Folgt man dem Kompatibilitätsmodell, gibt es Menschen, die       tie selbst. In anderen Worten: Die beiden Dimensionen sind
entweder in allen Bereichen ein hohes Maß an Vertrauen           nicht unabhängig voneinander und die diffuse Systemunter-
haben oder in allen Bereichen kein bzw. ein geringes Maß an      stützung wird über kurz oder lang von der Unzufriedenheit
Vertrauen aufweisen. Nach dieser Auffassung gibt es also nur     mit der Performanz des demokratischen Systems, das heißt
generell vertrauende und generell misstrauische Menschen.        den täglichen politischen Entscheidungen, beeinflusst (Linde/
Viele ältere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass keine          Ekman 2003: 397; Easton 1975: 445).
Beziehung zwischen partikularem und generellem sozialem
Vertrauen existiert oder dass partikulares und generelles so-    Heute wird Eastons dichotome Unterscheidung zwischen dif-
ziales Vertrauen sogar zueinander im Widerspruch stehen,         fuser und spezifischer politischer Unterstützung in der Regel
das heißt inkompatibel sind (Banfield 1958; Yamagashi/Ya-        als nicht differenziert genug angesehen. Pippa Norris entwi-
magashi 1994; Stolle 1998: 521). Das konditionale Modell         ckelte in Anlehnung an Easton ein fünfstufiges Kontinuum,
geht dagegen davon aus, dass die Personen, die ein hohes         das von Identifikation mit der nationalen Gemeinschaft über
Maß an generellem sozialem Vertrauen besitzen, auch ein          Unterstützung der Demokratie als Idee, Zufriedenheit mit
hohes Maß an partikularem sozialem Vertrauen aufweisen.          dem Funktionieren der Demokratie und Institutionenvertrau-
Das Gegenteil ist jedoch nicht automatisch der Fall. Des Wei-    en bis hin zu Vertrauen in die aktuelle Regierung bzw. Ver-
teren besitzen Personen mit einem hohen Maß an politi-           trauen in einzelne Politiker_innen reicht (Norris 2011: 24 ff.).
schem Vertrauen in der Regel auch ein hohes Maß an sozialem      Die abstrakteste Dimension misst das Gefühl der Verbunden-
Vertrauen – auch hier ist das Gegenteil nicht zwangsläufig der   heit zu einer Nation. Die nationale Identität wurzelt in kultu-
Fall. Die Beziehung zwischen den verschiedenen Formen des        rellen Mythen und Symbolen, einer geteilten Geschichte oder
Vertrauens ist mithin asymmetrisch. Anhand der fünften Welle     auch der Zuerkennung legaler und politischer Rechte an
des World Values Survey (2005–2009) zeigen Newton und            Staatsangehörige (ebd.: 25). Gemessen wird innerhalb dieser
Zmerli, dass 99 Prozent der Befragten, die angeben, ein hohes    Dimension neben Gefühlen wie Nationalstolz oder nationaler
generelles Vertrauen zu besitzen, auch hohes partikulares        Identität auch die Einstellung der Befragten zu intergouverne-
Vertrauen aufweisen. Aber nur 45 Prozent der Befragten mit       mentalen oder supranationalen Organisationen (Vereinte Na-
hohem partikularem Vertrauen weisen auch ein hohes Maß           tionen, Europäische Union) oder kosmopolitische Einstellun-
an generellem sozialem Vertrauen auf. Menschen, die ein ho-      gen, die – so die Annahme – im Zuge der Globalisierung
hes Maß an politischem Vertrauen aufweisen, haben fast alle      zunehmen und generell als Gegenpol zu nationalistischen
auch ein hohes Maß an sozialem Vertrauen. Umgekehrt be-          Einstellungen begriffen werden (ebd.: 26).
steht dieser Zusammenhang jedoch nicht. Besitzt eine Person
ein hohes soziales Vertrauen, kann folglich nicht automatisch    Eine zweite Dimension eher diffuser Systemunterstützung ist
darauf geschlossen werden, dass sie auch über ein hohes          die Zustimmung zu den grundlegenden Werten und Prinzipi-
Maß an politischem Vertrauen verfügt (Newton/Zmerli 2011:        en, auf denen ein politisches System gründet. Eine typische
183). Partikulares soziales Vertrauen bildet demnach das Fun-    Frage zur Messung dieser Dimension ist, ob die Demokratie
dament für generelles soziales Vertrauen und beide zusam-        die beste Staatsform sei. Dieser Aussage stimmten im vergan-
men wiederum die Basis für politisches Vertrauen (Zmerli/        genen Jahr laut der Leipziger Autoritarismus-Studie 93,3 Pro-
Newton 2011: 68).                                                zent der Deutschen zu. Die Zustimmung hat in den neuen
                                                                 Bundesländern im Vergleich zu den Vorjahren zugenommen –
                                                                 im Westen dagegen ist sie leicht gesunken (Decker et al.
DAS KONZEPT POLITISCHER UNTERSTÜTZUNG                            2018: 96). In einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung stimm-
                                                                 ten 2019 nur 75,9 Prozent der Befragten der Aussage zu
David Eastons Konzept politischer Unterstützung unterschei-      (Mannewitz/Vollmann 2019: 43). Zu erklären ist die Diskre-
det zwischen spezifischer und diffuser Unterstützung für ein     panz zwischen den beiden Befragungen hauptsächlich durch
VERTRAUEN IN DEMOKRATIE                                                                                                                                 11

die unterschiedlichen Antwor tvorgaben. Die Ber tels-                            2018: 12; Warren 2018: 78). Am spezifischen Pol des Kontinu-
mann-Studie enthielt hier auch die Kategorie „teils/teils“, der                  ums wird die Zustimmung zum amtierenden Regierungschef
sich 18 Prozent der Befragten zuordneten, weshalb der Wert                       oder das Vertrauen in die politischen Akteur_innen gemes-
für diejenigen, die die Demokratie für die beste Staatsform                      sen. Ein häufig verwendetes Messinstrument, um das Ver-
halten, im Vergleich zu anderen Studien, die ohne Mittelkate-                    trauen in die amtierende Regierung zu ermitteln, sind die
gorie auskommen, niedriger ausfällt.                                             Items der American National Election Study (ANES). Dabei
                                                                                 werden die Befragten gebeten anzugeben, ob die Regierung
Ein etwas anderes Messinstrument, um die Zustimmung zur                          ihrer Meinung nach das Richtige tut, ob sie Steuergelder ver-
Demokratie als Idee zu ermitteln, wird im Rahmen des World                       schwendet, ob sie im Interesse aller Bürger_innen handelt
Values Survey genutzt. Hier werden hintereinander vier Regie-                    und ob sie korrupt ist.
rungsmodelle abgefragt und die Befragten sollen dabei für
eine Expert_innenregierung, eine Militärjunta, einen autoritä-
ren Führer und die Demokratie jeweils angeben, ob sie dieses                     WAS MISST DIE FRAGE NACH DER ZUFRIEDEN-
Regierungsmodell für ihr Land für sehr gut, eher gut, eher                       HEIT MIT DER DEMOKRATIE?
schlecht oder sehr schlecht geeignet halten. In der sechsten
Welle des World Values Survey (2010–2014) hält eine über-                        Wir schließen uns der Auffassung von Linde und Ekman an,
wältigende Mehrheit von 94,1 Prozent der Deutschen die De-                       dass die Frage nach der Zufriedenheit mit der Demokratie
mokratie für sehr gut/eher gut geeignet (64,8 Prozent „sehr                      nicht die Zustimmung zur Idee der Demokratie misst, denn
gut“); immerhin noch eine Mehrheit von 56,7 Prozent der Be-                      jemand kann hundertprozentig vom Ideal der Demokratie
fragten befürwortet aber auch eine Expert_innenregierung.                        überzeugt sein, aber das Funktionieren der Demokratie (etwa
Eine autoritäre Führungspersönlichkeit wird von 3,7 Prozent                      aufgrund ausufernder Korruption) trotzdem schlecht bewer-
der Befragten als sehr gut und von 17 Prozent als gut geeig-                     ten (Linde/Ekman 2003: 396). Stattdessen wird die Frage
net angesehen. Eine Militärdiktatur erfährt lediglich eine Zu-                   nach der Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokra-
stimmung von 4,1 Prozent.                                                        tie gemeinhin als Evaluation der Demokratie in der Praxis, das
                                                                                 heißt der Performanz des politischen Systems, verstanden
Die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie fällt                     (ebd.; Anderson 2002). Die Verwendung des Items „Zufrie-
in die Mitte zwischen diffuser und spezifischer politischer Un-                  denheit mit der Demokratie“ erfährt in der Literatur zum Teil
terstützung. Während sich für die Unterstützung der Demo-                        Kritik.9 Moniert wird beispielsweise, dass die Frageformulie-
kratie als „beste Staatsform“ im Zeitverlauf erwartungsgemäß                     rung den Bürger_innen Raum für Interpretation lässt; sie kön-
ein eher stabiles Bild zeichnen lässt, ist für die Zufriedenheit                 nen mit dem Begriff „Demokratie“, der in der Fragestellung
mit dem Funktionieren der Demokratie ein rapider Rückgang                        nicht konkretisiert wird, sehr unterschiedliche Vorstellungen
zu konstatieren. Die Zahlen weisen – auch abhängig von dem                       assoziieren (Canache et al. 2001: 525). Nicht alle Bürger_innen
genauen Wortlaut der Frage und der Zahl der Antwortkate-                         haben dasselbe Verständnis davon, was Demokratie meint
gorien – zwar eine Schwankungsbreite auf, aber mehrere                           (Kriesi et al. 2016). Ein unterschiedlich weites Demokratiever-
Umfragen aus den vergangenen zwei Jahren liefern den be-                         ständnis führt aber zu unterschiedlichen Einschätzungen be-
unruhigenden Befund, dass rund vier bzw. fünf von zehn Be-                       züglich der individuellen Zufriedenheit mit dem Funktionieren
fragten mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutsch-                         der Demokratie. Kriesi et al. zeigen, dass die Europäer_innen
land nicht zufrieden sind.8 Eine 2018 veröffentlichte Studie der                 im Kern ein liberales Demokratieverständnis teilen, als dessen
Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2018 kam etwa zu dem                           Hauptelemente sie die Gleichheit vor dem Gesetz sowie freie
Ergebnis, dass insbesondere Bürger_innen mit populistischen                      und faire Wahlen identifizieren. Aber ein Großteil der Befrag-
Einstellungen mit dem Funktionieren der Demokratie eher                          ten hat eine Demokratiekonzeption, die zusätzliche Elemente
(45 Prozent) oder vollständig (18 Prozent) hadern (Vehrkamp/                     auf der Input- und/oder Output-Seite enthält. 40 Prozent der
Merkel 2018: 38).                                                                Europäer_innen verstehen unter Demokratie direktdemokra-
                                                                                 tische Beteiligungsmöglichkeiten und für ca. die Hälfte der im
Eher spezifische Unterstützung wird mit dem Vertrauen in die                     European Social Survey von 2013 Befragten gehört auch so-
politischen Institutionen abgefragt; hier ist der Anteil der Bür-                ziale Gerechtigkeit zum Konzept der Demokratie dazu. Diese
ger_innen, die den parteilichen Institutionen (Regierung, Par-                   Befragten erwarten also, dass Demokratien Einkommensun-
lament, Parteien) vertrauen, merklich geringer, als der Anteil                   terschiede zwischen Armen und Reichen reduzieren (ebd.: 80 f.).
derjenigen, die den nicht parteilichen Institutionen (beispiels-                 Insgesamt verstehen rund 60 Prozent der europäischen Bür-
weise der Justiz oder der Polizei) vertrauen. Dieser Unter-                      ger_innen unter Demokratie mehr, als das enge liberale De-
schied liegt in der Natur der Sache: Die parteilichen Institutio-                mokratieverständnis enthält (ebd.: 86). Insbesondere Perso-
nen handeln im Sinne ihrer Wähler_innen, wohingegen von                          nen mit niedrigerem sozioökonomischem Status weisen ein
Polizei und Gerichten erwartet wird, dass sie neutral und fair,                  über dieses hinausgehendes und den sozialstaatlichen Out-
das heißt im Interesse aller Bürger_innen handeln (Uslaner                       put einschließendes Demokratieverständnis auf. Personen mit
                                                                                 einem höheren sozialen Status haben dagegen eine Demo-
                                                                                 kratiekonzeption nahe am (zumeist der liberalen Demokratie
8   Eine Untersuchung von Polis aus dem Jahr 2016 ergab, dass nur noch           entsprechenden) Status quo, von dem sie schließlich profitie-
    48 Prozent der Befragten mit dem Funktionieren der Demokratie in
    Deutschland (sehr) zufrieden sind. Dies entspricht einem Rückgang
    von 13 Prozentpunkten gegenüber 2013. Die Leipziger Autoritarismus-
    Studie (Decker et al. 2018) berichtet für das Jahr 2018, dass 53,2 Prozent   9   Vgl. zum Beispiel die Auseinandersetzung zwischen Canache et al.
    der Befragten zufrieden sind.                                                    (2001) und Anderson (2002).
Sie können auch lesen