Der Fernseher im Hof Alltagsepisoden aus dem malischen Bamako
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Forschung aktuell Der Fernseher im Hof Alltagsepisoden aus dem malischen Bamako ■1 Noch liegt alles täglichen Anblick in Bamakos in morgendlicher Straßen. Obwohl Mali ein islami- Ruhe; bald sches Land ist, enthüllen Mütter herrscht wieder hier viel unverkrampfter ihre Brüs- quirlige Lebendig- keit. Der Innenhof te zum Stillen als bei uns. Ich muss ist Hauptaufent- schmunzeln, als ich versuche, mir haltsort der Groß- eine solche Szene in der Frankfur- familie. ter U-Bahn vorzustellen. »Iss mit uns« – »Na dumuni ke« Am Unabhängigkeitsdenkmal steige ich aus und biege in die mir so ver- traute Seitenstraße ein, in der mei- ne Freundin Mariam lebt. Mich der Wohnung nähernd, kommen mir auch schon die ersten Kinder ent- gegen, die mich freudestrahlend in den Innenhof geleiten. »Guten M it leichtem, fast beiläufigem Heben meiner Hand mache ich mich bemerkbar, und schon hält der heranbrausende Soutrama am Straßenrand, wirbelt noch eine Wolke Staub auf und lässt mich einsteigen. Das unauffällige Zeichen mit der Hand habe ich mir bei den anderen Leuten abgeschaut. Noch vor einigen Wochen versuchte ich, wild mit den Armen fuchtelnd, die kleinen grünen Busse des öffentli- chen Verkehrsnetzes Bamakos auf mich aufmerksam zu machen. Nun dränge ich mich zwischen zwei kräftige, in klassisch-afrikanisch schrill-bunt gekleidete Frauen, die sich in mir immer noch ungewohn- ter Stimmgewalt leidenschaftlich über den Fahrer des Busses be- Bamako ohne die grünen Soutramas? – Undenkbar. Die kleinen Busse gehören zum schweren: Er war so schnittig ge- alltäglichen Stadtbild auf Bamakos Strassen. fahren, dass die Transport-Schüs- seln vom Markt zwischen ihren Frankfurt gekommen bin. »Und Tag« – »Aw ni wula« – »Nsé«. Füßen umkippten. wer kümmert sich um deine Eltern, Freundlich schallen die Nachmit- Noch immer gehen mir die Ge- wenn sie krank sind?« Rokia, 30 tagsgrüße über den Innenhof, und spräche mit Rokia durch den Kopf. Jahre alt, ist verheiratet und lebt ich bin froh, neben dem sonst in Sie hat in Bamako Sozialanthropo- mit ihrem Mann in einer eigenen Mali üblichen Französisch auch ein logie studiert und ist meine mali- Wohnung. Dennoch ist sie zwei bis wenig Bamana gelernt zu haben. sche Partnerin für die Lehrfor- drei Mal pro Woche dafür verant- Besonders für die gern ausgedehnt schung. Heute Vormittag haben wir wortlich, für die Großfamilie zu angewendeten Begrüßungsformeln gemeinsam die Interviews über- kochen. »Soziale Verantwortung zu ist es sinnvoll, sich mit der neben setzt, die wir in den vergangenen übernehmen, gehört bei uns zu den Französisch meistgesprochenen Tagen geführt haben. Über der Ar- wichtigsten Aufgaben im Leben.« Sprache vertraut gemacht zu ha- beit sind wir ins Plaudern gekom- Lautes Hupen reißt mich aus ben; dies wird in aller Regel freudig men, und ich erzähle ihr von mei- meinen Gedanken. Der Soutrama begrüßt – auch wenn Satzkonstruk- ner Familie und meinem Leben in poltert über die Straßen, und ich tionen, die über das einfachste Ni- Frankfurt. Sie ist völlig entsetzt, als bemerke, dass ein Baby meine Bli- veau hinausgehen, schwer fallen sie erfährt, dass meine Eltern in cke fesselt, das zufrieden an den und zur allgemeinen Erheiterung einer anderen Stadt leben und dass Brüsten meiner Nachbarin saugt. beitragen. Gerade lässt sich Mariam ich zum Studium allein nach Stillende Mütter gehören zum all- mit ihrer Mutter und ihren Schwes- 58 Forschung Frankfurt 2 – 3/2006
Forschung aktuell mich wenige Menschen besser bei der Forschung unterstützen als sie. Das Leben in der Großfamilie er- möglicht mir einen unmittelbaren Einblick in den malischen Alltag mit all seinen Freuden und Sor- gen – Erfahrungen, die ich nun in den Gesprächen mit Rokia ganz an- ders reflektieren kann, als ich es da- mals alleine habe tun können. Die Gespräche mit Rokia sind mir im Laufe der Forschung unabdingbar geworden. Sie hilft mir, über das Erfahrene nachzudenken und es in Kontext zu setzen. Vieles von dem, was ich beobachte und erlebe, er- schließt sich mir erst in den Gesprä- chen mit ihr. Gewaschen wird von Hand; da arbeitet es sich leichter, wenn man gemeinsam an- packt. Treffpunkt am Abend: Der Fernseher im Hof tern auf den kleinen Hockern um Draußen bekommt die kleine Bato- Der erste Aufenthalt in »meiner« die große Schale mit Reis nieder. ma neue Zöpfchen geflochten und Familie hat mich zu meinem jetzi- »Iss mit uns« – »Na dumuni ke«. sitzt geduldig zu Füßen ihrer Tante. gen Forschungsthema geführt. Ich Ich habe zwar keinen Hunger, da Selbst die immer tüchtige Aishata erinnere mich noch genau, als sich Rokia mich bereits zum Essen ein- lehnt sich im Schatten eines aufge- Mariam und die anderen Frauen in geladen hat. Dennoch nehme ich spannten Tuchs zurück und gibt freudiger Erwartung um den im ein, zwei Hände voll Reis zu mir. sich mit dem leise vor sich hindu- Hof platzierten Fernseher geschart Nach malischen Benimmregeln ist delnden Radio auf ihrem Schoß der es unhöflich, eine Einladung zum nachmittäglichen Lethargie hin. Essen auszuschlagen. Ich kenne diese Familie seit mei- Anschließend sitze ich mit Mari- ner ersten Reise nach Mali, die ich am auf dem Bett in ihrem hellblau bereits 2004 unternommen habe. getünchten, spärlich eingerichteten Durch Zufall habe ich damals Mari- Zimmer. Die Nachmittagshitze am kennen gelernt, wir verstanden drückt schwer, und wir fächern uns uns sofort, und sie nahm mich mit gegenseitig kühle Luft zu, während hierher zu ihrer Familie, bei der ich Mariams 4-jährige Cousine, von der auch wohnen konnte. Auch nun, Hitze erschöpft, friedlich neben mir während meines zweiten Aufent- eingeschlummert ist. Ich lasse mei- halts in Mali, verbringe ich so viel nen Blick durch die offene, mit Zeit wie möglich bei »meiner« Fa- einer weißen Gardine verhängte milie. Mariam hat selbst nicht stu- Tür schweifen, durch die eine viel diert, da ihre Familie nicht genü- zu leichte Brise ins Zimmer weht. gend Geld hat, dennoch können Melanie Gärtner alias Maimouna Coulibaly: Anpassung ist nicht nur ein einseitiger Prozess, den Forschende zu leisten haben. In Mali werden Gäste integriert, indem sie einen mali- schen Namen bekommen – oder, indem auch ihre äußere Er- scheinung afrikanisiert wird. hatten, um mit der allabendlich ausgestrahlten argentinischen Tele- novela mitzufiebern. Es hat mich absolut irritiert, mit welcher Lei- denschaft und welchem Mitgefühl die Blicke meiner Freundinnen auf die Abbilder der schlanken, lang- haarigen weißen Frauen geheftet waren. Die Frage, wie meine Freundinnen die in der Soap-Opera dargestellte Welt mit ihrer eigenen Kommunikation ist ein zentraler Bestandteil des Lebens: Bei den Vorbereitungen für Lebensweise in Zusammenhang das Abendessen werden alltägliche Ereignisse – und auch die Geschehnisse der brachten, ist schließlich zur Kern- letzten Folge der Seifenoper – diskutiert. frage meiner Forschung geworden. Forschung Frankfurt 2 – 3/2006 59
Forschung aktuell Forschen im Team – Frankfurter Studierende in Mali Ethnologen erforschen menschliche Gesellschaften in jekte abgestimmt, die methodischen Feinheiten der ihren unterschiedlichen Lebensformen und Denkwei- Feldforschung. So unabdingbar es war, die Verwal- sen. Begeben sie sich zur Forschung in ihr Feld, lernen tungssprache Französisch fließend zu sprechen, so sie die Lebenswelt einer anderen, vermeintlich exoti- nützlich erwies es sich, über Grundkenntnisse des Ba- schen Gesellschaft als genauso vom Alltag bestimmt mana, der hauptsächlichen Verkehrssprache in Mali, kennen wie die eigene. Doch gelten in diesem Alltag zu verfügen, auch wenn nach drei Semestern Sprach- andere soziale und kulturelle Regeln, die einem die kurs die Kenntnisse für Forschungszwecke noch nicht Kulturbedingtheit des vermeintlich Selbstverständli- ausreichten. Die Themen der Projekte spiegeln die Vielfalt des malischen Lebens wider. Vor allem aber sind es The- men von gesellschaftlicher Relevanz, die – ebenso wie die Frage der Armut und des Reichtums – in Mali Stoff für lange und kontroverse Diskussionen liefer- ten: die lebendige Jugendmusikkultur des Hip-Hop [siehe Foto auf Seite 62], der Umgang von Familien mit Aids-Betroffenen, die Bedeutung der Dezentrali- sierung für die Bauern, der Nutzen von Museen auf dem Land, Frauen und ihre Identifikation mit den Protagonistinnen von Soap Operas oder die Aufnah- me von malischen Arbeitsmigranten, die aus dem Bürgerkrieg in Côte d’Ivoire nach Mali zurückgekehrt waren. Schnittstelle und Basis für die einzelnen Feldstudi- en war Point Sud, das Forschungszentrum für lokales Teampartnerinnen aus zwei Kulturen: Die beiden Ethnologie- Wissen, in der Hauptstadt Bamako. Seit 1997 wird in Studentinnen Kathrin Schreivogl und Fatim Maiga beschäftig- ten sich mit der Bedeutung von Museen für die ländliche Be- Point Sud gearbeitet, das unter anderem von der VW- völkerung in Mali. Im pittoresken Felsmassiv des Dogonlandes Stiftung und dem Wissenschaftskolleg in Berlin initi- wurden in den vergangenen Jahren zum Beispiel unter Anlei- iert wurde. Seit 2004 arbeitet Point Sud eng mit der tung des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) zwei Museen Universität Frankfurt zusammen. Für unsere Lehrfor- errichtet, die dazu beitragen sollen, ein Bewusstsein für den schung organisierte das Forschungszentrum malische Erhalt der künstlerischen Traditionen der Dogon zu schaffen. Teampartner, die sich für die Themen und die ge- meinsame Bearbeitung der jeweiligen Projekte inte- Die Autorin chen vor Augen führen und oft ein gehöriges Maß an ressierten. Zusammen diskutierten sie die For- Dr. Ute Röschen- Toleranz abverlangen. Erträglich ist diese Situation am schungsfragen, übersetzten sie in eine Alltagssprache, thaler (46) be- besten mit einer Portion Humor. Bronislaw Mali- die den malischen Gesprächspartnern verständlich gleitete zusam- sein würde und arbeiteten während der Feldfor- nowski, der gerne als der Begründer der Feldforschung men mit bezeichnet wird, schrieb denn auch, Ethnologie sei ei- schungen zusammen. Später übersetzten und tran- Prof. Dr. Mama- dou Diawara gentlich die Wissenschaft vom Sinn für Humor. Die da- skribierten sie die Interviews gemeinsam. Das For- [siehe Anne Har- für notwendige reflexive Distanz im Feld lässt nicht nur schungszentrum Point Sud diente als Treffpunkt zur dy »Den Aus- sich (und die anderen) in extremen Situationen besser Diskussion der Erfahrungen und Ergebnisse. tausch zwischen ertragen, sie eröffnet auch eine andere, bisher verstellte Noch in Bamako organisierten zwei der Frankfur- Nord und Süd Sichtweise auf die eigene Gesellschaft und ihre kom- ter Studierenden ein überaus erfolgreiches Hip-Hop- fördern«, Seite Konzert. Zurück in Frankfurt wurden im abschließen- plexen kulturellen Prozesse. Was passiert nun, wenn – 79] die gesamte anders als in der üblichen Forschung – nicht nur über- den Semester die Ergebnisse ausgewertet und in Ab- Lehrforschung. In Mali arbeitete einander geforscht wird, sondern vor Ort Teams beider schlussberichten zusammengefasst, geplant ist eine sie zum Thema Kulturen zusammenarbeiten? Veröffentlichung. Im Oktober 2005 entstand eine Fo- »Werbung und Von Februar bis April 2005 reisten sechs Frankfurter toausstellung, die im Foyer des Hauptgebäudes auf Veränderung des Studierende der Historischen Ethnologie nach Mali, dem Campus Westend und in der Gesellschaft für Lebensstils«. Sie um zum ersten Mal im Team mit sechs Maliern zu for- Technische Zusammenarbeit (GTZ) gezeigt wurde. Fast ist wissenschaft- alle aus dem Team machten ihr Projekt zum Thema schen. Die Lehrforschung wurde unter anderem unter- liche Mitarbeite- stützt von der Vereinigung der Freunde und Förderer ihrer Magisterarbeit, eine Teilnehmerin fand durch die rin am Institut für Historische der Universität, dem International Office der Universi- Feldarbeit bereits einen Einstieg in den Beruf. Sie ar- Ethnologie der tät Frankfurt und der Stiftung zur Förderung der inter- beitet bei der GTZ. Die Bilanz zeigt: Das projektorien- Universität nationalen wissenschaftlichen Beziehungen; hinzu tierte Hauptstudium, mit Lehrforschung kombiniert, Frankfurt und kam ein angemessener Eigenbeitrag der Studierenden. vertieft Fachkenntnisse mit eigenen Forschungsprojek- arbeitet an einer Drei Semester Vorbereitung schafften die Grundlage für ten. Dadurch fördert es berufsrelevante Praxiserfah- Habilitation zur rung und vermittelt gleichzeitig wissenschaftliches das Vorhaben: Einstieg war ein Überblick über Ge- Verbreitung von schichte, Geographie und Kulturen Malis. Daraufhin Grundlagenwissen; zudem führt es zu zügigeren Studi- Kultur im Cross River-Gebiet von diskutierten die Studierenden ihre Forschungsfragen, enabschlüssen. Kamerun und definierten Projekte, die innerhalb der kurzen Verweil- Nähere Informationen im Internet: Nigeria. dauer umsetzbar waren, und erlernten, auf ihre Pro- www.ziaf.de/Pointsud.htm 60 Forschung Frankfurt 2 – 3/2006
Forschung aktuell Markerschütterndes Keifen Auch in einer schallt plötzlich durch den Hof und Großfamilie hat reißt uns aus der Siesta. Neugierig man nur eine leib- liche Mutter – eilen Mariam und ich nach drau- aber noch viele ßen. Eine Frau tobt erbost über den andere dazu. Ma- Hof und setzt sich zeternd in eine riam hat selbst Ecke, um ihrem Ärger am Wasch- kein Kind, aber brett Luft zu machen. »Sie hat kümmert sich um Streit mit ihrer Co-Frau«, flüstert das ihrer Cousine Mariam mir vertraulich ins Ohr. In wie um ihr eige- nes. Mali können Männer nach islami- schem Recht bis zu vier Frauen hei- raten. In Artikeln zum Thema Poly- gamie in islamischen Gesellschaften Afrikas habe ich bereits gelesen, dass es oft zu Streitigkeiten und Konkurrenz unter den Frauen kommt, wenn es um finanzielle Weg gehen, Geld verdienen und damit meiner Familie helfen. Dazu brauche ich keinen Mann.« Mari- am hat so gut wie keine Schulbil- dung, hat sich aber handwerklich ausbilden lassen: Sie webt und färbt traditionelle Stoffe und versucht nun, ihren eigenen Textilvertrieb zu gründen. Sie gehört damit zu den wenigen jungen Frauen, die sich etwas Eigenes aufbauen und sich damit von den familiären und ehe- lichen Strukturen unabhängiger machen. Dennoch geht das Unab- hängigkeitsstreben selten so weit, Wie sieht ein Flüchtling, der aus dem Bürgerkriegsgebiet in der Côte d’Ivoire nach dass es sich gegen die Familie rich- Mali flieht, weil dies die Heimat seiner Eltern ist, seine Zukunft? Die Frankfurter tet, im Gegenteil. Das Wohl ihrer Ethnologie-Studentin Dörte Rompel, die 2005 mit fünf Frankfurter Studierenden in Familie steht bei Mariam im Mittel- Mali forschte, interviewte den »Heimkehrer« in Sikasso im Süden Malis nahe der punkt ihres Interesses, ist Motor ih- Grenze zur Côte d’Ivoire. rer Motivation. Alles, was sie ver- Mittel oder die Aufmerksamkeit des ihre Seite und half ihr über die ers- dient, fließt in die Familienkasse. Mannes geht. »Sie ist nicht damit ten schweren Jahre hinweg. »An- Wenn sie selbst gerade keine Arbeit einverstanden, dass die andere Frau fangs war sie sehr unglücklich«, er- hat, hilft sie den Schwestern, die so viel Geld für ihre Kinder bean- zählt Mariam, »sie liebte ihn nicht. auf dem Markt Gemüse verkaufen. sprucht.« Mariam plaudert aus dem Aber nun ist sie zufriedener. Sie hat Was hat Rokia gesagt? »Soziale Ver- Nähkästchen. Die junge Frau, die so ein Kind bekommen, das sie über antwortung zu übernehmen, gehört wütend ist, heißt Fanta und ist 25 alles liebt und hat sich mit ihm ar- bei uns zu den wichtigsten Auf- Jahre – wie ich. Schon als junges rangiert.« Ich erinnere mich an das, gaben im Leben.« Mädchen hatte sie ihre Eltern ver- was Rokia mir zu den romantischen Wenn Mariams Schwestern kei- loren. Ihr 20 Jahre älterer Cousin Szenen der Telenovelas sagte: »Hier ne Hilfe benötigen, hütet sie das bot sich an, sie zu ehelichen. Und in Mali hat man den Eindruck, dass Kind ihrer Cousine. Diese kommt ihr blieb widerstrebend nichts ande- für die weißen Frauen Liebe eine nur selten nach Hause, da sie als res übrig. Für ein junges Mädchen viel größere Bedeutung hat. Ro- Hausmädchen in einem der besser ist es undenkbar, sich alleine durch- mantische Liebe gibt es hier zwar gestellten Haushalte in Bamako ar- zuschlagen, der schützende Rah- auch, aber die meisten betrachten beitet. Das ist nicht unüblich – jede men einer Familie ist unabdingbar. Heiraten eher unter dem pragmati- Familie, die es sich irgendwie leis- Obwohl ihr Mann bereits eine Frau schen Gesichtspunkt.« ten kann, beschäftigt ein oder zwei hatte und sie somit Zweitfrau wur- junge Mädchen als Haushaltshilfe. Unabhängigkeit trotz de – ein Status, mit dem sich keine enger Familienbande? Hausmädchen – eine Brücke malische Frau gern schmückt – war sie durch die Hochzeit wieder in ei- Meine Freundin Mariam ist Ende nach Südamerika nen Familienverband integriert. Da zwanzig und nicht verheiratet – Rokia sieht darin übrigens einen Fantas Mann der Halbbruder von selbst im urbanen Raum eher unge- Grund für den großen Erfolg der Mariams verstorbenem Vater war, wöhnlich. »Ich habe gar keine Lust Telenovelas. Die Protagonistin selbst holte Mariams Mutter die beiden zu zu heiraten, das interessiert mich ist auch ein Hausmädchen in einem sich auf den Hof, nahm Fanta an nicht. Alles was ich will, ist meinen reichen Haushalt und somit – trotz Forschung Frankfurt 2 – 3/2006 61
Forschung aktuell Ein strahlendes Seitdem sitzt sie selbst daneben, Lächeln unter wenn die Serie läuft, um den Kin- strahlender Son- dern alles Missverständliche erklä- ne: Die Kinder ren zu können. sorgen im Hof für Aufregung und gu- Es ist dunkel geworden. Die te Laune. Frauen versammeln sich um den Fernseher, den Tante Oumou in den Hof gestellt hat. Auch ich ziehe ganz gespannt ein Schemelchen he- ran. In der letzten Folge hat sich die Heldin wieder mit ihrem Freund versöhnt. Wird es heute zu einer Kussszene kommen? Neugierig fie- bere ich vor allem den Erklärungen entgegen, die die alte Mutter den Kindern geben wird und freue mich der gewaltigen kulturellen Unter- T-Shirt aus der schiede zu den malischen Zuschau- Boutique kombi- ern – Identifikations- und Projekti- niert mit afrikani- schem Stoff? Kein onsfigur. Selbst Mariams alte Mut- Problem. Güter des ter findet die Heldin der Serie Westens werden sympathisch: Sie mag die Art, wie nicht »einfach so« diese sich für ihre Freunde und für angenommen, son- die ungerecht Behandelten einsetzt. dern nach eigenem Das deckt sich mit dem Prinzip der Geschmack umge- sozialen Verantwortung. Doch nicht staltet und in Be- ziehung zu regio- alles, was die Damen der Serie tun, nalen Vorlieben wird so positiv aufgenommen. In gesetzt. einer der letzten Folgen hat sich die Heldin mit ihrem Freund gestritten: lauthals und mit lateinamerikani- Die Autorin schem Temperament – eine Verhal- Melanie Gärtner, tensweise, die völlig von den mali- Fanta hingegen hat ihrer kleinen insgeheim schon darauf, Rokia 25, studiert Histo- schen Normen abweicht, da sie den Tochter schon verbieten wollen, die davon zu erzählen. Die vertraute rische Ethnologie Respekt vor Älteren und vor dem Serie mitzuschauen – aus Angst, es Titelmelodie erklingt, steigt empor und Germanistik Ehemann verletzt. Szenen wie diese könnte ihre Erziehung verderben. und nimmt sie mit, die Träume und in Frankfurt und haben schon zu heftigen Diskussio- Mariams Mutter hat den Haussegen Sehnsüchte der Jungen und der schreibt in diesem nen unter den Frauen geführt. Ma- aber wieder herstellen können, in- Alten, hoch in den rauchgeschwän- Jahr ihre Magis- terarbeit, die sich riam ist eine derjenigen, die die dem sie Fanta versichert, dass sol- gerten Nachthimmel Bamakos, wo aus der Lehrfor- Heldin der Telenovela begeistert che schlechten Beispiele gerade gut sie sich mit meinen treffen – und schung in Mali anfeuert, auch wenn sie sich als sein können, um den Kindern eige- vielleicht auch mit den Träumen ar- entwickelt hat. Malierin nie so verhalten würde. ne kulturelle Werte zu erklären. gentinischer Mädchen. ◆ Fans der Hip-Hop-Szene: Ein HipHop- Konzert mit drei Tanzgruppen und über hundert Künstlern, die ihre Songs prä- sentierten, organisierten die beiden Frankfurter Studentinnen Imke Schulte- Löbbert und Lena Kroeker während der Lehrforschung in Bamako. Der Deutsche Entwicklungsdienst (DED), die Gesell- schaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) und zahlreiche lokale Nichtregie- rungsorganisationen unterstützten das Konzert. Mit dem Motto »Lida gegen Si- da« wollten die Musiker und die Organi- satorinnen die Öffentlichkeit für das Thema Aids sensibilisieren. 62 Forschung Frankfurt 2 – 3/2006
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