Der Langlauf zu mir selbst - Bundesagentur für Arbeit

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                                                              UNTERNEHMER ERZÄHLEN

                       WIE UNTERNEHMER KRISEN MEISTERN

                     Der Langlauf
                     zu mir selbst
      Wie aus der Biathletin die Unternehmerin und Gastronomin Kati Wilhelm wurde - und
      warum das manchmal schwerer ist, als mit einem Kleinkalibergewehr auf Skiern eine
       Zielscheibe zu treffen. PLUS: „Vom Hörsaal auf den Chefsessel“, „Der Rücktritt als
      Chance“ und weitere Unternehmer-Geschichten vom Gelingen – und der Zeit davor.
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Faktor A - www.faktor-a.info                                                                                     EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,                                                            Kurt Eikemeier,
                                                                                       Chefredakteur

„Wir erzählen bei Faktor A Geschichten vom Gelingen“, antworte ich für gewöhnlich auf die Frage, was unser Online-Maga-
zin so besonders lesenswert macht. Heute möchte ich diesen Satz konkretisieren: Wir erzählen mit besonderem Interesse
gerade auch das, was vor dem Gelingen passiert. Denn die meisten Unternehmergeschichten beginnen nicht mit schwarzen
Zahlen von Tag eins, sondern sie erzählen von Suchenden: Was ist der richtige Weg für meinen Betrieb? Wie stelle ich mich
so auf, dass meine Mitarbeiter und ich ein Produkt erschaffen, das über den Tag hinaus Bestand hat?

In dieser Extra-Ausgabe von Faktor A „Unternehmer erzählen“ lassen wir sieben Frauen und Männer zu Wort kommen, die
freimütig von den verschlungenen Pfaden berichten, die sie im Lauf ihrer Karrieren beschritten haben. Da ist zum Beispiel
die beeindruckende Geschichte von Robin Hellwinkel, der mit 23 aus dem Hörsaal heraus Geschäftsführer des Familien-
betriebs wurde, weil sein Vater überraschend gestorben war. Er beweist damit, dass er schon früh verstanden hatte, was
unternehmerische Verantwortung bedeutet, gerade in Familienbetrieben.
Fasziniert hat mich auch Thorsten Zellmann, der sich als Manager bei Bosch eine Karriere erarbeitet hatte, um die ihn viele
beneideten. Dann wurde er Milchbauer. Und glücklich.

Sind wir nicht alle manchmal kurz davor, es wie Thorsten Zellmann zu machen? Und dann tun wir es doch nicht. Was also
macht ihn so besonders?

Viel Freude beim Lesen!

                                                                        Faktor A
                                                                        Das Online-Magazin für Arbeitgeber
                                                                        und Führungskräfte
                                                                        Mitreden können: Führungsfragen,
                                                                        Zukunft der Arbeit, Azubi-Suche
                                                                        und die ganze Arbeitswelt

                                                                        faktor-a.info
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Die glor-
reichen
Sie haben viel erreicht und aus Fehlern
gelernt. Sieben Unternehmer erzählen
                                        7                           ROBIN HELLWINKEL
                                                                                                                          DIREKT
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ungeschönt, wie sie erfolgreich wurden
                                                                    „Und plötzlich war ich Chef“
- und was andere davon lernen können.
                                                                    Vom Hörsaal auf den Chefsessel: Robin Hellwinkel musste nach
                                                                    dem überraschenden Tod seines Vaters Verantwortung überneh-
                                                                    men - und rettete 40 Jobs.

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KATI WILHELM                                                        EMANUEL SCHMOCK

„Die Gastronomie ist wie ein Wettkampf“                             Kurskorrektur in letzter Minute
Olympiagold - und dann? Kati Wilhelm eröffnete ein Restaurant in    Wenn Schnelligkeit zum Problem wird: Mogli wuchs und wuchs
der thüringischen Provinz und musste lernen: Selbstmotivation ist   und verkaufte Bioprodukte in 20 Länder - bis Emanuel Schmock
das eine - Mitarbeiter zu begeistern das andere.                    merkte, dass die Qualität litt. Sein Co-Chef stieg aus, Schmock
                                                                    bremste ab - und rettete so das Unternehmen.

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HERMANN ARNOLD                                                      THORSTEN ZELLMANN

Der Rücktritt als Chance                                            Vom Manager zum Milchbauern
Lass den Prakti machen: Hermann Arnold übergab seine Füh-           Er reiste um die ganze Welt, fuhr schicke Dienstwagen und verant-
rungsposition bei Haufe-umantis an einen Kollegen, der einmal       wortete wichtige Projekte: Thorsten Zellmann war zufrieden als
sein Praktikant war. Seitdem ist Arnold erfolgreicher denn je.      Manager bei Bosch. Dann wurde er Milchbauer.

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PETRA JENNER                                                        LILLI HEINZE

„Das hat weh getan“                                                 Von schwierigen Kunden lernen
Sie kam an die Spitze - und aus guten Kollegen wurden plötzlich     Aufwendige Dekorationen und verspielte Floristik: Voller Elan
Konkurrenten. Warum ist das so - und warum bereitet einen           machte sich Lilli Heinze mit FourSeasons Dekoration selbständig.
niemand auf Führungspositionen vor, fragte sich Jenner? Heute ist   Gleich zu Beginn musste sie lernen, dass der Umgang mit fordern-
sie angekommen - beruflich und persönlich.                          den Kunden ein besonderes Maß an Selbstbewusstsein benötigt.

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        Richtig führen
        Wer ganz oben steht, trägt Verantwortung: Für den Unternehmenserfolg, für die Zukunft der
        Mitarbeiter, für beständige Innovationen. Wie kann das gutgehen?

                                                             DIREKT                                                                DIREKT
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        SEBASTIAN STOCKEBRAND                                               TEST

        Acht typische Fehler junger Chefs                                   Bin ich ein guter Chef?
        Alles selber machen wollen, schlecht über Kollegen reden, sich      Führungsqualität und Wertschätzung im Unternehmen tragen heu-
        nicht abgrenzen: Der Frankfurter Führungsexperte Sebastian Sto-     te wesentlich zum Erfolg bei. Vielleicht stellen Sie sich selbst in
        ckebrand kennt die Fallstricke frischgebackener Chefs - und weiß,   der einen oder anderen Situation die entscheidende Frage: „Was
        wie die Nachwuchsstars sie vermeiden können.                        für ein Chef bin ich?“ Antworten gibt unser Selbsttest.

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plainpicture/Westend61/Daniel Ingold
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      „Die Gastronomie
      ist wie ein Wettkampf“
      Sie gehörte zu den weltweit besten Biathletinnen, gewann mehrfach
      Gold bei Olympischen Spielen. Dann suchte Kati Wilhelm eine neue
      Herausforderung und eröffnete ein Restaurant.

N
                ach meiner Karriere als Biathletin habe    ßen üben, immer und immer wieder, auch bei fünf Grad
                ich mir einen großen Traum erfüllt: Ich    minus im strömendem Regen. Ich trainierte zwischen
                habe mein eigenes Restaurant in mei-       vier und acht Stunden am Tag. Das war oft furchtbar
                ner Heimatstadt in Thüringen eröffnet.     langweilig, gerade wenn man zwei Stunden laufen soll
                Seit nun vier Jahren bin ich Chefin die-   und nicht mal schießen darf. Da habe ich mich dann im-
ses gastronomischen Betriebs, zweifache Mutter, ne-        mer selbst motiviert: Ich setzte mir kleine Ziele, lief ei-
benbei noch Sportexpertin bei der ARD und Referentin       nen Berg in einem anderen Rhythmus hoch, änderte
zum Thema Entscheidungen. Der Spagat zwischen die-         den Laufstil und dachte daran, wie es war, als ich mich
sen Rollen ist meine größte Herausforderung.               zuletzt selbst überwunden habe. Das machte mich dann
    Früher hat es mich gefordert für Wettkämpfe zu         immer stolz und motivierte mich. Über all dem schweb-
trainieren. Monatelang bereitete ich mich auf den gro-     te der Glaube an die nächste Medaille. Und es hat dann
ßen Tag vor: Berg hochfahren, Skiroller laufen, Schie-     ja auch öfter für Gold gereicht.

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Küche statt Kleinkaliber                                     – und habe wirklich unterschätzt, was noch alles an
                                                             administrativer Arbeit dazugehört. Mein Tag hat ge-
   Aber nun hat sich mein Leben geändert. Als Che-           fühlt 30 Stunden. Das sind dann manchmal die Mo-
fin eines gastronomischen Betriebs muss ich mich             mente in denen ich an der Entscheidung, das Lokal
anders motivieren. Anfangs waren mein Team und               zu eröffnen, zweifle. Aber dann schau ich in die ge-
ich ganz euphorisiert. Das Heimatlon liegt mitten im         mütliche Stube, auf unsere wilde, kreative Speise-
Thüringer Wald, im überschaubaren 5000-Einwoh-               karte und sehe meine motivierten und professionel-
ner-Städtchen Steinbach-Hallenberg, eine heimelige           len Angestellten, die das alles mit mir gestemmt
Atmosphäre, viel Holz, eine offene Küche, und ein            haben. Die Gastronomie passt einfach zu mir, denke
großer italienischer Holzofen, in dem wir eine Mi-           ich.
schung aus Flammkuchen und Pizza backen. Wir
räuchern den Lachs selbst, entwickeln eigene Kreati-         Ehrgeizige Athletin, ehrgeizige Gastronomin
onen wie Senfbalsam und spezielle Gewürzmischun-
gen. Das ist mutig für einen Standort, mitten im Thü-           Es ist wie damals im Wettkampf. Nur dass hier
ringer Wald. Die Gäste mussten erstmal akzeptieren,          die Gäste das Eichmaß für gute Leistung sind. Sie ge-
dass sie hier nicht wie sonst überall Klöße und Roula-       ben mir jetzt die Rückmeldung, ob es gut geschmeckt
den bekommen. Das, was wir hier im Heimatlon ma-             hat oder nicht, ich kann es ihnen manchmal sogar an-
chen, ist neu.                                               sehen. Die sportliche Komponente kommt auch hin-
                                                             zu: Wenn ich am Abend im Service anpacke, ist das
                                                             natürlich auch körperlich anstrengend.
                                                                Bei der Umsetzung meiner Wünsche und Ziele
                                                             war ich schon immer sehr ehrgeizig. Ich wollte schon
                                                             als Kind nie Mittelmaß sein, weder in den Schulfä-
                                                             chern noch im Sport. Meine Eltern haben mich dabei
                                                             immer unterstützt, aber nie zu etwas gezwungen.
                                                                Manche Eigenschaften eines Leistungssportlers
                                                             werde ich weiterhin behalten. Ich mache mir nach
                                                             wie vor Gedanken darüber, in welchen Bereichen ich
                                                             noch besser sein kann. Das ist eine Art Leistungs-
                                                             druck – wie damals im Sport, aber einer, der mich
                                                             nicht überfordert, sondern täglich anspornt und am
                                                             Ende hoffentlich glücklich macht.

                                                             Fotos: Bernd Günther

Heimelig und im Zeichen der Gründerin: Wilhelms Restaurant
„Heimatlon“
                                                                        ZUR PERSON

                                                                        Drei Mal Gold, drei Mal Silber, einmal Bronze: Das ist die
   Es war und ist eine große Herausforderung für                        Medaillen-Bilanz von Kati Wilhelm - um nur Olympia
mich, Chefin zu sein. Das war ich nie. Ich musste nie-                  zu nennen. Die 1976 geborene Biathletin gehört zu den
mandem sagen, was er tun soll. Jetzt sage ich als                       erfolgreichsten deutschen Sportlerinnen der vergangenen
Nicht-Gastronomin den Profis in der Küche und im                        Jahre. Seit der Weltcupsaison 2010/11 begleitet Kati
Service wo es langgeht. Zu meinen Angestellten ein                      Wilhelm für Das Erste die Übertragungen von Biathlon-
freundschaftliches Verhältnis zu pflegen ist mir                        wettbewerben als Expertin. Im thüringischen Städtchen
wichtig, aber ich bin auch die, die dann Kritik übt,                    Steinbach-Hallenberg hat sie das Restaurant „Heimatlon“
wenn das Lager mal nicht aufgeräumt ist oder beim                       eröffnet, dessen Spezialität knusprige Ur-Fladen aus dem
Einkauf zu viel Geld ausgegeben wurde. Das ist oft                      Holzofen sind.
ein Drahtseilakt für mich.
   Im Heimatlon selbst packe ich überall mit an. Ich                        h ei m a tl on.de
bin hinterm Tresen, im Service, ich putze, räume auf

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Der Rücktritt als Chance
Der Unternehmensgründer Hermann Arnold übergab seine Führungsposition beim Soft-
ware-Hersteller Haufe-umantis an einen Kollegen, der einmal sein Praktikant war.
Der 42-Jährige hatte erkannt, dass er sich zum Führen in der nächsten Phase des Unterneh-
menswachstums nicht eignet – und ist seitdem erfolgreicher denn je.

Für Hermann Arnold bedeutet gute Führung, auch zu wissen, wann ein anderer dran ist.

M
                   anche Chefs unterliegen früher                        Damals leiteten mein Kollege Marc Stoffel und ich
                   oder später der Illusion, sie seien                jeweils ein zeitkritisches Projekt. Ich bin der klas-
                   die Besten, Schnellsten und Klügs-                 sische Gründer, der vorangeht und sich mit der Ma-
                   ten. Als ich mein Unternehmen                      chete einen Weg durch den Dschungel bahnt. Aber es
                   umantis 13 Jahre lang führte, hielt                braucht auch Typen, die den Weg wesentlich breiter
ich mich zwar nicht für unersetzlich, doch bei Grün-                  machen. Ich erledigte in der Projektphase viel selbst
dern ist die Gefahr groß, dass sie sich für zu wichtig                und achtete darauf, meine Leute nicht zu überfor-
halten und damit die Entwicklung des Unternehmens                     dern. Marc Stoffel mutete seinem Team unheimlich
gefährden. Eine Zeit lang saß ich auf einem einfachen                 viel zu. Das war überhaupt nicht mein Stil. Das Er-
Holzstuhl, um mir und den Mitarbeitern zu bewei-                      gebnis: Stoffel war nach innen gesehen wesentlich
sen, dass ich mich nicht für etwas Besseres hielt. Ei-                erfolgreicher – und sein Team war stolz auf die Leis-
nige wussten noch Monate nach Eintritt ins Unter-                     tung. Ich hatte mein Team durch Rücksicht kleinge-
nehmen nicht, dass ich ihr Chef bin. Ich fragte mich                  halten – und mir wurde bewusst, dass das auch ge-
jedes Jahr, ob ich noch der richtige Chef für die zu-                 nerell meine Haltung in der Unternehmensführung
künftigen Herausforderungen bin. Irgendwann                           war.
merkte ich, dass es einen anderen in unserem Unter-                      Warum versuchte ich nicht, mich zu verbessern?
nehmen gab, der besser geeignet war.                                  Es war vermutlich die größte Herausforderung meiner

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Karriere, zu erkennen, dass ich das nicht will. Denn       tiert. Auch im Unternehmen Haufe-umantis hat sich
das war ich nicht, und das wollte ich auch nicht sein.     etwas in den Köpfen der Mitarbeiter verändert. Dort
Ein anderer macht es besser, warum soll ich mich ver-      haben mehr als zehn Leute ihre Führungsverant-
biegen? Ich sah es als Chance für das Unternehmen          wortung abgegeben und wieder Projektaufgaben
und für mich, zurückzutreten. Ich wollte meinen
Nachfolger unterstützen. Ich wäre weiterhin im Team
und könnte ihm offenes Feedback geben – das ist viel
wert für einen neuen Firmenchef.                                 „OB WIR GEHÖR FINDEN ODER NICHT,
                                                                HÄNGT STÄRKER VON UNSERER ROLLE
Rücktritt kann das Unternehmen voranbringen                   ALS VON UNSERER PERSÖNLICHKEIT AB.“

   Nach einer 100-tägigen Auszeit vom Unterneh-                                  HERMANN ARNOLD
men hatte ich eine neue Rolle angenommen. Es war
interessant zu sehen, was sich nun veränderte. Kurz
bevor Marc Stoffel die Leitung übernahm, hatten wir
ein Treffen mit zwei potenziellen Partnern. Erst rede-     übernommen – das begann sogar schon vor mir. Eine
ten beide nur mit mir und beachteten ihn kaum. Dann        von ihnen erntete sogar stehenden Beifall an einem
erwähnten wir den bevorstehenden Wechsel, und              unserer Strategie-Wochenenden. Das Zurücktreten
plötzlich änderte sich die Situation: Da hätte ich den     ist nicht leicht. Oft fließen Tränen, aber wir müssen
Raum verlassen können, ohne dass es ihnen aufgefal-        lernen, dass so ein Schritt kein Gesichtsverlust ist.
len wäre. Das war ernüchternd, aber es zeigte mir: Ob      Diese Mitarbeiterin wird später wieder Führungs-
wir Gehör finden oder nicht, hängt stärker von unserer     aufgaben übernehmen – davon bin ich überzeugt –,
Rolle als von unserer Persönlichkeit ab. Als Chef sollte   und sie wird es dann noch viel besser machen.“
man sich das immer klarmachen. Eines Tages fragte
mich mein Nachfolger, warum viele Projekte ohne ihn
nicht vom Fleck kämen. „Das hat weniger mit deiner
Intelligenz zu tun als damit, dass du CEO bist und die
Mitarbeiter von dir Entscheidungen erwarten“, gab ich      Fotos: PR
ihm zu bedenken.
   Ich stieß nicht immer auf Gegenliebe mit meiner
Entscheidung, den Chefposten abzugeben. Im Rahmen
einer Konferenz in Berlin stellte ich mich als Ex-CEO
vor. Schon während des Redens schalteten die meisten
Zuhörer innerlich ab. Ich sagte, dass ein zeitweiliges
Zurücktreten sowohl die Führungskraft als auch das
Unternehmen voranbringt, aber diese Botschaft ist
nicht wirklich angekommen.

Zurücktreten ist kein Gesichtsverlust

    Es gibt so viele veraltete Vorstellungen über Füh-
rung: etwa, dass man ein Berufsleben lang nur auf-
steigt oder sich obenhält. Oder dass nur Chefs richtig
gut verdienen. Ein differenzierteres Karriereverständ-                 ZUR PERSON
nis und ein weniger rigides Lohngefüge würden auch
das Problem entschärfen, dass Angestellte über 55 oft                  Hermann Arnold ist Mitgründer und Verwaltungs-
kaum mehr eine Chance haben. Die männlichen Zu-                        ratspräsident der Softwarefirma Haufe-umantis AG. Bis
hörer meines Vortrags verließen den Raum, als hätte                    2013 war der 42-Jährige ihr Geschäftsführer und baute
ich einen Virus. Nur ein paar Frauen kamen später auf                  sie von einem Start-up zu einem 100 Mitarbeiter starken
mich zu und gratulierten mir zum Mut, über meine                       Unternehmen auf. Er arbeitet nach wie vor in seiner Firma
Niederlage zu reden.                                                   und beschäftigt sich außerdem in zahlreichen Vorträgen
    Aber es tut sich was. Lufthansa hat entschieden,                   mit Fragen zum Mitarbeitermanagement und den Auswir-
Führungspositionen nur noch temporär zu beset-                         kungen des Internets auf die Führungszusammenarbeit.
zen. In Vereinen und Freiwilligen-Organisationen
ist das Zurücktreten ins Glied schon lange akzep-                          u m a nti s.c om

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                                                                  „Das hat
                                                                weh getan“
                                                                       Dass es manchmal schmerzt,
                                                                     erfolgreich zu sein, erfuhr Petra
                                                                             Jenner am eigenen Leib.
                                                                      Eine der größten Herausforde-
                                                                              rungen der ehemaligen
                                                                    Geschäftsführerin von Microsoft
                                                                        Schweiz liegt schon ein paar
                                                                                        Jahre zurück.

E
             s war 1998 und ich machte meinen bis da-      plötzlich abweisend oder zumindest anders. Es war
             hin größten Karrieresprung. Vorher war        doch nur ein neuer Titel, dachte ich.
             ich Channel-Managerin beim internationa-
             len Software-Unternehmen Informix bei         Was ist jetzt anders?
             München. Drei Jahre später wurde ich Mit-
glied der Geschäftsleitung und Manager Partner Sales          Mir kamen Gerüchte zu Ohren: „Warum ist die
für Deutschland, Österreich, Schweiz und osteuropäi-       plötzlich hochgekommen? Die hatte doch eine Affäre
sche Länder.                                               mit dem und dem“. Manche Ressortleiter und Kolle-
    Ich habe mich gefreut und gelitten, denn von einer     gen aus der Geschäftsleitung schauten von oben auf
Sekunde auf die andere wurde ich für meine Mana-           mich herab, immer darauf lauernd, dass ich Fehler
ger-Kollegen von einer geschätzten Kollegin zu einer       mache. Das hat weh getan, aber ich fühlte, wie sich
Widersacherin, viele gingen auf Distanz. Zahlreiche        mein Widerstand regte, vielleicht ein bisschen naiv,
Kollegen, die mir etwas bedeutet hatten, verhielten sich   nach dem Motto „Das Gute wird siegen“. Voller Elan

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   vertraute ich auf meine Leistungsbereitschaft. Frü-             Ich war gerade mal ein paar Monate in meiner
   her oder später würde sich alles wieder beruhigen,          neuen Position, da krachte es. Im März 1998 wurde
   dachte ich.                                                 der Börsenhandel für Informix-Aktien ausgesetzt.
      Informix war ein Hype-Unternehmen in einer Hy-           Als ich an diesem Morgen ins Büro kam, ahnte ich
   pe-Epoche der IT-Entwicklung. Die Branche boom-             nicht, was los war, aber dann überschlugen sich die
   te und blähte sich immer mehr auf. Alle arbeiteten          Ereignisse. Der Vorstandsvorsitzende wurde abge-
   wie im Fieber auf den nächsten Umsatzrekord hin.            setzt, ein neuer CEO und ein neuer Finanzchef wur-
   Jeder wollte einem Milliarden-Unternehmen ange-             den angekündigt. Fast alle weiteren Vorstände wur-
   hören. Börsenexperten sahen in dem Unternehmen              den gefeuert. Phil White, der einstige CEO, wurde
   einen Anlagekandidaten mit extremen Zuwächsen,              später festgenommen und ging ins Gefängnis. Der
   entsprechend war ihre Erwartungshaltung – und               Autor Steve Martin schrieb in seinem Buch über den
   ihr Druck auf das Unternehmen. Die Umsätze stie-            Informix-Skandal, er sei „seiner, Gier, seinen Lügen
                                                               und der Lust an der Macht“ gescheitert.
                                                                   Diese Ereignisse waren mit Abstand das Drama-
                                                               tischste, was ich in meinem beruflichen Leben bis-
ZUR PERSON
                                                               her erlebt habe. Der einstige Börsenliebling stand
                                                               vor dem Abgrund. Ich wusste nicht, was mit mir pas-
Petra Jenner, frühere CEO von Microsoft Schweiz und
heute Vice President Innovation & Transformation Europe
                                                               sieren würde.
Central bei Salesforce, gehört zu den einflussreichsten
Frauen im deutschsprachigen Wirtschaftsraum. Nach              Menschlicher Zugang zum Team
Jahren als Geschäftsführerin verschiedener Unterneh-
men leitete Petra Jenner zunächst Microsoft Österreich,            Aber es ging weiter. Mit einer um die Hälfte redu-
2011 übernahm sie die Geschäftsleitung von Microsoft           zierten Mannschaft. Die meisten meiner Kollegen wa-
Schweiz. Sie hält flexible Arbeitsformen und -modelle in       ren freiwillig gegangen, diejenigen, die blieben, waren
einer Arbeitswelt für unerlässlich, die den Mitarbeitern       motiviert bis in die Haarspitzen. Es war ein Team, bei
immer mehr abverlangt und in der die Grenzen zwischen          dem jeder wusste, was zu tun ist, jeder hatte am glei-
Beruf und Privatleben zunehmend verschwimmen.                  chen Strang gezogen! Eine kleine Oase inmitten der
                                                               Wüste eines doch eher erstarrten Betriebsklimas war
                                                               entstanden. Das setzte große Energien frei. Das darauf
                                                               folgende Jahr brachte eine Konsolidierung: Mein Team
   gen, der Zwang, schnelle Deals abzuschließen, wur-          und ich haben alle Ziele geschafft, sie sogar übererfüllt,
   de größer. Immer mehr Millionen wurden benötigt,            und das unter widrigsten Bedingungen.
   aber wir wussten alle, dass sich das Unternehmen                Das Gefühl, in einer Führungsrolle zu sein und doch
   gerade überhitzte. Ich ahnte, dass bald eine andere         auch einen normalen menschlichen Zugang zum Team
   Zeit kommen würde. Das unangenehme Gefühl in                zu haben, hat mich sicherer werden lassen. Es hat dazu
   der Magengrube ließ nicht nach.                             geführt, dass ich mich in meinem Ansinnen alles hu-
      Einerseits mochte ich das Gefühl „angekommen             maner zu gestalten, bestärkt fühlte. Mein Team hatte
   zu sein“, es geschafft zu haben. Aber ich hatte noch        sich ohne Druck und Ermahnungen selbst motiviert
   keine Routine im selbstverständlichen Umgang mit            und fühlte sich als wertvoller Teil des großen Ganzen.
   Statussymbolen und konnte mich noch nicht selbst-           Das sind prägende Erfahrungen, die mich stark ge-
   sicher in der Umgebung bewegen. Also neigte ich             macht haben in der Überzeugung, dass Führungskräfte
   dazu, mein Defizit mit extrem geschäftsmäßiger              endlich ihre Mitarbeiter mit ihrem gesamten Potential
   Kleidung und extremer Aufmerksamkeit zu kom-                wahrnehmen und die Menschen für ihre Leistungen
   pensieren. Jedes berufliche Thema war mir willkom-          würdigen müssen. Nur so vermeiden wir, dass uns der
   men, Hauptsache ich konnte meine innere Unsicher-           Sprung auf der Karriereleiter dermaßen geneidet wird.
   heit hinter fachlichen Diskussionen verstecken.             Im besten Fall ändert sich durch einen Karrieresprung
                                                               auf menschlicher Ebene gar nichts. Im besten Fall.“
   Der große Krach

       Auf die Führungsposition wird man in Unterneh-
   men nicht wirklich vorbereitet. Oft wusste ich nicht, wie
   ich mich verhalten soll. Was ist angemessen? Wen kann       Zusammengefasst aus „Mit Verstand und Herz - Authentisch und
   ich fragen? Meinen Chef konnte ich nicht ansprechen,        erfolgreich: Führungskraft ist weiblich“ von Petra Jenner,
   weil er der Typ war, der es nicht sonderlich schätzte,      Ariston, 2012.
   wenn man ratlos war.                                        Fotos: Christian Beutler/dpa

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„Und plötz­lich war ich Che­f“
Robin Hellwinkel wurde nach dem Tod seines Vaters plötzlich Geschäftsführer der Firma Neu-
märker. Mit 23 Jahren. Wie hat er die Herausforderung gemeistert, ein blutjunger Chef zu sein?

Robin Hellwinkel ist Geschäftsführer der Firma Neumärker, einem Hersteller für Gastronomiegeräte in Nordrhein-Westfalen.

I
         ch saß mitten in einer Vorlesung im französi-                 nachdenkliche, analytische Typ. Einer, der es struktu-
         schen Lille, als ich vom Tod meines Vaters er-                riert und geordnet haben möchte.
         fuhr. Es war Sommer 2013, und ich studierte
         Wirtschaft. Die Nachricht war ein Schock.                     Struktur statt Chaos
         Sein Tod kam plötzlich, niemand hatte etwas
von seiner Krankheit gewusst.                                              In der Firma fand ich ein ziemliches Chaos vor.
   Mein Vater war ein Fels in der Brandung, er hat                     Mein Vater hat nie einen Computer benutzt, viele Un-
sich Schwäche nie anmerken lassen. Am nächsten Tag                     terlagen waren unvollständig, es existierte auch kaum
packte ich meine Sachen und fuhr nach Deutschland.                     ein Vertrag. Die Herausforderung war es, das Unter-
   Ich war durcheinander: Einerseits trauerte ich um                   nehmen von Grund auf neu zu strukturieren. Um nicht
meinen Vater, andererseits versuchte ich, mir die                      direkt in seine Fußstapfen zu treten, zog ich erst mal
Übernahme seines 40-köpfigen Betriebs vorzustellen.                    in das Besucherzimmer. Ich wollte mich abgrenzen
Es stand fest, dass ich sein Nachfolger sein würde,                    und glaube auch, dass es für die Angestellten besser
aber mit meinen 23 Jahren war ich überhaupt nicht da-                  war, den neuen Chef in einer anderen Umgebung zu
rauf vorbereitet. Mein Vater war ein durchsetzungs-                    sehen. Einige Mitarbeiter kannten mich seit meiner
starker, charismatischer Mann, der sein Unternehmen                    Kindheit, andere aus einem Praktikum, das ich in der
Neumärker im autoritären Stil führte. Gern besiegelte                  Firma absolviert hatte. Jetzt war ich plötzlich Chef.
er Geschäfte mit einem Handschlag. Ich bin eher der                        Zunächst führte ich eine Warenkontrolle ein. Die

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gab es vorher nicht, und so kamen über die Jahre hin-
weg viele defekte Sendungen an, deren Reklamations-
fristen abgelaufen waren. Die Mitarbeiter haben meis-
tens auf Anweisung meines Vaters gehandelt. Ich
wollte, dass sie ab jetzt mitdenken und Verantwortung
für ihren Arbeitsbereich übernehmen. Ich führte Fee-
dback- und Teamgespräche ein, fragte die Mitarbeiter
nach ihrer Meinung über ihre Vorgesetzten und bat
regelmäßig um Verbesserungsvorschläge.
    Sehr oft stieß ich aber auf Widerstand: „Das haben
wir schon immer so gemacht“, hieß es. Die Mannschaft
akzeptierte mich nicht gleich als Chef. Veränderungen
setzten sie unter Druck.

Zum Chef im Zeitraffer                                           Fels in der Brandung: Vierzig Jahre lang hatte Wolfgang Hellwinkel
                                                                 das Unternehmen bis zu seinem frühen Tod erfolgreich geführt.

   Doch parallel zu den Umstrukturierungsmaßnah-
men geschahen viele Dinge, die der Belegschaft be-
stätigten, dass die Stoßrichtung gut war. Es ging
bergauf mit der Marke Neumärker. Ich entwickelte                 sind. Man bekommt weder Lob noch Zuspruch für
ein Waffeleisen, das gefüllte Waffeln herstellen kann,           sein Handeln. Das muss man aushalten können. Ich
den Diamantgrill, der Hitze speichert, und eine Plat-            fühle mich dadurch bestätigt, dass ich seltener höre,
                                                                 dass es im Betrieb Konflikte gibt. Das ist der Beweis
                                                                 für mich, dass es gut läuft. Mein Ziel ist es, die Marke
                                                                 Neumärker noch größer zu machen und als Unter-
                                                                 nehmen zu expandieren.
                                                                     Ich weiß nicht, ob mein Vater die neuen Anforde-
                                                                 rungen der Technik ebenfalls meistern könnte. Doch
                                                                 auch wenn ich nicht seinen Weg gehe, denke ich, dass
                                                                 er stolz auf mich wäre.

                                                                 Fotos: PR

Neumärker: Professionelle Geräte für Leckereien fast jeder Art
                                                                             ZUM UNTERNEHMEN

te, die sich bis auf minus 30 Grad abkühlen lässt und                        Außen unscheinbar, innen lecker: Die Produkte des
mit der man gerolltes Eis herstellen kann. Diese Ide-                        Hemeraner Familienbetriebes Neumärker bereiten Men-
                                                                             schen überall in Deutschland sowie in Europa und bis in
en zeichnen unser Unternehmen heute weltweit aus.
                                                                             den Nahen Osten hinein häufig Gaumenfreude. Das seit
    Was manche durch lange Berufserfahrung, meh-
                                                                             1894 bestehende Unternehmen mit rund 35 Mitarbeitern
rere Jobwechsel und Führungskräfte-Coachings ge-
                                                                             ist ein führender Hersteller von Back-, Grill- und Bratge-
lernt haben, musste ich mir im Zeitraffer aneignen.                          räten für die Gastronomie. Wo in professioneller Größen-
Die Übergangsphase vom Chefsohn zum Chef würde                               ordnung Waffeln oder Crêpes gebacken, auf Kontaktgrills
ich so beschreiben: Nach einer anfänglichen Trauer-                          Fleisch oder Würstchen gegrillt werden, ist die Wahr-
phase gab es im Unternehmen eine euphorische                                 scheinlichkeit groß, dass die dazu notwendigen Geräte
Stimmung, die einen Neuanfang herbeisehnte. Als es                           aus Hemer stammen. Zudem vertreibt die Neumärker
um konkrete Veränderungen ging, kamen die ersten                             GmbH als Handelsware auch vieles, was ansonsten in
Widerstände. Jetzt, nach vier Jahren, akzeptieren sie                        der Restaurant-Gastronomie oder im Imbiss-Geschäft
mich als Vorgesetzten.                                                       gebraucht wird.
    Als Chef erfährt man nie direkt, ob alle zufrieden
                                                                                  neu m a er ker.de

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                                           Kurs­korrektur
                                         in letzter Minute
                                  Seit 2012 vertreibt Emanuel Schmock erfolgreich Bio-Snacks
                                  unter dem Namen Mogli. Auf den anfänglichen Enthusiasmus
                                    folgte jedoch bald Ernüchterung. Der Unternehmer musste
                                     sich von einigen Mitarbeitern trennen und so manche Idee
                                                          begraben. Was hat er daraus gelernt?

W
                   ir dachten, wir seien unschlagbar.   und ohne große Investoren wollten wir aus der Marke
                   Unter der Marke Mogli brachten       ein Universum machen.
                   wir vor ein paar Jahren 30 ver-         Die Idee war eigentlich toll: Eltern sollten ein Be-
                   schiedene Bio-Lebensmittel für       wusstsein dafür bekommen, dass ihre Kinder unbe-
                   Kinder auf den Markt, boten Kur-     dingt in die Natur gehören. Ich wuchs auf einem
se in Baumpflege, Baumpatenschaften, Kochrezepte,       Bio-Bauernhof in einer 68er-Kommune auf und war
luden ein zu Waldexkursionen, in denen Familien ler-    fast immer draußen. Meine Eltern waren so was wie
nen, wie man ohne Spielzeug Zeit verbringt, entwi-      Hippies, und ich besuchte nie einen Kindergarten. Mit
ckelten ein Kindermagazin. Mit zwölf Mitarbeitern       sechs Jahren fuhr ich Trecker und half bei der Ernte.

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   Das war eine schöne Zeit, die mich sehr geprägt hat.
   Heute sind Stadtkinder im Durchschnitt nur noch eine
   Stunde pro Tag draußen und kennen die Natur kaum,
   geschweige denn gesunde Ernährung.

                       „WIR HATTEN UNS
                     VÖLLIG VERZETTELT.“

                         EMANUEL SCHMOCK

       Damals arbeiteten wir bei Mogli ganze Nächte
   durch. Unsere Produkte fanden sich schnell in Super-
   märkten und Bioläden wieder. Irgendwann verkauften
   wir in 20 verschiedene Länder und wurden immer be-
   kannter. Das war gut, doch während die Nachfrage
   stieg, mussten wir ja auch das Qualitätsniveau halten.    Mogli stellt Bio-Snacks für Kinder her
   Das ließ die Kosten in die Höhe schießen. Wir hatten
   einfach zu wenig Kapital und zu wenig Personal. Ne-
   benbei war nicht mal klar, was eigentlich die Identität
   unserer Marke war. Wir boten so viel an, dass nie-        von Mogli und kümmert sich heute mehr um seine an-
   mand mehr wusste, wofür wir stehen. Nach zwei Jah-        deren Unternehmen. Zwar schläft man ruhiger, wenn
   ren stießen wir an unsere Grenzen.                        man sich die Verantwortung teilt, aber eine klare Aus-
                                                             richtung ist früher oder später in jedem Unternehmen
   Ein neues Konzept für Mogli                               wichtig. Das war uns beiden klar. Für mich, der gern
                                                             im Team entscheidet und den Konsens liebt, war es ein
      Trotzdem war es gut, dass wir gezwungen wurden,        Lernprozess, die Meinung zu sagen, auch wenn sie an-
   Konzept und Strategie neu zu überdenken. Denn nun         dere vor den Kopf stößt. Ich trennte mich von einem
   trafen wir eine Entscheidung: Armin wurde Teilhaber       Teil des Sortiments und schaltete einen Gang runter,
                                                             nahm mir vor allem Zeit, um über das Markenprofil
                                                             nachzudenken. Am meisten schmerzte es mich, dass
                                                             ich mich von der Hälfte der Belegschaft trennen muss-
                                                             te. Solche Entscheidungen fallen mir bis heute schwer.
                                                             Aber genau daran ist das Unternehmen gewachsen.
                                                                 Wir bieten mit Mogli nun hauptsächlich Snacks für
                                                             unterwegs. Das passt zu unserer Botschaft, Kinder
                                                             wieder mehr in die Natur zu bringen. Wir verfolgen
                                                             das große Thema „Unterwegs sein“ und bieten in die-
                                                             sem Rahmen auch Waldtage, an denen Kinder nach
                                                             Tierspuren suchen, Hütten bauen und barfuß über
ZUR PERSON
                                                             Moos und Erde laufen. Wir haben ein paar stille Inves-
                                                             toren gefunden, aber sie haben keinen Einfluss auf un-
Der ehemalige Waldorf-Schüler Emanuel Schmock hat
nach dem Studium an einer privaten Wirtschaftsuni in         ser Tun. So fühlt es sich richtig an.
Köln und verschiedenen Stationen in der Naturkost-Bran-          Die Krise vor ein paar Jahren war heilsam für mich
che zuletzt mehrere Jahre lang in verantwortlicher Posi-     und das Unternehmen. Zwar arbeite ich immer noch
tion beim Schweizer Bio-Babynahrungshersteller Holle         viel. Aber ich habe meine Idee gerettet – und wir sind
gearbeitet. Aufgewachsen ist er auf einem Demeter-Hof        wieder zwölf Mann im Team.
innerhalb einer anthroposophischen Arbeits- und Lebens-
gemeinschaft, seinen Zivildienst verbrachte er in einer
Camphill-Gemeinschaft in den USA. Seitdem hat ihn das
Thema Öko-Landbau nicht mehr losgelassen.
                                                             Fotos: PR
   mo gl i .d e

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                                       Vom
                                    Manager
                                  zum Milch-
                                     bauern
                                        Er reiste um die ganze Welt,
                                     fuhr schicke Dienstwagen und
                                   verantwortete wichtige Projekte:
                                  Thorsten Zellmann war zufrieden
                                             als Manager bei Bosch.
                                         Dann wurde er Milchbauer.

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M
                    ein Vater war 45 Jahre lang Milch-               verließ Bosch. Das zu entscheiden hat mir schlaflose
                    bauer in seiner Molkerei im Taunus               Nächte beschert, aber am Ende war der Entschluss un-
                    und hat das ganze Jahr 130 Kühe                  umkehrbar. Das wollte ich, das war ich!
                    und 60 Hektar Land versorgt. Er
                    liebte diese Tätigkeit – so wie ich              Investition in die eigene Molkerei
meine leitende Funktion als Industrie-Manager bei
Bosch Rexroth. Damals hatte ich beruflich auf der gan-                  Meine Kollegen konnten das natürlich nicht verste-
zen Welt zu tun. Ich entwickelte Automobilkomponen-                  hen. Wie kann ein erfolgreicher Ingenieur bei den heu-
ten und Antriebe für Produktionsmaschinen, leitete                   tigen Milchpreisen in eine Molkerei investieren? Sie
Projekte in China, Mexiko, den USA und führte ein ru-                hatten ja recht: Der Verfall der Milchpreise ist katast-
heloses, aber abwechslungsreiches Leben.                             rophal. Bei 21 Cent pro Liter kann man nicht einmal
    Dann, vor sechs Jahren, erkrankte mein Vater. Er                 die Fixkosten decken. Doch ich bin niemand, der die
rief mich an und war ganz niedergeschlagen. ‚Thors-                  Dinge dem Zufall überlässt. Ich habe mir meine Ge-
ten, ich muss den Hof verkaufen‘, sagte er und ich                   schäftsidee gut überlegt, bevor ich das Risiko einge-
konnte hören, wie weh ihm das tat. Und dann antwor-                  gangen bin.
tete ich zu meinem eigenen Erstaunen: ‚Das musst du
nicht, ich kann dir helfen‘.
    Das hätte er nie erwartet. Er sah mich ja kaum
noch, weil ich ständig unterwegs war. Doch meine Lie-
be zur Landwirtschaft hatte ich ja auch als Ingenieur
nie verloren. Ich bin promovierter Agrarwissenschaft-
ler und habe mich auch nebenberuflich immer mit
Umweltschutz und nachhaltiger Landwirtschaft be-
schäftigt.

                                                                     Melkroboter statt Handarbeit - nur so bleibt Zellmann
                                                                     konkurrenzfähig

                                                                         Ich hatte erfahren, dass die Nachfrage nach regio-
                                                                     nalen Produkten in den Supermärkten recht hoch ist.
                                                                     Die hochwertige Milch vom Birkenhof könnte ich an
                                                                     ausgewählte Händler liefern und dafür, so sagte es
                                                                     mir ein Filialleiter, etwas mehr Geld verlangen. Das
Kühe statt Kollegen: Zellmann mit seinem wichtigsten Kapital - den   leuchtete mir ein und vor allem deshalb wagte ich den
Tieren.
                                                                     Sprung in die Selbstständigkeit. Ich nahm einen Kre-
                                                                     dit von rund einer halben Million Euro auf und steckte
                                                                     das Geld in den Aufbau der Molkerei.
    Zunächst änderte sich beruflich nichts für mich.
Erstmal kümmerte ich mich nur nebenbei um den Bir-                   Behördliche Auflagen kosten Zeit – und Geld
kenhof und merkte immer mehr, wie sehr ich die Land-
wirtschaft vermisst hatte. Hier hatte ich meine ganze                   Die Umstellung lief gut. Ich schaffte mir einen
Kindheit verbracht. Leider wurde mir schon bald die                  Pasteurisator an, der die Milch kurzzeitig erhitzt und
Arbeit zu viel und ich musste mich ernsthaft fragen, ob              wieder abkühlt, erwarb einen Homogenisator und eine
ich dieses Doppelleben noch weiterführen kann. In die-               Abfüllanlage – alles aus Edelstahl in eigens dafür aus-
ser Zeit traf ich eine Entscheidung, die gleichzeitig die            gestatteten Räumen, die man nur im Kittel und mit
größte Herausforderung meines Berufslebens war: Ich                  Haarnetz betreten darf.

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   Die Hofmilch kam gut an. Gleich nach der öffentli-                    Heute trotten die Milchkühe in ihrem Boxenlauf-
chen Präsentation während des Apfelprobiertags in                     stall selbstständig zum Melken. Sie werden dabei vom
Misselberg wollte ich die Ware in vier Märkte liefern.                süßlich schmeckenden Kraftfutter angelockt. Am
                                                                      Computer kann ich neben der Milchmenge auch den
                                                                      Fett- und Eiweißgehalt der Milch ablesen. Das Beson-

                                                                                    „ICH BIN KEIN TRÄUMER.“

                                                                                           THORSTEN ZELLMANN

                                                                      dere an meiner Milch ist, dass diese Komponenten je
                                                                      nach Saison variieren und der Kunde schmecken
                                                                      kann, welche Jahreszeit wir gerade haben. So sollten
                                                                      Lebensmittel sein, finde ich.
                                                                         Obwohl ich mich intensiv um meine Milchkühe
                                                                      und die Nachzucht von den Jungtieren kümmere, bin
                                                                      ich kein Träumer. Die moderne Landwirtschaft hat
                                                                      nichts mit einem Bauernhof-Idyll aus dem Bilderbuch
                                                                      zu tun. Ich bewege mich im ständigen Spagat zwi-
                                                                      schen artgerechter Haltung und Wirtschaftlichkeit.
                                                                      Das ist eine große Herausforderung, und das wird es
                                                                      auch immer bleiben. Aber genau das will ich.“

Zufriedene Gesichter: Thorsten Zellmann mit einer Mitarbeiterin bei
der Arbeit.

                                                                      Fotos: PR

   Doch die Behörden machten mir einen Strich durch
die Rechnung. Sie verlangten mehrfach Nachweise
über die einwandfreie Funktion der Molkerei, was zu-
sammengenommen etwa vier Monate dauerte. In die-
ser Zeit entgingen mir alle Einnahmen, mit denen ich
bereits gerechnet hatte.                                                          ZUM UNTERNEHMEN
   Das waren wieder harte Monate und auch da einige
schaflose Nächte. Doch das ist nun vorbei. Die Aufla-                             Rund eine halbe Million Euro steckte Thorsten Zellmann
gen sind erfüllt, inzwischen verkaufe ich wöchentlich                             in den Aufbau seiner eigenen Hofmolkerei. Auf 42
rund 3500 Liter Milch an Supermärkte, Hotels, Dorflä-                             Quadratmetern verarbeitet er rund 3.500 Liter Milch pro
den und Schulen im Umkreis. Wenn dies stabil läuft,                               Woche, die seine rund 70 Kühe geben. Verkauft wird das
möchte ich mich gerne um weitere Produkte wie                                     Produkt mit dem Namen „Endlich Hofmilch“ vor allem
Quark und Joghurt kümmern.                                                        bei Supermärkten in der Region, die sich damit laut
                                                                                  eigenen Aussagen neue Kundenschichten erschlossen
                                                                                  haben. Daneben beliefert Zellmann auch direkt Schulen
Ein Leben als Milchbauer – kein Bilderbuchidyll
                                                                                  und Hotels mit seiner Milch. Mittelfristig will der promo-
                                                                                  vierte Agrarwissenschaftler und Molkereibesitzer auch
   Meinem Vater geht es wieder gut, aber er kann
                                                                                  Quark, Joghurt und Käse herstellen. Außerdem möchte
nicht wieder voll in den Betrieb einsteigen. Manchmal                             er mit einer Webcam im Kuhstall interessierte Kunden
steht er schmunzelnd vor dem Melkroboter, der so still                            über seine Homepage am Alltag seiner wichtigsten
und leise seine „Mädchen“ melkt. Er selbst hatte ja                               Mitarbeiterinnen teilhaben lassen.
noch eine herkömmliche Melkmaschine benutzt, was
viel aufwendiger war.                                                                 z el l m a nns - bi r kenh of.de

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Von schwie­­ri­gen Kun­den
lernen
Aufwendige Dekorationen und verspielte Floristik: Mit FourSeasons Dekoration bedient Lilli
Heinze den wachsenden Bedarf an opulenter Hochzeits- und Veranstaltungsgestaltung. Den
Umgang mit Gegenwind lernte die Unternehmerin gleich zu Beginn.

Lilli Heinze hatte nie vor, sich selbständig zu machen, Deko war nur ihr Hobby. Erst durch die Überzeugungsarbeit ihrer Schwester wagte sie
den Sprung ins kalte Wasser.

I
         ch wollte nie selbstständig sein. Eigentlich. Vor               für Event-Dekoration und Floristik, stattete ich Hochzei-
         der großen Verantwortung hatte ich einen Hei-                   ten aus, fand Kooperationspartner, die mich weiteremp-
         denrespekt. Wenn meine Schwester mir nicht                      fahlen, investierte in den ersten Jahren die Einnahmen
         so gut zugeredet hätte, würde ich heute noch                    direkt wieder ins Unternehmen und konnte es kontinu-
         als Hobby Dekoarbeiten anbieten und keinen                      ierlich aufbauen. Es war nicht einfach, aber ich glaubte
Cent damit verdienen. Doch meine Schwester machte                        an die Idee und machte immer weiter.
mir Mut und half mir, meine Ängste vor Steuererklä-
rungen, Betriebskostenaufstellungen, Rechtsfragen                        Wenn der Kunde am Selbstbewusstsein kratzt
und Papierkram zu überwinden. Dafür bin ich ihr bis
heute dankbar. Und: Ich bin jetzt mein eigener Chef.                        Was mir aber kein Existenzgründer-Handbuch der
    Ich kündigte meinen festen Job als medizinisch-tech-                 Welt hätte beibringen können: wie man mit schwieri-
nische Radiologieassistentin und sprang ins kalte Was-                   gen Kunden umgeht. Ich war gerade zwei Jahre selbst-
ser. Es fühlte sich gar nicht so schlimm an. Mit meinem                  ständig, als mir eine Kundin im Gespräch geradezu
Unternehmen FourSeasons Dekoration, einem Anbieter                       entglitt. Sie wollte eine üppig ausgestattete Hochzeit

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und zeigte mir Bilder aus dem Internet, von monströ-
sen amerikanischen Blumenbouquets und opulent ge-
deckten Tischtafeln für mehr als 200 Gäste. Ihr Bud-
get deckte die Kosten bei Weitem nicht. Leider war sie
davon überzeugt, dass ich damit gut arbeiten könne.
„Wie kommen Sie auf so einen Wucherpreis bei so ei-
nem Blumengesteck?“, sagte sie, als es konkreter wur-
de, und dieser Ton zog sich durch das ganze Gespräch.

                                                             Lilli Heinze war medizinisch-technische Radiologieassistentin, bevor
                                                             sie sich als Floristin selbständig machte. Mit ihrem Unternehmen
                                                             FourSeasons dekoriert sie vor allem bei Hochzeiten.

                                                                Diese Grenzerfahrung war nötig, denke ich im
                                                             Nachhinein. Denn ich habe danach nie wieder etwas
EIn Händchen für die Deko: Hochzeitstisch von Lilli Heinze   Ähnliches mit Kunden erlebt. Ich denke, ich habe
                                                             durch diese Situation ein anderes Auftreten bekom-
                                                             men, strahle mehr Selbstsicherheit und Erfahrung
   Mein Magen krampfte sich zusammen, ich                    aus. Ich verhandle auch besser, weil ich mir meines
schwitzte. Solche Kunden gehen einem unmittelbar             Wertes bewusster bin. In gewisser Weise bin ich der
ans Selbstbewusstsein. „Bin ich wirklich teuer? Ma-          Kundin dankbar.
che ich keine gute Arbeit? Nehme ich Wucherpreise?“,
fragte ich mich. Ich war vollkommen durcheinander.
   Die Situation war so neu für mich und so extrem,
dass ich in eine Art Überlebensmodus wechselte. Ich
schnappte mir ein Blatt Papier und schrieb haarklein         Fotos: Simone Kellner Photography
auf, aus welchen Kosten sich ein Strauß Blumen zu-
sammensetzt. Ich tat das für die Kundin, aber auch für
mich. Um mir selbst zu bestätigen, dass ich richtig lie-
ge und nicht profitgeil bin.

„Hauptsache, man verliert den Kunden nicht“                              ZUM UNTERNEHMEN

    Unter anderen Umständen wäre ich eingeknickt.                        Lilli Heinze ist Four Seasons und Four Seasons ist Lilli
Jeden Kunden empfindet man doch als Wertschätzung                        Heinze: Die Gründerin führt das Unternehmen in Eigen-
seiner Arbeit. „Natürlich, kriegen wir hin!“, sagte ich                  regie - und setzt auf ein enges Verhältnis zum Kunden.
oft in der Anfangszeit, in der man so sensibel auf Wün-                  Schließlich geht es oft um den wichtigsten Tag in dessen
                                                                         Leben. FourSeasons Dekoration ist ein Unternehmen für
sche oder kleine Nuancen im Tonfall reagiert. Haupt-
                                                                         Veranstaltungen und Events - mit Schwerpunkt auf Hoch-
sache, man verliert den Kunden nicht.
                                                                         zeiten. Dabei dekoriert Lilli Heinze mit Kollegen und Netz-
    Ich rechnete mit dem Verlust des Auftrags, mit ei-                   werkpartnern Events. Heinzes Marketinggeheimnis ist die
nem bösen Eintrag auf meiner Homepage oder einem                         Weiterempfehlung. Für die Zukunft des Unternehmens
Wutausbruch. Aber plötzlich war die Kundin ganz still.                   wünscht sich die Gründerin einen großen Showroom mit
Und dann – erstaunlicherweise – entschuldigte sie sich.                  angebauter Lagerhalle, tolle Mitarbeiter und zufriedene
Sie bat mich, den Auftrag weiterhin zu übernehmen.                       Häuser und Kunden.
Von da an hatte ich kein einziges Problem mehr mit ihr.
                                                                              fou r sea sons - dekor a ti on.de

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8 ty­pi­sche Feh­ler jun­ger Chefs
Der Frankfurter Führungsexperte Sebastian Stockebrand kennt die Fallstricke frischgebackener
Chefs. Hier kommentiert er acht Beispiele für typisches Fehlverhalten in der Anfangszeit.

Jung und Chef - kann das gutgehen? Mit ein paar Tricks lassen sich die schlimmsten Fehler vermeiden.

1. Zu viel Respekt gegenüber dem                                       sich, ohne dass die Mitarbeiter das Gefühl haben, dass
Vorgänger haben                                                        nur ihre Abteilung betroffen ist. Setzen Sie auf keinen
                                                                       Fall gleich neue Verantwortlichkeiten fest. Schauen
    20 Jahre war sein Vorgänger im Amt. Das lief gut,                  Sie sich die Abläufe erst an und entscheiden dann, wo
denkt die junge Führungskraft. Warum überhaupt                         man eingreifen muss.
etwas ändern an den Abläufen? Sie sollten als junge
Führungskraft auf keinen Fall die Hände in den Schoß                   2. Über gute und schlechte
legen. Gerade wenn Ihr Vorgänger pensioniert wurde.
                                                                       Mitarbeiter urteilen
Oft hat sich in den letzten Jahren ein Reformstau ge-
bildet, weil sich Chef und Mitarbeiter gegenseitig in
Ruhe gelassen haben. Große Veränderungen waren                            Für die neue Führungskraft ist es offensichtlich,
nicht erwünscht. Ihr Vorgänger wurde ursprünglich                      wer in der Abteilung etwas leistet und wer nicht. In
vielleicht auch einmal wegen guter Leistungen be-                      Teambesprechungen rutschen ihr gegenüber Letzte-
fördert – sein Stil ist aber ein ganz anderer als Ihrer!               ren manchmal negative Randbemerkungen heraus.
Man kann jemanden nicht eins zu eins kopieren. Das                     Den geschätzteren Mitarbeitern gegenüber ist sie
wirkt aufgesetzt. Bleiben Sie authentisch und prüfen                   deutlich zugewandter. Egal ob Sie im Unternehmen
Sie in den ersten Wochen, wo Sie zum Beispiel die Zu-                  befördert wurden oder von außerhalb kommen – es
sammenarbeit mit anderen Abteilungen verbessern                        schürt Abneigung Ihnen gegenüber, wenn Sie schlecht
können, das bringt schon viele Veränderungen mit                       über andere Mitarbeiter reden. Das kommt auch bei

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den hofierten Kollegen nicht gut an. Wenn Sie wirklich             lich ist er aber genauso auf der Höhe wie Sie. Angst
ein Leistungsdefizit bei einem Mitarbeiter vermuten,               kann man in einem einzigen Gespräch schon deutlich
sprechen Sie unter vier Augen mit Ihm. Sagen Sie ihm               mildern.
sachlich, wie sie seine Leistung wahrnehmen. Solche
Gespräche kann man positiv einleiten: „Ich finde es                4. Privates auf später verschieben
toll, dass Sie immer so sorgfältig arbeiten…“. Dann
konkreter: „Sie liegen aber 20 Prozent unter dem
Durchschnittswert in der Abteilung. Wie können wir                    Es gibt viel zu tun. Da bleibt kaum Zeit, jeden Mit-
das gemeinsam verbessern? Welche Vorschläge haben                  arbeiter erstmal einzeln kennenzulernen. Das ergibt
Sie?“ Ganz wichtig: Zum Abschluss einen Termin ver-                sich im Laufe der Zeit, denkt die Führungskraft und
einbaren, an dem die vereinbarte Etappe betrachtet                 widmet sich den fachlichen Fragen. Sie sollten sich in
und weitere Schritte festgelegt werden.                            den ersten 100 Tagen nicht ausruhen, aber der Laden
                                                                   läuft zunächst auch ohne Sie! Nehmen Sie sich in den
3. Alles selber machen wollen                                      ersten zwei Wochen unbedingt Zeit für das gegenseiti-
                                                                   ge Kennenlernen jedes einzelnen Mitarbeiters. Wenn
                                                                   Sie auf eine Party gehen, begrüßen Sie auch erst den
    Ein Kollege arbeitet nicht effizient genug an der              Gastgeber und gehen dann zum Büfett. Der erste Ein-
Ausarbeitung komplexer Projekte. Kurzerhand erle-                  druck kann sich dauerhaft auf die Arbeitsbeziehung
digt die Führungskraft einen Großteil der Aufgabe                  auswirken. Erzählen Sie in den Gesprächen etwas von
selbst. Sie sind als Führungskraft für die Leistung des            sich selbst, Ihrem Werdegang, was Ihnen wichtig ist.
gesamten Teams verantwortlich. Da liegt es manch-                  Fragen Sie den Mitarbeiter danach, welche Berufser-
mal nahe, Aufgaben selbst zu übernehmen. Doch je                   fahrung er hat, was heute schon gut läuft, was unbe-
größer Ihr Team ist, desto weniger Fachaufgaben kön-               dingt geändert werden muss und was seine Erwartun-
nen Sie bewältigen. In Krisensituationen und Ausnah-               gen sind.
mefällen ist das in Ordnung – als Dauerzustand nicht.
Ein gutes Team muss auch funktionieren, wenn der                   5. Wie man mit Gegenwind von
Chef im Urlaub ist. Sie können die schlechten Leistun-
                                                                   den „Alten“ umgeht
gen eines Mitarbeiters sicher kompensieren – aber wie
sieht es bei dreien aus? Dann leidet Ihre Kernaufgabe!
Sprechen Sie mit dem betroffenen Mitarbeiter klar und                  Die Führungskraft fühlt sich in ihrer Autorität
offen über Ihre Einschätzung seiner Arbeit und Ihre                durch ein paar Alteingesessene untergraben. Auf Ver-
                                                                   änderungsvorschläge reagieren sie stets ablehnend,
                                                                   bieten aber auch keine Alternativen. Die Führungs-
                                                                   kraft beschließt, die „Querulanten“ zu ignorieren.
                                                                   Jeder amerikanische Präsident bekommt nach seiner
                                                                   Wahl eine 100-tägige Schonfrist von Medien und po-
                                                                   litischen Gegnern. Sie selbst sollten sich auch so eine
                                                                   Schonfrist gönnen, in der Sie sich nicht überfordern –
                                                                   egal wie stark der Gegenwind ist. Erwarten Sie keine
                                                                   Wunder in der ersten Zeit, sondern bringen Sie Ihre
                                                                   Vorschläge geduldig immer wieder ein. Es dauert hun-
                                                                   dert Jahre bis ein Wald wächst und einen Tag bis er
                                                                   niederbrennt. So ist es auch mit dem Vertrauen unter
                                                                   Menschen. Sollten einige Kollegen weiterhin schwie-
                                                                   rig sein, suchen Sie sich Verbündete für Themen, die
                                                                   Sie durchsetzen wollen. So wie Politiker um Mehrhei-
                                                                   ten werben, brauchen Sie sich auch nicht zu schade
Junge Chefs sollten lernen, nicht alles selbst machen zu wollen.   sein, für Ihre Ideen zu werben. Loten Sie vor wichtigen
                                                                   Meetings aus, wer auf Ihrer Seite steht und bitten Sie
                                                                   diese Kollegen um Unterstützung. Machen Sie deut-
                                                                   lich, welche Kosten auf das Unternehmen zukommen,
Erwartungshaltung. Schauen Sie, was er braucht, um                 wenn man sich Veränderungen verweigert. Damit
die Leistungen zu bringen. Oft wundert man sich, was               bringen Sie „Querulanten“ in die Verantwortung und
in diesen Gesprächen herauskommt: da hemmt einen                   damit unter Handlungsdruck. Nur Nein sagen, reicht
Mitarbeiter etwa die Angst, Fehler zu machen. Fach-                dann nicht mehr.

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6. Dem Renovierungs-Wahn erliegen                                  Das muss man unbedingt genau prüfen und das Gespräch
                                                                   mit den Mitarbeitern suchen, sobald man merkt, dass sich
    Alles muss neu! So lautet das Fazit der Antrittsre-            bestimmte Ziele nicht – aber vielleicht einzelne Etappen –
de. Die Mannschaft ist ziemlich vor den Kopf gestoßen.             erreichen lassen. Wichtig ist, dass Sie schlechte Nachrich-
Dabei ist eine Reform der Abteilung doch so wichtig.               ten immer mit Vorschlägen verbinden, wie man es besser
War sie nicht der Grund, warum der Neue seinen Pos-                machen kann. Wenn das neue Buchungssystem nicht in
ten überhaupt bekommen hat? Machen Sie jetzt bloß                  drei Monaten eingeführt werden kann, zeigen Sie, wie Sie
nicht den großen Macker. Wer das bisher Geleistete                 durch geschickte Prozessoptimierungen die Bearbeitungs-
nicht würdigt, braucht sich nicht wundern, wenn die                zeiten schon jetzt erheblich verkürzen können.
Mitarbeiter nicht auf seiner Seite sind. Ihre Botschaft
an sie lautet ja: Ihr habt bisher alles falsch gemacht!
Nutzen Sie Vergleiche, wenn Sie überzeugen wollen:                                                         ZUR PERSON
Der Golf I war ein hervorragendes Auto. Doch der Ge-
schmack, das Fahrverhalten und die Komfortbedürf-                                                          Sebastian Stockebrand, 45,
nis der Kunden haben sich weiterentwickelt und des-                                                        hat in verschiedenen Unterneh-
                                                                                                           men der Finanzbranche gearbei-
                                                                                                           tet, dabei größere IT-Projekte ge-
                                                                                                           managt und Abteilungen geleitet.
                                                                                                           Seit 2007 ist er als Coach und
                                                                                   Trainer für Führungskräfte und Projektleiter tätig, dabei
                                                                                   hat er sich insbesondere auf die Einstiegsphase, also die
                                                                                   ersten 100 Tage als Führungskraft spezialisiert. Er ist Au-
                                                                                   tor und Sprecher des Business-Hörreihe „Das Abenteuer
                                                                                   Coaching“. Der Diplom-Kaufmann lebt mit seiner Familie
                                                                                   in Frankfurt am Main.

                                                                                       sto ckebr a nd - bc .de

                                                                   8. Sorgen aus dem Büro mit nach Hause
                                                                   nehmen

Zu viel Respekt vor dem Vorgänger ist für junge Chefs nicht gut.
                                                                      Die erste Zeit als Führungskraft ist hart. Aber die
                                                                   Arbeit bleibt in der Firma und soll sich nicht auf das
                                                                   Privatleben auswirken. Und so schweigt sich die Füh-
halb muss das neue Modell genau daran angeglichen                  rungskraft in Freundeskreis und Familie über die
werden. In Ihrer Antrittsrede sollten Sie deutlich ma-             wirklichen Probleme im Job aus. Alles in sich hineinzu-
chen, dass das, was die Mannschaft geleistet hat, der              fressen und gleichzeitig übersteigerte Erwartungen an
Grundstein für den Erfolg des Unternehmens ist. Das                sich selbst zu haben, ist ungesund. Es kann ein gutes
motiviert. Jeder fühlt sich dann wertgeschätzt.                    Ventil sein, sich vor Vertrauten zu öffnen. Oft bekommt
                                                                   man dann einen klareren Blick auf die eigene Situation.
7. Wie Sie mit Zielen umgehen können                               Aber übertreiben Sie es nicht. Wenn die Ehefrau sich
                                                                   Ihre Sorgen jeden Abend zwei Stunden anhören muss,
                                                                   Ihnen aber nie direkt helfen kann, wird das zur Bezie-
    Das Management hat der jungen Führungskraft einige             hungsprobe. Vielleicht finden Sie im oder außerhalb des
Zielvorstellungen mitgegeben. Um möglichst transparent             Unternehmens einen Coach, mit dem Sie offen darüber
zu bleiben – denn Aufrichtigkeit ist ja wichtig – sagt sie         sprechen können, was Sie als Führungskraft bewegt.
gleich in den ersten Sitzungen, bis wann welche Aufgaben           Profis können Ihnen dann auch noch Lösungswege aus
und Projekte umgesetzt sein müssen. Klar, als junge Füh-           der Stressfalle nennen. Das bietet sich immer an.
rungskraft fühlt man sich von den vielen Aufgaben ganz
schön unter Druck gesetzt! Bewahren Sie Ruhe – Ihr Vor-
gänger hat auch nur mit Wasser gekocht. Wie wurden Auf-
gaben und Projekte denn bisher umgesetzt? Manche Ziele             Fotos: Getty Images, PR
lassen sich einfach nicht in ein paar Monaten erreichen.           Illustrationen: Karsten Petrat

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