Der Quantencomputer - ein zukünftiger Gegenstand der Medienwissenschaft?

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Repositorium für die Medienwissenschaft

   Christoph Ernst; Martin Warnke; Jens Schröter
   Der Quantencomputer – ein zukünftiger Gegenstand
   der Medienwissenschaft?
   2020
   https://doi.org/10.25969/mediarep/14866

   Veröffentlichungsversion / published version
   Zeitschriftenartikel / journal article

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation:
Ernst, Christoph; Warnke, Martin; Schröter, Jens: Der Quantencomputer – ein zukünftiger Gegenstand der
Medienwissenschaft?. In: MEDIENwissenschaft: Rezensionen | Reviews, Jg. 38 (2020), Nr. 2-3, S. 130–
150. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/14866.

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Perspektiven

Der Quantencomputer gilt als Schlüs-      beachten, dass sich die Innovations-
seltechnologie für das 21. Jahrhundert.   erwartungen zwar derzeit auf den
Gegenwärtig treiben sowohl die großen     Quantencomputer fokussieren, aber
Unternehmen der Technologiebran-          nicht auf diese Maschinen beschränkt
che als auch aufwändig finanzierte        sind. Im Fachdiskurs wird bereits von
Forschungsprogramme verschiedener         Technologien wie einem „Quantenin-
Nationalstaaten die Entwicklung dieser    ternet“ ( Fürnkranz 2019), neuartigen
Maschinen voran. Quantencomputer          „Quantum Sensing“ (Preskill 2018,
beruhen auf der Idee, quantenphysi-       S.6) und Verfahren der „Quanten-
kalische Erkenntnisse für die Informa-    kryptographie“ (ebd.) gesprochen.
tionsverarbeitung nutzbar zu machen.      Auff ällig ist an diesen Debatten, dass
Sie stehen im Zentrum der Hoff nung,       die Forschung zur Verbindung von
aus der informatischen Nutzung von        Quantenphysik und Informationstheo-
Quanteneffekten vollkommen neue           rie sehr grundsätzlich mit Fragen der
Technologien – sogenannte Quanten-        Medialität der beschriebenen Prozesse
technologien – entwickeln zu können.      befasst ist (Bub 2019). Gegenwärtig
Ein „Quantenfieber“ (Schubert 2019) ist    lässt sich, pointiert zugespitzt, die Ent-
ausgebrochen und nicht wenige sehen       stehung eines Paradigmas quantenba-
die „nächste Revolution“ (Benrath         sierter Medialität beobachten, das in
2020) bevorstehen.                        einer ganzen Reihe spezifischer Quan-
    Der Medienwissenschaft sind           tentechnologien konkret wird und im
derartige Diskurse aus ihren Über-        Quantencomputer seinen sichtbarsten
legungen zum Medienwandel und             Ausdruck findet.
zu Medienumbrüchen gut bekannt                In der Medienwissenschaft liegen
(Schröter/Schwering 2014). Eine           zum Quantencomputer erste grund-
Semantik der Revolution, die radikale     legende Darstellungen und Analy-
Veränderungen für ganz verschiedene       sen vor (Warnke 2005; 2013; 2014).
Bereiche der Gesellschaft in Aussicht     Angesichts der Entwicklungen im
stellt, verbindet sich oft mit einer      Forschungsfeld steht aber eine eo-
begriffl ichen Anlehnung an bereits         retisierung des Quantencomputers als
existierende Informationstechnolo-        ,neues‘ Medium ebenso aus, wie eine
gien (Balbi 2015). Zum Verständnis        medientheoretische und medienhis-
der zeitgenössischen Entwicklungen        torische Aufarbeitung der Verknüp-
ist es allerdings entscheidend zu         fungen zwischen Quantenphysik und
Perspektiven                                131

Medientechnologie.1 Als Perspektive             ergänzen und damit eine physikalische
für die zukünftige Forschung regt der           Zeitenwende einzuläuten. Und dann
vorliegende Beitrag deshalb dazu an,            kam noch die Welt der Atome hinzu,
in die Diskussion zu ,Quantenmedien‘            zu der die klassische Physik, die so
ganz generell einzutreten und diesen            wohl gegründet und komplett aussah,
Diskurs mit einer Beschreibung des              keine sinnvollen Feststellungen treffen
Quantencomputers als zukünftiger                konnte.
Medientechnologie beginnen zu las-                  Die Urszene bestand darin zu
sen. Zu diesem Zweck wird im ersten             erklären, mit welchem Farbschein ein
Abschnitt zunächst ein Überblick über           Körper leuchtet, wenn er erhitzt wird.
die zugrundeliegenden physikalischen
                                                Wir kennen das Phänomen etwa vom
Erkenntnisse und Funktionsweisen von
Quantencomputern gegeben. Anschlie-             Schein des Holzofens, dem Glühen
ßend diskutiert der zweite Teil am Bei-         des Glases bei dessen Formung, und
spiel der Debatte um die sogenannte             von Bildern aus Schmieden, wenn der
,Quantenüberlegenheit‘ exemplarisch             Metallblock von tiefrot über orange bis
Imaginationsprozesse, die gegenwärtig           hellgelb glüht, während er heißer wird,
rund um den Quantencomputer aus-                auch von der Farbe des Sonnenlichts.
gemacht werden können. Der dritte               Max Planck, geradezu die Idealfigur des
Teil weitet den Blick auf eine generel-         klassischen Physikers, kam nicht umhin,
lere Betrachtung von Quantenmedien              in die eorie der Strahlungsfarbe ein
und ihrer Archäologie aus, bevor ein            Element einzubauen, welches das bis
knappes Schlusswort pointiert Konse-            dahin unzulängliche Strahlungsge-
quenzen für die medienwissenschaft-             setz plötzlich in Übereinstimmung mit
liche Forschung zusammenfasst.                  den Messungen brachte: er führte die
                                                Quantenhypothese ein, die Behauptung,
Zur Theorie und Geschichte der                  Energie sei nicht unendlich fein verteil-
Quantencomputer                                 bar, sondern stets nur in abgemessenen
                                                Paketen vorhanden. Diese Hypothese
Es war ein Randphänomen, ein physi-             brachte schließlich – überraschender-
kalisches Detail, das Anlass dazu gab,          weise – eorie und Experiment mit-
die Physik des ausgehenden 19. Jahr-            einander zur Deckung. Dies war nicht
hunderts um die Quantenphysik zu                mit der klassischen Physik vereinbar
                                                und missfiel Planck daher durchaus.
                                                Erst nach langem Ringen machte er
1   Auch hier existieren erste Beiträge (vgl.
    etwa Dippel/Warnke 2017), aber ver-         deshalb im Jahr 1901 seinen Vorschlag
    glichen mit der durchaus ausdifferen-        publik (Planck 1901). Diese unteilbare
    zierten Diskussion der Implikationen        Energiemenge, das Wirkungsquantum,
    der Quantenphysik in der Philosophie
    ist die medienwissenschaftliche Debatte
                                                wurde daraufhin nach ihm benannt und
    eher überschaubar. Einen wunder-            er bekam 1918 den Physik-Nobelpreis
    baren Metatext zum Motiv zukünftiger        für seine Entdeckung. Das Planck’sche
    ‚Quantenmedien‘ und ihrem utopischen        Wirkungsquantum ist tatsächlich sehr
    Potenzial liefern allerdings bereits
    Hillgärtner/Wiemer 2013.                    klein, weshalb die Naturforschung es
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auch bis dahin hatte übersehen können.      den Durchbruch. Bohr verbot den Elek-
Wird sein Zahlenwert aufgeschrieben,        tronen der Atomhülle, beliebige Ener-
kommt erst an der siebenundzwan-            giezustände einzunehmen, es sollten
zigsten Stelle nach dem Komma etwas         wiederum Vielfache des Planck’schen
anderes als eine Null vor. Es spielt also   Wirkungsquantums sein, was auf
praktisch für alle Belange unserer täg-     einen Schlag zweierlei erklärte. Erstens
lichen Lebenserfahrung keine Rolle,         machte das Bohr’sche Atommodell
wohl aber auf Skalen des sehr Kleinen,      begreifl ich, wieso Materie überhaupt
für Atome und ihre Bestandteile.            stabil ist und warum die Elektronen
    Albert Einstein kam zu ähnlichen        entgegen der Vorhersage der Elektro-
Annahmen und Schlüssen, als er unter-       dynamik bei ihren Umrundungen des
suchte, mit welchen Energien Elektro-       Kerns nicht kontinuierlich Energie
nen aus einem Metall herausgeschlagen       abstrahlen, um dann mit Getöse in
werden, wenn es mit Licht bestrahlt         diesen Kern zu fallen und das ganze
wird. Heute wird dies ‚Photoelek-           Atom in einem Blitz zu entladen und
trischer Effekt‘ genannt und kommt           enden zu lassen. Denn Elektronen tau-
in jeder Digitalkamera vor. Einstein        schen ihre Energie nur paketweise und
bekam dafür (und nicht etwa für die         behalten im Atom, wenn sie dem Kern
Relativitätstheorie) 1921 den Nobel-        am nächsten sind, auch immer ein Rest-
preis. Er traf 1905 die „Annahme, daß       Quantum an Bewegungsenergie. Das
die Energie des Lichtes diskontinuierlich   ist kein geringer theoretischer Gewinn,
im Raume verteilt sei“ (Einstein 1905,      denn schließlich besteht auch unsere
S.133) und stellte damit seine besondere    makroskopische Welt aus Atomen
Begabung unter Beweis, aus scheinbar        und Molekülen, und wenn wir uns so
nebensächlichen Beobachtungen funda-        umschauen, dann ist doch alles hübsch
mentale Schlüsse zu ziehen. Immerhin        stabil, meistens wenigstens, wenn nicht
bedeutet das doch nichts Geringeres,        gerade eine Atombombe explodiert.
als dass Licht eine Ansammlung von          Dieser Mechanismus erklärte zweitens
sehr kleinen Teilchen ist. Dies stellte     schlagartig die typischen Farben, mit
den Auftakt zur Epoche der Teilchen-        denen Atome strahlen, wenn sie dazu
physik dar, die heutzutage die Physik       angeregt werden. Das Bohr’sche Atom-
völlig dominiert.                           modell sagte präzise die Spektrallinien
    Die Zeit um 1900 war auch die der       des Wasserstoffs voraus und konnte so
Spektroskopie, der Analyse des Leuch-       empirisch bestätigt werden.
tens von Atomen und Molekülen. Es                Also musste eine neue eorie der
gab eine Menge empirischer Daten            Bewegung im Allerkleinsten her, die
dazu, aber das theoretische Fundament       diesen Seltsamkeiten Rechnung trug.
war aus der klassischen Physik nicht zu     Und damit kommen wir zu den Grund-
gewinnen. Erst die Übertragung der          lagen der Quantenmechanik und auch
Quantenhypothese auf den Atombau            des Quantencomputings. Es waren vor
(Bohr 1913), für die Niels Bohr 1922        allen Werner Heisenberg und Erwin
seinen Nobelpreis bekam, brachte hier       Schrödinger, die diese neue eorie der
Perspektiven                               133

Bewegung formulierten und dafür ihre       tencomputers: ein Elektron mit seinem
Nobelpreise 1932 und 1933 erhielten.       seltsamen Drehimpuls, dem Spin. Die-
Diese Quantenmechanik ist nach und         ser Spin macht das Elektron zu einem
nach perfektioniert worden, und ihre       winzigen Magneten, denn seine Dre-
Vorhersagen gehören in der theore-         hung setzt die Ladung des Elektrons
tischen Physik zu den experimentell        in Bewegung, und so wird ein magne-
am genauesten bestätigten. Dennoch         tisches Moment erzeugt. Das magne-
sind die Grundannahmen so abstrus,         tische Moment kann in einem äußeren
dass sie besser nicht für direkte Aussa-   Magnetfeld vermessen werden, und die
gen über Natur gelesen werden sollten,     Messung ergibt dabei immer entweder
sondern als das, was sie sind: eorie      die Ergebnisse up oder down (die kleine
– Aussagen über Beschreibung von           Magnetnadel zeigt nach oben oder nach
Natur.                                     unten), das Elektron dreht sich links-
    Die erste Grundannahme besteht         herum oder rechtsherum. Welcher Wert
darin, die Theorie als eine lineare        im Experiment gemessen wird, ist nicht
anzusetzen. Das ist durchaus nicht         sicher vorhersehbar, manchmal der eine,
ungewöhnlich, das ist die klassische       manchmal der andere, wie beim Wurf
Mechanik auch. In diesem uns so wohl       einer Münze.
bekannten Zweig der Physik gibt es             Die lineare eorie der Quantenme-
nämlich den Aspekt der Überlage-           chanik baut daraus nun ihren abstrakten
rung von Bewegungen. So finden wir          Raum mit hier genau zwei Dimensio-
in der Wurfparabel eine gleichmäßig        nen, deren Basiszustände |up> und
gleichförmige, kräftefreie Bewegung        |down> sind. Beide sind jeweils für sich
geradeaus, die sich dem durch die          schon Lösungen ihrer Bewegungsglei-
Erdanziehung beschleunigten freien         chung, der Schrödinger-Gleichung, und
Fall nach unten überlagert. Jede der       wegen deren Linearität eben auch ihre
Bewegungsarten hat dafür ihre eigene       Summe – genau das bedeutet Linearität.
Dimension: x (vorn-hinten) für die         Ein einzelnes Elektron wird dann also
gradlinig-gleichförmige und z (oben-       beschrieben als eine Vektorsumme – wie
unten) für die beschleunigte Bewegung.     in der klassischen Mechanik mit ihren
Das gibt es in der Quantenmechanik         x- und z-Komponenten – allerdings aus
auch, allerdings haben dafür deren         |up> und |down>:
Urheber einen ganz anderen mathe-
matischen Raum ersonnen als den            |elektron> = a*|up> + b*|down>.
uns so geläufigen dreidimensionalen
– die Zeitdimension kommt als vierte       Die im abstrakten Hilbert-Raum
dann noch hinzu. Es ist ein abstrak-       beschriebenen Zustände des Elektrons
ter Raum, der je nach Problemlage von      sind also Überlagerungen ihrer Basis-
einigen wenigen, zwei oder drei, bis zu    zustände, die die klassische Physik so
unendlich vielen Dimensionen haben         nicht zulassen kann. Denn wer hat je
kann: der Hilbert-Raum. Nehmen wir         einen Kreisel sich gleichzeitig links-
ein typisches Bauelement eines Quan-       und rechtsherum drehen sehen? Diese
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Überlagerung wird sich im Quanten-          den Fall des Elektrons: Aus den
computer noch als sehr nützlich erwei-      anfänglich unterstellten Koeffizienten
sen.                                        a(t=0) und b(t=0) der Überlagerung,
    Die Objekte befi nden sich in der        den Anfangsbedingungen, berechnet
Quantenmechanik also in Überlage-           die Schrödinger’sche quantenmecha-
rungs-Zuständen ihrer Basis-Zustände.       nische Wellengleichung kontinuier-
Die Schrödinger-Gleichung beschreibt,       lich und deterministisch die a(t) und
was mit ihnen in der jeweiligen phy-        b(t) der Überlagerung am Ende, zum
sikalischen Situation geschieht, also       Zeitpunkt der Messung. Und aus den
was geschieht, wenn Kräfte am Werk          letzteren lässt sich die Wahrschein-
sind und Zeit verstreicht. Das End-         lichkeit bestimmen, mit der man das
ergebnis ist wieder eine bestimmte,         Elektron als ein reines |up> oder ein
veränderte Überlagerung der Basiszu-        reines |down> antriff t (Born 1926).
stände. Schlussendlich folgt die Mes-       Ist der Betrag von a(t) größer als der
sung, welche selbst nicht mehr von          von b(t), misst man entsprechend häu-
der Theorie der Quantenmechanik             figer ein |up> als ein |down>. Es gibt
beschrieben werden kann. Sie setzt          immer nur Wahrscheinlichkeitsaussa-
die eorie außer Kraft, ist ihr blin-       gen von Messungen reiner Zustände:
der Fleck, indem sie dann wieder nur        Der Geigerzähler knattert, wenn er
genau einen der Basiszustände |up>          Kernzerfälle nachweist, die Messungen
oder |down> nachweist. Die eorie der       im Labor, etwa an Elektronen, sind in
Quantenmechanik ist also nur gültig,        ihrer Gesamtheit verrauschte Einzel-
solange keine Messung durchgeführt          ereignisse, die vermessenen quanten-
wird. Es darf nicht hingeschaut werden,     mechanischen Phänomene sind im
ohne die fragilen Quanten-Phänomene         Labor immer Gegenstand von Statistik,
zu zerstören, was Anlass gab zu einem       Zufallsprozesse.
breiten Spektrum aus bizarren Interpre-         Hieraus ergibt sich die paradoxe
tationen (Everett 1956 mit seinem Mul-      Situation, dass eine kontinuierliche
tiversum), avancierten feministischen       Wellengleichung – die von Schrödinger
Positionen wie der des Agentiellen          – Wahrscheinlichkeiten von Teilchen-
Realismus von Karen Barad (2007), der       eigenschaften berechnet. Die eorie
sich explizit auf die Naturphilosophie      fordert also die paradoxe Koexistenz
Niels Bohrs gründet, aber auch aller-       eines Wellenbildes mit einem Teil-
lei parawissenschaftlicher esoterischer     chenbild. Die Zustände der quanten-
Bewusstseins-Physik.                        mechanischen Objekte verändern sich
    An dieser Stelle setzt die so schwie-   kontinuierlich wellenartig vor der Mes-
rige Interpretationsarbeit an. Wie          sung. Findet diese statt, treten sie als
kommt es von angeblichen Überlage-          ganze Teilchen in Erscheinung. Das ist
rungszuständen zu den reinen gemes-         auch der Grund dafür, dass es Inter-
senen Basiszuständen? Die heutzutage        ferenzmuster gibt, obwohl wir es mit
gelehrte Auffassung, die so genannte         Teilchen zu tun haben (Dippel/Warnke
,Kopenhagener Deutung‘ lautet für           2017).
Perspektiven                               135

    Das ist der Stoff, aus dem Quan-                Die Theorie des Quantencom-
tencomputer gebaut werden (Williams/          puters ist die Quantenmechanik.
Clearwater 2000; Warnke 2013;                 Spezielle quantenphysikalische Expe-
Warnke 2014). Ihre Elementarobjekte           rimente realisieren die Schaltelemente
sind nicht binäre Schalter, Bits, 1 oder 0,   von Quantencomputern, die Quan-
sondern quantenmechanische Objekte,           tengatter. Die Quantenmechanik
etwa Spin-Systeme, mit binären Basis-         beschreibt die kontinuierliche Ent-
zuständen, die sich aber überlagern dür-      wicklung der Zustände der Qubits
fen. Die Quantenschalter, Qubits, dürfen      im Hilbert-Raum, die am Ende im
in der eorie gleichzeitig |1> und |0>        Akt der Messung auf binäre, diskrete
sein:                                         Messereignisse projiziert werden.
                                              Quantencomputer sind Analogcom-
|qubit> = a*|1> + b*|0>                       puter. Sie können nur solche Berech-
                                              nungen verkörpern, für die sich ein
    Werden sie einem gezielten                physikalisches Experiment ersinnen
quantenmechanischen Experiment                lässt, sie sind also nicht universell
unterworfen, bei welchem sie durch            (Warnke 2005). Such- und Sortier-
sogenannte ,Quantengatter‘ geschickt          Operationen sind ihre Domäne, aber
werden, berechnet die Schrödinger-            auch die Zerlegung großer Zahlen
Gleichung als Resultat das physika-           in ihre Primfaktoren und Optimie-
lische Ergebnis einer neuen Mischung          rungsprobleme (Williams/Clearwater
von |1> und |0>. Das Experiment               2000).
realisiert eine Berechnung, die – und              Wie schwierig jedoch die Kon-
das ist der Clou – mit allen möglichen        struktion eines Quantencomputers ist,
Kombinationen der Anfangszustände             zeigen – stark vereinfachend gesagt –
der Qubits, parallel ausgeführt wird.         zwei Grundprobleme: Einerseits sieht
    Bei einem Register von Qubits der         sich die Forschung der mathematisch-
Länge – sagen wir – acht, errech-             symbolischen Frage gegenüber, klä-
net der Quantencomputer gleich-               ren zu müssen, bei welchen Klassen
zeitig die Resultate der Inputs               komputationaler Probleme und auf
|0,0,0,0,0,0,0,0> über |0,0,0,0,0,0,0,1>      Grundlage welcher Algorithmen ein
bis |1,1,1,1,1,1,1,1>, das sind 256 ver-      Quantencomputer überhaupt einen
schiedene Inputs, wenn die Qubits des         signifi kanten speedup-Vorteil gegen-
Registers entsprechend als Überlage-          über traditionellen Computern bietet
rungen ihrer beiden Basiszustände prä-        (Hagar/Cuffaro 2019, S.11). Anderer-
pariert werden. Je länger das Register ist,   seits stellt sich auf der physikalisch-
desto dramatischer ist die Effizienz-Stei-      materiellen Seite die Frage, mit Hilfe
gerung gegenüber einem Digitalcompu-          welcher Maschinen sich die für Qubits
ter, der Register aus gewöhnlichen Bits       nötigen Quanteneffekte technisch rea-
besitzt, die jeweils nur einen Zustand        lisieren und stabilisieren lassen können
einnehmen können, die strikt nachein-         – hier werden verschiedene Ansätze
ander abgearbeitet werden müssen.             verfolgt (einen Überblick gibt Meier
136                            MEDIENwissenschaft 02-03/2020

2015, S.87-122). 2 Die Analyse von              Quantencomputer und die Imagina-
Quantencomputern kann nicht ein-                tion zukünftiger Technologie
fach die der Digitalcomputer fort-
setzen. Die Analyse muss neu – und              Im September 2019 verdichteten sich die
zwar in der Physik – ansetzen, denn             Hinweise, dass einem Forschungs-Team
die Erkenntnisse zu Digitalcompu-               von Google im Bereich des Quanten-
tern helfen kaum, wenn der Quan-                computings ein epochaler Durchbruch
tencomputer verstanden werden soll.             gelungen sei. Journalist_innen der
Quantencomputer sind der Logik,                 Financial Times stießen auf einem
dem Symbolischen und dem Text nicht             Server der NASA auf ein offenbar ver-
mehr so sehr verwandt wie der Digital-          sehentlich veröffentlichtes Paper mit
computer, über den die Medienwissen-            dem Titel Quantum Supremacy Using
schaft schon ausgiebig räsoniert hat.           a Programmable Superconducting Pro-
Ein Blick in die Rechnergeschichte,             cessor (Arute et al. 2019). Schon bald
auf die Analogrechner, bringt hier              folgte eine ganze Flut von Artikeln,
mehr als ein Fokus auf die Frauen und           in denen die mutmaßliche Sensation
Männer, die im Zweiten Weltkrieg                für die breite Öffentlichkeit gedeutet
den Code der deutschen Wehrmacht                und eingeordnet wurde. Googles Team
geknackt haben.                                 könnte, so der Tenor der Berichte,
    Quantencomputer tragen zudem                bewiesen haben, dass sich die Vision
die epistemologische Last der Quan-             eines Quantencomputers allmählich in
tenmechanik und deren kontraintuitive           eine technologische Realität verwandelt
Postulate: den Welle-Teilchen-Dua-              – mit potenziell massiven Folgen für die
lismus, die Überlagerung paradoxer              ganze Gesellschaft.
Zustände wie bei Schrödingers Katze                 Als zukünftige Möglichkeiten, die
(Schrödinger 1935, S.812), die spuk-            sich mit Quantencomputern verbinden,
hafte Fernwirkung (Einstein/Born                verweisen diese potenziellen Folgen auf
2005, S.254ff.) und die nachträgliche            ein Geflecht an Vorstellungen, Erwar-
Wahrscheinlichkeitsinterpretation               tungen, Hoffnungen und Befürchtungen,
einer deterministischen eorie. Bei             das als Prozess der kollektiven Imagina-
einer Deutung wird die Medienwis-               tion einer zukünftigen Technologie wie
senschaft sich nicht nur mit Physik             dem Quantencomputer gegenwärtig
auseinandersetzen müssen, sondern               eine soziale Gestalt gibt. In der Wissen-
auch mit Spiritismus und Esoterik,              schafts- und Technikforschung werden
welche im Diskurs um Quantenme-                 derartige kollektive Imaginationspro-
chanik bisweilen grassieren, ironisch           zesse als „sociotechnical imaginaries“
aufgegriffen von Hillgärtner und                ( Jasanoff/Kim 2015), „Leitbilder“
Wiemer (2013).                                  (Giesel 2007) oder „Technikzukünfte“
                                                (Grunwald 2012) bezeichnet. Ihre
                                                Leistung ist es, zwischen Gruppen
2     Siehe zu den unterschiedlichen Mög-       heterogener Akteur_innen geteilte
      lichkeiten, Qubits zu realisieren insb.
      S.107-109.                                Vorstellungen über eine als wünschens-
Perspektiven                                          137

wert erachtete Zukunft zu konstituieren       quantum and classical complexity“
(Jasanoff 2015, S.4, dazu auch Ernst/          (Preskill 2012, S.3), die bei Preskill
Schröter 2020).                               sogar als die treibende Kraft hinter der
    Auf das Paper des Google-Teams            Entwicklung von Quantencomputern
bezogen dient der titelgebende Begriff         generell gesehen wird (Preskill 2012,
Quantum Supremacy (also Quanten-              S.14).4 Das Paper des Google-Teams
überlegenheit) als Fokalisierungspunkt        behauptet, die Überlegenheit eines
für diese Imaginationsprozesse. Im            Quantencomputers, der auf Googles
Jahr 2012 von John Preskill geprägt,          Sycamore-Prozessor mit 53 Qubits
beschreibt ,Quantenüberlegenheit‘             beruht, demonstriert zu haben (Arute
den Zustand, dass ein Quantencom-             et al. 2019, S.506). Dabei wurde eine
puter gegenüber den stärksten existie-        höchst spezialisierte mathematische
renden traditionellen Supercomputern          Aufgabe in 200 Sekunden gelöst, für
bei komplexen Berechnungen signifi-            welche die gegenwärtig schnellsten
kante Geschwindigkeitsvorteile (aber          klassischen Supercomputer rund 10.000
auch geringere Energiekosten) auf-            Jahre benötigen würden (ebd., S.505).
weist. Diese Rechenaufgabe darf, so           Warum das Google-Team seinen Erfolg
das bei Preskill genannte Kriterium,          als einen epochalen „Milestone“ (ebd.)
dabei ausdrücklich für den Zweck die-         feiern kann, erklärt sich5 mit Blick auf
ser Demonstration der Überlegenheit           die Bedeutung von Quantenüberlegen-
entworfen sein, benötigt also keiner-         heit innerhalb des Fachdiskurses.
lei praktischen Anwendungsnutzen                  Preskill postuliert im Zug der
(Preskill 2012; 2018, S.7; 2019). Doch        Exposition seiner Kriterien, die
warum die ganze Aufregung rund um             Demonstration von Quantenüberlegen-
Quantencomputer, wenn Quantenüber-            heit würde zeigen, dass kein bisher noch
legenheit eine Rechenspielerei ohne jeg-      unbekanntes physikalisches Gesetz
lichen Nutzen ist?                            existiert, das die mögliche zukünftige
    Grundsätzlich betrachtet sind Quan-       Überlegenheit von Quantencompu-
tencomputer eine für Wissenschaft und         tern prinzipiell verhindert (Preskill
Industrie interessante Zukunftstech-          2012, S.2). Ist dieser Nachweis einmal
nologie, weil sie aufgrund ihrer Qubits
mit Komplexitäten umgehen können,             4       Im Feld der Diskussion zu Quantencom-
die für traditionelle Computersysteme                 putern existieren zwei Formen der Unter-
                                                      scheidung in klassisch vs. nicht-klassisch,
nicht zu bewältigen sind.3 Entschei-                  einmal als Unterscheidung innerhalb der
dend ist dafür eine „separation between               Geschichte der Physik und einmal als
                                                      Unterscheidung innerhalb der Geschichte
                                                      des Computings.
3   Die Möglichkeit eines Quantencomputers    5       Wie ebenfalls der Presse zu entnehmen,
    wurde bereits in den 1970er und 1980er-           hat ein Team des Google-Konkurrenten
    Jahren erwogen. In den 1990er-Jahren              IBM sofort eingewendet, dass die Auf-
    folgte dann die Ausarbeitung von Bei-             gabe mit den richtigen Algorithmen von
    spielen für mathematische Probleme, in            klassischen Computern auch in zweiein-
    denen Quantencomputer überlegen sein              halb Tagen gelöst werden könne (Pednault
    könnten (Hagar/Cuffaro 2019, S.9-11).              et al. 2019).
138                        MEDIENwissenschaft 02-03/2020

erbracht – und genau das reklamiert        mend die Potenziale einzulösen, die man
das Google-Team für sich (Arute et al.     ihr schon seit ihrem Entstehen zuge-
2019, S.505) –, dann folgt daraus, dass    schrieben hat (vgl. etwa Meier 2015).
eine bestimmte Ära in der Geschichte       Was dieses Beispiel einer auf die Zukunft
der Entwicklung von Quantencompu-          bezogenen historischen Bedeutung der
tern eingeleitet wurde, und zwar die       Quantenüberlegenheit also medienwis-
Ära sogenannter Noisy Intermediate-        senschaftlich wichtig macht, ist nicht
Scale Quantum Technologies (NISQ ).        nur die physikalische Fachdiskussion
NISQ ist ein diachroner Begriff, den        selbst, sondern die mit ihr einherge-
Preskill (2018) in einem Paper mit         hende Mobilisierung übergreifender
dem Titel Quantum Computing in the         imaginaries beziehungsweise Technik-
NISQ Era and Beyond entworfen hat.         zukünfte. Über diese kann ein Abgleich
Die NISQ-Ära ist eine Phase, in der        zwischen Vorstellung über die Zukunft
Quantencomputer im Bereich nutzloser       von Quantencomputern innerhalb des
Anwendungen zwar gegenüber klas-           Fachdiskurses und einer zunehmend
sischen Supercomputer überlegen sind,      größer werdenden Menge an allgemei-
aber noch dahingehend noisy bleiben,       nen gesellschaftlichen Erwartungen an
als die Stabilisierung der Qubits nach     diese Maschinen stattfinden (vgl. auch
wie vor sehr fehleranfällig ist. „Inter-   Ernst/Schröter 2020, S.51-60).
mediate“ bezieht sich auf die Menge der        Als Experte im Feld ist Preskill
Qubits: Realistisch erwartbar sind nach    dabei allerdings deutlich reservierter,
Preskill Systeme in der Spannbreite von    als manches, was in der Öffentlichkeit
50 bis wenigen Hundert Qubits, wobei       bereits jetzt an Zukunft des Quanten-
bei ca. 50 Qubits die Grenze der Leis-     computings diskutiert wird. So bemerkt
tungsfähigkeit klassischer Supercompu-     er in seiner Beschreibung der NISQs,
ter vermutet wird (Preskill 2018, S.5).    dass Quantencomputer gegenüber klas-
Sind diese NISQs einmal realisiert,        sischen Computern eigentlich viel zu
beginnt die eigentliche Zukunft des        unterschiedlich (quasi zu ,fremd‘) seien,
Quantencomputings. Doch Preskill           als dass man derzeit wirklich sicher
stellt fest, dass das Erscheinen dieser    etwas über die zukünftige Entwick-
Systeme ein „significant step toward the    lung dieser Maschinen sagen könnte
more powerful quantum technologies of      (Preskill 2018, S.1). So sei es zwar
the future“ (Preskill 2018, S.1) sei.      plausibel, davon auszugehen, dass diese
    Vor dem Hintergrund dieser             Maschinen in einigen Dekaden gesell-
Zukunftserwartungen innerhalb der          schaftliche Effekte haben könnten, aber
Fach-Community ist der Claim des           inwiefern diese Effekte zum Beispiel
Google-Teams, Quantenüberlegenheit         kommerziell nutzbar sind, sei gegen-
demonstriert zu haben, also nicht nur      wärtig noch vollkommen offen (Preskill
legitimiert, sondern auch sehr bemer-      2018, S.1, S.5).
kenswert. Es scheint der Nachweis              Preskills Vorbehalte unterstreichen
erbracht, dass die Zukunftsmaschine        gleichwohl den strategischen Charakter
‚Quantencomputer‘ im Begriff ist, zuneh-    einer Kategorie wie NISQ und bestäti-
Perspektiven                               139

gen so die soziale Bedeutung geteilter     Unbestimmtheit und Fremdheit dieser
Zukunftsvorstellungen. Denn als eine       Technologien konstatiert, was wieder-
geteilte Vorstellung über die Entwick-     um die Bedeutung der derzeit zur Ver-
lung von Quantencomputern beruht die       fügung stehenden imaginaries betont.
Formulierung von Quantenüberlegen-         Auff ällig ist dabei, dass zur Kompen-
heit bei Preskill auf einer imaginären,    sation dieser Fremdheit auch im Fach-
als solchen aber für die Forschung in      diskurs eine enge Anlehnung an ältere
den Labors handlungsleitenden Time-        Utopien und Visionen der derzeitigen
line, innerhalb derer das Erscheinen       ,klassischen‘ digitalen Medienkul-
von NISQs überhaupt erst die Bedeu-        tur stattfindet. Deutlich wird das mit
tung des besagten historischen ,Mile-      Blick auf die Unterscheidung analog/
stone‘ erlangt. Wesentlich ist dafür die   digital, deren Karriere bekanntlich weit
Annahme, dass mit dem Erscheinen           über Computertechnologie im engeren
von NISQs die bisher unklare Zukunft       Sinne hinausreicht (Schröter 2004a)
der Quantencomputer in ihren Mög-          und die infolge des Siegeszuges digi-
lichkeiten realer wird. In der Zukunfts-   taler Medien inzwischen als Leitunter-
forschung bezeichnet man diesen            scheidung ganzer Gesellschaftsanalysen
Prozess als das Auftauchen von „Futu-      bemüht wird, etwa einer „digitalen
ribles“ (Jouvenel 1967, S.33-34). Futu-    Gesellschaft“ (Nassehi 2019).
ribles sind in Utopien und ähnlichen           Dass die Imaginationen rund um
Diskursformen tradierte Möglich-           Quantencomputer dabei die Differenz
keiten, die aufgrund eines Ereignisses     analog/digital auf ganz verschiedene
(Entdeckung oder Erfi ndung) ihren          Weise als Kategorie zur Beschreibung
Status von nicht realisierbaren Mög-       dieser neuen Technologien bemühen,
lichkeiten, die noch in einer fernen       zeigt sich am bereits erwähnten Beispiel
Zukunft liegen, zu realisierbaren Mög-     des analogen Charakters der Qubits,
lichkeiten ändern, die nunmehr in einer    welche die Vermutung nahelegen, dass
nahen Zukunft liegen. Ältere Utopien,      Quantencomputer paradigmatische
im gegebenen Fall etwa ältere Medien-      ,post-digitale‘ Maschinen sein könnten.
utopien, erweisen sich im Lichte der       Gleichwohl bleibt die Imagination
neuen Möglichkeiten dann ex post als       möglicher praktischer Anwendungssze-
Informationsquellen und beeinflussen        narien dieser ,post-digitalen‘ Computer
die Imagination dieser jetzt real gewor-   derzeit noch dem Vorstellungshorizont
denen Möglichkeiten.                       der Medialität klassischer Digitalrech-
    Auf Preskills Erörterungen von         ner verpfl ichtet. Exemplarisch veran-
NISQs bezogen, ergibt sich daraus ein      schaulicht werden kann dies mit Blick
aufschlussreiches Bild. Das Demons-        auf einen der zentralen „Faszinations-
trieren von Quantenüberlegenheit und       kerne“, der sich im 20. Jahrhundert mit
das Erscheinen von NISQs markiert          Computern verbunden hat, und zwar
innerhalb der Fachcommunity den            der „Simulation“ (Glaubitz et al. 2011,
Startpunkt der Zukunft des Quanten-        S.103-117), die im Fachdiskurs derzeit
computers. Allerdings wird auch die        insbesondere am Beispiel der Simula-
140                        MEDIENwissenschaft 02-03/2020

tion von Quantendynamiken, etwa von            Gibt dieses Beispiel einen knappen
Molekülen in der Chemie, diskutiert        Einblick in den Rückgriff auf die eta-
wird.                                      blierte Mediengeschichte zur Beschrei-
    In zwei Abschnitten seines Papers      bung der zukünftigen Entwicklungen,
Quantum Computing in the NISQ              so illustriert es zugleich, dass – wenn
era and beyond konstatiert Preskill        sich ein universell programmierbarer
(2018, S.13), dass die mit klassischen     Quantencomputer in eine ganze Genea-
Computern aus komplexitätstheore-          logie von zukünftigen Quantentechnolo-
tischen Gründen extrem schwierige          gien einreiht, die zu medialen Zwecken
Simulation von Quantendynamiken            (hier: Simulation) verwendet werden –
das eigentliche Zukunftspotenzial          sich auch die oben bereits angedeutete
von Quantencomputern sein könnte.          Frage in verschärfter Form stellt: Welche
Bei Anlass einer kurzen Darstellung        Spuren haben die Quantenphysik und
möglicher technischer Lösungen             die von ihr aufgezeigten Effekte bereits
unterscheidet er dazu zwischen einem       in der bisher bekannten Medienge-
analog quantum simulator und einem         schichte hinterlassen?
digital quantum simulator. So heißt es:        Will man die Geschichte der
„When we speak of an analog quantum        Quantenmedien von der derzeit ima-
simulator we mean a system with many       ginierten Zukunft des Quantencom-
qubits whose dynamics resembles the        puters als einer im Kern noch fremden
dynamics of a model system we are          Zukunftstechnologie her erklären 6 ,
trying to study and understand. In         dann ist also zu zeigen, wie sich das
contrast, a digital quantum simulator is
a gate-based universal quantum com-
                                           6   Interessante Materialien, um die gegen-
puter which can be used to simulate            wärtigen Imaginationen um Quan-
any physical system of interest when           tencomputer zu analysieren, bietet die
suitably programmed, and can also be           Science-Fiction. Nennen könnte man
                                               etwa die Romane Hologrammatica und
used for other purposes. Analog quan-          Qube von Tom Hillebrand (2018/2020),
tum simulation has been a very vibrant         in denen Quantencomputer als Gehirn-
                                               ersatz und -erweiterung, also als ,Auswei-
area of research for the past 15 years,        tung des Menschen‘ im Sinne McLuhans
while digital quantum simulation with          dargestellt werden. Viel Aufmerksamkeit
general purpose circuit-based quantum          hat auch die Trisolaris-Trilogie von Cixin
                                               Liu (2017/2018/2019) auf sich gezogen,
computers is just now getting started“         in der unter anderem Quantencomputer
(Preskill 2018, S.13).                         in der Gestalt der Sophons als Waffen im
    Preskill nutzt hier eine semiotisch        Krieg zwischen der Erde und den Außer-
                                               irdischen eingesetzt werden – und zwar als
inspirierte Variante der Unterschei-           Waffen in einem Informationskrieg, denn
dung von analog/digital, die überdies          die Sophons sollen einerseits die Entwick-
das Leitbild des Digitalrechners als           lung von neuem physikalischen Wissen
                                               blockieren, können aber andererseits jede
universell programmierbarer Maschine           Kommunikation auf der Erde beobachten.
aufgreift und auf eine mögliche Appli-         In beiden fiktiven Darstellungen werden
                                               Quantencomputer also wie selbstver-
kation der neuen Quantentechnologien           ständlich als Medien imaginiert (siehe
projiziert.                                    auch Ernst/Schröter 2020, S. 96-103).
Perspektiven                                141

bisherige Verhältnis von Quantenphy-      und wurde gleichsam empirisch durch
sik und Mediengeschichte ausgestaltet.    Experimente mit lichtempfi ndlichen
Das Erscheinen des Quantencomputers       Silberhalogenid-Emulsionen gefunden
setzt die Medienwissenschaft in die       (vgl. Schaaf 2000 als eine schöne Stu-
Pfl icht, die bisherige Geschichte der     die, die Talbots experimentelles Rin-
,Quantenmedien‘ aufzuarbeiten.            gen um die Fotografie nachzeichnet).
                                          Allerdings ist dieses Beispiel komplex:
Stichpunkte zu einer Medienarchäo-        Zwar wurden fotochemische Effekte
logie der Quantenmedien                   schon lange beobachtet und in zahl-
                                          losen fotografischen Experimenten
    Der Begriff ‚Quantenmedien‘ wäre       nutzbar gemacht, doch gelingt eine
dann sinnlos, wenn er die offenkun-        schlüssige theoretische Erklärung erst
dige Tatsache bezeichnen würde, dass      mithilfe der Quantentheorie im zwan-
Medien, insofern sie (neben Insti-        zigsten Jahrhundert (vgl. Sponer 1930).
tutionen, Programmen, Inhalten,           Anders gesagt: Fotografie basiert letzt-
Praktiken etc.) auch materielle und       lich – und das ist im Grunde wenig
technologische Artefakte sind, letzt-     überraschend – auch auf Quantenef-
lich aus denselben Elementarteilchen      fekten, um diese nutzbar zu machen,
bestehen wie alle anderen materiellen     war aber keine explizite Quantentheorie
Objekte. Auch soll er hier nicht ver-     erforderlich. Ähnliches gilt auch für die
wendet werden für verschiedene medi-      Elektrizität als Grundlage aller elektro-
ale Anordnungen, durch die Wissen         nischen Medien. Elektrische Funktio-
über Quantenphänomene erzeugt wer-        nalität war schon relativ früh bekannt
den kann (vgl. Galison 1997).             und konnte daher praktisch genutzt
    Wir schlagen vielmehr vor, dass es    werden, auch wenn erst mit der Quan-
neben a) Medien, deren Entstehung         tenelektrodynamik im 20. Jahrhundert
nicht auf quantenmechanisches Wis-        eine konsistente Erklärung für die elek-
sen angewiesen sind, b) Quantenme-        tromagnetischen Phänomene gefunden
dien erster Stufe und c) Quantenmedien    wurde (vgl. Feynman 2006).
zweiter Stufe gibt. Unser Vorschlag ist       b) Mit der Entwicklung der Quan-
also, die Mediengeschichte abhängig       tenmechanik im zwanzigsten Jahrhun-
von der – wie schon betont wurde –        dert setzt eine rasche Entwicklung von
absolut zentralen Rolle der Quanten-      Technologien ein, die dieses Wissen
theorie im 20. Jahrhundert zu gliedern.   voraussetzen. In diesem Sinne gilt:
    a) Als Nicht-Quanten-Medium           „Nicht die Digitalisierung ist die Revo-
kann man zum Beispiel die Foto-           lution des zwanzigsten Jahrhunderts,
grafie bezeichnen, eine Technolo-         sondern die Quantenmechanik, die
gie, die im 19. Jahrhundert lange vor     ihre technische Implementierung erst
den ersten Schritten von Planck zur       ermöglicht hat“ (Hagen 2002, S.222).
Quantenmechanik entstanden ist.           Oder um es anders zu sagen: „By some
Sie setzte zu ihrer Entwicklung kein      estimates, 30 percent of the United
quantenmechanisches Wissen voraus         States’ gross national product is said
142                              MEDIENwissenschaft 02-03/2020

to derive from technologies based on              ten nicht direkt Technologien hervor8 –
quantum theory. Without the insights              solche Übergänge vom Wissen zu einer
provided by quantum mechanics, there              konkreten Technologie zu untersuchen,
would be no cell phones, no CD play-              sind ein vorzügliches Anwendungsge-
ers, no portable computers. Quantum               biet medienarchäologischer Verfahren
mechanics is not a branch of physics;             (vgl. Hagen 2002).
it is physics“ (zitiert in Barad 2007,                c) Obwohl also die Medienge-
S.252). So ist der Laser, der in einem            schichte des zwanzigsten Jahrhunderts
CD (oder DVD oder Blu-Ray etc.)-                  bereits im Kern eine Geschichte des
Player die Disc abtastet, ein Beispiel            quantenmechanischen Wissens war,
für stimulierte Emission, die zuerst              wird nun eine „Quantenrevolution“
1916 von Albert Einstein mit quanten-             (Fürnkranz 2019, S.17) verkündet: Aus
theoretischen Argumenten vorhergesagt             dem Computer wird der Quantencom-
wurde. Der Laser war und ist auch eine            puter, aus der Kryptographie die Quan-
Bedingung für die Herstellung von                 tenkryptographie und aus dem Internet
Holografien – die etwa in der einfachen            das Quanteninternet (Fürnkranz 2019).
Form des sogenannten Regenbogen-                  Hat sich eine einschneidende Verän-
Hologramms als Sicherheitsmerk-                   derung ereignet? Oder handelt es sich
mal auf zahlreichen Banknoten und                 eher um eine sensationalistische Rhe-
Kreditkarten sind. Auch hat Einstein              torik wie jene, die seit geraumer Zeit
schon 1905 eine quantentheoretische               das Digitale umgibt (vgl. Schröter
Erklärung für den fotoelektrischen                2004a)? Obwohl Sprache und Geld
Effekt geliefert, die letztlich, über die          etwa seit jeher digitale Codes waren
Arbeiten von Boyle und Smith (Nobel-              und es schon im 19. Jahrhundert mit
preis 2009) zu eben jenen Bildsensoren            der Telegraphie ein dezidiert digitales
geführt haben, die in Digitalkameras              Medium gab, wird gegenwärtig viel von
und Scannern anzutreffen sind.7 Die                ‚Digitalisierung‘ geredet, als ob zuvor
Halbleiter-Technologie, die in Gestalt            alles analog gewesen sei.9 Ist die viel
des Transistors für moderne Compu-                beschworene Digitalisierung nicht eher
tertechnologien grundlegend ist, kann             die Ausbreitung mikroelektronischer,
theoretisch mit der Quantenmechanik               daher letztlich quantenbasierter, Tech-
beschrieben werden. Allerdings zeigen             nologien – also eher eine ‚Quantenme-
diese Beispiele auch: Das quantenme-              chanisierung‘?
chanische Wissen ist oft nicht direkt                 Allerdings kann man begründet
notwendig (praxisnähere Konzepte aus              argumentieren, dass der Quantencom-
der Chemie oder der Festkörperphysik
sind oft hilfreicher), beziehungsweise            8   Das würde auch erklären, warum in vielen
gehen aus den theoretischen Konzep-                   Mediengeschichten (z.B. Winston 1998)
                                                      die Quantenmechanik gar nicht oder nur
7     In Smartphones werden eher CMOS-                sehr am Rande erwähnt wird.
      Sensoren verwendet – die zwar anders        9   Unsinnige Begriffsprägungen wie ‚ana-
      aufgebaut sind, aber ebenso auf dem foto-       loges Buch‘ (etwa im Unterschied zum
      elektrischen Effekt basieren.                    E-Book) breiten sich aus.
Perspektiven                                  143

puter (in seinen verschiedenen tech-          nologien und diese lassen sich in eine
nischen Ausprägungen, siehe oben)             medienhistorische Betrachtung inte-
das zentrale Prinzip der so genannten         grieren. So beschreibt Kittler (1999,
Digitalisierung, nämlich die binäre           o.S.) Mediengeschichte als Eskala-
Codierung, wie sie für Computer bis-          tion: „In einer strategischen Kette von
lang zentral war,10 eben zu überwin-          Eskalationen entstand der Telegraph,
den vermag – zumindest in dem Sinne,          um die Geschwindigkeit von Botenpos-
dass ein gegebenes Qubit nun eben 0           ten zu überbieten, der Funk, um die
und 1 gleichzeitig sein kann. Das heißt,      Verletzlichkeit von Unterseekabeln zu
obwohl die Mikrochips (auf der Basis          unterlaufen, und der Computer, um
von Silizium als Halbleiter) also bereits     die ebenso geheimen wie abhörbaren
auf quantenmechanischem Wissen                Funksprüche zu entschlüsseln“. Dann
beruhen, ist die Form der Informati-          wären Quantencomputer die Antwort
onsverarbeitung – klar getrennt in            auf eine mit PGP (Pretty Good Pri-
0 oder 1 – noch klassisch. In Quan-           vacy) und verwandten Verfahren ver-
tencomputern wird die Form der                schlüsselte Netzkommunikation zum
Informationsverarbeitung selbst unter         Beispiel von kriminellen Menschen,
Ausnutzung von Quanteneffekten rea-            sowie Terrorist_innen, denn diese ist
lisiert – dasselbe gilt für die Quanten-      mit konventionellen Computern nicht
kryptographie. In diesem Sinne kann,          mehr zu dechiffrieren (zumindest
sofern Quantencomputer und Quanten-           benötigt das zuviel Zeit). Im Sinne von
kryptographie Verfahren zur Übertra-          Winston wäre dies eine „supervening
gung, Speicherung und Verarbeitung            social necessity“ (1998, S.6), die die
von Information und mithin Medien             Entwicklung der Quantencomputer
sind, von Quantenmedien zweiter               antreibt.12 Nicht zufällig war einer der
Stufe gesprochen werden (im Unter-            ersten Algorithmen für die damals noch
schied z.B. zu ,normalen‘ Computern           hypothetischen Quantencomputer einer
als Quantenmedien erster Stufe).              zur Primfaktorzerlegung (vgl. Shor
     Medienhistorisch bedeutet das            1997) – und viele der heute verwen-
zunächst, dass die bisherigen binär-          deten Verschlüsselungen basieren eben
digitalen Von-Neumann-Maschinen
nicht das ‚Ende der Mediengeschichte‘
sind.11 Offenbar entstehen neue Tech-             schiede zwischen einzelnen Medien. [...]
                                                 [E]in totaler Medienverbund auf Digi-
                                                 talbasis wird den Begriff Medium selber
10 Das Binärprinzip ist aber historisch          kassieren“ (S.7f.).
   kontingent und lediglich aufgrund sei-     12 Auch das medienhistorische Modell von
   ner einfachen schaltungstechnischen           Winkler (1997), in dem neue Medien
   Implementierbarkeit allgegenwärtig (vgl.      auf die von alten Medien produzierten
   Schröter 2004a).                              ‚Wünsche‘ antworten, würde es erlauben,
11 So lässt sich zumindest eine Stelle bei       den Wunsch nach Quantencomputern
   Kittler (1986) interpretieren: „Vor dem       zu beschreiben – eben als den Wunsch,
   Ende, geht etwas zu Ende. In der allge-       die von den bisherigen digitalen Medien
   meinen Digitalisierung von Nachrichten        angehäuften Datenmengen irgendwie
   und Kanälen verschwinden die Unter-           beherrschen zu können.
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auf der Schwierigkeit solcher Faktori-         Beobachtbarkeit und Unbeobachtbar-
sierung (vgl. Schröter 2004b, S.368f.).        keit wird dies auslösen?
Allerdings wäre dann auch das Home-                Allerdings ist die Verschlüsselung
banking unbescholtener Bürger_innen            keineswegs die einzige ,necessity‘,
nicht mehr sicher – wenn eben jene             die die Entwicklung von Quanten-
kriminellen Menschen über Quanten-             computern antreibt – vielleicht nicht
computer verfügten. Allerdings gibt es         einmal die Wichtigste. Dass gerade
auch Verschlüsselungsverfahren, die            große Digitalkonzerne wie Google die
Quantencomputern standhalten können            Entwicklung von Quantencomputern
sollen (vgl. Bernstein et al. 2009), die       vorantreiben, hängt damit zusammen,
zwar aufwändiger sind, aber dann eben          dass angenommen wird, dass Quanten-
bevorzugt zu entwickeln sein werden.           computer große Datenmengen sehr viel
    Noch komplizierter wird die Situa-         schneller und effektiver durchsuchen
tion, wenn es funktionsfähige Verfah-          und so Muster erkennbar machen als
ren der Quantenkryptographie gäbe              konventionelle Computer (vgl. Pandey/
– die theoretisch eine absolut unbe-           Ramesh 2015): Der Zusammenhang
obachtbare Geheimkommunikation                 mit den Geschäftsmodellen von Google
ermöglichen.13 Es gibt zwar bereits            und Facebook et cetera ist offensichtlich.
kommerzielle Lösungen,14 diese kön-                Welche futuristischen Medientech-
nen jedoch noch gehackt werden (vgl.           nologien im Bereich künstlicher Intel-
Lydersen et al. 2010). Wenn es aber            ligenz (vgl. Lloyd/Mohseni/Rebentrost
funktionierende Quantenkryptogra-              2013) oder neuer holografischer Dis-
phie gäbe, würde das absolut sichere           playtechnologien, die bislang eben-
politische und militärische Kommu-             falls an dem Problem zu großer und
nikation ermöglichen, vielleicht auch          zu komplexer Datenmengen kranken
absolut sicheres Homebanking, aber             (vgl. Winston 1998, S.341), durch
eben womöglich auch eine unbeo-                die hohe Rechengeschwindigkeit von
bachtbare kriminelle und terroristische        Quantencomputern möglich werden
Kommunikation. Müsste nun – im                 könnten – darüber kann derzeit nur
Sinne von Winston – eine „suppres-             spekuliert werden. Medientheoretisch
sion of radical potential“ (Winston            wäre erneut festzuhalten, dass mit dem
1998, S.11) einsetzen? Wird die Nut-           Quantencomputer, trotz allem Gerede
zung von Quantencomputern wie von              über die Digitalisierung, wieder analoge
Quantenkryptographie in der Zukunft            Technologien wiederkehren: „Quantum
stark reguliert werden müssen? Welche          computers are analog devices“ (Friesen
Verschiebungen in der Verteilung von           et al. 2002, S.1). Die im Grunde schon
                                               lange bekannte Tatsache, dass ‚digital‘
13 Geschichte und Prinzip der Quanten-         nicht nach ‚analog‘ kommt und reali-
   kryptographie werden dargestellt in Singh   ter beide Formen meistens gemischt
   (2000, S.383-422); siehe auch Fürnkranz
   (2019, Kapitel 2.6).                        auftreten (vgl. Schröter 2004a), wird
14 Siehe etwa: https://www.idquantique.        erneut bestätigt. Mutmaßlich werden
   com/ (15.02.2020).                          in Zukunft die Quantencomputer die
Perspektiven                               145

konventionellen binär-digitalen Com-               also nicht überflüssig, sondern um einen
puter nicht ablösen, sondern beide                 weiteren Kanaltyp ergänzt.
Technologien werden koexistieren, da
sie in speziellen Bereichen unterschied-           Fazit: Perspektiven für die medien-
liche Stärken und Schwächen haben.15               wissenschaftliche Forschung
Für viele Aufgaben werden klassische
Computer weiterhin ausreichen oder                 Was lässt sich aus diesen Beobach-
sogar besser geeignet sein – spezielle             tungen für die Medienwissenschaft
Rechenprobleme werden dann vielleicht              festhalten? Zunächst ist festzustellen,
an einen integrierten Quantenchip                  dass Quantencomputer eine Zukunfts-
delegiert.                                         technologie sind, die in der Medien-
     Weiterhin wurde diskutiert, ob                kultur der klassischen Digitalrechner
die Nutzung von Verschränkungen                    entstanden ist und auch auf lange Sicht
(vgl. Fürnkranz 2019, S.47-54) den                 ihre Anwendungsmöglichkeiten in
Begriff des Kanals, wie er mindestens               diese Kultur integrieren wird. Gleich-
seit Shannon und Weaver zentral für                wohl wird ihnen das Potenzial zuge-
jenen der Kommunikation ist, affiziert:              sprochen, diese Kultur in einer noch
„Alle Information ist damit den Mate-              unklaren Weise zu überschreiten. Ins-
rialitäten verschrieben, in denen Kodes            besondere ist noch unklar, welche Prak-
übermittelt (oder verrauscht) werden.              tiken sich entwickeln werden. Das wird
Dagegen setzt Anton Zeilinger seinen               nicht vorhergesagt werden können, aber
quantenphysikalischen Ansatz, der von              genau deshalb ist es notwendig, die kol-
der Verschränkung zweier entfernter                lektiven soziotechnischen Imaginati-
Teilchen und damit der Überflüssig-                 onsprozesse rund um Quantencomputer
keit einer Medientheorie des Kanals                auf breiterer Grundlage zu beschreiben.
ausgeht“ (Ernst 2004, S.58).16 Aller-              Dass das Erscheinen von Quantencom-
dings kommt es wohl eher zu einer                  putern die Medienwissenschaft dabei in
Vervielfältigung in Quantenkanäle                  durchaus überraschender Form auf die
und klassische Kanäle (vgl. Fürnkranz              noch ungeschriebene Geschichte der
2019, S.92), sodass auch keine über-               Quantenmedien verweist, ist in dieser
lichtschnelle Kommunikation möglich                Hinsicht ein Symptom.
ist, wie es angesichts von Verschrän-                  Dabei muss es darum gehen, die
kungsphänomenen zunächst scheint.                  Querbezüge zur bereits existierenden
Die Medientheorie des Kanals wird                  Forschung systematisch aufzuarbeiten.
                                                   Gleichzeitig aber ist die Geschichte
                                                   der Quantenmedien auch eine theo-
15 Generell verschwinden alte Medien in der        retische Herausforderung, der sich
   Regel nicht, sondern verändern ihre Funk-       bisher nur eorien wie etwa Karen
   tion und existieren in speziellen Nischen       Barads Agentieller Realismus gestellt
   weiter (ein gutes Beispiel dafür ist die ana-
   loge Schallplatte).                             haben (vgl. Barad 2007). Inwiefern
16 Zum sehr seltsamen Phänomen der Ver-            historisches Verständnis und theo-
   schränkung siehe Bub (2019).                    retische Reflexion ineinandergreifen
146                        MEDIENwissenschaft 02-03/2020

können, demonstriert insbesondere         arbeitung auszeichnen. Kosmologische
die vor dem Hintergrund einer allge-      Deutungen wie die, dass mit Schwar-
meinen Geschichte der Quantenmedien       zen Löchern oder anderen natürlichen
vorzunehmende Einordnung des Quan-        Phänomenen gerechnet werden kann,
tencomputers als ein Analogrechner        sind ebenso unterhaltsame Gedanken-
eigener Art.                              spiele (Meier 2015, S.155-165) wie die
    Nicht überraschend ist es daher,      ironische Vorwegnahme eines zukünf-
dass in der Medienwissenschaft viel-      tigen, quantenbasierten „instantanen
leicht noch sehr unterschwellig, in       Kommunion-Mediums“ (Hillgärtner/
anderen Feldern, etwa der Philosophie     Wiemer 2013, S. 74). Sie haben aber
des Geistes, aber bereits sehr explizit   einen ernsten Kern, sofern uns Quan-
die Frage gestellt wird, was die Quan-    tencomputer tatsächlich dazu auf-
tenphysik über natürliche Phänomene       fordern könnten, das Verhältnis von
wie etwa das Bewusstsein aussagen         Informationsverarbeitung und Mate-
(Atmanspacher 2019) – Phänomene           rie historisch wie systematisch neu zu
also, die sich durch Informationsver-     begreifen.

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