DER ANFANG VOM ENDE ? - Demokraten, Republikaner und die Krise der US-Politik Von John Nichols - Rosa Luxemburg Stiftung

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DER ANFANG VOM ENDE ? - Demokraten, Republikaner und die Krise der US-Politik Von John Nichols - Rosa Luxemburg Stiftung
DER ANFANG VOM ENDE ?
                  Demokraten, Republikaner und die Krise der US-Politik
ROSA
LUXEMBURG
STIFTUNG
NEW YORK OFFICE   Von John Nichols
Der Anfang vom Ende?
Demokraten, Republikaner und die Krise der US-Politik

Von John Nichols

Als der Satiriker und Fernsehmoderator Bill            Das Hauptproblem ist das Zweiparteiensys-
Maher im Wahlkampf 2016 auf den erbärmli-              tem. Es fungierte in der Zeit nach dem Zweiten
chen Zustand der amerikanischen Politik hin-           Weltkrieg fast immer als Auffangbecken für
wies, sagte er: „Unser System ist beschissen.          Unzufriedenheit. Aber es verengte damit den
Die Verfassung muss generalüberholt werden.“           Diskurs und schrieb den alten Politikstil fort.
Dabei muss Maher an Mark Twain gedacht ha-             Selbst wenn das politics as usual einem eini-
ben. Der hatte im 19. Jahrhundert Amerikas             germaßen nachvollziehbaren und fortschritt-
schwere Verwerfungen im ersten „Goldenen               lichen Wandel Platz machte, wie in der Deka-
Zeitalter“ bloßgelegt und, ohne Erfolg, gegen          de zwischen Mitte der 1960er und Mitte der
das Abrutschen der jungen Nation in den Im-            1970er Jahre, reagierten die Systemwächter
perialismus angeschrieben.                             im Obersten Gericht und im Kongress darauf
                                                       mit Ablehnung. Statt die neue Dynamik und
Maher sprach eine Wahrheit aus, über die               damit den Fortschritt zu begrüßen, schlugen
heutzutage selbst die mutigsten Politiker nicht        sie sich auf die Seite der Reaktion: indem sie
öffentlich nachdenken und die meisten Me-              Methoden und Verfahren so veränderten, dass
dien schlichtweg nicht sprechen wollen: Das            die Parteien und ihre Kandidaten immer mehr
amerikanische System funktioniert nicht mehr.          von reichen Wahlkampfspendern abhängig
Es befindet sich in einer Schieflage und richtet       wurden und immer weniger vom Wählerwillen.
sich gegen die wirtschaftlichen Interessen der         Seit der sogenannten Reagan-Revolution in
großen Mehrheit der Amerikaner. Insofern ist           den 1980er Jahren buhlen beide Parteien um
es „manipuliert“, wie die linksliberale Senato-        die Gunst der milliardenschweren Spender-
rin Elizabeth Warren aus Massachusetts meint.          kaste und der Konzernchefs. Dabei entwickeln
Außerdem dient es nur noch der Aufrechter-             sie, was der bekannte Verbraucheranwalt und
haltung eines aus den Fugen geratenen Status           Ex-Präsidentschaftskandidat Ralph Nader ihr
quo. Dieses System registriert Politikverdros-         „gemeinsames Grundverständnis“ nennt. Das
senheit durchaus, aber es ist strukturell so           große Geld korrumpiere die Politik, die Wall
angelegt, dass jeder Gegenansatz dazu ent-             Street überstimme und übernehme Washing-
schärft und letztendlich besiegt wird.                 ton, „und unsere Außenpolitik wird immer mi-
                                                       litaristischer“. Diese Gemeinschaftlichkeit hat
Daher rühren die Spannungen, die den Wahl-             die Politik der Kompromisse oft so nervtötend
kampf 2016 geprägt haben – die wohl unbere-            und langweilig gemacht, dass die Wahlbeteili-
chenbarste Wahlperiode seit Ende der 1960er            gung selbst bei Präsidentschaftswahlen gera-
Jahre. Sie werden auch nach den Wahlen nicht           de so eben noch 50 Prozent beträgt.
nachlassen. Aber der Wahlkampf legt die
Schwachstellen offen, die beseitigt werden             Die Schuld daran einzelnen Parteispitzen und
müssten, wenn sich in den Vereinigten Staaten          -kandidaten zuzuschreiben fällt leicht. Aber
ein neuer politischer Prozess mit einer demo-          das eigentliche Problem ist struktureller Art.
kratischen Steuerung herausbilden soll.                Das Zweiparteiensystem geht nicht auf ein

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bewusstes Konzept zurück, sondern ist das Er-          den großen Parteien der Vorwahlkampf statt-
gebnis amerikanischer Wahlkampfpolitik. Die            findet. Auf diese Weise wird andersdenkenden
beiden großen Parteien sind heute strukturell          Kandidaten, die nicht nominiert werden, die
so sehr verankert und abgesichert, dass die Bil-       Möglichkeit zum Verlassen ihrer Parteien und
dung alternativer Parteien immer schwierig ist         zum Eingehen neuer Bündnisse vorenthalten
– und dabei besonders schwierig ausgerechnet           – was in flexibleren und besser funktionieren-
dann, wenn ihre Bildung am wahrscheinlichs-            den Demokratien gang und gäbe ist.
ten wäre: in einem so unvorhersehbaren Wahl-
kampf, wenn die Wählerinnen und Wähler mit             Über den Mangel an politischer Flexibilität wird
ihren Wahlmöglichkeiten unzufrieden sind. Die          in der Öffentlichkeit nur selten diskutiert. Dabei
meisten amerikanischen Bundesstaaten ma-               wäre Flexibilität die Rahmenbedingung für mo-
chen es neuen Parteien schwer, auf die Wahl-           derne amerikanische Politik und Governance.
zettel zu gelangen. In vielen Bundesstaaten            Das Problem ist, dass der Rahmen nicht einfach
müssen sich alternative Parteien bereits auf           nur Brüche aufweist, sondern dass er insge-
den Wahlzetteln registriert haben, bevor in            samt eine Antithese zur Demokratie darstellt.

Amerikas rasant steigende Nachfrage nach neuer Politik

Demokraten wie Republikaner haben sich im              protesten in einzelnen Bundesstaaten sogar
Umgang mit der amerikanischen Politik den              von älteren Gewerkschaftsgruppierungen und
Tunnelblick angewöhnt. Denn seit Jahrzehnten           Mitgliedern des Progressive Caucus im Kongress
bewegen sie sich in den Medien- und Verwal-            Unterstützung erfährt. Diese Bewegung zieht
tungsstrukturen, die ihrerseits eine experi-           die Demokratische Partei aus dem politischen
mentierfreudigere Politik und damit ein Mehr-          Zentrum nach links, während sie gleichzeitig
parteiensystem unmöglich machen. Was die               partei- und wahlpolitische Alternativen ent-
Parteien jedoch noch nicht bemerkt haben:              wickelt.
Amerika ist größer als ein Tunnel.
                                                       Die USA haben aber auch eine Graswurzel-
Eine Reihe von Entwicklungen haben die Anfor-          Rechte, die mit außergewöhnlich reichen Spen-
derungen an die Parteien und die Erwartungs-           dern und rechten Medien verlinkt und von
haltung gegenüber der Politik insgesamt stark          diesen abhängig ist. Sie drängt die Republika-
ansteigen lassen: der Bedeutungsverlust der            ner-Partei weiter an den den rechten Rand des
herkömmlichen und die Revolution der sozia-            politischen Spektrums.
len Medien; die jahrzehntelange Deindustriali-
sierung; Globalisierung und Automatisierung;           In den Vereinigten Staaten existiert mittlerwei-
sowie die Entstehung neuer Bewegungen,                 le eine ebenfalls wachsende Generation jünge-
Lohnstagnation, wirtschaftliche Ungleichheit,          rer, sogenannter Millennial-Wähler, die keiner
Geschlechterdiskriminierung, Masseneinker-             der beiden alten Parteien nahestehen und sich
kerungen, rassistische Polizeiübergriffe und           von diesen oftmals sogar abgestoßen fühlen.
die den Planeten bedrohende Klimakrise. In             Innerhalb der Demokratischen Partei hält sich
den USA wächst eine linke Basisbewegung he-            die Mitte; bei den Republikanern ist der Boden
ran, die seit den Occupy- und Anti-Austeritäts-        bereits eingebrochen. Und diese Eruptionen

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sind noch lange nicht vorbei. Beide Parteien           eine 20-jährige Phase des Scheiterns und der
sowie der politische Prozess, den sie seit Lan-        Selbstzweifel ein, bis Dwight Eisenhower und
gem geprägt haben, befinden sich in einer Pe-          das moderne Republikanertum auf der Bildflä-
riode des Umbruchs – und der wird die ameri-           che erschienen.
kanische Politik verändern, vielleicht sogar bis
zur Unkenntlichkeit.                                   Gleichzeitig widersetzen sich die alteingesesse-
                                                       nen Parteieliten seit Jahren jeglichem Wandel,
Das ist der Hintergrund für die vordergründi-          und wenn der Wandel unausweichlich wird,
gen Auseinandersetzungen, über die die Medi-           nutzen sie ihn zu ihrem eigenen Vorteil. Wenn
en berichten. Denn die beiden großen Parteien          es Hoffnung auf Reform und Erneuerung ge-
stehen eindeutig unter einem massiven Verän-           ben soll, dann muss ein Grundverständnis für
derungsdruck. Er ist so groß wie in den 1920er         die Spannungen und für den Druck, der 2016
und 1930er Jahren. Damals durchlief die De-            auf sie zurückgeht, entwickelt werden. Denn
mokratische Partei eine radikale Transformati-         die Parteien und der politische Prozess in den
on nach links unter Franklin Delano Roosevelt.         USA hinken den Anforderungen des 21. Jahr-
Die Republikanische Partei hingegen tauchte in         hunderts weit hinterher.

Katastrophenverhinderungspolitik

Dieser Prozess ist aus den Schienen geraten,           das Rennen im Herbst ruft tatsächlich den
wie das Rennen zwischen der Kandidatin der             Wahlkampf von 1964 in Erinnerung. Damals
Demokraten Hillary Clinton und dem Repub-              stand der demokratische Berufspolitiker Lyn-
likaner Donald Trump im Herbst zeigt. Beide            don Johnson dem Republikaner Barry Gold-
sind Umfragen zufolge das mit Abstand un-              water gegenüber, der bekannt wurde für den
beliebteste Paar, das die beiden Großparteien          Satz „Extremismus im Dienste der Freiheit ist
in der jüngeren Geschichte hervorgebracht              keine Untugend“. Auch die Präsidentschafts-
haben. Im Vorwahlkampf gab es noch Hoff-               kampagne von 1980 wies Parallelen auf, wenn
nungsschimmer. Wirtschaftliche und soziale             auch in geringerem Ausmaß. Damals trat der
Probleme Amerikas wurden zumindest ange-               moderate Demokrat Jimmy Carter gegen den
sprochen und halbwegs mit Lösungsvorschlä-             Republikaner Ronald Reagan („Der Staat stellt
gen beantwortet. Aber der Hauptwahlkampf               keine Lösung für unser Problem dar, er ist das
im Herbst verlief schon wieder nach dem de-            Problem“) an. In beiden Fällen waren die Ar-
primierenden alten Schema: Eine wenig mitrei-          gumente von Demokraten und Republikanern
ßende Zentristin mit engen Verbindungen zu             im Prinzip dieselben. Um die Nation und die
Konzerninteressen und einem Hang zu über-              Welt vor dem Untergang zu bewahren, sei es
großer Vorsicht und Kompromissbereitschaft             unabdingbar, die andere Partei nicht an die
argumentierte, demokratisch zu stimmen sei             Macht kommen zu lassen. Politische Ideen und
nötig, um die Wahl eines durchgeknallten, ex-          Vorschläge, unmittelbare Bedürfnisse oder
tremistischen Republikaners zu verhindern.             längerfristige Projekte kamen in diesen Angst-
                                                       kampagnen überhaupt nicht vor.
Donald Trump, heißt es, habe den herkömm-
lichen Wahlkampf in den USA aus dem Gleich-            Natürlich kann es keinen Fortschritt geben in ei-
gewicht gebracht und völlig verändert. Aber            nem Land, das, statt Vorschläge für die Zukunft

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zu entwickeln, eine bloße Katastrophenverhin-            Als der Wahlkampf 2016 begann, herrschte an
derungspolitik betreibt, und wo Parteien, statt          der Parteibasis der Demokraten wie auch der
Verbesserungsvorschläge zu machen, als wich-             Republikaner in einer Hinsicht Übereinstim-
tigste Wahlkampfbotschaft verbreiten, der poli-          mung: dass das Land einen Richtungswechsel
tische Gegner dürfe auf keinen Fall an die Macht         nötig hat. In einer Bloomberg-Umfrage vom
kommen. Nach den gängigen Maßstäben ist in               Herbst 2015 gaben 69 Prozent der Amerikaner
allen Themenbereichen, die Mainstream-Poli-              an, das Land bewege sich in die falsche Rich-
tiker (wie die Demokraten Franklin Roosevelt,            tung. Der Grad der Unzufriedenheit betrug
Harry Truman und John F. Kennedy sowie die               laut CBS 68 Prozent und laut NBC 70 Prozent.
Republikaner Teddy Roosevelt, Wendell Wil-               Obama-Unterstützer und Gegner des von Re-
kie und Dwight Eisenhower) zum Wohle und                 publikanern dominierten Kongresses dachten
zur Sicherheit der Republik weiterentwickeln             dasselbe wie Obama-Gegner und Unterstützer
wollten, heute Stillstand eingetreten: größere           von Abgeordnetenhaus und Senat, nämlich
Fairness und Gleichheit, weniger Machtkonzen-            dass es mit dem Land bergab gehe. Ganz klar
tration innerhalb des Landes und weniger Ein-            stimmte etwas nicht.
fluss des militärisch-industriellen Komplexes
auf die Außenpolitik. Im heutigen Amerika hat            Doch die politischen und wirtschaftlichen Eli-
die Ungleichheit groteske Züge angenommen.               ten setzten ihren alten Kurs munter fort. Sie
Die Löhne stagnieren seit Jahrzehnten. Groß-             setzten auf einen Wahlkampf der Polit-Dynas-
unternehmen mutieren zu Monopolen, und der               tien: auf der einen Seite Hillary Clinton, die
Pentagonhaushalt ist aufgebläht bis zum Geht-            Ehefrau eines Ex-Präsidenten und Außenmi-
nichtmehr. Außer dem einen Prozent, das von              nisterin des amtierenden Präsidenten, als Be-
dieser Situation profitiert, ist niemand damit zu-       werberin um die Nominierung der Demokrati-
frieden. Aber die Sachlage bleibt unverändert.           schen Partei, und auf der anderen Seite, als Be-
                                                         werber um die Nominierung der Republikaner,
Selbst wenn die Wählerinnen und Wähler ei-               Jeb Bush, Sohn eines anderen Ex-Präsidenten
nem neuen Präsidenten, der Fortschritt ver-              und Bruder eines weiteren. Noch zu Beginn
spricht, das Regierungsmandat erteilen wol-              herrschte bei den Eliten die Grundstimmung
len, wie 2008 Barack Obama, werden Verspre-              vor, dass sich der Wahlkampf in der politischen
chen auf „hope“ und „change“ abgewürgt von               Mitte abspielen würde, oder genauer gesagt:
der Oppositionspartei, die Obstruktionspoli-             dass Kandidaten, die den Konzerneliten und
tik betreibt. Die Regierungsarbeit wird dann             milliardenschweren Wahlkampfspendern in
zwangsläufig so hilflos und unwirksam, dass              den Kram passen, gegeneinander antreten
die Frustration überhand nimmt.                          würden.

Die Sanders-Revolution prallt auf den Widerstand der demokrati-
schen Parteiführung

„Unvermeidlichkeit“ war ein beliebter Begriff,           Bevölkerung echt war, und dass sie sich im
bis der Wahlkampf begann. Aber dann war es               Wahlverhalten stärker ausdrücken würde als
vorbei mit dieser Gewissheit. Denn auf einmal            von den Experten und Politstrategen erwartet.
zeigte sich, dass die Unzufriedenheit in der             Bernie Sanders, der Senator von Vermont, der

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die Vorwahlen bei den Demokraten mit dem                 gewagt. Darüber hinaus trug er Vorschläge vor,
Versprechen auf eine „politische Revolution“             die eine Mischung aus europäischer Sozialde-
aufgemischt hatte, sagte mir nach seinem Aus-            mokratie und Anti-Austeritätsbewegung nach
scheiden aus dem Rennen:                                 der Wirtschaftskrise von 2008 darstellten: eine
                                                         staatliche Krankenversicherung, gebührenfrei-
  In den 46 Einzelstaaten, in denen wir Wahlkampf        es Studium, wirtschaftliche Planung und Inves-
  gemacht haben, trafen wir viele fantastische           titionen in die Infrastruktur.
  Menschen, die unkonventionell denken und die
  den Unsinn, den uns das Establishment über
  unsere angeblich unrealistischen Ziele einzure-        Sanders’ Ansätze waren freilich eher innenpo-
  den versucht, durchschaut haben. Wir können            litisch und weniger internationalistisch ausge-
  viel, viel mehr erreichen, und dafür kämpfen wir       richtet als beispielsweise die des Chefs der bri-
  auch.                                                  tischen Labour-Partei, Jeremy Corbyn. Sanders
                                                         meinte:
Dass Sanders Recht hat, bestätigen die Umfra-
gen und teilweise auch das Wahlverhalten: Die              Ich glaubte im Innersten meines Herzens keines-
Amerikaner sind bereit zu unkonventionellem                falls, dass meine Vorschläge besonders waghalsig,
Denken. Ebenso stimmte seine Einschätzung                  radikal oder verwegen waren. Was ich vorschlug,
                                                           würden die meisten Amerikaner unterstützen,
eines Systems, das vom Establishment be-
                                                           wenn man ihnen diese Vorschläge in aller Aus-
herrscht wird, dem solches Denken zuwider-                 führlichkeit unterbreiten könnte – was unter den
läuft. Es kann laut Sanders nur mit Hilfe einer            gegebenen Umständen aber nicht stattfindet. Du
politischen Revolution aus den Angeln geho-                kannst Dir 14 Jahre lang CNN anschauen, und
ben und verändert werden. Aber selbst er un-               kein einziges Mal wirst Du eine Diskussion über
terschätzte dann die Entschlossenheit, mit der             die staatliche Krankenversicherung finden. Du
                                                           wirst keine Kritik an der Arzneimittelindustrie
dieses Establishment die Partei im Griff behal-
                                                           hören, und Du wirst nicht besonders viel hören
ten will. Im Wahlkampf 2016 machten die Eliten             über die Ungleichverteilung von Einkommen und
der Demokratischen Partei deutlich, wie ernst              Reichtum.
es ihnen um ihre politische Vorherrschaft und
die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen              Natürlich war es aber doch radikal von ihm
Pfründe ist.                                             zu sagen, dass weit verbreitete Vorstellungen
                                                         wenig Gehör finden und populäre Vorschläge
Sanders musste für einiges Lehrgeld zahlen.              nicht in die Tat umgesetzt werden, weil für die
Er stellte sich gegen das Establishment, indem           Massenmedien Vermarktung und Unterhal-
er im politischen Prozess die Grenzen testete,           tung Priorität besitzen. Zivilgesellschaftliche
die die Eliten aus Politik und Medien gezogen            und demokratische Werte müssen zurückste-
hatten. Einige politische Grenzen erkannte               hen. Ebenfalls radikal war das von Sanders vor-
er an, etwa indem er vor den Vorwahlen vom               getragene Argument, der Nominierungspro-
Unabhängigen zum Mitglied der Partei wur-                zess bei den Demokraten sei manipuliert. Der
de. Als Grund nannte er die Kürze der Zeit, die          Einfluss neuer, vor allem junger Wähler und von
eine erfolgreiche Kandidatur als Unabhängiger            Unabhängigen werde begrenzt, die Rolle von
oder den Aufbau einer eigenen Wahlpartei in-             Parteieliten, sogenannten Super-Delegierten,
nerhalb von ein paar Monaten unrealistisch               dagegen ausgeweitet. Letztere spielen in den
machte. Als Sanders dann bei den Demokraten              Vorwahlen eine entscheidende Rolle, obwohl
mitmischte, verweigerte er sich den Gepflo-              sie den Wählerinnen und Wählern an der Basis
genheiten und trat als stolzer demokratischer            gegenüber nicht rechenschaftspflichtig sind.
Sozialist auf. So etwas hatte in den Vorwahlen           Radikal war schließlich auch Sanders Ruf nach
der Demokraten bislang noch kein Kandidat                Verfassungsreformen mit pointierten Forde-

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rungen, etwa dass Unternehmen keine Indi-              schriften, Webseiten und Radioprogramme,
vidualrechte besitzen sollten und dass Reiche          die den Mächtigen auf die Finger schauen.
mit ihren wirtschaftlichem Gewicht bei Wahlen          Aber das Mediensystem als Ganzes tendiert
nicht „lauter“ als die Mehrheit sein dürften.          hin zu dem, was auch den wirtschaftlichen
Außerdem forderte Sanders das Recht für Bür-           Eliten am Liebsten ist: eine zentristische Sozi-
ger und ihre gewählten Vertreter, die Wahlen           alpolitik, eine konservative Finanzpolitik und
so ausrichten zu können, dass Stimmen mehr             eben Politiker wie Clinton, die seit Langem mit
Gewicht haben als das Geld, das Unternehmen            ihnen verbündet ist. Ausnahmen von dieser
und Milliardäre an ihre Lieblingskandidaten            Regel treten nur dann ein, wenn Politiker ex-
spenden.                                               trem unterhaltsam und/oder furchterregend
                                                       wie Donald Trump sind. Denn das garantiert
Selbst seine eifrigsten Verfechter waren über          so viele Internetclicks und so hohe Einschalt-
den Senkrechtstart seines Wahlkampfs über-             quoten, wie sie sonst nur Athleten und Pop-
rascht. Die linke Kritik, die Sanders den ganzen       stars einfahren. In dieses Kalkül passte San-
Vorwahlkampf über mit solcher Entschlossen-            ders jedenfalls nicht – was ihn die Medien auch
heit vortrug, kam sehr gut an. Er erhielt insge-       spüren ließen.
samt 13,2 Millionen Stimmen und gewann in 23
Vorwahlen und Caucus-Versammlungen der                 Ende 2015 lagen Sanders und Trump in etwa
Demokratischen Partei. Auf ihrem Parteitag,            gleichauf. Bis dahin hatten alle Kandidaten
der Democratic National Convention, stellte er         in beiden Parteien bereits mehrere Monate
1865 von insgesamt 4763 Delegierten – so viele         Wahlkampf hinter sich. Trump erhielt laut ei-
Delegierte hatte in der modernen amerikani-            nem Umfragedurchschnitt, den die Webseite
schen Geschichte noch kein Außenseiter-Kan-            „Real Clear Politics“ ermittelte, von republika-
didat erhalten. Sanders war so populär, dass           nischen Wählern landesweit 30,4 Prozent. Bei
Clinton ihr altes Programm aufgeben und viele          den Demokraten kam Sanders auf 31 Prozent.
seiner Forderungen gleich doppelt überneh-             Obwohl sie völlig verschiedene und entge-
men musste. Sie fanden sich zum einen formal           gengesetzte politische Vorschläge für die USA
im Parteiprogramm wieder, das Sanders als              machten, erhielten beide Männer Massenun-
„fortschrittlichstes in der Geschichte“ der De-        terstützung dafür, dass sie die politics as usual
mokraten lobte. Zum anderen bewegte sie sich           ablehnten.
im Vorwahlkampf auf Sanders’ Positionen zu,
etwa in den Bereichen Freihandel, höhere Bil-          Aber wer glaubte, dafür hätten sie beide ein
dung und Gesundheitspolitik.                           gleiches Maß an medialer Aufmerksamkeit
                                                       verdient, täuschte sich gewaltig. Der Medien-
Die Positionsverschiebung trug letztendlich            analytiker Andrew Tyndall, der sich auf die Be-
zu Clintons Sieg über Sanders in vielen Vor-           richterstattung über Kandidaten spezialisiert
wahlen und Caucus-Versammlungen bei und                hat, stellte fest, dass die großen Nachrichten-
machte sie zur Präsidentschaftskandidatin.             sender im Jahr 2015 über Trump 234 Minuten
Eine große Hilfe war für sie auch der struktu-         lang berichteten und über Sanders bloß zehn
relle Vorteil, den die medialen und politischen        Minuten. „Die Berichterstattung der Fernseh-
Systeme den Lieblingskandidaten der Eliten             sender über Trump, der in Umfragen auf 20
verschaffen. Denn es könnte ja Demokratie              bis 30 Prozent der Stimmen in den Vorwahlen
ausbrechen.                                            kommt, ist maßlos übertrieben. Gleichzeitig ist
                                                       ihre Berichterstattung über Sanders, der auf
Amerika verfügt über eine vielfältige Medi-            20 bis 30 Prozent der Stimmen kommt, maßlos
enwelt, darunter zahlreiche Zeitungen, Zeit-           untertrieben“, beobachtete Eric Boehlert von

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der Webseite „Media Matters“ Ende Dezem-              nervös, wie Wikileaks kurz vor dem Parteitag
ber 2015. Und weiter: „Nun führt Trump das            der Demokraten (DNC) enthüllte. Tausende
Rennen bei den Republikanern an, womit ihm            von DNC-E-Mails erhärteten den Verdacht der
zurecht mehr Aufmerksamkeit zuteil wird als           Sanders-Unterstützer, dass die Parteiführung
Sanders, der bei den Demokraten an zweiter            im Vorwahlkampf zu Gunsten von Clinton
Stelle steht. Aber 234 Sendeminuten für Trump         ständig das Zünglein an der Waage spielte. In
und nur 10 Sendeminuten für Sanders, wie es           manchen E-Mails war zu lesen, dass hochrangi-
im Tyndall-Bericht heißt?“                            ge DNC-Beschäftigte erwogen hatten, Sanders
                                                      wegen seiner Religion anzugreifen. Ein Anwalt
Man stelle sich einmal vor, die Medien hätten         hatte dem vorbereitenden Parteitagsaus-
dem demokratischen Sozialisten Sanders, der           schuss juristischen Rat angeboten, als Clinton
sich gegen die Eliten für die arbeitende Bevöl-       vorgeworfen wurde, die Fundraising-Struktur
kerung einsetzte, ähnlich viel Beachtung ge-          begünstige sie. Die DNC-Vorsitzende Debbie
schenkt wie dem milliardenschweren Repub-             Wasserman Schultz nannte Sanders’ Wahl-
likaner, der mit seinem fadenscheinigen Popu-         kampfchef Jeff Weaver „ganz besonders dre-
lismus die Amerikaner nach Hautfarbe, Her-            ckig“ und „einen Arsch“. Die E-Mails, die von
kunft und Religion zu spalten versuchte. Hätte        vermeintlich unvoreingenommenen Partei-
Sanders dann die Erwartungen gesprengt und            größen stammten, spielten die Kandidatur des
wäre der Kandidat der Demokraten geworden,            progressiven Senators herunter, selbst als er
so wie es Trump bei den Republikanern wur-            Schlüssel-Vorwahlen gewann. Als Sanders ein-
de?                                                   mal vorschlug, Wasserman Schultz auszuwech-
                                                      seln, reagierte sie mit einer scharf formulier-
Sanders ist der Meinung, er habe jüngeren             ten E-Mail an einen anderen Parteimitarbeiter:
Wählern, „die sich nicht die Abendnachrichten         „Er wird auf keinen Fall Präsident.“ Als Sanders’
ansehen“, sondern in den sozialen Medien ak-          Wahlkampfchef Weaver auf die Voreingenom-
tiv sind, seine Vorschläge sehr wirksam unter-        menheit von Wasserman Schultz und anderer
breiten können.Er gibt aber auch zu, dass sich        DNC-Größen angesprochen wurde, bemerkte
seine Siegeschancen deshalb verringerten,             er: „Vieles von dem, was wir vermuteten, pas-
weil die Medien über seinen Wahlkampf in den          sierte auch.“
entscheidenden Momenten nicht themenbe-
zogen berichteten, sondern stattdessen politi-        Wasserman Schultz musste zurücktreten.
schen Klatsch und Tratsch verbreiteten. Über          Aber die Vorsitzende und ihre Verbündeten
die großen Sendeanstalten, die für Wählerin-          bekamen die Kandidatin, die sie unbedingt ge-
nen und Wähler über 50 die Hauptnachrichten-          wollt hatten. Gleichzeitig aber ernteten sie das
quelle geblieben sind, sagte der Senator: „Sie        Misstrauen von Sanders-Unterstützern, die
schadeten uns bei den älteren Menschen sehr.          ihnen mitunter mit offener Aversion begegne-
Denn die erfuhren über uns von ABC oder CBS           ten. Misstrauen und Aversion führten in der
ja kaum etwas“.                                       Partei zu mehr Spaltungen und Kampfansa-
                                                      gen, je näher im Herbst der Hauptwahlkampf
Der demokratische Sozialist erzielte überwäl-         rückte. Während sich Sanders hinter Clinton
tigende Siege, wenn er mit Wählern in direk-          stellte, hatte die Kandidatin Schwierigkeiten,
ten Kontakt kam und dabei, statt über Perso-          sich gegen Trump zu behaupten – gegen einen
nen zu sprechen, sich auf politische Themen           Kandidaten, den selbst Republikaner wie der
konzentrierte. Das war der Fall etwa in New           Gouverneur von Ohio, John Kasich, der in den
Hampshire, Michigan, Wisconsin, Indiana und           republikanischen Vorwahlen gescheitert war,
Oregon. So etwas machte die Parteiführung             als rundum dienstuntauglich bezeichneten.

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Die republikanischen Wurzeln des Trumpismus

Während die Demokraten die Sanders-Rebel-             einbarungen, die Banken-Bailouts und andere
lion unterdrückten, vielleicht zu ihrem eige-         Wall-Street-freundliche Vorschläge, die die Re-
nen Nachteil, ließen sich die Republikaner von        publikanerführung im Kongress durchbrachte,
Trump überrennen. Aber wo liegt der Unter-            den eigenen Stammwählern nichts. Vielmehr
schied zwischen den beiden Parteien? Wes-             verschlechterte sich deren wirtschaftliche Situ-
halb wurde die Sanders-Rebellion zur selben           ation. Trump fand heraus, dass er nur an den
Zeit blockiert wie die Trump-Rebellion erfolg-        Republikaner-Vorwahlen teilnehmen und dort
reich war? Die Antwort lautet natürlich, dass         seine Konkurrenten als Spendengeldganoven
Trump in viel geringerem Ausmaß ein Rebell ist        und politische Trickbetrüger bezeichnen muss-
als Sanders. Trump wurde oft als „Milliardärs-        te, um zu gewinnen. Die 16 anderen republika-
Populist“ bezeichnet. Aber er war immer eher          nischen Mitbewerber zu schlagen, die aus ihren
Milliardär denn Populist. Das hatten einige aus       eigenen Insider-Reihen mit Hilfe hochdotierter
der Republikanerelite schnell erkannt. Aber für       Berater und Strategen einen Kandidaten her-
andere, die sich ihm widersetzten, war es von         vorbringen wollten, war für Trump überhaupt
Anfang an vorbei.                                     nicht schwer. Die konservativen Eliten und Ex-
                                                      perten wollten zwar verhindern, dass ihnen
Trump wurde der Präsidentschaftskandidat              der milliardenschwere politische Emporkömm-
der Republikaner, weil er die Partei durch-           ling einen Strich durch die Rechnung machte.
schaute. Er wusste, dass die Parteiführung            Aber sie widersetzten sich Trump kaum.
seit Richard Nixons Wahlkämpfen im Zeichen
von „Southern Strategy“ und „Moral Majority“          Diese Eliten stellten sich seit Jahren mehr oder
zu Beginn der 1970er Jahre nur noch zynische          weniger hinter die Familie der Ex-Präsidenten
politische Manöver durchführte. Denn sie er-          George Herbert Walker Bush und George W.
kämpften sich die Macht, indem sie zuerst den         Bush. Immer wieder hatten sie in der Vergan-
konservativen Wählerinnen und Wählern in              genheit ihren Einfluss gegen rechtsreligiöse
den Südstaaten und auf dem Land eine rech-            Extremisten wie Pat Robertson im Jahr 1988
te Sozialpolitik versprachen und dann die Re-         und gegen rechte Populisten wie Pat Bucha-
gierungsgeschäfte betrieben, in dem sie die           nan in den Jahren 1992 und 1996 verteidigen
Interessen ihrer reichen Wahlkampfspender             können. Dasselbe schwebte ihnen dieses Mal
und der Wall Street vertraten. Die Strategen          vor, als sie sich mit einem weiteren Mitglied
der Republikaner rechneten sich aus, dass             der Republikaner-Familiendynastie zusam-
Wahlgewinne auch weiterhin mit einer Politik          mentaten, mit dem Ex-Gouverneur von Florida
des Teile und Herrsche sowie mit Angst zu er-         Jeb Bush oder – im Falle eines Scheiterns – mit
zielen seien: indem man jeweils im Wahlkampf          einem anderen Insider, dem früheren Gou-
die Stimmung anheizte mit der Furcht vor In-          verneur von Massachusetts Mitt Romney. Der
tegration und Einwanderung, vor „affirmative          glücklose Präsidentschaftskandidat von 2012
action“ und Abtreibungsrecht sowie vor der            musste vier Jahre später allerdings schon früh
eherechtlichen Gleichstellung von Schwulen            im Vorwahlkampf Jeb Bush Platz machen, der
und Lesben. Problematisch blieb dabei, dass           wie eine Dampfwalze nach einem bewährten
Republikaner-Präsidenten und republikani-             Muster daherkam: mit einem riesigen Spen-
sche Kongressmehrheiten nur noch selten               denaufkommen aus Unternehmerquellen, mit
für die eintraten, die sie in die Ämter gewählt       Wahlaufrufen seitens prominenter Republi-
hatten. Tatsächlich brachten die Handelsver-          kaner und mit Hilfe derselben Strategen, die

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einen Bush auf sechs der letzten neun repu-            dass auch ihr Hass auf die Republikaner-Eliten
blikanischen Präsidentschaftstickets gesetzt           gerechtfertigt sei.
hatten.
                                                       Trump wurde es außerdem von den Medien
Trump war etwas bewusst, was die Bushs und             leicht gemacht. Denn statt einer umfassen-
Romney abstritten: dass die Parteibasis nicht          den Wahlkampfberichterstattung hatten die
nur Demokraten wie Barack Obama und Hil-               Einschaltquoten Priorität, und Trump war der
lary Clinton hasste, sondern auch bestimmte            Garant für hohe Quoten. CBS-Chef Les Moon-
Republikanerchefs, nämlich solche, die sich            ves räumte auf einer Konferenz der Medien-
weigerten, Obama und Clinton mit offener Ver-          branche sogar ein, dass die Ratings und die Zu-
achtung zu begegnen. In den Augen der Partei-          satzeinnahmen, für die die Trump-Bewegung
basis disqualifizierte sich Trump keineswegs,          sorgte, „vielleicht nicht gut für Amerika, aber
als er Verschwörungstheorien wie die von               verdammt gut für CBS“ seien. Die Berichterstat-
Obama als einem in Kenia geborenen radika-             tung über den Milliardär war oberflächlich und
len Muslim verbreitete oder die von Clinton als        lief ohne Pause. Mit den Worten „Trump, Trump,
einer Riesenverbrecherin, die nicht ins Außen-         Trump, Trump, Trump, Trump und noch einmal
ministerium oder Weiße Haus, sondern in den            Trump“ beschrieb der langjährige politische Be-
Knast gehöre. Aber Trump konnte sagen, was             obachter Larry Sabato die Herangehensweise
er wollte – in den Augen der Parteibasis behielt       der Mainstream-Medien in der Vorwahlsaison.
er Recht. Denn zwei Jahrzehnte lang waren ihr          Bis Ende Februar 2016 war über den Milliar-
von rechten Medien und zynischen Politstrate-          där nach einer Erhebung der Zeitschrift „The
gen ohne Unterlass Lügen und Hass eingetrich-          Economist“ in den Abendnachrichten der Sen-
tert worden. Trump trauten und bevorzugten             deanstalten zehn Mal mehr berichtet worden
diejenigen Republikaner am meisten, die als            als über den Senator aus Florida Marco Rubio.
Stammwähler keine Vorwahl auslassen, sowie             Ihn hatten viele Establishment-Republikaner
die extreme Rechte. Zur letzteren gehörten             als letzte Hoffnung vor Trump eingestuft. Diese
Anhänger des ehemaligen KuKluxKlan-Chefs               Overkill-Berichterstattung über Trumps Kan-
David Duke und die antiislamischen und ein-            didatur machte „The Donald“ zum Schwerge-
wandererfeindlichen Fanatiker, die man später          wicht im Republikaner-Wettbewerb. Amy Goo-
als „alt-right“ bezeichnete.                           dman von Democracy Now! sagte dazu: „Trump
                                                       braucht seinen Wahlkampf nicht auf die Straße
Dass Trump eine republikanische Vorwahl                tragen, denn er ist längst in jedes Wohnzimmer
nach der anderen gewann, kam dann nicht                gepumpt worden.“ Für Trump ein unschätzba-
mehr überraschend. Er konnte sich auf Wähler           rer Wert.
stützen, die den Großteil ihrer Informationen
vom rechten Fernsehsender Fox, den rechten             Ebenso unschätzbar war für Trump die Ver-
Radioprogrammen von Rush Limbaugh und                  bissenheit, mit der die bekanntesten und
Sean Hannity sowie von rechtsradikalen Web-            mächtigsten Republikaner des Landes an ih-
seiten bezogen. Genau von dort kamen die Ver-          ren Ämtern festhielten. Der Fraktionschef im
schwörungstheorien und der Hass, den Trump             Repräsentantenhaus Paul Ryan und der Se-
über Einwanderer, Flüchtlinge und Minderhei-           nats-Mehrheitsführer Mitch McConnell murr-
ten ausgoss und dann im Mainstream ausbrei-            ten zwar ab und zu, wenn sich Trump rassis-
tete. Trump gründete keine neue Bewegung;              tisch, sexistisch, xenophob und justizfeindlich
er bestätigte den Wählerinnen und Wählern,             äußerte. Aber ihrem verhaltenen Tadel fügten
denen der Hass auf die demokratischen Eliten           sie jedes Mal das Zusatzversprechen an, dass
längst eingeimpft war, im Wahlkampf erneut,            sie den Kandidaten unterstützen würden.

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Trump hatten sie offenbar einen Freibrief er-           halt und Machtausbau. Mit ihrer Entscheidung
teilt – er konnte sagen, was er wollte, egal wie        machten Ryan, McConnell und Cruz aus der
schlimm, ohne dass ihm die wichtigsten Repu-            „Partei Lincolns“ oder der „Partei Reagans“, wie
blikaner die Unterstützung entziehen würden.            sie genannt wurde, die „Partei Trumps“. Sie bil-
Diese Botschaft kam bei den republikanischen            deten sich ein, nach dem Zwischenspiel Trump
Wählern genau an. Trump wurde stärker. Als              werde die Partei wieder zu ihrer alten Würde
der Vorwahlkampf entschieden war, spran-                zurückkehren und eine alte Strategie würde
gen nach und nach auch verbitterte Gegner,              wieder aufgehen: sich selbst und die Partei als
wie der Senator aus Texas Ted Cruz, auf den             ehrbar zu präsentieren, während man alle vier
Trump-Zug auf und gesellten sich zu McCon-              Jahre insgeheim schmunzelte und nickte, wenn
nell und Ryan.                                          die Parteibasis mit Hilfe von Verschwörungs-
                                                        theorien und rassistischen Ressentiments ge-
Die Botschaft, die Ryan, McConnell und Cruz             gen die Demokraten aufgehetzt wurde. Aber
verbreiteten, war klipp und klar: Parteidiszi-          Trump hatte, politisch gesehen, die Büchse der
plin geht immer vor Grundhaltung, für die               Pandora geöffnet, in die die Republikaner nicht
Partei gibt es nichts Wichtigeres als Machter-          mehr zurückzustopfen sind.

Die Entgleisung des republikanischen Zuges

Aber nicht nur die Republikaner logen sich in           te ein gewisses Maß an Fortschritt dar, reicht
die Tasche. Als der Hauptwahlkampf begann,              aber leider nicht aus.
meinten demokratische Berater immer noch,
ein altmodischer Wahlkampf nach dem Motto               Führende Demokraten haben bis heute nicht
„Wir sind besser als die“ gegen Trump und die           verstanden, dass der Wahlkampf von Sanders
Republikaner werde ans Ziel führen. Aber Clin-          nicht nur Hillary Clinton überrunden wollte,
ton war laut Umfragen gerade bei unabhän-               sondern die Struktur der Demokratischen Par-
gigen Fortschrittlichen, in der Arbeiterschicht         tei und des gesamten politischen Prozesses in
und ganz besonders bei den Millennials, die             Frage stellte. Der Senator aus Vermont behielt
Bernie Sanders mit seiner demokratisch-sozi-            mit seiner Einschätzung Recht:
alistischen Kandidatur begeistert hatte, unbe-
liebt. Den Umfragen zufolge waren nicht be-               Bundesstaat für Bundesstaat nahmen wir uns die
sonders viele Sanders-Unterstützer für Trump.             gesamte demokratische Führung vor. Wir nahmen
                                                          uns den Gouverneur vor, die beiden Senatoren
Im Gegenteil, sie fanden ihn abstoßend. Aber
                                                          und sämtliche Bürgermeister – und wir erzielten
gleichzeitig waren sie wütend auf die Führung             große Siege. Was sagt das aus über die Beziehung
der Demokraten, die gegen die Sanders-Rebel-              der Führung der Demokraten zur Parteimitglied-
lion intrigiert hatte. Da einige Clinton-Unter-           schaft? Ich denke, die Demokraten müssen für jun-
stützer das Ausmaß der Wut richtig einschätz-             ge Menschen die Türen offenhalten. Heißt sie herz-
ten, sorgten sie zusammen mit Sanders-Unter-              lich willkommen und bereitet Euch gleichzeitig auf
                                                          ein Chaos vor. Denn viele dieser jungen Menschen
stützern für den Rücktritt der DNC-Vorsitzen-
                                                          sind keine Profi-Politiker, die seit 30 Jahren Mit-
den Debbie Wasserman Schultz und richteten                gliedsbeiträge bezahlen. Die Demokratische Partei
einen Reformausschuss ein, der die Kandida-               muss sich der Lebenswelt der Jungen anpassen,
tenauswahl modernisieren soll. All dies stell-            sie darf nicht die Jungen und die Arbeiter zwingen,

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  sich den Bedürfnissen der Demokraten-Führung          sicht unverzichtbar sind, wenn es eine Regie-
  anzupassen.                                           rung geben soll, die ihren Werten und Ansprü-
                                                        chen gerecht wird. Eine Gallup-Umfrage vom
Schon die Annahme, ein „chaotischer“ Prozess            September d.J. ergab, dass nur 38 Prozent der
könne zur Öffnung einer Partei führen, die zur          Amerikaner die beiden Parteien für fähig und
Geschlossenheit neigt, ist von Optimismus ge-           willens hielten, die Bedürfnisse der Bevölke-
prägt. Eher wahrscheinlich ist, dass die Führer         rung wahrzunehmen und zu artikulieren. 60
in beiden Parteien und die Experten die Situa-          Prozent der Befragten drückten den Wunsch
tion falsch einschätzen und meinen, die Rebel-          nach einer weiteren Partei im Land aus. Das ist
lionen würden Ende 2016 absterben. Genau                ein dramatischer Zuwachs im Vergleich zu vier
das wird nicht passieren. Denn Globalisierung,          Jahren davor. Damals sagten 45 Prozent, zwei
Deindustrialisierung, Automation, verfehlte             Parteien würden ausreichen, und 46 Prozent
Austeritätsprogramme, aufgeblähte Militär-              wollten mehr als das. Mehr als die Messdaten
haushalte und verkorkste nationale Prioritäten          sagen aber wahrscheinlich praktische Belege
werden sich mit diesen Wahlen nicht zum Bes-            über das Interesse und die Unterstützung für
seren hin verändern. Viel eher werden sie sich          eine Mehrparteiendemokratie aus. Nun stehen
wie ein Krebgeschwür ausbreiten. Denn die               zwar Drittparteien in den USA seit jeher viele
USA und andere westliche Demokratien haben              Hürden im Weg, von der Ausblendung aus den
mit einer neuen Weltordnung zu kämpfen, die             Medien über den Ausschluss von Präsident-
sie zwar eingeleitet, die aber inzwischen ih-           schaftsdebatten im Fernsehen bis hin zu den
rer Kontrolle entglitten ist. Außerdem ist das          hohen Kosten, die Petitionen für den Eintrag in
amerikanische Zweiparteiensystem zu einem               die Wahllisten verursachen. Trotzdem gelang es
Zwangskorsett geworden. Es passt längst nicht           der wirtschaftskonservativen und soziallibera-
mehr auf das immer größer werdende Spek-                len Libertarian Party, in allen 50 Bundesstaaten
trum an Vorstellungen, Ansprüchen und For-              und im District of Columbia auf den Wahlisten
derungen im Land.                                       aufgeführt zu werden. Die Green Party steht in
                                                        44 Bundesstaaten sowie im District of Colum-
Die Amerikaner haben die herkömmliche Poli-             bia zur Wahl. Zu Beginn des Hauptwahlkampfs
tik satt, ebenso wie den daraus resultierenden          lagen die Libertären in vielen Einzelstaaten und
Reformstau, die Ungleichheit und die Unge-              in landesweiten Umfragen im zweistelligen Pro-
rechtigkeit. Ein Drittel der Amerikaner sieht in        zentbereich und erhielten sogar Wahlempfeh-
der Unfähigkeit der Washingtoner Regierung,             lungen von einigen großen Zeitungen.
größere Probleme anzugehen, eine „Krise“, 51
Prozent halten sie für „ein großes Problem“.            Die Grünen kamen landesweit zweitweise auf
Das ergab eine Gallup-Umfrage im Frühjahr               bis zu fünf Prozent und in großen Bundesstaa-
2016. Ähnlich große Bevölkerungsanteile hal-            ten wie Kalifornien sogar noch darüber – was
ten den Hang der Parteiführungen zur Partei-            ihnen 2016 rekordverdächtig viele Stimmen
disziplin statt zum Gemeinwohl für eine „Kri-           einbringen könnte. Darüber hinaus dehnt sich
se“ (30 Prozent) oder ein „großes Problem“ (55          die in New York beheimatete Working Families
Prozent). Diese enttäuschten Bürgerinnen und            Party im Eiltempo auf andere Bundesstaaten
Bürger schieben die Schuld an den Problemen             aus und erscheint damit auf weiteren Wahl-
des Landes jedoch nicht ganz auf die beiden             listen. Die Partei unterstützt oft linke Demo-
großen Parteien, sondern völlig zurecht auch            kraten, nominiert bei Wahlen aber manchmal
auf eine geistlose und konsolidierte Medien-            auch eigene Kandidaten und gewinnt dann
landschaft. Die Amerikaner merken langsam,              auch. Hinzu kommen die Wahlsiege der Stadt-
dass mehr Wahlmöglichkeiten in vielerlei Hin-           rätin von Seattle Kshama Sawant, die offen für

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Socialist Alternative antrat. Ihre Erfolge haben        nen die Wahl der US-Senatoren (die zuvor le-
weitere Sozialisten im ganzen Land inspiriert,          diglich vom Senat des jeweiligen Bundesstaats
bei lokalen Wahlen zu kandidieren.                      ausgewählt wurden), das Frauenwahlrecht und
                                                        die Erweiterung der bundesstaatlichen Be-
Trotz aller Belege, dass die Amerikaner mehr            steuerungs- und Regulationsbefugnisse veran-
Wahlmöglichkeiten haben wollen, sind die                kert werden konnten. Sie waren die Grundla-
Aussichten auf eine Öffnung des politischen             gen für Franklin Delano Roosevelts New Deal.
Prozesses in den USA trübe. Vor den struktu-            Auch heute entstehen neue Bewegungen für
rellen Hürden, die sich dabei auftun, schrecken         eine Verfassungsreform. Bis Mitte 2016 war
selbst die optimistischsten Reformer zurück.            die Zahl der einzelstaatlichen Parlamente, die
Hinzu kommt: Auch ist eine Mehrparteiende-              den Kongress zu Verfassungsänderungen und
mokratie keinesfalls ein Garant für eine besse-         zu einer Wahlfinanzierungsreform auffordern,
re und schönere USA. Denn auch Länder mit               auf 17 angewachsen. Ziel ist es, allen Kandida-
einer offeneren und funktionierenden Politik            ten und Parteien gleiche Ausgangspositionen
haben ungelöste wirtschaftliche und politische          zu verschaffen.
Probleme.
                                                        Außerdem entsteht eine neue Wahlrechtsbe-
Wenn sich nach den Wahlen 2016 der Staub                wegung, die die Hürden für eine gleichberech-
gelegt hat, werden sich die Eliten miteinander          tigte Wahlbeteiligung aus dem Weg räumen
über die politischen Schwachstellen unterhal-           will. Sie geht beispielsweise vor Gericht gegen
ten, die der Wahlkampf bloßgelegt hat. Dabei            die Manipulation der Wahlbezirkseinteilung,
wird darüber diskutiert werden, ob das seit             das sogenannte Gerrymandering, vor. Diesen
Mitte des 19. Jahrhunderts bestehende Zwei-             Trick, mit dem eigene Kandidaten begünstigt
parteiensystem in das heutige Amerika des 21.           werden sollen, wenden beide großen Partei-
Jahrhunderts passt. Jedoch wird es in diesen            en an. Eine weitere landesweite Gruppierung
Diskussionen, da sie auf Elitenebene stattfin-          namens FairVote hilft Community-Aktivisten in
den, eher um Flickschusterei an bestehenden             vielen Bundesstaaten bei der Einführung von
Strukturen statt um deren Generalüberholung             „Instant-Runoff-“ und „Ranked-Choice“-Stimm-
gehen. Über einen echten Strukturwandel wird            abgabesystemen. Durch diese wird jede Stim-
dagegen tiefgründig und engagiert auf der               me, die einem unterlegenen Kandidaten gege-
Graswurzelebene debattiert werden, dort also,           ben wurde, an einen aussichtsreicheren Kandi-
wo soziale Medien und unabhängiger Journa-              daten übertragen (den wiederum der Wähler
lismus neue Netzwerke für Auseinanderset-               selbst zuvor ausgewählt hat). Diese Reform
zung und politisches Engagement aufbauen.               verringert die Wahrscheinlichkeit, dass die
Diese Diskussion wird vor allem von Linken,             Unterstützung für einen „idealen“ Drittpar-
aber auch rechts geführt, und sie wird von den          teikandidaten den Erfolg eines Kandidaten ei-
Erfahrungen aus den Vorwahlen und aus dem               ner großen Partei mindert, sowie umgekehrt.
Herbstwahlkampf befeuert werden. Denn die               Dadurch ist die Furcht, eine Stimme für einen
Reichweite der Libertären und der Grünen ist            Kandidaten einer Drittpartei zu verschwen-
in vielen Bundesstaaten größer geworden.                den, gegenstandslos geworden. Das „Ran-
                                                        ked-Choice“-Wahlsystem in Städten wie San
Bereits jetzt gibt es ehrgeizige Reformbewe-            Francisco hat bereits zur Wahl von Kandida-
gungen mit einem Umschwungpotenzial, das                ten aus Drittparteien geführt. Im Bundesstaat
an die „Progressive Ära“ vor einem Jahrhun-             Maine gibt es jetzt erstmalig eine Bürgeriniti-
dert erinnert. Zwischen 1910 und 1920 sorgten           ative für solch ein System, das den gesamten
Reformer für Verfassungsänderungen, mit de-             Bundestaat umfassen soll.

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Neue Politik für ein neues Amerika

Trotzdem darf die Stärke und Entschlossenheit           Wahlen verloren hatte. Vier Jahre später, als sie
der radikalen Reformgegner auf keinen Fall un-          einigermaßen stabil war, erhielt ihr Kandidat 43
terschätzt werden. Die beiden Großparteien              Prozent der Stimmen. Zum Glück für die Repu-
sitzen seit immerhin 160 Jahren auf ihrem Duo-          blikaner waren die Demokraten in den späten
pol, wobei sie immer dann in Bewegung gera-             1960er Jahren noch stärker gespalten als sie.
ten, wenn es darum geht, eine unabhängige               Im Frühjahr 1968 zog der demokratische Prä-
und alternative Partei zu erdrosseln. Es waren          sident Lyndon Johnson seine Bewerbung für
die Populist Party, die Progressive Party und           die Wiederwahl zurück. Die Partei zerfiel in
die Socialist Party, die manchmal die Definiti-         mehrere sich bekriegende Lager. Während sich
onsmacht der großen Parteien in Frage stellen           das Establishment hinter Vizepräsident Hubert
konnten. Trotz der erheblichen Unterschiede             Humphrey stellte, kehrten viele Liberale und
zwischen Demokraten und Republikanern tun               Progressive den Wahlen den Rücken. Gleichzei-
sich beide dann oft zusammen, um die Wahl-              tig unterstützten rassistische Südstaatler wie
bezirksgrenzen zu ziehen, die Wahlregeln fest-          auch Reaktionäre im Norden den unabhängi-
zulegen und Opposition auszuschalten. Und               gen Abtrünnigen George Wallace, Gouverneur
wahrscheinlich werden sie es wieder tun.                von Alabama. Am Ende reichten Richard Nixon
                                                        43 Prozent, um Präsident zu werden. Vom Wei-
Genau deshalb wird innerhalb der beiden Par-            ßen Haus aus baute der politische Meisterstra-
teien der Reformdruck zunehmen. Am Lautes-              tege eine neue Republikanische Partei auf. Sie
ten wird es vermutlich bei den Republikanern            bot dann nicht nur den Nixon-Wähler von 1968
zugehen. Denn die alte Führungsriege ist in             ein Zuhause, sondern auch sehr vielen Wallace-
die kleinere #NeverTrump-Fraktion und eine              Wählern.
größere Gruppierung um Repräsentanten-
haussprecher Paul Ryan, Senatsfraktionschef             So viel Glück wird den Republikanern dieses
Mitch McConnell und die Mehrzahl der repu-              Mal jedoch nicht beschieden sein. Denn ein
blikanischen Gouverneure gespalten. Erstere             Wachstum noch weiter nach rechts ist nicht
verweigern Trump die Unterstützung. Letzte-             mehr möglich. Seit Trumps Kandidatur hat die
re glauben, sie könnten Trump im Wahlkampf              GOP endgültig den Ruf einer rassistischen,
unterstützen und würden dann ihre Partei                fremdenfeindlichen und sexistischen Partei
zurückbekommen. Aber dazu wird nicht kom-               weg, was ihr einen Einbruch in Wählersegmen-
men. Trumps Hauptwahlkampf war zwar chao-               te wie die schnell wachsende Latino-Commu-
tisch und oft kontraproduktiv, aber er zog viele        nity und junge Wähler, unabhängig von Haut-
Grassroots-Republikaner sowie Trump-Fans                farbe und ethnischem Hintergrund, extrem
unter das Dach der Partei. Das werden sie so            erschwert. Außerdem ist ein Nixon nicht in
schnell nicht wieder verlassen. Aller Wahr-             Sicht – ein landesweit bekannter Parteiinsider
scheinlichkeit nach stehen deshalb viele Jahre          mit großer Politikerfahrung, der gute Bezie-
bitterer Grabenkämpfe um die Kontrolle des              hungen zu den verschiedenen Parteiströmun-
Parteiapparats an, sowohl auf einzelstaatlicher         gen hätte. Falls sich einer wie Repräsentanten-
wie landesweiter Ebene und erneut während               haussprecher Paul Ryan oder John Kasich, der
der parteiinternen Vorwahlen.                           Gouverneur von Ohio, um den Wiederaufbau
                                                        der Partei bemühen sollte, wird Trump sofort
Ein vergleichbar großes Durcheinander herrsch-          dazwischengehen. Denn er wird nicht ver-
te in der Partei, als Barry Goldwater 1964 die          schwinden wie Goldwater, der sich nach seiner

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Wahlniederlage weitgehend aus dem nationa-             Hauptantriebskraft waren vielmehr die The-
len Rampenlicht heraushielt. Außerdem wird             men, die Sanders aufwarf. Statt altbekannte
sich der Milliardär den Medien immer wieder            Standardfloskeln aufzusagen, hielt er im Vor-
anbieten. Und die sind immer auf der Suche             wahlkampf oft sachbezogene Reden, die über
nach den meisten Klicks und höchsten Ratings           eine Stunde dauern konnten. Er sprach über
zum niedrigstmöglichen Preis.                          die Notwendigkeit einer allgemeinen Kran-
                                                       kenversicherung, gebührenfreies Studium,
Die Demokraten werden es etwas leichter                Großinvestitionen in die Infrastruktur, Ar-
haben, wobei die Betonung auf „etwas“ liegt.           beitsbeschaffungsprogramme für Jugendliche
Einerseits war bei ihnen die Kluft zwischen            und den 15-Dollar-Mindestlohn. Er zerpflückte
Clinton- und Sanders-Lager nie so tief wie die         Austeritätsprogramme und machte sich stark
zwischen Trump und #NeverTrump bei den                 für eine soziale Demokratie. Zudem holte er
Republikanern. Andererseits war die Verbitte-          aus gegen die Unterwürfigkeit der Großpar-
rung im Sanders-Lager groß, als die Voreinge-          teien unter Wall Street, ihre Wahlkampfspen-
nommenheit und aktive Parteinahme des DNC              der und die Unternehmenslobbyisten. Mehr
zugunsten von Clinton im Vorwahlkampf auf-             als 13 Millionen Wähler stimmten für Sanders
gedeckt wurde. Die Verbitterung ist auch heute         und für die von ihm vorgeschlagene „politische
noch vorhanden, obwohl sich Sanders hinter             Revolution“. Weitere Millionen hätten für ihn
Clinton gestellt hat.                                  gestimmt, wenn die Partei die Hürden, die die
                                                       Teilnahme an den Vorwahlen und Caucus-Ver-
Die Sanders-Unterstützer haben sich an meh-            sammlungen erschweren, abgebaut hätte.
reren Schlüsselstellen zusammengetan mit
dem Ziel, den Parteiapparat zu übernehmen. In          Sanders und seine Anhänger wollen weiterhin
einer Reihe von Einzelstaaten wurde ihr Vorha-         für den Abbau dieser Hürden kämpfen. Ein Er-
ben bereits von Erfolg gekrönt. Sie werden sich        folg oder Misserfolg hätte in dieser Hinsicht viel
auch an vorderster Stelle in die bevorstehende         größere Auswirkungen auf die Demokratische
Überprüfung des Nominierungsprozesses ein-             Partei als alles, was Clinton und ihre Verbün-
mischen. Möglich ist dabei durchaus der Ein-           deten unternehmen. Denn das Sanders-Lager
flussverlust von prominenten alten Parteimit-          kann seine Kraft gerade in einer Zeit, in der sich
gliedern, den sogenannten Super-Delegierten.           die vom Senator aufgeworfenen wirtschaft-
Trotzdem wird sich die Spannung zwischen den           lichen und sozialen Probleme verschärfen,
zentristischen, unternehmerfreundlichen De-            wirklich entfalten und verfügt über ein gro-
mokraten, aus deren Reihen seit Jahrzehnten            ßes Erneuerungs- und Entwicklungspotenzial.
die Parteiführung und die Präsidentschafts-            Kluge Parteiobere wie die Interimsvorsitzende
kandidaten hervorgehen, und den jüngeren,              Donna Brazile haben schnell erkannt, dass das
linken und eher aus der Arbeitnehmerschicht            Sanders-Lager wieder integriert werden muss.
stammenden Sanders-Unterstützern nicht so              Auch die meisten Progressiven in Clintons
einfach auflösen lassen. Der Senator aus Ver-          Team wissen das. Ja, es wird Zusammenstöße
mont hatte Recht, als er den von ihm erhofften         geben, und sie werden härter werden, wenn
Öffnungsprozess als „chaotisch“ bezeichnete.           beispielsweise die Frage aufgeworfen wird, wie
Allerdings könnte es zwangsläufig dazu kom-            die Partei in Zukunft ihre Wahlkämpfe finan-
men. Denn die Sanders-Rebellion wurde we-              ziert, wie ihr Parteiprogramm entwickelt wer-
niger von seiner Person angefacht, auch wenn           den und wie eine politische Strategie für alle
er nach Umfragen bei Amerikanern jeglicher             50 Einzelstaaten aussehen soll. Die wichtigste
Couleur einer der vertrauenswürdigsten und             Frage wird lauten: Bleibt die Demokratische
momentan auch der beliebteste Politiker ist.           Partei Teil des Status quo oder wird sie zu einer

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       Bewegung, die nicht nur in der Politik, sondern                       wegbricht. Eine beunruhigende Vorstellung
       auch im wirtschaftlichen und sozialen Gefüge                          für manche – aber für andere, die auf der Su-
       für den Wandel sorgt?                                                 che nach einer besseren Politik in Amerika
                                                                             sind, verknüpfen sich damit Hoffnungen. Denn
       Sanders meint es ernst mit dem „revolutionä-                          wenn die beiden Parteien die Art und Weise,
       ren“ Wandel der Demokratischen Partei. Sie                            wie sie in den Spiegel schauen und wie sie sich
       müsse „ihre alte Schwäche loswerden, das                              gesellschaftlich einmischen, einem Wandel un-
       heißt: ihre viel zu große Abhängigkeit von Be-                        terziehen, dann entstehen Spielräume für wei-
       ratern und TV-Eigenwerbung – statt die Men-                           tere Veränderungen in der politischen Land-
       schen zu mobilisieren“, sagt er, und weiter:                          schaft der Vereinigten Staaten.

          Den Menschen geht es nicht gut. Tatsächlich
                                                                             Diese weiter gefassten Veränderungen sind
          schrumpft die Mittelschicht seit 40 Jahren. Men-
          schen haben Hunger, es geht ihnen nicht gut,                       unverzichtbar. Wenn amerikanische Politik
          und sie machen sich sehr große Sorgen um ihre                      auch nur ansatzweise funktionsfähig wer-
          Kinder. Ja, die Menschen machen sich auch um                       den soll, dann muss das archaische politische
          sich selbst Sorgen, aber sie sorgen sich vor allem                 System, das den unpopulären Status quo auf-
          um ihre Kinder und deren Zukunft: Werden ihre                      rechterhält, mit strukturellen Veränderun-
          Kinder jemals ihre Studienschulden zurückzahlen
                                                                             gen auf einen neuen Stand gebracht werden.
          können? Werden sie jemals einen anständig be-
          zahlten Job bekommen?                                              Amerika ist von Bill Mahers Forderung – „Die
                                                                             Verfassung muss generalüberholt werden“ –
       Um diese Nöte aufgreifen zu können, müss-                             weit entfernt. Auch die Verwirklichung einer
       ten sich die beiden Parteien weiterentwickeln.                        parlamentarischen Demokratie nach euro-
       Willens ist keine dazu, und es wird ihnen nicht                       päischem Muster wird noch auf sich warten
       leicht fallen. Denn die Parteifunktionäre der                         lassen. Aber falls und wenn sich die Parteien
       Vergangenheit mit ihren Scheuklappen sind                             ändern, und – wenn sie sich nicht ändern –
       geblieben. Wahrscheinlich werden sie bis auf                          Drittparteien ins Spiel kommen, dann wäre die
       Weiteres am Ruder bleiben. Aber in beiden                             Grundlage geschaffen für eine neue Politik, die
       Parteien sind sie nach den turbulenten Vor-                           das alte und dysfunktionale System hinter sich
       wahlkämpfen von 2016 reichlich geschwächt.                            gelassen hat.

       Wenn ein so chaotischer Wahlkampf wie der                             Die neue Politik für ein wirklich demokrati-
       von 2016 wenig zur Klärung beigetragen hat                            sches Amerika mit ihren Wurzeln in den Rebel-
       und das Chaos weiter anhält, dann wird der                            lionen von 2016 wäre eher erträglich als das,
       Veränderungsdruck auf die Parteien von au-                            in den Worten Mahers, „beschissene System“.
       ßen und von innen zunehmen. Es ist durchaus                           Den Status quo hält wirklich niemand mehr für
       denkbar, dass ihnen letztendlich der Boden                            akzeptabel.

       Veröffentlicht von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro New York, Oktober 2016
       Herausgeber: Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg
       Adresse: 275 Madison Avenue, Suite 2114, New York, NY 10016
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       Gefördert mit Mitteln des Auswärtigen Amts

       Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist eine international tätige, progressive Non-Profit-Organisation für politische Bildung. In Zusammenar-
       beit mit vielen Organisationen rund um den Globus arbeitet sie für demokratische und soziale Partizipation, die Ermächtigung von
       benachteiligten Gruppen, Alternativenzur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und für friedliche Konfliktlösungen. Das New
       Yorker Büro erfüllt zwei Hauptaufgaben: sich mit Themen der Vereinten Nationen zu befassen und mit nordamerikanischen Linken in
       Hochschulen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der Politik zusammenzuarbeiten.

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