Der Siegeszug des "Persischen Vogels" - Rezept - Artbutler

Die Seite wird erstellt Philine Walz
 
WEITER LESEN
Der Siegeszug des "Persischen Vogels" - Rezept - Artbutler
Cahn’s Quarterly 1/2020

 Rezept

Der Siegeszug des «Persischen Vogels»
Von Yvonne Yiu

                                                                                                                  Das griechische Wort für Hahn, alektryon,
                                                                                                                  bedeutet «Aufwecker», und Peisetairos malt
                                                                                                                  ein lebhaftes Bild der plötzlichen Betrieb-
                                                                                                                  samkeit, die sich entfaltet, «sooft er nur sein
                                                                                                                  Lied kräht am Morgen: Alle Leute springen
                                                                                                                  auf, die Schmiede und Töpfer und Gerber, die
                                                                                                                  Schuster, die Bader, die Mehlverkäufer und
                                                                                                                  Lyradrechselschildproduzenten; und die zie-
                                                                                                                  hen sich an die Sandalen und machen sich an
                                                                                                                  die Arbeit noch bevor es tagt.» (Arist., Vögel
                                                                                                                  488-92). Des Weiteren erfüllten Hähne eine
                                                                                                                  Reihe von symbolischen oder rituellen Funk-
                                                                                                                  tionen, sei es als Opfertier, Liebesgeschenk des
                                                                                                                  älteren Liebhabers an den geliebten Jüngling
                                                                                                                  oder im Hahnenkampf. Doch seinen eigent-
                                                                                                                  lichen Siegeszug, der den «Persischen Vogel»
                                                                                                                  zum häufigsten Vogel der Welt werden liess
                                                                                                                  – die aktuelle Population wird von der FAO
                                                                                                                  auf ca. 23 Milliarden geschätzt – trat dieser
                                                                                                                  paradoxerweise erst an, als er sich einen Platz
Pizentinisches Brot und Sala Cattabia Apiciana auf einem TELLER. Ton. Dm. 26 cm. Römisch, 3.-5. Jh. n. Chr.
CHF 3'200. REIBE. Bronze. L. 14 cm. Etruskisch, 5.-3. Jh. v. Chr. CHF 1'800. MESSER. Bronze, Eisen. L. 14,7 cm.   auf dem Speisezettel eroberte.
Römisch, 1.-3. Jh. n. Chr. CHF 1'800. LÖFFEL. Silber. L. 9,5 cm. Römisch, 2.-4. Jh. n. Chr. CHF 2'800.
                                                                                                                  Ab wann Hühnereier und -fleisch zu einem
«Furchtbar waren damals bei den Athenern                 domesticus). Es stammt von den in Südost-                wesentlichen Ernährungsfaktor im Mittel-
die Verhältnisse. Denn die Flotte war ver-               asien heimischen Wildhühnern (Gallus gal-                meerraum wurden, ist schwer festzustellen.
loren gegangen bei Sizilien, Lamachos war                lus) ab und breitete sich von dort allmählich            Andrew Dalby geht davon aus, dass im Ver-
nicht mehr, Nikias tot, die Lakedämonier be-             aus. Erste Nachweise der Domestikation aus               lauf der Klassik Haushühner die weniger pro-
lagerten Attika.» Deshalb, so der Scholiast,             der bronzezeitlichen Indus-Kultur werden                 duktive Gans, die bereits im prähistorischen
beschliessen Peisetairos und Euelpides in der            zwischen 2500–2100 v. Chr. datiert. Spätes-              Griechenland gehalten wurde, als Eierpro-
Komödie Die Vögel, mit der Aristophanes 414              tens im 8. Jh. v. Chr. hatte sich das Haus-              duzent weitgehend verdrängten (Food in the
v. Chr. den zweiten Preis an den städtischen             huhn im Zweistromland etabliert, und erste               Ancient World, 2003, 83). Möglicherweise
Dionysien gewann, Athen zu verlassen und                 bildliche Darstellungen aus Lakonien, Rho-               spielten die Griechen auch eine Vorreiterrolle
mit den Vögeln eine Stadt in der Luft zu                 dos und Korinth belegen, dass es bereits um              hinsichtlich des Konsums von Hühnerfleisch.
gründen: Nephelokokkygia (Wolkenkucku-                   600 v. Chr., also noch vor der politischen Ex-           Die Forschungsgruppe um Lee Perry-Gal be-
cksheim). Dank ihrer strategischen Lage                  pansion des Achämenidenreiches, bis Grie-                obachtete in der Levante einen markanten
könne diese Stadt, wie Peisetairos darlegt,              chenland vorgedrungen war. Trotzdem ist es               Anstieg von Hühnerüberresten in archäologi-
die Götter von den Menschen trennen und                  gut möglich, dass die zunehmende Ausdeh-                 schen Schichten aus hellenistischer Zeit und
dem Opferrauch den Durchgang versperren.                 nung des persischen Einflussgebiets ab dem               schlug vor, dass mit der Entstehung der hel-
Dadurch würden die Vögel ihre ursprüng-                  6. Jh. v. Chr. zur Ausbreitung dieser Vogelart           lenistischen Koine, in der die griechische Kul-
liche Herrschaft zurückgewinnen, denn es                 beitrug. Im Zoroastrismus, der von Dareios I.            tur und Sprache zu prägenden Faktoren wur-
waren «nicht etwa die Götter, [die] über die             und seinen Nachfolgern gefördert wurde, galt             den, ältere Tabus, die das Essen von Hühnern
Menschen herrschten vor alters und Könige                der Hahn als heiliges Tier, das mit seinem               verboten, aufgegeben wurden. Infolgedessen
waren, sondern die Vögel.» Als Beweis führt              Krähen die Dämonen der Nacht vertreibt und               habe sich das Haushuhn zu einer wichtigen
er als Erstes das Beispiel des Hahns an: Die-            die Gläubigen zum Gebet ermahnt. Da der                  Nahrungsquelle entwickelt. (Earliest Econo-
ser war «Tyrann und beherrschte die Perser,              Hahnenschrei einen wichtigen Bestandteil ih-             mic Exploitation of Chicken, PNAS 2015, doi.
so dass er seit jener Herrschaft noch immer              res täglichen Rituals bildete, stellten die Zo-          org/10.1073/pnas.1504236112).
der ‹Persische Vogel› genannt wird. Deswe-               roastrier sicher, dass es stets Haushühner in
gen stolziert er wie der Grosse König einher             ihrer Nähe gab und erachteten das Schenken               Es gibt Indizien dafür, dass bereits seit dem
und trägt auf dem Kopfe aufrecht die Tiara.»             von Hähnen als besonders verdienstvolle Tat.             4. Jh. v. Chr. in Ägypten Haushühner im
(483-7).                                                 (F. Zeuner, A History of Domesticated Ani-               grossen Massstab gezüchtet wurden. In seiner
                                                         mals, 1963, 443-50; I. Mason, Evolution of               Historia animalium (6.2) beobachtete Aristo-
In der von Aristophanes verwendeten Be-                  Domesticated Animals, 1984, 298-302; F. Si-              teles: «Die Eier entwickeln sich, indem die
zeichnung «Persischer Vogel», die in ähnli-              moons, Eat not this Flesh, 1994, 154; Cock, in:          Vögel darauf brüten, jedoch auch von selbst
cher Form auch beim etwas älteren Dichter                Encyclopaedia Iranica Bd. 5, Fasc. 8, 878-882).          in der Erde, wie in Ägypten, wo man sie in
Kratinos vorkommt («Perser-Hahn», Athe-                                                                           den Mist vergräbt.» Diodorus Siculus führte
naios, Deipnosophistae 374d), spiegelt sich              Auch in Griechenland wurde der Hahn wegen                in seiner Beschreibung Ägyptens weiter aus:
die östliche Herkunft des Haushuhns (Gallus              seines morgendlichen Weckrufes geschätzt.                «Was aber am meisten zu bewundern ist:

10                                                                                                                                                              CQ
Der Siegeszug des "Persischen Vogels" - Rezept - Artbutler
Cahn’s Quarterly 1/2020

Mit ihrem ausserordentlichen Fleiss haben           Mehr als bei anderen Zweigen der Landwirt-       Ziegenbries vorkochen und kleinschnei-
es Hühnerwärter und Gänsehirten in ihrem            schaft betont Columella bei der Hühnerhal-       den. 25 g Pinienkerne rösten. Diese Zutaten
Können so weit gebracht, dass sie neben der         tung die Ausrichtung auf eine kaufkräftige       wie auch 2 EL kleingeschnittene trockene
üblichen Art des Schlüpfens dieser Lebewesen        Klientel: «Alle die dafür nötigen Kosten und     Zwiebel über das Brot verteilen und die Sa-
noch eine andere haben und damit eine un-           Mühen auf sich zu nehmen lohnt sich nur an       latsauce darübergiessen. Unmittelbar vor
geheure Menge solcher Tiere hervorbringen.          Orten im Umkreis der Stadt, oder wo sonst        dem Servieren mit Schnee bestreuen.
Sie lassen diese nämlich nicht selbst auf den       derartige Erzeugnisse einen guten Preis er-
Eiern sitzen, sondern wenden hierzu selbst          zielen.» Und bei der Hühnermast gilt es, «nur    Pizentinisches Brot
eine eigene, ganz merkwürdige Brutmetho-            die grössten Tiere für den anspruchsvollen       (Nach Plinius, Naturalis historia 18.27)
de an und übertreffen so mit Verstand und           Tafelbedarf (lautioribus epulis) auszuwählen;
Raffinesse noch die Kräfte der Natur.» (Bib-        denn nur dann werden die aufgewendeten
liotheca historica 1.74.1). Womöglich glichen       Mühen und Kosten durch einen angemes-
diese Brutanlagen denjenigen, die René-An-          senen Verkaufspreis belohnt.» (RR 8.4, 8.7).
toine Ferchault de Réaumur in seinem 1750           Vergleicht man die Preise, die im allerdings
veröffentlichten Traktat The Art of Hatching        wesentlich späteren Diokletianischen Preis-
and Bringing Up Domestick Fowls beschrieb           edikt (301 n. Chr.) aufgeführt sind, so fällt
und als bedeutendere Kulturleistung als den         auf, dass Hühnerfleisch und Eier tatsächlich
Bau der Pyramiden pries: In langegestreck-          recht teure Produkte waren. Ein Huhn durfte
ten Gebäuden wurden Brutkammern mit ei-             maximal 60 Denare kosten, war also billiger
nem Fassungsvermögen von rund 4-5’000               als eine Gans (ungemästet 100 Denare, ge-
Eiern aneinandergereiht und über ihnen, in          mästet 200 Denare), aber wesentlich teurer
einer zweiten Reihe von Kammern, Dung ver-          als Schweine- oder Rindfleisch (12 bzw. 8
brannt, um die benötigte Inkubationstempe-          Denare für 1 libra/326 g). Ein Ei wurde mit
ratur zu gewährleisten. Solche Brutanlagen,         einem Denar beziffert, was dem Preis von         «Picinum», berichtet Plinius, «bewahrt durch
die noch heute in Ägypten betrieben werden,         1 libra Desserttrauben entsprach. Im Ver-        die Erfindung eines Brotes, das aus alica
haben den Vorteil, dass die Küken ausgebrü-         gleich dazu verdiente ein ungelernter Arbei-     (Dinkelgriess oder -graupen) bereitet wird,
tet werden können, ohne dass die Legeleis-          ter ca. 25 Denare und ein Facharbeiter, zu-      eine Spezialität. Man weicht das alica neun
tung der Hennen zurückgeht. (O. Thieme et           sätzlich zu Kost und Logie, 50-75 Denare pro     Tage lang ein, knetet es am zehnten Tag mit
al., The Oldest Hatcheries are Still in Use, in:    Tag. Die diversen Gerichte mit Hühnerfleisch     Rosinensaft zu länglichen Broten und rös-
Aviculture-Europe, Juni 2012).                      in der Rezeptsammlung De re coquinaria, die      tet diese im Ofen in Töpfen, die dabei zer-
                                                    dem Feinschmecker Apicius zugeschrieben          springen müssen. Man kann dieses Brot nur
Die Hühnerhaltung im Römischen Reich wie            wird, waren wohl eher für die Tafel des Advo-    eingeweicht essen, was meistens mit Milch
sie von Columella im 1. Jh. n. Chr. beschrie-       katen, der für die Eröffnung eines Falles 250    oder mulsum (mit Honig gesüsstem Wein)
ben wurde, hatte überschaulichere Dimensio-         Denare und für seine Durchführung weitere        gemacht wird.» Für den Sauerteig-Ansatz
nen: «Das rechte Mass der Anschaffung liegt         1000 Denare verrechnen durfte, vorgesehen.       200 g Dinkelgriess und 200 g Wasser mit
bei 200 Stück, die die Aufmerksamkeit nur                                                            den Fingern vermengen, um es mit Lactob-
eines Wärters in Anspruch nehmen, voraus-            Aliter sala cattabia Apiciana                   acillus sanfranciscensis zu beimpfen. Wäh-
gesetzt, man nimmt noch eine fleissige alte          (De re coquinaria 4.1.2)                        rend neun Tagen an einem warmen Ort (28-
Frau oder einen Knaben zur Bewachung der                                                             35 °C) fermentieren lassen und gelegentlich
abseits streunenden Hühner hinzu.» Auf je                                                            umrühren. Für den Hauptteig am zehnten
fünf Hennen kam ein Hahn dazu. Die Hüh-                                                              Tag den Ansatz mit 300 g Dinkelmehl, 100 g
nerställe wurden nach Südosten ausgerichtet,                                                         Rosinensaft (ersatzweise Traubensaft) und 1
mit Sitzstangen und Nistkästen versehen und                                                          TL Salz zu einem Teig verkneten. Längliche
gegen natürliche Feinde gesichert. Bemerkens-                                                        Teiglinge formen und mehrere Stunden
wert sind Columellas Bemühungen um eine                                                              gehen lassen, bis sie das Volumen verdop-
artgerechte Haltung. Er weist beispielsweise                                                         pelt haben. 20 Minuten bei 250 °C und an-
darauf hin, dass an einem trockenen Ort Staub                                                        schliessend im ausgeschalteten Ofen wei-
oder Asche bereitgestellt werden sollten, da-                                                        tere 10 Minuten backen.
mit die Hühner darin baden können, und dass
man sie tagsüber frei herumlaufen lassen soll.
Selbst «das eingeschlossene Huhn [soll] einen
geräumigen Vorhof haben, in dem es sich er-
gehen und sonnen kann». Diese Sorge um das           Für die Salatsauce 1 TL Selleriesamen, je
Tierwohl steht jedoch in scharfem Kontrast zur       1 EL trockene Poleiminze, trockene Minze
mitleidlosen Anleitung, wie man Hähne «mit           und geriebenen Ingwer, eine Handvoll fri-
einem glühenden Eisen» kastriert oder Hühner         schen Koriander, 50 g Rosinen und 1 TL Ho-
zum Mästen «an einem besonders warmen und            nig mit je 3 EL Essig, Öl und Wein in einem
wenig belichteten Platz in einen ganz engen          Mörser zerstampfen. Pizentinisches Brot in
Kasten oder Flechtkorb einzwängt» und mit            posca (Wasser mit einem Schuss Essig) ein-
Gerstenmehlklösschen stopft. (De re rustica          weichen, leicht auspressen und eine weite
8.2-7). Diese «Sklaverei der Fettheit», wie Var-     Schüssel damit auslegen. 300 g gebratene
ro das Mästen nennt (De re rustica 3.9), hatte       Hähnchenbrust, 150 g vestinischen Käse
eine lange Tradition bei den Römern, wurde           (geräucherter Ziegenkäse) und 1-2 Gur-
sie doch bereits bei Cato dem Älteren in der         ken in dünne Scheiben schneiden. Wer es
Mitte des 2. Jhs. v. Chr. auf sehr ähnliche Weise    ganz authentisch mag, kann zudem 100 g         STATUETTE EINES HAHNS. H. 8,3 cm. Ton. Griechisch,
beschrieben (De agri cultura 89).                                                                   frühes 5. Jh. v. Chr.                   CHF 900

CQ                                                                                                                                                  11
Der Siegeszug des "Persischen Vogels" - Rezept - Artbutler
Cahn’s Quarterly 4/2019

 Rezept

Die Kunst des mageiros
Von Yvonne Yiu

                                                                                                                    ripides in seinem Satyrspiel Kyklops (411/408
                                                                                                                    v. Chr.). In Anlehnung an Homers Odyssee
                                                                                                                    handelt das Stück von der Begegnung des
                                                                                                                    Odysseus mit Polyphem. Der einäugige Riese
                                                                                                                    beschuldigt den Helden und seine Gefährten
                                                                                                                    des Diebstahls und treibt sie in seine Höhle,
                                                                                                                    um sie zu opfern, und zwar «keinem Gott als
                                                                                                                    mir allein und meinem Bauch da, aller Götter
                                                                                                                    grössestem». Fachgerecht verwendet der «Höl-
                                                                                                                    lenkoch» (Aidou mageiros) die für den Voll-
                                                                                                                    zug eines Opfers notwendigen Gerätschaften:
                                                                                                                    das Schlachtbecken (sphageion), in dem das
                                                                                                                    Blut aufgefangen, die Doppelaxt (pelekys),
                                                                                                                    mit der das Opfer getötet, und das Opfermes-
                                                                                                                    ser (machaira), mit dem das Fleisch zerteilt
                                                                                                                    wird. Seine Sachkenntnis erstreckt sich auch
                                                                                                                    auf die Zubereitung: Mit der Vorfreude eines
                                                                                                                    Gourmets brät er die zarten Stücke am Feu-
                                                                                                                    er, «ein Festschmaus heiss von den Kohlen»,
                                                                                                                    während er die zähen Glieder in den Kessel
Linsen, pochierter Fisch und Maulbeersosse. SCHALE. Dm. 25,5 cm. Ton. Westgriechisch, 4. Jh. v. Chr. CHF 1'700.
                                                                                                                    wirft, um sie «schmelzend zart [zu] kochen».
TELLER. Dm. 12,5 cm. Ton. Attisch, 400-375 v. Chr. CHF 600. FLASCHE. H. 21,5 cm. Glas. Römisch, 1.-2. Jh. n. Chr.
CHF 2'900. KLEINE SCHALE. H. 4,3 cm. Glas. Römisch, 1.-3. Jh. n. Chr. CHF 2'600.                                    (Euripides, Kyklops 243-6, 335, 394-404).

«Noch keiner kam, wenn er mal einen Koch                  Professionalisierung ein, möglicherweise zu-             In Kratinos’ Odysseis (vor 423 v. Chr.), einer
(mageiros) beleidigt hat, straflos davon; denn            nächst, indem in stark frequentierten Heilig-            fragmentarisch erhaltenen Parodie desselben
unsre Kunst ist irgendwie dem Heiligen ver-               tümern Einheimische den Opfernden zur Hand               Stoffes, werden nicht allein die Kochtechniken
wandt. Mit einem Tischbediensteten (trapezo-              gingen. So heisst es beispielsweise von den               des Zyklopen, sondern auch die Würzsossen,
poios) kannst du machen, was du willst», sagt             Bewohnern Delos’, «dass sie für diejenigen,               in die er das Fleisch tunkt, aufgeführt: «Dafür
der Koch Sikon mit einer gewissen Genugtu-                die zu den heiligen Handlungen erschienen,                ergreife ich euch allesamt, euch getreue Ge-
ung, als er erfährt, dass der rüpelhafte Kne-             die Dienste der mageiroi und Tischbedienste-              fährten, röste euch, koche und grille euch, bra-
mon in einen Brunnen gefallen ist, nachdem                ten übernahmen.» (Athenaios, Deipnosophistai              te euch kräftig, tauche euch in Meer-/Salzwas-
er sich geweigert hat, ihm einen Topf auszu-              172f). In klassischer Zeit schliesslich, hatte das        ser (alme), und Essigsalzwasser (oxalme) und
leihen. (Menander, Dyskolos 644-7).                       Berufsbild des mageiros feste Konturen ange-              warmes Knoblauchsalzwasser (skorodalme).
                                                          nommen. Es war so selbstverständlich, worin               Und wer mir von allen am schmackhaftesten
Die Verbindung zum Sakralen, mit der sich die             seine Tätigkeit bestand, dass sie sich sogar für          erscheint, den verspeise ich!» (Ath. 385c-d/Ed-
Köche der Mittleren und Neueren Attischen                 sophistische Trickfragen eignete. Sokrates be-            monds, Cratinus Fr. 143).
Komödie gerne brüsten, führt zum Ursprung                 richtet von einem Streitgespräch mit Euthy-
                                                                                                                     Polyphems Würzsossen
des Berufes des mageiros zurück, der ab dem               demos: «Weisst du also, sprach er, was jedem
                                                                                                                     (Ath. 385c-d/Edmonds, Cratinus Fr. 143)
5. Jh. v. Chr. in Schriftquellen fassbar wird.            Künstler zukommt? Wem kommt schlachten
In der griechischen Antike war das Schlach-               und abledern, und das kleine Fleisch zerle-
ten eines Tiers stets mit einer Opferhandlung             gen, kochen und braten zu? – Dem mageiros,
verbunden, bei der bestimmte Stücke den Göt-              sprach ich. – Wenn man nun einem tut, was
tern verbrannt wurden; anschliessend wurde                ihm zukommt, so tut man doch Recht? – Ge-
das restliche Fleisch zubereitet und verzehrt.            wiss. – Und dem mageiros, sagst du, kommt
In homerischer und archaischer Zeit übernah-              schlachten und abledern zu? Hast du das zu-
men die Männer eines Haushaltes (oikos) die-              gegeben oder nicht? – Freilich habe ich es zu-
se Verrichtungen und bei staatlichen Opfern               gegeben, aber sieh es mir nur nach. – Offenbar
fiel diese Aufgabe dem Priesteradel zu. In der            also, fuhr er fort, wenn jemand den mageiros
                                                                                                                     Alme: Meerwasser filtrieren und abko-
Ilias und Odyssee wird beschrieben, wie Herol-            schlachtet, zerlegt, kocht und bratet: so tut er
                                                                                                                     chen. Alternativ 4 g Meersalz in 100 ml
de (kerykes) die Opfertiere heranführen, op-              ihm was ihm zukommt. – O Poseidon! rief ich
                                                                                                                     Wasser auflösen. Oxalme: Essig und alme
fern und das Mahl zubereiten, während Aus-                aus, jetzt hast du deiner Weisheit die Krone
                                                                                                                     im Verhältnis 1:1 mischen. Diese Sosse
teiler (daitroi) das Fleisch an die Anwesenden            aufgesetzt!» (Platon, Euthydemos 301c-d).
                                                                                                                     wurde nicht nur für Fleisch, sondern auch
verteilen (Il. 3.116-8, 18.558-9, Od. 17.331-5).
                                                                                                                     für Fisch verwendet: «Als nun auch ein
Es wird angenommen, dass diese Funktionen                 Ein abgründiges Bild des mageiros, der die
                                                                                                                     grosser Fisch in oxalme aufgetragen wur-
nur gelegentlich und anlassbedingt ausgeübt               im platonischen Dialog beschriebenen Auf-
                                                                                                                     de, bemerkte [einer der Gäste], dass jedes
wurden, es sich also nicht um eine berufsmäs-             gaben – das Schlachten, Zerlegen, Braten und
                                                                                                                     Fischgericht, das mit einer oxalme an-
sige Tätigkeit handelte. Allmählich setzte eine           Kochen – kunstvoll beherrscht, zeichnet Eu-

CQ                                                                                                                                                                 11
Der Siegeszug des "Persischen Vogels" - Rezept - Artbutler
Cahn’s Quarterly 4/2019

 gerichtet wird, höchst schmackhaft sei.»           nur Sardellen bringst? – Das sind für mich ja      manche hatten nichts.» (Ath. 288d-f/Edmonds,
 (Ath. 385b). Skorodalme: 4 Knoblauch-              Nebensachen. Wenn ich aber mal die Küche           Philemon Fr. 79). In den Eingeschlossenen
 zehen pressen und mit 2 EL Meerwasser              selbst nach meinem Gusto führe, wirst Du           Frauen des Sotades glänzt hingegen der ma-
 vermischen. Diese Sosse mag eine Ur-               sehen, Syros, dass wie einst bei den Sirenen       geiros durch üppige Vielfalt. In einem epischen
 form der skorodalia, einer im modernen             keine menschliche Nase bei einem solchen           Monolog erläutert er, wie er 14 verschiedene
 Griechenland beliebten Knoblauchsosse,             Duft durch diesen Engpass durchzugehen             Sorten Fische und Krustentiere zubereitete:
 sein. Skorodalia: 4 Scheiben Weissbrot             imstande sein wird. Jeder, der vorübergeht,        «Zuerst nahm ich mir Krabben; diese alle briet
 in Wasser einlegen und zusammen mit 4              wird gleich an meiner Küchentür, mit offnem        ich auf dem Rost. Ein grosser Hai ward her-
 Knoblauchzehen, 4 EL Olivenöl, 2 EL Es-            Munde festgenagelt stehenbleiben, sprachlos        genommen und von dem briet ich das Mittel-
 sig und ½ TL Salz pürieren.                        bis ein Freund, der sich die Nase zugestopft,      stück, das Restliche jedoch das koche ich nach-
                                                    herbeieilt und ihn weiterzieht.» (Ath. 290b/       dem die Maulbeersosse zubereitet ist. Dann
Obwohl der Zyklop sowohl bei Kratinos als           Edmonds, Hegesippus Fr. 1).                        bringe ich zwei riesige Köpfe vom Graufisch,
auch bei Euripides sich wie ein geschickter                                                            lege sie in eine grosse Pfanne, füge ein paar fri-
mageiros gebärdet, ist er dies selbstredend          Linsenbrei (phake)                                sche Kräuter zu, dann Kümmel, Salz und Was-
nur im übertragenen Sinn. Auch sonst tritt           (nach Ath. 290d/Edmonds, Hegesippus Fr. 1)        ser wie auch Öl. […] Der Kalamar ist gekocht
in der Alten Komödie ein richtiger mageiros                                                            mit einer Hackfleischfüllung eine Köstlichkeit,
nie in Erscheinung. Nur gelegentlich wird                                                              wie Flossen eines Tintenfisches, wenn sie zart
von bestimmten Figuren gesagt, sie würden                                                              gebraten sind […]». Nach dieser kulinarischen
in der Art eines mageiros handeln. So fragt                                                            «Aristie» stellt er zufrieden fest: «Was bleibt
beispielsweise der Chor, der Dikaiopolis bei                                                           noch übrig? Nichts! Das ist die ganze Kunst!»
seinen Vorbereitungen für das Choenfest be-                                                            (Ath. 293a-e/Edmonds, Sotades Fr. 1).
obachtet: «Hörst du, wie er kochkünstlerisch
(mageirikos), feinschmeckerisch und schmau-                                                             Pochierter Fisch mit Maulbeersosse
serisch geschäftig ist?» (Aristophanes, Achar-                                                          (nach Ath. 293b/Edmonds, Sotades Fr. 1)
ner, 1015-7). Erst in der Mittleren und Neuen
Attischen Komödie, bei der das Augenmerk
stärker aufs Alltägliche als aufs Politische ge-
richtet wird, tritt der Berufskoch ins Rampen-       300 g eingeweichte Linsen in 5 dl Brühe
licht. Eingebildet und geschwätzig schwingt er       garkochen. Der Stoiker Chrysippos von
gerne grosse Reden, oftmals zur Verzweiflung         Soloi empfiehlt die Zugabe von Zwiebeln;
des Gastgebers, der entnervt den Wortfluss zu        der Vorsokratiker Zenon von Elea mag sei-
unterbrechen versucht: «Schneid nicht meine          nen Brei mit reichlich Koriandersaat; beim
Ohren, sondern das Fleisch klein!» oder er-          Komödiendichter Antiphanes wird er mit
schlagen aufstöhnt: «Mit all Deinen Pfannen          aufgeschnittener Wurst serviert und die
und kandauloi und Darmhäuten ist das Ver-            jungen Männer Athens mögen ihn mit ei-
gnügen vorbei bevor das Fest beginnt!». (Ath.        nem Schuss Essig. Letztere soll man mei-
386a, 516c/Edmonds, Alexis Fr. 172-3).               den, warnt ein mageiros seinen Lehrling,
                                                     wenn sie «ein Essen gegen Beiträge» ver-
In den Städten boten mageiroi ihre Dienste           anstalten, d. h., wenn jeder «was er so bei        Den Fisch in einem Sud aus 3 dl Was-
auf dem Marktplatz an und wurden von Gast-           sich findet, in den Sammeltopf wirft», um          ser, einem Bund frischen Kräutern, ½ TL
gebern gemietet, die ein Festessen geben oder        das Gelage zu finanzieren. Denn, dann hat          Kümmel, ½ TL Salz und 1 EL Olivenöl
opfern wollten. Der Wettbewerb war gross und         man «Dienst die ganze Nacht. Und wenn              ca. 8 Minuten pochieren. Für die Maul-
so scheuten sie sich nicht, einander schlecht        du deinen Lohn einforderst, sagt er ‹am            beersosse 200 g schwarze Maulbeeren mit
zu machen. «Als ich heute einen mageiros an-         Linsenbrei war kein Essig›. Wieder bittest         1 EL Honig köcheln bis die gewünschte
heuerte», erzählt ein Gastgeber, «hörte ich all      du. ‹Du wirst als erster›, sagt er, ‹gewaltig      Konsistenz erreicht ist.
die Beleidigungen, mit denen sie ihre Konkur-        Prügel kriegen.›» (Ath. 158b, 160d, 292d/
renten überhäuften: der eine hatte keine feine       Edmonds, Diphilus Fr. 43).
Nase für gekochte Gerichte, der andere einen
verdorbenen Gaumen, einer hat seine Zunge           Richtig in Fahrt kommen die mageiroi der
mit ungebührlichen Gelüsten nach Gewürzen           Komödie, wenn es um das Kochen von Fisch
beschmutzt, oder ‹zu viel Salz›, ‹zu viel Essig›,   geht. Der mageiros in Philemons Soldat bei-
‹eine zu grosse Vorliebe für Süsses›, ‹lässt das    spielsweise erzählt verzückt von einer tour de
Fleisch anbrennen›, ‹kann den Rauch nicht           force des Minimalismus: «Mich überkam der
ertragen›, ‹fürchtet das Feuer›. (Ath. 661f/Ed-     Wunsch, hierher zu kommen und der Erde und
monds, Poseidippus Fr. 1). Umgekehrt brüsten        dem Himmel kundzutun, wie ich die Köstlich-
sich die Köche in der Komödie gerne mit ih-         keit bereitete! Wie zart ist doch der Fisch, den
ren kulinarischen Meisterleistungen. Der ma-        ich erstanden und dann vorgesetzt! Nicht erst
geiros in Die Brüder des Hegesippos erzählt         gewürzt mit Käse, nicht mit Kräutern überbak-
beispielsweise: «Wenn ich bei einem Leichen-        ken, sondern wie er war, als er noch lebte, so
schmaus gerade meinen Dienst verseh’, dann          sah er gebraten aus.» Entsprechend verrückt
nehme ich, sobald von der Bestattungsfeier sie      sind die Gäste nach dieser köstlichen Speise:
in ihrer Trauerkleidung heimgekommen sind,          «Als da der erste von den Gästen den Genuss
den Deckel von dem Topf, und so versetze ich,       gewahrt, den das Gericht versprach, da sprang
die eben noch am Weinen waren, gleich in            er auf und lief mit seinem Stück im Kreis um-
Fröhlichkeit, wie wenn sie eine Hochzeit fei-       her und andre stürzten hinterdrein. Man schrie     KOMÖDIENSCHAUSPIELER, VIELLEICHT EIN KOCH.
erten. – Wenn Du nur Linsenbrei, sag’ an, und       laut auf, denn manche nahmen etwas weg, und        H. 8,7 cm. Bronze. Griechisch, 4. Jh. v. Chr. CHF 14'500

12                                                                                                                                                         CQ
Der Siegeszug des "Persischen Vogels" - Rezept - Artbutler
Cahn’s Quarterly 3/2019

 Rezept

Speisen für Krieg und Frieden
Von Yvonne Yiu

                                                                                                                    nicht widerstehen und sendet einen Sklaven
                                                                                                                    zu Dikaiopolis, um einen der Aale zu kaufen.
                                                                                                                    Dieser wird jedoch schroff abgewiesen: «Nein,
                                                                                                                    nein, bei Zeus, und gäb er mir auch seinen
                                                                                                                    Schild. Soll er bei Pökelfleisch den Helmbusch
                                                                                                                    wippen doch.» (966–7).

                                                                                                                    Der Kontrast zwischen der armseligen Krieger-
                                                                                                                    kost und den Tafelfreuden, die der Friede mit
                                                                                                                    sich bringt, gipfelt in einer raschen Zeilenfolge,
                                                                                                                    in der Dikaiopolis und Lamachos ihren Skla-
                                                                                                                    ven Packanweisungen geben, der eine, weil er
                                                                                                                    zu einem Fest eingeladen worden ist, der ande-
                                                                                                                    re, weil er ins Feld ziehen muss. «L: Bring Salz
                                                                                                                    mit Thymian versetzt und Zwiebeln, Bursche.
                                                                                                                    D: Mir aber Fischfilet; denn Zwiebeln mag ich
                                                                                                                    nicht. L: Bring Dörrfisch, ranzig, Bursche, her
                                                                                                                    im Feigenblatt. D: Und du ein Feigenblatt mit
                                                                                                                    Fett mir, ich back’s dann dort. […] L: Bring her
                                                                                                                    zu mir des Schildes gorgorückig Rund. D: Und
Gegrillte Sardinen. SCHALE. Dm. 21,6 cm. Ton. Attisch, 4. Jh. v. Chr. CHF 2’600. Gefüllte Feigenblätter. SCHALE     mir gib her des Kuchens käserückig Rund.»
AUF NIEDEREM FUSS. Dm. 21 cm. Ton. Attisch, 2. Hälfte 5. Jh. v. Chr. CHF 4’500. Polemos' Mörsergericht. TELLER.     (1099–1125). Traditionelle Vorstellungen von
Dm. 12,5 cm. Ton. Attisch, 400-375 v. Chr. CHF 600. BETTLER. H. 4,4 cm. Bronze. Alexandrinisch, 2.-1. Jh. v. Chr.   Mut und Ehre missachtend, steht für den Chor
CHF 1’400. MINIATURKANNE. H. 2,7 cm. Bronze, Blei. Makedonisch, 7. Jh. v. Chr. CHF 100
                                                                                                                    fest, wer den besseren Teil gewählt hat, schon
«Verargt es mir nicht, Männer im Theater hier,            Beleidigung und Verleumdung der Polis ver-                bevor Lamachos verwundet aus dem Kampf
wenn ich vor Athenern reden will von Staats-              klagt. Entsprechend hält Dikaiopolis in Die               und Dikaiopolis trunken vom Gelage zurück-
geschäften, der ich doch Komödie geb. Was                 Acharner (425 v. Chr.) seine beherzte Rede ge-            kehren. Im triumphalen Auszug folgt er Dikai-
nämlich wahr ist, weiss auch die Komödie. Ich             gen den Krieg mit Sparta, die er mit den ein-             opolis und singt: «‹Heissa, Sieg und Ehre dir
werde sagen, was zwar hart ist, aber wahr.»               gangs zitierten Worten eröffnet, mit dem Kopf             und deinem Weinschlauch›!» (1233–4).
(Die Acharner 498–502). Mit diesen Wor-                   auf dem Hackblock. Es gelingt ihm jedoch,
ten hebt Dikaiopolis in den Acharnern einen               die Acharner, die ihn verfolgen, weil er einen            Während es bei den meisten Speisen, die im
wesentlichen Aspekt der Dramen des Aristo-                dreissigjährigen Privatfrieden mit Sparta ab-             Schlagabtausch zwischen Lamachos und Di-
phanes (450/444–ca. 380 v. Chr.), des bedeu-              geschlossen hat, davon zu überzeugen, dass                kaiopolis erwähnt werden, einigermassen klar
tendsten Dichters der attischen Alten Komö-               auch die Athener Mitschuld am Krieg tragen                ist, worum es sich handelt, schien das Fei-
die, hervor. Auf meisterhafte Weise gelingt               und dass dieser durch Kriegsprofiteure zu Un-             genblatt-Gericht (thrion), bereits den Scho-
es Aristophanes in seinen Stücken durch die               gunsten des kleinen Mannes in die Länge ge-               liasten, welche die Dramen des Aristophanes
ausgefallene Handlung, schlagfertige Dialoge,             zogen wird. Der Kriegsbefürworter Lamachos                kommentierten, einer näheren Beschreibung
den reichlichen Einsatz von Anzüglichkeiten               muss sich geschlagen geben; enttäuscht stöhnt             zu bedürfen – so sehr, dass sie sogar Rezepte
und Fäkalhumor sowie Tanz, Gesang und Mu-                 er auf: «Oh, Demokratie, ist das denn zu ertra-           dafür niederschrieben.
sik für Unterhaltung zu sorgen und trotzdem               gen noch?» (509–625).
sehr ernsthafte gesellschaftliche Themen an-                                                                        In Die Ritter (424 v. Chr.) wendet sich Aris-
zusprechen. Die frühen Komödien des Aris-                 Als Erstes, da nun für ihn die Gesetze des Frie-          tophanes mit beissendem Spott gegen Kleon,
tophanes entstanden in den Anfangsjahren                  dens gelten, steckt Dikaiopolis einen Markt,              der in Gestalt des Sklaven Paphlagion seinen
des Peloponnesischen Krieges, der 431 v. Chr.             der auch für die Feinde Athens offen ist, vor             senilen Herrn, Demos (gr. Bürger der Polis),
ausbrach und sich, unterbrochen von einigen               seinem Haus ab: «Dies sind die Grenzen meines             skrupellos hinters Licht führt. Auch in die-
Waffenstillständen, bis 404 v. Chr. hinzog.               Marktes hier. Und hier ist Handel frei für alle           ser Komödie begegnet das thrion und zwar
Als vehementer Gegner des Krieges und des                 Peloponnesier, und frei auch für die Megarer              als Emblem auf dem Siegelring des Demos:
Politikers Kleon (gest. 422 v. Chr.), den er als          und Böotier.» (719–721). Sogleich erscheint ein           «Lass sehen, was war dein Siegel denn? – Ein
korrupten Kriegstreiber betrachtete, nutzte               Megarer und verkauft seine als Schweinchen                Feigenblatt mit Rinderschmalz (demou boei-
Aristophanes seine Komödien, um seine po-                 verkleideten Töchter für ein Bündel Knoblauch             ou thrion), gut ausgegart» (953–4). Hierbei
litischen Ansichten kundzutun. Hierbei kam                und einen Liter Salz, während ein Böotier Ge-             handelt es sich um ein Wortspiel, denn das
dem Motiv des Essens eine wichtige Rolle zu.              flügel und Aale gegen einen attischen Syko-               Wort für Fett (demos) ist gleichlautend mit
                                                          phanten tauscht. Insbesondere die köstlichen              dem Namen des Siegelringbesitzers. Dass
Sich gegen den Krieg zu stellen, war ein ge-              kopaïschen Aale, die seit Kriegsausbruch nicht            dieses Feigenblatt «gut ausgegart» ist, be-
fährliches Unterfangen, und so wurde Aristo-              mehr erhältlich waren, lösen Begeisterung aus.            kommt eine zusätzliche Bedeutung durch
phanes nach der Aufführung der Babylonier                 Einer solchen Verlockung kann selbst der hart-            die überraschende Wendung am Schluss des
(426 v. Chr.; nicht erhalten) von Kleon wegen             gesottene Gegner eines Friedens, Lamachos,                Stückes: Der Gegenspieler Paphlagions, ein

10                                                                                                                                                                 CQ
Der Siegeszug des "Persischen Vogels" - Rezept - Artbutler
Cahn’s Quarterly 3/2019

 Dikaiopolis’ demou thrion                            Sardinen auf Ratsherrenart                        grosse, scharfe Zwiebeln er von Knoblauch da
 (Scholion zu Die Acharner 1101)                      (Nach Die Ritter 677-8)                           hineinwarf für die Megarer. P: (gibt Käse zu)
                                                                                                        Ho ho, Sizilien, auch du musst untergehen!
                                                                                                        T: Welch unglückliche Stadt da ganz zerras-
                                                                                                        pelt wird. P: So da giess ich den attischen
                                                                                                        Honig noch dazu! T: Du da, mein Rat: nimm
                                                                                                        einen andern Honig doch. Der kostet vier Obo-
                                                                                                        len, spar den attischen.» (242–54).

                                                                                                         Polemos’ Mörsergericht
                                                                                                         (Nach Der Frieden 242-54)

 Der Scholiast vermutet, dass Dikaiopolis             Sardinen über glühender Kohle grillen (ca.
 das traditionelle athenische thrion, «aus            5 Minuten pro Seite). Mit reichlich Korian-
 Schweine- und Ziegenschmalz, Mehl, Milch             der und Schnittlauch servieren.
 und Eigelb, in Feigenblätter gewickelt»
 meint, «das Didymos für eine äus-serst              Die Komödie kulminiert in einem Wettbewerb,
 köstliche Speise hält». 50 g Schmalz, 200 g         wer Demos die leckersten Speisen auftragen
 Mehl, 50 ml Milch und 1 Eigelb zusam-               kann. Nachdem ihm von Paphlagion und dem
 menkneten. Die Masse in Feigenblättern              Wursthändler Gerstenkuchen, Erbsensuppe,
 aufrollen und 20 Minuten in Honigwasser             Fisch, Suppenfleisch, Innereien, Wein, Ku-          150 g gedünsteter Lauch, 1-2 Zehen Knob-
 garen. Die Blätter sind essbar und verleihen        chen und ein Hase aufgetischt worden sind,          lauch, 40 g Reibkäse und 1 TL Honig, im
 dem Gericht einen würzigen Duft.                    wird Demos aufgefordert, sich zu entscheiden,       Mörser zu einem Brei zerrieben, ergeben
                                                     «wer von uns der bessre Mann um dich ist und        eine schmackhafte Zukost (opson).
Wursthändler, kocht Demos wieder jung, wo-           um deinen Bauch». Ein Blick in die Körbe der
durch er zu den alten Tugenden zurückkehrt           Kontrahenten schafft Klarheit. Derjenige des       Doch als Polemos das Ganze zerstampfen
und einen dreissigjährigen Frieden schliesst.        Wursthändlers ist leer, «denn alles habe ich dir   will, fehlt ihm die Mörserkeule. Er sendet sei-
                                                     serviert», während derjenige Paphlagions noch      nen Boten zuerst nach Athen und dann nach
Überhaupt durchzieht das Motiv des Essens,           voller guter Sachen ist: «Welch ein Riesenku-      Sparta, doch beide Male kommt dieser, in An-
meistens verbunden mit Assoziationen von             chen nahm er sich beiseit; und mir schnitt er      spielung auf den Tod von Kleon und Brasidas,
Gier und Unrechtmässigkeit, das gesamte              nur so ein winziges Stückchen ab.» Der Verun-      mit der Meldung zurück, dass ihnen die Keule
Stück. So wird Paphlagion von den Rittern,           treuung überführt, wird Paphlagion abgesetzt       «abhanden kam» (259–88). So kehrt Polemos
welche die traditionellen Werte Athens hoch-         und muss nun vor den Stadttoren Würste ver-        unverrichteter Dinge zurück ins Haus und
halten, verprügelt, da «du Gemeingut, eh dir’s       kaufen, Hunde- und Eselshackfleisch vermen-        Trygaios gelingt es, mit Hilfe der Bauern die
zugeteilt, verschlingst» (258). Dass Kleon nach      gend, so wie er früher die Staatsangelegenhei-     Friedensgöttin zu befreien. Es wird ihr geop-
dem Sieg von Sphakteria (425 v. Chr.) Spei-          ten aufgemischt hatte. (1151–1225, 1398–9).        fert und dabei ein Bild des wiederversöhn-
sung im Prytaneion erhielt, wird im Stück hef-                                                          ten Griechenlands beschworen, symbolisiert
tig kritisiert: «Ich zeig den an, weil er erst mit   Die von Aristophanes ersehnte Absetzung            durch einen lebhaften Markt, auf dem – wie
leerem Bauch in das Rathaus läuft und hinter-        Kleons erfolgte zwar nicht; doch fiel der athe-    bei Dikaiopolis – Waren aus bis anhin verfein-
her mit vollem Bauch heraus. – Dabei führt er        nische Heerführer 422 v. Chr. in der Schlacht      deten Gegenden angeboten werden: «Vereine
Verbotenes aus, Brot und Fleisch und Filet, was      von Amphipolis, wie auch der spartanische          uns Hellenen wieder, lass uns erneut mit der
nie gewährt wurd, nicht einmal dem Perikles.»        General Brasidas. Der Tod der beiden Befür-        Freundschaft beginnen. Möge der Markt uns
(280–3). Der moralische Verfall greift auch          worter einer aggressiven Kriegspolitik eb-         mit Gütern gefüllt sein – aus Megara Kno-
auf die anderen Feldherren über: «Und kei-           nete den Weg für den Nikiasfrieden, der nur        blauch, frühe Gurken, Äpfel, Granatäpfel. Lass
nen Feldherrn gab’s damals, der sich Speisung        wenige Tage nach der Aufführung von Der            uns Männer aus Böotien sehen mit Gänsen,
hätt beantragt bei Kleainetos; Jetzt jedoch,         Frieden abgeschlossen wurde (421 v. Chr.). In      Enten, Tauben, Schnepfen und grossen Kör-
wenn man nicht ihnen einen Ehrenplatz und            dieser Komödie versucht der Protagonist Try-       ben voll mit kopaïschen Aalen.» (996–1005).
Speisung gibt, lehnen sie es ab zu kämpfen.»         gaios, ähnlich wie Dikaiopolis in Die Achar-
(573–6). Und so ist es nicht verwunderlich,          ner, auf eigene Faust Frieden zu bewirken.
dass sich die Gunst der Ratsherren leicht über       Auf einem riesigen Mistkäfer fliegt er in den         Impressum
den Magen erkaufen lässt. Der Wursthändler           Himmel, um mit den Göttern zu verhandeln,
                                                                                                           Herausgeber
meldet in einer Ratssitzung: «Seit der Krieg         doch haben diese ihr Haus Polemos (gr. Krieg,         Jean-David Cahn      Gerburg Ludwig
auf uns hereingebrochen ist, hab ich noch nie        Streit) überlassen, der sich gerade anschickt,        Malzgasse 23         Rolf Andreas Stucky
Sardinen billiger gesehen!» Es bricht Tumult         in einem riesigen Mörser einen Brei aus den           CH-4052 Basel        Yvonne Yiu
                                                                                                           www.cahn.ch
aus, die Ratsherren «riefen die Prytanen auf,        griechischen Städten zuzubereiten: «P: (gibt          ISSN 2624-6368       Fotos
sie gehen zu lassen; dann übersprangen sie           Lauch in den Mörser) Ho, Prasiai, du drei- und                             Robert Bayer
die Gatter überall. Doch ich lief vor und kauf-      fünfmal Elende, und vielzehnmal, wie heute            Redaktion            Niklaus Bürgin
                                                                                                           Jean-David Cahn      Ulrike Haase
te alles an, was auf dem Markt an Koriander          du zugrunde gehst! T: Das ist, ihr Männer, kein       Yvonne Yiu
und an Schnittlauch war; das gab ich ihnen           Problem, das uns angeht; denn dieses ist ein                               Gestaltung
als Sardinenwürze, die sie sonst nicht kriegten,     Unheil für Lakonien. P: (gibt Knoblauch zu)           Autoren              Michael Joos
                                                                                                           Jean-David Cahn
umsonst und machte mich beliebt, so dass ich         Ho, Megara, Megara, wie du gleich zerrieben           Martin Flashar       Druck
herkomm mit dem ganzen Rat im Sack für Ko-           wirst, mit Stumpf und Stiel und ganz und gar          Ulrike Haase         Rösch Printservice GmbH
riander zu einem Obolos.» (642–82).                  zu Brei gestampft! T: Potz Wetter auch, wie

CQ                                                                                                                                                        11
Der Siegeszug des "Persischen Vogels" - Rezept - Artbutler
Cahn’s Quarterly 2/2019

 Rezept

Vegetarier in der griechischen Antike
Von Yvonne Yiu

                                                                                                                    dung durch eine religiös-sittliche Lebenswei-
                                                                                                                    se zu sein. Orpheus galt als Entdecker von ka-
                                                                                                                    tharmoi, welche zur Reinigung von unhei-
                                                                                                                    ligen Handlungen dienten, und von teletai,
                                                                                                                    Riten, die eine vollkommenere Beziehung
                                                                                                                    zu den Göttern ermöglichte, als durch die
                                                                                                                    üblichen Gebete und Opfer erreicht werden
                                                                                                                    konnte. (R.G. Edmonds, Redefining Ancient
                                                                                                                    Orphism, 2013, 77–79). In ihrem Streben
                                                                                                                    nach Reinheit vermieden die Orphiker das
                                                                                                                    Töten von beseelten Wesen, was sowohl für
                                                                                                                    ihre Opferpraxis als auch für ihre Ernährung
                                                                                                                    Konsequenzen hatte. Platon (ca. 428–348 v.
                                                                                                                    Chr.) schilderte in seinen Gesetzen diesen As-
                                                                                                                    pekt der orphischen Lebensweise: «Wiederum
                                                                                                                    hört man, dass eine Zeit bestanden habe, in
                                                                                                                    welcher man nicht einmal einen Ochsen zu
                                                                                                                    kosten wagte und den Göttern keine Tiere
                                                                                                                    zum Opfer darbrachte, sondern nur Kuchen
                                                                                                                    und Früchte, mit Honig benetzt, und andere
PYTHAGORÄISCHES ABENDESSEN: «Nach dem Spaziergang badeten sie, darauf trafen sie sich zum gemeinsamen
Mahl. Dabei durften nicht mehr als zehn Menschen zusammen speisen. Waren die Tischgenossen versammelt, so opferte
                                                                                                                    solche reinen Opfer, wo man sich alles Flei-
man Wein, Räucherwerk und Weihrauch. Darauf schritt man zum Mahl, das bis Sonnenuntergang zu Ende sein musste.      sches enthielt, weil es für eine Sünde galt,
Sie nahmen Wein zu sich, Gerstenkuchen, Brot, Zukost und gekochtes und rohes Gemüse.» (Iamblichos, De vita Pytha-   solches zu essen und die Altäre der Götter
gorica 98). DREI SCHÜSSELN UND TELLER. Ton. Dm. max. 32 cm. Römisch, 3.–5. Jh. n. Chr. Zusammen mit zwei            mit Blut zu beflecken, sondern vielmehr die
weiteren römischen Tellern: CHF 3’200. SCHWARZGEFIRNISTER TELLER. Ton. Dm. 12.5 cm. Attisch, 400–375 v. Chr.
CHF 600. SCHWARZGEFIRNISTE SCHALE. Ton. Dm. 10,2 cm. Westgriechisch, 4. Jh. v. Chr. CHF 600.
                                                                                                                    damaligen Menschen die bei uns so genannte
                                                                                                                    orphische Lebensweise führten und sich zu
«Kann man wirklich fragen, welchen Grund                  isst». Diese Beikost bestand aus Gemüse, Käse,            ihrer Nahrung den Genuss alles Unbeseelten
Pythagoras hatte, auf Fleisch zu verzichten?              Eiern, Fisch und gelegentlich auch Fleisch. In            (apsychon) gestatteten und sich dagegen alles
Ich frage mich eher, in welchem Zustand der               Hinblick auf den Vegetarismus ist es von Be-              Beseelten (empsychon) enthielten.» (782c-d).
geistigen Verirrung der erste Mensch war, der             deutung, dass, Wild ausgenommen, der Kon-
dies tat, der mit seinen Lippen das Fleisch ei-           sum von frischem Fleisch die Darbringung                  Pythagoras scheint manche Lehren und
nes toten Wesens berührte, der Tafeln voller              eines Schlachtopfers voraussetzte. Hierfür                Kultgebräuche den Orphikern entlehnt zu
Leichen aufstellte und es wagte, diese Körper-            wurde meist ein mageiros angestellt, der die              haben. Berührungspunkte bestanden insbe-
teile Nahrung zu nennen, die nur wenig zuvor              Rollen von Priester, Metzger und Koch in sich             sondere hinsichtlich der Nahrungsaskese,
noch gebrüllt und sich bewegt haben!» (Plut-              vereinte. (A. Dalby, Siren Feasts, 1996, 8-9,             denn, wie die orphische, forderte die pytha-
arch, Moralia 12.993a-b)                                  22-23). Durch die Praxis des Tieropfers wurde             goräische Lebensweise die Enthaltung von
                                                          das Fleischessen zur sakralen Mahlzeit. Hierbei           beseelter Nahrung und Opfern. Ferner ge-
Mit diesen emphatischen Worten eröffnete                  spielte auch die Vorstellung, dass durch das              statteten beide Strömungen weder den Ge-
Plutarch (ca. 45–125 n. Chr.) seinen Diskurs              Essen eines gottgeweihten Tieres der Mensch               nuss von Eiern noch von Bohnen. «Verse des
De esu carnium und setzte dabei als selbst-               sich mit dem Gott vereinigte, eine Rolle. (J.             Orpheus wie diese werden zitiert: Unselige!
verständlich voraus, dass seine Leser wuss-               Haussleiter, Der Vegetarismus in der Antike,              Haltet Eure Hände zurück von den Bohnen!
ten, dass Pythagoras (ca. 570–496 v. Chr.),               1935, 13, 17). Der Verzicht auf das Essen von             Sowie: Ebenso grässlich, Bohnen zu essen,
den wir heute eher mit der Mathematik in                  Fleisch war folglich weit mehr als eine rein              wie Häupter der Eltern!» wird noch in der
Verbindung bringen, einer der Begründer der               diätetische Entscheidung, sondern beinhaltete             byzantinischen Geoponika (2.35) berichtet.
vegetarischen Lebensweise im griechischen                 auch die Ablehnung einer Kultpraxis, die für              Während der Verzicht auf Eier in einem
Kulturraum war. Im halben Jahrtausend, das                die griechische Gesellschaft von zentraler Be-            sinnfälligen Zusammenhang zum Vegeta-
zwischen Pythagoras und Plutarch lag, und                 deutung war. (J.N. Bremmer, Initiation into the           rismus steht – Plutarch vermutete, dass im
darüber hinaus bis in die Spätantike blieb die            Mysteries of the Ancient World, 2014, 70, 79).            Ei das Prinzip der Entstehung erblickt und
fleischlose Diät ein kontrovers diskutiertes                                                                        es darum für heilig gehalten wurde (Quaes-
Thema, das in zahlreichen Textquellen seine               Der bewusst gepflegte Vegetarismus begegnet               tiones convivales, 2.3.1) – wurde bereits in
Spuren hinterlassen hat.                                  erstmals bei den Orphikern, den Anhängern                 der Antike über die Gründe für das Bohnen-
                                                          einer religiösen Bewegung, welche die mythi-              verbot gerätselt. Porphyrios (ca. 233–305 n.
Die übliche Kost der Griechen bestand aus                 sche Gestalt des Orpheus in den Mittelpunkt               Chr.) etwa vertrat die Ansicht, dass bei der
dem sitos, d.h. Sättigungsspeisen aus Getreide            stellte und wohl im 6. Jh. v. Chr. entstand. Ein          Entstehung der Lebewesen die Menschen und
oder Hülsenfrüchten, und dem opson, wört-                 wesentliches Ziel des Orphismus schien die                Bohnen aus demselben fauligen Brei hervor-
lich «das, was man zusammen mit dem Brot                  Befreiung der Menschen von alter Verschul-                gesprosst seien und man deshalb sich sowohl

14                                                                                                                                                               CQ
Der Siegeszug des "Persischen Vogels" - Rezept - Artbutler
Cahn’s Quarterly 2/2019

der Bohnen als auch des Menschenfleisches          walt an Tieren aufs strengste geahndet werden       geben in ihrer bissigen Respektlosigkeit einen
enthalten solle. (Vita Pythagorae 44).             müsse. (De republica 3.19). Sextus Empiricus        überzeichneten Eindruck dessen, wie manch
                                                   (ca. 106–201 n. Chr.) führte weiter aus, dass       einer auf Abweichungen von der diätetischen
Den Orphikern und Pythagoräern gemeinsam           die Pythagoräer «behaupten, dass wir nicht          Norm, wie es der Vegetarismus in der griechi-
war auch der Glaube an die Seelenwanderung         nur miteinander und mit den Göttern, sondern        schen Antike war, reagiert haben mag.
(metempsychosis). Diese wurde von frühen           auch mit den unvernünftigen Tieren Gemein-
antiken Autoren eher selten zur Begründung         schaft (koinonia) haben» und leitete hiervon         Platons Leibspeisen
des vegetarischen Prinzips herangezogen. Di-       das Gebot, kein Fleisch zu essen, ab. (Adver-
odor (1. Jh. v. Chr.) beispielsweise berichtet     sus mathematicos 9.127). Hiermit hängt auch
nüchtern: «Pythagoras lehrte die Seelenwan-        der Gedanke zusammen, dass, wer gegen Tiere
derung und erachtete den Fleischgenuss für         gerecht sei, dies umso mehr gegenüber seinen
etwas, wovon man sich abwendet, indem er           Mitmenschen sei. «Ist dies nicht eine wunder-
behauptete, dass die Seelen aller Lebewesen        bare Gelegenheit, sich in Verantwortung für
nach dem Tode in andere Lebewesen eingin-          die Gemeinschaft zu üben? Denn wer könnte
gen.» (Bibliotheca historica 10.6.1). Spätere      einem Menschen Unrecht tun, wenn er sich
Autoren hingegen trieben das dramatische           bereits den nichtmenschlichen Wesen gegen-
Potential dieser Lehre auf die Spitze. So er-      über so sanft und menschlich verhält?» fragt
eiferte sich Plutarch in De esu carnium: «Ihr      Plutarch (EC 995f-6a) und Iamblichos berich-         Getrocknete Feigen und Oliven. ZWEI TELLER. Ton.
verspottet den Mann, der kein Schaffleisch         tet von Pythagoras, dass er auch den «Gesetz-        Westgriechisch, ca. 330 v. Chr. Dm 13,4 cm, CHF
                                                                                                        1’800. Dm. 14,2 cm, CHF 2’000.
isst. Aber dürfen wir nicht lachen, wenn wir       gebern» vorschrieb, sich fleischlos zu ernähren.
sehen, wie ihr von einem toten Vater oder ei-      «Denn da sie im höchsten Sinne Gerechtigkeit         «Und als [Diogenes der Kyniker] sah, dass
ner toten Mutter Teile abschneidet, sie an ab-     üben wollten, durften sie keinem der uns ver-        Platon bei einem prunkvollen Mahle sich
wesende Freunde schickt und die Anwesenden         wandten Lebewesen Unrecht tun.» (VP 108).            an die Oliven hielt, sagte er: ‹Wie? Erst
einladen, Fleisch auf ihre Teller zu häufen?»                                                           macht der Weise die grosse Seereise nach
(12.997e-f). Die Befürworter des Fleischessens     Diese Ansichten fanden keineswegs einhelli-          Sizilien um der Tafelfreuden willen und
waren jedoch um keine Antwort verlegen.            ge Zustimmung. Aristoteles (384–322 v. Chr.)         nun, da hier alles in Fülle zu haben ist,
«Wenn die Seelen aber wandern, so muss ih-         etwa lehrte, dass zwischen der Menschen-             versagst du dir den Genuss?› Worauf Pla-
nen ja der Tod willkommen sein, denn desto         und Tierseele ein wesentlicher und nicht bloss       ton antwortete: ‹Glaube mir, bei den Göt-
eher werden sie wieder Mensch! Das Essen der       ein gradueller Unterschied sei. Als das einzige      tern, Diogenes, auch dort habe ich mich
Körper würde den Seelen ja keinerlei Schmerz       mit Vernunft begabte Wesen galt für ihn der          meist an Oliven und dergleichen gehalten.›
antun. Sie werden vielmehr jauchzen, wenn          Mensch als das vollkommenste aller Lebewe-           ‹Wozu also,› fuhr Diogenes fort, ‹hattest du
sie die Tierkörper wieder verlassen können!»       sen. Entsprechend folgerte er, «dass die Pflan-      es nötig, nach Syrakus zu fahren? Gab es
lässt sie Porphyrios sagen. (De abstinentia ab     zen der Tiere wegen, und die anderen anima-          etwa damals in Attika keine Oliven? Ein
esu animalium 1.19).                               lischen Wesen der Menschen wegen da sind,            andermal begegnete er, getrocknete Feigen
                                                   die zahmen zur Dienstleistung und Nahrung,           essend, dem Platon und sagte. ‹Du kannst
Für Pythagoras und seine Anhänger scheinen         die wilden zur Nahrung und um Kleidung und           auch teilnehmen.› Und als jener zulangte
andere Gründe wesentlicher für die Wahl ei-        Gerätschaften aus ihnen zu gewinnen. Wenn            und ass, sagte er: ‹Teilnehmen, sagte ich,
ner vegetarischen Ernährungsweise gewesen          nun die Natur nichts umsonst macht, so muss          nicht aufessen!›» (Diogenes Laertius, Vitae
zu sein. Durch einen geregelten Tagesablauf,       sie sie alle um des Menschen Willen gemacht          philosophorum 6.25).
bei dem durch Spaziergänge, Sport und Bäder        haben.» (Politeia 1.3.7).
auf den Körper geachtet wurde, strebten die                                                             Pythagoräische Gerstenkuchen
Pythagoräer einen klaren und ruhigen Geist         Zwischen diesen beiden Extrempositionen der          (nach Plinius, Naturalis historia 18.14)
an, der sie optimal zum Studium befähigte.         Schonung und Ausnutzung von Tieren gab es
Auch der Ernährung wurde grosse Bedeutung          verschiedene Abstufungen, die sich in einer
zugemessen, da sie, «sofern sie sich recht und     teilweisen Enthaltung fleischlicher Kost äus-
geregelt vollzieht, viel zur besten Erziehung      serten. So berichtet Iamblichos, dass Pytha-
beiträgt», wie Iamblichos (ca. 240–320 n. Chr.)    goras seinen weniger fortgeschrittenen Schü-
bemerkt. Ihm zufolge «verwarf Pythagoras           lern, «deren Leben nicht völlig rein, heilig und
alle Speisen, die Gase entwickeln und Unruhe       philosophisch war, […] den Genuss mancher
im Leibe stiften. Umgekehrt billigte er alles,     Tiere frei[stellte]; doch auch für diese legte er
was das Körperbefinden in Ordnung bringt.          eine bestimmte Zeitspanne der Enthaltsamkeit
[…] Diejenigen Philosophen, die am besten          fest.» (VP 109). Und Platon, der sich in seinen
zur denkenden Schau befähigt waren […] lei-        Texten nicht kategorisch gegen das Essen von
tete er an, nie etwas Beseeltes zu essen, keinen   Fleisch wendet, scheint grossen Wert auf die
Wein zu trinken und den Göttern keine Tiere        Mässigkeit beim Essen und Trinken gelegt zu
zu opfern und diesen nicht das Geringste zu-       haben, was sich möglicherweise in einer an-          Geröstete Gerste, Leinsamen und Koriandersaat. DREI
leide zu tun, viel mehr auch ihnen gegenüber       nähernd vegetarischen Lebensweise des Phi-           BASE-RING-WARE-BECHER. Dm. max 16,7 cm. Ton.
die Gebote der Gerechtigkeit aufs sorgfältigste    losophen und seiner Schüler niederschlug. So         Östliche Mittelmeerregion, späte Bronzezeit, 1475-
                                                                                                        1225 v. Chr. Jeder Becher CHF 1’600.
einzuhalten». (De vita Pythagorica 106-7).         macht beispielsweise Theopomp (5. Jh. v. Chr.)
                                                   sich in seiner Komödie Hedychares über Pla-          400 g Gerste mit Wasser anfeuchten, über
Mit letzterem Gedanken kommt eine neue             tons Schüler lustig: «Stellt euch nun in Ord-        Nacht trocknen lassen und am folgenden
Thematik ins Spiel, die über die Sorge um          nung auf, der Hungerleider nüchterner Chor,          Tag rösten. Mit 60 g Leinsamen, 10 g Kori-
sich hinausgeht, nämlich das Verhältnis von        mit Gemüsen wie Gänse bewirtet.» (Athenaeus,         andersaat und etwas Salz mahlen. Mit ca.
Mensch und Tier. Cicero (106–43 v. Chr.) be-       Deipnosophistae 7.308a) und verschiedene             250 ml Wasser verkneten, flache Kuchen
tonte, dass Pythagoras zufolge dasselbe Recht      Autoren verspotteten Platons angebliche Vor-         formen und über heisser Asche backen.
für alle lebenden Wesen gelte und deshalb Ge-      liebe für Feigen und Oliven. Solche Anekdoten

CQ                                                                                                                                                       15
Der Siegeszug des "Persischen Vogels" - Rezept - Artbutler
Cahn’s Quarterly 1/2019

 Rezept

Zitrusfrüchte in der Antike
Von Yvonne Yiu

                                                                                                               tronatzitrone (C. medica). Ihre grossen, gel-
                                                                                                               ben Früchte können bis zu 25 cm lang und
                                                                                                               4 kg schwer werden und haben eine höckerige
                                                                                                               Schale, ein dickes, weisses Mesocarp und ver-
                                                                                                               hältnismässig wenig hellgrünes Fruchtfleisch.
                                                                                                               Der «medische Apfel», wie die Zitronatzitrone
                                                                                                               zunächst in der Antike genannt wurde, bevor
                                                                                                               sich in der Kaiserzeit die Bezeichnung citrium
                                                                                                               durchsetzte, wurde erstmals von Theophrast
                                                                                                               (ca. 371–287 v. Chr.), einem Schüler des Aris-
                                                                                                               toteles, der aufgrund seiner Schriften über
                                                                                                               Pflanzen als Vater der Botanik gilt, in seiner
                                                                                                               Historia Plantarum beschrieben: «Das Blatt
                                                                                                               dieses Baums ist fast gleich dem Blatt des
                                                                                                               Erdbeerbaumes; der Baum hat Dornen wie der
                                                                                                               Birnbaum und der Feuerdorn; sie sind glatt,
                                                                                                               sehr zugespitzt und stark. Der ‹Apfel› wird
                                                                                                               zwar nicht gegessen, aber er ist sehr wohlrie-
                                                                                                               chend, wie auch das Blatt des Baums. […] Der
                                                                                                               Baum trägt zu jeder Jahreszeit Früchte. Wenn
                                                                                                               man einige abnimmt, so reifen andere, und
                                                                                                               andere Zweige blühen.» Theophrast zufolge
                                                                                                               wurde die Frucht verwendet, um Kleider vor
Zitronatzitronen und Zitrone. SCHWARZGEFIRNISSTE SCHALE. Dm. 21,6 cm. Ton. Attisch, 4. Jh. v. Chr. CHF 2’600
                                                                                                               Motten zu schützen, zur Reinigung des Atems
                                                                                                               und als Brechmittel bzw. Laxativ nach der
«Kennst du das Land? wo die Citronen blühn,             sich erst im 10. Jh. n. Chr. im Rahmen der is-         Einnahme eines «tödlichen Giftes». (4,4,2-3).
im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn                  lamischen Expansion im Mittelmeerraum aus.
[…]. Dahin! Dahin! Mögt ich mit dir, o mein             Die Orange (C. x sinensis) wurde im 15.–16.            Erst mehrere Jahrhunderte später wurde auch
Geliebter, ziehn.» (J. W. v. Goethe, Wilhelm            Jh. n. Chr. eingeführt, vermutlich über die            auf die Gestalt der Frucht eingegangen, zu-
Meisters Lehrjahre, Bd. 2, Buch 3, Kap. 1).             Handelsrouten, die von den Seerepubliken               nächst von Dioskurides (ca. 40–90 n. Chr.),
                                                        und Portugal erschlossen wurden, und die               der ihre längliche Form und gelbe, runzlige
Mignons Lied aus Wilhelm Meisters Lehr-                 Mandarine (C. reticulata) erreichte 1805 Euro-         Schale sowie ihren würzigen Duft erwähnte
jahre gilt als Inbegriff der deutschen Italien-         pa, dank der Bemühungen von Sir Alexander              (De Materia medica 1,115,5), und dann et-
sehnsucht, die zahlreiche Dichter und Maler             Hume, einem Fellow der Horticultural Society           was ausführlicher von Galen (ca. 130–210
der Klassik und Romantik zu ihren Meister-              of London, der zahlreiche Zierpflanzen aus             n. Chr.): «Die Frucht hat drei Teile, der saure
werken inspirierte. Diese Sehnsucht nach                China importierte. Seit wann die Zitrone (C.           Mittelteil, [der die Samen enthält und nicht
dem Licht, den Farben und der Lebensfreude              x limon) im Mittelmeerraum angebaut wurde,             essbar ist], das Fleisch, das es umgibt, und die
des Südens ist heute so lebendig wie damals             ist unklar; doch weist ein Fund von 13 Samen           äussere Hülle. Diese Frucht ist wohlriechend
und beim Duft einer frisch aufgeschnittenen             und einem Schalenfragment, der auf dem Fo-             und aromatisch, nicht nur für die Nase, son-
Zitrone denkt sicher ein mancher hier im                rum Romanum in Rom gemacht wurde, dar-                 dern auch für den Gaumen. […] Sie ist schwer
grauen Norden mit leiser Wehmut an ein ide-             auf hin, dass sie bereits in augusteischer Zeit        zu verdauen, da sie hart und knubbelig ist.»
alisiertes Italien.                                     bekannt war. Verschiedene Pollen- und Hol-             (De alimentorum facultatibus 2,37).
                                                        zanalysen aus Villen in Pompeji und Oplontis
Ein Italien, in dem Zitronenbäume in jeder              sowie Darstellungen auf Fresken und Mosai-             Während für Theophrast die Zitronatzitrone
Ecke wachsen und ihren Duft freigiebig ver-             ken in Pompeji und Rom legen nahe, dass die            eine exotische Pflanze war, die in weit ent-
strömen – «qui tocca anche a noi poveri la              Zitrone seit dem 1. Jh. n. Chr. zunehmend in           fernten Gegenden wuchs, konnte Dioskurides
nostra parte di ricchezza ed è l’odore dei limo-        römischen Luxusgärten – wohl in erster Linie           sagen: «Die Medischen, auch Persische oder
ni» schrieb Eugenio Montale im Jahre 1925 –,            als Zierpflanze – gezogen wurde. (C. Pagnoux           Kedromela, lateinisch Kitria genannten [‹Äp-
gab es in der Antike allerdings nicht. Obschon          et al., The Introduction of Citrus to Italy, in:       fel›] sind alle wohlbekannt.» (MM 1, 115,5). Es
Zitrushaine seit Jahrhunderten das mediterra-           Veget. Hist. Archaeobot. 22 (2013) 421-438.            ist gut möglich, dass die jüdische Diaspora in
ne Landschaftsbild prägen und Zitrusfrüch-              D. Langgut, The Citrus Route Revealed, in:             der Folge des 1. Jüdischen Krieges (66-74 n.
te heute von der südländischen Küche nicht              Hort. Science 52 (2017) 814-822).                      Chr.) die Ausbreitung und somit Bekanntheit
wegzudenken sind, waren sie in der Antike                                                                      der Zitronatzitrone im Mittelmeerraum be-
weitgehend unbekannt. Die Pomeranze (C.                 Die erste Zitrusart, die sich am Mittelmeer            günstigte. (E. Isaac, Influence of Religion on
x aurantium), die Limette (C. x aurantifolia)           ausbreitete, war jedoch nicht die Zitrone,             the Spread of Citrus, in: Science 129 (1959)
und die Pampelmuse (C. maxima) breiteten                sondern die heute viel weniger bekannte Zi-            179-186). Die auf Hebräisch etrog genannte

10                                                                                                                                                           CQ
Der Siegeszug des "Persischen Vogels" - Rezept - Artbutler
Sie können auch lesen