Der Umgang mit "Facebook-Partys", Flash- und Smartmobs Ein Ratgeber für Behörden und Interessierte
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Der Umgang mit „Facebook-Partys“, Flash- und Smartmobs - Ein Ratgeber für Behörden und Interessierte In Zusammenarbeit mit: Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Ortspolizeibehörden Landespolizeipräsidium
Herausgeber: Ministerium für Inneres und Sport in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Ortspolizeibehörden, dem Landespolizeipräsidium und der Fachhochschule für Verwaltung Redaktion (Stand März 2013): Ministerium für Inneres und Sport, Abteilung D – Polizeiangelegenheiten und Bevölkerungsschutz
Liebe Leserin, lieber Leser, das Saarland, von dem wir alle wissen, dass sein wirklicher Wert sich nur bedingt in Statistiken niederschlägt, hält einen statistischen Rekord, um den uns die anderen Bundesländer sicher nicht beneiden: mit der Veranstaltung am 23. Juli 2011 fand in Heusweiler/Numborn die bislang bundesweit größte sog. „Facebook-Party“ statt. Ein solches Ereignis kann regelmäßig die vor Ort zuständigen Behörden überfordern, vor allem dann, wenn der zeitliche Vorlauf zu gering ist, um angemessen reagieren zu können. Ich habe daher alle Beteiligten an einen runden Tisch gebeten, um Strategien zu erarbeiten, wie mit solchen Veranstaltungen, die das Internet als Plakatwand nutzen, umgegangen werden kann. Diese Broschüre soll als Vademecum, als kurzer und prägnanter Ratgeber zum Umgang mit Veranstaltungen dienen, die ausschließlich oder überwiegend über soziale Netzwerke oder anderweitig über das Internet oder zutreffender über das World Wide Web organisiert werden. Für die Ortspolizeibehörden und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der betroffenen Behörden sowie für alle, die sich für die das Thema „Facebook-Partys“, Flash- und Smartmobs interessieren, bietet die Broschüre wertvolle Hinweise für Ihre Tätigkeit. Auch Veranstalter und solche, die sich mit dem Gedanken tragen, können ihr Hinweise entnehmen, wie sie ein solches Ereignis rechtssicher organisieren. Der Ratgeber fasst die Erfahrungen von Ortspolizeibehörden und Vollzugspolizei zusammen, nimmt eine rechtliche Bewertung vor und gibt einen Ausblick und auch Hilfestellung für den Umgang mit künftigen Veranstaltungen. Im Wesentlichen handelt es sich um die Ergebnisse eines Workshops, der von der Fachhochschule für Verwaltung am 14. November 2012 in Heusweiler veranstaltet wurde. Beteiligt hieran waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ortspolizeibehörden, der Vollzugspolizei, der Fachhochschule für Verwaltung sowie des Ministeriums für Inneres und Sport. Ihnen allen möchte ich für geleistete Arbeit danken, die Ihnen helfen kann, im Falle eines Falles vor Ort im Zusammenwirken mit anderen betroffenen Behörden die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ihre Monika Bachmann Ministerin für Inneres und Sport
EMPFEHLUNGEN ZUM UMGANG MIT VERANSTALTUNGEN, DIE ÜBER SOZIALE NETZWERKE INITIIERT WERDEN (FACEBOOKPARTYS, FLASHMOBS ETC.) Behördenspiegel, Newsletter, Netzwerk Sicherheit, Nr. 423 vom 10. Dezember 2012: 4
1. Phänomenologie1 Um was geht es hier eigentlich? Abgesehen von der recht BILD-haften Beschreibung der Gefahrenlage (nahezu tägliche Eskalationen, Tote etc.) zu Beginn des zweiten Absatzes beschreibt der eingangs abgedruckte Artikel die Situation recht treffend. Das Internet verändert nicht nur das Informations- und Kommunikationsverhalten, sondern auch das Freizeitverhalten. Veranstaltungen, die über sog. „Soziale Netzwerke“ initiiert werden, waren uns bis vor wenigen Jahren noch völlig fremd. Die Vorstellung, man könne Menschen „mit einem Mausklick“2 dazu bringen, sich mit eventuell mehreren tausend Unbekannten an einem vielen von ihnen ebenso unbekannten Ort zu treffen um zu feiern oder auch nur merkwürdige Dinge zu tun, war abwegig. Die Möglichkeiten des mittlerweile Web 2.0 genannten Internets jedoch können auch hierfür genutzt werden. Gerade das mobile Internet, das nicht mehr auf Desktops oder auch nur Laptops setzt, versetzt jeden Nutzer und jede Nutzerin jederzeit in die Lage mit anderen in nahezu Echtzeit zu kommunizieren. Und wie gehen wir damit um? Einladungen über soziale Netzwerke sind wie herkömmliche Post, Annoncen in Printmedien, Plakate oder Flugblätter zu bewerten. „Facebook-Partys“ an sich sind allerdings eine jugendtypische Erscheinung und können nicht vollständig verhindert werden. Eine grundsätzliche Kriminalisierung dieses Phänomens sollte nicht erfolgen. Veranstaltungen aus Anlass von Aufrufen in sozialen Netzwerken - insbesondere Facebook - sind geprägt durch die – scheinbare - Anonymität der Veranstaltung, der oftmals kurzen Vorlaufzeiten sowie der Überbetonung des Eventcharakters. Dies erschwert die Durchführung und Planung polizeilicher Maßnahmen. Weiter erfolgt regelmäßig keine gezielte Unterrichtung von Polizeivollzugsdienst und Behörden. Deshalb sind bindende Vorschriften für Veranstalter häufig nicht und für Teilnehmer in der Regel erst mit Beginn der Veranstaltung möglich. Eine Besonderheit speziell bei Einladungen über Facebook ist, dass diese grundsätzlich an alle denkbaren Nutzerinnen und Nutzer des Netzwerkes gepostet werden, sie sind nicht auf einen bestimmten AdressatInnenkreis beschränkt und müssen nicht aktiv für die ganze Facebook-Welt freigeschaltet werden. Im Gegenteil, es bedarf vielmehr eines Tätigwerdens der jeweiligen Einladenden, um den Empfängerkreis zu beschränken. Die oder der Einladende hat nämlich zwei Möglichkeiten: Sie/er kann eine öffentliche Veranstaltung ankündigen oder privat einladen. Die Option „öffentlich“ ist voreingestellt und muss durch Löschen eines Häkchens deaktiviert werden 3. Facebook hat sich lediglich bereit erklärt, bei minderjährigen Nutzerinnen und Nutzern einen Warnhinweis (Pop-up) zu schalten, wenn diese öffentliche Einladungen schalten. 1 Unter Verwendung von Material aus den „Hinweisen und Empfehlungen des Innenministeriums Baden-Württemberg - Landespolizeipräsidium - zur Vorbereitung und Bewältigung von Einsätzen der Polizei im Zusammenhang mit Veranstaltungen nach Aufrufen in sozialen Netzwerken (u.a. „Facebook-Partys“)“ 2 Bei Facebook sogar durch Unterlassen eines Mausklicks. 3 Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Facebook&oldid=110915283 5
Was ist das Besondere an solchen Veranstaltungen? Kennzeichnend für alle drei nachstehend aufgeführten Veranstaltungsformen ist, dass sie oft anonym stattfinden, häufig Eventcharakter aufweisen und eine gewisse Spontanität4 aufweisen. Lenski (Flashmobs, Smartmobs, Raids - Sicherheitsrechtliche Antworten auf neue Formen von Kollektivität, in VA 2012, S. 539ff, 541f) geht hingegen von vier Charakteristika aus: Einsatz moderner Kommunikationsformen in der Planungs- und auch Durchführungsphase, Veranstaltungen sind geprägt durch Anonymität und Instabilität, es fehlt an der Konstituierung als Gruppe und an (jeglicher) Organisationsstruktur, zudem ende die Eigenschaft als Kollektiv mit dem Ende der Veranstaltung, ausschließliche Konstituierung im öffentlichen Raum, Spontanität5. Veranstaltungsformen - Begriffsbestimmungen: Flashmobs bezeichnen eine kurze, meist via Internet initiierte, scheinbar spontane Menschenansammlung, die in der Regel an öffentlichen Plätzen stattfindet. Sinn und Zweck ist es, Ungewöhnliches zu tun, um so Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erreichen. Die Teilnehmer kennen sich zumeist nicht persönlich. Eine Versammlung im Sinne des § 1 Absatz 1 des Versammlungsgesetzes liegt meist nicht vor, u. U. kann jedoch in Abhängigkeit von der Natur der Veranstaltung der Schutz durch die Freiheit der Kunst (Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes) in Anspruch genommen werden6. „Vom Schutzbereich erfasst sind die gängigen Werktypen wie Musik, Tanz, Pantomime, (Straßen-)Theater, aber auch eher atypische Formen wie das Happening und die Performance. Die geschützten Tätigkeiten umfassen im Rahmen des Wirkbereichs die Darbietung, Verbreitung und Vervielfältigung. Auch wenn die Urheberschaft nicht bei den darstellenden Künstlern liegen sollte (etwa beim Nachsingen fremder, bekannter Lieder), ist auch die Reproduktion eine schützenswerte künstlerische Darbietung. All diese Kriterien werden bei entsprechenden (Tanz-)Flashmobs erfüllt7.“ 4 Anmerkung des Verfassers: Dieser „Charakterzug“ ist im Rahmen des Workshops am 14. November 2011 herausgearbeitet worden. Ob eine Veranstaltung, die auch bei Organisation über das Internet/Soziale Netzwerke eine gewisse Vorlaufzeit benötigt, tatsächlich spontan im Wortsinn ist, darf zumindest bezweifelt werden. Bei Flash-/Smartmobs kann durchaus von einer gewissen „Anscheinsspontanität“ ausgegangen werden, jedoch auch ihnen ist ein gewisses Maß an Planung immanent. 5 Von Lenski an anderer Stelle als „Scheinkriterium“ bezeichnet, a. a. O. S.542 6 s. Neumann: Flashmobs, Smartmobs, Massenpartys, in NVwZ 2011, S. 1171ff 7 Neumann, a. a. O. 6
Smartmobs oder Smart Mobs stellen eine Unterform des Flashmobs dar und bedienen sich dessen Organisationsformen. Anders als Flashmobs zielen sie jedoch auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung ab und sind eine Form des politischen Protests/der Meinungsäußerung. Hier ist in der Regel von einer Versammlung im Sinne des § 1 Absatz 1 des Versammlungsgesetzes in Verbindung mit Artikel 8 des Grundgesetzes auszugehen. Beispiel: Am 8. September 2007 fand ein bundesweiter Smartmob gegen Bahnprivatisierung statt. In mehr als 50 Städten nahmen insgesamt mehr als 2000 Menschen teil, teilte das Bündnis „Bahn für Alle“ mit8. „Facebook-Partys“ bieten durch das genutzte Medium der sozialen Netzwerke im Internet die Möglichkeit, eine Einladung schnell und unkompliziert an einen breiten Empfängerkreis zu streuen. Eine Besonderheit stellen aktuell die sogenannten „Projekt X-Partys“ dar, da hier der übermäßig ausgeprägte Alkoholkonsum und die daraus folgenden Gewaltexzesse im Vordergrund stehen. Beispiele: Numborn, Numborn reloaded Worin liegt das Problem? Sämtliche Veranstaltungsformen können die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, darunter Polizei, Rettungsdienste und Feuerwehren, vor große Sicherheitsprobleme, insbesondere aufgrund der Kurzfristigkeit des Bekanntwerdens sowie der oft nicht einschätzbaren Besucherzahlen, stellen. Eine durch Alkoholkonsum aufgeheizte Stimmung kann für die Teilnehmer, unbeteiligte Dritte und Einsatzkräfte eine Gefahr darstellen. Daher müssen die erforderlichen Maßnahmen mit allen Beteiligten auf die örtlichen Verhältnisse angepasst werden, wobei zu beachten ist, dass die Teilnehmer nicht generell auf eine konkrete Veranstaltungsfläche fixiert sind. So müssen jederzeit, sowohl im Vorfeld als auch während der Veranstaltung, spontan ausgewählte alternative Örtlichkeiten in Betracht gezogen werden. Benachbarte Gemeinden und Polizeidienststellen sollten daher für den Fall einer Verlagerung der Örtlichkeit in einen anderen Zuständigkeitsbereich bereits frühzeitig über die geplante „Facebook-Party“ informiert werden9. 8 Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Smart_Mob&oldid=109738236 9 s. Hinweise Baden-Württemberg, S. 5 7
2. Tangierte Rechtsbereiche Allgemeines: Grundsätzlich ist keine der drei Veranstaltungsformen unzulässig, allerdings sind nur Smartmobs durch die Versammlungsfreiheit geschützt. Flashmobs hingegen erfüllen den verengten Versammlungsbegriff nicht, auch wenn dies Anlass zur Kritik bietet. Je nach Ausdrucksform werden sie aber durch die Kunstfreiheit geschützt. Massenpartys können nicht unter den Schutz spezieller Freiheitsrechte gestellt werden, wenngleich sie durchaus Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes) sein können10. Sie können allerdings in wesentlich stärkerem Maß durch geltendes Recht restringiert werden. Spezielle Rechtsgebiete: 1. Versammlungsgesetz 2. Straßenrecht 3. Straßenverkehrsrecht 4. Allgemeines Polizeirecht 5. Abfallrecht, Kreislaufwirtschaftsgesetz 6. Gaststättengesetz 7. Gewerbeordnung 8. Waffenrecht 9. Jugendschutzgesetz 10. Ordnungswidrigkeitengesetz 11. Strafrecht 12. Allgemeines Verwaltungsrecht Zu 1. Das seit der Föderalismusreform 2006 in der Gesetzgebungskompetenz der Länder liegende Versammlungsrecht regelt die Rechte und Pflichten von Veranstaltern und Teilnehmern und statuiert überdies die Voraussetzungen, unter denen eine Versammlung im Vorfeld verboten oder während ihres Verlaufs aufgelöst werden kann. Zu 2. Straßenrecht regelt den Gemeingebrauch einer Straße, im Saarland durch das Saarländische Straßengesetz. Jede Benutzung darüber hinaus stellt eine erlaubnispflichtige Sondernutzung dar. Zu 3. Straßenverkehrsrecht regelt die Art der Straßennutzung im Rahmen der allgemeinen Nutzung. Hierunter fallen im Wesentlichen das Straßenverkehrsgesetz, die Straßenverkehrsordnung und die Straßenverkehrszulassungsordnung. Zu 4. Das Allgemeine Polizeirecht – im Saarland in Form des Saarländischen Polizeigesetzes - dient der Gefahrenabwehr, wenn keine speziellen Gesetze als Lex specialis vorgehen. Zu 5. Dass Abfallrecht ist der Oberbegriff für alle Regelungen zum Umgang mit Abfall. Wichtigste Einzelnorm ist das Kreislaufwirtschaftsgesetz. Zu 6. Soweit Wirte oder Gaststätten im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Veranstaltungen auf den Plan treten, etwa durch 10 s. Neumann a. a. O, S.1174 8
Alkoholausschank (Konzessionierte Flächen beachten, Jugendschutz), kann das Gaststättengesetz berührt sein. Zu 7. Ebenfalls genannt wurde die Gewerbeordnung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die jeweilige Veranstaltung wirtschaftlichen Zwecken dient oder zu solchen genutzt wird (Fliegende Händler). Zu 8. Waffenrecht umfasst nicht nur das Recht der Schusswaffen, sondern regelt auch andere verbotene Waffen wie z. B. Anscheinswaffen oder bestimmte Arten von Stichwaffen. Zu 9. Das Jugendschutzgesetz enthält Bestimmungen zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit. Von Bedeutung sind hier vor allem die Regelungen zum Aufenthalt an jugendgefährdenden Orten und Veranstaltungen sowie die verbotene Abgabe bestimmter Alkoholika oder generell von Tabakwaren an Jugendliche. Zu 10. Das Ordnungswidrigkeitengesetz stellt bestimmtes Fehlverhalten unterhalb der Strafbarkeitsschwelle unter Sanktionsandrohung, so z. B. den ruhestörenden Lärm. Zu 11. In bestimmten Fällen kann auch das Strafrecht zur Anwendung kommen, wobei die größte Schwierigkeit in dem Erfordernis des Nachweises liegen dürfte; Gleiches gilt allerdings auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht Zu 12. Das allgemeine Verwaltungsrecht regelt die grundlegenden Rechtsinstitute und Verfahrensweisen die in jedem Verwaltungsverfahren anzutreffen sind und benötigt werden. Von Bedeutung sind dabei vorliegend insbesondere das Verfahren beim Zustandekommen von Verwaltungsakten und die Verwaltungsvollstreckung. Sonderfrage Auflösungsverfügung: Zur Rechtmäßigkeit der Auflösungsverfügung und zur anschließenden Ahndbarkeit von Ordnungswidrigkeiten gem. § 113 OWiG ist bei einer Auflösungsverfügung zwingend Folgendes zu beachten: Die sachliche Zuständigkeit für die Gefahrenabwehr liegt bei den Ortspolizeibehörden (§ 80 Abs. 2 SPolG) und nur bei Gefahr im Verzug bei der Polizeivollzugsbehörde (§ 85 Abs. 2 SPolG). Die Ortspolizeibehörde muss die Polizeivollzugsbehörde mündlich oder schriftlich um Vollzugshilfe ersuchen. Die dreifache, inhaltlich eindeutige und der Menge vernehmliche Aufforderung, sich zu zerstreuen, muss sich an die Ansammlung insgesamt richten. Zwischen den zur Ahndbarkeit gemäß § 113 OWiG notwendigen drei Aufforderungen muss genügend Zeit liegen, um sich inzwischen entfernen zu können. Die an einen Einzelnen gerichtete Anordnung genügt nur, wenn er als Bestandteil der Menge angesprochen und zwecks Auflösung der Ansammlung angewiesen wird. Für die Ahndbarkeit genügt (§ 113 Absatz 1), dass der Täter von den Aufforderungen durch andere Beteiligte erfährt. Hierbei spielt die Dokumentation eine bedeutende Rolle. Auch die Reaktionen der Teilnehmer sind zu dokumentieren. 9
Die Lautsprecherdurchsage ist vorher schriftlich zu fertigen. Sie muss die Voraussetzungen der §§ 39 und 41 SVwVfG erfüllen, d. h. bei der Durchsage muss eine kurze rechtliche Begründung abgegeben werden und die Verfügung muss beim Adressaten ankommen (Dokumentation des Störerverhaltens). Die Anwendung unmittelbaren Zwangs gem. § 49 SPolG zur Durchsetzung der Auflösungsverfügung muss gem. §§ 54 Abs. 1 S. 1 SPolG vorher angedroht werden, wenn keine gegenwärtige Gefahr i. S. d. § 54 Abs. 1 S. 2 SPolG vorliegt. Die Androhung unmittelbaren Zwangs soll gem. § 50 Abs. 2 S. 2 SPolG mit der Auflösungsverfügung verbunden werden, da ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat. Sonderfrage Kostenerstattung: Nicht zufriedenstellend geregelt sind Fragen der Kosten. Hier stehen verschiedene Zielkonflikte in einem schwer zu lösenden Verhältnis. Nicht akzeptabel scheint es vor allem, wenn unbeteiligte Dritte Schaden erleiden und keine Erstattung bekommen. Hierbei gilt es zudem zu beachten, dass der Dritten zugefügte Schaden in der Regel nach den Vorschriften des BGB geltend gemacht werden muss und zwar durch den Geschädigten an die Adresse des Schädigers11. Der aber wiederum ist nur in den seltensten Fällen zu identifizieren. Unterscheidung Sanktionen / Störerhaftung Auf den ersten Blick eröffnen das Ordnungswidrigkeiten- und das Strafrecht Möglichkeiten, potenzielle Verursacher als Schädiger finanziell mit den Folgen ihrer Handlungen zu konfrontieren, sei es durch Geldbußen oder durch –strafen. Hinzu tritt, dass eine rechtskräftige Verurteilung oder eine entsprechende Geldbuße die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durchaus erleichtert, weil der Schädiger ja bereits feststeht. Wichtig scheint es vor diesem Hintergrund besonders, Ordnungswidrigkeiten und Straftaten zu dokumentieren, um einen vorsätzlichen Schädiger belangen zu können. Dies aber dürfte in der Praxis die größte Hürde sein, wie auch die polizeiliche Einsatzerfahrung bestätigt12. Der Störer kann nach den Vorgaben des Polizeigesetzes zum Ersatz für die durch ihn verursachten Kosten herangezogen werden. § 4 Absatz 1 SPolG regelt, dass Maßnahmen gegen die Person zu richten sind, welche die Gefahr verursacht hat, Terminus technicus: Verhaltens- oder Handlungsstörer. Damit scheidet der Veranstalter oder der Einladende auf den ersten Blick aus, da dieser ja eben nur zu der Party o. ä. eingeladen hat und nicht etwa zur gemeinschaftlichen Realisierung polizeirechtlicher Gefahrenlagen. Auch aus Eigeninteresse dürfte er daran interessiert sein, dass die Feier friedlich verläuft. Soweit der (Verhaltens-)Störer selbst aber nicht identifiziert werden kann (s. o.), läuft die rechtliche Handhabe ins Leere. 11 Hier kann ausnahmsweise wegen der typisch männlichen Täterphänomenologie auf die weibliche Form verzichtet werden. 12 So der Einsatzleiter der Vollzugspolizei im Vortrag „M macht Party“, dokumentiert durch das polizeiliche Einsatzvideo. 10
In Frage käme so allenfalls die Inanspruchnahme des Veranstalters als sog. „Zweckveranlasser“. Zweckveranlasser ist, wer durch sein Verhalten eine Gefahr subjektiv bezweckt oder billigend in Kauf nimmt13. Dem gegenüber steht die herrschende Meinung, wonach bei objektiver Betrachtung der Eintritt der Gefahr dem typischen Geschehensablauf entspricht14, auf die Intention des Veranstalters kommt es dabei gar nicht an. Allerdings ist die Figur des Zweckveranlassers als solche schon nicht unumstritten15 und es sind auch keine Gerichtsurteile oder auch nur bestandskräftige Gebührenbescheide an die Adresse eines Zweckveranlassers bekannt. Ein interessanter – theoretischer - Ansatz ist der des Analogieschlusses zum Versammlungsrecht. Durch das Postulat des Zusammenfallens von Veranstaltungsinitiator, Veranstaltungsaufruf und Durchführung kann der Veranstalter/Initiator dann als Zweckveranlasser angesehen werden, wenn nach Würdigung des Veranstaltungsaufrufes von einem Schadenseintritt als typische und vorhersehbare Folge auszugehen ist. Bei dieser Konstellation könne der „Aufrufer“ als Zweckveranlasser angesehen werden16. Problematisch wird der Rückgriff auf den Zweckveranlasser spätestens dann, wenn dieser, möglicherweise nach Intervention durch die zuständigen Behörden, den Veranstaltungsaufruf zurückzieht und sich objektiv von seinem dann ehemaligen Vorhaben distanziert. Damit entfällt seine polizeirechtliche Verantwortlichkeit; dem steht es auch nicht entgegen, wenn der ursprüngliche Veranstaltungsaufruf von dritter Seite kopiert und weiterhin aufrecht erhalten wird 17. Nach Auffassung der Teilnehmer widerspricht es Sinn und Zweck des Kostenrechts, die Allgemeinheit mit den anfallenden Kosten zu belasten, daher sollte durchaus eine Kostenüberwälzung auf den Einladenden als Zweckveranlasser in Betracht gezogen werden. Bei ausreichender Entschlusskraft könnte daher durch einen Gebührenbescheid einer saarländischen Ortspolizeibehörde wegweisende Rechtsfortbildung geleistet werden. Möglicherweise muss eine abschließende rechtliche Lösung gefunden werden. Hierbei ist allerdings als Ausfluss aus dem Rechtsstaatlichkeitsgebot zu beachten, dass Gebühren nur dann beim Bürger also auch dem potenziellen Zweckveranlasser, geltend gemacht werden können, wenn er Adressat einer polizeilichen Verfügung hätte sein können, er also in Anspruch hätte genommen werden können. Das scheitert in der Regel bereits daran, dass die Gäste und nicht der Veranstalter Adressaten der polizeilichen Maßnahmen sind18. Einigkeit dürfte darin bestehen, dass einer intensiven Information im Vorfeld eine große Rolle zukommt, um Beteiligten und Eltern mögliche drohende Sanktionen und 13 Statt vieler Vertreter der „Subjektivitätstheorie“: Mandelartz, Sauer, Strube, Saarländisches Polizeigesetz, RN 5 zu § 4. 14 Auch hier statt vieler: Pewestorf in Pewestorf, Söllner, Tölle, Polizei- und Ordnungsrecht, Berliner Kommentar, § 13, RN 19ff, auch Lenski, a.a. o. S. 553 15 Denninger in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl, Kap. E, RN 80ff, Hinweise B- W. S. 7 16 Lenski a. a. O. S. 554, wobei die Frage nach der Zulässigkeit des dort faktisch vorgenommenen Analogieschlusses, dort Maßstabsübertragung genannt, ungeklärt bleibt. 17 vgl. auch Lenski, a. a. O. S.554f 18 Levin/Schwarz, Zum polizeilichen Umgang mit Facebook-Partys, DVBl 2012 S. 10ff 11
Kosten bewusst zu machen. Auch wenn man sich behördenseitig darüber im Klaren ist, dass die Realisierungschancen unsicher sind, kann doch dem Wissen der Verantwortlichen auf Veranstalterseite durchaus eine im polizeilichen Sinne positive Wirkung zukommen: Sie wissen nunmehr um die möglichen Folgen ihres Tuns und auch darum, dass Behörden und geschädigte Dritte Ansprüche geltend machen können; sie sind diesbezüglich bösgläubig. 12
3. Handlungsoptionen der Ortspolizeibehörden Mögliche Maßnahmen vor der Veranstaltung In einem ersten Schritt ist das Gefahrenpotential anhand der diesbezüglich entwickelten Kriterien (s. Anlage 1) zu prognostizieren. Daran richten sich die Folgemaßnahmen aus, als da kämen in Frage: Ermitteln des Veranstalters Kontaktaufnahme mit Veranstalter. Ggf. Gefährderansprache oder Kooperationsgespräch Informationsaustausch und Abstimmung mit potenziell zuständigen Stellen wie: Polizei Feuerwehr Rettungsdienste Baulastträger (Bauamt, Betriebshof, Landesamt für Straßenwesen, Straßenmeisterei) Straßenverkehrsbehörde Versammlungsbehörde Jugendamt Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz – Gewerbeaufsicht Rechtliche und sachliche Bewertung aller Informationen Erlass einer Untersagungsverfügung durch Verwaltungsbehörde19, Ersatzörtlichkeiten festlegen Koordinierte Öffentlichkeitsarbeit: Eingeladene, involvierte Dritte (Anwohner, Gastwirte, Grundstückseigentümer) Die unabhängig von der Veranstaltungsart erforderliche Einsatzplanung umfasst Kommunikationswege, konkrete Zuständigkeiten, Rollenverteilungen, ausreichend Personal und Material 19 Die Verfügung kann auch im Rahmen der Veranstaltung selbst ergehen, wobei die Bekanntgabe auch über Rundfunk oder Lautsprecher möglich ist. 13
4. Zusammenfassung Erste Informations- Informations- Kontakt- austausch und phase: was soll aufnahme Abstimmung passieren, wo und wer ist Veranstalter/Ini tiator Ggf. Verbot der Bewertung Veranstaltung A lt e r n a ti Begleitend: v Öffentlichkeits arbeit Ersatzort 14
Maßnahmen während der Veranstaltung Während der Veranstaltung kommt es ganz wesentlich auf einen stets aktuellen Sachstand der Einsatzleitung und die Abstimmung aller Beteiligten an (Polizei, Feuerwehr etc.). Im Einzelnen geht es um Anweisungen vor Ort/ Ansprechpartner zur Verfügung halten die Überprüfung von Auflagen Sondernutzung Verkehrsflächen prüfen (Straßenverkehrsbehörde) Deeskalationsmaßnahmen z. B. Alkoholkonsum durch Jugendschutzteams kontrollieren/ Ausschankverbot die Dokumentation zwecks späterer Strafverfolgung Maßnahmen gegen einzelne Störer (Vollzugspolizei) Auflösungsverfügung (Ortpolizeibehörde) Auflösung (Anordnung durch OPB, Vollzug durch Vollzugspolizei) Einsatz von Vollzugsbediensteten der Ortspolizeibehörde und/oder – soweit vorhanden - des kommunalen Ordnungsdienstes Koordinierte Öffentlichkeitsarbeit Auflagen/ Deseskalations- Ggf. Sondernutzung maßnahmen Unterbindung en überwachen von Verstößen, Maßnahmen gegen Störer Bei anhaltenden Auflösung Verstößen: Auflösungs- verfügung Begleitend: Öffentlichkeits arbeit 15
Maßnahmen nach der Veranstaltung Operativ ist es nach Veranstaltungsende vordringlich, den geregelten Abfluss der Teilnehmer zu gewährleisten. Darüber hinaus können erforderlich werden: eine Verkehrslenkung, wobei diese schon im Vorfeld zu planen ist (s. o) Aufräumarbeiten (Bauhof oder auch verpflichtete Privatpersonen ) Schadensermittlungen Kostenberechnung als Voraussetzung für deren Erhebung Ersatzpflichten prüfen Sanktionsprüfungen: Ob, was, gegen wen, wie Ahndung von OWiGen/Strafanzeigen Abgestimmte Öffentlichkeitsarbeit: Medien, vor Ort Gemeinsame Einsatzbewertung, Dokumentation der Erfahrungen Kostenberechnung Schadensermitt- en lungen Kostenersatz prüfen, ggf. geltend machen Sanktionsmöglich- Ordnungswidrig- keiten prüfen keiten/Straftaten ahnden Begleitend: Öffentlichkeits arbeit 16
Anlage 1 Kriterien zur Gefährdungseinschätzung Eselsbrücke: Die „W“-Fragen: „Wer, wieviele, wie, wo, wann, was, warum, zu welchem Zweck, mit welchen Mitteln?“ Person des Anmelders: Intention, Art und Sprache der Einladung, bereits zuvor aufgefallen, weitere Einträge im Internet bzw. in sozialen Netzwerken Anzahl und Struktur der Teilnehmer Örtlichkeit: Wohngebiet, Verkehrsanbindung, Parkraum, Fluchtwege, Rettungswege, sensible Einrichtungen in der Nähe (Infrastruktur, Wohnheime…) Zeitpunkt der Veranstaltung: Jahreszeit, Wochentage, Tageszeit, zeitgleiche Veranstaltungen (Bindung von Einsatzkräften, Verkehrsprobleme) Akzeptanz in der Bevölkerung Alkohol: Möglichkeit des Erwerbs, Glasverbot, Sondernutzung von Privateigentum tangiert Vorhandensein von Infrastruktur (Sanitär, ÖPNV…) 17
Anlage 2 Mögliche Ordnungswidrigkeiten und Straftatbestände: Ordnungswidrigkeiten – OWIG: • § 113, Unerlaubte Ansammlung • §117, Unzulässiger Lärm • §118, Belästigung der Allgemeinheit – StVO: • §§ 29, 32, Übermäßige Straßenbenutzung, Hindernis – KrWG: • § 69, Illegale Abfallablagerung – JSchG: • §§ 9, 28, Verbotene Abgabe von alkoholischen Getränken an Jugendliche – GastG: • §§ 19, 28, Verbotene Abgabe von alkoholischen Getränken – GewO: • Erhebung von Eintrittsgeld in Form von Sach- oder Geldleistung – WaffG: • § 42a, Anscheinswaffen, i. V. m. § 53, Bußgeldvorschriften Straftatbestände – StGB: • § 113, Widerstand • § 123, Hausfriedensbruch • § 125, Landfriedensbruch • §§ 185ff, Beleidigung, • §§ 223, 224, 226, Körperverletzungsdelikte • § 241, Bedrohung • § 303, Sachbeschädigung • § 304, Gemeinsame Sachbeschädigung • § 315b, Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr – Versammlungsrecht: • § 27 Absatz 1, Verbot des Mitführens von Waffen • § 17a Absatz 2, § 27 Absatz 2, Vermummungsverbot – WaffG: • § 42, Verbot des Mitführens von Waffen, i. V. m. § 52, Strafvorschriften – BtMG • § 29a, Überlassen von und Handel mit Betäubungsmitteln In der Praxis dürften allerdings im Wesentlichen die §§ 113, 117, 118 OWiG, §§ 29,32 StVO sowie ggf. die §§ 113, 125 StGB von Belang sein. 18
Anlage 3 Zu beteiligende Stellen und Personen: Ortspolizeibehörde Vollzugspolizei Rettungsdienste: - DRK, - Feuerwehr, - THW - Hilfsorganisationen: • DRK • ASB • MHD • JUH • DLRG Bauhof Bundespolizei (wegen Anreise der Teilnehmer mit der Bahn) Landesamt für Straßenwesen und Straßenmeistereien Straßenverkehrsbehörden Kreispolizeibehörden (wg. der dortigen Zuständigkeit für das Versammlungsrecht) Jugendpflege, Streetworker Ministerien Pressestellen (koordiniert Gemeinde, Polizei u. a. Behörden) Anwohner Eltern/Vormund (bei minderjährigen Initiatoren bzw. solchen Teilnehmern) Private Dienstleister: Sanitär, Abfall-Container Kliniken, medizinisches Personal Staatsanwaltschaft, Bereitschaftsrichter Es handelt sich hierbei um alle denkbaren in Frage kommenden Stellen und (natürlichen) Personen. Diese sind natürlich nicht alle zwingend zu beteiligen, vielmehr erfolgt die Auswahl situationsbezogen. 19
Anlage 4 Muster einer Lautsprecherdurchsage zum Beenden der Ansammlung (Auflösungsverfügung) Zielrichtung: Platzverweis /Räumung Die Durchsage muss dreimal wiederholt werden. Die Anwendung von Zwang muss nach der dritten Wiederholung gesondert angedroht werden. „Achtung, Achtung, es folgt eine Durchsage der Polizei! Diese Durchsage richtet sich an alle Personen (genaue Beschreibung des Ortes!; In der Straße/auf der Kreuzung/auf dem Platz….) Diese Ansammlung stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne des § 12 Abs. 1 SPolG dar. Die Ansammlung wird hiermit aufgelöst, entfernen Sie sich unverzüglich in Richtung (genaue Beschreibung), andernfalls wird die Polizei nach der dritten Durchsage unmittelbaren Zwang in Form der körperlichen Gewalt mit Schlagstock mit Reizstoff /Tränengas gegen sie einsetzen. Jede Person, die sich nach der dritten Aufforderung nicht entfernt, erfüllt den Tatbestand der unerlaubten Ansammlung gem. § 113 Ordnungswidrigkeitengesetz, der mit einer Geldbuße von bis zu 1000 Euro geahndet werden kann. Es ist jetzt ________ Uhr. Ende der ersten/ zweiten /dritten Durchsage.“ Dokumentation: Standort des Lautsprecherwagens /Megaphons: _________ Dokumentation der Reaktion der Teilnehmer: reagieren reagieren nicht einige reagieren Freitext: 20
Sie können auch lesen