Der vielen kleinen Unterschiede - Jugendring Düsseldorf
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Die Fibel der vielen kleinen Unterschiede von ANDERS & GLEICH ist eine Art Wörterbuch, das viele Begriffe zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt enthält. Die Fibel liefert keine Definitionen, sondern Beschreibungen. Denn: Jeder Mensch hat das Recht, die eigene sexuelle Orientierung und das eigene Geschlecht so zu definieren, wie er_sie es empfindet. Deshalb bemühen wir uns möglichst vielfältige Perspektiven abzubilden, ohne dabei einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen.
ANDERS & GLEICH klärt über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt auf, fördert Akzeptanz und Wertschätzung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und queeren Menschen, unterstützt die Selbsthilfe und Communitys, schafft Aufmerksamkeit für Diskriminierung und Gewalt und setzt sich konsequent dagegen ein. ANDERS & GLEICH bietet: • Aufklärungsmaterialien (Broschüren, Poster, Postkarten) • Download-Angebot von Studien, Handreichungen, Broschüren etc. • Beratung zu Inhalten und Veranstaltungen zu LSBTIQ*-Themen • Workshops & Vorträge • (Medien-)Kooperationen für Veranstaltungen und Veröffentlichungen • Unterstützung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für die LSBTIQ*-Communitys • Beratungs- und Angebotsfinder in NRW • Informationsstände Mehr Informationen unter: www.aug.nrw
INHALT Grußwort 7 lesbisch / Lesbe 36 Mehrfachzugehörigkeit / Mehrfachdiskriminierung 37 Abkürzung LSBTIQ* 9 nichtbinär 39 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 10 normal / Normalität 41 asexuell / Asexualität 11 pansexuell / Pansexualität 43 bisexuell / Bisexualität 12 Queer 44 cisgeschlechtlich / Cisgeschlechtlichkeit 13 Regenbogenfamilie 45 Coming-out 15 Regenbogenflagge 47 Community 16 Rosa Winkel / Schwarzer Winkel 48 CSD 17 schwul / Schwuler 49 Eingetragene Lebenspartnerschaft / Ehe 19 sexuelle Identität / sexuelle Orientierung 51 Gender / Geschlecht / geschlechtliche Identität 21 trans* 52 Heterosexuell / Heterosexualität / Heteronormativität 23 Transgender 53 Homofeindlichkeit/ Homophobie / Heterosexismus 25 Transfeindlichkeit / Transphobie / Cissexismus 54 homosexuell / Homosexualität 27 transsexuell / Transsexualität 55 Inklusion 29 § 175 StGB Homosexuellenverfolgung 57 Inter* / Intergeschlechtlichkeit 31 Symbole 59 intersexuell / Intersexualität 33 Adressen 61 intersektional / Intersektionalität 35 Impressum 66
GRUSSWORT „Eigentlich habe ich ja nichts gegen ‚die‘, aber …“ Wie oft hört man legende Informationen können helfen, Homo- und Transphobie abzu- diesen Satz? Gemeint mit „die“ sind oft auch Lesben und Schwule. Das bauen, nicht aneinander vorbeizureden und Schweigen zu brechen. kleine Wort „die“ stempelt sie ab. Es isoliert sie als „die Anderen“ und Eine respektvolle Ansprache und korrekte Begriffe, die der Würde des verhindert die Wahrnehmung ihrer individuellen Persönlichkeit. Be- Menschen gerecht werden, sind wichtig für ein gutes Miteinander in nachteiligungen und Diskriminierungen gehören leider immer noch zu unserer Gesellschaft. den Alltagserfahrungen von Menschen, die gleichgeschlechtlich lieben oder eine andere geschlechtliche Identität haben. Sie erleben noch viel zu oft Hasstiraden und Bedrohungen – im Netz und auf der Straße. Und auch die Schimpfworte auf vielen Schulhöfen zeigen, dass bereits Kinder und Jugendliche diffamierende Wörter übernehmen. Worte, die Dr. Joachim Stamp verletzen und ausgrenzen. Was sind die Gründe dafür? Häufig sind es Minister für Kinder, Familie, Vorurteile, manchmal irrationale Ängste oder der Hass auf das Anders- Flüchtlinge und Integration sein. Mitunter ist es fehlendes Wissen, nicht zuletzt, weil Wörter und des Landes Nordrhein-Westfalen deren Bedeutung nicht bekannt sind. Im falschen Kontext benutzt, Twitter: www.twitter.com/chancennrw / @chancennrw können sie Haltungen und Handlungen auslösen. Korrektes Vokabular, Facebook: www.facebook.com/chancennrw Sensibilität für Identitätsbezeichnungen des Gegenübers und grund- Instagram: www.instagram.com/chancen_nrw 7 8
ABKÜRZUNG LSBTIQ* ALLGEMEINES GLEICHBEHANDLUNGS- GESETZ (AGG) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, besser bekannt unter dem Namen Antidiskriminierungsgesetz, hat genau dies zum Ziel: Es soll dafür sorgen, dass alle Menschen gleich Diese Buchstabenkombination steht für: lesbisch, schwul, behandelt werden – egal, woher sie kommen oder wie alt sie bisexuell, transgeschlechtlich, intergeschlechtlich und queer. sind; ob oder an welchen Gott sie glauben; ob sie gehörlos sind Das Sternchen* (auch Gender-Star genannt) wird ebenso wie oder im Rollstuhl sitzen; egal, welchem Geschlecht sie angehö- der Unterstrich_ (auch Gender- Gap genannt) als Platzhalter ren oder wen sie lieben. Falls sie aus einem dieser Gründe dis- verwendet, um alle Geschlechter und Identitäten über kriminiert – also z.B. nicht eingestellt, schlechter bezahlt oder „männlich“ und „weiblich“ hinaus sichtbar zu machen. belästigt werden – können sie dagegen klagen. Neben der Dis- kriminierung im Berufsleben soll das Gesetz auch verhindern, Die Abkürzung LSBTIQ* soll alle geschlechtlichen und nicht- dass Menschen aufgrund von bestimmten Merkmalen benach- heterosexuellen Identitäten abbilden. Der Gender-Gap und der teiligt werden. Wenn also z.B. eine Wohnungsbaugesellschaft Gender-Star sorgen durch ihre Platzierung im Wort (Akteur_in- grundsätzlich nicht an Menschen mit Migrationsbiografie ver- nen oder Akteur*innen) dafür, dass beim Lesen mehr als nur ein mietet oder eine private Krankenversicherung grundlos höhere oder zwei Geschlechter mitgedacht werden. In der deutschen Beiträge von Frauen verlangt, dann ist das ein Fall für das AGG. Sprache wird meist das generische Maskulinum verwendet, das Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen wegen der ethnischen heißt die männliche Form (Akteur) soll für alle gelten, alle mei- Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, nen, alle ansprechen. Mehrere Studien zur Textwahrnehmung einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu haben aber gezeigt, dass die Verwendung der rein männlichen verhindern oder zu beseitigen. Form dazu führt, dass Frauen, transgeschlechtliche, inter- Letzteres ist ein Novum: Mit dem Allgemeinen Gleichbehand- geschlechtliche und nichtbinäre Menschen nur sehr selten lungsgesetz, das 2006 verabschiedet wurde, haben Menschen gedanklich mit einbezogen werden. Wichtig ist deshalb eine zum ersten Mal die Möglichkeit, sich gegen Diskriminierung geschlechterbewusste Sprache, die alle einbezieht und dadurch aufgrund ihrer sexuellen Identität zu wehren. Zwar bestimmt ihren Beitrag leistet, Geschlechter- und Rollenklischees zu ver- auch das Grundgesetz in Artikel 3, dass niemand wegen der meiden. Ausgesprochen werden Gender-Gap und -star durch oben genannten Merkmale benachteiligt werden darf, aber ein eine hörbare, kurze Pause zwischen den getrennten Wortteilen. Merkmal fehlt dabei: die sexuelle Identität. 9 10
ASEXUELL / BISEXUELL / ASEXUALITÄT BISEXUALITÄT Asexuelle Menschen haben kein Verlangen nach Sexualität mit anderen Menschen. Es handelt sich also in der Regel nicht um eine bewusste Entscheidung, auf Sex zu verzichten, wie sie z.B. katholische Priester mit dem Zölibat treffen, sondern um die Abwesenheit sexueller Erregung oder deren Ablehnung. Auch hier gibt es – wie so oft, wenn es um die sexuelle Identität geht – verschiedene Varianten. Manche asexuelle Menschen verlieben sich und möchten körperliche Nähe und Zärtlichkeit zu ihrem_r Partner_in, haben aber darüber hinaus Bisexuelle Menschen (nach der lateinischen Vorsilbe keinerlei Bedürfnis nach Sexualität mit ihm_ihr. Anderen bi- = zwei) fühlen sich sexuell und/oder emotional zu ist auch das Gefühl romantischer Liebe fremd. Auch die Art, Männern und Frauen hingezogen. ob und wie Asexuelle Erregung erleben, ist unterschiedlich. Manche empfinden generell keine oder kaum Erregung, andere Nationaltorhüterin Nadine Angerer hat es so ausgedrückt: „Ich masturbieren, ohne dass sich ihre Lust dabei auf einen anderen persönlich bin da offen, weil ich der Meinung bin, dass es nette Menschen richtet. Wiederum andere empfinden Erregung, Männer und nette Frauen gibt, und weil ich eine Festlegung erleben sie aber nicht als angenehm. Weil Menschen, die offen generell total albern finde.“ Sigmund Freud stellte die These mit ihrer Asexualität umgehen, häufig auf irritierte Reaktionen auf, dass im Grunde alle Menschen bisexuell seien, also die stoßen, haben Asexuelle 2001 in den USA das Asexual Visibility Fähigkeit besitzen, Männer wie Frauen zu lieben und/oder zu and Education Network (AVEN) gegründet. Es ist inzwischen zu begehren. Bisexuelle sind vielen Vorurteilen ausgesetzt, sowohl einer weltweiten Community angewachsen – seit 2005 existiert von heterosexueller als auch von homosexueller Seite. Während auch eine deutsche Website – und soll Akzeptanz gegenüber Hetero- und auch Homosexualität meist mit Zuneigung, Liebe asexuellen Lebensweisen schaffen.www.aven-info.de und Sexualität assoziiert werden, nehmen viele Menschen Bi-sexualität vor allem oder ausschließlich über die Sexualität wahr. Bisexuelle Menschen werden also oft übersexualisiert definiert oder dargestellt, auch wenn sie selbstverständlich ein ebenso komplexes Gefühlsleben wie Hetero- und Homosexuelle haben. Das führt dazu, dass viele sich nicht outen – aus Angst, nicht anerkannt, nicht ernstgenommen oder nur sexuell wahr- genommen zu werden. 11 12
CISGESCHLECHTLICH / CISGESCHLECHTLICHKEIT Cisgeschlechtlichkeit (von der lateinischen Vorsilbe den Begriff oder machen sich darüber lustig. Das liegt meist cis- = „diesseits“) ist das Gegenteil von Transgeschlechtlichkeit daran, dass Cisgeschlechtlichkeit als „die Norm“wahrgenom- (trans- = jenseits von, über … hinaus). Cisgeschlechtliche men wird und daher als nicht erwähnenswert gilt. Dies bedeu- Menschen identifizieren sich mit dem Geschlecht, das ihnen tet aber auch, dass trans- oder intergeschlechtliche Menschen bei der Geburt zugewiesen wurde. dadurch zu „von der Norm abweichende“ Menschen gemacht werden und die Privilegien, die cisgeschlechtliche Menschen Eine Cis-Frau ist also eine Person, die bei der Geburt dem weib- genießen, unsichtbar gemacht werden (siehe Transphobie / lichen Geschlecht zugewiesen wurde und sich auch als Frau Transfeindlichkeit / Cissexismus). Deshalb ist es gut, Cis- identifiziert. Und ein Cis-Mann ist eine Person, die bei der geschlechtlichkeit zu benennen, um zu verdeutlichen, dass Geburt dem männlichen Geschlecht zugewiesen wurde und es keine Selbstverständlichkeit ist, dass das Geschlecht einer sich auch als Mann identifiziert. Das Konzept führte der Sexual- Person dem Geschlecht entspricht, was bei der Geburt ein- wissenschaftler Volkmar Sigusch 1991 ein. Er wollte damit zum getragen wurde. Ausdruck bringen, dass es Cisgeschlechtlichkeit geben muss, wenn es Transgeschlechtlichkeit gibt. Die meisten cisgeschlechtlichen Menschen kennen diesen Begriff für ihr Geschlecht nicht. Einige wehren sich sogar gegen 13 14
COMING-OUT COMMUNITY Coming-out heißt wörtlich „herauskommen“ und meint den Schritt, mit der eigenen sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität an die Öffentlichkeit zu gehen. Der in Deutschland wohl berühmteste Coming-out-Satz stammt von Klaus Wowereit: „Ich bin schwul – und das ist auch gut so!“ sagte der Berliner Politiker, als er 2001 zum Bürgermeister- Kandidaten gewählt werden sollte. Vorher wollte Wowereit seine Homosexualität öffentlich machen und wählte dazu die- sen selbstbewussten Ausspruch. „Ja, wir sind ein Paar!“ erklär- ten die TV-Moderatorin Anne Will und die Kommunikations- wissenschaftlerin Miriam Meckel auf Nachfrage der Presse und beendeten damit 2007 die Heimlichkeit um ihre Beziehung. Natürlich ist die Öffentlichkeit nicht immer so groß wie bei Prominenten wie Will oder Wowereit. Für die meisten LSBTIQ* ist es aber auch ein großer Schritt, „es“ den Eltern, dem Freund_ Community heißt Gemeinschaft – also eine Gruppe von innen-Kreis oder dem kollegialen Umfeld zu sagen. Eine Ent- Menschen, die sich in einer vergleichbaren oder ähnlichen scheidung, die mitunter Mut erfordert. Bevor Menschen diesen Lebenssituation befinden. Schritt nach außen gehen können, sollte zunächst das „innere Coming-out“ abgeschlossen sein, also der Prozess, sich selbst zu In diesem Fall ist die Community also die Gruppe derjenigen, erkennen und anzunehmen. Dieser Prozess kann als Jugend- die aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität liche_r, aber auch erst im Erwachsenenalter stattfinden und ähnliche Erfahrungen teilt und in diesem Zusammenhang durch Personen des Vertrauens unterstützt werden. aktiv ist. Zur Community gehört also das Beratungszentrum Im englischen Sprachraum kommen Menschen übrigens „out of für Lesben und Schwule genauso wie das Volleyballteam für the closet“, also „aus dem Schrank“. Dieser Schrank symbolisiert FLTI* (Frauen, Lesben, Trans*, Inter*), die Selbsthilfegruppe die Enge und das Eingesperrtsein in den Normen einer Gesell- für trans*- oder inter*Menschen, der bisexuelle Stammtisch schaft, die Heterosexualität und das binäre Geschlechtermodell und das Schwule Museum. Also alle, die sich in irgendeiner (Mann, Frau) oft als einzig mögliche Lebens- und Liebensmodelle Form zusammentun und handeln, um Selbstbewusstsein und betrachtet. Das Coming-out ist ein Prozess, den Menschen Solidarität zu stärken – oder auch einfach gemeinsam Spaß selbstbestimmt und in selbst gewählten Schritten gehen. Es ist zu haben. Im Gegensatz zu dem Begriff „Szene“ wird mit nicht zu verwechseln mit dem Outing, das meist gegen ihren dem Begriff „Community“ das Zusammengehörigkeitsgefühl Willen von Dritten initiiert wird. stärker betont. 15 16
CSD Unter seiner Abkürzung CSD ist er mittlerweile wohl besser bogenparade, in englischsprachigen und romanischen Ländern bekannt als unter seinem vollen Namen: Christopher Street Day. wird meist von Gay Pride, Pride Parades oder einfach Pride gesprochen. In Australien sind die Paraden mit der Karne- Am 28. Juni 1969 setzten sich trans*Personen, Schwule und valstradition vermischt worden und heißen deswegen Mardi Lesben gegen eine Razzia der Polizei im Szene-Lokal „Stone- Gras. Während sich in den 1980er Jahren gerade einmal ein wall Inn“ in der New Yorker Christopher Street zur Wehr. Lange paar Hundert Teilnehmende in Metropolen wie Berlin oder hatten sie die brutale Polizeiwillkür ertragen – an diesem 28. Köln auf die Straße wagten, nehmen heute Zehntausende an Juni verbarrikadierten sie sich im „Stonewall Inn“ und sperrten den Demonstrationen und Paraden teil, die Hunderttausende die Ordnungskräfte aus. Der mutige und spektakuläre Auf- Zuschauer_innen anziehen. Während die CSDs in einigen stand gegen die Diskriminierung von Lesben, Schwulen und Ländern einen volksfestähnlichen Charakter haben und sich trans*Personen ging um die Welt und machte die Christopher auch beim heterosexuellen Publikum großer Beliebtheit er- Street berühmt. Seither wird der Christopher Street Day in freuen, kämpfen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und vielen Ländern mit Paraden und Straßenfesten gefeiert, um für Queers in manchen anderen Ländern immer wieder gegen das Akzeptanz und Anerkennung zu demonstrieren und die eigene Verbot ihrer Demonstrationen – und gegen massive Angriffe Lebens- und Liebesform mit Stolz (engl. Pride) zu zeigen. durch rechtsgerichtete, LSBTIQ*-feindliche Gruppierungen und Staatsmächte. In Deutschland und der Schweiz ist die Bezeichnung Christopher Street Day üblich. In Österreich heißt es Regen- 17 18
EINGETRAGENE LEBENSPARTNERSCHAFT/ EHE Das Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft trat im gab es in der Eingetragenen Lebenspartnerschaft Ungleich- August 2001 in Kraft. Danach konnten zwei Menschen gleichen heiten: Das volle Adoptionsrecht blieb gleichgeschlechtlichen Geschlechts eine rechtlich verbindliche Partner_innenschaft Paaren verwehrt (siehe Regenbogenfamilie). auf Lebenszeit miteinander eingehen. Seit dem 1. Oktober 2017 In einem Urteil des Verfassungsgerichtes im Jahr 2013 heißt können gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland heiraten. es: „Unterschiede zwischen Ehe und Eingetragener Lebenspart- nerschaft, welche die ungleiche Ausgestaltung der Adoptions- Das Lebenspartnerschaftsgesetz enthielt zunächst nur wenige möglichkeiten rechtfertigen könnten, bestehen nicht.“ Trotz des eheliche Rechte, sondern vor allem die ehelichen Pflichten, wie Urteils des höchsten deutschen Gerichts wurde diese Diskrimi- z.B. die Versorgungspflicht. So durften zwar die „Verpartnerten“ nierung zunächst nicht aufgehoben. einen gemeinsamen Namen tragen und ein_e ausländische_r Partner_in erhielt ein Aufenthaltsrecht. Alle weiteren Rechte Am 30. Juni 2017 wurde die Öffnung der Ehe für Lesben und blieben ihnen aber verwehrt. Schwule im Bundestag beschlossen. Gleichgeschlechtliche Paare können ab Oktober 2017 in Deutschland heiraten und Im Laufe der letzten Jahre wurde die Eingetragene Lebenspart- gemeinsam Kinder adoptieren. Nach wie vor bleibt eine Un- nerschaft der heterosexuellen Ehe immer weiter angeglichen. gleichheit bestehen: Ein Kind, das durch Insemination in eine Dazu trugen maßgeblich die Urteile des Bundesverfassungsge- gleichgeschlechtliche Ehe geboren wird, gilt nicht automatisch richts bei, das die Ungleichbehandlung gleichgeschlechtlicher als Kind beider Partner_innen (siehe Regenbogenfamilie). Paare – z.B. in der Hinterbliebenenversorgung, im Erbrecht, im Einkommenssteuerrecht und bei der Sukzessivadoption – für verfassungswidrig erklärt hat. Auch bei der Familiengründung 19
GENDER/GESCHLECHT/ GESCHLECHTLICHE IDENTITÄT In der deutschen Sprache gibt es schlicht keine Entsprechung ihr Geschlecht angleichen oder ohne eine solche Operation ihr für das englische Wort „Gender“. Die bloße Übersetzung in Frausein leben? (siehe Transgeschlechtlichkeit) „Geschlecht“ reicht nicht aus. Oder: Welchem Geschlecht fühlt sich ein intergeschlechtlicher Mensch zugehörig? (siehe Inter* / Intergeschlechtlichkeit) Oder: Denn im Englischen gibt es zwei Begriffe für „Geschlecht“, die Hat ein Mensch vielleicht keines der rechtlich anerkannten etwas völlig verschiedenes meinen: „Sex“ ist das biologische Geschlechter („Mann“, „Frau“, „inter / divers“)? (siehe nichtbinär) Geschlecht, das sich durch die Geschlechtsorgane definieren Welches Aussehen, welches Verhalten und welche Rolle eine kann, aber nicht muss (siehe Trans*, Inter*, nichtbinär). Und Gesellschaft als „typisch männlich“ oder „typisch weiblich“ Gender meint das „soziale Geschlecht“, das sich unabhängig von betrachtet und einfordert, oder ob eine Gesellschaft weitere körperlichen Merkmalen manifestiert. Das soziale Geschlecht Geschlechter anerkennt, kann demnach je nach Epoche und muss also nicht dem biologischen Geschlecht entsprechen. Lebensraum sehr unterschiedlich sein. Im Juni 2011 ver- abschiedete der Menschenrechtsrat der UNO eine Resolution, Das Geschlecht eines Menschen ist unabhängig vom Körper, wonach kein Mensch wegen seiner_ihrer Geschlechtsidentität das heißt, aufgrund der äußeren Erscheinung eines Menschen (Gender Identity) verfolgt und diskriminiert werden darf. kann nicht auf das Geschlecht dieses Menschen geschlossen Das Recht auf die individuelle Geschlechtsidentität ist also werden. Menschen, deren Körper der gesellschaftlichen Norm ein Menschenrecht. für ein bestimmtes Geschlecht entsprechen, gehen häufig davon aus, dass beides automatisch zusammengehört (z.B. dass ein Mensch mit einem Körper, der von seinem Umfeld als “männlich” eingestuft wird, auch männlich sei). Die Art und Weise, wie ein Mensch sein Geschlecht lebt, kann variieren: Will eine Person, der bei der Geburt das Geschlecht „männlich“ zugewiesen wurde, die aber eine Frau ist, durch eine Operation 21 22
HETEROSEXUELL/ HETEROSEXUALITÄT/ HETERONORMATIVITÄT Der griechische Begriff „hetero“ bedeutet „verschieden“ oder Soweit die sprachliche Herkunft. Wer in ein wenige „ungleich“ (im Gegensatz zu „homo“ = gleich). Heterosexuelle Jahrzehnte altes Fremdwörterlexikon von 1990 schaut, Frauen* lieben oder begehren also Männer*, heterosexuelle entdeckt eine andere Definition: „normale Sexualität“ steht Männer* lieben oder begehren Frauen*. dort unter dem Begriff „Heterosexualität“, und entsprechend unter „heterosexuell“: „normal sexuell“. Lange Zeit galt Heterosexualität, also Sexualität zwischen Männern und Frauen, als Norm. Andere Formen der Sexualität wurden dagegen als Abweichung oder gar als Krankheit betrachtet. Diese Haltung wird „Heteronormativität“ genannt. Sexuelle Identitäten sind allerdings – genau wie geschlechtliche Identitäten – vielfältig und gleichwertig. Bewertungen wie „normal“ oder „unnormal“ sind hier fehl am Platze, weil sie verletzen und diskriminieren (siehe normal / Normalität). 23 24
HOMOFEINDLICHKEIT/ HOMOPHOBIE/ HETEROSEXISMUS Homophobie meint in der Regel alle negativen Einstellungen meisten Fällen nicht um eine pathologische Angst (Phobie) gegenüber Lesben und Schwulen, die sich in Vorurteilen und handelt. Immer öfter werden die Begriffe Homonegativität oder Abwertung, der Befürwortung von Diskriminierung bis hin zur Homofeindlichkeit verwendet, um zu verdeutlichen, dass es Gewaltausübung äußern können. sich um abwertende oder feindliche Einstellungen gegenüber Lesben und Schwulen handelt. Wissenschaftler_innen stellen sie in eine Reihe mit z.B. Rassis- mus, Sexismus oder Behindertenfeindlichkeit und sehen als Von einigen wird der Begriff Heterosexismus als noch passen- Ursache dieser „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ der empfunden, womit die Abwertung von nicht-heterosexuel- eine Ideologie der gesellschaftlichen Ungleichwertigkeit. Die ler Identität, Verhalten, Beziehung oder Gemeinschaft gemeint Wurzeln der jeweiligen Abwertung haben dabei meist eine ist. Heterosexismus kann z.B. auch in der Politik oder gesell- lange gesellschaftlich verankerte Geschichte. Auch Sexual- und schaftlichen Strukturen eine Rolle spielen. Die International Geschlechtsrollennormen und religiöse Vorstellungen prägen Lesbian, Gay, Bisexual, Trans And Intersex Association (ILGA) die Einstellungen zu Homosexualität. Der Begriff Homophobie macht die weltweit sehr unterschiedliche rechtliche Situation wird mittlerweile oft kritisch gesehen, weil es sich in den aller- von LSBTIQ* u.a. auf digitalen Landkarten sichtbar: www.ilga.org 25 26
HOMOSEXUELL/ HOMOSEXUALITÄT Der griechische Begriff „homo“ bedeutet „gleich“ (im Gegensatz International Classification of Diseases (ICD), der internatio- zu „hetero“ = ungleich, verschieden). Homosexuelle Frauen* nalen statistischen Klassifikation von Krankheiten. Heute ist lieben oder begehren also Frauen* (siehe lesbisch) und homo- Homosexualität in Teilen der Welt als Lebens- und Liebensent- sexuelle Männer* lieben und begehren Männer* (siehe schwul). wurf anerkannt. In anderen Teilen scheinen sich Vorurteile und Ablehnung gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensweisen Der Begriff „Homosexualität“ taucht erstmals Ende des 19. Jahr- jedoch zu halten oder gar zu verstärken. hunderts auf, als sich – nach der Kirche und der Justiz – auch die Medizin und Psychiatrie mit der Liebe zwischen Frauen Untersuchungen schätzen die Zahl der Menschen, die aus- bzw. Männern zu befassen begann und sie pathologisierte. schließlich homosexuell leben, auf fünf bis sieben Prozent. Von da an dauerte es noch ein Jahrhundert, bis Homosexualität Die Zahl derjenigen, die sich nicht ausschließlich, aber auch in Deutschland offiziell nicht mehr als Krankheit oder Verbre- zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlen, scheint erheblich chen betrachtet wurde: 1969 wurde der § 175 StGB, der sexuelle größer zu sein (siehe bisexuell, pansexuell). Beziehungen zwischen Männern unter Strafe stellte, erstmals abgeschwächt, aber erst 1994 vollständig gestrichen (siehe § 175 StGB / Homosexuellenverfolgung). Erst 1992 entfernte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Homosexualität aus der 27 28
INKLUSION „Inklusion“ heißt „Einschluss“. Im Umkehrschluss bedeutet setzt voraus, dass der gängige Begriff der Normalität im Sinne das, niemanden auszuschließen. Bei der Idee der Inklusion von Normensetzung außer Kraft gesetzt wird (siehe normal / geht es also darum, dass jeder Mensch mit seinen Besonder- Normalität). Normal ist Vielfalt. Und Vielfalt bereichert: Stu- heiten – seiner sexuellen Identität, seiner Behinderung, seiner dien zeigen, dass z.B. die Leistung eines Unternehmens steigt, Herkunft oder seines Aussehens – ein vollwertiges und akzep- wenn dort bewusst Menschen mit unterschiedlichen Zuge- tiertes Mitglied der Gesellschaft ist. hörigkeiten angestellt werden (Diversity Management). Der Grund: Ein Team, in dem Menschen arbeiten, die verschiedene Ein- bzw. ausgeschlossen kann ein Mensch gleich mehrfach Erfahrungen und daraus folgende Kompetenzen mitbringen, sein. So kann es z.B. passieren, dass ein Schwarzer schwuler kann Probleme effektiver lösen. Außerdem verbessert sich das Mann mehrfach diskriminiert wird: als Schwarzer Deutscher Klima durch die Anerkennung und Wertschätzung von Viel- (Rassismus) und als schwuler Mann (Homofeindlichkeit). falt, was wiederum ebenfalls zu besseren Ergebnissen führt. Eine Lesbe mit Behinderung kann auf gleich drei Ebenen aus- Selbstverständlich sollte es bei der Anerkennung von Vielfalt gegrenzt sein: aufgrund ihres Geschlechts (Sexismus), ihrer nicht vorrangig um wirtschaftliche Aspekte gehen. Ziel sollte sexuellen Identität (Homofeindlichkeit) und aufgrund ihrer sein, die menschliche Vielfalt wertzuschätzen – einfach weil Behinderung (Behindertenfeindlichkeit; siehe auch Mehrfach- sie existiert. zugehörigkeit / Mehrfachdiskriminierung). Inklusion bedeutet das Gegenteil davon: nämlich die Aufnah- me jedes Menschen in seine_ihre Gemeinschaft(en). Und das 29 30
INTER*/INTER- GESCHLECHTLICHKEIT Inter* bezeichnet Menschen, deren angeborene genetische, Deutschland noch nicht. Das deutsche Personenstandsgesetz, hormonelle oder körperliche Merkmale weder ausschließlich wonach in der Geburtsurkunde „männlich“ oder „weiblich“ „männlich“ noch ausschließlich „weiblich“ sind. eingetragen werden musste, wurde Ende 2013 geändert. Seither soll der Geschlechtseintrag im Geburtenregister Die Merkmale können gleichzeitig typisch für diese beiden bei intergeschlechtlich geborenen Kindern offen gelassen oder nicht eindeutig für eines von diesen Geschlechtern sein. werden, wenn Ärzt_innen das Geschlecht nicht „weiblich“ Das kann sich in den sekundären Geschlechtsmerkmalen (z.B. oder „männlich“ zuordnen können. Ein Beschluss des Muskelmasse, Haarverteilung, Brüste und Statur) zeigen oder Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus Oktober 2017 forderte in den primären Geschlechtsorganen (Fortpflanzungsorgane den Gesetzgeber auf, einen positiven dritten Geschlechtseintrag und Genitalien) und/oder in chromosomalen Strukturen und zu schaffen. Im Fokus des BVerfG-Beschlusses steht das Hormonen. Sehr problematisch ist, dass inter*Menschen Selbstbestimmungsrecht für alle Menschen, unabhängig von nach wie vor pathologisiert werden, d.h. sie gelten als „krank“ ihrem Geschlecht. Eine intergeschlechtliche Person hatte oder „abnorm“. Immer noch unterliegen neugeborene Inter* geklagt, weil für sie kein korrekter Personenstandseintrag geschlechtsverändernden Eingriffen ohne deren Einwilligung, möglich war. Die klageführende Person wurde dabei von der da sie oftmals im Kindesalter vorgenommen werden. Eine Kampagne Dritte Option unterstützt. Position der Dritten Option medizinische Notwendigkeit besteht jedoch meist nicht, und z.B. auch des Deutschen Instituts für Menschenrechte ist, denn in der Regel sind inter*Personen völlig gesund. Sie dass der neue Geschlechtseintrag nicht nur für inter*Menschen können allerdings später schwer an den psychischen und zur Verfügung stehen darf, sondern auch für nichtbinäre physischen Folgen der ärztlichen Eingriffe leiden. Ein Verbot Menschen (siehe nichtbinär / Nichtbinarität), d.h. für alle von medizinisch unnötigen operativen Eingriffen, die gegen Menschen, die weder „weiblich“ noch „männlich“ sind. das Recht auf körperliche Unversehrtheit verstoßen, gibt es in Mehr Informationen unter: www.dritte-option.de 31 32
INTERSEXUELL/ INTERSEXUALITÄT Ursprünglich medizinischer Sammelbegriff, der betont, dass es sexuelle Identität (diese Verwechslung kommt auch bei trans- bei der Ausbildung der menschlichen Geschlechtsmerkmale geschlechtlichen Menschen vor, siehe transsexuell / Transse- viele Zwischenstufen zwischen „weiblich“ und „männlich“ gibt. xualität).Fachleuten zufolge kommen jedes Jahr in Deutschland rund 150 bis 340 Kinder auf die Welt, bei denen „weibliche“ und Der Begriff Intersexualität wurde 1915/16 von dem Genetiker „männliche“ Geschlechtsmerkmale vorhanden sind. Richard Goldschmidt geprägt. 2006 wurde er im medizinischen Laut Bundesregierung gibt es zwischen 8.000 und 10.000 inter- Sprachgebrauch international durch DSD (engl.: disorders of geschlechtliche Menschen in Deutschland – Inter*-Verbände sex development = Störung der geschlechtlichen Entwicklung) und -Gruppen schätzen die Zahl sogar ein Zehnfaches höher. ersetzt. Er ist aber in vielen Zusammenhängen immer noch Die UNO (United Nations Organization) beziffert den Anteil gebräuchlich. DSD suggeriert mit dem Begriff „Störung“, dass intergeschlechtlicher Menschen mit bis zu 1,7 % der Gesamt- einige Variationen menschlicher Körper „normaler“ und somit bevölkerung. wünschenswerter sind als andere. Körper, die diese Norm nicht erfüllen, gelten aus dieser Perspektive als „untypisch“ oder Inter*Menschen sind weltweit gesellschaftlich kaum sichtbar, „gestört“. denn Intergeschlechtlichkeit ist nach wie vor stark tabuisiert. Aus Angst vor Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung ste- Aber „intersexuell“ wird von vielen intergeschlechtlichen hen viele inter*Personen nicht öffentlich zu ihrer Geschlecht- Menschen auch als Selbstbezeichnung verwendet. Andere lichkeit. Ist sie bekannt, sind intergeschlechtliche Menschen lehnen den Begriff allerdings ab, weil sie sich durch ihn patho- vielfachen Diskriminierungen ausgesetzt – gesetzlich, medizi- logisiert fühlen. Inter*, Intergeschlechtlichkeit oder Zwischen- nisch und gesellschaftlich. geschlechtlichkeit werden manchmal auch lieber verwendet, weil sie nicht den Begriff „sex“ enthalten – weshalb manche Mehr Informationen unter: www.intersexuelle-menschen.de fälschlicherweise denken, es gehe bei Intersexualität um die 33 34
INTERSEKTIONAL/ LESBISCH / INTERSEKTIONALITÄT LESBE Intersektionalität (von engl. intersection = „Schnittpunkt, Namensgeberin der lesbischen Liebe ist die Insel Lesbos. Hier Schnittmenge“) bedeutet, dass verschiedene soziale Kate- lebte die griechische Dichterin Sappho im 6. Jahrhundert vor gorien – also z.B. Geschlecht, Sexualität, Hautfarbe, Herkunft, unserer Zeitrechnung und beschrieb in ihren Gedichten die Religion, Alter, soziale Herkunft – miteinander verwoben sind Liebe zwischen Frauen. und deshalb nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Das heißt, dass auch verschiedene Diskriminierungs- Zum ersten Mal politisch zu Wort meldeten sich lesbische Frau- formen wie z.B. Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit en zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zwar saßen sie zwischen zusammenhängen und in diesen Zusammenhängen betrachtet den Stühlen: der männlich dominierten Homosexuellenbewe- werden müssen. gung einerseits (siehe schwul / Schwuler) und der Frauenbewe- gung andererseits, die aus Angst vor noch mehr Anfeindungen Bei einer intersektionalen Betrachtung wird analysiert, wie keine offene Parteinahme für ihre lesbischen Aktivist_innen unterschiedliche Diskriminierungsformen zusammenwirken wagte. Dennoch protestierten einzelne Frauenrechtler_innen und welche Wechselwirkungen sie haben. Schließlich hat jeder wie die Schriftstellerin Johanna Elberskirchen dagegen, dass Mensch mehrere Zugehörigkeiten (siehe Mehrfachzugehörig- der Homosexuelle als „Psychopath, als entartetes, demoralisier- keit / Mehrfachdiskriminierung), die zu Ausschlüssen oder Ein- tes, minderwertiges Subjekt gebrandmarkt“ wird. schlüssen führen können. Die intersektionale Perspektive kann als Weiterentwicklung der Geschlechterforschung betrachtet In der Weimarer Republik organisierten sich Lesben vor allem werden und ermöglicht es, multiple Ungleichheits- und Unter- in der Metropole Berlin in „Damenclubs“ und publizieren eigene drückungsverhältnisse zu analysieren, die über die Kategorie Lesbenzeitschriften. Die Nationalsozialisten zerstörten die Geschlecht allein nicht erklärt werden könnten. lesbische Lebenswelt nachhaltig. Erst 1970 organisierten sich frauenliebende Frauen im Zuge der Frauen- und der Homosexu- ellenbewegung und nahmen den Kampf für ihre Rechte wieder auf. Seit einigen Jahren ist die Bezeichnung „Lesbe“ sogar in die offizielle Nachrichtensprache eingegangen. Dennoch wird „Lesbe“ in homofeindlichen Kreisen nach wie vor als Schimpf- wort verwendet. 35 36
MEHRFACH- ZUGEHÖRIGKEIT/ MEHRFACH- DISKRIMINIERUNG LSBTIQ* können Diskriminierung nicht nur aufgrund ihrer durch die Aussage: „In ihrem Kulturkreis hat sie keinen echten sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität Mann gefunden, deswegen ist sie lesbisch geworden!“ mehrfach erfahren. Sie haben auch immer eine soziale Herkunft, eine diskriminiert. Hier verweben sich Rassismus, Homofeindlich- Hautfarbe, einen Körper mit bestimmten Befähigungen oder keit und Sexismus: durch die rassistische Abwertung eines Beeinträchtigungen, ein Alter, eine Nationalität – sprich: sie „anderen“ Kulturkreises, die lesbenfeindliche Annahme, durch gehören zu mehreren gesellschaftlichen Gruppen, sind also einen Umstand „lesbisch werden“ zu können sowie die (hetero) mehrfachzugehörig. sexistische Haltung, dass eine Frau einen Mann finden müsse. Es ergibt sich eine spezifische Diskriminierungserfahrung, die Identitäten und Zugehörigkeiten können mit Machtverhält- nicht mit der Diskriminierung vergleichbar ist, die aus einem nissen in der Gesellschaft verbunden sein. Anhand dieser einzigen Grund geschieht. Diese spezifische Diskriminierung Zugehörigkeiten können sich gesellschaftliche Chancen wird Mehrfachdiskriminierung genannt. und der Zugang zu Ressourcen verteilen, wie z.B. zu Bildung, Arbeit oder Wohnraum. Dass mehrere Diskriminierungsformen nicht getrennt vonein- Durch die Kombination von verschiedenen Zugehörigkeiten ander betrachtet werden sollten, weil sie miteinander verwoben sind LSBTIQ* häufig von mehreren Diskriminierungsformen sind, damit beschäftigt sich die Intersektionalitätsforschung wie Rassismus, Sexismus, Altersdiskriminierung, Klassismus bzw. die intersektionale Betrachtung (siehe intersektional / usw. gleichzeitig betroffen. Beispielsweise wird eine Person Intersektionalität). 37 38
NICHTBINÄR Nichtbinäre Menschen sind weder Frauen noch Männer. zu wissen, dass sich manche Bezeichnungen nicht gegenseitig Binär (von lat. bi = „zwei“) steht hier für das in unserer Gesell- ausschließen, sondern dass die Zugehörigkeit einer Person schaft anerkannte System aus zwei Geschlechtern. Nichtbinär durchaus vielfältig und auch wandelbar sein kann. ist ein Überbegriff für unterschiedliche Geschlechter. Weil Menschen sehr gewöhnt daran sind, im binären Geschlecht- Oft wird auch der englische Begriff „nonbinary“ verwendet ersystem „männlich“ und „weiblich“ zu denken, können sie sich oder die Kurzform enby (abgeleitet von „nb“ für „nonbinary“). oft nur schwer davon lösen. Schließlich hat diese Vorstellung Manche nichtbinäre Geschlechter sind „zwischen männlich von Geschlecht eine sehr lange gesellschaftliche und rechtliche und weiblich“, manche völlig unabhängig von diesem Zweier- Geschichte. Das binäre Konstrukt prägt dadurch maßgeblich system und manche Geschlechter sind fließend (genderfluid), die gesellschaftliche Ordnung und das Denken von Menschen. d.h. nicht dauerhaft festgelegt.Das Geschlecht ist wie bei allen So fordert u.a. die Kampagne Dritte Option, dass das Recht auf anderen Menschen auch unabhängig davon, wie der Körper einen positiven dritten Geschlechtseintrag nicht nur für inter- aussieht, welcher Geschlechtseintrag im Personalausweis steht geschlechtliche Menschen gelten soll, sondern für alle, die oder welche sexuelle Orientierung ein Mensch hat. Manche weder „männlich“ noch „weiblich“ sind (siehe inter* / Inter- nichtbinäre Menschen sind inter*, viele nichtbinäre Menschen geschlechtlichkeit). sind trans* – dies trifft jedoch nicht auf alle zu. Es ist wichtig 39 40
NORMAL / NORMALITÄT Normal kommt von dem lateinischen „norma“: Richtschnur, wen lieben darf), hat sich die Vorstellung von „Normalität“ in Maßstab, Regel, Vorschrift. Die Norm steht für allgemein an- unserer Gesellschaft stark verändert. Heute gilt in dieser Hin- erkannte Standards in einer Gesellschaft. sicht vieles als „normal“, was früher als „abartig“ betrachtet und mit Ächtung, Ausgrenzung oder sogar Gefängnis (siehe § 175 Normen sind jedoch nicht in Stein gemeißelt, sondern verän- StGB / Homosexuellenverfolgung) bestraft wurde. dern sich stetig: In den 1950er Jahren war etwa eine Frau in Hosen ein unerhörter Anblick, ein Mann mit Ohrring ein Folglich ist es vielversprechend, daran zu arbeiten, dass sich die Skandal. Heute ist beides kein Thema mehr. Dass offen schwule gesellschaftlichen Normen weiter verändern – dass sich jeder Männer hohe politische Ämter bekleiden, wäre noch in den Mensch in einer Normalität der Vielfalt wiederfinden kann 1990ern undenkbar gewesen, genau wie eine lesbische TV- (siehe Inklusion). Moderatorin zur Hauptsendezeit. Was „normal“ ist, ist also relativ und häufig dem Zeitgeist unterworfen. Nicht nur in Bezug auf die Geschlechterrollen (also was Menschen sein und tun dürfen), sondern auch auf die sexuelle Identität (also wer 41
PANSEXUELL / QUEER PANSEXUALITÄT Queer ist ein offener Begriff, der alle einschließt, die mit ihrem Aussehen und / oder Verhalten heteronormativen Vorstellun- gen nicht entsprechen. „Queer“ kann eine Theorie sein, kann praktisch gelebt werden und Personen oder Bewegungen können sich als „queer“ bezeichnen. Queer entwickelte sich aus einer Kritik an diskriminierenden Ausschlüssen, die auch und gerade in lesbischen und schwulen Communitys herrschten (und herrschen). Im Zusammenhang mit der AIDS-Hysterie versammelten sich Menschen, die in den lesbischen und schwulen Communitys sowie in der Gesamt- Pansexuelle Menschen lieben und begehren Menschen unab- gesellschaft diskriminiert wurden – aufgrund ihrer Hautfarbe, hängig von ihrem Geschlecht oder ihrer Geschlechtsidentität. AIDS-Erkrankung, körperlichen Behinderung, trans*-Identität Pansexualität stellt damit das zweigeschlechtliche Modell oder ihrer von dominanten Weiblichkeits- oder Männlichkeits- infrage. entwürfen abweichenden Identitäten. Pansexualität ist eine sexuelle Identität, die nicht auf Männer „Queer“ ist auch ein wissenschaftlich geprägter Begriff, der vor und Frauen begrenzt ist, sondern auch alle anderen Geschlechter allem durch die US-amerikanische Wissenschaftlerin Judith und Geschlechtsidentitäten einschließt. Menschen sind dem- Butler bekannt wurde. Ihre Queer Theorie gab der feministi- nach pansexuell, wenn für sie mit jedem Menschen, der als schen Kritik an der Heteronormativität in den 1990er Jahren Person zu ihnen passt, Sexualität oder eine Beziehung grund- einen Namen. Queeres Denken und Handeln fordern die Vor- sätzlich möglich ist – unabhängig davon, ob die Person sich stellung heraus, es gäbe nur zwei Geschlechter, die einander als Mann, Frau, Inter*, Trans*, nichtbinär oder anders definiert. entgegengesetzt charakterisiert seien und romantisch bzw. Soweit die enge Definition. sexuell ausschließlich aufeinander bezogen seien. Eine weiter gehende Auslegung des Begriffs stellt grundsätzlich Normie- Die weite Definition von Pansexualismus kann als Bewegung rungen und Kategorien in Frage und setzt sich kritisch mit verstanden werden, die gegen ein vereinfachtes binäres Ge- Machtverhältnissen jenseits von Sexualität und Geschlecht schlechterverständnis strebt. Pansexuelle Menschen betrach- auseinander (z.B. Behinderung, Rassismus, Klassismus). ten letztlich den Menschen an und für sich und lieben und Ohne diesen herrschaftskritischen Gehalt wird das Wort oft begehren nicht in Geschlechterkategorien. auch als Überbegriff für LSBTI* verwendet. 43 44
REGENBOGENFAMILIE Die Definition ist eigentlich ganz einfach: Eine Regenbogen- tion nach der Geburt adoptieren. Viele Studien belegen, dass familie ist eine Familie, in der mindestens ein Elternteil les- es den Kindern in Regenbogenfamilien gut geht und sie sich bisch, schwul, bisexuell oder pansexuell, trans* oder inter* ist. sehr gut entwickeln. Die gemeinsame Adoption eines fremden Kindes (Gemeinsame Adoption) wurde für homosexuelle Paare Es gibt verschiedene Konstellationen, in denen Regenbogenkin- in Deutschland mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Eheöff- der aufwachsen. Die häufigste Form ist ein Frauen*paar, das mit nung im Oktober 2017 möglich. Ein Kind, das in die Ehe zweier einem oder mehreren Kindern lebt. Diese Kinder können aus Frauen* hineingeboren wird, hat aber nicht automatisch zwei einer vorangegangenen heterosexuellen Beziehung einer oder gesetzliche Mütter*. Hierfür ist noch eine Änderung des Ab- beider Partner_innen stammen. In diesen Fällen kann auch stammungsrechts erforderlich – eine Gesetzeslücke, die es zum der Vater weiterhin für das Kind eine Rolle spielen. Immer öfter Schutz der Kinder noch zu schließen gilt. Das Verfahren der entscheiden sich Frauen*paare auch dafür, ein oder mehrere Stiefkindadoption diskriminiert und belastet die Familien sehr. Kinder durch Insemination, also durch eine Samenspende, zu bekommen. Sie kann von einer Samenbank stammen oder eine Hinsichtlich der Situation von trans- und intergeschlechtlichen private Samenspende sein. Im Juli 2018 ist das neue Samen- Eltern, sowohl was die reproduktionsmedizinische Behandlung spenderregistergesetz in Kraft getreten. Es regelt die Kenntnis als auch die angemessene Eintragung der Elternschaft in die der eigenen Abstammung für alle Kinder, die über Samenspen- Geburtsurkunde anbelangt, sind noch einige rechtliche Hürden de entstanden sind. zu nehmen. Beispielsweise diskriminiert die deutsche Rechts- Darüber hinaus finden Pflegekinder immer häufiger in Regen- lage aktuell Transmänner, die gebären, als auch Transfrauen, bogenfamilien ein neues Zuhause. Und natürlich leben auch die ihr Sperma in die Zeugung eingebracht haben: Ein Trans- Männer*paare als Eltern mit Kindern, die dann meist aus mann wird als Mutter eingetragen, eine Transfrau als Vater. einer früheren heterosexuellen Beziehung stammen oder als Denn im deutschen Abstammungsrecht wird die Elternschaft Pflegekinder angenommen wurden. Manche schwule Paare nicht im personenstandsrechtlichen Geschlecht der Eltern gehen den Weg einer Leihmutterschaft im Ausland. Manchmal eingetragen, sondern mit der Geschlechtsbezeichnung, die bei entscheiden sich je ein Frauen*- und ein Männer*paar dafür, der Geburt zugewiesen wurde. Selbst gewählte Eintragungen gemeinsam eine Familie zu gründen. Der Begriff hierfür ist als Elternteile – z.B. Mutter, Vater, Fürsorgende_r – wären not- Queer-Family. Eine rechtliche Absicherung für diese Familien- wendig, um ein Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung zu form, also eine Mehrelternschaft, gibt es bisher nicht. Das ist verwirklichen, sowohl für nichtbinäre, transgeschlechtliche als ein Nachteil für Kinder und Eltern. Die rechtliche Situation der auch intergeschlechtliche Eltern. Kinder in Regenbogenfamilien hat sich inzwischen verbessert: Seit 2005 können eingetragene Lebenspartner_innen das leib- Mehr Informationen zu Regenbogenfamilien auf: liche Kind des_der Partner_in im Rahmen der Stiefkindadop- www.regenbogenfamilien-nrw.de 45 46
REGENBOGENFLAGGE ROSA WINKEL/ SCHWARZER WINKEL Sie ist ein internationales Symbol für die Emanzipations- Mit dem Rosa Winkel wurden während des National- bewegung von Lesben und Schwulen und ihren Kampf um sozialismus homosexuelle Männer als Häftlinge in den Akzeptanz und Gleichberechtigung. Konzentrationslagern gekennzeichnet. Sie wurde 1978 in San Francisco von dem amerikanischen Als KZ-Insassen waren Häftlinge mit dem Rosa Winkel auf der Künstler Gilbert Baker auf Wunsch schwuler Aktivisten ent- untersten Stufe der Lagerhierarchie und oft besonders schlim- worfen, die auf der Suche nach einem positiven Symbol für ihre men Demütigungen und Misshandlungen ausgesetzt. In den Aktionen waren. Die Regenbogenflagge hatte zunächst acht 1970er Jahren widmete die Schwulenbewegung den Rosa Streifen, wobei die acht Farben für Baker die Sexualität, das Winkel um, indem sie das Zeichen ihrer Unterdrückung Leben, die Gesundheit, die Sonne, die Natur, die Kunst, die bewusst trug – und machte es so zu einem stolzen Symbol Harmonie und die Seele symbolisieren sollten. Als die Flagge für schwules Selbstbewusstsein. Homosexualität unter Frauen in die Massenproduktion ging, wurden die Farben aus prakti- stand in Deutschland nie unter Strafe. In Einzelfällen wurden schen Gründen auf sechs reduziert. aber auch lesbische Frauen in Konzentrationslager eingeliefert Mit ihren Farben rot-orange-gelb-grün-blau-violett gilt sie und mit dem Schwarzen Winkel als „Asoziale“ stigmatisiert oder heute als Zeichen für die bunte Vielfalt der Communitys. Sie als „Minderwertige“ gekennzeichnet. Bei Frauen waren das in weht auf den Christopher Street Day-Demonstrationen, pappt erster Linie ein den Nazis nicht genehmes Sexualverhalten als Aufkleber auf Autos und Fahrrädern oder in den Schaufens- wie uneheliche Mutterschaft, lesbische Beziehungen, „sittliche tern von Geschäften, die zeigen wollen, dass sie „gay friendly“ Verwahrlosung“, „häufig wechselnde Geschlechtspartner“ oder sind. Mitte 2017 wurde über die Hashtag-Kampagne #MoreCo- der Vorwurf, eine „pflichtvergessene“ Mutter zu sein (siehe § 175 lorMorePride eine neue Regenbogen-Flagge bekannt, die zu- StGB Homosexuellenverfolgung). sätzlich die Farben Braun und Schwarz hat. Sie soll Schwarze Menschen und Menschen of Color bewusst inkludieren und sichtbar machen. Es gibt noch etliche weitere Flaggen als Erkennungs- und Antidiskriminierungssymbole, z.B. für Intergeschlechtlichkeit, nichtbinäre Menschen und Trans- geschlechtlichkeit (siehe Übersicht S. 59). 47
SCHWUL/SCHWULER Ein schwuler Mann* ist homosexuell, sprich: gleichgeschlecht- Der Nationalsozialismus bereitete der frühen Emanzipations- lich orientiert. Er liebt und begehrt also Männer*. bewegung ein brutales Ende. Erst Anfang der 1970er Jahre formierte sich die Schwulenbewegung wieder neu. Ihre Erfolge Zudem beschreibt „Schwulsein“ auch eine soziale, kulturelle werden zurückgeworfen, als Mitte der 1980er Jahre mit der und politische Identität, die sich in dem Zugehörigkeitsgefühl zunächst als „Schwulenseuche“ gebrandmarkten Immun- zu anderen Schwulen, sowie deren Gruppen und Initiativen aus- schwächekrankheit AIDS die Diskriminierung wieder auf- drückt (siehe Community). Zum ersten Mal organisierten sich flammte. Aus dieser Bedrohung verstärkte die Schwulenbewe- schwule Männer Ende des 19. Jahrhunderts. Mit seinem 1897 gung ihren politischen Kampf für Akzeptanz und entwickelte gegründeten „Wissenschaftlich Humanitären Komitee“ (WHK) Versorgungsstrukturen wie AIDS-Hilfen, Beratungsstellen und kämpfte der Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld gegen Arbeitsgemeinschaften. Weiterhin fordert sie gleiche Rechte, die Pathologisierung und Kriminalisierung der Homosexuali- von denen bis heute bereits einige verwirklicht worden sind tät (siehe § 175 StGB / Homosexuellenverfolgung) und erklärte: (siehe Eingetragene Lebenspartnerschaft / Ehe). „Die Homosexualität ist weder Krankheit noch Entartung, noch Laster noch Verbrechen, sondern stellt ein Stück der Naturord- nung dar.“ In der Weimarer Republik blühte nicht nur eine bunte schwule Subkultur, auch Organisationen wie der „Bund für Men- schenrecht“ setzten sich für Akzeptanz und die Abschaffung des § 175 StGB ein. 49 50
SEXUELLE IDENTITÄT/ TRANS* SEXUELLE ORIENTIERUNG Während sich die geschlechtliche Identität auf die Zugehörig- Das Sternchen ist ein Platzhalter für alle Begriffe, die an die keit zu einem Geschlecht oder mehreren bezieht, geht es bei Vorsilbe „trans-“ (lateinisch = jenseits von, über … hinaus) an- der sexuellen Identität darum, auf welches Geschlecht (oder gehängt werden können, um die verschiedenen geschlechtli- welche Geschlechter) sich die emotionalen und sexuellen chen Identitäten zu beschreiben: Transsexualität, Transgender, Wünsche eines Menschen richten. Transidentität, Transgeschlechtlichkeit und viele weitere. Bisexualität, Heterosexualität und Homosexualität sind die Jede Identität kann in den unterschiedlichsten Ausprägungen häufigsten sexuellen Orientierungen, wobei diese Grenzen nicht auftreten – vom reinen Rollenwechsel durch Kleidung über den bei jedem Menschen klar gezogen werden können. Wie sich die sozialen Wechsel der geschlechtlichen Rolle, der Einnahme sexuelle Orientierung entwickelt, ist nicht endgültig erforscht. von Hormonpräparaten, bis hin zu chirurgischen Eingriffen wie Es herrscht aber in der Wissenschaft inzwischen weitgehend beispielsweise der Geschlechtsangleichung an das gefühlte Konsens darüber, dass dabei sowohl die Veranlagung – also Geschlecht. Trans* wird hierbei oft als Überbegriff verwendet, eine genetische oder anderweitig körperliche Disposition – eine um die unterschiedlichen geschlechtlichen Ausprägungen und Rolle spielt, als auch eine soziale Komponente. Die Sexualwis- Identitäten in einem Begriff zusammenzufassen. senschaft geht mehrheitlich davon aus, dass es sich um eine unabänderliche Prägung handelt. Je weniger eine Gesellschaft das Rollen- und Sexualverhalten normiert oder sanktioniert, desto eher ist es für Menschen denk-, fühl- und lebbar, ihre sexuelle Identität auch jenseits der mehrheitlichen Hetero- sexualität und der binären Geschlechtsrollen („Mann“ – „Frau“) zu leben. 51 52
TRANSGENDER TRANSFEINDLICHKEIT/ TRANSPHOBIE/ CISSEXISMUS Wie auch bei Homofeindlichkeit beinhaltet der Begriff Transfeindlichkeit Vorurteile, negative Einstellungen, Stig- matisierung, Abwertung, Verleugnung, Befürwortung von Diskriminierung, Diskriminierung und Gewalt gegenüber Der Begriff Transgender wird unterschiedlich verwendet. transgeschlechtlichen Menschen. Manche Menschen bezeichnen sich als Transgender, wenn In vielen Ländern der Welt sind trans*Menschen häufig Ge- ihr soziales Geschlecht (siehe Gender) ein anderes ist als das walt ausgesetzt und werden sogar ermordet. Das Projekt „Trans Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, sich Respect versus Transphobia“ führt Statistiken zu Gewalttaten aber nicht vollständig körperlich angleichen lassen. Andere und Morden sowie zur sozialen und rechtlichen Situation in verwenden Transgender als Überbegriff, ähnlich oder in der- verschiedenen Ländern und macht diese u.a. auf Landkarten selben Art wie Trans*. sichtbar: www.transrespect.org. Da jedoch Transgender auch all diejenigen mit einschließt, die Die Agentur für Grundrechte der Europäischen Union (FRA) nicht den Weg einer körperlichen Angleichung gehen, wird er kommt in ihrem Bericht zur Situation von Trans* in Europa oft als Abgrenzungsbegriff zu Transsexualität verstanden. Da 2014 zu erschreckenden Ergebnissen: 34 % aller trans*Men- es innerhalb der Communitys von transgender, transsexuellen, schen wurden innerhalb der letzten fünf Jahre Opfer von hass- transgeschlechtlichen und trans* Menschen keine Einigkeit motivierter Gewalt. Trans*Menschen beklagen in Deutschland über eine einheitliche Verwendung von Begriffen gibt, ist es auch einen höheren Anteil von hassmotivierter Belästigung: besonders wichtig, die Selbstbezeichnung von Menschen zu 26 % der befragten trans*Personen in Deutschland berichten achten. Wenn also ein Mensch transident ist und sich auch so von derartigen Übergriffen. Im EU-Schnitt sind es 22 %. Des- bezeichnet, ist es respektvoll, auch genau diese Bezeichnung halb sind Aufklärung und Antidiskriminierungsarbeit wichtige und keine andere zu benutzen, wenn über diese Person ge- Schritte auf dem Weg, trans*Menschen ein diskriminierungs- sprochen oder geschrieben wird. und gewaltfreies Leben in unserer Gesellschaft zu ermöglichen. 53
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