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3 2018 DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN Zeitschrift der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin und der Freunde und Förderer des DTMB e. V. 34. (58.) Jahrgang · Preis: 5,00 € SCHWERPUNKT: Kriegsende 1918 – Endlich Frieden? Das Ende des Ersten Weltkrieges – Technikhistorische Folgen Erst mal Funkstille – Funk, Funker und Rundfunk Von der Waffenschmiede zum Mischkonzern – Die Demilitarisierung
3 | 2018 DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN 2 Inhalt Herausgeber: Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin (SDTB) und Freunde und Förderer des Zu dieser Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Deutschen Technikmuseums Berlin e. V. (FDTM) V. i. S. d. P.: Das Ende des Ersten Weltkrieges vor hundert Jahren – Prof. Dr. Dirk Böndel (Vorstand der SDTB) und Wolfgang Jähnichen (Vorsitzender Technikhistorische Folgen des FDTM) „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 SDTB Erst mal Funkstille Trebbiner Straße 9, 10963 Berlin Funk, Funker und Rundfunk nach dem „Großen Krieg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Tel.: (030) 90 25 40, Fax: (030) 90 25 41 75 Von der Waffenschmiede zum Mischkonzern Homepage: www.sdtb.de E-Mail: info@sdtb.de Die Demilitarisierung der Spandauer Heereswerkstätten nach 1918 . . . . . . . . . . . . . . 14 Die Flügel gestutzt, auf den Rädern gelandet FDTM Trebbiner Straße 9, 10963 Berlin Der Versailler Vertrag und die Industrie in Berlin-Johannisthal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Tel.: (030) 262 20 31, Fax: (030) 26 55 81 85 Stagnation statt Fortschritt Homepage: www.fdtmb.de Der Erste Weltkrieg und die Motorisierung Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 E-Mail: info@fdtmb.de Vom Finanzamt für Körperschaften Berlin Von Reparationsloks zur Reichsbahn als besonders förderungswürdig anerkannt. Das Kriegsende als Zäsur für das deutsche Bahnwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Steuernummer: 27/655/52092 Newsletterbestellung über E-Mail: Berichterstattung zum Kriegsende newsletter@fdtmb.de Eine Presseschau technischer Fachzeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Termine der Verkehrsvereine Berlin und Branden- Die Notenstecherei Paris, Berlin burg auch unter: www.hivbb.de Fotografien einer vergangenen Handwerkskunst von Clemens Kirchner . . . . . . . . . . . 33 Die Geschäftsstelle im Stellwerk ist donnerstags Alles Gold, was glänzt? von 10 –13 Uhr geöffnet. Niederländische Museen unter der Lupe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Erscheinungsweise: Die Zeitschrift erscheint mindestens viermal im Objekt des Monats Jahr. Namentlich gezeichnete Beiträge stellen die Juli, August, September . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Meinung des Autors/der Autorin dar. Nachdruck, auch auszugsweise, nur unter Angabe Neu im „Netz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 der Quelle und Zusendung eines Belegexemplars gestattet. SDTB-Info Redaktion: Peter Raacke – Handwerk und Design . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Dr. Maria Borgmann (stellv. Chefredakteurin SDTB), Andreas Curtius (SDTB), Reinhard Demps Kalender-Blatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 (Chefredakteur FDTM), Jörg Rüsewald (SDTB, JR), Astrid Venn (SDTB) Dr. Tiziana Zugaro (stellv. FDTM-Info Chefredakteurin SDTB, tiz) Vorankündigung – Kolloquium 2018 E-Mail: zeitschrift@sdtb.de des Vereins der Freunde und Förderer des Deutschen Technikmuseums Berlin e. V. . . 46 Redaktionsbeirat: Prof. Joseph Hoppe (SDTB), Dr. Volker Koesling Buch-Tipp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 (SDTB), Herbert Liman (FDTM), Dr. Felix Lühning (SPB), Dr. Christian Neuert (SDTB), Achim Pohlman (FDTM), Lars Quadejacob (SDTB), Dr. Jürgen Rose (Förderverein der Archenhold- Sternwarte), Jörg Schmalfuß (SDTB), Claudia Schuster (SDTB), Barbara Senst (FDTM) Gestaltung: Lennart Fischer, Berlin Druck: DBM Druckhaus Berlin-Mitte GmbH, Wilhelm-Kabus-Straße 21–35, 10829 Berlin Verkaufspreis: Mitglieder des FDTM erhalten die Zeitschrift im Rahmen ihrer Mitgliedschaft. Abonnementpreis einschließlich Versandkosten 20,00 € pro Jahr. Bestellung beim FDTM. Die Lieferung erfolgt nach Vorauszahlung des Betrages auf das Konto Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe bei der Berliner Sparkasse: Andreas Curtius · Leitung Bibliothek, Theresa Hahn · Wissenschaftliche Volontärin BZI, SDTB, Dr. Eike- IBAN DE43100500000620005432 BIC BELADEBE Christian Heine · Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilung Wissenschafts- und Technikgeschichte, Universität Braunschweig, Benjamin Huth · Historiker, Eva Kudraß · Leitung Mathematik und Informatik, Auflage: Bernd Lüke · Leitung Kommunikation und Medien, Maike Priesterjahn · Wissenschaftliche Volontärin 2 000 Exemplare Schifffahrt und Nautik, Antonia Oelke · Wissenschaftliche Volontärin Science Center Spectrum, Lars Titelbild: Quadejacob · Leitung Landverkehr, Marcel Ruhl · Mitarbeiter Historisches Archiv, Jörg Rüsewald · Publikati- Der Tropfenwagen, einzigartiges aerodynami- onen Presse-, Öffentlichkeitsarbeit und Marketing, Dirk Schreiber · Wissenschaftlicher Volontär Luft- und sches Automobil, konzipiert vom Flugzeugkonst- Raumfahrt, Dr. Thomas Schuetz · Universität Stuttgart, Historisches Institut, Abt. Wirkungsgeschichte der rukteur Edmund Rumpler. Technik, Frank Steinbeck · Mitarbeiter Landverkehr, Tatjana Teller · Wissenschaftliche Volontärin Presse-, © SDTB/Foto: C. Kirchner Öffentlichkeitsarbeit und Marketing, Eveliene Veen · Wissenschaftliche Volontärin Bildung und Verkaufspreis für diese Ausgabe: Besucherservice, Isabel Wanger · Wissenschaftliche Volontärin Kommunikation und Medien, Einzelpreis 5,00 €, Versandkosten 1,65 € Frank Zwintzscher · Wissenschaftlicher Volontär Landverkehr, Dr. Tiziana Zugaro · Leitung Presse-, Öffent- lichkeitsarbeit und Marketing ISSN: 1869 – 1358
3 | 2018 DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN 3 Zu dieser Ausgabe Liebe Leserin, lieber Leser, krieg durchaus als Innovationsmotor gesehen terhin können Sie wieder überraschende „Kriegsende 1918 – endlich Frieden?“ So lau- werden: Aufgrund des militärischen Interes- Entdeckungen bei den Objekten des Monats tet der Schwerpunkt dieser Ausgabe, und wie ses wurden in die Weiterentwicklung der machen! schon 2014 möchten wir Ihnen mit einigen Flugzeuge enorme finanzielle Mittel inves- Die Freunde und Förderer des Deutschen Aspekten aus der Themenvielfalt des Deut- tiert, was technische Neuerungen beschleu- Technikmuseums freuen sich, Sie recht zahl- schen Technikmuseums die Bedeutung dieses nigte. Militärische Anforderungen standen reich bei dem diesjährigen neunten Kolloqui- Krieges noch einmal nahe bringen – dieses Mal zwar im Vordergrund, doch waren die hierfür um zu Technik und Stadtgeschichte am aus der Perspektive des Endes und der Auswir- angestellten Forschungen und Versuche spä- 12. November begrüßen zu dürfen. Auch zu kungen auf die folgende Zeitspanne bis in die ter auch für die Verkehrsluftfahrt von Nutzen. den anderen angekündigten Veranstaltungen 1930er Jahre. Hugo Junkers hatte bereits 1915 mit der J 1 sind Sie uns immer willkommen, vor allem zu Der Dichter Stefan Zweig hat schon 1942 in das erste freitragende Ganzmetallflugzeug der Ausstellung „Architectura navalis – seinem Werk „Die Welt von gestern“ vom der Welt produziert. Nach dem Krieg über- Schwimmender Barock“, die Sie ab 12. Okto- „Krieg, den niemand gewollt“ gesprochen. trug er dieses Prinzip auf Verkehrsflugzeuge – ber sehen können. Sie werden staunen, wel- Das kann man sicher von jedem Krieg sagen, die F 13 absolvierte im Juni 1919 erfolgreich che kunstvolle Verbindung Barock und vor allem aus der Sicht der am meisten Betrof- ihren Erstflug. Schifffahrt im Deutschen Technikmuseum fenen, nämlich den Bevölkerungen der krieg- Die Bestimmungen des Versailler Vertrages eingehen! Und wie immer wünschen wir Ih- führenden Länder. Die Folgen des Ersten hatten neben den schwerwiegenden negati- nen eine anregende Lektüre. Weltkriegs, der schon bald als der „Große ven Auswirkungen auch positive Effekte. So MARIA BORGMANN, REINHARD DEMPS Krieg“, „The Great War“ und „La Grande vereinfachte das Verbot des Militärflugzeug- Guerre“ bezeichnet wurde und als „Urkatas- baus eine Umstellung auf zivile Produktion. trophe des 20. Jahrhunderts“ gilt, haben Unternehmen, denen bereits während des zahlreiche Autoren auch der jüngsten Zeit in Krieges technische Innovationen gelungen grundlegenden Publikationen thematisiert. In waren, konnten diese später für den Bau von Mitteleuropa haben wir das Glück, seit über Verkehrsflugzeugen für den zivilen Markt sieben Jahrzehnten weitgehend in Frieden zu anwenden. leben, doch erfahren wir täglich in den Medi- Auch in anderen Bereichen wie dem Kraft- en, wie viele grausame Kriege an vielen fahrzeugbau, den Veränderungen im deut- Punkten der Welt geführt werden. Das ist ja schen Bahnwesen oder der Entstehung eines weit weg, sagen viele – ist es das wirklich? großen Mischkonzerns geben unsere Auto- Was bedeutete der erste „totale“ Krieg für rinnen und Autoren ihre Einschätzungen zu die Zeitgenossen? In der übergreifenden Ein- einer wechselvollen, teilweise dramatischen führung werden die vielfältigen Auswirkun- Zeit, die keineswegs „golden“ war. Das Titel- gen und Einflüsse aus technik-, sozial- und bild mit dem Rumpler-Tropfenwagen steht kulturgeschichtlicher sowie ökonomischer beispielhaft für die Konversion vom Flugzeug- Perspektive sichtbar. Ob Hygieneartikel, Arm- zum Autobau. banduhren, Turbolader, Fließbandfertigung, Natürlich bieten wir Ihnen, liebe Leserin und Funk, Kriegsinvalidität oder Armut – es ist ein lieber Leser, aber noch einiges neben den vielschichtiges Panorama auf der „Basis“ zer- Schwerpunkt-Themen. Die Volontärinnen störter Landschaften und Millionen Toter, aber und Volontäre haben sich kritisch in nieder- auch der 1920er Jahre mit Technikenthusias- ländischen Museen umgesehen. Wir möch- mus und Misserfolgen sowie Ausblicken auf ten Ihnen außerdem nicht nur die buchstäb- die Zeit des Nationalsozialismus. Die Ambiva- lich „gestochen“ feine Ausstellung über die lenz der Technik ist immer allgegenwärtig. Notenstecherei ans Herz legen, sondern auch Auch das Stichwort „Konversion“ taucht in die Werkschau „Handwerk und Design – Pe- den Beiträgen auf: Wie haben sich aus kriegs- ter Raacke“, dem das Deutsche Technikmu- orientierten technischen Verfahren und Pro- seum besonders verbunden ist, weil er uns dukten Neuerungen für das zivile Alltagsleben seinen Nachlass „vorgelassen“ hat. Vielleicht „ im Frieden“ entwickelt? Welche Rolle spiel- erinnern sich einige von Ihnen noch an die ten dabei die Bestimmungen des Versailler große Raacke-Ausstellung „Gestalten für den Vertrages? Ein Beispiel bietet der Flugzeug- Gebrauch – 50 Jahre Peter Raacke Design“ bau. Für die Luftfahrt kann der Erste Welt- 2003 bei uns, die viel Aufsehen erregte. Wei-
3 | 2018 DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN 4 Das Ende des Ersten Weltkrieges und auch jene der 1920er Jahre konnten nicht in ihre eigene Zukunft blicken. Für sie vor hundert Jahren – blieb der Erste Weltkrieg zunächst schlicht der „Große Krieg“, der mit den ganz unmittelba- Technikhistorische Folgen ren Problemen des Alltags wie auch der großen Politik verbunden wurde. „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts In Osteuropa kämpften auch nach dem Frieden an der Westfront die Staaten um ihre Unabhängigkeit gegen die Bolschewiken, die ihrerseits in einem Millionen Tote fordernden Bürgerkrieg ihre Macht konsolidierten und die Sowjetunion gründeten. Auch in Deutschland hatte der Krieg die alten feudalen Strukturen beseitigt: Der Kaiser, die Könige und Herzöge waren abgesetzt und die neu gegründete Weimarer Republik kämpfte innen- und au- ßenpolitisch um ihr Überleben. Die West- mächte waren zwar siegreich gewesen, aber die Erschütterungen waren auch hier unüber- sehbar. Ganze Regionen in Frankreich waren vollends verwüstet. Die weltweiten Wirt- schaftskrisen der 1920er Jahre waren nicht zuletzt die Spätfolgen immenser Kriegskos- ten, die über Europa hinaus zu enormer Un- sicherheit und zumindest phasenweise zur Massenarbeitslosigkeit führten. Die Millionen heimkehrenden Soldaten rangen mit dem Erlebten nicht nur seelisch, die verkrüppelten Körper der Invaliden erinnerten auch im Alltag alle immer wieder daran, dass die Welt des „langen 19. Jahrhunderts“ (Eric Hobsbawm) s Plakat „Die Kriegsanleihe für die Befreiung“, 1918, Lithografie, Entwurf Abel Faivre, untergegangen war, und zwar nicht still und französischer Zeichner und Karikaturist. Die antideutsche Haltung der Alliierten ist leise, sondern in einer für alle Europäer spür- augenscheinlich. © SDTB, Historisches Archiv baren Katastrophe. Im Rückblick auf die Jahre 1914 bis 1918 wird Deutschland angezettelte Zweite Weltkrieg Der Erste Weltkrieg das „Industrialisierte Töten“ des Ersten Welt- sowie der technisch und bürokratisch durch- als technisierter Krieg kriegs, das rund 20 Millionen Menschenleben organisierte Mord an den europäischen Ju- Der Erste Weltkrieg war ein technisierter forderte, als der Beginn des bis 1945 dauern- den war. Auch wenn wir den Ersten Weltkrieg Krieg. Die traumatischen Erfahrungen an den „Zweiten Dreißigjährigen Kriegs“ (Hans- heute mit guten Gründen als „Urkatastrophe Front und Heimatfront hatten das praktisch Ulrich Wehler) interpretiert, dessen Höhe- des 20. Jahrhunderts“ (George F. Kennan) alle Soldaten am eigenen Körper spüren las- punkt der vom nationalsozialistischen deuten, die Zeitgenossen des Jahres 1918 sen, und nicht nur jene, die Kugeln und s Zerstörte Gebäude in einem kleinen französischen Ort, vermutlich nahe Verdun. Aus dem Fliegeralbum Verdun, Fliegerabt. 44, 1914 – 1918. Abb. r.: Eindrucksvoll gestaltete Friedhofsanlage mit einem Gräberfeld in einem kleinen Ort in Frankreich. Aus einem Fotoalbum der Firma Hugo Junkers, entstanden circa 1929 bis 1934. © SDTB, Historisches Archiv
3 | 2018 DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN 5 s Manfred von Richthofen, Jagdflieger im Ersten Weltkrieg. Aus dem Fotoalbum des Jagdfliegers Ernst Udet, das seine Kriegserinnerungen dokumentiert. Abb. r.: Postkarte vom Kampfflugzeug Fokker D VII, galt als leistungsfähigstes Jagdflugzeug im Ersten Weltkrieg, als Fokker D VIIF um Turbolader ergänzt. © SDTB, Historisches Archiv Granatsplitter verstümmelt hatten. Artillerie, und einsetzten, um Freiwillige und Rekruten duktwerbung begriffen. So erklärte Ernst Maschinengewehr, U-Boot, Flugzeug, Tele- massenhaft so auszuwählen, dass sie den Gerbe (1868 – 1952), Generaldirektor der fon und Telegraf: Die Bedienung von Technik nicht zuletzt technischen Anforderungen im Daimler Motorengesellschaft, bereits im ers- und die notwendigen Bewegungsabläufe Kriegsdienst genügten. ten Kriegsjahr: „Mag dieser Krieg noch so viel hatten sich in die Körper der Soldaten einge- Auch wenn umfassende geschichtswissen- Schreckliches gezeitigt haben, für den Auto- schrieben. Eisenbahnen verbanden die Fron- schaftliche Deutungen einer Wirkungsge- mobilismus war er die großartigste Propagan- ten mit Fabriken, wo an Hochöfen und Dreh- schichte des Weltkrieges für Technikentwick- da, die man sich denken kann. Durch den bänken Arbeiterinnen und Arbeiter in lung und technische Kultur noch ausstehen, Krieg ist geradezu die Unentbehrlichkeit des industrieller Massenproduktion den Nach- so ist doch klar, dass die Bedeutung von Automobils aller Welt in einer überzeugen- schub vier Jahre lang sicherstellten. Die Be- Technik für Wirtschaft, Konsum und Populär- den Weise vor Augen geführt worden.“1 deutung von Technik zeigt sich nicht zuletzt kultur der Zwischenkriegszeit eher wichtiger Tatsächlich schuf der Erste Weltkrieg für daran, dass Technik und Technikbeherr- wurde, als sie dies zuvor bereits gewesen war. eine kurze Zeit besondere Rahmenbedingun- schung – am populärsten vielleicht in der Für den Fall der Kraftfahrzeuge kam es etwa gen: Innovationen, die direkt oder indirekt Form des Fliegers von Richthofen und seinem zu einer „Familisierung“ und „Veralltägli- den Kriegsanstrengungen zugutekommen roten Doppeldecker verkörpert – vielfach zum chung“ (Kurt Möser), die zu einer massenhaf- sollten, konnten weitgehend frei von den im Signum des Krieges wurden. Richthofen steht ten Sehnsucht nach Automobilen beigetra- Frieden geltenden ökonomischen Vorausset- freilich zugleich für einen Anachronismus des gen und spätere Nutzungsformen geprägt zungen vorangetrieben werden. Ein bekann- Heroen in einem Krieg, in dem Psychologen hat. Führende Industrielle haben den Krieg, tes Beispiel ist der Turbolader, der ursprüng- standardisierte Testverfahren entwickelten ungeachtet seiner Millionen Toten, als Pro- lich entwickelt worden war, um die s Zerstörte Stadt in Frankreich, Besetzung der Häuser, auf den s Die Kehrseite der „goldenen“ 20er Jahre: Kriegsinvalide, Bettler, Wegen davor der ausgeräumte Hausrat der Bewohner. in Uniform, Berlin, 1928. © SDTB, Historisches Archiv Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1972-062-01 / CC-BY-SA
3 | 2018 DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN 6 gewesen. Aber es haben wohl vor allem progressive Teile der künstlerischen und intel- lektuellen Elite eine solche Wahrnehmung geteilt und dabei auf ältere Traditionen wie jene des Fin de Siècle zurückgegriffen. Die kreative Auseinandersetzung mit der negati- ven Erfahrung und der Enttäuschung über das Scheitern des Traumes von der Beherrschbar- keit der Welt durch Wissenschaft und Technik spiegelt sich in der Kunst eines Max Beck- mann, Otto Dix oder Georg Grosz ebenso wider, wie in der Musik von Paul Hindemith und Arnold Schönberg oder in der Literatur von Thomas Mann, Erich Maria Remarque und Arnold Zweig. Auch einige größere ge- sellschaftliche Gruppen organisierten sich, um Alternativen zu einer allein kriegerischen und technischen Moderne zu suchen, wie die Kundenbewegung, die Wandervögel oder die Anthroposophen. s Argus-Rootsgebläse für 600-800-PS-Flugzeugmotor, Gewicht 48 Kilogramm, für Die Mehrzahl der Europäer verharrte jedoch 6 000 Meter Gleichdruckhöhe. Aus der Fotosammlung B. Lange. unbeeindruckt von den Verheerungen des © SDTB, Historisches Archiv technisierten Krieges in einem fortschrittsop- timistischen Technikenthusiasmus. Die unge- Einsatzhöhe der Flugzeuge zu steigern und Zellstoff, für dessen Verwendung als medizi- heure Begeisterung für den Atlantiküberflug der dann im Frieden in Sportwagen, Renn- nische Bandagen riesige Produktionskapazi- durch Charles Lindbergh 1927 und die Faszi- boten und Luxusautos Verwendung fand. täten aufgebaut worden waren, fand nach nation für den Motorrennsport zeigen das für Zudem erwies er sich für ältere Technologi- dem Krieg etwa in Tampons Einzug in die die Öffentlichkeit – von Technikskepsis ist hier en, die zuvor nur eine geringe Verbreitung Alltagskultur. keine Spur. Auch die Militärs und Techniker erfahren hatten, als eine Art Katalysator, der hatten aus der Technisierung des „Großen zu ihrer massenhaften Verbreitung beitrug. Ungebremster Krieges“ ihre Lehren gezogen und trieben Eine ganze Reihe fanden sich dann nach Technikenthusiasmus technische Neuerungen in der Rüstung kon- 1918 im zivilen Bereich wieder, wie Arm- In seinem neuesten Buch stellte der nieder- sequent voran, was zu einem mehrfach ge- banduhren, Teebeutel und Reißverschlüsse. ländische Technikhistoriker Erik van der Vleu- steigerten Zerstörungspotenzial der Arsenale Der Reißverschluss ging sogar auf das Jahr ten die bereits vielfach vertretene These auf, am Beginn des Zweiten Weltkriegs führte. 1851 zurück. Erst die Massenproduktion für die Weltkriege seien eine Wasserscheide „Der Erste Weltkrieg schien zu lehren“, so der das US-Militär machte aus ihm für Millionen zwischen einem fortschrittgläubigen 19. und Historiker Joachim Radkau, „dass nur die von Soldaten einen alltäglichen Gegenstand. einem technikskeptischen 20. Jahrhundert konsequente Nutzung neuer Technik in ei- s Werbung für Waltham-Armbanduhren, deren im Ersten Weltkrieg bewährte Verlässlichkeit als besondere Empfehlung galt. Abb. r.: Werbung mit Coupon für Kotex-Hygienebinden aus Zellstoff, die aus Verbandsmaterial im Krieg entwickelt wurden. © SDTB, Historisches Archiv
3 | 2018 DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN 7 Technokratie, Taylorismus und Fordismus Es war gerade die Zwischenkriegszeit, in der die Idee technischer Rationalität als Allheilmit- tel gegen allgegenwärtige gesellschaftliche und politische Probleme eine erste langanhal- tende Konjunktur erlebte. Der 1919 durch den US-amerikanischen Ingenieur William H. Smith geprägte Begriff der Technokratie kann stellvertretend für das Aufkommen von Tech- nik und Wissenschaft als „Hintergrundideolo- gie“ (Jürgen Habermas) in Folge des Ersten Weltkriegs verstanden werden. So wie Tech- niker um die Effizienzsteigerungen von Ma- schinen bemüht waren, versprachen Techno- kraten das rationale Management von Gesellschaft, „um die Verwerfungen einer fragmentierenden Moderne wieder einzufan- gen“, wie Dirk van Laak notiert.3 Dabei schau- ten die Öffentlichkeit und Ingenieure auf die s Fertig montierte Zündapp-Motorräder, Probelauf einer Maschine auf spezieller Test- USA. Im Weltkrieg waren die USA zur bestim- vorrichtung, die Uhr ist auf Zeitintervalle der Fließbandfertigung abgestimmt. menden wirtschaftlichen und militärischen © Foto: Albert Renger-Patzsch / Archiv Ann und Jürgen Wilde / VG Bild-Kunst, Bonn 2018 Macht aufgestiegen. Nach dem Krieg wurde das Land zum Vorbild für ein ruiniertes Euro- nem künftigen Krieg zum Sieg verhelfen als grundsätzlich ambivalent zu skizzieren, da pa, das an einen unübersehbaren technischen könne.“2 Die Ingenieure selbst gaben sich Kerntechnik sowohl die unbegrenzte Verfüg- und ökonomischen Vorsprung anzuschließen betont unbeeindruckt von den Kriegserfah- barkeit von Energie wie auch eine unbegrenz- suchte. Charles Maier hat bereits 1970 die rungen. Der Technikunternehmer, Technik- te Zerstörungskraft versprach. In Deutschland Verbindungen von „Taylorismus und Techno- philosoph und Zentrumsabgeordnete Fried- zog die radikale Rechte sogar die extreme kratie“ betont. Frederick W. Winslow Taylor, rich Dessauer kann stellvertretend für die Gegenposition heran, dass der technisierte der 1911 die „Grundlagen der Wissenschaft- deutschen Ingenieure stehen, wenn er 1931 Krieg ein großartiges Erlebnis gewesen sei, lichen Betriebsführung“ veröffentlicht hatte, betont, dass Technik menschliche Herrschaft und vertrat damit vielfach sozialdarwinisti- wurde in Deutschland breit rezipiert. Sein über Natur ermögliche und negative Folgen sche Ansichten. Bereits der Titel von Ernst „Scientific Management“ schien einen ratio- technischen Wandels allein auf eine „Häresie Jüngers Roman „In Stahlgewittern“ macht nalen und unpolitischen Ausweg aus den der Wirtschaft“ zurückzuführen seien. Erst im deutlich, dass Technik zu einem zentralen Konflikten von Wirtschaft und Arbeit zu eröff- Angesicht der realen Möglichkeiten der Welt- Moment positiver Kriegsdeutung eines „rei- nen: Technischer Sachverstand sollte in einer zerstörung durch atomares Wettrüsten be- nigenden Blutbades“ umgedeutet werden Zeit der Knappheit Überschüsse herbeiführen gann er nach dem Zweiten Weltkrieg, Technik konnte. und dabei Zeit und Geld sparen. s Ein Mitglied der Erste-Hilfe-Krankenschwestern bei der berittenen britischen Miliz beim Schmieren ihres Wagens. © National Library of Scotland_D.726. Fotograf: John Warwick Brooke Abb. r.: Kriegsinvalide bei der Arbeit an einer Messbrücke in der Maschinenfabrik von AEG- Telefunken, 1915. © SDTB, Historisches Archiv, AEG-Telefunken-Archiv
3 | 2018 DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN 8 s Zu Weihnachten ein Brennabor: Automobil-Eleganz der 1920er Jahre in der Zeitschrift „Motor“, 1929. Abb. r.: Ab 1911 wurde der „Bosch-Mephisto“ in vielen Ländern Europas und in Übersee zum Markenzeichen mit hohem Wiedererkennungswert und auf unterschiedlichen Werbemedien eingesetzt. Plakat, 1917. © SDTB, Historisches Archiv Neben Taylor war Henry Ford die zweite Aufbau gen erwiesen sich als äußerst schwierig: Das Lichtgestalt des modernen Amerikas, die mit einer Friedenswirtschaft internationale Währungssystem des Gold- der Fließbandfertigung für eine effektive und Im Krieg waren die Fabriken der Kriegsteil- standards war zusammengebrochen und die hochtechnisierte Art des Wirtschaftens nehmer rasant gewachsen. Ein Beispiel wäre liberale Wirtschaftsordnung der Vorkriegszeit stand. In einer Zeit des Mangels nach dem André Citroën, dessen Fabrik vor dem Krieg hatte aufgehört zu existieren. Um die eige- Ersten Weltkrieg versprach Ford, dessen vor allem Zahnräder gefertigt hatte. Bereits nen Industrien zu schützen und vermeintlich millionenfach verkauften Automobile in den in den ersten Kriegsmonaten zeigte sich auf Arbeitsplätze für das Heer der Heimkehrer zu USA das Zeitalter des Individualverkehrs ein- allen Seiten, dass der Weltkrieg zu einem schaffen, reagierten viele Industrienationen läuteten, Aufschwung und Konsum für alle. Stellungskrieg wurde, der nicht nur Millionen mit einer Schutzzollpolitik, die so dramati- Das galt nicht nur in West- und Mitteleuropa, Soldatenkörper, sondern auch ungeheure sche Folgen zeitigte, sodass die Historiker auch die Bolschewiken setzten auf die Me- Mengen Munition und anderes technisches Johannes Bähr und Paul Erker von einer „De- thoden von Taylor und Ford. Lenins Technik- Material verschlang. Citroën versprach dem globalisierung“ sprechen. enthusiasmus zeigt sich nicht nur in dem französischen Militär, dass seine Fabrik in Während eine Vielzahl von Unternehmen in berühmten Zitat, dass Kommunismus gleich Paris innerhalb kurzer Zeit große Mengen dieser kritischen Phase von der Bildfläche Sowjetmacht plus Elektrifizierung sei, son- Munition liefern könne. Es folgte ein rapider verschwand, gab es auf der anderen Seite dern auch in einem konzentrierten Technik- Ausbau der Fertigung und Citroën hielt seine jene, die gestärkt aus dem Krieg hervorgin- import. Unter Mitarbeit von Ford und ande- Versprechen ein. Nach dem Krieg stand das gen: Renault, Citroën, Bosch und Daimler sind ren amerikanischen Ingenieuren legte die Unternehmen jedoch, wie unzählige Unter- nur einige, die in diesem Zusammenhang Sowjetunion große Traktorenfabriken etwa nehmen in Europa und den USA, vor einem anzuführen wären. Sie hatten enorm vom in Wolgograd an. Wobei angemerkt werden gewaltigen Umbruch: Der Absatzmarkt für Krieg profitiert. Dass diese Kriegsgewinne muss, dass nicht alles so reibungslos verlief, das Produkt, das man massenhaft gefertigt nicht nur von Kommunisten und Sozialisten wie das Fließband es versprach. Gegen Ende hatte, war mit dem Versailler Frieden zusam- kritisch gesehen wurden, vermag das Beispiel der 1920er Jahre kam die Ford-Fabrik in die mengebrochen. Im Falle Citroën gelang mit des Stuttgarter Unternehmers Robert Bosch Krise und verlor Marktanteile, und auch der der Fertigung von Automobilen der Umstieg zu belegen. Dessen Unternehmen war durch plötzliche, massive Einsatz importierter Tech- in die Friedenswirtschaft. Bei vielen anderen die massenhafte Verwendung seiner Zünder nik bereitete in der Sowjetunion erhebliche scheiterten die Marktanpassungen jedoch. für die Motorenproduktion kräftig gewach- Schwierigkeiten. Denn die wirtschaftlichen Rahmenbedingun- sen und hatte auch eine erhebliche Rationa-
3 | 2018 DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN 9 s Die Focke-Wulf Fw 200 Condor, eines der modernsten Passagierflugzeuge der 1930er Jahre. Konzipiert als Passagierflugzeug für Lang- strecken – 1938 Atlantiküberquerung –, wurde sie im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Luftwaffe als Seeaufklärer eingesetzt. © SDTB, Historisches Archiv lisierung der Produktion erlebt. Von 1913 bis Nicht der Krieg, nomen lässt sich gut am Beispiel der von Fritz 1918 war die Zahl seiner Beschäftigten von der alle Kriege beendete Haber betriebenen Forschung zu giftigen Ga- 5 100 auf 8 940 und sein Umsatz von rund 26 Der Erste Weltkrieg war nicht der Krieg, der sen nachzeichnen. Während des Krieges war auf 73 Millionen Mark angestiegen. Von den alle Kriege beendete. In der Zwischenkriegs- der Einsatz von Giftgas zunächst als Waffe in Gewinnen aus diesen Geschäften stiftete zeit hatte die Erfahrung des Krieges auch ein der falschen Annahme konzipiert worden, so Bosch 20 Millionen für die Kanalisierung des massives Aufrüstungs- und Rüstungsfor- den Stellungskrieg beenden zu können. Nach Neckars und für verschiedene soziale und schungsprogramm in den Industrienationen dem Krieg fanden die Erkenntnisse in der Form bildungspolitische Stiftungen. zu Folge. Frankreich baute etwa seit Beginn von Ungeziefer-Vernichtungsmitteln für die Insgesamt waren die wirtschaftlichen Aus- der 1930er Jahre die Maginot Linie, eine 1 000 Reinigung von Schiffen, Kühlhäusern und Ge- wirkungen des Kriegs jedoch katastrophal. Für Kilometer lange Reihe von Festungen, die vor treidemühlen Verwendung. Die Entwicklung die deutschen Eisenbahnen – das zentrale einem neuerlichen Einfall Deutschlands schüt- des Giftgasgranulats Zyklon B 1922 war der Infrastruktursystem der Zeit – war der Krieg zen sollte. Deutschland begann bereits in den Versuch gewesen, durch die Absorption von eine enorme Belastung gewesen. Nach Jahren 1920er Jahren mit Rüstungsforschung, was Blausäure in Kieselgur ein für den Anwender der intensiven Nutzung, in der Bestandspflege dem Land nach dem Versailler Vertrag eigent- sicheres Verfahren zu entwickeln. Heute ist es und Neuanschaffung ausgeblieben waren, lich untersagt war, und kooperierte dabei mit durch den Einsatz als Massenvernichtungsmit- stand man 1918 vor einem Investitionsstau, der Sowjetunion. Seit Ende der 1920er Jahre tel des Holocaust zu einem der traurigsten den zu beseitigen Jahrzehnte dauern sollte. kämpften Sowjetunion und Japan um Einfluss Symbole der Menschheitsgeschichte gewor- Krisenhaft entwickelte sich die wirtschaftliche in China, während im Pazifik die Kriegsflotten den. Die weitere Geschichte des zwanzigsten Gesamtsituation auch, weil, wie der Historiker aufgerüstet wurden. Zwar hatte Deutschland Jahrhunderts würde – selbst für jene, die den Gerald D. Feldman formulierte, der Erste Welt- seine Kolonien verloren, das bedeutete aber Horror des Grabenkriegs überlebt hatten – auf krieg eine „Form des volkswirtschaftlichen keineswegs ein Ende des Kolonialismus. Frank- furchtbare Weise zeigen, dass der „Große Selbstmords“ war, dessen Kosten in Deutsch- reich und Großbritannien teilten nach dem Krieg“ keineswegs der Krieg war, der alle Krie- land durch die Hyperinflation von 1923 ge- Weltkrieg die Provinzen des Osmanischen ge beendete. deckt wurden. In deren Folge wurden die Reiches unter sich auf und machten sie als EIKE CHRISTIAN HEINE, THOMAS SCHUETZ Deutschen, bis auf wenige Ausnahmen, deut- Protektorate zu Teilen ihrer Kolonialimperien. lich ärmer, als sie es zuvor gewesen waren. Weltweit wurden also Techniken, die im „Gro- Literatur 1 Fraunholz, Uwe: Motorphobia. Anti-automobi- Auch gesellschaftliche Modernisierungen, ßen Krieg“ entwickelt worden waren, zur ler Protest in Kaiserreich und Weimarer Repub- etwa der Zugang von Frauen ins produzieren- Unterdrückung und Kontrolle indigener Bevöl- lik, Göttingen 2002, S. 38 f. de Gewerbe und andere Wirtschaftsbereiche, kerungsgruppen angewandt. 2 Radkau, Joachim: Technik in Deutschland. Vom wurden zügig wieder zurückgenommen. Die So brachten Funkgeräte, Eisenbahnen und 18. Jahrhundert bis heute, Frankfurt a. M. u. Umstellung auf die Friedenswirtschaft ging Flugzeuge die Welt näher zueinander; neben New York 2008, S. 258. 3 van Laak, Dirk: Technokratie im Europa des demnach nicht bruchlos über die Bühne: Es der Hoffnung, dass im technischen Fortschritt 20. Jahrhunderts – eine einflussreiche ‘Hinter- kam zu Verdrängungskämpfen und einer da- das Potenzial zu einem friedlichen Miteinander grundideologie’, in: Lutz Raphael (Hg.), Theorien raus resultierenden Konzentration, die Trust- der Menschen liegt, wurde jedoch auch die und Experimente der Moderne. Europas Gesell- bewegung nach der Wirtschaftskrise von Janusköpfigkeit von Technik sehr deutlich. schaften im 20. Jahrhundert, Köln u. a.: Böhlau, 1929 vorausahnen ließ. Dieses als „Dual-Use“ Problem bekannte Phä- S. 101–128, S. 113.
3 | 2018 DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN 22 Stagnation statt Fortschritt stürzten sich auf den Kfz-Bau. Zu den etab- lierten Anbietern gesellten sich daher neu Der Erste Weltkrieg und die Motorisierung Deutschlands Marken wie BMW, D-Rad, DKW oder Zündapp. Da die Rüstungsbetriebe im Krieg zunehmend auf eine normierte und standar- disierte Massenproduktion hingearbeitet hatten, so die weit verbreitete Ansicht, hätte der Krieg auch Fortschritte in den Fertigungs- methoden gebracht. s Kraftfahrer im Krieg. Das Personal der deutschen Kraftfahr- s Im Ersten Weltkrieg kamen viele Menschen erstmals mit truppen inklusive Wartung und Verwaltung stieg zwischen 1914 Kraftfahrzeugen näher in Berührung. Ob der verstärkte Einsatz und 1918 von circa 8 000 auf über 92 000. Mit gut 42 000 teils von Automobilen und Motorrädern im Krieg ihre zivile nicht einsatzfähigen Fahrzeugen 1918 war der Fuhrpark aber Verbreitung nach 1918 nachhaltig förderte, ist hingegen vergleichsweise klein. © SDTB, Historisches Archiv fragwürdig. © SDTB, Historisches Archiv Der Erste Weltkrieg bedeutete für die Mo- führten sie technische Fortschritte, die die Nicht zuletzt steht die Behauptung im Raum, torisierung Deutschlands einen Einschnitt. Ingenieure gerade im Flugzeugbau erzielten: der Krieg hätte die Akzeptanz von Kraftfahr- Während das Kraftfahrzeug im Kaiserreich Verbrennungsmotoren wurden zuverlässiger, zeugen gefördert. Der Umgang mit ihnen noch ein Luxusgegenstand war, entwickel- effizienter und leichter. Filigrane und stabile wurde demnach zur Normalität und weckte te es sich in der Weimarer Republik zum Flugzeug-Karosserieteile ließen sich ebenfalls eine bleibende Begeisterung für das Auto- Gebrauchsgegenstand. auf den Kfz-Bau übertragen. Modern anmu- und Motorradfahren. In den 1920er Jahren tende Stromlinienfahrzeuge wie der Rumpler- las man nicht selten, „daß der Krieg das bes- Kfz-Entwicklung Tropfenwagen kamen auf den Markt, da sich te Propagandamittel für das Kraftfahrzeug und Akzeptanz viele Flugzeugbauingenieure dem Auto- und gewesen war.“ Unter den neueren Technik- Zeitgenossen und manche Automobilhistori- Motorradbau zuwandten. historikern schrieb Kurt Möser 2002: „Die ker zogen den Schluss, der Erste Weltkrieg Große Rüstungsunternehmen suchten breite Autobegeisterung im Europa der 20er hätte diese Entwicklung ermöglicht. Ins Feld nach Kriegsende neue Absatzmärkte und Jahre, die kollektive Phantasie einer Volksmo- s Der Bestand an Kraftfahrzeugen nahm in Deutschland nach dem s Im internationalen Vergleich war Deutschland in den 1930er Ersten Weltkrieg enorm zu. Als Einstiegsfahrzeuge etablierten Jahren das Motorradland schlechthin. Im Gegensatz dazu fuhren sich Motorräder. Ihre Bestände lagen ab 1926 über denen der hierzulande lediglich vier Prozent aller weltweit vorhandenen Pkw. © Grafik: F. Steinbeck Pkw. © Grafik: F. Steinbeck
3 | 2018 DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN 23 torisierung, wäre nicht denkbar gewesen, der „Schmach von Versailles“ in Verbindung. Hemmende Wirkung ohne den Modernisierungsschub und die Der Automobilhistoriker Christoph Maria Mer- des Krieges Konditionierung durch den Ersten Weltkrieg“. ki kam 2002 zu dem Schluss, dass der Krieg Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, an der Als negative Folge des Krieges gilt vielen den Motorradboom der 1920er Jahre ermög- modernisierenden Wirkung des Krieges und hingegen der Motorradboom, der in der Wei- lichte, indem „die unter den Kriegs- und Infla- der eher negativen Beurteilung des Motorra- marer Republik einsetzte. Konservative Schich- tionsfolgen leidenden potentiellen Automobi- des zu zweifeln. ten werteten ihn damals als Zeichen der Armut listen auf diesen etwas unbequemen, aber Fortschritte in der Technik und der Fertigung Deutschlands und setzten die extrem hohe vergleichsweise billigen und steuerlich begüns- fanden nach Kriegsende zunächst kaum Nie- Motorradverbreitung – politisch motiviert – mit tigten Notbehelf auswichen“. derschlag. Im Gegenteil: Vorkriegstypen wur- den bis 1918 nur im Detail verbessert, umfang- reiche Entwicklungen und Neukonstruktionen blieben aus. Der Krieg hemmte die Entwick- lung konstruktionstechnisch so sehr, dass die Industrie nach 1918 international zunächst nicht konkurrenzfähig war und die neu am Markt auftauchenden Hersteller oft ausländi- sche Fahrzeuge kopierten oder in Lizenz bau- ten. Enorme Gewinne mit Rüstungsgütern, fehlender Konkurrenzdruck und die garantier- te Abnahme der Fahrzeuge durch das Militär verhinderten zudem die Einführung einer rati- onellen Massenproduktion. Diese setzte erst 1925/26 ein, als die deutschen Automobil- und Motorradhersteller ihre Betriebe umfassend s Moderne Fahrradproduktion bei einem der Pioniere der Fließfertigung in Deutschland, modernisierten und zunehmend Fließbänder den Opel-Werken, um 1928. Den Absatzzahlen entsprechend hielt die Fließband- installierten. produktion in der Weimarer Republik tendenziell zunächst im Fahrradbau, dann im Bei der Normierung sah es kaum besser aus. Motorradbau und schließlich im Automobilbau Einzug. Während die Rationalisierung der Rüstungs- © Archiv Opel Automobile GmbH produktion 1917 in die Einsetzung des Nor- menausschusses der deutschen Industrie (NDI) mündete, blieben Fortschritte im Kfz- Bau aus. Zwar bildeten Militär und Industrie 1916 eine Normalien-Kommission für den Kfz-Bau, ihre Wirkung blieb jedoch gering. Nach Kriegsende vereinbarten Industrie und Reichsregierung, die Kfz-Zulassung von der Einhaltung bestimmter Normen abhängig zu machen. Allerdings scheiterten die Bemühun- gen zur staatlichen Normalisierung im Kfz- Bau. Während der Weimarer Republik setzten sich somit nur Fabriknormungen durch. Auch die Bedeutung der Rüstungsbetriebe für den Kfz-Bau ist zweifelhaft: Die Produkti- onskapazitäten der Rüstungsindustrie waren zwar groß, moderne Anlagen zur Massenfer- tigung von Kraftfahrzeugen waren es aber nicht. Hersteller, die die Stabilisierungskrisen der Weimarer Republik überlebten, mussten einen völlig neuen Maschinenpark anschaffen oder ganze Werke hochziehen, um die gestie- gene Nachfrage zu bedienen und produktions- technisch mit der Konkurrenz gleichzuziehen. Die Produktionsanlagen der etablierten Kfz- Hersteller eigneten sich dagegen besser für den Fahrzeugbau. Firmen wie NSU hatten bereits in den Vorkriegsjahren moderne Be- triebserweiterungen geplant, die der Kriegs- s Werbung für das D-Rad, 1928. Die Deutschen Industriewerke in Spandau spielten eine ausbruch jedoch verhinderte. Vorreiterrolle bei der Modernisierung der Kfz-Produktion. Die Firma warb zudem mit der Ebenfalls fragwürdig ist die Ansicht, der Zeitersparnis für die Käufer, da die Rationalisierungswelle immer weitere Lebens- Erste Weltkrieg hätte das Image von Kraft- bereiche betraf. © „Das Auto“, Berlin, Jg. 16, 1928, Nr. 13 fahrzeugen nachhaltig beflügelt. Die circa
3 | 2018 DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN 24 s Zündapp-Werbung, 1922. Ob „Motorrad für Jedermann“ oder „Volksmotorrad“, die Hersteller bewarben in den 1920er Jahren das Motorrad als Volksfahrzeug. Trotz Propaganda für den Volkswagen setzte sich dieser Trend in den 1930er Jahren mit dem „Volksmotorfahrrad“ fort. © SDTB, Historisches Archiv
3 | 2018 DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN 25 s Der Mensch umringt vom großstädtischen Autoverkehr, foto- s Die Friedrichstraße, Postkarte der 1930er Jahre. In Großstädten grafiert von Willy Pragher 1929 in Berlin. Ohne den Ersten Welt- wie Berlin dominierte damals der Automobilverkehr, vor allem krieg wäre diese Szene womöglich schon in den frühen 1920er durch Omnibusse und Motordroschken. Motorräder waren vor Jahren Realität geworden. allem in Kleinstädten und auf dem Land verbreitet. © SDTB, Historisches Archiv, Foto: Willy Pragher © SDTB, Historisches Archiv 5 000 Motorräder, 10 000 Pkw und 20 000 Großen Einfluss auf den Imagewandel übten jedoch nicht dazu. Diese Schichten, Arbeiter Lkw des Militärs konnten am Image kaum in den 1920er Jahren die USA aus, wo bislang und Angestellte, hatten sich vor 1914 höchs- etwas ändern. Die sinkende Ablehnung und ungeahnte Konsummöglichkeiten die Deut- tens ein Fahrrad leisten können. Von Verar- selteneren Protestaktionen gegen Automobi- schen nachhaltig beeindruckten. Bereits 1914 mung konnte hier keine Rede sein, zumal die listen hatten ihren Grund vielmehr in den bemerkte der Soziologe und Nationalöko- Löhne von Arbeitern und Angestellten, die veränderten Rahmenbedingungen: Die Sor- nom Franz Oppenheimer nach einer USA- den Großteil der deutschen erwerbstätigen gen und Nöte der Menschen waren derma- Reise in der „Vossischen Zeitung“ vom 3. Juli, Bevölkerung ausmachten, bereits bis 1926 ßen groß, dass Automobile nicht die Aufre- dass der erste Eindruck, den er gewann, der wieder auf das Vorkriegsniveau gestiegen gung erzeugten wie in den Vorkriegsjahren. „eines außerordentlich breit und tief veran- waren. kerten Wohlstandes, zutage tretend in der In Deutschland wogen wirtschaftliche und Imagewandel geradezu fabelhaft entfalteten Industrie der politische Folgekosten weit schwerer als und Motorradboom Automobile“ war. Das Auto sei bereits „in viel technische Innovationen sowie Rationalisie- Während in den unmittelbaren Vorkriegsjah- tiefere Kreise des Mittelstandes“ hinein ver- rungs- und Imageerfolge während des Krie- ren ein stabiler, von Lkws und Pkws getrage- breitet und Chicago hätte dadurch eine ges. Völlig unaufgeregt und treffend be- ner Motorisierungsaufschwung stattfand, Siedlungsstruktur bekommen, „die man am schrieb 1921 die „Vossische Zeitung“ den deutete sich zudem bereits der Wandel vom besten als eine hundertfache Kolonie Grune- negativen Einfluss, den der Krieg für die Mo- Luxus- zum Gebrauchsgegenstand an, wie wald charakterisieren kann“. torisierung hatte: „Die Aufwärtsbewegung folgende Einschätzung der „Täglichen Rund- Fraglich ist ebenso, ob der Krieg dem Mo- im Gebrauch der Kraftfahrzeuge ist […] für schau“ von 1913 unterstreicht: „Die 70 000 torradboom den Weg bahnte. Die Entwick- das gesamte deutsche Reichsgebiet festzu- Kraftfahrzeuge, die nach amtlicher Statistik lung des Motorrads zum Volksfahrzeug der stellen; es setzt sich hier eine Welle fort, die im Jahre 1912 in Deutschland liefen, dienen Deutschen deutete sich schon vor dem Krieg schon vor dem Krieg einen gewissen Höhe- zum allergrößten Teil dem Wirtschaftsleben an, als sich die Alltagstauglichkeit erhöhte punkt erreicht hatte und nur unter der Einwir- und dem gewöhnlichen Verkehr in Gestalt und die Bestände kräftig anzogen. Verhand- kung der Kriegsjahre eine Unterbrechung von Autodroschken, Autoomnibussen, lungen der Hersteller mit der Regierung und erlitt.“ Krafträdern, Geschäftswagen, schweren den Behörden für eine steuer- und verkehrs- FRANK STEINBECK Lastkraftwagen.“ rechtliche Begünstigung ebneten 1913/14 Zudem wuchs eine neue Generation heran, zudem Entwicklungsmöglichkeiten, an die Literatur die in der Weimarer Republik den Kunden- 1918 lediglich angeknüpft wurde. Man kann Merki, Christoph Maria: Der holprige Siegeszug des Automobils, 1895–1930. Zur Motorisierung stamm stellte: Lehrlinge und junge Arbeiter, daher von vier, aufgrund der Nachkriegspro- des Strassenverkehrs in Frankreich, Deutschland die um 1928 unbedingt ein Kleinkraftrad bleme sogar von sechs bis acht verlorenen und der Schweiz, Wien-Köln-Weimar 2002. wollten und damit die erste private Motori- Jahren sprechen, die der Krieg für die Verbrei- Möser, Kurt: Geschichte des Autos, Frank- sierungswelle in Deutschland auslösten. Sie tung des Motorrades und die Motorisierung furt a. M. – New York 2002. haben vor 1914 kaum Steine auf „Herrenfah- Deutschlands bedeutete. Steinbeck, Frank: Das Motorrad. Ein deutscher rer“ werfen können oder an der Front den Das Motorrad selbst stellte für die Deut- Sonderweg in die automobile Gesellschaft (VS- Reiz von Automobilen und Motorrädern schen zudem eine Erhöhung ihres Lebens- WG-Beihefte; Bd. 216), Stuttgart 2012. schätzen gelernt. Die Ursachen einer neuen standards dar. Zwar fiel tatsächlich durch die „Autokultur“ lagen daher nicht in der Bekeh- Kriegsfolgen eine ganze Reihe potentieller rung der männlichen Bevölkerung durch die Autokäufer aus, die Träger der enormen Mo- Kriegsmotorisierung. torradverbreitung der 1920er Jahre gehörten
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