DEUTSCHES - Stiftung Deutsches ...

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DEUTSCHES - Stiftung Deutsches ...
3 2018 DEUTSCHES
       TECHNIKMUSEUM
                   BERLIN
        Zeitschrift der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin und der Freunde und Förderer des DTMB e. V. 34. (58.) Jahrgang · Preis: 5,00 €

              SCHWERPUNKT: Kriegsende 1918 – Endlich Frieden?
      Das Ende des Ersten Weltkrieges – Technikhistorische Folgen
                 Erst mal Funkstille – Funk, Funker und Rundfunk
Von der Waffenschmiede zum Mischkonzern – Die Demilitarisierung
DEUTSCHES - Stiftung Deutsches ...
3 | 2018       DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN
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    Inhalt                                                                                                                             Herausgeber:
                                                                                                                                       Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin
                                                                                                                                       (SDTB) und Freunde und Förderer des
    Zu dieser Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          3   Deutschen Technikmuseums Berlin e. V.
                                                                                                                                       (FDTM) V. i. S. d. P.:
    Das Ende des Ersten Weltkrieges vor hundert Jahren –                                                                               Prof. Dr. Dirk Böndel (Vorstand der SDTB)
                                                                                                                                       und Wolfgang Jähnichen (Vorsitzender
     Technikhistorische Folgen                                                                                                         des FDTM)
     „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                  4
                                                                                                                                       SDTB
    Erst mal Funkstille                                                                                                                Trebbiner Straße 9, 10963 Berlin
     Funk, Funker und Rundfunk nach dem „Großen Krieg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                              10   Tel.: (030) 90 25 40, Fax: (030) 90 25 41 75
    Von der Waffenschmiede zum Mischkonzern                                                                                            Homepage: www.sdtb.de
                                                                                                                                       E-Mail: info@sdtb.de
     Die Demilitarisierung der Spandauer Heereswerkstätten nach 1918 . . . . . . . . . . . . . .                                  14
    Die Flügel gestutzt, auf den Rädern gelandet                                                                                       FDTM
                                                                                                                                       Trebbiner Straße 9, 10963 Berlin
     Der Versailler Vertrag und die Industrie in Berlin-Johannisthal . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                        18   Tel.: (030) 262 20 31, Fax: (030) 26 55 81 85
    Stagnation statt Fortschritt                                                                                                       Homepage: www.fdtmb.de
     Der Erste Weltkrieg und die Motorisierung Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                           22   E-Mail: info@fdtmb.de
                                                                                                                                       Vom Finanzamt für Körperschaften Berlin
    Von Reparationsloks zur Reichsbahn                                                                                                 als besonders förderungswürdig anerkannt.
     Das Kriegsende als Zäsur für das deutsche Bahnwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                            26   Steuernummer: 27/655/52092
                                                                                                                                       Newsletterbestellung über E-Mail:
    Berichterstattung zum Kriegsende
                                                                                                                                       newsletter@fdtmb.de
     Eine Presseschau technischer Fachzeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                     30   Termine der Verkehrsvereine Berlin und Branden-
    Die Notenstecherei Paris, Berlin                                                                                                   burg auch unter: www.hivbb.de
     Fotografien einer vergangenen Handwerkskunst von Clemens Kirchner . . . . . . . . . . .                                      33   Die Geschäftsstelle im Stellwerk ist donnerstags
    Alles Gold, was glänzt?                                                                                                            von 10 –13 Uhr geöffnet.
     Niederländische Museen unter der Lupe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                    36   Erscheinungsweise:
                                                                                                                                       Die Zeitschrift erscheint mindestens viermal im
    Objekt des Monats                                                                                                                  Jahr. Namentlich gezeichnete Beiträge stellen die
     Juli, August, September . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              40   Meinung des Autors/der Autorin dar.
                                                                                                                                       Nachdruck, auch auszugsweise, nur unter Angabe
    Neu im „Netz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       41   der Quelle und Zusendung eines Belegexemplars
                                                                                                                                       gestattet.
    SDTB-Info                                                                                                                          Redaktion:
    Peter Raacke – Handwerk und Design . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                  42   Dr. Maria Borgmann (stellv. Chefredakteurin
                                                                                                                                       SDTB), Andreas Curtius (SDTB), Reinhard Demps
    Kalender-Blatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      45   (Chefredakteur FDTM), Jörg Rüsewald (SDTB, JR),
                                                                                                                                       Astrid Venn (SDTB) Dr. Tiziana Zugaro (stellv.
    FDTM-Info                                                                                                                          Chefredakteurin SDTB, tiz)
    Vorankündigung – Kolloquium 2018                                                                                                   E-Mail: zeitschrift@sdtb.de
     des Vereins der Freunde und Förderer des Deutschen Technikmuseums Berlin e. V. . .                                           46   Redaktionsbeirat:
                                                                                                                                       Prof. Joseph Hoppe (SDTB), Dr. Volker Koesling
    Buch-Tipp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   46   (SDTB), Herbert Liman (FDTM), Dr. Felix Lühning
                                                                                                                                       (SPB), Dr. Christian Neuert (SDTB), Achim
                                                                                                                                       Pohlman (FDTM), Lars Quadejacob (SDTB),
                                                                                                                                       Dr. Jürgen Rose (Förderverein der Archenhold-
                                                                                                                                       Sternwarte), Jörg Schmalfuß (SDTB), Claudia
                                                                                                                                       Schuster (SDTB), Barbara Senst (FDTM)
                                                                                                                                       Gestaltung:
                                                                                                                                       Lennart Fischer, Berlin
                                                                                                                                       Druck:
                                                                                                                                       DBM Druckhaus Berlin-Mitte GmbH,
                                                                                                                                       Wilhelm-Kabus-Straße 21–35, 10829 Berlin
                                                                                                                                       Verkaufspreis:
                                                                                                                                       Mitglieder des FDTM erhalten die Zeitschrift im
                                                                                                                                       Rahmen ihrer Mitgliedschaft. Abonnementpreis
                                                                                                                                       einschließlich Versandkosten 20,00 € pro Jahr.
                                                                                                                                       Bestellung beim FDTM. Die Lieferung erfolgt
                                                                                                                                       nach Vorauszahlung des Betrages auf das Konto
    Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe                                                                                              bei der Berliner Sparkasse:
    Andreas Curtius · Leitung Bibliothek, Theresa Hahn · Wissenschaftliche Volontärin BZI, SDTB, Dr. Eike-                             IBAN DE43100500000620005432
                                                                                                                                       BIC BELADEBE
    Christian Heine · Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilung Wissenschafts- und Technikgeschichte,
    Universität Braunschweig, Benjamin Huth · Historiker, Eva Kudraß · Leitung Mathematik und Informatik,                              Auflage:
    Bernd Lüke · Leitung Kommunikation und Medien, Maike Priesterjahn · Wissenschaftliche Volontärin                                   2 000 Exemplare
    Schifffahrt und Nautik, Antonia Oelke · Wissenschaftliche Volontärin Science Center Spectrum, Lars
                                                                                                                                       Titelbild:
    Quadejacob · Leitung Landverkehr, Marcel Ruhl · Mitarbeiter Historisches Archiv, Jörg Rüsewald · Publikati-                        Der Tropfenwagen, einzigartiges aerodynami-
    onen Presse-, Öffentlichkeitsarbeit und Marketing, Dirk Schreiber · Wissenschaftlicher Volontär Luft- und                          sches Automobil, konzipiert vom Flugzeugkonst-
    Raumfahrt, Dr. Thomas Schuetz · Universität Stuttgart, Historisches Institut, Abt. Wirkungsgeschichte der                          rukteur Edmund Rumpler.
    Technik, Frank Steinbeck · Mitarbeiter Landverkehr, Tatjana Teller · Wissenschaftliche Volontärin Presse-,                         © SDTB/Foto: C. Kirchner
    Öffentlichkeitsarbeit und Marketing, Eveliene Veen · Wissenschaftliche Volontärin Bildung und
                                                                                                                                       Verkaufspreis für diese Ausgabe:
    Besucherservice, Isabel Wanger · Wissenschaftliche Volontärin Kommunikation und Medien,
                                                                                                                                       Einzelpreis 5,00 €, Versandkosten 1,65 €
    Frank Zwintzscher · Wissenschaftlicher Volontär Landverkehr, Dr. Tiziana Zugaro · Leitung Presse-, Öffent-
    lichkeitsarbeit und Marketing                                                                                                      ISSN: 1869 – 1358
DEUTSCHES - Stiftung Deutsches ...
3 | 2018    DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN
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Zu dieser Ausgabe

Liebe Leserin, lieber Leser,                      krieg durchaus als Innovationsmotor gesehen        terhin können Sie wieder überraschende
„Kriegsende 1918 – endlich Frieden?“ So lau-      werden: Aufgrund des militärischen Interes-        Entdeckungen bei den Objekten des Monats
tet der Schwerpunkt dieser Ausgabe, und wie       ses wurden in die Weiterentwicklung der            machen!
schon 2014 möchten wir Ihnen mit einigen          Flugzeuge enorme finanzielle Mittel inves-           Die Freunde und Förderer des Deutschen
Aspekten aus der Themenvielfalt des Deut-         tiert, was technische Neuerungen beschleu-         Technikmuseums freuen sich, Sie recht zahl-
schen Technikmuseums die Bedeutung dieses         nigte. Militärische Anforderungen standen          reich bei dem diesjährigen neunten Kolloqui-
Krieges noch einmal nahe bringen – dieses Mal     zwar im Vordergrund, doch waren die hierfür        um zu Technik und Stadtgeschichte am
aus der Perspektive des Endes und der Auswir-     angestellten Forschungen und Versuche spä-         12. November begrüßen zu dürfen. Auch zu
kungen auf die folgende Zeitspanne bis in die     ter auch für die Verkehrsluftfahrt von Nutzen.     den anderen angekündigten Veranstaltungen
1930er Jahre.                                     Hugo Junkers hatte bereits 1915 mit der J 1        sind Sie uns immer willkommen, vor allem zu
  Der Dichter Stefan Zweig hat schon 1942 in      das erste freitragende Ganzmetallflugzeug          der Ausstellung „Architectura navalis –
seinem Werk „Die Welt von gestern“ vom            der Welt produziert. Nach dem Krieg über-          Schwimmender Barock“, die Sie ab 12. Okto-
„Krieg, den niemand gewollt“ gesprochen.          trug er dieses Prinzip auf Verkehrsflugzeuge –     ber sehen können. Sie werden staunen, wel-
Das kann man sicher von jedem Krieg sagen,        die F 13 absolvierte im Juni 1919 erfolgreich      che kunstvolle Verbindung Barock und
vor allem aus der Sicht der am meisten Betrof-    ihren Erstflug.                                    Schifffahrt im Deutschen Technikmuseum
fenen, nämlich den Bevölkerungen der krieg-          Die Bestimmungen des Versailler Vertrages       eingehen! Und wie immer wünschen wir Ih-
führenden Länder. Die Folgen des Ersten           hatten neben den schwerwiegenden negati-           nen eine anregende Lektüre.
Weltkriegs, der schon bald als der „Große         ven Auswirkungen auch positive Effekte. So                      MARIA BORGMANN, REINHARD DEMPS
Krieg“, „The Great War“ und „La Grande            vereinfachte das Verbot des Militärflugzeug-
Guerre“ bezeichnet wurde und als „Urkatas-        baus eine Umstellung auf zivile Produktion.
trophe des 20. Jahrhunderts“ gilt, haben          Unternehmen, denen bereits während des
zahlreiche Autoren auch der jüngsten Zeit in      Krieges technische Innovationen gelungen
grundlegenden Publikationen thematisiert. In      waren, konnten diese später für den Bau von
Mitteleuropa haben wir das Glück, seit über       Verkehrsflugzeugen für den zivilen Markt
sieben Jahrzehnten weitgehend in Frieden zu       anwenden.
leben, doch erfahren wir täglich in den Medi-        Auch in anderen Bereichen wie dem Kraft-
en, wie viele grausame Kriege an vielen           fahrzeugbau, den Veränderungen im deut-
Punkten der Welt geführt werden. Das ist ja       schen Bahnwesen oder der Entstehung eines
weit weg, sagen viele – ist es das wirklich?      großen Mischkonzerns geben unsere Auto-
  Was bedeutete der erste „totale“ Krieg für      rinnen und Autoren ihre Einschätzungen zu
die Zeitgenossen? In der übergreifenden Ein-      einer wechselvollen, teilweise dramatischen
führung werden die vielfältigen Auswirkun-        Zeit, die keineswegs „golden“ war. Das Titel-
gen und Einflüsse aus technik-, sozial- und       bild mit dem Rumpler-Tropfenwagen steht
kulturgeschichtlicher sowie ökonomischer          beispielhaft für die Konversion vom Flugzeug-
Perspektive sichtbar. Ob Hygieneartikel, Arm-     zum Autobau.
banduhren, Turbolader, Fließbandfertigung,           Natürlich bieten wir Ihnen, liebe Leserin und
Funk, Kriegsinvalidität oder Armut – es ist ein   lieber Leser, aber noch einiges neben den
vielschichtiges Panorama auf der „Basis“ zer-     Schwerpunkt-Themen. Die Volontärinnen
störter Landschaften und Millionen Toter, aber    und Volontäre haben sich kritisch in nieder-
auch der 1920er Jahre mit Technikenthusias-       ländischen Museen umgesehen. Wir möch-
mus und Misserfolgen sowie Ausblicken auf         ten Ihnen außerdem nicht nur die buchstäb-
die Zeit des Nationalsozialismus. Die Ambiva-     lich „gestochen“ feine Ausstellung über die
lenz der Technik ist immer allgegenwärtig.        Notenstecherei ans Herz legen, sondern auch
  Auch das Stichwort „Konversion“ taucht in       die Werkschau „Handwerk und Design – Pe-
den Beiträgen auf: Wie haben sich aus kriegs-     ter Raacke“, dem das Deutsche Technikmu-
orientierten technischen Verfahren und Pro-       seum besonders verbunden ist, weil er uns
dukten Neuerungen für das zivile Alltagsleben     seinen Nachlass „vorgelassen“ hat. Vielleicht
„ im Frieden“ entwickelt? Welche Rolle spiel-     erinnern sich einige von Ihnen noch an die
ten dabei die Bestimmungen des Versailler         große Raacke-Ausstellung „Gestalten für den
Vertrages? Ein Beispiel bietet der Flugzeug-      Gebrauch – 50 Jahre Peter Raacke Design“
bau. Für die Luftfahrt kann der Erste Welt-       2003 bei uns, die viel Aufsehen erregte. Wei-
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    Das Ende des Ersten Weltkrieges                                                                  und auch jene der 1920er Jahre konnten
                                                                                                     nicht in ihre eigene Zukunft blicken. Für sie

    vor hundert Jahren –                                                                             blieb der Erste Weltkrieg zunächst schlicht der
                                                                                                     „Große Krieg“, der mit den ganz unmittelba-

    Technikhistorische Folgen                                                                        ren Problemen des Alltags wie auch der
                                                                                                     großen Politik verbunden wurde.

    „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts                                                               In Osteuropa kämpften auch nach dem
                                                                                                     Frieden an der Westfront die Staaten um ihre
                                                                                                     Unabhängigkeit gegen die Bolschewiken, die
                                                                                                     ihrerseits in einem Millionen Tote fordernden
                                                                                                     Bürgerkrieg ihre Macht konsolidierten und die
                                                                                                     Sowjetunion gründeten. Auch in Deutschland
                                                                                                     hatte der Krieg die alten feudalen Strukturen
                                                                                                     beseitigt: Der Kaiser, die Könige und Herzöge
                                                                                                     waren abgesetzt und die neu gegründete
                                                                                                     Weimarer Republik kämpfte innen- und au-
                                                                                                     ßenpolitisch um ihr Überleben. Die West-
                                                                                                     mächte waren zwar siegreich gewesen, aber
                                                                                                     die Erschütterungen waren auch hier unüber-
                                                                                                     sehbar. Ganze Regionen in Frankreich waren
                                                                                                     vollends verwüstet. Die weltweiten Wirt-
                                                                                                     schaftskrisen der 1920er Jahre waren nicht
                                                                                                     zuletzt die Spätfolgen immenser Kriegskos-
                                                                                                     ten, die über Europa hinaus zu enormer Un-
                                                                                                     sicherheit und zumindest phasenweise zur
                                                                                                     Massenarbeitslosigkeit führten. Die Millionen
                                                                                                     heimkehrenden Soldaten rangen mit dem
                                                                                                     Erlebten nicht nur seelisch, die verkrüppelten
                                                                                                     Körper der Invaliden erinnerten auch im Alltag
                                                                                                     alle immer wieder daran, dass die Welt des
                                                                                                     „langen 19. Jahrhunderts“ (Eric Hobsbawm)
    s Plakat „Die Kriegsanleihe für die Befreiung“, 1918, Lithografie, Entwurf Abel Faivre,          untergegangen war, und zwar nicht still und
      französischer Zeichner und Karikaturist. Die antideutsche Haltung der Alliierten ist           leise, sondern in einer für alle Europäer spür-
      augenscheinlich. © SDTB, Historisches Archiv                                                   baren Katastrophe.

    Im Rückblick auf die Jahre 1914 bis 1918 wird    Deutschland angezettelte Zweite Weltkrieg       Der Erste Weltkrieg
    das „Industrialisierte Töten“ des Ersten Welt-   sowie der technisch und bürokratisch durch-     als technisierter Krieg
    kriegs, das rund 20 Millionen Menschenleben      organisierte Mord an den europäischen Ju-       Der Erste Weltkrieg war ein technisierter
    forderte, als der Beginn des bis 1945 dauern-    den war. Auch wenn wir den Ersten Weltkrieg     Krieg. Die traumatischen Erfahrungen an
    den „Zweiten Dreißigjährigen Kriegs“ (Hans-      heute mit guten Gründen als „Urkatastrophe      Front und Heimatfront hatten das praktisch
    Ulrich Wehler) interpretiert, dessen Höhe-       des 20. Jahrhunderts“ (George F. Kennan)        alle Soldaten am eigenen Körper spüren las-
    punkt der vom nationalsozialistischen            deuten, die Zeitgenossen des Jahres 1918        sen, und nicht nur jene, die Kugeln und

    s Zerstörte Gebäude in einem kleinen französischen Ort, vermutlich nahe Verdun. Aus dem Fliegeralbum Verdun, Fliegerabt. 44,
      1914 – 1918. Abb. r.: Eindrucksvoll gestaltete Friedhofsanlage mit einem Gräberfeld in einem kleinen Ort in Frankreich. Aus einem
      Fotoalbum der Firma Hugo Junkers, entstanden circa 1929 bis 1934. © SDTB, Historisches Archiv
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s Manfred von Richthofen, Jagdflieger im Ersten Weltkrieg. Aus dem Fotoalbum des Jagdfliegers Ernst Udet, das seine Kriegserinnerungen
  dokumentiert. Abb. r.: Postkarte vom Kampfflugzeug Fokker D VII, galt als leistungsfähigstes Jagdflugzeug im Ersten Weltkrieg, als
  Fokker D VIIF um Turbolader ergänzt. © SDTB, Historisches Archiv

Granatsplitter verstümmelt hatten. Artillerie,   und einsetzten, um Freiwillige und Rekruten      duktwerbung begriffen. So erklärte Ernst
Maschinengewehr, U-Boot, Flugzeug, Tele-         massenhaft so auszuwählen, dass sie den          Gerbe (1868 – 1952), Generaldirektor der
fon und Telegraf: Die Bedienung von Technik      nicht zuletzt technischen Anforderungen im       Daimler Motorengesellschaft, bereits im ers-
und die notwendigen Bewegungsabläufe             Kriegsdienst genügten.                           ten Kriegsjahr: „Mag dieser Krieg noch so viel
hatten sich in die Körper der Soldaten einge-      Auch wenn umfassende geschichtswissen-         Schreckliches gezeitigt haben, für den Auto-
schrieben. Eisenbahnen verbanden die Fron-       schaftliche Deutungen einer Wirkungsge-          mobilismus war er die großartigste Propagan-
ten mit Fabriken, wo an Hochöfen und Dreh-       schichte des Weltkrieges für Technikentwick-     da, die man sich denken kann. Durch den
bänken Arbeiterinnen und Arbeiter in             lung und technische Kultur noch ausstehen,       Krieg ist geradezu die Unentbehrlichkeit des
industrieller Massenproduktion den Nach-         so ist doch klar, dass die Bedeutung von         Automobils aller Welt in einer überzeugen-
schub vier Jahre lang sicherstellten. Die Be-    Technik für Wirtschaft, Konsum und Populär-      den Weise vor Augen geführt worden.“1
deutung von Technik zeigt sich nicht zuletzt     kultur der Zwischenkriegszeit eher wichtiger       Tatsächlich schuf der Erste Weltkrieg für
daran, dass Technik und Technikbeherr-           wurde, als sie dies zuvor bereits gewesen war.   eine kurze Zeit besondere Rahmenbedingun-
schung – am populärsten vielleicht in der        Für den Fall der Kraftfahrzeuge kam es etwa      gen: Innovationen, die direkt oder indirekt
Form des Fliegers von Richthofen und seinem      zu einer „Familisierung“ und „Veralltägli-       den Kriegsanstrengungen zugutekommen
roten Doppeldecker verkörpert – vielfach zum     chung“ (Kurt Möser), die zu einer massenhaf-     sollten, konnten weitgehend frei von den im
Signum des Krieges wurden. Richthofen steht      ten Sehnsucht nach Automobilen beigetra-         Frieden geltenden ökonomischen Vorausset-
freilich zugleich für einen Anachronismus des    gen und spätere Nutzungsformen geprägt           zungen vorangetrieben werden. Ein bekann-
Heroen in einem Krieg, in dem Psychologen        hat. Führende Industrielle haben den Krieg,      tes Beispiel ist der Turbolader, der ursprüng-
standardisierte Testverfahren entwickelten       ungeachtet seiner Millionen Toten, als Pro-      lich entwickelt worden war, um die

s Zerstörte Stadt in Frankreich, Besetzung der Häuser, auf den            s Die Kehrseite der „goldenen“ 20er Jahre: Kriegsinvalide, Bettler,
  Wegen davor der ausgeräumte Hausrat der Bewohner.                         in Uniform, Berlin, 1928.
  © SDTB, Historisches Archiv                                               Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1972-062-01 / CC-BY-SA
DEUTSCHES - Stiftung Deutsches ...
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                                                                                                        gewesen. Aber es haben wohl vor allem
                                                                                                        progressive Teile der künstlerischen und intel-
                                                                                                        lektuellen Elite eine solche Wahrnehmung
                                                                                                        geteilt und dabei auf ältere Traditionen wie
                                                                                                        jene des Fin de Siècle zurückgegriffen. Die
                                                                                                        kreative Auseinandersetzung mit der negati-
                                                                                                        ven Erfahrung und der Enttäuschung über das
                                                                                                        Scheitern des Traumes von der Beherrschbar-
                                                                                                        keit der Welt durch Wissenschaft und Technik
                                                                                                        spiegelt sich in der Kunst eines Max Beck-
                                                                                                        mann, Otto Dix oder Georg Grosz ebenso
                                                                                                        wider, wie in der Musik von Paul Hindemith
                                                                                                        und Arnold Schönberg oder in der Literatur
                                                                                                        von Thomas Mann, Erich Maria Remarque
                                                                                                        und Arnold Zweig. Auch einige größere ge-
                                                                                                        sellschaftliche Gruppen organisierten sich,
                                                                                                        um Alternativen zu einer allein kriegerischen
                                                                                                        und technischen Moderne zu suchen, wie die
                                                                                                        Kundenbewegung, die Wandervögel oder die
                                                                                                        Anthroposophen.
    s Argus-Rootsgebläse für 600-800-PS-Flugzeugmotor, Gewicht 48 Kilogramm, für                          Die Mehrzahl der Europäer verharrte jedoch
      6 000 Meter Gleichdruckhöhe. Aus der Fotosammlung B. Lange.                                       unbeeindruckt von den Verheerungen des
      © SDTB, Historisches Archiv                                                                       technisierten Krieges in einem fortschrittsop-
                                                                                                        timistischen Technikenthusiasmus. Die unge-
    Einsatzhöhe der Flugzeuge zu steigern und        Zellstoff, für dessen Verwendung als medizi-       heure Begeisterung für den Atlantiküberflug
    der dann im Frieden in Sportwagen, Renn-         nische Bandagen riesige Produktionskapazi-         durch Charles Lindbergh 1927 und die Faszi-
    boten und Luxusautos Verwendung fand.            täten aufgebaut worden waren, fand nach            nation für den Motorrennsport zeigen das für
    Zudem erwies er sich für ältere Technologi-      dem Krieg etwa in Tampons Einzug in die            die Öffentlichkeit – von Technikskepsis ist hier
    en, die zuvor nur eine geringe Verbreitung       Alltagskultur.                                     keine Spur. Auch die Militärs und Techniker
    erfahren hatten, als eine Art Katalysator, der                                                      hatten aus der Technisierung des „Großen
    zu ihrer massenhaften Verbreitung beitrug.       Ungebremster                                       Krieges“ ihre Lehren gezogen und trieben
    Eine ganze Reihe fanden sich dann nach           Technikenthusiasmus                                technische Neuerungen in der Rüstung kon-
    1918 im zivilen Bereich wieder, wie Arm-         In seinem neuesten Buch stellte der nieder-        sequent voran, was zu einem mehrfach ge-
    banduhren, Teebeutel und Reißverschlüsse.        ländische Technikhistoriker Erik van der Vleu-     steigerten Zerstörungspotenzial der Arsenale
    Der Reißverschluss ging sogar auf das Jahr       ten die bereits vielfach vertretene These auf,     am Beginn des Zweiten Weltkriegs führte.
    1851 zurück. Erst die Massenproduktion für       die Weltkriege seien eine Wasserscheide            „Der Erste Weltkrieg schien zu lehren“, so der
    das US-Militär machte aus ihm für Millionen      zwischen einem fortschrittgläubigen 19. und        Historiker Joachim Radkau, „dass nur die
    von Soldaten einen alltäglichen Gegenstand.      einem technikskeptischen 20. Jahrhundert           konsequente Nutzung neuer Technik in ei-

    s Werbung für Waltham-Armbanduhren, deren im Ersten Weltkrieg bewährte Verlässlichkeit als besondere Empfehlung galt. Abb. r.:
      Werbung mit Coupon für Kotex-Hygienebinden aus Zellstoff, die aus Verbandsmaterial im Krieg entwickelt wurden.
      © SDTB, Historisches Archiv
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                                                                                                                                                      7

                                                                                                  Technokratie, Taylorismus
                                                                                                  und Fordismus
                                                                                                  Es war gerade die Zwischenkriegszeit, in der
                                                                                                  die Idee technischer Rationalität als Allheilmit-
                                                                                                  tel gegen allgegenwärtige gesellschaftliche
                                                                                                  und politische Probleme eine erste langanhal-
                                                                                                  tende Konjunktur erlebte. Der 1919 durch
                                                                                                  den US-amerikanischen Ingenieur William H.
                                                                                                  Smith geprägte Begriff der Technokratie kann
                                                                                                  stellvertretend für das Aufkommen von Tech-
                                                                                                  nik und Wissenschaft als „Hintergrundideolo-
                                                                                                  gie“ (Jürgen Habermas) in Folge des Ersten
                                                                                                  Weltkriegs verstanden werden. So wie Tech-
                                                                                                  niker um die Effizienzsteigerungen von Ma-
                                                                                                  schinen bemüht waren, versprachen Techno-
                                                                                                  kraten das rationale Management von
                                                                                                  Gesellschaft, „um die Verwerfungen einer
                                                                                                  fragmentierenden Moderne wieder einzufan-
                                                                                                  gen“, wie Dirk van Laak notiert.3 Dabei schau-
                                                                                                  ten die Öffentlichkeit und Ingenieure auf die
s Fertig montierte Zündapp-Motorräder, Probelauf einer Maschine auf spezieller Test-              USA. Im Weltkrieg waren die USA zur bestim-
  vorrichtung, die Uhr ist auf Zeitintervalle der Fließbandfertigung abgestimmt.                  menden wirtschaftlichen und militärischen
  © Foto: Albert Renger-Patzsch / Archiv Ann und Jürgen Wilde / VG Bild-Kunst, Bonn 2018          Macht aufgestiegen. Nach dem Krieg wurde
                                                                                                  das Land zum Vorbild für ein ruiniertes Euro-
nem künftigen Krieg zum Sieg verhelfen           als grundsätzlich ambivalent zu skizzieren, da   pa, das an einen unübersehbaren technischen
könne.“2 Die Ingenieure selbst gaben sich        Kerntechnik sowohl die unbegrenzte Verfüg-       und ökonomischen Vorsprung anzuschließen
betont unbeeindruckt von den Kriegserfah-        barkeit von Energie wie auch eine unbegrenz-     suchte. Charles Maier hat bereits 1970 die
rungen. Der Technikunternehmer, Technik-         te Zerstörungskraft versprach. In Deutschland    Verbindungen von „Taylorismus und Techno-
philosoph und Zentrumsabgeordnete Fried-         zog die radikale Rechte sogar die extreme        kratie“ betont. Frederick W. Winslow Taylor,
rich Dessauer kann stellvertretend für die       Gegenposition heran, dass der technisierte       der 1911 die „Grundlagen der Wissenschaft-
deutschen Ingenieure stehen, wenn er 1931        Krieg ein großartiges Erlebnis gewesen sei,      lichen Betriebsführung“ veröffentlicht hatte,
betont, dass Technik menschliche Herrschaft      und vertrat damit vielfach sozialdarwinisti-     wurde in Deutschland breit rezipiert. Sein
über Natur ermögliche und negative Folgen        sche Ansichten. Bereits der Titel von Ernst      „Scientific Management“ schien einen ratio-
technischen Wandels allein auf eine „Häresie     Jüngers Roman „In Stahlgewittern“ macht          nalen und unpolitischen Ausweg aus den
der Wirtschaft“ zurückzuführen seien. Erst im    deutlich, dass Technik zu einem zentralen        Konflikten von Wirtschaft und Arbeit zu eröff-
Angesicht der realen Möglichkeiten der Welt-     Moment positiver Kriegsdeutung eines „rei-       nen: Technischer Sachverstand sollte in einer
zerstörung durch atomares Wettrüsten be-         nigenden Blutbades“ umgedeutet werden            Zeit der Knappheit Überschüsse herbeiführen
gann er nach dem Zweiten Weltkrieg, Technik      konnte.                                          und dabei Zeit und Geld sparen.

s Ein Mitglied der Erste-Hilfe-Krankenschwestern bei der berittenen britischen Miliz beim Schmieren ihres Wagens. © National Library of
  Scotland_D.726. Fotograf: John Warwick Brooke Abb. r.: Kriegsinvalide bei der Arbeit an einer Messbrücke in der Maschinenfabrik von AEG-
  Telefunken, 1915. © SDTB, Historisches Archiv, AEG-Telefunken-Archiv
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    s Zu Weihnachten ein Brennabor: Automobil-Eleganz der 1920er Jahre in der Zeitschrift „Motor“, 1929. Abb. r.: Ab 1911 wurde der
      „Bosch-Mephisto“ in vielen Ländern Europas und in Übersee zum Markenzeichen mit hohem Wiedererkennungswert und auf
      unterschiedlichen Werbemedien eingesetzt. Plakat, 1917. © SDTB, Historisches Archiv

    Neben Taylor war Henry Ford die zweite           Aufbau                                            gen erwiesen sich als äußerst schwierig: Das
    Lichtgestalt des modernen Amerikas, die mit      einer Friedenswirtschaft                          internationale Währungssystem des Gold-
    der Fließbandfertigung für eine effektive und    Im Krieg waren die Fabriken der Kriegsteil-       standards war zusammengebrochen und die
    hochtechnisierte Art des Wirtschaftens           nehmer rasant gewachsen. Ein Beispiel wäre        liberale Wirtschaftsordnung der Vorkriegszeit
    stand. In einer Zeit des Mangels nach dem        André Citroën, dessen Fabrik vor dem Krieg        hatte aufgehört zu existieren. Um die eige-
    Ersten Weltkrieg versprach Ford, dessen          vor allem Zahnräder gefertigt hatte. Bereits      nen Industrien zu schützen und vermeintlich
    millionenfach verkauften Automobile in den       in den ersten Kriegsmonaten zeigte sich auf       Arbeitsplätze für das Heer der Heimkehrer zu
    USA das Zeitalter des Individualverkehrs ein-    allen Seiten, dass der Weltkrieg zu einem         schaffen, reagierten viele Industrienationen
    läuteten, Aufschwung und Konsum für alle.        Stellungskrieg wurde, der nicht nur Millionen     mit einer Schutzzollpolitik, die so dramati-
    Das galt nicht nur in West- und Mitteleuropa,    Soldatenkörper, sondern auch ungeheure            sche Folgen zeitigte, sodass die Historiker
    auch die Bolschewiken setzten auf die Me-        Mengen Munition und anderes technisches           Johannes Bähr und Paul Erker von einer „De-
    thoden von Taylor und Ford. Lenins Technik-      Material verschlang. Citroën versprach dem        globalisierung“ sprechen.
    enthusiasmus zeigt sich nicht nur in dem         französischen Militär, dass seine Fabrik in         Während eine Vielzahl von Unternehmen in
    berühmten Zitat, dass Kommunismus gleich         Paris innerhalb kurzer Zeit große Mengen          dieser kritischen Phase von der Bildfläche
    Sowjetmacht plus Elektrifizierung sei, son-      Munition liefern könne. Es folgte ein rapider     verschwand, gab es auf der anderen Seite
    dern auch in einem konzentrierten Technik-       Ausbau der Fertigung und Citroën hielt seine      jene, die gestärkt aus dem Krieg hervorgin-
    import. Unter Mitarbeit von Ford und ande-       Versprechen ein. Nach dem Krieg stand das         gen: Renault, Citroën, Bosch und Daimler sind
    ren amerikanischen Ingenieuren legte die         Unternehmen jedoch, wie unzählige Unter-          nur einige, die in diesem Zusammenhang
    Sowjetunion große Traktorenfabriken etwa         nehmen in Europa und den USA, vor einem           anzuführen wären. Sie hatten enorm vom
    in Wolgograd an. Wobei angemerkt werden          gewaltigen Umbruch: Der Absatzmarkt für           Krieg profitiert. Dass diese Kriegsgewinne
    muss, dass nicht alles so reibungslos verlief,   das Produkt, das man massenhaft gefertigt         nicht nur von Kommunisten und Sozialisten
    wie das Fließband es versprach. Gegen Ende       hatte, war mit dem Versailler Frieden zusam-      kritisch gesehen wurden, vermag das Beispiel
    der 1920er Jahre kam die Ford-Fabrik in die      mengebrochen. Im Falle Citroën gelang mit         des Stuttgarter Unternehmers Robert Bosch
    Krise und verlor Marktanteile, und auch der      der Fertigung von Automobilen der Umstieg         zu belegen. Dessen Unternehmen war durch
    plötzliche, massive Einsatz importierter Tech-   in die Friedenswirtschaft. Bei vielen anderen     die massenhafte Verwendung seiner Zünder
    nik bereitete in der Sowjetunion erhebliche      scheiterten die Marktanpassungen jedoch.          für die Motorenproduktion kräftig gewach-
    Schwierigkeiten.                                 Denn die wirtschaftlichen Rahmenbedingun-         sen und hatte auch eine erhebliche Rationa-
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                                                                                                                                                         9

s Die Focke-Wulf Fw 200 Condor, eines der modernsten Passagierflugzeuge der 1930er Jahre. Konzipiert als Passagierflugzeug für Lang-
  strecken – 1938 Atlantiküberquerung –, wurde sie im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Luftwaffe als Seeaufklärer eingesetzt.
  © SDTB, Historisches Archiv

lisierung der Produktion erlebt. Von 1913 bis     Nicht der Krieg,                                 nomen lässt sich gut am Beispiel der von Fritz
1918 war die Zahl seiner Beschäftigten von        der alle Kriege beendete                         Haber betriebenen Forschung zu giftigen Ga-
5 100 auf 8 940 und sein Umsatz von rund 26       Der Erste Weltkrieg war nicht der Krieg, der     sen nachzeichnen. Während des Krieges war
auf 73 Millionen Mark angestiegen. Von den        alle Kriege beendete. In der Zwischenkriegs-     der Einsatz von Giftgas zunächst als Waffe in
Gewinnen aus diesen Geschäften stiftete           zeit hatte die Erfahrung des Krieges auch ein    der falschen Annahme konzipiert worden, so
Bosch 20 Millionen für die Kanalisierung des      massives Aufrüstungs- und Rüstungsfor-           den Stellungskrieg beenden zu können. Nach
Neckars und für verschiedene soziale und          schungsprogramm in den Industrienationen         dem Krieg fanden die Erkenntnisse in der Form
bildungspolitische Stiftungen.                    zu Folge. Frankreich baute etwa seit Beginn      von Ungeziefer-Vernichtungsmitteln für die
   Insgesamt waren die wirtschaftlichen Aus-      der 1930er Jahre die Maginot Linie, eine 1 000   Reinigung von Schiffen, Kühlhäusern und Ge-
wirkungen des Kriegs jedoch katastrophal. Für     Kilometer lange Reihe von Festungen, die vor     treidemühlen Verwendung. Die Entwicklung
die deutschen Eisenbahnen – das zentrale          einem neuerlichen Einfall Deutschlands schüt-    des Giftgasgranulats Zyklon B 1922 war der
Infrastruktursystem der Zeit – war der Krieg      zen sollte. Deutschland begann bereits in den    Versuch gewesen, durch die Absorption von
eine enorme Belastung gewesen. Nach Jahren        1920er Jahren mit Rüstungsforschung, was         Blausäure in Kieselgur ein für den Anwender
der intensiven Nutzung, in der Bestandspflege     dem Land nach dem Versailler Vertrag eigent-     sicheres Verfahren zu entwickeln. Heute ist es
und Neuanschaffung ausgeblieben waren,            lich untersagt war, und kooperierte dabei mit    durch den Einsatz als Massenvernichtungsmit-
stand man 1918 vor einem Investitionsstau,        der Sowjetunion. Seit Ende der 1920er Jahre      tel des Holocaust zu einem der traurigsten
den zu beseitigen Jahrzehnte dauern sollte.       kämpften Sowjetunion und Japan um Einfluss       Symbole der Menschheitsgeschichte gewor-
Krisenhaft entwickelte sich die wirtschaftliche   in China, während im Pazifik die Kriegsflotten   den. Die weitere Geschichte des zwanzigsten
Gesamtsituation auch, weil, wie der Historiker    aufgerüstet wurden. Zwar hatte Deutschland       Jahrhunderts würde – selbst für jene, die den
Gerald D. Feldman formulierte, der Erste Welt-    seine Kolonien verloren, das bedeutete aber      Horror des Grabenkriegs überlebt hatten – auf
krieg eine „Form des volkswirtschaftlichen        keineswegs ein Ende des Kolonialismus. Frank-    furchtbare Weise zeigen, dass der „Große
Selbstmords“ war, dessen Kosten in Deutsch-       reich und Großbritannien teilten nach dem        Krieg“ keineswegs der Krieg war, der alle Krie-
land durch die Hyperinflation von 1923 ge-        Weltkrieg die Provinzen des Osmanischen          ge beendete.
deckt wurden. In deren Folge wurden die           Reiches unter sich auf und machten sie als                 EIKE CHRISTIAN HEINE, THOMAS SCHUETZ
Deutschen, bis auf wenige Ausnahmen, deut-        Protektorate zu Teilen ihrer Kolonialimperien.
lich ärmer, als sie es zuvor gewesen waren.       Weltweit wurden also Techniken, die im „Gro-     Literatur
                                                                                                   1 Fraunholz, Uwe: Motorphobia. Anti-automobi-
Auch gesellschaftliche Modernisierungen,          ßen Krieg“ entwickelt worden waren, zur
                                                                                                     ler Protest in Kaiserreich und Weimarer Repub-
etwa der Zugang von Frauen ins produzieren-       Unterdrückung und Kontrolle indigener Bevöl-       lik, Göttingen 2002, S. 38 f.
de Gewerbe und andere Wirtschaftsbereiche,        kerungsgruppen angewandt.                        2 Radkau, Joachim: Technik in Deutschland. Vom
wurden zügig wieder zurückgenommen. Die              So brachten Funkgeräte, Eisenbahnen und         18. Jahrhundert bis heute, Frankfurt a. M. u.
Umstellung auf die Friedenswirtschaft ging        Flugzeuge die Welt näher zueinander; neben         New York 2008, S. 258.
                                                                                                   3 van Laak, Dirk: Technokratie im Europa des
demnach nicht bruchlos über die Bühne: Es         der Hoffnung, dass im technischen Fortschritt
                                                                                                     20. Jahrhunderts – eine einflussreiche ‘Hinter-
kam zu Verdrängungskämpfen und einer da-          das Potenzial zu einem friedlichen Miteinander     grundideologie’, in: Lutz Raphael (Hg.), Theorien
raus resultierenden Konzentration, die Trust-     der Menschen liegt, wurde jedoch auch die          und Experimente der Moderne. Europas Gesell-
bewegung nach der Wirtschaftskrise von            Janusköpfigkeit von Technik sehr deutlich.         schaften im 20. Jahrhundert, Köln u. a.: Böhlau,
1929 vorausahnen ließ.                            Dieses als „Dual-Use“ Problem bekannte Phä-        S. 101–128, S. 113.
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     Stagnation statt Fortschritt                                                                       stürzten sich auf den Kfz-Bau. Zu den etab-
                                                                                                        lierten Anbietern gesellten sich daher neu

     Der Erste Weltkrieg und die Motorisierung Deutschlands                                             Marken wie BMW, D-Rad, DKW oder
                                                                                                        Zündapp. Da die Rüstungsbetriebe im Krieg
                                                                                                        zunehmend auf eine normierte und standar-
                                                                                                        disierte Massenproduktion hingearbeitet
                                                                                                        hatten, so die weit verbreitete Ansicht, hätte
                                                                                                        der Krieg auch Fortschritte in den Fertigungs-
                                                                                                        methoden gebracht.

     s Kraftfahrer im Krieg. Das Personal der deutschen Kraftfahr-           s Im Ersten Weltkrieg kamen viele Menschen erstmals mit
       truppen inklusive Wartung und Verwaltung stieg zwischen 1914            Kraftfahrzeugen näher in Berührung. Ob der verstärkte Einsatz
       und 1918 von circa 8 000 auf über 92 000. Mit gut 42 000 teils          von Automobilen und Motorrädern im Krieg ihre zivile
       nicht einsatzfähigen Fahrzeugen 1918 war der Fuhrpark aber              Verbreitung nach 1918 nachhaltig förderte, ist hingegen
       vergleichsweise klein. © SDTB, Historisches Archiv                      fragwürdig. © SDTB, Historisches Archiv

     Der Erste Weltkrieg bedeutete für die Mo-      führten sie technische Fortschritte, die die        Nicht zuletzt steht die Behauptung im Raum,
     torisierung Deutschlands einen Einschnitt.     Ingenieure gerade im Flugzeugbau erzielten:         der Krieg hätte die Akzeptanz von Kraftfahr-
     Während das Kraftfahrzeug im Kaiserreich       Verbrennungsmotoren wurden zuverlässiger,           zeugen gefördert. Der Umgang mit ihnen
     noch ein Luxusgegenstand war, entwickel-       effizienter und leichter. Filigrane und stabile     wurde demnach zur Normalität und weckte
     te es sich in der Weimarer Republik zum        Flugzeug-Karosserieteile ließen sich ebenfalls      eine bleibende Begeisterung für das Auto-
     Gebrauchsgegenstand.                           auf den Kfz-Bau übertragen. Modern anmu-            und Motorradfahren. In den 1920er Jahren
                                                    tende Stromlinienfahrzeuge wie der Rumpler-         las man nicht selten, „daß der Krieg das bes-
     Kfz-Entwicklung                                Tropfenwagen kamen auf den Markt, da sich           te Propagandamittel für das Kraftfahrzeug
     und Akzeptanz                                  viele Flugzeugbauingenieure dem Auto- und           gewesen war.“ Unter den neueren Technik-
     Zeitgenossen und manche Automobilhistori-      Motorradbau zuwandten.                              historikern schrieb Kurt Möser 2002: „Die
     ker zogen den Schluss, der Erste Weltkrieg       Große Rüstungsunternehmen suchten                 breite Autobegeisterung im Europa der 20er
     hätte diese Entwicklung ermöglicht. Ins Feld   nach Kriegsende neue Absatzmärkte und               Jahre, die kollektive Phantasie einer Volksmo-

     s Der Bestand an Kraftfahrzeugen nahm in Deutschland nach dem           s Im internationalen Vergleich war Deutschland in den 1930er
       Ersten Weltkrieg enorm zu. Als Einstiegsfahrzeuge etablierten           Jahren das Motorradland schlechthin. Im Gegensatz dazu fuhren
       sich Motorräder. Ihre Bestände lagen ab 1926 über denen der             hierzulande lediglich vier Prozent aller weltweit vorhandenen
       Pkw. © Grafik: F. Steinbeck                                             Pkw. © Grafik: F. Steinbeck
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torisierung, wäre nicht denkbar gewesen,          der „Schmach von Versailles“ in Verbindung.       Hemmende Wirkung
ohne den Modernisierungsschub und die             Der Automobilhistoriker Christoph Maria Mer-      des Krieges
Konditionierung durch den Ersten Weltkrieg“.      ki kam 2002 zu dem Schluss, dass der Krieg        Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, an der
  Als negative Folge des Krieges gilt vielen      den Motorradboom der 1920er Jahre ermög-          modernisierenden Wirkung des Krieges und
hingegen der Motorradboom, der in der Wei-        lichte, indem „die unter den Kriegs- und Infla-   der eher negativen Beurteilung des Motorra-
marer Republik einsetzte. Konservative Schich-    tionsfolgen leidenden potentiellen Automobi-      des zu zweifeln.
ten werteten ihn damals als Zeichen der Armut     listen auf diesen etwas unbequemen, aber            Fortschritte in der Technik und der Fertigung
Deutschlands und setzten die extrem hohe          vergleichsweise billigen und steuerlich begüns-   fanden nach Kriegsende zunächst kaum Nie-
Motorradverbreitung – politisch motiviert – mit   tigten Notbehelf auswichen“.                      derschlag. Im Gegenteil: Vorkriegstypen wur-
                                                                                                    den bis 1918 nur im Detail verbessert, umfang-
                                                                                                    reiche Entwicklungen und Neukonstruktionen
                                                                                                    blieben aus. Der Krieg hemmte die Entwick-
                                                                                                    lung konstruktionstechnisch so sehr, dass die
                                                                                                    Industrie nach 1918 international zunächst
                                                                                                    nicht konkurrenzfähig war und die neu am
                                                                                                    Markt auftauchenden Hersteller oft ausländi-
                                                                                                    sche Fahrzeuge kopierten oder in Lizenz bau-
                                                                                                    ten. Enorme Gewinne mit Rüstungsgütern,
                                                                                                    fehlender Konkurrenzdruck und die garantier-
                                                                                                    te Abnahme der Fahrzeuge durch das Militär
                                                                                                    verhinderten zudem die Einführung einer rati-
                                                                                                    onellen Massenproduktion. Diese setzte erst
                                                                                                    1925/26 ein, als die deutschen Automobil- und
                                                                                                    Motorradhersteller ihre Betriebe umfassend
s Moderne Fahrradproduktion bei einem der Pioniere der Fließfertigung in Deutschland,               modernisierten und zunehmend Fließbänder
  den Opel-Werken, um 1928. Den Absatzzahlen entsprechend hielt die Fließband-                      installierten.
  produktion in der Weimarer Republik tendenziell zunächst im Fahrradbau, dann im                     Bei der Normierung sah es kaum besser aus.
  Motorradbau und schließlich im Automobilbau Einzug.                                               Während die Rationalisierung der Rüstungs-
  © Archiv Opel Automobile GmbH
                                                                                                    produktion 1917 in die Einsetzung des Nor-
                                                                                                    menausschusses der deutschen Industrie
                                                                                                    (NDI) mündete, blieben Fortschritte im Kfz-
                                                                                                    Bau aus. Zwar bildeten Militär und Industrie
                                                                                                    1916 eine Normalien-Kommission für den
                                                                                                    Kfz-Bau, ihre Wirkung blieb jedoch gering.
                                                                                                    Nach Kriegsende vereinbarten Industrie und
                                                                                                    Reichsregierung, die Kfz-Zulassung von der
                                                                                                    Einhaltung bestimmter Normen abhängig zu
                                                                                                    machen. Allerdings scheiterten die Bemühun-
                                                                                                    gen zur staatlichen Normalisierung im Kfz-
                                                                                                    Bau. Während der Weimarer Republik setzten
                                                                                                    sich somit nur Fabriknormungen durch.
                                                                                                      Auch die Bedeutung der Rüstungsbetriebe
                                                                                                    für den Kfz-Bau ist zweifelhaft: Die Produkti-
                                                                                                    onskapazitäten der Rüstungsindustrie waren
                                                                                                    zwar groß, moderne Anlagen zur Massenfer-
                                                                                                    tigung von Kraftfahrzeugen waren es aber
                                                                                                    nicht. Hersteller, die die Stabilisierungskrisen
                                                                                                    der Weimarer Republik überlebten, mussten
                                                                                                    einen völlig neuen Maschinenpark anschaffen
                                                                                                    oder ganze Werke hochziehen, um die gestie-
                                                                                                    gene Nachfrage zu bedienen und produktions-
                                                                                                    technisch mit der Konkurrenz gleichzuziehen.
                                                                                                    Die Produktionsanlagen der etablierten Kfz-
                                                                                                    Hersteller eigneten sich dagegen besser für
                                                                                                    den Fahrzeugbau. Firmen wie NSU hatten
                                                                                                    bereits in den Vorkriegsjahren moderne Be-
                                                                                                    triebserweiterungen geplant, die der Kriegs-
s Werbung für das D-Rad, 1928. Die Deutschen Industriewerke in Spandau spielten eine                ausbruch jedoch verhinderte.
  Vorreiterrolle bei der Modernisierung der Kfz-Produktion. Die Firma warb zudem mit der              Ebenfalls fragwürdig ist die Ansicht, der
  Zeitersparnis für die Käufer, da die Rationalisierungswelle immer weitere Lebens-                 Erste Weltkrieg hätte das Image von Kraft-
  bereiche betraf. © „Das Auto“, Berlin, Jg. 16, 1928, Nr. 13                                       fahrzeugen nachhaltig beflügelt. Die circa
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     s Zündapp-Werbung, 1922. Ob „Motorrad für Jedermann“ oder „Volksmotorrad“, die Hersteller bewarben in den 1920er Jahren das
       Motorrad als Volksfahrzeug. Trotz Propaganda für den Volkswagen setzte sich dieser Trend in den 1930er Jahren mit dem
       „Volksmotorfahrrad“ fort. © SDTB, Historisches Archiv
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                                                                                                                                                    25

s Der Mensch umringt vom großstädtischen Autoverkehr, foto-             s Die Friedrichstraße, Postkarte der 1930er Jahre. In Großstädten
  grafiert von Willy Pragher 1929 in Berlin. Ohne den Ersten Welt-        wie Berlin dominierte damals der Automobilverkehr, vor allem
  krieg wäre diese Szene womöglich schon in den frühen 1920er             durch Omnibusse und Motordroschken. Motorräder waren vor
  Jahren Realität geworden.                                               allem in Kleinstädten und auf dem Land verbreitet.
  © SDTB, Historisches Archiv, Foto: Willy Pragher                        © SDTB, Historisches Archiv

5 000 Motorräder, 10 000 Pkw und 20 000        Großen Einfluss auf den Imagewandel übten         jedoch nicht dazu. Diese Schichten, Arbeiter
Lkw des Militärs konnten am Image kaum         in den 1920er Jahren die USA aus, wo bislang      und Angestellte, hatten sich vor 1914 höchs-
etwas ändern. Die sinkende Ablehnung und       ungeahnte Konsummöglichkeiten die Deut-           tens ein Fahrrad leisten können. Von Verar-
selteneren Protestaktionen gegen Automobi-     schen nachhaltig beeindruckten. Bereits 1914      mung konnte hier keine Rede sein, zumal die
listen hatten ihren Grund vielmehr in den      bemerkte der Soziologe und Nationalöko-           Löhne von Arbeitern und Angestellten, die
veränderten Rahmenbedingungen: Die Sor-        nom Franz Oppenheimer nach einer USA-             den Großteil der deutschen erwerbstätigen
gen und Nöte der Menschen waren derma-         Reise in der „Vossischen Zeitung“ vom 3. Juli,    Bevölkerung ausmachten, bereits bis 1926
ßen groß, dass Automobile nicht die Aufre-     dass der erste Eindruck, den er gewann, der       wieder auf das Vorkriegsniveau gestiegen
gung erzeugten wie in den Vorkriegsjahren.     „eines außerordentlich breit und tief veran-      waren.
                                               kerten Wohlstandes, zutage tretend in der           In Deutschland wogen wirtschaftliche und
Imagewandel                                    geradezu fabelhaft entfalteten Industrie der      politische Folgekosten weit schwerer als
und Motorradboom                               Automobile“ war. Das Auto sei bereits „in viel    technische Innovationen sowie Rationalisie-
Während in den unmittelbaren Vorkriegsjah-     tiefere Kreise des Mittelstandes“ hinein ver-     rungs- und Imageerfolge während des Krie-
ren ein stabiler, von Lkws und Pkws getrage-   breitet und Chicago hätte dadurch eine            ges. Völlig unaufgeregt und treffend be-
ner Motorisierungsaufschwung stattfand,        Siedlungsstruktur bekommen, „die man am           schrieb 1921 die „Vossische Zeitung“ den
deutete sich zudem bereits der Wandel vom      besten als eine hundertfache Kolonie Grune-       negativen Einfluss, den der Krieg für die Mo-
Luxus- zum Gebrauchsgegenstand an, wie         wald charakterisieren kann“.                      torisierung hatte: „Die Aufwärtsbewegung
folgende Einschätzung der „Täglichen Rund-       Fraglich ist ebenso, ob der Krieg dem Mo-       im Gebrauch der Kraftfahrzeuge ist […] für
schau“ von 1913 unterstreicht: „Die 70 000     torradboom den Weg bahnte. Die Entwick-           das gesamte deutsche Reichsgebiet festzu-
Kraftfahrzeuge, die nach amtlicher Statistik   lung des Motorrads zum Volksfahrzeug der          stellen; es setzt sich hier eine Welle fort, die
im Jahre 1912 in Deutschland liefen, dienen    Deutschen deutete sich schon vor dem Krieg        schon vor dem Krieg einen gewissen Höhe-
zum allergrößten Teil dem Wirtschaftsleben     an, als sich die Alltagstauglichkeit erhöhte      punkt erreicht hatte und nur unter der Einwir-
und dem gewöhnlichen Verkehr in Gestalt        und die Bestände kräftig anzogen. Verhand-        kung der Kriegsjahre eine Unterbrechung
von Autodroschken, Autoomnibussen,             lungen der Hersteller mit der Regierung und       erlitt.“
Krafträdern, Geschäftswagen, schweren          den Behörden für eine steuer- und verkehrs-                                        FRANK STEINBECK
Lastkraftwagen.“                               rechtliche Begünstigung ebneten 1913/14
  Zudem wuchs eine neue Generation heran,      zudem Entwicklungsmöglichkeiten, an die           Literatur
die in der Weimarer Republik den Kunden-       1918 lediglich angeknüpft wurde. Man kann         Merki, Christoph Maria: Der holprige Siegeszug
                                                                                                 des Automobils, 1895–1930. Zur Motorisierung
stamm stellte: Lehrlinge und junge Arbeiter,   daher von vier, aufgrund der Nachkriegspro-       des Strassenverkehrs in Frankreich, Deutschland
die um 1928 unbedingt ein Kleinkraftrad        bleme sogar von sechs bis acht verlorenen         und der Schweiz, Wien-Köln-Weimar 2002.
wollten und damit die erste private Motori-    Jahren sprechen, die der Krieg für die Verbrei-
                                                                                                 Möser, Kurt: Geschichte des Autos, Frank-
sierungswelle in Deutschland auslösten. Sie    tung des Motorrades und die Motorisierung         furt a. M. – New York 2002.
haben vor 1914 kaum Steine auf „Herrenfah-     Deutschlands bedeutete.
                                                                                                 Steinbeck, Frank: Das Motorrad. Ein deutscher
rer“ werfen können oder an der Front den         Das Motorrad selbst stellte für die Deut-       Sonderweg in die automobile Gesellschaft (VS-
Reiz von Automobilen und Motorrädern           schen zudem eine Erhöhung ihres Lebens-           WG-Beihefte; Bd. 216), Stuttgart 2012.
schätzen gelernt. Die Ursachen einer neuen     standards dar. Zwar fiel tatsächlich durch die
„Autokultur“ lagen daher nicht in der Bekeh-   Kriegsfolgen eine ganze Reihe potentieller
rung der männlichen Bevölkerung durch die      Autokäufer aus, die Träger der enormen Mo-
Kriegsmotorisierung.                           torradverbreitung der 1920er Jahre gehörten
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