Deutschland auf dem Weg zur Circular Economy - Erkenntnisse aus europäischen Strategien Vorstudie Thomas Weber und Martin Stuchtey (Hrsg.) - Acatech
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Deutschland auf dem Weg zur Circular Economy Erkenntnisse aus europäischen Strategien Vorstudie Thomas Weber und Martin Stuchtey (Hrsg.)
Deutschland auf dem Weg zur Circular Economy Erkenntnisse aus europäischen Strategien Vorstudie Thomas Weber und Martin Stuchtey (Hrsg.)
Inhalt Vorwort 4 Zusammenfassung 5 Projekt 8 1 Einführung 10 2 Circular Economy – Wirtschaftswachstum entkoppelt von Ressourcenverbrauch 11 2.1 Handlungsbedarf und konzeptionelles Umfeld der Circular Economy 11 2.2 Entwicklung der Circular Economy in Europa 15 2.3 Potenziale einer ambitionierten Transformation nach zirkulären Grundsätzen 16 2.4 Hürden für eine Circular Economy 17 2.5 Zusammenfassung 20 3 Blick nach innen: Relevanz der Circular Economy für Deutschland 21 4 Blick nach außen: Nationale Aktivitäten zur Circular Economy in Europa 25 4.1 Vorgehensweise und Methodik 25 4.2 Grundmotivation für einen Systemwandel 27 4.3 Impulsgeber und Treiber der Transformation 28 4.4 Zielsystem 30 4.4.1 Zielformulierung und Indikatoren 30 4.4.2 Themenwahl und Schwerpunktsetzung 34 4.5 Einbindung von Interessensgruppen 36 4.6 Maßnahmen für die Umsetzung 38 4.6.1 Privatwirtschaftliche Mobilisierung 39 4.6.2 Gesellschaftliche Mobilisierung 41 4.6.3 Wissenschaft und Forschung 43 4.7 Zusammenfassung 44 5 Zusammenfassung und nächste Schritte: Gestaltungsmöglichkeiten für den Übergang Deutschlands zu einer zirkulären Wirtschaft 45 6 Anhang 48 6.1 Beispiele für den Einsatz ressourcenpolitischer Instrumente 48 6.2 Liste der Publikationen und Interviewpartnerinnen und -partner 52 Abbildungsverzeichnis 54 Literatur 55
Basis für die Diskussionen und geplanten Analysen der Circular Vorwort Economy Initiative Deutschland. Diese Grundlagenarbeit wurde unter Federführung von acatech Die Vorstudie „Deutschland auf dem Weg zur Circular Economy“ – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Vizepräsident erscheint mit Gründung der Circular Economy Initiative Deutsch- Thomas Weber und Team der Geschäftsstelle Circular Economy land. Die Initiative unter Federführung von acatech – Deutsche Initiative Deutschland) in Kooperation mit SYSTEMIQ (Martin Akademie der Technikwissenschaften wird vom Bundesministerium Stuchtey und dem Material-Platform-Team) durchgeführt. acatech für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die Circular Eco- bringt als unabhängige und gemeinwohlorientierte Organisation nomy Initiative Deutschland will den Dialog anstoßen, wie eine Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zu technikwissen- systemische Trendwende vom linearen zum zirkulären Wirtschaften schaftlichen und technologiepolitischen Zukunftsfragen zusam- gelingen kann. Dabei sollen in unterschiedlichen Arbeitsgruppen men. Im Rahmen des Zwei-Säulen-Modells von acatech vereint konkrete Umsetzungsmöglichkeiten zirkulären Wirtschaftens und die Akademie die Expertise von herausragenden Wissenschaft- Lösungen für vorherrschende Barrieren erarbeitet werden. Zudem lerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher fachlicher Dis- strebt die Initiative an, die Potenziale einer Circular Economy für ziplinen mit dem Fachwissen von Vertretern technologieorien- Deutschland genauer zu beziffern. Ziel der Initiative ist die Ent- tierter Unternehmen und Vereinigungen. Gegründet als B-Cor- wicklung einer Roadmap, die darlegt, wie der Wandel Deutsch- poration versteht sich SYSTEMIQ als Katalysator guter lands hin zu einer Circular Economy gestaltet werden kann. Disruptionen in kritischen Wirtschaftssystemen, um die Errei- chung des 1,5-Grad-Ziels von Paris und der UN-Nachhaltigkeits- Um den Start der Circular Economy Initiative Deutschland best- ziele zu ermöglichen. Hierzu mobilisiert und unterstützt SYSTEMIQ möglich und zielgerichtet zu begleiten, wurden in der vorliegenden Koalitionen, berät Pioniere aus Wirtschaft und Politik, investiert Vorstudie wichtige Bedingungen für eine erfolgreiche Umsetzung in vielversprechende Lösungen und gründet selbst Unternehmen, analysiert und diskutiert. Die Vorstudie baut auf den Erfahrungen um Marktlücken zu füllen. europäischer Länder auf, die durch die Entwicklung von Roadmaps oder vergleichbaren Circular-Economy-Strategien bereits die Trans- Wir danken der Stiftung Mercator und der European Climate formation hin zu einer Circular Economy angestoßen haben. Die Foundation, die mit ihrer Förderung diese Vorstudie möglich ge- Lernerfahrungen und Best Practices dieser Länder wurden unter- macht haben. Beide Stiftungen haben damit umfassend zum Er- sucht und ihre Übertragbarkeit auf den deutschen Kontext aus- kenntnisgewinn, wie der Wandel hin zu einer Circular Economy gewertet. In diesem Sinne bildet diese Vorstudie eine umfassende gestaltet werden kann, beigetragen. Prof. Dr.-Ing. Thomas Weber Prof. Dr. Martin R. Stuchtey Vizepräsident acatech – Gründer und geschäftsführender Partner SYSTEMIQ Deutsche Akademie der Technikwissenschaften 4
Zusammenfassung Gleichzeitig stehen der erfolgreichen Transformation hin zu einem Zusammenfassung zirkulären Wirtschaften auch Hindernisse entgegen. Diese finden sich auf nahezu allen Ebenen und bedingen sich oft gegenseitig. Dazu gehören fiskalische Barrieren genauso wie operationale und Die Europäische Union und zahlreiche Mitgliedsländer haben technische Herausforderungen auf Unternehmensebene. strategische Pläne für einen Übergang zu einer ressourcenscho- nenden Wirtschaftsweise nach den Prinzipien der Circular Eco- Von der Prämisse ausgehend, dass eine Circular Economy auch in nomy entwickelt. Auch außerhalb von Europa folgen Länder dieser Deutschland ein Mittel sein kann, um ökologische Ziele mit Pro- Leitidee, beispielsweise China, Japan oder Kanada. Für Deutsch- duktivitätsfortschritt, Innovationsleistung, Wettbewerbsfähigkeit land fehlt solch ein Plan derzeit. und Beschäftigung zu vereinen, besteht Handlungsbedarf. Deutsch- land muss ressourcenentkoppeltes Wachstum basierend auf be- Diese Vorstudie leistet einen Beitrag zur beginnenden öffentlichen stehenden Kompetenzen und strukturellen Stärken zu einem in- Debatte zum Thema Circular Economy in Deutschland. Ermöglicht ternationalen Wettbewerbsvorteil machen. Im Vergleich zu einigen durch die Förderung der Stiftung Mercator und der European Cli- anderen europäischen Ländern steht die Diskussion dazu in mate Foundation schafft diese Publikation die Grundlage für die Deutschland noch am Anfang. Zwar gibt es bereits wichtige poli- von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften – tische Instrumente, die den Übergang zu einer Circular Economy und SYSTEMIQ initiierte Circular Economy Initiative Deutschland. gezielt unterstützen, eine zunehmende Zahl von Initiativen und Akteuren, die sich mit dem Thema beschäftigen, sowie eine um- Ausgestattet mit einem politischen Mandat und einer Förderung fassende öffentliche Förderstrategie. Was nach wie vor fehlt, ist des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hat ein einheitliches, gesamtgesellschaftliches Zielbild für den Über- die Initiative Anfang 2019 ihre Arbeit aufgenommen. Sie bringt gang zur Circular Economy, welches die Grundmotivation für den Wirtschaft, Wissenschaft und gesellschaftliche Akteure zusammen, Systemwandel beschreibt, dabei an bestehende politische Ziele um ein gemeinsames Zielbild für die Circular Economy in Deutsch- anderer Politikfelder anknüpft, sowie ein Narrativ entwickelt, das land zu entwickeln, konkrete Anwendungsfälle zu untersuchen die übergreifende Relevanz der Circular Economy betont. und deren Umsetzung zu unterstützen sowie förderliche Rahmen- bedingungen zu identifizieren. Dieses Papier soll einen ersten Impuls für die Diskussion zu diesem Zielbild liefern. Es entwickelt im Folgenden Vorschläge dafür, wie Die von acatech und SYSTEMIQ durchgeführten Literaturanalysen dieses Zielbild systematisch gemeinsam mit allen relevanten Inte- und Expertenbefragungen konsolidieren die Erfahrungen euro- ressengruppen entwickelt und umgesetzt werden kann. Diese Vor- päischer Länder, die bereits Roadmaps oder vergleichbare Circu- schläge sollen dann in den Arbeitsgruppen der Circular Economy lar-Economy-Strategien entwickelt haben. Die daraus abgeleiteten Initiative Deutschland vertieft und als Ergebnis der Initiative eine Erkenntnisse bilden somit die Basis für die tiefergehenden Ana- Circular-Economy-Roadmap für Deutschland entwickelt werden. lysen und Diskussionen der Circular Economy Initiative Deutsch- land. Circular-Economy-Strategien in europäischen Ländern Circular Economy in Deutschland Eine Reihe europäischer Länder hat bereits Circular-Economy- Roadmaps und -Strategien entwickelt und teilweise schon imple- Die Circular Economy, das heißt eine systemisch gedachte und mentiert. Die Analyse dieser Circular-Economy-Roadmaps und ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft, wird zunehmend als ein -Strategien sowie Experteninterviews mit den verantwortlichen wichtiges Konzept wahrgenommen, mit dem ökologische und politischen Akteuren bilden die Grundlage für diese Vorstudie. ökonomische Ziele in Einklang gebracht werden können. Der Dis- kurs zu ihren Potenzialen hat allerdings gerade erst begonnen – in der Politik, bei Unternehmen, in der Wissenschaft und in der Liste der analysierten Länder/Regionen: Zivilgesellschaft. Erste Berechnungen zeigen beachtenswerte po- - Dänemark - Finnland sitive Potenziale durch die Umsetzung einer Circular Economy - Frankreich - Italien auf, diese sind aber noch nicht umfassend wissenschaftlich un- - England – London - Luxemburg termauert. So sollen in Europa bis zu 50 Prozent der Emissionen - Niederlande - Niederlande – Friesland in materialintensiven Industrien und Wertschöpfungsketten re- - Portugal - Schottland duziert oder gesamtgesellschaftliche Nettogewinne von 900 Mil- - Slowakei - Slowenien liarden Euro pro Jahr bis 2030 erzielt werden können. 5
Die Ergebnisse der Analyse wurden vom Autorenteam in Kapitel 4 unterschiedliche nationale Ziele in einer Circular-Economy- in Form von 24 wesentlichen Erkenntnissen zusammengefasst Strategie zu harmonisieren. und zeigen: n Die Einbindung in bereits bestehende Aktivitäten sowie n Impulsgeber für die Veränderung kamen aus unterschiedlichen einer breiten Basis an Stakeholdern wurde von allen Län- Bereichen der Gesellschaft. So waren es beispielsweise in dern als wichtig erkannt, um ein Momentum zu generieren den Niederlanden das Parlament, in Slowenien eine gemein- und Ressourcen sinnvoll zu nutzen. In fast allen Ländern wur- nützige Organisation und in Luxemburg einzelne Unternehmen, den die Unternehmen sowohl als Treiber als auch als wich- die an das Wirtschaftsministerium herantraten. Bei der Erar- tigster Adressat integriert. Die Wissenschaft wurde vor allem beitung der Länderstrategien auf politischer Ebene gab es zur Untersuchung bestimmter Fragestellungen eingebunden. oft einen Schulterschluss verschiedener Ministerien, der dem Einige Länder haben aktiv Vertreterinnen und Vertreter der Querschnittscharakter der Circular Economy gerecht wird. Zivilgesellschaft eingebunden, beispielsweise über Multi-Sta- keholder-Workshops und Arbeitsgruppen (Frankreich, Slowe- n Die Motivation für den Wandel hin zu einer Circular Economy nien und Luxemburg). Zwar gestaltete es sich aufwendig, ist das Erreichen verschiedener nationaler und internationaler konkrete Rückschlüsse für die Strategie aus den Prozessen ab- Zielsetzungen wie Wettbewerbsfähigkeit, Ressourcenunab- zuleiten, die Einbindung hatte dennoch aufklärend-bildenden hängigkeit, Klimaschutz etc. Im Fokus stehen dabei vor allem Charakter. ökonomische Ziele. Circular Economy ist somit kein Selbst- zweck, sondern ein Mittel, um übergeordnete Ziele zu errei- n Das enge Zusammenspiel von nationalen und regionalen chen. Regierungen spielte in vielen Ländern eine Rolle. So konnten regionale Unterschiede besser berücksichtigt werden. n Durch die Anknüpfung der Circular Economy an übergeord- nete Ziele hat mit Ausnahme der Niederlande keines der Län- n Die in den Strategien definierten Maßnahmen nutzen ver- der ein eigenes dezidiertes Zirkularitätsziel bestimmt. schiedene ressourcenpolitische Instrumente: belastende Innerhalb der übergeordneten Ziele verwendeten die Länder ökonomische Anreize, belohnende ökonomische Anreize, dennoch Indikatoren zur Messung der Auswirkungen von Cir- ordnungsrechtliche Instrumente, Informationsinstrumente, cular-Economy-relevanten Maßnahmen. Es besteht Einigkeit sowie Bildung und Forschung. Obgleich eine Vielzahl von darüber, dass die genutzten Indikatoren nicht ausreichen, Maßnahmen bereits umgesetzt wird, kann deren umfassende um die Auswirkung von Maßnahmen zu messen, die den Wirkung noch nicht abgeschätzt werden. Übergang zu einer Circular Economy unterstützen sollen. Eine Weiterentwicklung wird unter Einbeziehung des EU Monito- n Entsprechend dem gesamtgesellschaftlichen Charakter der ring Frameworks angestrebt. Circular Economy richten sich die Maßnahmen an Unterneh- men, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Mit Blick auf die n In der Analyse der Länderstrategien stechen zwei Arten von Unternehmen stehen das Setzen von Anreizen und eine ge- Strategien hervor. Einige sind sehr allgemein formuliert und genseitige Vernetzung oft im Vordergrund. Die Wissenschaft haben zum Ziel, ein gemeinsames Verständnis von Circular wird bei der Untersuchung Circular-Economy-relevanter Fra- Economy zu schaffen (inklusiver, nicht verpflichtender An- gestellungen gezielt gefördert. Dagegen adressieren viele Ro- satz). Andere deklinieren detailliert die Wirkungskette von Zir- admaps die Verantwortung der Konsumierenden überhaupt kularitätshebeln durch und leiteten sehr konkrete Aktivitäten nicht (Dänemark), andere ziehen sie klar in die Verantwor- ab (expliziter Ansatz). Die Wahl der Art der jeweiligen Strate- tung (Italien, Frankreich). gie ist stark von bereits existierenden Circular-Economy-Akti- vitäten abhängig. Schlussfolgerungen für eine Circular Economy Initiative in Deutschland n Fokusthemen wurden in der Regel nicht systematisch aus ei- ner wissenschaftlich fundierten Gesamtbetrachtung von Basierend auf der Analyse der Erfahrungen anderer Länder und Potenzialen und Möglichkeiten abgeleitet, sondern folgten den daraus gewonnenen wesentlichen Erkenntnissen leiten sich aktuellen politischen Zielsetzungen (beispielsweise hundert- für eine Circular-Economy-Strategie für Deutschland wertvolle Leh- prozentige Recyclingquote für Plastikmüll in Frankreich), stra- ren ab, die in Kapitel 4 in Form von Textboxen hervorgehoben tegischer Relevanz für den Wirtschaftsstandort (beispiels- werden. Für das abschließende Kapitel 5 wurden diese Erkennt- weise Forstwirtschaft in Finnland) oder erhoben den Anspruch, nisse und Ableitungen vom Autorenteam in Form von zehn Thesen 6
Zusammenfassung Warum – Grundmotivation für Systemwandel Ein konkretes, gemeinsames Zielbild für die Circular Economy als Mittel zur Erreichung wichtiger gesellschaftlicher Ziele entwickeln Wohin – Wie – Maßnahmen Das Zielsystem für die Umsetzung Ein konsistentes Ziel- Konkrete Maßnahmen anstoßen, um und Indikatorensystem Wer – Geschäftsmodelle und Technologien zu befördern zur Steuerung und Impulsgeber Nachverfolgung „Circular Clusters“ initiieren, in denen besonders aufbauen und Treiber der relevante Zukunftsfelder fokussiert entwickelt werden Transformation Systematisch konkrete Eine Bildungsinitiative starten, um die Kerngedanken Lösungsvorschläge Eine unabhängige der Circular Economy und den systemischen Betrach- zu Barrieren und operative Einheit tungsansatz in relevanten Curricula zu verankern Anreizen für die Circular etablieren, die Economy erarbeiten ressort- und Deutschland in der EU und international als politikübergreifend Vorreiter der Circular Economy Eine nationale Circular die Circular Economy positionieren Economy Roadmap in Deutschland basierend auf Zielbild vorantreibt und Zielsystem entwickeln Mit wem – Einbindung von Interessengruppen Einen sektorübergreifenden vorwettbewerblichen Raum etablieren, in dem offen Informationen ausgetauscht, Kooperationen angestoßen und (Industrie-)Standards definiert werden Abbildung 1: Gestaltungsmöglichkeiten für den Übergang zu einer Circular Economy in Deutschland (Quelle: eigene Darstellung) ausformuliert, die als Grundlage für den weiteren Diskurs hin zu vertiefend untersuchen wird. Ausgestattet mit einem politischen einer nationalen Circular-Economy-Strategie gesehen werden kön- Mandat bindet die Initiative Wirtschaft, Wissenschaft und ge- nen. Die zehn Thesen sind in Abbildung 1 grafisch dargestellt. sellschaftliche Akteure ein, um ein gemeinsames Zielbild für Deutschland zu entwickeln, konkrete Anwendungsfälle zu unter- Diese Vorstudie leistet einen Beitrag zur beginnenden öffentlichen suchen und deren Umsetzung zu unterstützen sowie förderliche Debatte zum Thema Circular Economy in Deutschland. Konkret Rahmenbedingungen zu identifizieren. Die Circular Economy Ini- bildet sie die Diskussionsbasis für die Circular Economy Initiative tiative Deutschland ist vom Bundesministerium für Bildung und Deutschland, die im Rahmen ihrer Arbeit diese Erkenntnisse auf- Forschung gefördert und wird unter der Federführung von acatech greifen und einzelne Elemente in den geplanten Arbeitsgruppen und in Kooperation mit SYSTEMIQ durchgeführt. 7
Projekt Herausgeber Expertenkreis – Prof. Dr.-Ing. Thomas Weber, acatech – Ann-Kathrin Denker, Interseroh – Prof. Dr. Martin Stuchtey, SYSTEMIQ – Dr. Ralph Detsch, Siegwerk – Dr. Christian Hagelüken, Umicore – Jürgen Hilsenbeck, Daimler Interviewpartnerinnen und -partner – Dr. Martin Hirschnitz-Garbers, Ecologic Institut – Justus Kammüller, WWF – Tobias Beck, Ministry of Environment and Food of Denmark – Prof. Dr. Claus Lang-Koetz, Hochschule Pforzheim – Barbora Bondorová, Ministry of Environment – Miriam Lassernig, Reverse Logistics Group of the Slovak Republic – Dr. Thorsten Leopold, Henkel – Sander Bos, Innovatiepact Fryslân – Ulrike Linnig, Climate-KiC – Callum Blackburn, Zero Waste Scotland – Ursula Mathar, BMW – Milan Chrenko, Ministry of Environment – Sybilla Merian, Interseroh of the Slovak Republic – Tom Ohlendorf, WWF – Dr. Inês Costa, Ministry of Environment and Energy – Dr. Carsten Polenz, SAP Transition of Portugal – Prof. Dr. Armin Reller, Universität Augsburg – Stuart Ferguson, London Waste and Recycling Board – Charlotte Ruhbaum, Stiftung Mercator – Alexandra Ferreira de Carvalho, Ministry of Environment – Prof. Dr. Mario Schmidt, Hochschule Pforzheim and Energy Transition of Portugal – Dr. Fabian Schneider, Clariant – Ladeja Godina Košir, Circular Change in Slovenia – Natalie Schnelle, SAP – Ian Gulland, Zero Waste Scotland – Magnus Schulz, Daimler – Tjitske IJpma, Ministry of Infrastructure and Water – Rebecca Tauer, WWF Management of the Netherlands – Dr. Dieter Vollkommer, Siemens – Laura Järvinen, Finnish Innovation Fund Sitra – Wassilij Weber, Interseroh – Niko Korpar, Circular Change in Slovenia – Prof. Dr.-Ing. Friedrich-Wilhelm Wellmer, ehemals – Michael Lenaghan, Zero Waste Scotland Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe – Leena-Kaisa Piekkari, Ministry of the Environment – Dr. Henning Wilts, Wuppertal Institut für Klima, of Finland Umwelt, Energie – Dr. Janez Potočnik, Co-Vorsitzender UNEP International – Simon Wolf, European Climate Foundation Resource Panel & ehemaliger EU-Kommissar, Partner bei SYSTEMIQ – Dr. Jeannot Schroeder, Positive ImpaKT in Luxembourg – Peter Skelton, WRAP Global – Dr. Christian Tock, Ministry of the Economy of Luxembourg – Marline Weber, Institut National de l’Économie Circulaire of France 8
Projekt Konzeption, Texte, Interviews, Projektlaufzeit Projektkoordination 12/2018 bis 07/2019 acatech-Geschäftsstelle Circular Economy Initiative Deutschland Förderung Diese Studie wurde gefördert durch Dr. Susanne Kadner (Leitung) Katharina Schweitzer Dr. Sören Buttkereit Alina Marm Tilmann Vahle Die Circular Economy Initiative Deutschland wird Ronja Wolf 9
mengefasst und beschreiben wesentliche Elemente für die Ge- 1 Einführung staltung eines Übergangs in eine Circular Economy (Kapitel 5). Derzeit wird viel über einen Paradigmenwechsel in der Logik in- Die vorliegende Vorstudie dient als Wissens- und Diskussions- dustrieller Wertschöpfung diskutiert – weg von einem ressourcen- grundlage für die Circular Economy Initiative Deutschland. intensiven hin zu einem ressourcenproduktiven Modell. Für das Während sich die Initiative zum Ziel gesetzt hat, konkrete Frage- Industrie- und Exportland Deutschland stünde damit viel auf dem stellungen zur Umsetzung einer Circular Economy in Deutschland Spiel, denn dieser Wechsel würde nicht weniger als eine Neuin- tiefgehend zu analysieren, möchte diese Vorstudie den Erfahrun- terpretation des Modells „Made in Germany“ erfordern. gen anderer Länder schon heute Raum geben. Aus der Analyse der Strategien in zehn europäischen Ländern und Regionen wer- Basierend auf der Annahme, dass eine Circular Economy der den zehn Thesen für die Gestaltung des Übergangs zu einer kreis- Schlüssel zu einer ressourcenproduktiven Wirtschaft sein kann, laufoptimierten Wirtschaftsweise in Deutschland abgeleitet. bietet diese Vorstudie abgeleitet von Erfahrungen anderer euro- päischer Länder Überlegungen an, wie Deutschland den Weg Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geför- in eine Circular Economy gestalten kann. Einleitend beleuchtet derte Circular Economy Initiative Deutschland möchte durch es dafür den europäischen Kontext sowie die Ausgangssituation die Einbindung von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilge- in Deutschland (Kapitel 2 und 3). Darauf aufbauend analysiert sellschaft den Dialog anstoßen, wie eine systemische Trendwende diese Publikation relevante Aktivitäten in anderen europäischen vom linearen zum zirkulären Wirtschaften gelingen kann. Dabei Ländern, um aus diesen Erfahrungen Erkenntnisse für Deutschland sollen in unterschiedlichen Arbeitsgruppen konkrete Umsetzungs- abzuleiten (Kapitel 4). Hierzu wurden von Dezember 2018 bis möglichkeiten zirkulären Wirtschaftens und Lösungen für vorherr- Februar 2019 die Architekteninnen und Architekten der existie- schende Barrieren erarbeitet werden. Zudem strebt die Initiative renden EU-Länder-Roadmaps1 interviewt. Die wichtigsten Erkennt- an, die Potenziale einer Circular Economy für Deutschland genauer nisse dieser Analyse werden in Form von zehn Thesen zusam- zu beziffern. 1 | Der Begriff „Roadmapping“ (siehe Gabler Wirtschaftslexikon), aus dem Projektmanagement kommend, stellt ein Analyseverfahren dar, in dem „Entwicklungspfade von Produkten, Dienstleistungen und Technologien in die Zukunft hinein analysiert, prognostiziert und visualisiert werden“. Wesentliche Elemente bilden hierbei das Zusammenführen und das Bewerten von Expertenwissen mit dem Ziel, konkrete Handlungsoptionen in Form einer Roadmap abzuleiten. In den untersuchten Fällen beschreiben die Roadmaps Elemente zur Gestaltung eines Übergangs zu einer zirkulären Wirtschaft. 10
Circular Economy Um die Perspektive eines Wirtschaftens innerhalb der planetaren 2 Circular Economy – Grenzen konkretisieren zu können, werden in Kooperation von Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft derzeit sogenannte Wirtschaftswachstum „wissenschaftsbasierte Ziele“ („Science-based Targets“) für unter- schiedliche lebenserhaltende Systeme der Erde entwickelt.12 Mo- entkoppelt von mentan haben diese noch einen deutlichen Klimafokus und zielen darauf ab, Anstrengungen zur Reduktion von Treibhausgasen auf Ressourcenverbrauch Unternehmens-, Sektor- oder Stadtebene in Einklang mit den Ver- einbarungen von Paris zu bringen und den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter zwei Grad Celsius ge- 2.1 Handlungsbedarf und genüber vorindustrieller Zeit zu begrenzen.13 konzeptionelles Umfeld der Gleichzeitig verursachen wirtschaftliche Aktivitäten des Men- Circular Economy schen weitreichende Folgen für die Umwelt und menschliche Gesundheit, ohne notwendigerweise planetare Grenzen zu be- Spätestens seit der Publikation des Club of Rome zu den Grenzen treffen. Der Abbau von Metallen und Mineralen für das fertigende des Wachstums (1972) gibt es eine globale Debatte darüber, in- Gewerbe in etwa hat oftmals schwere Umweltschäden und soziale wieweit die wachsende Weltbevölkerung, der zunehmende Wohl- Verwerfungen und Menschenrechtsverletzungen zur Folge.14, 15 stand und das damit einhergehende Konsumverhalten mit den be- Abgesehen von diesen ethischen Erwägungen kann es auch aus grenzten Ressourcen der Erde vereinbar sind.2 War die Diskussion unternehmerischer und volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll sein, anfangs auf die Verfügbarkeit von nicht-erneuerbaren Rohstoffen die Abhängigkeit von kritischen Primärrohstoffen zu verringern. beschränkt, so hat sich mittlerweile die Perspektive erweitert. So kann beispielsweise der Einsatz von ressourceneffizienten Pro- duktionsverfahren und Geschäftsmodellen die Abhängigkeit von Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass menschliche Aktivitäten volatilen Rohstoffmärkten reduzieren. Daraus können sich für Un- das Erdsystem destabilisieren und damit sogenannte „planetare ternehmen Anreize ergeben, ihre Nutzung natürlicher Ressourcen Grenzen“3 überschritten werden können. Diese Veränderungen effizienter und unter Berücksichtigung sozialer und ökologischer manifestieren sich in Themen wie dem deutlich fortschreitenden Auswirkungen zu managen.16 Klimawandel,4, 5 dem rasanten Verlust globaler Biodiversität6, 7 oder dem steigenden Druck auf verbleibende natürliche Landflä- Lösungsmodelle für die skizzierten Herausforderungen nehmen chen.8 Unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird da- verschiedene Formen an: Viele beruhen auf dem Effizienzprinzip, her bereits von der Epoche des Anthropozäns gesprochen9, 10, 11 – welches zum Ziel hat, den Verbrauch von Ressourcen für die Be- einem Erdzeitalter, in dem der Mensch entscheidende und teil- reitstellung von Produkten oder Dienstleistungen zu minimieren. weise irreversible Auswirkungen auf die geologischen, atmosphä- Ein wichtiges Stichwort hier ist Rohstoffproduktivität, die als In- rischen und biophysikalischen Prozesse des Planeten hat. dikator für die Effizienz eines Systems genutzt wird und beschreibt, wie viel wirtschaftliche Wertschöpfung (BIP) pro Menge einge- Die daraus folgenden Implikationen für die Produktivität beste- setzter Ressourcen erzielt wurde.17 hender Wertschöpfungssysteme sind bisher nicht umfassend er- forscht und verstanden. Dennoch lassen sich Lieferkettenunterbre- Effizienzansätze stellen einen wichtigen ersten Schritt für die Sen- chungen und Preisspitzen beobachten – verursacht durch extreme kung des Ressourcenverbrauchs und die damit verbundenen Wetterphänomene, wie sie infolge eines zunehmenden Klimawandels negativen Umweltauswirkungen dar, indem sie den Ressourcen- erwartet werden. Auch die vertretbare maximal nutzbare Menge einsatz pro produzierter Einheit reduzieren. Aufbauend auf den verschiedener Rohstoffe wird infrage gestellt, wie beispielsweise der umfassenden Erfahrungen in der Effizienz- und Produktivitäts- Eintrag von Stickstoff und Phosphor aus der Landwirtschaft. steigerung sind allerdings weitere grundlegendere Maßnahmen 2 | Vgl. Meadows et al. 1972. 10 | Vgl. Crutzen 2002. 3 | Vgl. Rockström et al. 2009. 11 | Vgl. Waters et al. 2016. 4 | Vgl. IPCC 2014. 12 | Vgl. IIASA 2019. 5 | Vgl. IPCC 2018. 13 | Vgl. SBTi 2019. 6 | Vgl. IPBES 2019. 14 | Vgl. Angerer et al. 2016. 7 | Vgl. WWF 2018. 15 | Vgl. OECD 2019. 8 | Vgl. Steffen et al. 2015. 16 | Vgl. acatech et al. 2017. 9 | Vgl. Subcommission on Quaternary Stratigraphy 2019. 17 | Vgl. BMUB 2016. 11
notwendig. Schließlich bleibt das tatsächliche Potenzial von Effi- Wohl- Entkopplung vom Wohlbefinden befinden zienzansätzen angesichts steigender Konsumnachfragen begrenzt.18 Des Weiteren können Rebound-Effekte dazu beitragen, dass Effizienzverbesserungen ihre Wirkung zur absoluten Ressour- Wirtschafts- leistung ceneinsparung nicht komplett entfalten können.19, 20 Auch die unternehmerischen Risiken, die aus der Abhängigkeit von Pri- Ressourcen-Entkopplung märmaterialien aus volatilen globalen Rohstoffmärkten entstehen, können zwar durch Effizienz reduziert, jedoch nicht völlig ausge- Ressourcen- schlossen werden. verbrauch Zeit Das Konzept der Circular Economy (CE) geht zu diesem Zweck über Ansätze der Ressourceneffizienz und -produktivität hinaus und positioniert sich zwischen reinen Effizienzansätzen und Denk- schulen der Suffizienz und Postwachstumsökonomik. Letztere Entkopplung von Umweltbelastung Umwelt- belastung verlangen eine absolute Begrenzung der Rohstoffnutzung und Abkehr von wirtschaftlichem Wachstum.21 Die CE hingegen zielt als Konsistenzstrategie auf eine naturverträgliche Gestaltung von Wirtschaftssystemen ab und basiert auf wissenschaftlich Abbildung 2: Konzept der Entkopplung (Quelle: International etablierten Disziplinen wie der Industrial Ecology und Ecological Resource Panel, 2019)27 Economics.22, 23, 24, 25 Sie strebt die Minimierung negativer Um- weltauswirkungen durch qualitative Transformation sowie Schlie- ßung und Verlangsamung von Materialkreisläufen an. In diesem oder aber eine biologische Abbaubarkeit ermöglichen. Die Nut- Sinne soll durch die Umsetzung von CE-Praktiken die Rate des zungsphase sollte intensiviert und verlängert werden. Das könnte Wirtschaftswachstums von der Zunahme der Umweltauswirkungen zum Beispiel dadurch geschehen, dass technische Produkte durch entkoppelt werden.26 digitale Dienstleistungen geteilt und damit deutlich besser aus- gelastet oder vollständig durch digitale Dienstleistungen ersetzt Im Rahmen der Diskussion um die Entkopplung von Wirtschafts- werden. Am Ende der Lebensdauer sollten die verschiedenen leistung und Wohlbefinden von Ressourcennutzung und Ex- Wertstoffe so weit wie möglich durch Sortieren und Demontage ternalitäten wird zwischen relativer und absoluter Entkopplung getrennt und stofflich für erneute Nutzung aufbereitet werden. unterschieden. Eine relative Entkopplung findet statt, wenn das Wirtschaftswachstum stärker zunimmt als die damit verbundenen Die Ellen MacArthur Foundation (EMF) und das McKinsey Cen- Umwelt- und Sozialfolgen. Eine absolute Entkopplung tritt erst ter for Business and Environment haben 2013 eine Konzeptua- auf, wenn Ressourcennutzung und Externalitäten bei anhaltendem lisierung der CE vorgenommen. Das entstandene Framework, Wirtschaftswachtsum abnehmen (siehe dazu Abbildung 2).27 Um das sogenannte Butterfly-Diagramm (siehe Abbildung 3), hat in dem Bedarf weniger wohlhabender Länder nach weiterem wirt- der Wirtschaft, Zivilgesellschaft wie auch im politischen Diskurs schaftlichem Wachstum gerecht zu werden, sollten diese Länder große Resonanz gefunden und wird oft als ein zentrales Framework laut dem International Resource Panel (IRP) weiterhin die Gele- für Circular Economy referenziert. Auch wenn die idealisierte Dar- genheit haben, lediglich relative Ressourcenentkopplung anzuvi- stellung in der Praxis so nicht erreicht werden kann, soll diese sieren (wenngleich auch hier bereits vorausschauend entspre- umfänglich genutzte Abbildung als Aufhänger für die geplanten chende Infrastrukturen geplant werden sollten, um später eine Diskussionen im Rahmen der Circular Economy Initiative Deutsch- absolute Entkopplung zu ermöglichen).28 land (CEID) genutzt werden. CE-Ansätze können in den verschiedenen Stufen des Lebens- In der Darstellung wird aufbauend unter anderem auf dem Cradle- zyklus eines Produktes greifen: Materialauswahl und Design to-Cradle-Ansatz zwischen der Biosphäre und Technosphäre sollten Langlebigkeit, Wiederaufbereitung und Reparierbarkeit unterschieden.29 18 | Vgl. Allwood et al. 2017. 24 | Vgl. Bruel et al. 2018. 19 | Vgl. IRP 2011. 25 | Vgl. Ghisellini et al. 2016. 20 | Vgl. IRP 2017. 26 | Vgl. IRP 2018. 21 | Vgl. Paech 2012. 27 | Vgl. IRP 2019. 22 | Vgl. Huber 2000. 28 | Vgl. IRP 2017. 23 | Vgl. Schmidt 2008. 29 | Vgl. Ellen MacArthur Foundation 2013. 12
Circular Economy Prinzip Erneuerbare Endliche Rohstoffe Rohstoffe 1 Naturkapital erhalten und aufwerten Stoffstrommanagement Regenieren Materialien Virtuali- Wieder- erneuerbarer Materialien austauschen sieren herstellen Bestandsmanagement Biologischer Kreislauf Technischer (Biosphäre) Kreislauf Anbau/Ernte Komponenten- hersteller (Technosphäre) Regene- ration Biochemische Produkthersteller Biosphäre Biosphäre Rohstoffe Recycling Produktive Nutzung Dienstleister 2 Renovierung/ von Ressourcen optimieren Teilen Wiederaufarbeitung Kaskaden Wiederverwendung/ Biogas Umverteilung Instandhaltung/ 6 2803 0006 9 Verbraucher Nutzer Verlängerung der Lebensdauer Extraktion biochemischer Sammlung Sammlung Rohstoffe 3 Systemeffektivität fördern Minimierung systematischer Sickerverluste und negativer Externalitäten Abbildung 3: Darstellung eines getrennten biologischen und technischen Kreislaufs und kaskadierende Nutzung. Die Abbildung dient als Aufhänger für die im Rahmen der CEID geplanten Diskussionen zur Konzeptualisierung der CE. (Quelle: eigene Darstellung gemäß Ellen MacArthur Foundation und McKinsey, 2013) Die in der Biosphäre zirkulierenden Verbrauchsprodukte sollten vermehrten Nutzung erneuerbarer Ressourcen oder dem Ersatz aus Rohstoffen erneuerbaren Ursprungs hergestellt sein, die beim von Materialien durch ressourcenschonende Alternativen, der bes- Einbringen in die Umwelt keinen Schaden anrichten. In der Tech- seren Auslastung der Produkte durch die „Sharing Economy“, dem nosphäre hingegen zirkulieren Gebrauchsprodukte synthetischen Optimieren von Prozessen, dem weitgehenden Schließen von Ma- oder mineralischen Ursprungs, die demzufolge in einem geschlos- terial- und Produktkreisläufen bis hin zur Entmaterialisierung von senen Kreislauf gehalten werden sollten. Durch größeres Augen- Prozessen und Produkten durch Virtualisierung (zum Beispiel dem merk auf die produktive Nutzung von Ressourcen entlang der digitalen Zwilling in Fertigungsprozessen).31, 32 Wertschöpfungskette und das Anstreben – weitestgehend – ge- schlossener Kreisläufe sollen Sickerverluste und negative Exter- Damit soll die CE die Voraussetzungen für die vom IRP anvisierten nalitäten gemäß dieser konzeptuellen Idealvorstellung minimiert Arten der Entkopplung schaffen können: Impact-Entkopplung, werden. Den Vorteil einer getrennten Betrachtung zeigt das Bei- indem sie für Materialien, die wieder in Ökosysteme gelangen, spiel der Lebensmittelverpackung auf, denn hier schränken große biologische Abbaubarkeit verlangt (Re); Ressourcenentkopplung, Mengen von Verpackungsmaterial und Zusatzstoffen die Kreis- indem sie die intensivere Nutzung und letztlich die Wiederver- laufführung von Nahrungsmittelabfällen oftmals ein.30 Gleichzeitig wendung von Materialien verfolgt (SOL); und Wohlfahrtsent- gilt es zu vermerken, dass eine komplette Abgrenzung der beiden kopplung, indem sie dematerialisierte Formen der Bedarfsde- Kreisläufe in der Realität nicht möglich ist. Zu nennen wären ckung fordert (VE). hier beispielsweise Biokunststoff, der nicht biologisch abbaubar ist, auf der einen oder synthetische Düngemittel auf der anderen Mehrere dieser ReSOLVE-Hebel spiegeln sich in bereits beste- Seite: In beiden Fällen wechseln Stoffe zwischen Biosphäre und henden Strategien wider, die beispielsweise im Rahmen des Res- Technosphäre. sourceneffizienzprogramm ProgRess II vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit identifiziert wur- Mit Blick auf die Umsetzung einer CE wurde von der EMF und den.33 Allerdings wird der Rolle innovativer Geschäftsmodelle dem McKinsey Center for Business and Environment das soge- und digitaler Technologien zunehmend mehr Bedeutung beige- nannte ReSOLVE-Framework entwickelt, das einzelne Hebel iden- messen, gerade wenn es um die umfassende Umsetzung von He- tifiziert und exemplarisch beschreibt (siehe Abbildung 4): von der beln wie „Exchange“ (zum Beispiel für Product-Service-Business 30 | Vgl. Ellen MacArthur Foundation 2019. 32 | Vgl. Wang/Wang 2018. 31 | Vgl. Material Economics 2018. 33 | Vgl. BMUB 2016. 13
Ansatz: Erneuerbare Ressourcen nutzen REGENERATE Stärkere Einbindung von biologischen Kreisläufen in die Produktion Vorteil: Erhalt von Naturkapital und Ökosystemen, reduzierte Abhängigkeit Ansatz: Nutzergruppe für Produkte und Anlagen erweitern SHARE Schaffung größerer Anreize für Haltbarkeit, vorausschauende Wartung, Aktualisierbarkeit Vorteil: Höhere Auslastung der in Gütern verwendeten Materialien und Werte Ansatz: Abfall in Produktion und Logistik vermindern, Energie-/Materialefzienz erhöhen OPTIMIZE „Klassische" Verbesserungsprozesse, großes Steigerungspotenzial durch Industrie 4.0 Vorteil: Höhere Materialeffizienz und Kostensenkung Ansatz: Materialien, Komponenten und Produkte wiederverwertbar gestalten LOOP Optimierung des technischen Kreislaufs in Design, Produktion, Nutzung, Logistik Vorteil: Minimaler Wertverlust von Materialien Ansatz: Ersetzen physischer Produkte und Prozesse durch Digitalisierung und Virtualisierung VIRTUALIZE Einsatzmöglichkeit bei Planungsprozessen, Medien und Kommunikation etc. Vorteil: Materialbedarf sinkt Ansatz: Ersetzen von Materialien und Technologien durch ressourcenschonende Alternativen EXCHANGE Redefinition von Produkten als Dienstleistungen, Einsatz von aufbereitbaren Materialien Vorteil: Steigerung der Ressourcenproduktivität, Ermöglichung durchgehender Kreisläufe Abbildung 4: ReSOLVE-Hebel der CE (Regenerate, Share, Optimize, Loop, Virtualize, Exchange) (Quelle: eigene Darstellung gemäß Ellen MacArthur Foundation und Mc Kinsey 2013)38 Models)34 oder „Virtualize“ (zum Beispiel für die Zusammenarbeit Des Weiteren sind auch bei der Implementierung von Prinzipien in digitalen Plattformen) geht. 35, 36 Hier setzt das neu aufgelegte der CE widerstrebende Effekte zu berücksichtigen. So kann bei- Forschungskonzept „ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft“ des spielsweise die Verbreitung von digitalen Technologien eine stei- Bundesministeriums für Bildung und Forschung37 an und fokus- gende Nachfrage, erhöhten Energie- und Ressourcenverbrauch so- siert zwei seiner Forschungsschwerpunkte auf die Themen Ge- wie Entsorgungsprobleme in Form von Elektroschrott mit sich brin- schäftsmodelle und digitale Technologien. Zusammengenommen gen.42, 43 Auch innerhalb der CE kann es durchaus gegensätzliche tragen diese Entwicklungen dazu bei, eine systemische Betrach- Strategien geben: So kann die Modularität und Zerlegbarkeit von tungsweise bei der Nutzung von Ressourcen zu entwickeln und Produkten eine Steigerung der Lebensdauer konterkarieren und dem deutschen Begriff der „Kreislaufwirtschaft“, der oft auf das den Rohstoffbedarf eher erhöhen. Somit gilt es, an jedem Schritt Recycling verengt verstanden wird, zielführend zu erweitern. in der Wertschöpfungskette die Rohstoffbedarfe, Leistungsanfor- derungen und Externalitäten sorgfältig zu bewerten. Im Rahmen der Überlegungen zur Umsetzung einer CE sollten fol- gende Einschränkungen der vorgestellten CE-Konzepte und -Um- Eine genaue Definition der CE ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht setzungsstrategien berücksichtigt werden. Grundsätzlich wird eine abschließend möglich, da das Feld breit und fragmentiert ist.44 vollkommen geschlossene Kreislaufführung von Rohstoffen thermo- Prominente Vertreter der CE sind seit den späten neunziger Jahren dynamisch nicht möglich sein. Einerseits ist es nahezu unmöglich, Michael Braungart und William McDonough mit dem Cradle-to- die letzten Mengen eines zu recycelnden Rohstoffs zu finden und Cradle-Prinzip (in dem ein stärkerer Fokus auf chemische Toxikologie dem Recyclingprozess zuzuführen, andererseits bedarf jeder Prozess und Produktdesign gelegt wird)45, im internationalen Diskurs ins- zusätzlicher Energie, die zu produzieren wiederum Externalitäten besondere die Ellen MacArthur Foundation46 und spätestens seit erzeugt. Zudem kann die Sekundärrohstoffgewinnung, wenn die dem Kreislaufwirtschaftspaket auch die Europäische Union.47 Um Rohstoffe in geringer Konzentration vorliegen, wirtschaftlich und den konzeptuellen Anschluss sicherzustellen, basiert die vorliegende energetisch aufwendiger sein als die Primärgewinnung.39, 40, 41 Vorstudie daher auf diesen Ansätzen unter Nutzung des Begriffs 34 | Vgl. Antikainen et al. 2018. 41 | Vgl. Wellmer/Becker-Platen 2001. 35 | Vgl. Michelini et al. 2018. 42 | Vgl. Hilty 2008. 36 | Vgl. Pagoropoulos et al. 2017. 43 | Vgl. WBGU 2019. 37 | Vgl. BMBF 2018a. 44 | Vgl. Kirchherr et al. 2017. 38 | Vgl. Ellen MacArthur Foundation 2013. 45 | Vgl. Braungart/McDonough 2002. 39 | Vgl. Allwood 2014. 46 | Vgl. CIRAIG 2015. 40 | Vgl. Korhonen et al. 2018. 47 | Vgl. Europäische Kommission 2015. 14
Circular Economy CE. Gleichwohl scheint eine entsprechende Begriffsdiskussion und Ab dem Jahr 2010 setzten Debattenbeiträge aus der Zivilge- -klärung ein sinnvoller erster Schritt und Beitrag der CEID zu sein. sellschaft zusätzlich wichtige Impulse zur Weiterentwicklung der Zusätzlich zu einer Unterstützung eines produktiven Dialogs CE – sowohl konzeptionell als auch in ihrer Umsetzung. Zentral bezüglich der Entwicklung konkreter Maßnahmen hin zu einer CE ist dabei die Gründung der Ellen MacArthur Foundation (EMF) in wird es zudem Aufgabe der CEID sein, konkrete Ziele und entspre- 2010 zu nennen, die mit der Veröffentlichung des Berichts Towards chende Indikatoren48 zur Wirksamkeitsbewertung zu identifizieren. a Circular Economy in 2013, basierend auf der analytischen und konzeptionellen Arbeit des McKinsey Center for Business and En- Abschließend bleibt hervorzuheben, dass die CE kein Selbstzweck vironment, wichtige zeitgenössische Denkschulen wie Performance ist. Das Konzept stellt ein Gestaltungsprinzip und eine Vision für Economy, Cradle-to-Cradle, Biomimicry, Industrial Ecology und wirtschaftliches Handeln dar, das es erlaubt, unterschiedlichen Regenerative Design unter dem neuen, systemischen Ansatz der Herausforderungen zu begegnen. Es können Ziele ökologischer CE vereinte.27 Gilt die EMF global gemeinhin als Keim des mo- (Klimaschutz und Ressourcenschonung), ökonomischer (Wettbe- dernen Konzepts der CE und führend im Engagement für die- werbsfähigkeit, Rohstoffunabhängigkeit) oder sozialer (Beschäf- selbe54, so wird das Thema mittlerweile auch von anderen wirt- tigung, lokale Wertschöpfung) Art durch die CE verfolgt werden, schaftlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen vorange- die möglicherweise in einzelnen Fällen einer Priorisierung bedür- trieben, so etwa dem World Economic Forum55, dem World Wide fen. Trotzdem kann das Konzept der CE nicht nur zur Erreichung Fund for Nature56, der OECD57 oder UNEP58. einzelner UN-Nachhaltigkeitsziele beitragen, sondern auch helfen, Synergien zwischen einigen der Ziele herzustellen.49 Flankierend zu den genannten Veröffentlichungen wurden ab 2010 innerhalb der EU-Institutionen zwei Konsultationsprozesse unter Einbindung unterschiedlicher EU-Generaldirektionen, Wirt- schaftsakteure, Gewerkschaften und weiterer Interessensgruppen 2.2 Entwicklung der Circular durchgeführt. Die Beteiligung von insgesamt 1.500 Einzelperso- nen und Institutionen an der ersten Konsultation – initiiert durch Economy in Europa den damaligen EU-Umweltkommissar Janez Potočnik – zeigte da- bei das große Interesse und die hohe Relevanz des Themas auf Die Ursprünge der öffentlichen und politischen Debatte zur europäischer Ebene.59 Circular Economy (CE) in der EU sind primär in der Weiterent- wicklung des Abfallmanagements in den achtziger und neunzi- Mit der Veröffentlichung des Aktionsplans Den Kreislauf schlie- ger Jahren zu verorten. Ziel war es, Umweltschutz und menschliche ßen – ein Aktionsplan der EU für die Kreislaufwirtschaft ist Gesundheit zu verbessern. Durch die Einführung des erweiterten das Thema in der Europäischen Union seit dem Jahr 2015 politisch Verursacherprinzips (Extended Producer Responsibility) in den fest verankert. Der Aktionsplan stellt den Abschluss der zweiten frühen neunziger Jahren sollte ein verbessertes Abfallmanagement Konsultation dar, die durch den damaligen Vizepräsidenten der angeregt werden; durch verpflichtende Mülltrennung und Regu- EU-Kommission Frans Timmermans eingebracht worden war60 lierung zur Deponierung von Abfällen sollten die Recyclingfähig- und sich durch deutliche Unterstützung aus Industrie und zahl- keit verbessert und der Klimafußabdruck des Abfallsektors redu- reichen EU-Mitgliedsstaaten auszeichnete.52 ziert werden.50, 51 Darin formuliert sind Zielsetzungen der CE sowie Umsetzungs- In den frühen nuller Jahren adressierte die EU durch die End- maßnahmen, die den Übergang Europas zu einer CE beschleuni- of-Life-Vehicles-Richtlinie und die E-Waste-Richtlinie zwei besonders gen sollen, bei gleichzeitiger Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit kritische Elemente des Abfallsektors, wobei insbesondere den und Schaffung von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen.61 Effekten der Stoffströme durch den weltweiten Export Rechnung Damit stellt er eine konsequente Weiterentwicklung der ursprüng- getragen wurde.52 2008 wurde schließlich durch die EU-Abfall- lichen CE-Aktivitäten der neunziger und frühen nuller Jahre dar. richtlinie der Weg zur EU-weiten Harmonisierung von Abfall- und Der beschriebene Übergang wird finanziell durch verschiedene Wertstoffmanagement geebnet. All diese Regelungen wurden Finanzmechanismen der EU unterstützt, einschließlich des euro- durch das Kreislaufwirtschaftspaket im Jahr 2015 reformiert. 53 päischen Struktur- und Investitionsfonds, Horizon 2020, des 48 | Vgl. hierzu beispielsweise Moraga et al. 2019. 55 | Vgl. WEF 2019. 49 | Vgl. Schroeder et al. 2018. 56 | Vgl. WWF 2017. 50 | Vgl. EPRS/Bourguignon 2016. 57 | Vgl. OECD 2018. 51 | Vgl. CIRAIG 2015. 58 | Vgl. UNEP and IRP 2018. 52 | Vgl. Europäische Kommission 2005. 59 | Vgl. Potočnik 2018. Persönliche Korrespondenz. 53 | Vgl. Kauffmann/Dodick 2017. 60 | Vgl. Vella, 2015. 54 | Vgl. CIRAIG 2015. 61 | Vgl. Europäische Kommission 2015. 15
europäischen Fonds für strategische Investitionen und des LIFE- durch die Landwirtschaft könnten hier gemäß Umweltbundesamt Programms. Der Aktionsplan fördert explizit die enge Zusammen- Preissteigerungen von bis zu 45 Prozent eintreten.68 Auch Gesund- arbeit zwischen Mitgliedstaaten, Regionen und Gemeinden, Un- heitskosten können durch CE reduziert werden, etwa aufgrund ver- ternehmen, Forschungseinrichtungen, Bürgerinnen und Bürgern ringerter Feinstaubbelastung, welche durch eine Reduktion von Am- und anderen an der CE beteiligten Akteuren.62 moniak-Emissionen erreicht werden kann. Immerhin 45 Prozent hier- von werden in Deutschland der Landwirtschaft zugeschrieben. Beide Das Kreislaufwirtschaftspaket fungiert seither als Rahmen für Herausforderungen könnten etwa durch eine verbesserte Handha- weitere Maßnahmen, wie zuletzt 2018 für die Pakete Monitoring bung von Gülle oder optimierten Düngereinsatz – Maßnahmen, die Framework for the Circular Economy und EU Strategy for Plastics auch im Rahmen einer CE postuliert werden – oftmals deutlich re- in the Circular Economy. Mit dem Aktionsplan für die Kreislauf- duziert werden.69 Auch die Vermeidung von Gesundheitskosten wirtschaft und dem Legislativpaket setzt sich die systemische durch Pestizidnutzung gemäß der CE hat großes Potenzial: Laut Sicht, die oft als entscheidender Bestandteil der CE gesehen Schätzungen der Ellen MacArthur Foundation (EMF) könnte die wird, zunehmend durch.63 Kostenreduktion allein durch Konsumveränderung in Städten welt- weit 550 Milliarden Dollar pro Jahr betragen.70 Neben Einsparpotenzialen bietet die CE auch signifikantes Potenzial für Innovation und Wachstum. Klassische Bereiche 2.3 Potenziale einer ambitionierten der Kreislaufwirtschaft wie Umwelttechnik und Ressourceneffizienz – auch in Zukunft Kernelemente der CE – sind hier von besonde- Transformation nach rem Interesse. Laut der Wirtschaftsberatung Roland Berger lag zirkulären Grundsätzen das Marktvolumen für den Einsatz von Umwelt- und Effizienz- technologien für Produkte, Verfahren und Dienstleistungen (in- Vertreter des Circular Economy Ansatz sehen in der entsprechenden klusive der erneuerbaren Energien und nachhaltigen Mobilität) Transformation wirtschaftlicher Denkansätze und Strukturen einen 2016 bei 350 Milliarden Euro allein in Deutschland und bei über entscheidenden Beitrag, um die oben beschriebenen ökonomischen, drei Billionen Euro weltweit.71 Weiterhin werden diesen „grünen ökologischen und sozialen Ziele zu erreichen. So sollen die in der Zukunftsmärkten“ weltweit ein Marktwachstum von jährlich 6,9 CE verankerten Prinzipien direkt und indirekt zur Senkung von Na- Prozent bis 2025 prognostiziert. turkapitalkosten sowie Emissionsreduktionen führen. Beispiels- weise ist der Verbrauch von Wasser als Naturkapital bei der Her- Ableitend aus dem Potenzial für Wachstum und Innovation könn- stellung einer Tonne Sekundärrohstoffe aus Rezyklat in vielen Fällen ten sich laut EMF bis 2030 für Europa profitable Investitions- deutlich geringer als bei der Gewinnung von Primärrohstoffen möglichkeiten in Höhe von 320 Milliarden Euro ergeben.72 Ein durch Rohmaterialextraktion – in etwa für Magnesium um bis zu Großteil dieser Gewinne würde durch digitale Geschäftsmodelle Faktor 7,5 und für Kobalt um bis zu Faktor 20. Außerdem muss ermöglicht oder verstärkt, wie etwa die Verbreitung von „Mobility dabei zu heutigem Stand im Schnitt auch weniger Energie einge- as a Service“ im Mobilitätssektor. setzt werden – bei Magnesium bis zu etwa 23-mal weniger, bei Ko- balt 15-mal.64, 65 Durch eine konsequente Anwendung von CE-Prin- Makroökonomische Abschätzungen der OECD unterstützen diese zipien entsprechend dem ReSOLVE-Framework in materialintensiven Analysen: Die überwiegende Mehrheit von Studien zur Bewertung Industrien und Wertschöpfungsketten lassen sich nach manchen makroökonomischer Effekte der CE finden positive, oder mindes- Berechnungen bis zu 56 Prozent der Emissionen reduzieren.66 Das tens neutrale, wirtschaftliche Effekte – bei gleichzeitig reduzierter hohe Potenzial der Kreislaufwirtschaft für den Klimaschutz wird Nutzung von Primärrohstoffen und somit verbesserter Gesamt- zunehmend anerkannt, etwa in der Ende 2018 veröffentlichten kostenrechnung hin zu einer nettopositiven Wirtschaft.73 Eine Langfrist-Klimaschutzstrategie der Europäischen Kommission.67 Studie von Cambridge Econometrics zufolge würde sich bereits eine deutliche Steigerung der Ressourcenproduktivität von bis zu Der Effekt auf das Naturkapital Wasser zeigt sich unter anderem 2,5 Prozent pro Jahr bis 2030 nettopositiv auf das Bruttoinlands- bei den Trinkwasserpreisen. Primär aufgrund der Nährstoffbelastung produkt der EU-28 auswirken.74 62 | Vgl. ebd. 69 | Vgl. Max-Planck-Institut für Chemie 2019. 63 | Vgl. Kirchherr et al. 2017. 70 | Vgl. Ellen MacArthur Foundation 2019. 64 | Vgl. Europäische Kommission 2018a. 71 | Vgl. BMU 2018a. 65 | Vgl. SYSTEMIQ eigene Analyse 2019. 72 | Vgl. Ellen MacArthur Foundation et al. 2017. 66 | Vgl. Material Economics 2018. 73 | Vgl. McCarthy et al. 2018. 67 | Vgl. Europäische Kommission 2018b. 74 | Vgl. Cambridge Econometrics 2014. 68 | Vgl. UBA 2017a. 16
Circular Economy Zusätzlich zu den ersten quantitativen Bemessungen zu den Po- Das UN International Resource Panel (IRP) hat gezeigt, dass die tenzialen einer CE können durch ihre Umsetzung auch beste- CE zudem das Potenzial hat, positive Effekte auf Arbeitsmärkte hende Chancen oder Herausforderungen in anderen Bereichen zu haben. Wiederaufbereitungstätigkeiten sind oftmals nicht nur adressiert werden. Obwohl diese Potenziale bislang nur qualitativ verhältnismäßig arbeitsintensiv, sondern häufig auch lokaler ge- beschreibbar bleiben, können sie dazu beitragen, die Wettbe- bunden und somit vor Globalisierungsfolgen relativ geschützt. werbsfähigkeit Deutschlands zu stärken. Beispiel hierfür: Eine Nicht zuletzt erfordern sie in der Regel komplexes, flexibles Fach- Vielzahl neuer CE-Geschäftsmodelle weist eine hohe Kompatibi- wissen und sind damit schwieriger zu automatisieren.79 Eine Studie lität mit anderen zentralen Entwicklungen im Bereich des Kli- im Auftrag der Europäischen Kommission prognostizierte bis zu maschutzes oder der Digitalisierung auf und werden somit in zwei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze durch die Implementierung Zukunft voraussichtlich eine große globale Nachfrage erfahren. ambitionierter Maßnahmen zur Steigerung der Ressourcenproduk- Das Potenzial digitaler Lösungen wird durch die gesunkenen tivität.80 Somit haben Elemente der CE das Potenzial, die mit Au- Kosten für Datenerhebung und -verarbeitung sowie für Transak- tomatisierung und globalisierten Märkten einhergehenden Verän- tionen verstärkt und ermöglicht neue Prozesse und Geschäfts- derungen auf dem Arbeitsmarkt – und damit verbundenen Sorgen modelle, die in dieser Form bisher unmöglich oder unwirtschaft- und politischen Konsequenzen – zumindest teilweise zu kompen- lich waren (beispielsweise Materialpässe zur Nachverfolgung sieren. von Rohstoffen). Somit zeigen sich starke Synergien aus CE und Digitalisierung – Letzteres ist bereits ein anerkannter Wachs- Die quantitativ bisher erfassten Potenziale der CE können als ein tumstreiber, wie sich an der hohen Marktkapitalisierung von Un- Anreizrahmen gesehen werden, eine Wende in Denken und Han- ternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen zeigt. deln anzustoßen. Bestärkt wird dies durch eine Reihe qualitativ beschriebener CE-Potenziale, welche grundsätzlich die Wettbewerbs- Gleichzeitig kann eine CE die Importabhängigkeit von Primär- fähigkeit des Standorts Deutschland stärken und zum Erreichen materialien reduzieren. Da immer weniger Länder und Unter- der Sustainable Development Goals (SDGs) beitragen können (wie nehmen immer größere Anteile des Rohstoffangebots kritischer beispielsweise SDG 6 – sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen, Rohstoffe kontrollieren, ist Importabhängigkeit mit geopolitischen SDG 7 – bezahlbare und saubere Energie, SDG 8 – menschenwür- Risiken verbunden.75 Schwankungen in der Marktverfügbarkeit dige Arbeit und Wirtschaftswachstum, SDG 12 – nachhaltige/r von Primärrohstoffen können sich durch plötzliche extreme Preis- Konsum und Produktion, SDG 15 – Leben an Land).81 In Summe schwankungen bis hin zu Lieferengpässen negativ auswirken. sprechen viele Indizien dafür, dass die Anwendung der CE in Beispielhaft für monopolisierte Rohstoffmärkte ist der Markt für Deutschland zu vielfältigen Vorteilen führen könnte. Jedoch stehen Kobalt. Mehr als 55 Prozent der Weltproduktion von Kobalt der CE auch mannigfaltige Barrieren entgegen, wie in der folgenden stammt aus der Demokratischen Republik Kongo. Ferner investiert Sektion dargestellt wird. China massiv in Kobaltprojekte und hält mehr als fünfzig Prozent der weltweiten Weiterverarbeitungskapazitäten, den Raffinerien. Der Preis für Kobalt ist seit 2016 um 200 Prozent gestiegen, und es wird erwartet, dass das prognostizierte Angebotsdefizit den 2.4 Hürden für eine Circular Economy Preis ab 2020 weiter steigen lassen wird.76 Die hierdurch entste- henden wirtschaftlichen Risiken können insbesondere für High- Die Transformation zu einer Circular Economy (CE) erfordert Tech-Industrien signifikant sein. Zwar gibt es bereits Technologien, disruptive Veränderungen und radikale Innovationen, denn sie um Kobaltsalze wieder zurückzugewinnen.77 Jedoch kommt es be- bringt vielfach neue Geschäftsmodelle und Produktgestaltung reits bei der Sammlung von Altprodukten in der Regel zu großen mit sich. Dies hält in der praktischen Umsetzung vielfältige He- Verlusten, und die hochwertige Wiedergewinnung ist prozessbe- rausforderungen bereit. Die im Folgenden gewählte Strukturie- dingt technisch und wirtschaftlich aufwendig. Eine gute Rückfüh- rung (Kognition, Kultur, Wissen, Regelungen und Normen, Markt, rungslogistik von Altgeräten und recyclingfördernde Gesetze sowie Finanzen, Technik und operatives Geschäft) lehnt sich an die intensive Forschung nach Substituten können Europa unabhängiger allgemeine Innovationstheorie sowie die einschlägige Literatur von Kobaltimporten machen.78 zu den Barrieren zur CE an.82, 83, 84, 85 75 | Vgl. Angerer et al. 2016. 81 | Vgl. Schroeder et al. 2018. 76 | Vgl. NPE 2018. 82 | Vgl. de Jesus/Mendonca 2018. 77 | Vgl. Hagelüken 2018. 83 | Vgl. Pheifer 2017. 78 | Vgl. Angerer et al. 2016. 84 | Vgl. Ritzén/Sandström 2017. 79 | Vgl. Nasr et al. 2018. 85 | Vgl. Kirchherr et al. 2018. 80 | Vgl. Europäische Kommission et al. 2014. 17
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