Die Firma Georg Schütz GmbH - Erste Süddeutsche Ceresinfabrik in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager - Bernd Ochs Sonderdruck aus dem ...

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Die Firma Georg Schütz GmbH - Erste Süddeutsche Ceresinfabrik in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager - Bernd Ochs Sonderdruck aus dem ...
Bernd Ochs
       Die Firma Georg Schütz GmbH –
       Erste Süddeutsche Ceresinfabrik
       in Weißkirchen (Taunus) und ihr
             Zwangsarbeiterlager

         Sonderdruck aus dem Heft 50 – 2011
                           der
                   Mitteilungen des
Vereins für Geschichte und Heimatkunde Oberursel e.V.
Die Firma Georg Schütz GmbH - Erste Süddeutsche Ceresinfabrik in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager - Bernd Ochs Sonderdruck aus dem ...
Sonderdruck
                   aus dem Heft 50 – 2011
                            der
          Mitteilungen des Vereins für Geschichte
                      und Heimatkunde
                       Oberursel e.V.

                     Bernd Ochs
           Die Firma Georg Schütz GmbH –
           Erste Süddeutsche Ceresinfabrik
 in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager

Die Hefte der „Mitteilungen“ können im örtlichen Buchhandel
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Die Firma Georg Schütz GmbH - Erste Süddeutsche Ceresinfabrik in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager - Bernd Ochs Sonderdruck aus dem ...
Die Firma Georg Schütz GmbH –
Erste Süddeutsche Ceresinfabrik
in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager
von Bernd Ochs

Teil I: Das Werden und Vergehen der Firma Georg Schütz von 1891 bis 1988
Am 1. November 1891 gründete Georg Schütz in
Frankfurt am Main, Hanauer Landstraße 185, eine
Ceresinfabrik. Im Frankfurter Adressbuch von 1912
wurde die Fabrik unter der Hausnummer 150 der
Hanauer Landstraße geführt.1
Rohes Erdwachs, also ein sekundäres, fossiles
Erdölprodukt, war der erste Rohstoff der »Ceresin-
fabriken«, die in Deutschland um 1890 mit ihrer
Tätigkeit begannen. Hier wurden die Wachse raffi-
niert, gebleicht, in Fraktionen zerlegt und veredelt,
um dann Anwendungen in der Industrie zu finden.2
Anfang 1914 verlegte Georg Schütz die Fabrikation
nach Weißkirchen am Taunus, weil am bisherigen
Standort keine weitere Ausdehnungsmöglichkeit
bestand . Die Geschäftsleitung und Hauptverwal-
tung verblieben in Frankfurt in der Bockenheimer
Landstraße 83 und später im Grüneburgweg 101
bis zur Zerstörung/Beschlagnahmung (im »Sperr-
gebiet« 3) des dortigen Anwesens 1945.
Die Ausdehnung der Anlagen und des Geschäfts-
umfanges in Weißkirchen waren das Werk seines
Sohnes und Alleininhabers Heinrich (Heinz)
Schütz (geb.27.8.1897), der nach dem frühen Tod
seines Vaters am 9. März 1920, das Unternehmen
leitete.
Die hergestellten und veredelten Wachse waren                Foto vom 29.02.1988             Stadtarchiv Oberursel, 25 III 65
unter dem Sammelbegriff »GS-Wachse« bekannt                  ________________________
und erlangten Weltruf. Die Firma Georg Schütz                1 Anmeldung zum Eintrag in das Handelsregister beim Kö-
entwickelte sich zur größten Ceresinfabrik Europas.            niglichen Amtsgericht Abth. IV zu Frankfurt a.M. vom 26.
                                                               August 1891 (siehe auch Abbildung) und »Expose« über die
Die ausgedehnten und modernen Anlagen des                      Geschichte der Firma Georg Schütz, 1954, Institut für Stadt-
Werks Weißkirchen befanden sich auf einer Fläche               geschichte Frankfurt/M., Sign. HR-2670 und S3/1.601 so-
von ca. 100.000 qm, in denen nach den neuesten                 wie Frankfurter Adressbücher 1892-1915.
wissenschaftlichen Erkenntnissen der Wachsraffi-             2 Taunus-Anzeiger, Jubiläums-Ausgabe (100 Jahre) vom 21.

nation und der Wachschemie, durch Säure- und                   09. 1963, Stadtarchiv Oberursel.
                                                             3 Im IG-Farben-Haus richtete die amerikanische Militärre-
Hallogensalzraffination, durch adsorptive Blei-
                                                               gierung 1945 ihr Hauptquartier ein sowie ebenso einen vom
chung, durch Filtrierung und selektive Extraktion,             Palmengarten bis zum Oederweg reichenden, durch Sta-
durch Destillation, durch Oxydation und durch                  cheldraht gesicherten und für Deutsche unpassierbaren
chemische Umsatzprozesse anderer Art, die ver-                 Sperrbezirk.
schiedenen Arten der GS-Wachse hergestellt wur-              4 Ozokerit = Erdwachs/Montanwachs, in seiner chemischen

den. Neben den eigentlichen Grundwachsen, wie                  Zusammensetzung ein Gemenge verschiedener Kohlenwas-
                                                               serstoffe. Wird bergmännisch abgebaut (keine Vorkommen
zum Beispiel Ozokerit 4, synthetisches Hartwachs               in Deutschland) und liefert bei Destillation Ceresin.

                                                        
Die Firma Georg Schütz GmbH - Erste Süddeutsche Ceresinfabrik in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager - Bernd Ochs Sonderdruck aus dem ...
usw. spielten auch die zahlreichen
Spezialwachse eine große Rolle, deren
Herstellung in engster Anlehnung an
die Praxis, durch eine ausgedehnte
anwendungstechnische Forschungs-
arbeit, in großen und modern ausge-
rüsteten Laboratorien, vorbereitet
und laufend überwacht wurden.5
1934 änderte das Unternehmen sei-
nen seitherigen Firmennamen »Ge-
org Schütz, Ceresinfabrik« in »Georg
Schütz, Erste Süddeutsche Ceresinfa-
brik«.6
Im Schreiben von Heinrich Schütz
an die Wirtschaftskammer Hessen,
Außenhandelsstelle Frankfurt/Main,
vom 29.12.1936, wird von immer grö-
ßer werdenden Rohstoffschwierigkei-
ten (Abhängigkeit von ausländischen
Rohstoffen) berichtet, die bereits zu
wiederholten Stilllegungsanträgen ge-
führt haben. Der »Vierjahresplan« 7
stelle auch sein 45 Jahre bestehendes
Fabrikunternehmen vor die Aufgabe,
entweder eine Umstellung auf deut-
sche Rohstoffe zu versuchen oder
stillzulegen. Diese Umstellung erfor-
dere eine Neuanlage, die fabri-
katorisch die Ergebnisse seiner La-
borarbeit auszuführen hätte, wozu
jedoch räumlich der Platz fehle. Seine
Bestrebungen, das an die Fabrikan-
lage angrenzende Ackergrundstück
eines Weißkirchener Landwirts zu
kaufen, scheiterten, da man sich nicht Registrierungsurkunde beim Königlichen Amtgericht Frankfurt a.M.
über den Preis einigen konnte. Schütz vom 27.August 1891               Quelle: ISG Frankfurt, Handelsregister 2670
stellte nun einen Antrag auf Enteig-                  ________________________
nung mit der Schlussbegründung »Es ist also 5 Exposé über die Geschichte und das Fabrikationsprogramm
schon ein öffentliches Interesse, dass unser im         der Firma Georg Schütz, 1954, Institut für Stadtgeschichte
Notstandsgebiet liegender Fabrikbetrieb den er-         Frankfurt/M., Sign. S3/1.601 und Schreiben der Industrie-u.
forderlichen Raum sich käuflich erwerben kann,          Handelskammer vom 28.12.1962 betr. HR-Sache Georg
um im Zeichen des ›Vierjahresplanes‹ die Umstel-        Schütz Nr. -18008-, Hessisches Wirtschaftsarchiv Darm-
                                                        stadt, Sign. Abt.3, Firmenakten und Hessisches Haupt-
lung zu versuchen«, sowie dem Hinweis auf die           staatsarchiv Wiesbaden Abt. 520/FZ-7206.
Belieferung von wichtigen Industrien, die seine 6 Firmenkarte Georg Schütz und Umschreibung im Handels-
Erzeugnisse für den Heeresbedarf benötigten.            register Amtsgericht Frankfurt/M. unter HR A 757 am 6.
                                                        Mai 1938, Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt, Sign.
Am 12. Oktober 1937 erging vom Regierungsprä-           Abt.3, Firmenakten.
sidenten in Wiesbaden ein »Enteignungs- und 7 Adolf Hitlers geheime Denkschrift vom August 1936 zum
Entschädigungsfeststellungsbeschluss«, womit der        »Vierjahresplan« umriss programmatisch das Ziel, Wirt-
Firma Schütz das Recht verliehen wurde, den o.g.        schaft und Armee innerhalb von vier Jahren in Kriegsbereit-
Acker des Weißkirchener Landwirts im Wege der           schaft zu versetzen. Unter der Leitung des Beauftragten für
                                                        den Vierjahresplan, Hermann Göring, wurde die private
Enteignung zu erwerben. Für die 4.071 qm große          Wirtschaft gezwungen, sich den Erfordernissen anzupassen.
Fläche wurde eine Entschädigung von 1,00 RM             Staat und Partei griffen durch verordnete Programme diri-
(Reichsmark) pro qm festgesetzt.                        gierend in den Produktionsprozess ein.

                                                        
Die Firma Georg Schütz GmbH - Erste Süddeutsche Ceresinfabrik in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager - Bernd Ochs Sonderdruck aus dem ...
Der »Ministerpräsident Gene-                                                     Auch der alte, aus Holz gebaute
raloberst Göring, Beauftragter                                                   Wasserturm 13, der den brand-
für den Vierjahresplan, Amt                                                      schutztechnischen Anforderun-
für deutsche Roh- und Werk-                                                      gen nicht mehr standhielt, wur-
stoffe« erteilte der Firma                                                       de abgebrochen und 1942 an
Schütz mit Schreiben vom 24.                                                     anderer Stelle des Werksgeländes
September 1937 (siehe Abbil-                                                     ein neuer und 42,20 m hoher
dung auf der folgenden Seite)                                                    Wasserturm und Kühlturm, aus
die Baugenehmigung zur Er-                                                       Stahlbeton in Gleitbauweise er-
richtung einer Großversuchs-                                                     richtet. Der obere Teil des Turms
anlage zur Herstellung von                                                       war für ein Volumen von 200
2.500 jato 8 Ozokerit und Cere-                                                  cbm Trinkwasser, der untere Teil
sin in Weißkirchen aus Raffi-                                                    für 80 cbm Brauchwasser ausge-
nationsrückständen von deut-                                                     legt. Das Wasser diente einmal
schen Erdölen und Teerpro-           Heinrich (Heinz) Schütz, 1972               der mit Wasserdampf vorgenom-
dukten mit der Auflage, dass         Repro aus Taunus-Zeitung v. 26. 8. 1972     menen Verflüssigung der Roh-
                                     Stadtarchiv Oberursel, Biogr. OU 101
die Qualität der erzeugten Pro-                                                  wachse und zum anderen als
dukte den bisher eingeführten                                                    Kühlwasser zur Verfestigung der
oder aus Braunkohlenteer her-                                                    in mehreren Arbeitsgängen her-
gestellten Ozokeriten und Ce-                                                    gestellten Wachse.14
resinen entsprechen müsse.   9
                                                                                 Das Wasser wurde aus dem 1939
Bereits 1938 (?) war der technische Stand des Wer- von der Firma Schütz gepachteten Niederurseler
kes so hoch, dass es in der Zeit der Wirtschafts- Wasserwerk im Wiesenbereich von Stierstadt ein-
lenkung die Forderung nach »deutschen Wachsen gespeist und von dort aus hochgedrückt und der
aus deutschen Rohstoffen« erfüllen konnte, um so bestehende Hochbehälter erfuhr den Einbau einer
die für die Wehrwirtschaft benötigten Produkte Entsäuerungs- und Entkeimungsanlage.
herzustellen. Harte und plastische Wachssorten Der 1977 sanierte Wasserturm, der auch als eines
wurden damals geschaffen, die sich nach 1948 als der Wahrzeichen von Weißkirchen bezeichnet
durchaus exportfähig erwiesen.10                          wird, steht seit 1988 unter Denkmalschutz. In der
Am 23./24. Oktober 1941 kam es im Werk zu einem Denkmalakte heißt es: »Der Turm ist von bau-
Großbrand mit Explosion. Von dem Brand, der und industriegeschichtlichem Interesse«.15
in der Selektivanlage – vermutlich durch Selbst- ________________________
entzündung – entstand, waren folgende Gebäude 8 Jato = Tonnen pro Jahr.
bzw. Anlagen betroffen: Totalschaden: Selektiv- 9 HHStaW Abt. 507 Nr. 8112 und Abt. 520/FZ Nr. 7206.
anlage, Schmelz- und Kühlwalz-Wellblechhalle, 10 Taunus-Anzeiger, Jubiläums-Ausgabe (100 Jahre) vom 21.
Lager- und Packhalle, Wellblechhaus und die                  09. 1963, Stadtarchiv Oberursel und Karteikarte Georg
Umkleide- und Gefolgschaftsräume. Teilschäden:               Schütz, Eintragung 29. 10. 41/2271 Gs., Hessisches Wirt-
(Mauer u. Dachschäden) an der Siedekesselanlage              schaftsarchiv Darmstadt, Sign. Abt.3, Firmenakten.
und der Bleich-und Mischanlage. Die Schadens- 11 Das Werk besaß einen eigenen Gleisanschluss, der mit Hil-
summe betrug etwa 400 000 RM.                                fe eines von der Wehrmacht gestellten Pionier-Kommandos
                                                             – wohl in den 1930er Jahren – angelegt wurde. Der Gleisan-
Die im Bau befindlichen bzw. bereits fertiggestell-          schluss wurde mit einem Dieseltriebfahrzeug bedient.
ten Neuanlagen wurden durch den Brand nicht 12 HHStaW Abt. 520/FZ Nr. 7206 und Franz Simon (ehem.
betroffen. Nach dem Brand wurden von den Auf-                Ortsvorsteher von Weißkirchen) in Frankfurter Rundschau
                                                             Nr. 54 vom 04. 03.1988, S.II, Stadtarchiv Oberursel sowie
sichtsbehörden, Gewerbeaufsichtsamt, Staatliches             Bundesarchiv Freiburg, Sign. RW 21- 19/9
Hochbauamt unter Mitwirkung der Nassauischen 13 Franz Simon in Frankfurter Rundschau Nr. 54 vom 04. 03.
Brandversicherung, zum Verhüten einer Wieder-                1988, S.II, Stadtarchiv Oberursel.
holung eines solchen Unglücksfalles, für den 14 Denkmalakte der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt
Wiederaufbau zur Auflage gemacht, dass die ver-              Oberursel und aus Aufzeichnungen von Franz Simon vom
schiedenen Fabrikationsstufen in getrennten Ge-              März 1989, Stadtarchiv Oberursel Sign. Weißkirchen Top 111.
                                                          15 Aufzeichnungen von Franz Simon vom März 1989, Stadtar-
bäuden aufgestellt werden und dass zwischen den
                                                             chiv Oberursel Sign. Weißkirchen Top 111 und Denkmalakte
einzelnen Gebäuden, dem Gleisanschluss11 und                 der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt Oberursel so-
den Straßen im Werk die vorgeschriebenen Min-                wie Bauschein Nr. 199 vom 19.8.1939 in Bauakte, Stadtver-
destabstände von 25 bis 35 m eingehalten werden.12           waltung Oberursel.

                                                          
Die Firma Georg Schütz GmbH - Erste Süddeutsche Ceresinfabrik in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager - Bernd Ochs Sonderdruck aus dem ...
Im Rahmen des sofort begonnenen Wiederauf-                 In den Jahren von 1938 bis 1942 wurde das Schütz-
baus und der Instandsetzungen entstanden auch              Grundstück durch weitere Landzukäufe von meh-
zusätzliche Räumlichkeiten für Wohnbenutzung               reren Besitzern beträchtlich vergrößert, wobei von
in Barackenform.Über die Nutzung der Baracken              Schütz ein Preis von 1,70 RM pro qm gezahlt wur-
wird im Teil II dieses Artikels berichtet.Küche und        de. Ausgehend von einer Grundfläche von 4.021
Essensräume standen der Firma Jos. Kleebach,               qm per 31.01.1933 wurde diese dann bis 1942 etwa
Modellbau, zur Mitbenutzung zur Verfügung.16               um das zwanzigfache vergrößert.Begründet wurde
In einer Vorbemerkung zur Baubeschreibung der              diese Erweiterung mit dem erheblichen zusätz-
neuen Selektivanlage heißt es u.a.: »Für das durch         lichen Platzbedarf für die Produktion nach dem
Brand zerstörte Bauwerk muss sofortiger Ersatz             neuen Verfahren, aus Gründen des Brandschutzes
geschaffen werden zur Aufnahme der teilweise               (Abstände, Löschteiche) und zuletzt noch durch
unterbrochenen Herstellung kriegsentscheidender            eine Auflage von Reichsstellen, große Mengen
Stoffe«. Aus den Erläuterungen zu einem Lageplan           brennbaren Materials auf dem Gelände zu lagern,
geht hervor, dass ein Teil der Neubauten auf neu           das wegen der Luftgefährdung aus dem Ruhrge-
erworbenen Grundstücken, die an die »Landstra-             biet nach hier verlagert werden sollte.
ße /Reichsstraße« (Kurmainzer Straße) grenzten,            Für die Wahrnehmung der Interessen der Firma
vorgenommen wurde.17                                       Schütz bei den obersten Reichs-und Wehrmachts-
Die Weißkirchener Feuerwehr berichtet in ihrer             behörden wie den nachgeordneten Dienststellen
Festschrift von 1954 von weiteren Bränden im Fir-          in Berlin, zur Beschaffung von Arbeitskräften,
mengelände am 7. Februar 1940 und am 24. April             Aufrechterhaltung des Rohstoffkontingentes, der
1944.18                                                    schnelleren Bewilligung und Zuteilung von Hilfs-
                                                           stoffen (Perchloraethylen), schnellerer Zuteilung
                                                           des benötigten Eisens für die Bauvorhaben und zur
                                                           Herbeiführung der durchgreifenden Unterstüt-
                                                           zung der an der schnelleren Fertigstellung der Bau-
                                                           vorhaben besonders interessierten Dienststellen,
                                                           war ein in Berlin ansässiger freiberuflicher Diplom-
                                                           Chemiker und Beratender Chemiker im NSBDT19
                                                           (früherer Sachbearbeiter im Reichsamt für Wirt-
                                                           schaftsausbau, RWA) mit großem Erfolg tätig.
                                                           Das Reichsamt für Wirtschaftsausbau und das
                                                           Reichswirtschaftsministerium hatten weiterhin
                                                           größtes Interesse an einem noch erweiterten Aus-
                                                           bau der Schütz-Anlage mit einer entsprechenden
                                                           Produktionssteigerung und drohten mit Konse-
                                                           quenzen, wenn der Ausbau nicht termingemäß
                                                           durchgeführt werde. In diesem Zusammenhang
                                                           wurde die Firma Schütz 1943 von der Stilllegung
                                                           des Bauvorhabens »Weißkirchen-Ozokerit« und
                                                           der Stilllegung des Werkes Weißkirchen durch den
                                                           Wirtschaftsverband »Ceresin-Fabriken« bedroht
                                                           und hier auch wegen nicht eingehaltener Liefe-
                                                           ________________________
                                                           16 Aufzeichnungen von Franz Simon vom Juni 1983, Stadtar-
                                                              chiv Oberursel Sign. Weißkirchen Top 111 und HHStAW
                                                              Abt. 520/FZ Nr. 7206 und Abt. 507 Nr. 8112.
                                                           17 Baubeschreibung vom 30.11.1941 in Bauakte, Stadtverwal-
                                                              tung Oberursel.
                                                           18 Festschrift Freiw. Feuerwehr Weißkirchen zum 25jährigen
                                                              Bestehen am 29./30.5.1954, S.19, Stadtarchiv Oberursel Sign.
                                                              Weißkirchen soc. Freiw. Feuerwehr 501.
                                                           19 NSBDT = NS-Bund deutscher Technik war ein der Natio-
                                                              nalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP) angeschlossener
                                                              Verband.

                                                      
Die Firma Georg Schütz GmbH - Erste Süddeutsche Ceresinfabrik in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager - Bernd Ochs Sonderdruck aus dem ...
Heinrich (Heinz) Schütz, (†1979), Bernd Schütz (†2004), Erna Schütz, geb. Greiner (†), und der damalige
Betriebsleiter Karl Goldbach (rechts, †1990). Anlass war dessen Jubiläum nach 50jähriger Tätigkeit in der
Firma Schütz am 1. November 1977 (siehe Seite 23).                                            Foto: Goldbach

rungen, zum Beispiel an Munitionsfabriken. Auch             Bei den Zahlen für 1941 und 1943 ist unklar, ob die
von einer möglichen Enteignung und Übernahme                Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen mit einge-
durch die I.G. Farben war die Rede.20 Dem oben              schlossen sind.
genannten Berliner »Beratenden Chemiker im                  Das Unternehmen verzeichnete 1939 einen Jahres-
NSBDT« gelang es, die verfügten Stilllegungen in            umsatz von 1268907,89 RM.25
einem Einspruchs- und Beschwerdeverfahren vor
dem Reichsminister für Beschaffung und Muni-                Nach dem Einzug der amerikanischen Truppen in
tion (Albert Speer) abzuwenden.21                           Weißkirchen am 29. März 1945 wurde der Betrieb
                                                            von der Besatzungsarmee für militärische Zwecke
Zwischen 1942 und 1944 fanden umfangreiche                  (Panzereinheit) beschlagnahmt und besetzt. Erst
Bautätigkeiten statt; so der Wiederaufbau der ab-           im Januar 1946 konnte die Produktion mit Ge-
gebrannten Gebäude und erforderliche bauliche               nehmigung der amerikanischen Militärregierung
Erweiterungen in Verbindung mit dem neuen Pro-              ________________________
duktionsverfahren; die neue Selektivanlage konn-            20 Möglicherweise hier auch in Zusammenhang mit der nicht-

te wohl erst 1943 fertiggestellt werden, sowie Tief-           arischen Abstammung (Urgroßeltern) von Heinrich Schütz
bauarbeiten für Wasserversorgung, Kanalisation                 (eidesstattliche Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern der
                                                               Firma Schütz von 1948, HHStaW Abt. 520/FZ-7206). Im
und eine fabrikeigene Kläranlage.22                            Gegensatz hierzu wird in der Handelskammer-Doku Nr.
Im Werksgelände befand sich auch ein Wohnhaus,                 62909 vom 27. 05. .1936 die Firma als »arisches Unterneh-
                                                               men« bezeichnet (Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt
in dem leitende Angestellte wohnten.                           Sign. Abt. 3, Firmenakten).
Bei einem Jagdbomberangriff auf das Betriebsge-             21 HHStaW Abt. 507 Nr. 8112, Abt. 519/V-3107-463 und Abt.

lände am 21. Februar 1945 fanden zehn Menschen                 520/FZ Nr. 7206.
                                                            22 HHStaW Abt. 520/FZ Nr. 7206 und Stadtarchiv Oberursel
den Tod; der materielle Schaden für die Firma be-
                                                               Sign. Weißkirchen IV, 2 und Weißkirchen Top 111.
lief sich auf ca. 150 000 RM. Der Angriff galt vor-         23 Aufzeichnungen von Franz Simon vom Juni 1983, Stadtar-
her noch der Lokomotive eines Zuges der Bahn-                  chiv Oberursel Sign. Weißkirchen Top 111 und Heimatge-
linie Rödelheim-Weißkirchen.23                                 schichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und
                                                               der Verfolgung 1933-1945 Hessen I Regierungsbezirk Darm-
Was die Anzahl der Schütz-Mitarbeiter vor 1945                 stadt, 1995, S.191 sowie HHStaW Abt. 520/FZ Nr. 7206.
angeht, ließen sich aus diversen Dokumenten fol-            24 HHStaW Abt. 519/3 Nr. 13926 und Abt. 52o/FZ Nr. 7206
gende ungefähren Zahlen ermitteln: 24                          und Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt Sign. Abt. 3,
1933 = 10            1938 = 27         1939 = 52               Firmenakten.
1941 = 100+          1943 = 200                             25 HHStaW Abt. 519/3 Nr. 23860.

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Die Firma Georg Schütz GmbH - Erste Süddeutsche Ceresinfabrik in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager - Bernd Ochs Sonderdruck aus dem ...
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                                                                                                            3
                                                                                5        4

                                                                                         6
                                                                            7                                                        9
                                                                                             8                              10

                                                                                             12                            13

                                                                                                                      14
                                                      11

                                                                                                                                18

                                                                                         17
                                                              16                                                                         20
                                                                                                                           19
                                            15

                                                                           23                    27

                                                                                                                             29
          21                  22
                                                                 24                               28                                     30

                                                                            25      26

    Erläuterungen:      5   Springbrunnen        10   Gatsche              14 2 Schwefelsäure-         18       Lager
1   Pförtner            6   Vergußhalle          11   Lagerhallen, teil-      Behälter                 19       Feuerteich
2   Labor               7   Packhalle                 weise abgebrannt     15 Garage                   20       Lager & Packhalle
3   Siedekesselanlage   8   Gatsche              12   Kesselhaus           16 Werkstatt                21       Wasserturm
4   Raffination         9   Abort                13   Küche                17 Oxydation                22       Feuerteich West

                                                               
Die Firma Georg Schütz GmbH - Erste Süddeutsche Ceresinfabrik in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager - Bernd Ochs Sonderdruck aus dem ...
Landstraße nach Weißkirchen
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                                                       33                                                      35

     31                32
                                                                                       37     38
                                                        36

                      39                                               40

                                                                                                   45

                                                                            42
                                                                                      44
                                                  41

                                                                                                                       47
                                                                             43
                                                                                                        46

               48

      Lageplan von 1952.      Quelle: Bauakte, Stadt Oberursel

23    Kl. Tanklager    28   Destillation          33   zerst. Bürobaracke   38   Stall                  43   Abscheider für Warmwasser
24    Alkylierung      29   Pumpstation           34   zerst.Waschbaracke   39   Gatschlager            44   Selektiv-Anlage
25    Vor.Dest.        30   Kühlturm              35   Wohnhaus             40   Rohwachsschuppen       45   Lösemittel-Tanklager
26    Gas-Ofen         31   Wohn-Baracke          36   Baracke              41   Aufbereitungs-Anlage   46   Abscheider für Abwasser
27    Gr. Tanklager    32   zerst.Speisebaracke   37   Abort                42   Halbstoff-Tanklager    47   Feuerteich Ost
                                                                                                        48   Saugsch. für Feuerwehr

                                                                  
Die Firma Georg Schütz GmbH - Erste Süddeutsche Ceresinfabrik in Weißkirchen (Taunus) und ihr Zwangsarbeiterlager - Bernd Ochs Sonderdruck aus dem ...
und des Landeswirtschaftsamtes für Großhessen             Am 2. Dezember 1949 hob das »Hessische Staats-
in Wiesbaden, unter der Lizenz-Nummer 51/584,             ministerium Der Minister für politische Befrei-
wieder aufgenommen werden. Die Besatzungs-                ung« die Sprüche der Spruchkammer auf und ord-
schäden wurden auf über 1 Million RM beziffert.           nete die erneute Durchführung des Verfahrens vor
Es wurden nun alle verfügbaren Mittel und                 der Spruchkammer Frankfurt/Main in anderer
Kräfte dazu eingesetzt, neben der Produktion die          Besetzung an. In einer nichtöffentlichen Sitzung
schweren Besatzungsschäden zu beheben, was sich           der Zentralspruchkammer Hessen-Süd am 28. Ja-
bis weit in das Jahr 1948 hinzog. Es herrschte ein        nuar 1950 erging der nicht anfechtbare Beschluss,
Mangel an Arbeitskräften und die Produktion               das Verfahren einzustellen.28
kam nur sehr zögerlich in Gang. Das Unterneh-             In den folgenden Jahren bildeten die Produkte
men versorgte bisher die Industrie im wesent-             »GS-Ozokerit« auf Basis von Erdölrohstoffen und
lichen mit gelben bis braunen Weichwachsen,               »GS Hartwachs« aus Steinkohleprodukten der
während nach der Währungsreform im Juni 1948              Fischer-Tropsch-Synthese das Rückgrat der neuen
nur noch Interesse an harten und möglichst hellen         Schütz’schen Export-Produktion. Braunkohlen-
hochwertigen Wachsen bestand, wovon die Kun-              produkte wie Montanwachs und Paraffin erweiter-
den, zunächst äußerst zurückhaltend, nur kleine           ten den Herstellungsbereich. Durch die Vereini-
Mengen bestellten.                                        gung von Wachsrohstoffen mit Kunstharzen und
Das Unternehmen befand sich in dieser Zeit in             thermoplastischen Kunststoffen bahnten sich neue
einer äußerst angespannten Finanzlage.26                  Entwicklungswege an, die vor allem auf dem Ge-
                                                          biet der Spezialwachse für Verpackungsmittel zu
Schütz beschäftigte im Juli 1948 79 Mitarbeiter;          bedeutenden Erfolgen führten und zu weltbekann-
im März 1949 waren es bereits 116 Mitarbeiter, bei        ten Spezialerzeugnissen der Firma Schütz wurden.
einer Lohnsumme von 37.130 DM. Die Grund-
steuer für den Monat Januar 1949 belief sich auf          Die Industrie brauchte nun Wachse mit Schmelz-
523,44 DM.27                                              punkten von 45 bis 135 Grad Celsius in allen er-
                                                          denklichen Härte- und Weichheitsgraden und mit
1947/48 stellten politische Parteien von Weißkir-         den vielfältigsten Eigenschaften für aroma-, was-
chen und der Bürgermeister von Weißkirchen so-            ser- und fettdichte Verpackungspapiere, -folien
wie der bereits erwähnte Weißkirchener Landwirt           und Kartons, für Textilien und Leder, für Schuh-
(Landenteignung) Anträge auf Wiederaufnahme               creme, Bohnerwachs, Auto- und Möbelpolituren,
eines Spruchkammerverfahrens gegen Heinrich               für Kerzen, Wachswaren und Kohlepapier, Bunt-
Schütz. In der Begründung wurde angeführt, der            stifte, Kosmetika und Salben, für elektrische Iso-
Betroffene sei Aktivist und insbesondere Nutz-            lierungen, Vergussmassen und Feingussmodelle,
nießer des Naziregimes gewesen.                           sie brauchte Schutz- und Gleitwachse für Sinter-
Die Spruchkammer Obertaunus beschloss, auf-               metalle, Kunststoffe und Gießerei-Formenpulver,
grund der vom Öffentlichen Kläger angestellten            um nur einige Verwendungszwecke zu nennen.29
Ermittlungen, eine Wiederaufnahme des Spruch-             Um 1953 erfolgte der Ausbau der ehemaligen La-
kammerverfahrens gem. Artikel 48 des »Gesetz zur          ger- und Packhalle zu Labors (Labor I und II).30
Befreiung von Nationalsozialismus und Milita-
rismus vom 5. März 1946«. Gleichzeitig wurde ge-          In der Handelskammer-Mitteilung vom 01. 09.
gen Heinrich Schütz ein Beschäftigungsverbot              1957 wird Heinrich Schütz u.a. als »unabhängiger
und eine Vermögenskontrolle erlassen sowie ein            Fabrikant, der die technische Entwicklung seines
überwachender Treuhänder eingesetzt. Am 7./8.             Fachgebietes maßgeblich förderte«, beschrieben.31
                                                          ________________________
September 1948 gab es eine mündliche Verhand-             26 Chronik der Gemeinde Weißkirchen/Ts., S. 94, Privatarchiv
lung in einer öffentlichen Sitzung bei der Spruch-           B.Ochs und Stadtarchiv Oberursel Sign.Weißkirchen XV, 1
kammer Frankfurt/Main. In der folgenden Sit-                 und Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. 507-8112 so-
zung der Spruchkammer vom 4./5. Oktober 1948                 wie 519V-3107/463.
erging der Beschluss, das Verfahren gegen Hein-           27 Stadtarchiv Oberursel Sign. Weißkirchen IV, 2, 1948 Bd. 2.

rich Schütz, weil vom Gesetz nicht betroffen, ein-        28 HHStaW Abt. 519/V Nr. 3107-463 u. Abt. 520/FZ Nr. 7206.

zustellen.                                                29 Taunus-Anzeiger, Jubiläums-Ausgabe (100 Jahre) vom 21.
                                                             09. 1963 und vom 11./12.11.1966, S. 4, Stadtarchiv Oberursel.
Die Berufung des Weißkirchener Landwirts wur-             30 Bauschein Nr. 30 vom 6.12.1952 in Bauakte, Stadtverwaltung
de am 25. Mai 1949 durch die Berufungskammer                 Oberursel.
als unbegründet zurückgewiesen. Gleichzeitig              31 Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt Sign. Abt. 3, Fir-
wurde die Vermögenskontrolle aufgehoben.                     menakten.

                                                     
1957 verzeichnete die Firma Schütz einen
Jahresumsatz von 4.250.000 DM und
beschäftigte 84 Mitarbeiter 32. 1966, im
Jahr ihres 75-jährigen Bestehens, waren
es 100 Mitarbeiter und es wurden etwa
450 verschiedene Wachssorten in Form
von Platten, in Schuppen, in Pastillen-
form oder als Wachsstaub hergestellt.33
Mit der Anmeldung der Sitzverlegung
der Firma Schütz von Frankfurt/M. nach
Weißkirchen wurde im Dezember 1962
eine längst fällige Berichtigung des Han-
delsregisters eingeleitet. Die Eintragung
erfolgte am 9.Januar 1963 unter Nr.HRA
657 durch das Amtsgericht Bad Hom-
burg v.d.H.34
Die Adresse der Firma Schütz lautete an-
fangs »Weißkirchen, am Bahnhof«, spä-
ter Bahnhofstr. 54; ab 1968, im Rahmen
einer Neunummerierung der Bahnhof-
straße, waren es die Nummern 74-76.35
Infolge der Gebietsreform von 1972 wur-
de die Bahnhofstraße in die Kurmainzer
Straße integriert und dem Schütz-Ge-
lände wurden die Hausnummern 148-
166 der Kurmainzer Straße zugeordnet.
Das weitläufige Industriegelände führt
seit 1988 die Adressen Hiroshimastraße 1
und 2.
»Heinz Schütz blieb selbständig. Chef Seite 1 eines Prospekts von 1954. Im Mittelgrund sieht man eine
des Weißkirchener Ceresinwerkes feiert idealisierte Darstellung des Firmengeländes mit dem Wasserturm
75. Geburtstag«; unter diesem Titel wür- links vorne.                             ISG Frankfurt, Sammlung S3, 1601
digte die Taunus-Zeitung in ihrem Arti-
kel vom 26. August 1972 die Verdienste des »Pio- Als die Firma Schütz in einer Anzeige der Taunus-
niers der deutschen Ceresinindustrie« mit einem Zeitung vom 8. Februar 1986 eine Fremdsprachen-
Rückblick auf seine 52jährige Tätigkeit als Allein- Korrespondentin mit guten Kenntnissen in Eng-
inhaber seiner Firma.36                             ________________________
                                                    32 Schreiben der Industrie-u. Handelskammer vom 28.12.1962
Am 1. November 1977 konnte Karl Goldbach auf           betr. HR-Sache Georg Schütz Nr. -18008-, Hessisches Wirt-
seine 50jährige Tätigkeit in der Firma Schütz zu-      schaftsarchiv Darmstadt, Sign. Abt.3, Firmenakten.
rückblicken. In dieser Zeit stieg er zum Betriebs- 33 Taunus-Anzeiger vom 11./ 12. 11 . 1966, Seite 4, Stadtarchiv
leiter auf und hatte auch in schweren Zeiten der       Oberursel.
Firma die Treue gehalten. Der Hessische Minister- 34 Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt Sign. Abt. 3, Fir-
präsident und die Industrie- und Handelskammer         menakten.
                                                    35 Bei der Neunummerierung der Bahnhofstraße von 1968 er-
würdigten seine Verdienste.   37
                                                       hielten die Anlieger der Gemeinde Weißkirchen die geraden
Nach dem Tod von Heinrich Schütz am 20. Mai            Hausnummern, die Anlieger der Gemeinde Stierstadt die
1979 wurde das Unternehmen 1980 in eine                ungeraden Hausnummern, Stadtarchiv Oberursel, Sign.
GmbH. umgewandelt und firmierte als »Georg 36 Weißkirchen III, 50.
Schütz G.m.b.H. Erste Süddeutsche Ceresinfa- 37 Stadtarchiv Oberursel Sign. Biogr. OU 101.
brik«. Persönlich haftende Gesellschafter waren 38 Taunus-Zeitung vom 1. 11. 1977, Stadtarchiv Oberursel.
                                                       Stadtarchiv Oberursel Standesamtsregister 1979 Nr. 107 und
die Ehefrau des Verstorbenen, Kauffrau Erna Jo-        Handelsregister A Nr. 1437 vom 2. September 1980 und B
hanna Schütz geb.Greiner und ihr Sohn, der             Nr. 2299 vom 25. September 1980, Hessisches Wirtschafts-
Kaufmann Bernd Schütz.38                               archiv Darmstadt, Sign. Abt.3, Firmenakten.

                                                       
Seite 2/3 des Faltprospekts von 1954                           Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Sammlung S3, 1601

lisch und Französisch für ihre Export-Abteilung           nächst wohl nur als Gerücht galt, wurde wenig
suchte, war nach außen nicht erkennbar, dass das          später zur Realität. Mazda erwarb etwa 71 000 qm
baldige Ende des Industriebetriebes bevorstand.39         mit 11 000 qm Nutzfläche des Schütz Geländes
Zur großen Überraschung der Mitarbeiter wurde             sowie eine Wegeparzelle von der Stadt Oberursel;
in der Lokalpresse Ende Oktober 1987 die Schlie-          die restlichen ca. 10 000 qm erwarb die Firma
ßung des Werkes zum 31.1.1988 verkündet. Wie              Webb Service (Mister Minit) zur Einrichtung
verlautete, machte das Unternehmen in den letz-           ihrer Hauptverwaltung mit Vertrieb und Hoch-
ten Jahren steigende Verluste; die Ursache seien          regallager.
schrumpfende Aufträge aus der Automobil- und              Die ehemaligen Schütz-Mitarbeiter standen im
Papierindustrie. Dazu käme ein Mangel an neuen            Abseits – »Wir fühlen uns von allen Seiten im
Produkten, weil das mittelständische Unterneh-            Stich gelassen« – argumentierte ein ehemaliges
men nicht mit der Forschung der kapitalkräftigen          Betriebsratsmitglied. Als besonders kränkend wur-
Großindustrie mithalten könne.                            de empfunden, dass die Firma Mazda nur einen
Am 11. November 1987 unterzeichneten der Be-              einzigen Schütz-Mitarbeiter übernahm.40
                                                          ________________________
triebsrat und die Firmenleitung einen Interessen-         39 Taunus-Zeitung vom 08. 02. 86, S.25, Stadtarchiv Oberursel.
plan, der auch einen Sozialplan einschloss. Durch         40 Oberurseler Kurier Nr. 85 vom 23./24. 10.1987 S. 1, Nr. 91
die Werksschließung verloren 52 Mitarbeiter ihren            vom 13./14. 11. 1987 S. 1, Nr. 93 vom 20./21.11. 1987 S. 1, Nr. 98
Arbeitsplatz.                                                vom 08.12. 1987 S. 1, Nr. 95 vom 29.11. 1988, S. 1; Taunus-Zei-
Es wurde bekannt, dass das Firmengelände an den              tung vom 24. 10. 1987 S. 19, 12.11. 1987 S. 19, 19. 11. 1987 S.19,
                                                             18. 03.1988, 06. 07.1988, S..18, 11.7. 1988 S.14; Frankfurter
japanischen Autokonzern Mazda verkauft werden                Rundschau Nr. 263 vom 12. 11.1987, F.R. Nr. 45 vom 23.02.
sollte, der hier sein europäisches Forschungs- und           1988, S.II und Nr. 52 vom 02. 03.1988 S.II und F.AZ. Nr. 125
Entwicklungszentrum errichten wolle. Was zu-                 vom 31. 05.1990, S. 51 – alle Stadtarchiv Oberursel.

                                                     
Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung            men von der Oberurseler Firma Hydrodata, erga-
der Schütz GmbH vom 8.12.1988 wurde die                  ben, dass die Belastungen des Grundwassers stark
Firma der Gesellschaft und der Gegenstand des            abnahmen, je weiter man sich von dem früheren
Unternehmens geändert sowie der Sitz der Gesell-         Tanklager entfernte.
schaft von Oberursel nach Steinbach/Ts. verlegt.
                                                         Erst wenn alle Ergebnisse vorliegen, könne man
Neue Firma: J. und B. Schütz Verwaltungsgesell-
                                                         eine Prognose erstellen wie sich der Eintrag in das
schaft mbH. Neuer Gegenstand des Unterneh-
                                                         Grundwasser bisher gestaltet habe und wie er sich
mens: Erwerb, Veräußerung und Verwaltung von
                                                         in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwick-
bebautem und unbebautem Grundbesitz aller Art,
                                                         eln werde. Auf jeden Fall sollen in den kommen-
wie Grundstücke ... usw.41
                                                         den Jahren alle sechs Monate Wasserproben an den
»Schadstoffsuche in 70 Metern Tiefe«. Unter die-         fünf Bohrstellen entnommen werden, um festzu-
sem Titel berichtete die Taunus-Zeitung in ihrer         halten, wie sich der Abfluss des Grundwassers und
Ausgabe vom 05.08.2000 über die von der ehe-             die Schadstoffausbreitung entwickeln, um notfalls
maligen Ceresinfabrik Schütz verursachte Verun-          weitere Maßnahmen veranlassen zu können.
reinigung des Bodens und des Grund-
wassers mit Lösungsmitteln.
Im Nordteil des Betriebsgeländes be-
fand sich ein unterirdisches Tanklager,
in dem bis 1973 Lösungsmittel gelagert
waren. Wegen eines Verdachtes wurden
1987 im Auftrag der Firma Schütz um-
welttechnische Untersuchungen vorge-
nommen, wobei die Experten im Be-
reich des Tanklagers eine großflächige,
sanierungsbedürftige Verunreinigung
des Bodens und des Grundwassers mit
Lösungsmitteln feststellten.
Ab 1989 und bis Mitte 2000 wurden auf
Kosten des ehemaligen Eigentümers
Maßnahmen zur Sanierung der Boden-
luft über den Einsatz von Aktivkohlefil-
tern mit einigem Erfolg durchgeführt.
Die weiteren Maßnahmen bzgl. der
Grundwasserverunreinigung konnten
von Schütz finanziell nicht mehr gelei-
stet werden und die weitere Bearbeitung
dieses Altlastenfalles wurde vom Land
Hessen der Hessischen Industriemüll
GmbH (HIM) übertragen; das Land
Hessen stellte für die Untersuchung ca.
300.000 DM bereit.
Es waren fünf Bohrungen zwischen der
Hiroshimastraße und dem Wasserwerk
Praunheim zur Einrichtung von Meß-
stellen geplant, von denen im August
2000 bereits vier niedergebracht waren.    Der Prospekt (hier Seite 4) trägt die Handschrift des Oberurse-
Über eine Grundwasseranalyse sollte        ler Werbegraphikers Himke Faber (1914-1973). Er arbeitete für
herausgefunden werden, in welcher          zahlreiche renommierte Firmen und Organisationen. So gestal-
Größenordnung die Lösungsmittel ins        tete er z.B. auch das weltweit verbreitete IAA-Plakat 1967, das
Grundwasser gelangten und in wieweit       aus 200 internationalen Bewerbungen ausgewählt wurde.
eine laterale Verlagerung stattgefunden    ________________________
hat. Erste Untersuchungen, vorgenom-       41 HR B2299-12.1.1989 in Taunusbote vom 18.1.1989, Stadtarchiv Oberursel.

                                                    
Teil II: Das Barackenlager für die Zwangsarbeiter auf dem Gelände der Firma Georg Schütz
»Ausländische Zivilarbeiter«, »Fremdarbeiter«               Im »Heimatgeschichtlichen Wegweiser zu Stätten
oder »Fremdvölkische« wurden die im sogenann-               des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945«
ten Reichseinsatz zur Beschäftigung gebrachten              heißt es auf Seite 191 : »Ende 1942 (?)49 wurden für
Ausländer im NS-Sprachgebrauch genannt.                     die ausländischen Zwangsarbeiter Baracken er-
»Zwangsarbeiter« ist ein Nachkriegsbegriff für Per-         richtet. Sie mussten u.a. Kanalarbeiten für die
sonen, die aus den von NS-Deutschland eroberten             fabrikeigene Kläranlage durchführen. Außer den
Gebieten Europas in das Deutsche Reich gebracht             Zwangsarbeitern waren bei der Firma Schütz auch
wurden, um hier in Industrie, Landwirtschaft und            Gefangene aus dem Gefängnis in Frankfurt-Preun-
Privathaushalten zu arbeiten.                               gesheim eingesetzt; im Juli 1944: 34 Justizstrafge-
Der verharmlosende Pauschalbegriff »Fremdarbei-             fangene«.
ter« meint Angehörige aller Völker und Nationa-             In den Bauakten der Stadt Oberursel befindet sich
litäten, in deren Staaten NS-Deutschland mit der            ein Lageplan vom 22. Dezember 1941, in dem vier
Waffengewalt der Wehrmacht eingefallen war, sie             geplante »Baracken nur für Kriegsdauer« einge-
aus ihren Lebenszentren deportiert und in das               zeichnet sind (siehe Abb.) Einzelheiten zu den
Zwangssystem der Kriegswirtschaft des »Dritten              Baracken, wie Baupläne, wurden nicht gefunden.
Reiches« eingebunden hatte. Ein kleiner Teil da-            Die Baracken hatten folgende Abmessungen: 20 x
von kam in der Frühphase des Krieges aus Frank-             8,15 m / 26,45 x 8,15 m / und 39,8 x 8,20 m (2).50
reich, Belgien, den Niederlanden, aber auch aus             Eine weitere Registrierung des Zwangsarbeiterla-
Polen sowie der Sowjetunion zur Arbeitsaufnahme             gers bei der Firma Schütz findet sich im »Catalo-
»freiwillig« ins Reichsgebiet. Die danach in                gue of Camps and prisons in Germany and Ger-
Deutschland erlebten, stark reglementierten wie             man-occupied Territories Sept. 1st, 1939 -May 8th,
repressiven Arbeits-, Lebens- und Rechtsverhält-            1945« prepared by International Tracing Service
nisse führten aber selbst den »Freiwilligen« bald           Hq., Arolsen, 24th June 1949 51; sie lautet:
den »Zwangscharakter« ihres kriegsbedingten Ar-             ________________________
beitseinsatzes vor Augen.                                   42 Thomas Lange/Klaus-Dieter Reck in: Zwangsarbeit im
                                                               Volksstatt Hessen 1939-1945, veröffentlicht durch Hessisches
Ebenfalls wurden Kriegsgefangene, entgegen der                 Staatsarchiv, Darmstadt, Digitales Archiv, URL: http://di-
Genfer Kriegsgefangenenkonvention, zur Arbeit                  gada.de/Zwangsarbeiter/uebersichtzwangsarbeiter.htm.
in der deutschen Rüstungsindustrie gezwungen.42             43 »Gemeinschaftslager« wurden von mehreren Firmen, die
                                                               Zwangsarbeiter beschäftigten, gemeinsam unterhalten.
Auch die Ceresinfabrik Georg Schütz, beschäftig-            44 Für die Betreuung der in Lagern untergebrachten deutschen
te ab 1941/1942 Fremdarbeiter und französische                 und ausländischen Arbeitskräften in nichtlandwirtschaft-
Kriegsgefangene, deren Unterbringung zunächst                  lichen Betrieben war seit 29. 4./1. 5. 1942 die DAF [Deutsche
in den Weißkirchener Gasthäusern »Zum Hirsch«                  Arbeitsfront, eine Zwangsgemeinschaft der Unternehmer
(30 Belgier, 1942 ?) und »Zur Hainlust« (28 Belgier,           und abhängig Beschäftigten, eine Art Ersatz für die zer-
1942 ?) und dann in einem sogenannten »Gemein-                 schlagenen Gewerkschaften] zuständig. Der Bevollmächtig-
                                                               te für den Arbeitseinsatz im Gau Hessen-Nassau war Gau-
schaftslager«43 (Barackenlager) auf firmeneigenem              leiter Jakob Sprenger. Taunus-Anzeiger vom 3. 6.1942.
Gelände erfolgte. Die Ceresinfabrik stellte damals          45   HHStaW Abt. 483 Nr. 7328 und Kreisarchiv Hochtaunus-
Produkte für synthetische Treiböle her und war                   kreis, Nachlass A. Baeumerth sowie Ursula Krause-Schmitt,
von daher ein kriegswichtiger Betrieb.                           Jutta von Freyberg: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu
                                                                 Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945
In zwei Listen der Deutschen Arbeitsfront (DAF)44                Band 1/1 Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt, Herausge-
ist die Unterbringung der Fremdarbeiter wie folgt                geben vom Studienkreis Deutscher Widerstand, Frank-
registriert: 45                                                  furt/Main: VAS 1995, Seite 191, Privatarchiv B.Ochs.
                                                            46   Deutsche = wohl Häftlinge/Justizstrafgefangene aus dem
Liste vom 21.o9.1942:                                            Gefängnis Frankfurt-Preungesheim. m. = Männer.
Gemeinschaftslager1 G.Schütz, Weisskirchen:                 47   Flamen ( aus der belgischen Region Flandern ) waren als
                     25 Deutsche m.46                            »Westarbeiter germanischer Abstimmung« eingestuft.
                     50 Flamen m.47                         48   Russen = »Ostarbeiter«, die auf der untersten Stufe der Aus-
                                                                 länderhierarchie standen (»Ostarbeiter-Erlasse« vom 20. Fe-
Liste vom 1.04.1943:                                             bruar 1942).
Gemeinschaftslager G. Schütz, Weißkirchen:                  49   Nach den Recherchen des Autors wohl bereits Anfang 1942
                     58 Inländer                            50   HHStaW Abt. 520/FZ Nr. 7206.
                     37 Russen 48                           51   In Martin Weinmann: Das nationalsozialistische Lagersy-
                     42 Flamen                                   stem (CCP), 4. Auflage, April 2001, Privatarchiv B.Ochs.

                                                       
»Baracken nur für Kriegsdauer«               Ausschnitt aus Lageplan vom 22. 12. 1941. Quelle: Bauakte Stadt Oberursel

Weisskirchen Krs. Obertaunus US Zone L51/M 67                 Behandlung der ausländischen Arbeiter
CWC: Erste Mitteldeutsche Ceresinfabrik, Georg            Es soll zu Misshandlungen von französischen
Schuetz, 100 pers. (Buergermaster)52                      Kriegsgefangenen gekommen sein; auch mussten
Die Auswertung von weiteren Quellen ergab fol-            sie zeitweilig an Sonntagen arbeiten. Als das Stalag
gende Ergebnisse zu dem Einsatz von ausländi-             davon hörte, wurde der Firma angedroht, ihr im
schen Arbeitskräften bei der Firma Schütz:                Wiederholungsfalle, die Gefangenen zu entziehen.
Nationalitäten: Franzosen (Kriegsgefangene), Bel-         Besonders schlecht sollen die Ostarbeiter behan-
gier, Flamen, Holländer, Russen sowie deutsche            delt worden sein, auch hier soll es zu Misshand-
Justizstrafgefangene.                                     lungen gekommen sein, sowie bei geringen Verge-
                                                          hen zum tagelangen Entzug von warmen Mahl-
Bereits 1941 kamen etwa 20 französische Kriegsge-         zeiten und Einsperren in einen Bunker. Allgemein
fangene, als Außenkommando des »Stalag IX«53              soll es auch zu Beschwerden hinsichtlich des kata-
(ob vom IXA Ziegenhain oder IXB Bad Orb/Weg-              strophalen Zustands der Arbeitskleidung sowie
scheide ist unklar) zum Arbeitseinsatz.54 Ebenso          der zeitweilig schlechten Verpflegung gekommen
unklar ist deren Unterbringung vor dem Bau des            sein.55
Schütz’schen Barackenlagers. Die Kriegsgefange-           ________________________
nen wurden von einem Landesschützen, vermut-              52 CWC = Civilian Workers Camp (»Mitteldeutsche« = Feh-

lich vom Landesschützenbataillon 633, bewacht.               ler), 100 Personen nach Angaben des Bürgermeisters.
                                                          53 »Stalag«=Stammlager, im Nationalsozialismus die Bezeich-
1943 wurden die französischen Kriegsgefangenen               nung für Lager zur Unterbringung von Kriegsgefangenen
in den »Zivilarbeiterstatus« überführt. Angeblich            des Zweiten Weltkriegs. »IX« = Wehrbereich Kassel. Der
sind sie 1945, nach Kriegsende, hiergeblieben.               größte Teil der Kriegsgefangenen musste außerhalb des Sta-
                                                             lag in Arbeitskommandos Zwangsarbeit in der Industrie und
Die belgischen Zivilarbeiter, die von der Firma Le           Landwirtschaft leisten.
Hecq, Brüssel, kamen, hatten wohl einen Sonder-           54 Die Unternehmen mussten für die Arbeit der Kriegsgefan-

status, denn sie wurden u.a. wesentlich höher ent-           genen Löhne an die Wehrmacht abführen, von denen west-
                                                             liche Kriegsgefangene etwa die Hälfte in »Lagergeld« ausbe-
lohnt.                                                       zahlt bekamen.
Die Russen wohnten separat in der »Ostarbeiter-           55 Eidesstattliche Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern der

baracke«.                                                    Firma Schütz von 1948, HHStaW Abt. 520/FZ-7206.

                                                     
Am 12. Februar 1942 wurde der 21jährige belgische                   Im Folgenden werden Auszüge aus
Zivilarbeiter Isaak ... 56 ins Polizeigefängnis Frank-         werksinternem Schriftverkehr/Berichtswesen
furt eingeliefert, weil er auf seiner Arbeitsstelle             der Firma Schütz in den Jahren 1942/1943
Streitigkeiten mit einem Hilfspolizisten hatte. Am                      abschriftlich wiedergegeben.
16. Februar wurde er der Kripo Frankfurt überge-              Es handelt sich dabei um Passagen aus Berichten
ben und dem Richter vorgeführt, Haftbefehl nicht              der Vertrauensmänner, des Werkschutzes, des Ab-
erlassen, am 18. Februar der Staatspolizei überstellt         wehrbeauftragten und der Werkschwester, die
und am 23. Februar wieder entlassen.                          überwiegend einen Bezug zu den Fremdarbeitern
Der 50jährige Sowjetrusse Roman Galaibida wur-                haben. 63
de vom 26. November 1942 bis 13. Januar 1943                                       Weisskirchen, den 30. Januar 1943
wegen Arbeitsverweigerung von der Staatspolizei
Frankfurt in Haft genommen und in das AEL (Ar-                Bericht der Vertrauensmänner für Dezember 1942 64
beitserziehungslager Heddernheim)57 überführt.58              Verschiedene Gefolgschaftsmitglieder 65 haben bei den
Am 6. Juni 1943 wurden die Ostarbeiter Iwan L.,               Vertrauensmännern Klage geführt, dass in Wasch-
Wadin O. und Wasil S. unerlaubt in Oberursel an-              räumen, wo sie sich waschen, sogar fremde Russen sich
getroffen; sie wurden in die Arrestzelle eingeliefert         baden würden. Auch ein Teil der Belgier sei verlaust
und dort vom Schütz-Werkschutz abgeholt.                      und man könne sich das Ungeziefer dort dann auch
                                                              holen. Von den Vertrauensmännern wurde festgestellt,
Am 27. Januar 1945 sind die Ostarbeiter Ilja L.,              dass tatsächlich einmal Russen aus Oberursel sich bei
Iwan P. und Wladimir M. ohne Urlaub heimlich                  uns gebadet haben. 10 Minuten später kam dann un-
nach Frankfurt gefahren und erst am nächsten Tag              sere Gefolgschaft. Es war am Samstag den 19.12.42.
zurückgekehrt. In der Meldung der Firma Schütz                Die Vertrauensmänner bitten den Betriebsführer 66,
an den Gendarmerieposten Stierstadt heißt es:                 dem Lagerführer Bescheid zu geben, dass dies in Zu-
»Wir bitten um eine empfindliche Bestrafung,                  kunft nicht mehr geschieht. Bei den Belgiern war
damit diese Disziplinwidrigkeit nicht weiter ein-             auch der Fall, das beim Umzug 67 verlauste Belgier
reißt«; der Gendarmerieposten erstattete Straf-               festgestellt wurden.
anzeige bei der Ortspolizei Weißkirchen.                                                      G Vertrauensmann
                                                              ________________________
Anfang 1943, als die Krankenhäuser die Aufnahme               56 Nachname aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes in dem
von Ausländern verweigern mussten, wurde im                      Dokument unleserlich gemacht.
Werk ein Krankenrevier mit ca. 10 Betten einge-               57 Die AEL waren Sonderlager der Gestapo und dienten der

richtet. Ein Weißkirchener Arzt war für die Be-                  Disziplinierung von »Arbeitsverweigerern, arbeitsvertrags-
treuung aller Beschäftigten und die hygienischen                 brüchigen und arbeitsunlustigen Elementen«, wie es in der
                                                                 Lagerordnung des AEL-Heddernheim vom 16. April 1942
Einrichtungen als Betriebsarzt zuständig. Auch ein               heißt. Die Haftbedingungen waren KZ-ähnlich.
Sanitätsraum für erste Hilfe und Sprechstunden-               58 Personenkartei der Staatspolizeistelle Frankfurt im HHSta
tätigkeit war vorhanden.59                                       W Abt. 486.
                                                              59 Eidesstattliche Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern der
In einer Baracke hat sich am 14. 8. 1944 ein fünfzig-
                                                                 Firma Schütz von 1948, HHStaW Abt.520/FZ-7206 und
jähriger deutscher Justizstrafgefangener erhängt.60              Stadtarchiv Oberursel Sign. Hauptamt Nr. 322, Bd. 1.
Unter den zehn bei dem bereits erwähnten Jagd-                60 Eidesstattliche Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern der

bomberangriff vom 21. Februar 1945 getöteten                     Firma Schütz von 1948, HHStaW Abt.520/FZ-7206 und
Menschen befanden sich auch vier Belgier vom                     Stadtarchiv Oberursel Sign. Standesamtsregister 1944 Nr. 6.
                                                              61 Aufzeichnungen von Franz Simon vom Juni 1983, Stadtar-
Barackenlager. Drei Belgier wurden einige Jahre
                                                                 chiv Oberursel Sign. »Weißkirchen Top 111« und »Gräberli-
nach Kriegsende in ihre Heimat überführt; Jean                   ste für öffentlich gepflegte Gräber« der Stadt Oberursel vom
Willms erhielt auf dem Gemeindefriedhof Weiß-                    20. 03. 1973.
kirchen am Kriegerdenkmal ein Ehrengrab.                      62 Bauakte, Stadtverwaltung Oberursel.

                                                              63 Aus Archiv der Arbeitsgemeinschaft »Nie wieder 1933«,
Die Lager- Baracken dienten später noch längere
                                                                 Oberursel. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurde
Zeit den Flüchtlingen und Heimatvertriebenen als                 von den Nachnamen der Personen immer nur jeweils der er-
Unterkunft; viele fanden hier auch einen Arbeits-                ste Buchstabe wiedergegeben.
platz.61                                                      64 Im Nationalsozialismus wurden durch das Arbeitsord-
                                                                 nungsgesetz von 1934 alle betriebsrätlichen Aktivitäten ver-
In einem Lageplan von 1952 (siehe Abb.) sind noch                boten. Die Betriebsräte wurden durch so genannte Vertrau-
Baracken eingezeichnet und wie folgt benannt:                    ensräte (Vertrauensmänner) abgelöst.
Wohnbaracke, zerstörte Speisebaracke, zerstörte               65 Gefolgschaft (Vokabular des Nationalsozialismus) = Beleg-
Bürobaracke, Baracke, zerstörte Waschbaracke.62                  schaft.

                                                         
Werkschutz           Weisskirchen, den 29. Mai 1942          wischt, die Briketts mit nach dem Lager nehmen
                                                             wollten. Am 16.5.42 erwischte ich einen Belgier beim
Monatsbericht des Werkschutzes 68                            Rauchen innerhalb des Werkes. Auf Anordnung des
In den ersten Tagen dieses Monates war vom Ab-               Betriebsleiters übergab ich diese Sache der Polizei.
wehroffizier der Abwehrstelle Frankfurt/M.69 eine            Der Belgier wurde abgeholt. Von der Polizei wurde
Arbeitstagung einberufen worden. Es war eine sehr            beanstandet, dass das polizeiliche Rauchverbot nicht
lehrreiche Tagung für mich gewesen, es wurde über            in der Sprache der bei uns beschäftigten Ausländer an
eine Stunde über die Pflichten und Aufgaben des              den Anschlagstafeln bekannt gemacht ist.
Werkschutzes gesprochen.Seit diesen Tagen versuche           Am 22.5.42 wurde ein weiterer Belgier innerhalb des
ich, unseren Werkschutz straffer und zwar nach               Werkes beim Rauchen erwischt, und zwar durch den
militärischen Grundsätzen aufzubauen. Bis auf F              Werkschutzmann K Peter. Auch dieser Belgier wur-
Franz, der auch nicht immer weiß, was er will, aber          de von der Polizei abgeholt.
in seiner Dienstauffassung und Pflichterfüllung sehr         Es wurde festgestellt, und zwar verschiedentlich, dass
genau ist, eignen sich die anderen Werkschutzleute           von den Bauhandwerkern die Umzäunung an eini-
nicht für ihre Aufgabe. Schwatzhaftigkeit, nie ernst         gen Stellen gelöst wurde, um nicht beim Pförtner vor-
zu nehmende Verantwortung und dadurch keine                  bei zu müssen. Auch hier wurde Abhilfe geschaffen.
richtige Pflichterfüllung sind an der Tagesordnung.          ________________________
                                                             66 Betriebsführer (Vokabular des Nationalsozialismus) =
Es wurden in diesem Monat verschärfte Ausweiskon-               Unternehmer, Inhaber oder Geschäftsführer eines Indu-
trollen unserer Gefolgschaft sowie der Bauhandwer-              striebetriebes; hier Heinz Schütz.
ker durchgeführt. Ferner sehr scharfe Kontrollen, ob         67 Vermutlich ist der Umzug von den Gasthäusern in das
Material usw. mitgenommen wird. Diese Kontrollen                Barackenlager gemeint.
wurden unter meiner Aufsicht durchgeführt. Es sind           68 Klaus Drobisch: Der Werkschutz in: Jahrbuch für Wirt-

Gefolgschaftsmitglieder dabei, die sich nicht ange-             schaftsgeschichte 1965 IV, S. 222. Der Werkschutz (hier
wöhnen können, unaufgefordert ihren Ausweis vor-                nebenamtlich) hatte die Aufgabe, im Rahmen der bestehen-
                                                                den Vorschriften die »Ruhe und Ordnung« im Werk auf-
zuzeigen. Bei der ersten verschärften Ausweiskontrol-           recht zu erhalten und an der Abwehr werksschädigender
le waren von 40 kontrollierten Gefolgschaftsmitglie-            Umtriebe mitzuwirken.
dern 17 dabei, die ihren Ausweis überhaupt nicht             69 Abwehrstelle = Dienststelle der Wehrmacht, die mit Spio-

dabei hatten. Es wurden verschiedentlich Belgier er-            nageabwehr beauftragt war..

Die Gleise der S-Bahn Linie 5 mit der Abzweigung des Werksgleises (links) neben dem Wasserturm der
Firma Schütz, einem Wahrzeichen Weißkirchens             Foto vom 29. 02. 1988, Stadtarchiv Oberursel, 25 III 63

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Es müssten unbedingt die Schusswaffen herbei, um
gegebenenfalls sich auch wehren zu können. Ferner
fehlt den sämtlichen Werkschutzleuten noch die vor-
geschriebene gelbe Armbinde.
Tag und Nacht werden, nach verschiedenen Plänen,
dauernd durch die Werkschutzleute Kontrollgänge
innerhalb des Werkes gemacht.
                              G Werkschutzleiter
            ––––––––––––––––––––––––––
Geheim (Stempel) Weisskirchen, den 31.August 1942
Bericht des Werkschutzes vom Monat August 1942
Der Monat August mit seinen vermehrten Flieger-
alarmen auch bei Tage, stellte erhöhte Anforderungen
an den Werkschutz. Es stellte sich heraus, dass ein
Mann bei Alarm im Außendienst zu wenig ist. Die
Überwachung des Werkes muss bei Fliegeralarm so-
fort im verstärktem Maße durchgeführt werden. Aus
diesem Grunde habe ich dem Abwehrbeauftragten 70
folgende Gefolgschaftsmitglieder zum nebenamt-
lichen Werkschutz vorgeschlagen: SG., MR., HH.
und DFr. Bei den Tagesalarmen stellte es sich heraus,
dass man die Belgier aus allen Verstecken immer erst
herausholen musste. Nach Nachtangriffen musste bei
Hellwerden das Werksgelände sofort nach abgeworfe-
nen Sachen, Brandplättchen71, Flugblätter usw. ab-
gesucht werden. Flugblätter haben wir sehr viele ge-
funden und der Polizei abgeliefert. Am 5.8.42 wur-       Die Mauer mit den Bogendurchbrüchen neben der Einfahrt
de der Belgier S beim Rauchen in der Röhrendestilla-
tion angetroffen; er wurde von der Polizei mit 30 RM         An den Betriebsführer
bestraft. Am 7.8.42 wurde der Monteur H beim Rau-            Herrn H. Schütz
chen erwischt; er wurde vom Betriebsleiter mit einem         Frankfurt a. Main         Weisskirchen, den 28.1.43
schriftlichen Verweis bestraft. Am 29.8.42 wurde wie-                                  G/A
der ein Belgier beim Rauchen angetroffen. Auch die-
se Angelegenheit wurde sofort der Polizei übergeben.         Am Dienstag Vormittag war ich auf einer Tagung, die
                                                             an sich mit dem Betrieb nichts zu tun hatte. Da
Nach den Richtlinien des Mobilmachungsplanes 72              einiges über die Ostarbeiter gesprochen wurde, will
für den Werkschutz muss der Betriebsführer über die          ich Ihnen dies kurz mitteilen.
Arbeit unterrichtet werden. Ich muss aber darauf auf-        ________________________
                                                             70 Christian Schneider-Wollheim Memorial: Die Abwehrbe-
merksam machen, dass laut Mobilmachungsplan
                                                                auftragten waren für die Verfolgung von Spionage, Sabota-
auch alles unter Geheim fällt. Ich bin von einem Of-            ge und des Verrats von Betriebsgeheimnissen zuständig.
fizier des Rüstungskommandos 73 verpflichtet worden             Laut den 1939 von der Gestapo herausgegebenen »Richtli-
und es soll mir nicht passieren, dass ich von dieser            nien für die sicherheitspolizeiliche Tätigkeit der Abwehrbe-
Stelle, auch der des Abwehroffiziers Vorwürfe, even-            auftragten« dienten sie als direktes »Hilfsorgan der Gehei-
tuell bestraft werde, dass Sachen des Werkschutzes,             men Staatspolizei« in den Werken.
                                                             71 Zelluloidplättchen mit aufgetragenem Phosphor, der sich
auch wenn sie noch so nichtig sind, an die Öffent-              bei Sonnenschein entzündet und Felder und Scheunen in
lichkeit kommen. Aus diesem Grunde bitte ich den                Brand setzen kann.
Betriebsführer, auch den Werkschutzbericht als Ge-           72 »Mobilmachungsplan für die Rüstungswirtschaft«, 1939
heim zu betrachten und in den Meisterbesprechun-                vom OKW-Wehrwirtschaftsstab- herausgegeben, Sammel-
gen nicht mehr vorzulesen. Ferner bitte ich Sie, den            heft IX Teil 2 Werkschutz in Klaus Drobisch: Der Werk-
Mobilmachungsplan und sonstige Anordnungen für                  schutz in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1965 IV, S.221.
                                                             73 Die Rüstungskommandos stellten die kleinsten Dienststel-
den Werkschutz, die erstens unter Werkschutz und
                                                                len des Reichsministers für Bewaffnung und Munition dar
zweitens in der Abwehrmappe abgelegt sind, durch-               und waren die koordinierenden und betreuenden Dienst-
zulesen, damit auch Sie orientiert sind.                        stellen für alle Unternehmen, welche Aufträge für die Teil-
                                 G Werkschutzleiter             streitkräfte der Wehrmacht ausführten.

                                                        
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