"Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." - Maja Delinić

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"Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." - Maja Delinić
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        „Die Grenzen meiner
    Sprache bedeuten die Grenzen
            meiner Welt.“
Erst spät und beinahe zufällig interessierte sich Maja Delinić            nach Deutschland gekommen. Der Vater studierte Mathematik
für die Bretter, die die Welt bedeuten können. In der Spiel-              und Bauingenieurwesen in Zagreb und erhielt eine Einladung,
zeit 2020/21 inszeniert die junge Regisseurin Friedrich                   an der Universität Heidelberg zu promovieren. Mutter Delinić
Dürrenmatts Komödie Die Physiker auf der großen Bühne                     ist gelernte Hochbautechnikerin und fand in Heidelberg sofort
des Gemeinschaftstheaters.                                                Arbeit, womit sie in der ersten Zeit die Familie finanziell
                                                                          absicherte. Nach seiner Promotion ging der Vater zu Siemens
Ein Gespräch mit Maja Delinić ist eine besondere Freude.                  und arbeitete fortan an der Entwicklung von mathematischen
Die energiegeladene junge Frau hört freundlich interessiert               Lösungen im Kraftwerksbau. Die Familie Delinić wurde größer
zu und ist konzentriert, schlagfertig und eloquent in ihren Aus-          und zog nach Erlangen. Zu Hause wird Kroatisch gesprochen,
führungen, ohne ihren Sinn für Humor zu verlieren. Obwohl                 erst in Kindergarten und Schule eignet sich Maja Deutsch an,
sie betont, dass sie ganz am Anfang ihrer Theaterlaufbahn                 was sie heute fließend und akzentfrei spricht.
steht, scheint sie sehr genau zu reflektieren, was sie tut, und zu
wissen, was sie will. Ein besonderes Merkmal der jungen Künst-
lerin ist ihr ausgeprägtes Sprachtalent, denn sie spricht fünf                    „Die Lehrer meinten,
Sprachen „fließend falsch“, wie sie augenzwinkernd anmerkt.
Neben Deutsch, Kroatisch, Englisch, Russisch und Portugie-                   ich würde gar nicht zuhören,
sisch hat sie sich auch mit Französisch, Latein und Altkirchen-
slawisch beschäftigt, „und sogar ein klein wenig mit Hebräisch
                                                                              sondern hätte schon immer
und Türkisch“, ergänzt sie. „Dabei war ich in der Schule immer                  die nächste Frage parat.
schlecht in Sprachen. Erst während des Studiums und einiger
Auslandsaufenthalte habe ich mein Faible dafür entdeckt und                 Das ist manchmal heute noch so,
war überrascht, wie schnell ich sie lerne. Heute sind Sprachen
eines meiner wichtigsten Werkzeuge im Theater.“                                   denn ich hab so viele
Maja Gwendolin Delinić wurde als jüngstes von drei Kindern ei-
                                                                                Assoziationen im Kopf.“
ner Einwandererfamilie in Erlangen geboren. Ihre Eltern waren
Anfang der 1970er Jahre aus dem kroatischen Teil Jugoslawiens

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Nach dem Abitur weiß Maja Delinić zunächst nicht, wie es                ausgerichtet ist. Arbeitssprache ist Englisch, was Majas Schul-
weitergehen soll. Ein Lehramtsstudium? Psychologie? Oder                englisch immens aufpoliert. Im Slawistik Studium ist sie
Kunst? Schließlich stößt sie auf das Fach Ostasiatische Kunst-          mit kroatischer und russischer Literaturgeschichte konfrontiert,
geschichte. Das interessiert sie sofort, doch ihr Bruder rät ab.        wozu sie Russisch und Altkirchenslawisch lernt.
„Ich sollte besser etwas studieren, was mit meinen biografi-
schen Wurzeln zu tun hat, meinte er. Und dann fand ich auf der          Woher kommt diese unbändige Lust auf Sprachen? „Bei mei-
Uni-Webseite das Fach Slawistik (osteuropäische Sprachen                nen Geschwistern ist es ähnlich. Vielleicht ist das in unseren
und Literaturen) und fing sofort Feuer. Als Nebenfächer beleg-          ,Genen‘, unsere Familiengeschichte ist schließlich eine Mi-
te ich Philosophie, Osteuropäische Geschichte und Kunstge-              grationsgeschichte. Ludwig Wittgenstein, der Philosoph, hat
schichte, und dann ging’s los.“                                         gesagt: ,Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen
                                                                        meiner Welt.‘ Was für mich bedeutet: Um die Welt und die
Besonders die Internationalität der Uni und der Stadt Heidel-           Menschen kennen zu lernen, muss ich meine sprachlichen
berg fasziniert Maja Delinić. Eine indische Professorin leitet          Grenzen erweitern. Sprachen lernen ist eine ungeheure Berei-
den Lehrstuhl für Global Art History, der sehr international            cherung, weil du in jeder Sprache anders denkst. Die Struktur
                                                                        der Sprache gibt dabei die Denkstruktur vor, und das erzählt
                                                                        viel über die Menschen, die diese Sprache sprechen. Portu-
                                                                        giesisch, Russisch und Kroatisch zum Beispiel, spreche ich viel
                                                                        emotionaler als Deutsch, womit ich mich viel präziser ausdrü-
                                                                        cken kann.“ Maja Delinić lernt Sprachen, um sie zu sprechen,
                                                                        um mit Menschen in Kontakt zu kommen. Ihre Sprachleiden-
                                                                        schaft ist Gabe und Motor, dabei nie akademisch, sondern
                                                                        immer anwendungsbezogen. Eigentlich kein Wunder, dass sie
                                                                        mit diesem Talent irgendwann am Theater landete. Allerdings
                                                                        relativ spät und auf Umwegen.

                                                                        „Früher hatte ich mit Theater nichts am Hut. Es hat mich fast
                                                                        gelangweilt, wenn ich mal in der Schule auf der Bühne stand.
                                                                        Von Lampenfieber keine Spur. Dann, während meines Studi-
                                                                        ums, war ich neun Monate lang in Sankt Petersburg und hatte
                                                                        über meinen Heidelberger Professor Kontakt zu einer emeri-
                                                                        tierten russischen Professorin. Sie gab mir eine Liste mit aktu-
                                                                        ellen Theaterinszenierungen in der Stadt, die ich unbedingt
                                                                        sehen sollte. The Best of Sankt Petersburg, sozusagen. Und
                                                                        diese Liste von etwa zwanzig Stücken habe ich brav und von
                                                                        Mal zu Mal interessierter ,abgearbeitet‘. Medea war dabei, von
                                                                        Euripides, in einer Fassung für zwei Schauspieler. Die Inszenie-
                                                                        rung war wegen der Übertragung des griechischen Originals
                                        Maja Delinić                    ins Russische sprachlich für mich kaum zu verstehen. Doch am
                                                                        Ende des großartigen Theaterabends fand ich mich sehr be-

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Szenenfoto Tschick
(Carolin Schupa, Philipp Sommer, Henning Kallweit)

wegt im Zuschauerraum wieder und musste sogar weinen. Ich              tin am Düsseldorfer Schauspielhaus wieder. Sie hat sich einfach
hatte etwas über Theater erfahren, das ich bisher nicht kannte.        beworben. Und dem Team um Interimsintendant Beelitz
Seine mögliche emotionale Wirkung.“                                    scheint ihre Mitarbeit zu gefallen, schon nach ein paar Wochen
                                                                       wird ihr eine Festanstellung angeboten. Doch Maja Delinić will
Ein paar Monate nach ihrer „Theatererweckung“ in Sankt                 ihr Studium abschließen und geht zurück nach Heidelberg.
Petersburg findet sich Maja Delinić als Dramaturgie-Hospitan-          „Die ließen aber nicht locker. Ich hatte gerade meine letzten

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Arbeiten an der Uni abgegeben, da bekam ich aus Düsseldorf             mit dem brasilianischen Regisseur Jessé Oliveira, der israeli-
die Anfrage, ob ich als Regieassistentin einspringen könnte.           schen Regisseurin Dedi Baron und Schauspieldirektor Matthias
Ohne einen blassen Schimmer, was man da tut, hab ich einfach           Gehrt waren sehr wichtige Erfahrungen, die Maja Delinićs
zugesagt. Ich bin ja ein neugieriger Mensch. In diesen Mona-           Wunsch Regie zu führen reifen ließen.
ten am Düsseldorfer Schauspielhaus sind für mich sehr viele
Türen aufgegangen, und dafür bin ich einigen Menschen sehr
dankbar, denn ich konnte dort vieles lernen. Trotzdem fragte               „Irgendwann hab ich gespürt,
ich mich, ob ich mit meinen dreißig Jahren wirklich ans Theater
gehen sollte. Ich war unsicher. Doch Barbara Noth, eine der             jetzt ist es soweit, und ich bin zum
Dramaturginnen am Haus, empfahl mich Matthias Gehrt am
Theater Krefeld und Mönchengladbach. Ich bewarb mich und
                                                                            Schauspieldirektor ins Büro
bekam die Stelle. Glücklicherweise.“                                        gestürmt und hab ihm einen
Mit Beginn der Spielzeit 2016/17 wird Maja Delinić feste                         Vorschlag gemacht.“
Regieassistentin und damit ein wichtiger Teil des Schauspiel-
ensembles am Gemeinschaftstheater. „Das war ein Sprung
ins kalte Wasser. Ich zog nach Krefeld und war von einem auf           Maja Delinić will NippleJesus inszenieren, ein Einpersonen-
den anderen Tag fast nur noch im Theater. Eigentlich ja in zwei        stück des britischen Autors Nick Hornby, und sie kann Schau-
Theatern. Mein ganzes Leben änderte sich. Doch ich hatte               spieldirektor Gehrt und Generalintendant Grosse davon über-
viel Glück, denn ich lernte von den Regisseuren mit denen ich          zeugen. Da das Stück im Museum spielt, werden kurzerhand
zusammenarbeitete jedes Mal etwas Anderes. Vor allem das               das Museum Abteiberg in Mönchengladbach und das Kaiser-
sogenannte Handwerk. Mal etwas über Beleuchtung und Büh-               Wilhelm-Museum in Krefeld als Spielorte angefragt. Maja
nenbild, mal etwas über die Schauspielerarbeit oder über den           entwickelt eine einfache und stimmige Raumidee und findet
Umgang mit Sprache und Körper. Zara Antonyan, zum Beispiel,            in Paul Steinbach aus dem Schauspielensemble ihre Ideal-
die armenische Regisseurin mit der ich bei Eine Schiffsladung          besetzung für die Rolle des ehemaligen Rausschmeißers Dave,
Nelken für Hrant Dink und Der Meister und Margarita zusam-             der jetzt ein Kunstwerk im Museum bewachen soll. Ihr Regie-
menarbeitete, erklärte mir elementare Dinge über Regiearbeit:          Debüt feiert im Mai 2018 seine erfolgreiche Premiere und ist
‚Wenn ich bei den Proben desinteressiert oder gelangweilt              bis heute im Spielplan des Theaters zu finden.
bin’, sagt sie. ,Wenn ich gedanklich abschweife, dann liegt das
meist nicht an meiner eigenen Unkonzentriertheit, sondern an           Während ihres dritten Jahres als Regieassistentin beginnt
dem, was gerade auf der Bühne passiert. Das muss ich als               Maja mit den Vorarbeiten zu Tschick, einer Coming-of-Age
Regisseurin herausfinden und daran arbeiten. Und Maja, wenn            Geschichte nach dem gleichnamigen Roman von Wolfgang
du später selbst inszenierst, mach auf der Probe die Augen zu          Herrndorf. Im Juni 2019 realisiert sie die Geschichte von Maik,
und höre, was erzählt wird. Höre nur auf das Gesprochene und           Tschick und Isa im Studio des Theaters Mönchengladbach
frage dich: Ist es das, was du willst? Beim nächsten Mal schau         mit einem jungen Kreativteam und drei glänzend aufgelegten,
nur zu, ohne zu hören. Erzählen die agierenden Körper, was             jungen Schauspielern „rasant, witzig, nachdenklich stimmend,
sie sollen?’“ Dass die Körper auch etwas erzählen müssen, dass         utopisch und verrückt“, wie die Presse euphorisch schreibt.
das Theater auch physisch sein muss, diese Erkenntnis prägt            Maja ist „superglücklich“, ihr „Gesellenstück“ als Regisseurin
das Theaterverständnis von Maja Delinić. Auch die Arbeiten             ist traumhaft gelungen.

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„Und dann hab ich gemerkt, dass ich endgültig aus den As-              Abend sehr intensiv erleben, und hoffentlich am Ende auch
sistentinnenschuhen herausgewachsen bin. Schweren Herzens              über Einiges nachdenken. Dabei interessiert mich eine genaue
verabschiedete ich mich nach drei Jahren vom Gemeinschafts-            Abbildung der Wirklichkeit im Theater gar nicht. Es ist viel
theater und bin jetzt freischaffende Regisseurin.“ Mit einem           spannender und ertragreicher, auf der Bühne mit Auslassungen
wirklich guten Start, denn in der nächsten Spielzeit wird Maja         und phantasievollen Absurditäten zu arbeiten, als die Realität
Delinić gleich dreimal inszenieren. Am Schauspiel der Wupper-          eins zu eins nachzubilden. Das ist auch ganz im Sinne von
taler Bühnen kommt Café Populaire heraus, ein brandneues               Dürrenmatt, denke ich, der in seinen theoretischen Schriften
Stück über gesellschaftliche Vorurteile von Nora Abdel-Mak-            immer wieder auf die distanzierende Funktion der Komödie,
soud. Am Theater Krefeld und Mönchengladbach entwickelt                wie er sie verstand, hingewiesen hat. ,Auch die Wirklichkeit
sie zusammen mit Schauspieler Philipp Sommer ein Einperso-             muss geformt werden, will man sie zum Sprechen bringen,‘
nenstück über die französische Nationalheldin Jeanne d’Arc.            schrieb er. Hinzu kommt, dass das Stück wichtige gesellschaft-
Und auf der großen Bühne folgt im März 2021 Die Physiker               liche und philosophische Fragen behandelt: z. B. welche
von Friedrich Dürrenmatt, das im Theater Mönchengladbach               Verantwortung hat der Einzelne gegenüber der Gesellschaft?
zur Premiere kommen wird.                                              Hat der Einzelne überhaupt eine Chance etwas zu verändern?
                                                                       Schauen wir doch heute mal in die USA, in den Iran, nach
                                                                       Israel. Friedrich Dürrenmatt war sich sicher, dass jeder Versuch
     „Dieses großartige Stück                                          eines Einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, scheitern
                                                                       muss. Also muss man sich mit anderen zusammenschließen,
stammt aus den 1960er Jahren und                                       um etwas zu ändern. Das versteht man heute sehr gut.“
  spielt vor dem Hintergrund des                                       Maja Delinić hat für die Realisierung der Physiker (siehe Seite
  Kalten Krieges, aber es ist heute                                    111) ein junges Team zusammengestellt, inklusive eines erfah-
                                                                       renen Choreografen aus dem Pina Bausch-Umfeld in Wupper-
         noch hochaktuell.“                                            tal. „Ich möchte eben, dass unsere Inszenierung auch physisch
                                                                       überzeugt. Die Physiker wird mega, mit einem tollen Team
                                                                       und superguten SchauspielerInnen“, schwärmt Maja Delinić.
Robert Jungks Roman Heller als tausend Sonnen. Das Schicksal           „Ich freue mich jetzt schon wahnsinnig auf diese Arbeit.“ //
der Atomforscher, diese heute zum Klassiker der politischen
Literatur gewordene Warnung vor der Zerstörung der Erde aus            Thomas Blockhaus
dem Jahr 1956, hat Friedrich Dürrenmatt zu seinem atomkriti-
schen Stück Die Physiker inspiriert, das er im Untertitel „eine
Komödie“ nennt. „Eine sehr groteske Komödie“, findet Maja
Delinić. „Die dramaturgisch exzellent gebaut ist und voller
überraschender Wendungen der Handlung und extremer
Figuren steckt.“ Aus der Grundsituation, drei Physiker leben
in einem Irrenhaus, entwickelt Dürrenmatt ein als leichtes Kri-
minalstück beginnendes und als psychologisches Thesenstück
endendes, absurd-komisches Gesellschaftsdrama mit Auf-
klärungsanspruch. „Mir ist wichtig, dass die Zuschauer diesen

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Schnappschuss beim Fotoshooting zu Tschick
(mit Maja Delinić)

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