Die neue elektronische Arbeits-unfähigkeits- bescheinigung
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E ntgeltfo r t z ahlungsgeset z / B et r iebsve r fassungsgeset z Die neue elektronische Arbeits- unfähigkeits- bescheinigung Revolutionär oder ein Hindernis für © Heide – stock.adobe.com die Praxis? Von Dr. Hagen Köckeritz, LL.M. oec. int., und Dr. Sören E. Hennies Die neue Rechtslage ändert das bisherige Verfahren zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit: Nach der Feststellung wird der Arzt jetzt selbst aktiv, indem er die Arbeits- unfähigkeitsdaten elektronisch an die zuständige Krankenkasse übermittelt. Einführung Die von der deutschen Regierung beabsichtigte Digitali- Dr. Hagen Köckeritz, LL.M. oec. int. sierung und der geplante Abbau von Bürokratie im Ar- Mayer Brown, Frankfurt am Main Die früher bekannte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in beitsrecht machen weiterhin Fortschritte. In diesem Bei- Rechtsanwalt, Partner Papierform sollte ursprünglich bereits ab dem 01.01.2022 trag werden die Auswirkungen dieser Veränderungen auf hkoeckeritz@mayerbrown.com der Vergangenheit angehören. Aufgrund technischer Pro- die Arbeitgeber näher beleuchtet. www.mayerbrown.com bleme bei der Umsetzung und der anhaltenden Auswir- kungen der Coronapandemie wurde die Pilotphase für die Dr. Sören E. Hennies Umstellung bis Ende 2022 verlängert. Seit dem 01.01.2023 Frühere Rechtslage Mayer Brown, Frankfurt am Main gelten neue Vorschriften für die Entgeltfortzahlung, und Rechtsanwalt die meisten Arbeitnehmer sind nicht mehr verpflichtet, Arbeitnehmer haben in der Regel Anspruch auf vertrag- shennies@mayerbrown.com ihren Arbeitgebern aktiv eine Arbeitsunfähigkeitsbe- liche Vergütung auch während ihrer Arbeitsunfähig- www.mayerbrown.com scheinigung vorzulegen. keit, wenn sie diese nicht zu vertreten haben. Gemäß § 3 Ausgabe 5 | 1. März 2023 zurück Inhalt vor 11
E ntgeltfo r t z ahlungsgeset z / B et r iebsve r fassungsgeset z Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ist die Vergütung für die Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine Folgebescheini- Der Bericht durch die Krankenkasse umfasst auch die An- einen Zeitraum von bis zu sechs Wochen zu zahlen. Die gung vorlegen. gabe, ob die Arbeitsunfähigkeit auf eine Berufskrankheit, Arbeitsunfähigkeit wird als Hindernis definiert, das Ar- einen Arbeitsunfall oder einen anderen Unfall zurückzu- beitnehmer an der Ausübung ihrer Aufgaben hindert. Es Lag die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verspätet oder führen ist. Jetzt müssen Arbeitgeber die relevanten Ar- gibt keine teilweise Arbeitsunfähigkeit, und es ist irrele- gar nicht vor, konnte das zu einer Abmahnung oder sogar beitsunfähigkeitsdaten elektronisch direkt von der zustän- vant, ob ein Arbeitnehmer weniger intensive Tätigkeiten zu einer verhaltensbedingten Kündigung führen. digen Krankenkasse abrufen. Die Daten können auch von ausüben könnte. Dritten (zum Beispiel externen Lohnabrechnungsdienst- leistern oder Steuerberatern) im Auftrag des Arbeitgebers Neue Rechtslage für die meisten abgerufen werden, sofern die Datenübertragung sicher „Arbeitgeber haben nach wie vor das Arbeitnehmer und daraus resultierende und verschlüsselt ist und die Arbeitnehmer ihre Arbeit- Recht, die Frist für die Feststellung der Schwierigkeiten für Arbeitgeber geber zuvor über die Arbeitsunfähigkeit informiert haben. Damit wird verhindert, dass durch die Arbeitgeber ein Arbeitsunfähigkeit gemäß § 5 Abs. 1 EFZG Seit dem 01.01.2023 gilt mit dem neu eingeführten § 5 Abruf auf Verdacht erfolgt. zu verkürzen.“ Abs. 1a EFZG die oben beschriebene Verpflichtung zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Ar- Die Pflicht zur Unterrichtung des Arbeitgebers besteht beitgeber nicht mehr für Arbeitnehmer, die Mitglieder der somit weiterhin. Die Änderung des § 5 EFZG durch die gesetzlichen Krankenversicherung sind. Schaffung von Absatz 1a steht auch im Einklang mit dem Ursprünglich sind vier Exemplare der Arbeitsunfähig- kürzlich überarbeiteten § 109 Sozialgesetzbuch Band IV keitsbescheinigung ausgestellt worden. Eine Kopie war Die neue Rechtslage ändert das bisherige Verfahren zum (SGB IV). Nach § 109 SGB IV muss die Krankenkasse seit für den betroffenen Arbeitnehmer, eine für den untersu- Nachweis der Arbeitsunfähigkeit. Arbeitnehmer erhalten dem 01.01.2023 einen Bericht erstellen, den der Arbeit- chenden Arzt, eine für die Krankenkasse und eine infor- zwar bis auf weiteres immer noch eine verkörperte Ar- geber nach Erhalt der vom Arzt übermittelten Arbeits- matorisch reduzierte Ausfertigung als sogenannter gel- beitsunfähigkeitsbescheinigung nach erfolgter Feststel- unfähigkeitsdaten abruft. Der Bericht enthält dann den ber Schein für den Arbeitgeber. In seiner alten Fassung lung der Arbeitsunfähigkeit durch den untersuchenden Namen des Arbeitnehmers, den Beginn und das Ende der normierte § 5 EFZG die Verpflichtung aller Arbeitneh- Arzt. Nach der Feststellung wird der Arzt jetzt aber selbst Arbeitsunfähigkeit, das Datum, an dem der untersuchen- mer, ihre jeweiligen Arbeitgeber unverzüglich über ihre aktiv, indem er die Arbeitsunfähigkeitsdaten elektronisch de Arzt die Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat, sowie die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer zu an die zuständige Krankenkasse übermittelt. Die jeweilige Kennzeichnung als Erstbericht oder Folgebericht. informieren (Anzeigepflicht). Ferner musste dem Arbeit- Krankenkasse verwendet dann die Daten, um einen Be- geber spätestens am vierten Tag eine Bescheinigung über richt für den Arbeitgeber zu erstellen, der den Namen des Anhand der vom untersuchenden Arzt übermittelten Da- die Arbeitsunfähigkeit in Papierform vorgelegt werden, Arbeitnehmers, den Beginn und das Ende der Arbeits- ten prüft die Krankenkasse auch, ob die Entgeltfortzah- wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Tage andauer- unfähigkeit, das Datum der ärztlichen Untersuchung und lung aufgrund von anrechenbaren Krankheitszeiten aus- te (Vorlagepflicht). Für den Fall, dass die Arbeitsunfähig- die Einstufung als Ersterkrankung oder Folgeerkrankung gelaufen ist. In diesem Fall informiert sie den Arbeitgeber keit länger als ursprünglich vorgesehen dauerte, mussten enthält. automatisch, dass dieser die Daten zur Arbeitsunfähigkeit nicht aktiv abzurufen braucht. Ausgabe 5 | 1. März 2023 zurück Inhalt vor 12
E ntgeltfo r t z ahlungsgeset z / B et r iebsve r fassungsgeset z Die Gesetzesänderungen können erhebliche Auswirkun- Leistungen an Arbeitnehmer abzulehnen, die keine Ar- lichen Krankenversicherung teilnimmt. Sie gilt auch nicht gen auf die Geschäftstätigkeit der Arbeitgeber haben. beitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Jetzt, da die für Arbeitnehmer, deren Arbeitsunfähigkeit von einem Arbeitgeber haben nach wie vor das Recht, die Frist für Pflicht für gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer im Ausland niedergelassenen Arzt festgestellt worden ist. die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gemäß § 5 Abs. 1 nicht mehr besteht, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheini- Diese Arbeitnehmergruppen müssen weiterhin ihren Ar- EFZG zu verkürzen. Allerdings müssen bestehende Poli- gung vorzulegen, scheint zumindest für diese Gruppe beitgebern eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Pa- cen oder Anweisungen in dieser Hinsicht möglicherweise § 7 EFZG nicht (mehr) zu gelten. Es bleibt abzuwarten, pierform vorlegen. überarbeitet werden, da die in der gesetzlichen Kranken- ob § 7 EFZG geändert wird oder ob er zu einem histori- kasse versicherten Arbeitnehmer nicht mehr verpflichtet schen Überbleibsel wird, der für künftige Generationen sind, den gelben Schein vorzulegen. In Unternehmen mit von Fachleuten im Bereich Human Resources Verwirrung Kommentar und empfohlene Maßnahmen Betriebsräten ist aufgrund der Ordnungswirkung einer stiftet. In Ermangelung einer späteren Änderung des Ge- für Arbeitgeber solchen Weisung § 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungs- setzes müssen möglicherweise die Gerichte entscheiden, gesetz (BetrVG) einzuhalten. Darüber hinaus könnte die ob die Beibehaltung der Bestimmung als redaktioneller Die Darstellung der am 01.01.2023 in Kraft getretenen Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbe- Fehler zu betrachten ist oder ob § 7 EFZG so ausgelegt Änderungen des EFZG hat gezeigt, dass die Abschaffung scheinigung und die damit verbundene Schaffung einer werden sollte, dass Arbeitgeber das Recht haben, die Zah- der Verpflichtung der Arbeitnehmer zur Vorlage von Be- IT-Schnittstelle zwischen Arbeitgeber und Kranken- lung zu verweigern, wenn Arbeitnehmer nicht innerhalb scheinigungen über Arbeitsunfähigkeit einige administra- kasse als mögliche technische Einrichtung ein Mitbe- von drei Tagen ihre Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt tive und rechtliche Folgen für die Arbeitgeber haben wird. stimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 feststellen lassen. Arbeitgeber müssen nun nicht nur aktiv die Arbeitsunfä- BetrVG auslösen. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein higkeitsbescheinigung ihrer Arbeitnehmer bei der jeweili- Arbeitgeber in diesem Zusammenhang spezielle Abrufs- gen Krankenkasse einholen. Vielmehr ist das Versäumnis, und Verarbeitungssysteme oder Kontroll- und Überwa- „Was den Stand der Digitalisierung die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einzureichen, kein chungsmaßnahmen einführen möchte. Es ist jedoch un- Grund mehr, einen Arbeitnehmer aus verhaltensbezoge- in Deutschland betrifft, der oft und wahrscheinlich, dass ein Mitbestimmungsrecht in Bezug nen Gründen zu verwarnen und zu kündigen. auf die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähig- manchmal zu Recht kritisiert wird, so kann keitsbescheinigung als solches besteht. Letztlich setzt sie die Gesetzesänderung sicherlich als tech- Sofern sie dies nicht bereits getan haben, sollten Arbeit- nur verbindliche rechtliche Anforderungen um, so dass geber ihre Arbeitnehmer über die neue Rechtslage infor- die Arbeitgeber und Betriebsräte wenig Spielraum haben nischer Fortschritt angesehen werden.“ mieren, da entsprechende Bestimmungen in alten Ar- werden. beitsverträgen mit der neuen Rechtslage nichtig sind und deshalb nicht mehr gelten. Stattdessen gelten die gesetzli- Obwohl der Gesetzgeber beabsichtigt haben wird, die Um Zweifel auszuschließen, gilt die Abschaffung der chen Vorschriften. elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch Pflicht zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbeschei- die Änderung von § 5 EFZG abschließend zu regeln, hat nigung nicht für privatversicherte Arbeitnehmer sowie Für Neueinstellungen sollten die Musterarbeitsverträge so er möglicherweise § 7 EFZG übersehen. Diese Bestim- nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsunfähigkeit von angepasst werden, dass sie die verschiedenen Alternativen mung erlaubt es den Arbeitgebern, die Gewährung von einem Arzt festgestellt worden ist, der nicht an der gesetz- für Arbeitnehmer mit unterschiedlichem Krankenversi- Ausgabe 5 | 1. März 2023 zurück Inhalt vor 13
E ntgeltfo r t z ahlungsgeset z / B et r iebsve r fassungsgeset z ANZEIGE cherungsschutz berücksichtigen. Auf jeden Fall ist nicht zu empfehlen, die gesetzlich krankenversicherten Arbeit- nehmer anzuweisen, dem Arbeitgeber jetzt die Beschei- nigung über die Arbeitsunfähigkeit vorzulegen, die ihnen vom untersuchenden Arzt in Papierform übergeben wor- den ist. Die Kopie der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die dem Arbeitnehmer ausgestellt worden ist, weist nicht den verringerten Informationswert auf wie jene Kopie, die zuvor für den Arbeitgeber ausgestellt worden ist. Daher würde der Arbeitgeber letztlich sensible Daten erhalten, was gegen geltende Datenschutzgesetze verstößt. § 12 EFZG verbietet im Übrigen Abweichungen von gesetzli- chen Bestimmungen zum Nachteil des Arbeitnehmers. Was den Stand der Digitalisierung in Deutschland betrifft, der oft und manchmal zu Recht kritisiert wird, so kann Zu Recht nichts die Gesetzesänderung sicherlich als technischer Fort- schritt angesehen werden. Für die Arbeitgeber ist dieser mehr verpassen: Schritt jedoch mit einem nicht unerheblichen Organisa- tionsaufwand verbunden. Zum einen müssen interne In- Folgen Sie uns formationskanäle zwischen HR- und Lohnabrechnungs- abteilungen aller Wahrscheinlichkeit nach angepasst und auch auf LinkedIn! technische Voraussetzungen geschaffen werden, um elek- tronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von den Krankenkassen abrufen zu können. Zum anderen müs- sen die Arbeitsverträge überarbeitet werden, um alle Ar- beitnehmergruppen entsprechend der jeweils geltenden Rechtslage anzusprechen. ß https://www.linkedin.com/company/produktfamilie-deutscher-anwaltspiegel/ Ausgabe 5 | 1. März 2023 zurück Inhalt vor 14
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