Die OECD-Vorschläge zur Reform der Unternehmensteuer - ein Plan mit unerwünschten Nebenwirkungen?

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Die OECD-Vorschläge zur Reform der
Unternehmensteuer – ein Plan mit
unerwünschten Nebenwirkungen?
Die Geschäftsmodelle der großen Internet-Konzerne wie Google, Apple, Facebook
und Amazon erlauben es ihnen, Dienstleistungen in Ländern anzubieten, in denen
sie keine physische Präsenz und auch keine Mitarbeiter haben. Die physische Prä-
senz ist jedoch nach aktuellen internationalen Besteuerungsregeln oft Voraussetzung,
um Steuern in einem Land zu erheben. Das hat zu Forderungen geführt, die Besteue­
rung multinationaler Konzerne zu reformieren. Die OECD legte nun im Herbst 2019
einen Vorschlag für einen einheitlichen Ansatz vor, um die internationale Besteue­
rung zu modernisieren. In ihren Entwurf schlägt sie vor, die Besteuerungsrechte zwi-
schen den Ländern neu zu verteilen: Nicht allein der Firmensitz soll bestimmen, wo
versteuert wird. Global agierende Unternehmen sollen auch dort Steuern zahlen, wo
ihre Kunden oder Nutzer ihrer Dienstleistungen ansässig sind. Zudem soll ein globa-
ler Mindeststeuersatz vereinbart werden, um zu vermeiden, dass Unternehmen Ak-
tivitäten in Niedrigsteuerländer verschieben. Liegt den aktuellen Vorschlägen ein
überzeugendes Konzept zugrunde? Welche Auswirkungen sind auf Effizienz und
Fairness der Unternehmensbesteuerung zu erwarten? Wer gewinnt, wer verliert?

Pascal Saint-Amans
Die Pläne der OECD für die steuerlichen Herausforderungen
der Digitalisierung der Wirtschaft
Die Geschäftsmodelle der Unternehmen haben sich im       ternehmen bleibt damit unver-
Lauf der letzten hundert Jahre radikal verändert. Die    steuert. Inzwischen herrscht
Wertschöpfung multinationaler Unternehmen basiert        weitgehend Konsens darüber,
heute häufig auf Marken und anderen »immateriellen       dass die aktuellen Regeln an
Werten«, die sich leicht von Land zu Land verlagern,     den wirtschaftlichen Kontext des                                Pascal Saint-Amans
aber schwer besteuern lassen. Durch die Digitalisie-     21. Jahrhunderts angepasst wer-
                                                                                                                       ist Direktor des Centre for Tax
rung der Wirtschaft ist es Unternehmen – und zwar        den müssen. Es muss gesichert                                 Policy and Administration der
nicht nur Technologieunternehmen – möglich, in Län-      sein, dass alle Unternehmen dort,                             Organisation für wirtschaftliche
dern Gewinne zu erzielen, in denen sie keine physische   wo sie tätig sind und ihre Gewinne                            Zusammenarbeit und Entwick-
                                                                                                                       lung (OECD).
Niederlassung und auch keine Mitarbeiter haben. Sie      erwirtschaften, auch einen Beitrag                            Er leitet die Arbeiten zur Moder-
macht es ihnen auch leichter, einen Teil dieser Ge-      zum Steueraufkommen leisten –                                 nisierung des internationalen
winne in Staaten zu verlagern, in denen sie nur eine     und dies gilt nicht nur für digitale                          Steuerrechts für multinationale
                                                                                                                       Unternehmen.
geringfügige oder gar keine echte wirtschaftliche Tä-    Unternehmen.
tigkeit ausüben.
     Nach den aktuellen internationalen Besteue-         LÖSUNGSANSÄTZE FÜR DIE STEUERLICHEN
rungsregeln, die noch aus den 1920er Jahren stam-        HERAUSFORDERUNGEN DER DIGITALISIERUNG
men, kann ein Staat bei einem Unternehmen erst
dann Steuern erheben, wenn dieses Unternehmen            Mit der Unterstützung der G 20 hat die OECD mehr
bei ihm über eine physische Präsenz verfügt. Daher       als 135 Länder zusammengebracht, die im sogenann-
ist es vielen Staaten heute nicht möglich, Einnahmen     ten Inclusive Framework on BEPS gleichberechtigt an
zu besteuern, die auf ihren Märkten erzielt werden.      der Aktualisierung der internationalen Steuerregeln
Ein erheblicher Teil der Gewinne multinationaler Un-     für multinationale Unternehmen arbeiten. Nach Be-

                                                                       ifo Schnelldienst    3 / 2020   73. Jahrgang   11. März 2020   3
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    rechnungen der OECD aus dem Jahr 2015 entgehen                durch eine dauerhafte, ortsungebundene Teilnahme
    den Staaten durch Steueroptimierungsstrategien                am Wirtschaftsgeschehen eines Marktstaats erzielt,
    multinationaler Unternehmen jährlich 100–240 Mrd.             in diesem Staat besteuert werden müssen. Um wel-
    US-Dollar, was etwa 4–10 % des gesamten weltwei-              chen Anteil der Gewinne es sich dabei handelt, würde
    ten Körperschaftsteueraufkommens entspricht (vgl.             anhand einer Formel bestimmt. Grundlage wäre der
    OECD 2015; Johansson et al. 2016). Um solchen Stra-           Konzernabschluss des multinationalen Unternehmens.
    tegien der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung             Die aktuellen Verrechnungspreisleitlinien blieben da-
    (Base Erosion and Profit Shifting oder kurz BEPS) zu          von unberührt.
    begegnen, wurde ein 15 Punkte zählender Aktionsplan                Säule 2 (auch GLoBE-Vorschlag genannt, für
    ausgearbeitet. Ziel dieses zwischen 2012 und 2015             Global Anti-Base Erosion) zielt mit einer globalen Min-
    beschlossenen Plans, an dessen Umsetzung seitdem              destbesteuerung auf verbleibende BEPS-Risiken ab.
    weltweit gearbeitet wird, ist es, die internationalen         Dabei geht es um Tax-Back-Regelungen, die es Staaten
    Steuerregeln kohärenter und das Steuerumfeld ins-             erlauben würden, selbst Steuern zu erheben, wenn
    gesamt transparenter zu machen.                               andere Staaten ihr primäres Besteuerungsrecht nicht
         Im BEPS-Aktionsplan wurde festgestellt, dass             wahrgenommen haben oder der effektive Steuersatz
    die Digitalisierung der Wirtschaft Gewinnverkürzung           auf eine bestimmte Zahlung aus anderen Gründen
    und Gewinnverlagerung erleichtert und zudem zur               niedrig ist. Der GLoBE-Vorschlag beinhaltet vier Re-
    Entstehung grundsätzlicherer steuerlicher Heraus­             geln: a) die Income Inclusion Rule, die eine Art Hinzu-
    forderungen geführt hat. Dabei geht es insbeson-              rechnungsbesteuerung vorsieht; b) die Switch-over
    dere um die Frage, wo die Gewinne multinationaler             Rule (»Umschaltregel«); c) die Undertaxed Payment
    Unternehmen besteuert werden sollten (»Nexus-                 Rule zur Abzugsbegrenzung und d) die Subject-to-tax
    bzw. Anknüpfungsregeln«) und zu welchen Anteilen              Rule zur Versagung von Abkommensvorteilen.
    (»Gewinnzuweisungsregeln«). Mit dem BEPS-Projekt
    von 2015 wurde erfolgreich gegen viele Gewinnver-             ANALYSE DER AUSWIRKUNGEN AUF DIE
    lagerungsstrategien multinationaler Unternehmen               STEUEREINNAHMEN
    vorgegangen, die grundsätzlichere Frage der Anknüp-
    fungs- und Gewinnzuweisungsregeln blieb jedoch                Über die Einzelheiten der vorgeschlagenen Reformen
    ungelöst. Da hier keine internationale Einigung er-           wird im Inclusive Framework noch verhandelt, das
    zielt wurde, begannen einige Länder in den letz-              OECD-Sekretariat hat aber bereits vorläufige wirt-
    ten Jahren unilaterale Maßnahmen einzuführen.                 schaftliche Analysen vorgelegt, die anhand verschie-
    Damit wuchs das Risiko schädlicher Steuer- und                dener vereinfachter Szenarien veranschaulichen, wie
    Handelskonflikte.                                             sich diese Reformen auf die Steuereinnahmen der
                                                                  Mitgliedsländer auswirken könnten. Diese Untersu-
    DER ZWEI-SÄULEN-ANSATZ                                        chung, die auf einer Reihe von Annahmen u. a. zur
                                                                  Ausgestaltung der Vorschläge basiert, soll die Ver-
    Unter dem zunehmenden Druck der Öffentlichkeit be-            handlungen des Inclusive Framework erleichtern, ohne
    auftragte die G 20 2017 die OECD, die multilateralen          seinen Entscheidungen vorzugreifen.
    Gespräche im Inclusive Framework wiederaufzuneh-                   Sie berücksichtigt Daten aus mehr als 200 Staa-
    men. Die Länder verhandeln nun aktiv über eine kon-           ten und Gebieten, darunter sämtliche Mitglieder des
    sensbasierte Lösung, die bis Ende 2020 vorliegen soll.        Inclusive Framework, sowie über 27 000 multinationa-
    Dabei stützen sie sich auf einen Zwei-Säulen-Ansatz,          len Konzernen. Dazu wurden neue Datenquellen wie
    der Gegenstand mehrerer öffentlicher Konsultatio-             das Analytical Activities of Multinational Enterprises
    nen mit Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und             Dataset der OECD sowie aggregierte, anonymisierte
    Zivilgesellschaft war.                                        Daten aus der länderbezogenen Berichterstattung
         Ziel von Säule 1 ist es, den Marktstaaten (im Fall       (Country-by-Country Reporting) herangezogen.
    einiger Geschäftsmodelle sind dies die Staaten, in                 Die vorläufigen Ergebnisse der OECD deuten dar­
    denen sich die Nutzer befinden) Besteuerungsrechte            auf hin, dass Säule 1 und 2 zusammen zu einem er-
    für Gewinne aus bestimmten, in den festgelegten An-           heblichen Anstieg der weltweiten Steuereinnahmen
    wendungsbereich fallende Geschäftstätigkeiten zu              sowie einer Umverteilung von Besteuerungsrechten
    geben. Die Unternehmen erhalten dafür im Gegen-               hin zu den Marktstaaten führen würde.
    zug mehr steuerliche Rechtssicherheit. Dazu wird ein
    neues Besteuerungsrecht geschaffen, das weitgehend            ‒   Säule 1 bewirkt, dass sich die Verteilung der Be-
    unabhängig von Kriterien der physischen Präsenz ist.              steuerungsrechte auf die verschiedenen Staaten
    Es betrifft in erster Linie große multinationale Kon-             deutlich verändert, hätte aber auch einen kleinen
    zerne, die automatisierte digitale Dienstleistungen               Anstieg der Steuereinnahmen zur Folge, weil ei-
    und/oder Produkte bzw. Dienstleistungen für Ver-                  nige Besteuerungsrechte von Niedrig- auf Hoch-
    braucher anbieten (»consumer facing businesses«                   steuerstaaten übergehen würden.
    bzw. »verbraucher­orientierte Unternehmen«). Damit            ‒   Säule 2 würde zu einer erheblichen Zunahme der
    wird anerkannt, dass Gewinne, die ein Unternehmen                 weltweiten Körperschaftsteuereinnahmen führen.

4   ifo Schnelldienst   3 / 2020   73. Jahrgang   11. März 2020
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Multinationale Unternehmen in Digitalbranchen und         wie z.B. Infrastruktur, Bildungsniveau der Bevölkerung
anderen Wirtschaftszweigen, in denen immaterielle         oder Arbeitskosten. In diesem Fall würden mehr Inves-
Werte eine wichtige Rolle spielen, wären von den          titionen in Staaten fließen, in denen sie produktiver
Änderungen besonders stark betroffen – wie stark,         genutzt werden, was positive Auswirkungen auf das
dürfte allerdings davon abhängen, wie der Anwen-          globale Wachstum hätte. Die Alternative zu einer kon-
dungsbereich letztlich abgegrenzt und die Vorschläge      sensbasierten Lösung wären unkoordinierte, unilate-
ausgestaltet werden.                                      rale Maßnahmen, mit deren Zunahme auch das Risiko
    Volkswirtschaften der unteren und mittleren Ein-      weiterer Steuer- und Handelskonflikte steigen würde.
kommensgruppe würden durch Säule 1 im Schnitt             Die Reformvorschläge würden demgegenüber zu mehr
gewinnen: Sie würden einen stärkeren prozentualen         Steuersicherheit führen und das Investitionsumfeld
Anstieg ihrer Steuereinnahmen verzeichnen als Hoch-       insgesamt somit nicht beeinträchtigen.
einkommensländer. Größere Marktstaaten würden in               Das OECD-Sekretariat wird die Ergebnisse dieser
absoluten Zahlen aber trotzdem stärker profitieren.       Analysen regelmäßig aktualisieren, wenn sich die Ein-
Investitionshubs, d. h. Volkswirtschaften mit einem       zelheiten der Vorschläge in den Verhandlungen klarer
sehr hohen Anteil ausländischer Direktinvestitionen       herauskristallisieren.
(über 150% des BIP), würden durch Säule 1 deutliche
Einbußen verzeichnen, da dort von hohen Übergewin-        DAS WEITERE VORGEHEN
nen auszugehen ist.
    Säule 2 dürfte den Analysen zufolge in allen Staa-    Am 30. Januar 2020 einigte sich das Inclusive
ten und Gebieten zu einer Zunahme der Steuerbasis         Framework auf die Eckpunkte für die Fortsetzung
und der Steuereinnahmen führen. Dies wird aber stark      der Verhandlungen über die neuen Anknüpfungs-
davon abhängen, wie Säule 2 ausgestaltet wird und         und Gewinnzuweisungsregeln von Säule 1. Ziel ist es
wie die multinationalen Unternehmen und die Staa-         sicherzustellen, dass multinationale Unternehmen,
ten darauf reagieren. Letzteres lässt sich nur schwer     die in einem Staat einer dauerhaften, wesentlichen
genau vorhersagen.                                        Geschäftstätigkeit nachgehen – seien es Technolo­
    Der Gesamteffekt von Säule 1 und 2 auf die Steu-      gieunternehmen oder Unternehmen mit direktem
ereinnahmen dürfte für Länder mit hohen, mittleren        Verbraucherkontakt –, einen Teil ihrer Gewinne in
und niedrigen Einkommen weitgehend ähnlich sein.          diesem Staat versteuern müssen, unabhängig davon,
                                                          ob sie dort über eine physische Präsenz verfügen. Die
AUSWIRKUNGEN AUF DIE INVESTITIONSTÄTIGKEIT                Mitglieder beschlossen auch, die Diskussionen über
                                                          Säule 2 fortzusetzen, um verbleibende BEPS-Risiken
Die OECD untersucht auch den Effekt der Vorschläge        auszuräumen und eine Mindestbesteuerung multina-
auf Investitionen und Wachstum. Dabei stützt sie sich     tionaler Unternehmen zu gewährleisten.
auf das Standardmodell der vorausschauenden effek-             In verschiedenen Arbeitsgruppen der OECD wird
tiven Steuersätze (vgl. Devereux und Griffith 2003;       derzeit an den technischen Aspekten des Zwei-Säu-
Hanappi 2018): Zur Schätzung der Auswirkungen auf         len-Ansatzes gefeilt. Beabsichtigt ist, bis zur nächsten
die Investitionsanreize werden die effektiven Steuer-     Plenarsitzung des Inclusive Framework, die am 1. und
sätze für ein hypothetisches Investitionsprojekt vor      2. Juli in Berlin stattfinden wird, die Kernelemente der
und nach Umsetzung von Säule 1 und 2 verglichen.          Lösungen für Säule 1 und 2 festzulegen, um dort zu
Die Ergebnisse dieses Vergleichs liefern Anhaltspunkte    einer politischen Einigung zu gelangen.
dafür, wie sich der Effekt der Besteuerung auf Investi-
tionsumfang und -standort durch Säule 1 und 2 ver-        LITERATUR
ändern dürfte. Welche Auswirkungen die Reformen           Devereux, M. und R. Griffith (2003), »Evaluating Tax Policy for Location
insgesamt auf die Investitionstätigkeit haben könnten,    Decisions«, International Tax and Public Finance 10(2), 107–126.

hängt aber auch von anderen Faktoren ab, z.B. der         Hanappi, T. (2018), »Corporate Effective Tax Rates: Model Description
                                                          and Results from 36 OECD and Non-OECD Countries«, OECD Taxation
steuerlichen Rechtssicherheit.                            Working Papers, No. 38, OECD Publishing, Paris.
     Säule 1 dürfte kaum nennenswerte Auswirkun-          Johansson, Å. et al. (2017), »Tax planning by multinational firms:
gen auf das globale Investitionsniveau haben. Säule 2     Firm-level evidence from a cross-country database«, OECD Economics
                                                          Department Working Papers, No. 1355, OECD Publishing, Paris.
könnte für einige multinationale Unternehmen – vor
                                                          OECD (2015), Measuring and Monitoring BEPS, Action 11 – 2015 Final Re-
allem solche, die Gewinne verlagern – zu einem An-        port, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, OECD Publishing,
stieg der effektiven Steuersätze führen. Beide Säulen     Paris.

würden das Gefälle zwischen den effektiven Steuer-        OECD (2019), Programme of Work to Develop a Consensus Solution to the
                                                          Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy Inclusive
sätzen reduzieren und für multinationale Unterneh-        Framework on BEPS, OECD, Paris, verfügbar unter: https://www.oecd.
men die Anreize zur Gewinnverlagerung verringern.         org/tax/beps/programme-of-work-to-develop-a-consensus-solution-to-
                                                          the-tax-challenges-arising-from-the-digitalisation-of-the-economy.pdf,
Dies wäre vor allem für Länder mit niedrigem und          aufgerufen am 30 Juli 2019.
mittlerem Einkommen von Vorteil, denen durch Ge-          OECD (2020), Statement by the OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS
winnverlagerungen häufig größere Einbußen entste-         on the Two-Pillar Approach to Address the Tax Challenges Arising from the
                                                          Digitalisation of the Economy – January 2020, OECD/G20 Inclusive Frame-
hen. Außerdem könnte die Investitionstätigkeit dann       work on BEPS, OECD, Paris, verfügbar unter: www.oecd.org/tax/beps/sta-
stärker durch andere Faktoren beeinflusst werden,         tement-by-the-oecd-g20-inclusive-framework-on-beps-january-2020.pdf.

                                                                             ifo Schnelldienst    3 / 2020   73. Jahrgang   11. März 2020   5
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                                   Clemens Fuest
                                   Unternehmen am Ort der Wertschöpfung besteuern –
                                   eine neue Leitidee für die internationale Besteuerung?
                                                Die Idee, Unternehmensgewinne                                              Die Idee der Ausrichtung der Besteuerung am Ort
                                                am Ort der Wertschöpfung (in                                          der Wertschöpfung ist zu einem zentralen Bezugs-
                                                  the place of value creation) zu                                     punkt für die internationale Unternehmensbesteu-
                                                  besteuern, ist in den letzten                                       erung geworden. Erstaunlicherweise ist gleichzeitig
                                                  Jahren zu einer Art Mantra der                                      ungeklärt, was die Besteuerung am Ort der Wert-
                                                 internationalen Steuerpolitik ge-                                    schöpfung in der Unternehmensbesteuerung genau
  Prof. Dr. Dr. hc Clemens Fuest                worden. Zunächst hatte die OECD                                       bedeutet (vgl. Hey 2018). Es ist das Ziel dieses Bei-
                                                dieses Konzept in den Mittelpunkt                                     trags, zur Klärung dieser Frage beizutragen.
ist Präsident des ifo Instituts,
Professor für Volkswirtschafts-                 ihrer Initiative zum Thema Base                                            Grundsätzlich könnte man das Prinzip der Be-
lehre, Seminar für Nationalöko-                 Erosion and Profit Shifting (BEPS)                                    steuerung am Ort der Wertschöpfung zum einen als
nomie und Finanzwissenschaft,
                                                gestellt. Ziel sei es »zu gewähr-                                     deskriptive Aussage verstehen, also als Aussage über
Ludwig-Maximilians-Universität
München und Direktor des Center                 leisten, dass Gewinne dort be-                                        die Logik oder Zielsetzung der bestehenden Besteu-
for Economic Studies (CES) der                  steuert werden, wo die wirt-                                          erungsregeln, oder als Leitlinie für die derzeit disku-
Ludwig-Maximilians-Universität
                                                schaftlichen Aktivitäten ausgeübt                                     tierten Reformen der internationalen Besteuerungs-
München.
                                                werden und die Wertschöpfung                                          regeln, beispielsweise die sogenannten »Pillar-1«- und
                                                erfolgt.« (OECD 2015, S. 4)1                                          »Pillar-2«-Reformvorschläge der OECD. Zum anderen
                                                    Seitdem wird dieses Prinzip                                       könnte die Besteuerung am Ort der Wertschöpfung
                           immer wieder zitiert, vor allem im Kontext der Be-                                         eine normative Aussage darüber sein, wie die inter-
                           steuerung der Digitalwirtschaft.2 Die Europäische Kom-                                     nationalen Besteuerungsregeln aussehen sollten (vgl.
                           mission beispielsweise beklagt: »Die Anwendung der                                         Devereux und Vella 2018).
                           aktuellen Besteuerungsregeln auf die Digitalwirtschaft                                          Wie im Folgenden gezeigt wird, trifft weder das
                           hat zu einem Auseinanderfallen zwischen dem Ort, an                                        eine noch das andere zu. Die Ausrichtung der Besteu-
                           dem besteuert wird, und dem Ort der Wertschöpfung                                          erung an der Wertschöpfung ist eine politische For-
                           geführt.«3 Ähnlich äußert sich das Bundesfinanzmi-                                         mel, die weite Interpretationsspielräume eröffnet und
                           nisterium: »Wir unterstützen die laufende Arbeit der                                       es erlaubt, den Anliegen von Staaten mit sehr unter-
                           EU weiterhin und hoffen, dass sie Anstöße für die                                          schiedlichen Interessen entgegenzukommen. Dazu
                           Gespräche auf G20/OECD-Ebene gibt und zugleich                                             gehört seitens der großen Industrieländer mit eher
                           eine Grundlage für ein abgestimmtes Vorgehen der                                           hohen Steuern der Wunsch, die Gewinnverlagerung in
                           EU zur wirksamen Ausrichtung der Besteuerung der                                           Offshore-Finanzzentren und Steueroasen einzudäm-
                           Gewinne von stark digitalisierten Unternehmen am                                           men. Dass die Gewinnverteilung über Länder hinweg
                           Ort der Wertschöpfung bietet.« (BMF 2018)                                                  derzeit von der Verteilung beispielsweise der Beschäf-
                                                                                                                      tigung – einem wichtigen Indikator für Wertschöpfung
                                   1
                                      Erste Bezüge zur Besteuerung nach der Wertschöpfung finden sich                 – abweicht, illustriert Abbildung 1. In Ländern mit eher
                                   in OECD (2013, S. 10).
                                   2
                                      Einen Überblick über die Verwendung des Begriffs in der Literatur               niedrigen Unternehmensteuern, wie etwa Irland und
                                   bietet Fritz (2018).                                                               die Schweiz, weisen multinationale Firmen gemessen
                                   3
                                      »The application of the current corporate tax rules to the digital
                                   economy has led to a misalignment between the place where the                      an der lokalen Lohnsumme deutlich höhere Gewinne
                                   profits are taxed and the place where value is created …« (European                aus als in Hochsteuerländern. Bei lokalen Unterneh-
                                   Commission 2018, S .2).
                                                                                                                      men ist dieses Muster nicht zu beobachten.
Abb. 1                                                                                                                     Eine Ausrichtung der Besteuerung am Ort der
Ausgewiesene steuerpflichtige Gewinne in Prozent der Lohnsumme                                                        Wertschöpfung ist allerdings nur teilweise vereinbar
Internationale und lokale Unternehmen
                                                                                                                      mit einer Besteuerung, die darauf zielt, Gewinnver-
       %                                                                                 Lokale Firmen                lagerung und Gewinnvermeidung einzuschränken.
900                                                                                      Internationale Firmen
800                                                                                                                   Das dürfte ein Grund dafür sein, dass die aktuellen
700                                                                                                                   Reformbemühungen nicht konsequent darauf ausge-
600                                                                                                                   richtet sind, am Ort der Wertschöpfung zu besteuern.
500                                                                                                                        Seitens der Schwellenländer steht die Forderung
400
                                                                                                                      im Raum, dass sie einen größeren, ihrer wirtschaftli-
300
                                                                                                                      chen Bedeutung entsprechenden Anteil an den Be-
200
100
                                                                                                                      steuerungsrechten erhalten. Wenn man der Auffas-
   0                                                                                                                  sung ist, dass Marktländer als Orte der Wertschöpfung
         Irland Luxem- Schweiz Nieder- Belgien USA Australien Verein. Frank- Deutsch- Italien                         anzusehen sind, ist diese Forderung mit der Idee der
                 burg           lande                         König- reich     land
                                                               reich                                                  Besteuerung am Ort der Wertschöpfung in Einklang
Quelle: Tørsløv et al (2020) The Missing Profits of Nations, NBER working paper 24701.               © ifo Institut   zu bringen.

                            6      ifo Schnelldienst   3 / 2020   73. Jahrgang    11. März 2020
ZUR DISKUSSION GESTELLT

WAS BEDEUTET BESTEUERUNG AM ORT DER                                     ternehmerische Risiken tragen kann. Das Management
WERTSCHÖPFUNG?                                                          dieser Tochtergesellschaft könnte dann die im Silicon
                                                                        Valley angesiedelten Forschungslabore der Firma be-
Prinzipiell ist es möglich, die Gewinne multinationaler                 auftragen, ein neues Smartphone zu entwickeln, das
Konzerne an vier Orten zu besteuern. Erstens dort,                      Smartphone dann in China entwickeln lassen und
wo die Eigentümer der Firma ihren Wohnsitz haben,                       weltweit verkaufen. Angenommen, der Löwenanteil
zweitens dort, wo die Muttergesellschaft ihren Sitz                     der Gewinne des Konzerns wird dann von der Toch-
hat, drittens dort, wo Tochtergesellschaften oder                       tergesellschaft in dem Offshore-Finanzplatz ausgewie-
Betriebsstätten ihren Sitz haben, oder viertens dort,                   sen, und es fallen darauf nur geringe oder keine Steu-
wo die produzierten Güter oder Dienstleistungen ab-                     ern an. Dieses Ergebnis wird nicht den Vorstellungen
gesetzt werden, in den Marktländern (vgl. Devereux                      entsprechen, die üblicherweise mit der Besteuerung
und Vella 2018). Konsens dürfte darüber bestehen,                       am Ort der Wertschöpfung verbunden werden.
dass die Wertschöpfung, die in einem Unternehmen                             Wenn man diesen Überlegungen folgt, erscheint
erfolgt, nicht oder allenfalls zufällig dort angesiedelt                es für Zwecke der Besteuerung angebracht, als Orte
ist, wo die Eigentümer wohnen. Multinationale Unter-                    der Wertschöpfung im engeren Sinne Orte zu betrach-
nehmen sind in der Regel Aktiengesellschaften, deren                    ten, an denen ein Unternehmen physische Aktiva ein-
Aktionäre über viele Länder verstreut sind. Der Ort                     setzt und vor allem Beschäftigte hat. Zu den Orten
der Wertschöpfung ist auch nicht notwendigerweise                       der Wertschöpfung im weiteren Sinne würde man die
der Ort, an dem einzelne Konzerngesellschaften ihren                    Orte zählen, an denen die Kunden des Unternehmens
rechtlichen Sitz haben.                                                 angesiedelt sind, also die Marktländer. Andere Orte
      Üblicherweise wird man als Ort der Wertschöp-                     der Wertschöpfung im ökonomischen Sinne, insbeson-
fung den Ort verstehen, an dem ein Unternehmen                          dere Orte, an denen unternehmerische Entscheidun-
Fabriken, Büros, Einrichtungen für Forschung und                        gen fallen und Risiken getragen werden, sind als An-
Entwicklung neuer Produkte oder Dienstleistungen                        knüpfungspunkte für die Unternehmensbesteuerung
sowie Beschäftigte hat. Umstritten ist die Frage, ob                    insofern weniger geeignet als eine hohe Anfälligkeit
die Kunden und Konsumenten an der Wertschöpfung                         für steuerliche Gestaltungen besteht. Hier zeigt sich,
beteiligt sind.4 Für die Werthaltigkeit eines Produkts                  dass eine Ausrichtung der Besteuerung am Ort der
oder einer Dienstleistung spielen die Reputation ei-                    Wertschöpfung nur teilweise mit einer Besteuerung
nes Unternehmens bei den Kunden, die Entwicklung                        vereinbar ist, die darauf zielt, Gewinnverlagerung und
von Marken und die Werbung eine zentrale Rolle. Das                     Gewinnvermeidung einzuschränken.
spricht dafür, dass auch die Marktländer als Orte der
Wertschöpfung anzusehen sind.                                           IST BESTEUERUNG AM ORT DER WERT­
      Für internationale Besteuerungsfragen wichtig                     SCHÖPFUNG DAS ZIEL DES BESTEHENDEN
ist ferner folgende Frage: Ist ein Ort, an dem eine Ge-                 SYSTEMS DER UNTERNEHMENSBESTEUERUNG?
sellschaft ihren Sitz hat, die ausschließlich immate-
rielle Aktiva hält, ein Ort der Wertschöpfung? Da das                   Die eingangs zitierten Aussagen, nach denen bei
eine reine »Briefkastenfirma« sein könnte, würde man                    Unternehmen der Digitalwirtschaft der Ort der Be-
diese Frage wohl verneinen.                                             steuerung und der Ort der Wertschöpfung auseinan-
      Weniger eindeutig ist die Frage zu beantworten,                   derfallen, legen die Schlussfolgerung nahe, dass bei
ob Orte, an denen unternehmerische Entscheidungen                       Unternehmen, die nicht zur Digitalwirtschaft gehören,
fallen oder an dem Konzerngesellschaften ihren Sitz                     die Besteuerung dort erfolgt oder nach den geltenden
haben, die Risiken tragen, für Zwecke der Besteuerung                   Regeln erfolgen sollte, wo die Wertschöpfung ange-
als Orte der Wertschöpfung anzusehen sein sollen.                       siedelt ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Derzeit sind
Aus ökonomischer Sicht handelt es sich zweifelsfrei                     Unternehmen zunächst dort steuerpflichtig, wo sie
um Orte der Wertschöpfung. Die existierenden Regeln                     ihren Sitz haben. Die Kriterien für das Vorliegen ei-
weisen diesen Orten auch Besteuerungsrechte zu. Al-                     nes Unternehmenssitzes unterscheiden sich zwischen
lerdings stellt sich das Problem, dass Risiken durch                    Ländern. Das Vorliegen von Wertschöpfung gehört in
vertragliche Gestaltungen leicht zwischen Konzernge-                    der Regel jedoch nicht zu diesen Kriterien, jedenfalls
sellschaften verlagert werden können. Beispielsweise                    nicht explizit.
könnte ein Technologieunternehmen mit Sitz in Silicon                        Wertschöpfung kann implizit eine Rolle spielen,
Valley leicht eine Tochtergesellschaft an einem Off­                    beispielsweise indem das Vorliegen eines Unterneh-
shore-Finanzplatz gründen und mit viel Eigenkapital                     menssitzes an Sitzungen der Geschäftsleitung vor Ort
ausstatten, so dass die Tochtergesellschaft hohe un-                    gebunden sein kann. Die Kriterien für das Vorliegen
4
   Die Digitalisierung der Wirtschaft lässt die Trennung in Produzen-
                                                                        einer Betriebsstätte haben insofern mehr mit dem
ten und Konsumenten teilweise unscharf werden (»Prosumer«). Die         Vorhandensein von Wertschöpfung zu tun, als »phy-
Beteiligung der Konsumenten digitaler Dienstleistungen an deren
Produktion wird in der Debatte über die Besteuerung von Digitalun-
                                                                        sische Präsenz« ein entscheidender Faktor ist. Der Ort
ternehmen als Grund dafür angeführt, neben der physischen die           der Wertschöpfung im weiteren Sinne, der die Markt-
»digitale Präsenz« von Unternehmen in einem Land als Anknüp-
fungspunkt für die Ertragsbesteuerung zu definieren (vgl. Becker,
                                                                        länder einschließt, ist derzeit für den Ort der Besteu-
Englisch und Schanz 2019).                                              erung nicht maßgeblich. Wenn ein Unternehmen mit

                                                                                      ifo Schnelldienst    3 / 2020   73. Jahrgang   11. März 2020   7
ZUR DISKUSSION GESTELLT

    Sitz in Land A Güter oder Dienstleistungen in Land B          nehmensgewinnen überhaupt besteuert wird. Gewinn-
    exportiert, folgt daraus nicht, dass das Unternehmen          ausschüttungen in Form von Dividenden und Veräuße-
    in Land B Gewinnsteuern zahlen muss. Üblicherweise            rungsgewinnen werden im Rahmen der persönlichen
    fällt Umsatzsteuer an, aber keine Gewinnsteuer. Dieser        Einkommensteuer erfasst, in der Regel unter Berück-
    Punkt ist für die Debatte über Digitalsteuern wichtig.        sichtigung der Tatsache, dass auf Unternehmensebene
    Nur weil Digitalunternehmen in Europa Dienstleistun-          bereits Gewinnsteuern entrichtet wurden.5
    gen anbieten, folgt daraus jedenfalls nach den gel-                Die Rolle der Unternehmensteuer als Erhebungs-
    tenden Regeln keineswegs, dass sie dort auch ihre             form der Einkommensteuer spricht dafür, Besteue-
    Gewinne versteuern müssen.                                    rungsrechte den Ländern zuzuordnen, in denen die
          Wenn einmal bestimmt ist, in welchen Ländern            Eigentümer ihren Wohnsitz haben.6 Soweit das bei
    ein multinationales Unternehmen Gewinnsteuerer-               börsennotierten Unternehmen nicht umsetzbar ist,
    klärungen abgeben muss, ist im nächsten Schritt zu            weist man heute die Besteuerungsrechte den Sitz-
    klären, wie die Gesamtgewinne des Unternehmens auf            ländern der Unternehmen zu, was schon schwerer zu
    die einzelnen Länder aufzuteilen sind. Auch dabei ist         rechtfertigen ist. Der Ort der Wertschöpfung spielt bei
    die Verteilung der Wertschöpfung nicht der entschei-          diesen Überlegungen keine Rolle.
    dende Maßstab. Im Wesentlichen werden »passive«                    Die zweite Funktion der Unternehmensbesteue-
    Einkünfte wie Zinsen oder Lizenzgebühren im Sitzland          rung liegt darin, dafür zu sorgen, dass sich Unterneh-
    des Empfängers versteuert, also gerade nicht am Ort           men an den Kosten der Bereitstellung öffentlicher
    der Wertschöpfung, während »aktive« Einkünfte im              Leistungen beteiligen. Zwar werden viele öffentliche
    Quellenland versteuert werden. In vielen Quellenlän-          Leistungen durch Gebühren finanziert. Außerdem
    dern gibt es Grenzen für die Abzugsfähigkeit für Zin-         haben Gewinne von Unternehmen in der Regel we-
    sen oder Lizenzgebühren, teils auch Quellensteuern,           nig mit dem Nutzen öffentlicher Leistungen für diese
    aber das ändert nichts daran, dass die Besteuerung            Unternehmen oder den Kosten der Erstellung dieser
    insgesamt eher auf den Ort des Unternehmenssitzes             Leistungen zu tun. Trotzdem ist es weithin akzeptiert,
    als den Ort der Wertschöpfung ausgerichtet ist.               dass Unternehmen unter anderem durch die Entrich-
          Insgesamt kann man feststellen, dass die gel-           tung von Gewinnsteuern zur Finanzierung öffentlicher
    tenden Regeln für die internationale Unternehmens-            Leistungen, von denen sie profitieren, beitragen soll-
    besteuerung nicht oder zumindest nicht primär dar­            ten (vgl. dazu auch Hey 2018). Diese Rolle der Unter-
    auf ausgerichtet sind, Unternehmensgewinne am Ort             nehmensteuer spricht dafür, Besteuerungsrechte den
    der Wertschöpfung zu besteuern. Natürlich kann man            Ländern zuzuweisen, an denen Unternehmen von öf-
    diese Regeln ändern. Es stellt sich allerdings die Frage,     fentlichen Leistungen profitieren. Die Forderung, dass
    ob das sinnvoll ist, also zu einem effizienteren und          der Ort der Besteuerung mit dem Ort der Wertschöp-
    gerechteren Steuersystem führt.                               fung übereinstimmen soll, ist mit dieser Funktion der
                                                                  Unternehmensbesteuerung eher vereinbar.
    WÄRE ES SINNVOLL, DIE INTERNATIONALE
    UNTERNEHMENSBESTEUERUNG STÄRKER AM ORT                        Wie könnte eine stärkere Ausrichtung der
    DER WERTSCHÖPFUNG AUSZURICHTEN?                               Besteuerung am Ort der Wertschöpfung
                                                                  umgesetzt werden?
    Um Reformen der Unternehmensbesteuerung zu be-
    urteilen, ist es notwendig zu berücksichtigen, welche         Eine stärkere Ausrichtung der Unternehmensbesteue-
    Funktionen die Unternehmensbesteuerung im Rahmen              rung am Ort der Wertschöpfung würde bedeuten, dass
    des Gesamtsteuersystems hat.                                  die Rolle der Unternehmensteuer als Erhebungsform
                                                                  der Einkommensteuer zumindest insofern in den Hin-
    Welche Funktionen hat die Unternehmensbesteu-                 tergrund tritt, als die Sitzländer eher an Besteuerungs-
    erung im Rahmen des Gesamtsteuersystems?                      rechten verlieren, während die Quellenländer und die
                                                                  Marktländer gewinnen. Wie könnte das umgesetzt
    Unternehmensbesteuerung hat zwei Funktionen. Zum              werden? Ein denkbarer Ansatzpunkt wäre ein Aus-
    einen ist die Unternehmensbesteuerung eine Form der           bau von Quellensteuern auf Zinsen und Lizenzgebüh-
    Erhebung der Einkommensteuer. Hier geht es um die             ren (vgl. dazu ausführlich Fuest et al 2013). Ein weiter
    Gerechtigkeit der Lastenverteilung unter den Steu-            reichender Reformansatz würde darin bestehen, vom
    erzahlern. Prinzipiell könnte man Unternehmensge-             Prinzip der getrennten Buchhaltung zur Besteuerung
    winne für Zwecke der Besteuerung den Eigentümern              durch »Formula Apportionment« überzugehen. Das
    im Rahmen ihrer persönlichen Einkommensbesteue-               setzt allerdings voraus, dass international Einigung
    rung zurechnen und auf dieser Ebene besteuern. Vor            über Regelungen zur Ermittlung konsolidierter Kon-
    allem bei börsennotierten Unternehmen mit häufigem
                                                                  5
                                                                     Prinzipiell wäre es denkbar, Unternehmensgewinne generell erst
    Eigentümerwechsel ist das aber nicht praktikabel. Die         bei der Ausschüttung an die Anteilseigner zu besteuern. Das würde
    Besteuerung auf Unternehmensebene ist aus dieser              aber eine Umstellung des gesamten Systems der Kapitaleinkom-
                                                                  mensbesteuerung erfordern (vgl. dazu Meade 1978).
    Perspektive eine pragmatische, zweitbeste Lösung,             6
                                                                     Zur Fairness der Verteilung von Besteuerungsrechten unter Staa-
    die sicherstellt, dass Einkommen in Form von Unter-           ten vgl. Musgrave (1969; 1972; 2000).

8   ifo Schnelldienst   3 / 2020   73. Jahrgang   11. März 2020
ZUR DISKUSSION GESTELLT

zerngewinne erzielt wird. In die Formel zur Gewinn-                  vermeidung abgebaut werden. Das würde allerdings
aufteilung müssten Indikatoren der Wertschöpfung,                    grundlegende Neuerungen in der internationalen
wie etwa Beschäftigte oder physische Aktiva, falls                   Unternehmensbesteuerung und eine erhebliche Um-
erwünscht auch Umsätze gegenüber unverbundenen                       verteilung von Besteuerungsrechten zwischen Staa-
Unternehmen oder Konsumenten, eingehen.                              ten nach sich ziehen. Insbesondere die Länder, die
     Eine noch weiterreichende Reform wäre der                       eher Produktionsstandort als Marktländer sind, wer-
Übergang zur bestimmungslandorientierten Unter-                      den einen Verlust an Besteuerungsrechten als unfair
nehmensbesteuerung (vgl. dazu Devereux und de la                     empfinden.
Feria 2014; Auerbach 2017). Dabei würden die Besteu-                      Würde eine stärkere Übereinstimmung der Be-
erungsrechte allerdings ganz in die Marktländer ver-                 steuerung mit dem Ort der Wertschöpfung eine ge-
lagert, während die Länder der Produktionsstandorte                  rechtere Verteilung von Besteuerungsrechten zwi-
ihre Besteuerungsrechte vollständig abgeben müss-                    schen Staaten herstellen? Das ist vor allem deshalb
ten. Mit einer Ausrichtung der Besteuerung am Ort der                unklar, weil es an allgemein anerkannten Maßstäben
Wertschöpfung wäre das aber nicht vereinbar. Zwar                    für eine gerechte Verteilung von Besteuerungsrechten
können die Marktländer als Orte der Wertschöpfung                    zwischen Staaten fehlt (siehe dazu die Arbeiten von
angesehen werden. Sie als alleinige Orte der Wert-                   Peggy Musgrave 1969; 1972; 2000).
schöpfung zu betrachten, wäre aber unangemessen.                          Wer Unternehmensteuern in erster Linie als Ein-
     Die Reformdiskussionen im Rahmen der OECD                       kommensteuern der Unternehmenseigner sieht, wird
haben zum Pillar-1-Konzept geführt, das eine Erwei-                  in stärkerer Besteuerung am Ort der Wertschöpfung
terung des bestehenden Systems um ein neues Be-                      keinen Gewinn an Gerechtigkeit sehen. Wer Unter-
steuerungsrecht für die Marktländer vorsieht, das im                 nehmensteuern eher als Entgelt für öffentliche Leis-
Folgenden noch näher erläutert wird.                                 tungen an Unternehmen sieht, wird anders urteilen.
                                                                     Soweit es allerdings zu einer Verlagerung von Besteu-
Folgen für Effizienz und Fairness der                                erungsrechten von Offshore-Finanzplätzen in Länder
Unternehmensbesteuerung                                              käme, in denen Unternehmen produzieren oder ihre
                                                                     Produkte absetzen, ergäbe sich zumindest nach vor-
Welche Auswirkungen hätte eine Verlagerung von                       herrschenden Vorstellungen eher mehr Fairness in der
Besteuerungsrechten an den Ort der Wertschöpfung                     Verteilung von Besteuerungsrechten.
auf Effizienz und Fairness der Unternehmensbesteu-
erung? Wenn die Besteuerung stärker als bisher dort                  STÄRKEN DIE OECD-REFORMPROJEKTE
erfolgt, wo Unternehmen Realinvestitionen ansiedeln,                 »PILLAR 1« UND »PILLAR 2« DIE BESTEUERUNG
also wo Fabriken errichtet werden und Arbeitsplätze                  AM ORT DER WERTSCHÖPFUNG?
entstehen, dann ist zu erwarten, dass die Entschei-
dung über Standorte durch internationale steuerli-                   Die derzeit im Rahmen der OECD diskutierten Refor-
che Unterschiede stärker verzerrt wird und insofern                  men der internationalen Besteuerung würden im Prin-
die Effizienzkosten der Unternehmensbesteuerung                      zip die Möglichkeit bieten, die Besteuerung stärker am
steigen. Man muss außerdem damit rechnen, dass                       Ort der Wertschöpfung auszurichten. Wie eingangs
der zwischenstaatliche Steuerwettbewerb um die An-                   erläutert, wird immer wieder behauptet, dies sei ein
siedlung von Realinvestitionen und Arbeitsplätzen                    wesentliches Ziel der Reformen. Tatsächlich ist das
intensiver wird.7                                                    jedoch nur sehr eingeschränkt der Fall.
     Dem steht gegenüber, dass Steuervermeidung
durch entsprechend gestaltete Finanzierungsstruk-                    OECD Pillar 1
turen oder die Verlagerung immaterieller Aktiva in
Niedrigsteuerländer schwieriger wird.8 Die mit Steuer-               Das Pillar-1-Reformkonzept der OECD beinhaltet eine
vermeidung einhergehenden Ungerechtigkeiten in der                   Ausweitung der Besteuerungsrechte der Marktlän-
Steuerlastverteilung würden zwar nicht verschwinden,                 der. Der Kern des Reformvorschlags besteht darin,
aber sicherlich reduziert. Allerdings kann es durch                  dass multinationale Unternehmen ab einer gewissen
einen Ausbau von Quellensteuern auch zu Doppelbe-                    Größe künftig ihre konsolidierten weltweiten Gewinne
steuerung kommen, die sowohl zu Effizienzverlusten                   für Zwecke der Besteuerung durch die Marktländer
als auch einer ungerechten Lastenverteilung unter                    ausweisen müssen. Der eine gewisse Rentabilitäts-
den Steuerzahlern führen würde.                                      schwelle übersteigende Gewinnanteil wird »Residual-
     Eine Verlagerung von Besteuerungsrechten in                     gewinn« genannt. Ein prozentualer Anteil an diesem
Marktländer hat im Vergleich dazu den Vorteil, dass                  Residualgewinn wird den Marktländern zugewiesen,
sowohl steuerliche Verzerrungen der Standortwahl                     die den auf sie entfallenden Gewinnanteil dann be-
für Realinvestitionen als auch Spielräume für Steuer-                steuern (vgl. OECD 2019).
7
   Eine Analyse der Effizienzwirkungen unterschiedlicher Regimes
                                                                          Da die bestehenden Besteuerungsregeln weiter-
für die Besteuerung multinationaler Unternehmen bieten Becker        hin gelten sollen, stellt sich die Frage, wie Doppelbe-
und Fuest (2010) sowie Devereux, Fuest und Lockwood (2015).
8
    Einen Überblick über Forschungsergebnisse zur Steuervermei-
                                                                     steuerung verhindert werden kann. Hier ist geplant,
dung multinationaler Unternehmen findet sich in Beer et al (2018).   dass die in den Marktländern aufgrund des neuen

                                                                                     ifo Schnelldienst    3 / 2020   73. Jahrgang   11. März 2020   9
ZUR DISKUSSION GESTELLT

     Besteuerungsrechts erhobenen Steuern in den an-                       besteuerung, über die derzeit im Rahmen der OECD
     deren Ländern angerechnet werden.9 Dabei ist von                      verhandelt wird (Pillar 1 und 2), orientieren sich nicht
     entscheidender Bedeutung, wie die Pflicht zur An-                     konsequent an dieser Leitidee. Die Ausrichtung der
     rechnung auf die beteiligten Länder aufgeteilt wird. Es               Besteuerung an der Wertschöpfung ist eher als poli-
     wäre naheliegend, dies entsprechend der Verteilung                    tische Forderung zu verstehen, der Verlagerung von
     der Residualgewinne aufzuteilen. Das setzt allerdings                 Gewinnen in Offshore-Finanzplätze und Steueroasen
     voraus, dass diese Residualgewinne nicht nur konso-                   entgegenzutreten.
     lidiert, also für den Gesamtkonzern, sondern auch                          Die derzeit diskutierte Verlagerung von Besteue-
     länderweise bestimmt werden.                                          rungsrechten in Marktländer ist mit dieser Forderung
          Ob es dabei am Ende zu einer Ausweitung der                      vereinbar, wenn man die Länder der Absatzmärkte
     Besteuerung am Ort der Wertschöpfung kommt, wird                      als Ort der Wertschöpfung gelten lässt. Tatsächlich
     stark von der Gestaltung dieser Anrechnungsregeln                     verbergen sich hinter der Verlagerung der Besteue-
     abhängen. Bei Unternehmen, die einen signifikanten                    rungsrechte in die Marktländer aber auch veränderte
     Teil ihrer Gewinne in Offshore-Finanzzentren auswei-                  Machtverhältnisse. Große Schwellenländer wie bei-
     sen, könnten entsprechende Anrechnungsvorschrif-                      spielsweise Indien und Brasilien greifen zunehmend
     ten dazu führen, dass die Besteuerung effektiv in die                 zu unilateralen steuerlichen Maßnahmen, um sich
     Marktländer verlagert wird und sich damit stärker am                  einen größeren Anteil an der Besteuerung multina­
     Ort der Wertschöpfung im weiteren Sinne orientiert.                   tionaler Unternehmen zu sichern. Damit einher gehen
     Es kann aber auch dazu kommen, dass sich die Be-                      wachsende Doppelbesteuerung, Unsicherheit für die
     steuerung von Produktionsstandorten in Marktlän-                      Steuerzahler und Konflikte zwischen Staaten. Das Ziel
     der verlagert. Soweit das der Fall ist, kann man nicht                der OECD-Initiative für eine Neuordnung der interna-
     von einer Stärkung der Besteuerung am Ort der Wert-                   tionalen Unternehmensbesteuerung sollte letztlich
     schöpfung sprechen.                                                   weniger in der Ausrichtung der Besteuerung an der
                                                                           Wertschöpfung liegen, sondern in der Beilegung dieser
     OECD Pillar 2                                                         Konflikte und Rückkehr zu einer stärker an gemein-
                                                                           same Regeln gebundenen Besteuerung.
     Das Ziel des OECD-Pillar-2-Reformvorschlags besteht
     darin, zu einer weltweiten Mindestbesteuerung von                     LITERATUR
     Gewinnen multinationaler Konzerne zu kommen. Das                      Auerbach, A. J (2017), »Understanding the destinati-
     soll durch zwei neue Regelungen erreicht werden.                      on-based approach to business taxation«, VoxEU Co-
                                                                           lumn, 26. Okober, verfügbar unter: https://voxeu.org/article/
     Die erste besteht darin, dass Gewinne von Toch­                       understanding-destination-based-approach-business-taxation.
     tergesellschaften oder Betriebsstätten in Ländern mit                 Becker, J., J. Englisch und D. Schanz (2019), »A SURE way of taxing the
     Steuern unterhalb der Mindeststeuer ergänzend im                      digital economy«, Tax Notes International 93(3), 309–312.

     Land der Muttergesellschaft besteuert werden sollen.                  Becker, J. und C. Fuest (2010), »Taxing foreign profits with international
                                                                           mergers and acquisitions«, International Economic Review 51, 171–186.
     Die zweite Regel sieht vor, dass prinzipiell als Kos-
                                                                           Beer, S., R. de Mooij und L. Liu (2018), »International Corporate Tax
     ten abzugsfähige Zahlungen dann nur noch einge-                       Avoidance: A Review of the Channels, Magnitudes, and Blind Spots«, IMF
     schränkt abzugsfähig sein sollen, wenn der Empfän-                    Working Paper 18/168.

     ger einer Besteuerung unterhalb der Mindeststeuer                     BMF – Bundesministerium der Finanzen (2018), »Antwort derG5 auf die
                                                                           Vorschläge der Kommission zur gemeinsamen Initiative zur Besteuerung
     unterliegt.                                                           von Unternehmen der digitalen Wirtschaft«, 22. März, verfügbar unter:
          In beiden Fällen soll es nicht darauf ankommen,                  https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/
                                                                           Themen/Steuern/Weitere_Steuerthemen/2018-03-22-digital-taxation.
     ob in dem betreffenden Niedrigsteuerland Wertschöp-                   html.
     fung stattfindet oder nicht. Insofern kann man auch                   Devereux, M. und R. de la Feria (2014), »Designing and implementing a
     im Fall des Pillar-2- Vorschlags nicht behaupten, dass                destination-based corporate tax«, CBT Working Paper 14/07.

     er konsequent auf eine stärkere Besteuerung am Ort                    Devereux, M., C. Fuest und B. Lockwood (2015), »The taxation of foreign
                                                                           profits: A unified view«, Journal of Public Economics 125, 83–97.
     der Wertschöpfung ausgerichtet sei. Der Vorschlag
                                                                           Devereux, M. und J. Vella (2018), »Value Creation as the Fundamental
     ist eher darauf ausgerichtet, den Steuersatzwettbe-                   Principle of the International Corporate Tax System«, European Tax
     werb einzuschränken und die Besteuerungsrechte                        Policy Forum Paper, 31. Juli.
     der großen OECD-Staaten mit eher hohen Steuern,                       European Commission (2018), Proposal for a COUNCIL DIRECTIVE on the
                                                                           common system of a digital services tax on revenues resulting from the
     die Sitzstaaten vieler multinationaler Konzerne sind,                 provision of certain digital services {SWD(2018) 81} – {SWD(2018) 82},
     auszuweiten.                                                          Brüssel.
                                                                           Fritz, J. (2018), Rechtfertigung der internationalen Unternehmensbesteu-
                                                                           erung – Ein Literaturüberblick, Freie wissenschaftliche Arbeit zur Erlan-
     SCHLUSSFOLGERUNGEN                                                    gung des Grades eines Master of Business Research an der Fakultät für
                                                                           Betriebswirtschaft, Munich School of Management der Ludwig-Maximili-
                                                                           ans-Universität München.
     Die Besteuerung der Gewinne multinationaler Kon-
                                                                           Fuest, C., C. Spengel, K. Nicolay, J.H. Heckemeyer und H. Nusser (2013),
     zerne am Ort der Wertschöpfung beschreibt nicht                       »Profit Shifting and ›Aggressive‹ Tax Planning by Multinational Firms:
     die Ziele der bestehenden internationalen Besteue-                    Issues and Options for Reform«, World Tax Journal 5(3), 307–324.Hey,
                                                                           J. (2018), »›Taxation Where Value is Created‹and the OECD/G20 Base
     rungsregeln. Auch die Reformen der Unternehmens-                      Erosion and Profit Shifting Initiative«, Bulletin for International Taxation,
     9                                                                     April/Mai, 203–208.
        Alternativ wäre eine entsprechende Freistellung von der Besteue-
     rung denkbar.

10   ifo Schnelldienst   3 / 2020   73. Jahrgang   11. März 2020
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Meade Committee (1978), »The Structure and Reform of Direct Taxa-          OECD (2013), »Action Plan on Base Erosion and Profit Shif-
tion«, London, verfügbar unter: https://www.ifs.org.uk/docs/meade.pdf.     ting«, verfügbar unter: https://www.oecd-ilibrary.org/taxation/
                                                                           action-plan-on-base-erosion-and-profitshifting_9789264202719-en.
Musgrave, P. B (1969), United States Taxation of Foreign Investment In-
come: Issues and Arguments, Harvard Law School, Cambridge.                 OECD (2015), »OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlage-
                                                                           rung, Erläuterung«, verfügbar unter: https://www.oecd.org/ctp/beps-er-
Musgrave, P. B (1972), »International Tax Base Division and the Multina-
                                                                           lauterung-2015.pdf.
tional Corporation«, Public Finance 27, 394-413.
                                                                           OECD (2019), »Secretariat Proposal for a ›Unified Approach‹ under Pillar
Musgrave, P. B (2000), »Interjurisdictional Equity in Company Taxation:
                                                                           One, Public consultation document«, verfügbar unter: https://www.oecd.
Principles and Applications to the European Union«, in: S. Cnossen
                                                                           org/tax/beps/public-consultation-document-secretariat-proposal-uni-
(Hrsg.), Taxing Capital Income in the European Union: Issues and Options
                                                                           fied-approach-pillar-one.pdf.
for Reform, Oxford University Press, Oxford, 46–77.

Joachim Englisch
Internationale Unternehmensteuerreform –
mehr als kostspielige Symbolpolitik?
Das bei der OECD angesiedelte sog. Inclusive Frame-                        ein Teil des typisierten Residu-
work mit Vertretern aus inzwischen knapp 140 Staaten                       algewinns des Konzerns zur Be-
verfolgt zwei parallele Ansätze zur Reform der Unter-                      steuerung zugewiesen. Dieser
nehmensteuer: Erstens eine Ausweitung der internati-                       Gewinnanteil würde in mehre-
onalen Anknüpfungspunkte für die Besteuerung von                           ren Stufen unter Abkehr vom
Unternehmensgewinnen und damit zusammenhän-                                Fremdvergleichsgrundsatz rein
gend vor allem auch der Gewinnzuteilungsregeln (sog.                       formelbasiert ermittelt. Ausge-               Prof. Dr. Joachim Englisch
»Pillar 1« der Reform). Seit Januar 2020 konzentrieren                     hend von der Anwendung eines                ist Geschäftsführender Direktor
sich die Bemühungen um eine konsensuale Lösung                             fixen Prozentsatzes auf den kon-            des Instituts für Steuerrecht an
auf den vom OECD-Sekretariat auf Basis dreier zu-                          solidierten Gewinn, festzustellen           der Universität Münster.
vor konkurrierender Ansätze entwickelten Kompro-                           anhand eines für Steuerzwecke
missvorschlag, den sog. Unified Approach (Inclusive                        modifizierten Konzernabschlusses,
Framework 2020), zweitens, die koordinierte Einfüh-                        würde zunächst typisierend die Höhe des auf Routi-
rung eines Systems internationaler effektiver Min-                         netätigkeiten entfallenden Gewinns bestimmt. Der
deststeuer. Es soll Anreize für rein steuergetriebene                      übersteigende Gewinnanteil würde gegebenenfalls
Gewinnverlagerungen (»BEPS«) vermindern, darüber                           seinerseits ebenfalls typisierend zu einem bestimm-
hinaus aber auch dem internationalen Steuerwett-                           ten Prozentsatz den qualifizierten wirtschaftlichen
bewerb um Investitionen eine Untergrenze einziehen                         Aktivitäten in der Gesamtheit der qualifizierten Ab-
(sog. »Pillar 2« der Reform).                                              satzmarktstaaten zugerechnet. Deren jeweilige Anteile
                                                                           würden nach dem Verhältnis der nationalen Umsätze
PILLAR 1: NEUAUSRICHTUNG DER INTERNATIONA-                                 bzw. Nutzerzahlen zu der über alle aufkommensbe-
LEN AUFTEILUNG VON BESTEUERUNGSRECHTEN                                     rechtigten Staaten hinweg ermittelten Summe dieser
                                                                           Größen festgelegt. Im Übrigen sind zahlreiche Details
Pillar 1 zielt in erster Linie darauf ab, Absatzmarktstaa-                 des Konzepts noch ungeklärt und Gegenstand der lau-
ten einen Teil der Konzerngewinne zur Versteuerung                         fenden Verhandlungen.
zuzuweisen, wenn sich ein multinationaler Konzern
dort »aktiv und nachhaltig» über den bloßen Verkauf                        Erhebliche Risiken und Nebenwirkungen des
seiner Waren und Dienstleistungen hinaus wirtschaft-                       Unified Approach
lich engagiert. Auf eine dauerhafte physische Präsenz
in Gestalt einer Betriebsstätte käme es für die Be-                        Bei isolierter Betrachtung ist die Bilanz des Unified
gründung eines steuerlichen »Nexus» nicht länger an.                       Approach absehbar mager, und die Risiken und Ne-
Stattdessen würde typisierend darauf abgestellt, ob                        benwirkungen sind erheblich. Die für die Gewinnver-
eines von zwei alternativen Anknüpfungskriterien er-                       teilungsformel maßgeblichen Prozentsätze müssen
füllt ist: Entweder die Bereitstellung automatisierter                     zwar erst noch ausverhandelt werden. Dem Verneh-
und standardisierter digitaler Dienste für einen gro-                      men nach ist aber angedacht, die Grenze zum Rou-
ßen Kunden- bzw. Nutzerstamm oder der Vertrieb von                         tinegewinn bei vergleichsweise hohen 10% bis 20%
Konsumgütern unter qualifizierter physischer oder di-                      Umsatzrendite zu ziehen und den dementsprechend
gitaler Interaktion mit den jeweiligen Kunden. Staaten,                    klein gerechneten Residualgewinn außerdem nur in
in denen solche Anknüpfungspunkte gemessen am                              einer Größenordnung von 5 % bis 20 % den qualifi-
Umsatz hinlänglich intensiv verwirklicht sind, würde                       zierten Absatzmarktstaaten zur Besteuerung zuzu-

                                                                                             ifo Schnelldienst    3 / 2020   73. Jahrgang   11. März 2020   11
ZUR DISKUSSION GESTELLT

     weisen. Hinzu kommt, dass der Anwendungsbereich               um die Wiederbelebung des europäischen GKKB-Pro-
     durch eine Kombination von bis zu vier subjektiven            jekts neuen Auftrieb.
     und objektiven Schwellenwertregelungen noch wei-                   Auch in administrativer Hinsicht hat der Unified
     ter eingegrenzt werden soll. Sowohl die OECD selbst           Approach Innovationspotenzial. Das ist vor allem
     als auch unabhängige Berechnungen gehen deshalb               der Notwendigkeit geschuldet, einem weiteren mate­
     davon aus, dass die internationalen Umverteilungs­            riell-rechtlichen Nachteil entgegenzuwirken: Mit
     wirkungen des Unified Approach im Vergleich zum               einer auf globale Unternehmensfunktionen statt
     Status quo absehbar sehr überschaubar sein werden             bilaterale Transaktionen bezogenen Aufteilung der
     (vgl. OECD 2020; Fuest et al. 2019).                          Besteuerungsrechte steigt die Gefahr der internati-
          Dem steht ein erheblicher Zuwachs an Komplexi-           onalen Doppelbesteuerung. Das OECD-Sekretariat
     tät der Besteuerung gegenüber. Schon der sachliche            hat angeregt, dieses Risiko durch eine Art multila-
     Anwendungsbereich in Gestalt der beiden neuen An-             teral abgestimmtes und verbindliches Vorabverstän-
     knüpfungskriterien wäre – anders als etwa das wei-            digungsverfahren zu minimieren. Den hierfür eigens
     tergehende Modell einer allgemeinen Residual profit           einzurichtenden Panels sollen unabhängige Experten
     allocation by income (vgl. Devereux et al. 2019) – mit        zur Seite gestellt werden, die insbesondere die aus
     erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten behaftet.              Schwellen- und Entwicklungsländern entsandten Pa-
     Dabei kommt erschwerend dazu, dass sich dessen                nelmitglieder beraten würden. Parallel dazu wäre am
     Zuschnitt nicht an einer konsequent durchgehalte-             Ausbau gemeinsamer Betriebsprüfungen ( joint au-
     nen Leitmaxime orientiert (wie dies u.a. der Verfasser        dits) zu arbeiten. Falls das Konzept erfolgreich wäre,
     fordert, vgl. Becker et al. 2019), sondern eine eklek-        könnte es auf weitere Anwendungsfelder ausgedehnt
     tische Mischung verschiedener Rechtfertigungsan-              werden und damit dem Bemühen um größere Rechts-
     sätze darstellt. Praktische Schwierigkeiten bereiten          sicherheit im internationalen Steuerrecht erheblich
     dürfte ferner bspw. die Ermittlung des für Steuerzwe-         Vorschub leisten.
     cke bereinigten Konzerngewinns, gegebenenfalls die                 Nicht zuletzt zielt der Unified Approach darauf ab,
     Abgrenzung des Anwendungsbereichs ausdifferen-                den Wildwuchs unilateraler Ansätze zur Besteuerung
     zierter Prozentsätze im Rahmen der formelmäßigen              von Unternehmen mit hochdigitalisierten Geschäfts-
     Gewinnaufteilung, die Ermittlung des Umsatz- bzw.             modellen, insbesondere in Gestalt sog. Digitalsteuern
     Nutzerorts zwecks Anwendung der Aufteilungsformel,            (Digital Services Tax – DST), einzudämmen und letzt-
     die Anwendung von Antimissbrauchsregeln sowie die             lich zu eliminieren. Das wäre angesichts der erhebli-
     Aufteilung der Verantwortung für die Vermeidung von           chen Nachteile dieser Besteuerungskonzepte ein zu
     Doppelbesteuerung. Dieser Mehraufwand würde nur               begrüßendes Ergebnis. Erreichbar ist es allerdings
     zu einem geringen Teil durch punktuell wirkende Ver-          nur, wenn die betroffenen Absatzmarktstaaten da-
     einfachungsregeln (der sog. »Amount B«) für das im            von ausgehen können, durch die Neuausrichtung der
     Übrigen weiterhin anwendbare, klassische Verrech-             Besteuerungsrechte für den Wegfall ihrer jeweiligen
     nungspreisregime kompensiert.                                 DST fiskalisch – und in der öffentlichen Wahrnehmung
                                                                   – hinreichend entschädigt zu werden. Abzulehnen ist
     Perspektivische Vorzüge des Unified Approach                  damit insbesondere die von den USA lancierte Idee,
                                                                   den multinationalen Konzernen de facto die Wahl
     Vorzüge böte der Unified Approach daher vornehm-              zwischen altem und neuem Regime zu belassen (sog.
     lich perspektivisch. Ein dahingehender globaler Kon-          Safe-harbour-Konzept).
     sens würde einen steuerlichen Paradigmenwechsel
     bewirken. Erstmals würden sich OEDC und G 20 in               PILLAR 2: INTERNATIONALE EFFEKTIVE
     einem Teilbereich der internationalen Unternehmens-           MINDESTBESTEUERUNG
     besteuerung zu einer formelhaften Gewinnaufteilung
     auf Basis des Konzerngewinns anstelle der am Fremd-           Das vom Inclusive Framework beratene Mindeststeu-
     vergleichsgrundsatz orientierten transaktionsbezoge-          erkonzept soll eine als zu niedrig erachtete ausländi-
     nen Verrechnungspreiskorrektur bekennen. Zudem                sche Effektivsteuerbelastung auf ein international
     würden dem Absatzmarkt als solchem unabhängig                 konsentiertes Mindestniveau heraufschleusen. Es
     von der Existenz und gegebenenfalls wirtschaftlichen          würde sich auf zwei Standbeine stützen: Für den
     Bedeutung einer Betriebsstätte Besteuerungsrechte             Ansässigkeitsstaat der Konzernobergesellschaft
     zugewiesen, wenn auch vorerst nur punktuell und in            oder eventuell auch einer Zwischenholding ist erstens
     bescheidenem Maße. Längerfristig könnte das den               eine sog. Income-Inclusion-Regelung vorgesehen. Sie
     Weg für eine robustere Neuausrichtung der Besteu-             betrifft ausländische Tochtergesellschaften und aus-
     erung unter Rückführung des Verrechnungspreisan-              ländische Betriebsstätten inländischer Unternehmen.
     satzes auf die Bewertung von Routinefunktionen im             Im Ausgangspunkt ähnelt dieses Konzept der Hinzu-
     Konzern und einer vereinfachten und gestaltungsre-            rechnungsbesteuerung, wäre aber nicht auf passive
     silienten Aufteilung des Residualgewinns (nicht not-          Einkünfte beschränkt und würde dafür die Gesamt-
     wendig nur zugunsten des Absatzmarktstaates) ebnen.           steuerlast auch nur bis zum Mindestsatz anheben.
     Nicht zuletzt erhielten damit auch die Bemühungen             Daneben würde zweitens im Quellenstaat eine sog.

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