Die schlafende Schönheit - FRÜHJAHR 2021 - Bergson Kunstkraftwerk München
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N 1
O
FRÜHJAHR
2021
Di e s ch la f e nde
S c h önh e i t
01
01 18
EDITORIAL AUSBLICKE
02 30 BERGSON
Kunst für alle Sinne!
GRUSSWORT GESPRÄCH
EDITORIAL
Manche, die dieses Magazin in Händen halten, mögen
sich wundern: „Ein Kunstkraftwerk Bergson in München?
04 38 Das gibt’s doch gar nicht!“ Das stimmt auch, aber wir
möchten gerne hinzufügen: „Noch gibt es das nicht.“
Vor vielen Jahren haben wir uns in ein Gebäude verliebt,
das die Menschen in Aubing gut kennen. Es ist das alte
GESCHICHTE BIOTOP
Heizkraftwerk nahe der Bergsonstraße. Wir haben es er-
worben und auch ihm den Namen des großen französi-
schen Philosophen gegeben. Exakt mit dem Erscheinen
dieses Magazins beginnen dort die Bauarbeiten, selbst-
16 40
verständlich mit dem gebotenen Respekt, den so ein
wundervolles Baudenkmal verdient.
Diese Ausgabe erzählt von der Geschichte des Heiz-
werks, von unserer Vision eines Kunstkraftwerks für
INSPIRATION NÄCHSTE
München mit Ausstellungen, Musikveranstaltungen, viel-
SCHRITTE fältigen Events, Biergarten und Restaurant. Fühlen Sie
sich jetzt schon herzlich eingeladen, wenn das Kunst-
kraftwerk Bergson im Jahr 2023 seine Tore öffnet.
CHRISTIAN UND MICHAEL AMBERGER
Geschäftsführer und Inhaber ALLGUTH GmbH
02
IM WESTEN IM
G WERDEN
„
U
Diese Geschichte erzähle ich gern: Zwei Brüder
entdecken im Vorbeifahren ein Architekturdenk-
mal im Münchner Westen. „Da müsste man was
draus machen“, ist ihr gemeinsamer Gedanke. Sie
R
kaufen das ehemalige Heizkraftwerk und wollen
wieder Energie hineinbringen. Für ihre Firmen-
zentrale wäre es ein guter Platz. Aber noch viel
besser wäre doch, dieses spektakuläre Industrie-
bauwerk öffentlich zugänglich zu machen. Ein
03
Kulturort soll entstehen, der die Menschen be-
geistert und die Mopsfledermaus nicht stört. Die-
ses seltene Geschöpf hat sich nämlich bereits ein-
quartiert. Bald werden andere Nachtschwärmer
dazukommen, wenn sich ein pulsierender Raum
für Kunst, Kultur und Events entwickelt hat.
S
Ich wünsche den Brüdern Amberger, dass ihre
Vision Wirklichkeit wird. Und ich zolle ihrem
privaten Engagement großen Respekt. Ohne öf-
fentliche Förderung realisieren sie das Bergson
Kunstkraftwerk. Möge es im Sinne seines Na-
mensgebers Henri Bergson für das Werden und
das Schöpfertum stehen.
ANTON BIEBL
KULTURREFERENT DER LANDESHAUPT-
STADT MÜNCHEN
S
S
04
G
E
C
H I
C T
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DIE UN-
VOLLENDETE
SCHÖNHEIT
Eine Reise durch Zeit und Räume
Von der ersten Linie auf einem Bauplan
bis zum feierlichen Eröffnungsakt im Jahr
2023 werden rund 100 Jahre vergangen
sein. Das Aubinger Heizkraftwerk, wie es
Geplant wird das Gebäude um 1920, das verrät
noch bei Wikipedia heißt und bald nur
seine Architektur, und der Verdacht liegt nahe,
noch als „Kunstkraftwerk Bergson“ in al- dass nicht unbedingt München der ursprüngli-
ler Munde sein wird, hat sich viel Zeit ge- che Standort sein sollte – zu wenig hat das Design
lassen, um zu erblühen. mit den Bauten der Stadt gemein. In München
GESCHICHTE
herrscht in den ausgehenden 1930er Jahren plötz-
Es wäre ein leichtes, diesen Text mit einem launi- lich Größenwahn. Hitlers Hybris, in seinem Fie-
07
gen Scherz über die Bahn zu beginnen, wo doch bertraum von einem tausendjährigen Reich das
die erste Verspätung von gut 20 Jahren auf ihr Land mit grotesken Monumentalbauten zu über-
Konto geht. Vielmehr aber ist den Erbauern Lob ziehen, wirft seinen Schatten auch auf München.
zu zollen, denn inmitten der tristen Gleis- und Der Hauptbahnhof soll niedergerissen werden,
„
Industrieanlagen, die es früher in Aubing gab, ha- dafür in Laim ein Giga-Bahnhof unter einer ge-
ben sie eine Schönheit hervorgebracht. Eine nie waltigen Kuppel entstehen.
vollendete Schönheit, denn, hier irrt Wikipedia,
es war in der kurzen belebten Zeit immer nur ein
Heizwerk – zum Bau der stromerzeugenden An-
lagen ist es nie gekommen.
Außen hui, innen
Wir haben drei
Wände. Alles
wartet viel Arbeit. Noch
ist das alte Heizwerk
eine leere Hülle – immer-
hin mit erstklassiger
Bausubstanz.
Die Jugend und der
andere müssen
Zahn der Zeit haben ihre
Spuren hinterlassen.
Die Fördermaschine
wir neu bauen.
transportierte einst Kohle
hinauf in die Silos, für (Christian Amberger)
den Menschen ging es
steil treppauf.
„
Die Kessel waren der
sinnstiftende Kern
des Heizwerks.
Jetzt bekommt es
DREI KESSEL BUNTES
einen neuen.
(Markus Stenger, Architekt) In diesen gigantischen Hochöfen wurde einst Fernwärme
produziert. Nach ihrer Stilllegung brachten die Sprayer
Farbe ins Kraftwerk und feierten illegale Partys. Ein Ofen
GESCHICHTE
sollte dem Ort erhalten bleiben und für sein neues Leben
als Kunstkraftwerk Bergson zur Bar umgebaut werden –
09
Steampunk-Design at its best! Doch der Blick ins Detail
führte zu einem ins Ofenrohr. Die Erbauer hatten bei den
Dämm- und Dichtstoffen nicht mit Asbest gespart. Ein
hochgefährliches Zeug, wie man heute weiß. Das Schick-
sal der Kessel war besiegelt. Während der Demontage
wurde die gesamte Halle versiegelt, damit kein Staub
nach außen dringen konnte, und die Arbeiter mussten
Schutzanzüge tragen. Immerhin: Einige der Graffitis blei-
ben der Nachwelt erhalten und werden konserviert.
„
MIT BRIEF UND ZIEGEL
„Ein charakteristisches Beispiel
Wir sind mutig,
unerschrocken und
für die Architekturauffassung in
Deutschland Mitte des 20. Jahr-
hunderts, die dem Industriebau
machen Dinge,
eine sachliche und funktionale Ar-
chitektursprache einräumt, dabei
aber trotzdem eine monumentale
die sich gut anfühlen.
Wirkung erzielt.“ So steht es in
der Begründung für den Denkmal-
schutz.
(Michael Amberger)
Lichtspiele unter
den Kohlesilos: Das
Aubinger Heizwerk ist gen ein. Das Gebäude wird zwar nicht getroffen,
GESCHICHTE
ein magischer Ort. Es
aber man hat dafür auch keine Verwendung mehr.
braucht nur ein wenig
Fantasie – und einen Es bleibt unvollendet.
11
Besen … Erst Mitte der 1950er Jahre geht der Ofen an: Die
Deutsche Bahn macht das Gebäude nutzbar und
beheizt von hier aus unter anderem ein Ausbesse-
rungswerk. Das Heizwerk, jetzt ausgestattet mit
Für die Übergangszeit sollen kleinere Ausweich- drei gigantischen Öfen, versieht über Jahrzehnte
bahnhöfe den Zugverkehr der Stadt schultern und seinen wärmenden Dienst, bis die Anlage als ver-
die wiederum benötigen Wärme und Strom. Ein altet gilt. Der Zug scheint abgefahren, ihr Besitzer
Heizkraftwerk muss her und zwar schnell. Sehr schließt die Tore, löscht das Licht – und kehrt nie
schnell. Für komplizierte Neuplanungen ist keine mehr zurück.
Zeit, also wirft man einen Blick in die Schublade – Ende der 1980er Jahre entdeckt die Münchner Ju-
und findet dort die 20 Jahre alten Pläne. gend den „Lost Place“ in Aubing. Erst kommen die
Das Budget ist üppig, erstklassiges Baumaterial Sprayer und verewigen sich an den Wänden, dann
gibt es in Fülle und so nimmt das Heizkraftwerk wird getanzt. Unter anderem Turntable-Legende
schnell seine groß dimensionierten Formen an. Monika Kruse heizt den Ravern zwischen den
Man baut mit dem besten Stahlbeton, den es gibt, Kesseln bei illegalen Techno-Partys ein. Im Lauf
verkleidet ihn mit einer repräsentativen Ziegel- der 1990er Jahre erkaltet die Szene und es wird
fassade und umgibt die Fenster und das Kranzge- wieder still um das Kraftwerk. Die Unvollendete
sims am Dach mit Nagelfluh. Es wirkt fremd und verfällt.
frisch, denn ein solches Design hat es weder zuvor
noch danach in München je gegeben. Doch schon
1942 versiegen die breiten Ströme aus Reichsmark
und Beton – der Krieg macht die großen Pläne
vom Münchner Weltbahnhof zunichte, alliierte
Bomberverbände ebnen die Aubinger Gleisanla-
Als die Brüder Amberger das Kraftwerk entdecken, zweites Mal. Das erhabene Innere hat mich sofort
ist außer der prachtvollen Fassade nicht mehr viel gepackt. Heute baut man eng und effektiv, ein
übrig. Dennoch ist es Liebe auf den ersten Blick, solches Raumgefühl ist schon lange nicht mehr
„für den man den Kopf in den Nacken legen muss, alltäglich.“
„
um die Decke zu sehen“, sagt Michael Amberger. Für die Brüder, Inhaber und Geschäftsführer des
„Ich bin dem Charme dieser Immobilie sofort er- Familienunternehmens Allguth, steht schnell
legen. Es ist ein Gefühl wie in einer Kathedrale, fest: Dieses Gebäude ist viel zu wertvoll, um es
man spürt unglaublich viel Kraft und Flair.“ Auch verfallen zu lassen. Sie kaufen es 2005 von der
Christian Amberger kann sich dem imposanten früheren Vivico, einem Unternehmen, das Bun-
Bau nicht entziehen: „Wären wir in London oder deseisenbahnvermögen verwertete. Es gibt auch
Berlin, wäre er vielleicht nichts Besonderes, aber schon einen Plan, um dem alten Heizwerk einen
so etwas gibt es in ganz Süddeutschland kein neuen Sinn zu stiften: „Es wäre ein wunderba-
Kulturell gilt der
rer, repräsentativer Firmensitz geworden.“ Wäre,
nicht wird – die Gemeinde Gräfelfing macht in-
mitten der hochfliegenden Pläne ein Angebot, das
Fern- und Nahwärme:
die Ambergers nicht ablehnen können. Sie stellt
den Kontakt her zu den Eigentümern der Grund- Münchner Westen
als vernachlässigt.
Die riesigen Öfen ver- stücke, auf denen sie eine Allguth Zentrale exakt
liehen der Halle einst
nach ihren Wünschen bauen können. Das Gebäu-
ein schweißtreibendes
Arbeitsklima von bis de versinkt wieder in seinen Dornröschenschlaf.
zu 40 Grad. Viele Ideen und Visionen umwehen seither die
Wir ändern das.
GESCHICHTE
Ruine, beispielsweise will man es einer Münch-
Früher Schaltzentrale,
heute Schrott, aber gute ner Brauerei als Sudhaus zur Verfügung stellen
Aussichten: Für sein oder den zeitweise heimatlosen Münchner Phil- (Christian Amberger)
neues Leben wird das harmonikern als Spielstätte. Die Gespräche für
riesige Gebäude mit
High End-Technologie
ausgestattet – inklusive
Fußbodenheizung.
HISTORIE: VOM HEIZWERK Nicht ganz dicht: Dem
Dach des alten Heizwerks
ZUM KULTURKRAFTWERK ist nicht mehr zu helfen.
Noch in diesem Jahr wird
ein neues aufgesetzt,
inklusive modernster
Klimatechnik.
diese Verwendung legen den Keim, der in der
Leidenschaft der Brüder Amberger für Malerei
und Musik seine Nahrung findet und aufgeht
– eine Kulturstätte muss aus dem Heizwerk ent-
stehen. Ein Kunstkraftwerk, das jedem, wirklich
jedem Münchner Bürger offensteht und ihn ein-
lädt, ein Ort der Begegnung und des kulturellen
Genusses.
UM 1920 1980ER JAHRE 2016 Zur selben Zeit demonstriert das Architekten-
Ein unbekannter Architekt Das längst stillgelegte Heiz- Allguth wird vom Referat für team „Stenger2“ eindrucksvoll an einem ähn-
entwirft die Pläne für das werk wird als „Lost Place“ Gesundheit und Umwelt sowie
lichen Gebäude, wie so etwas realisiert werden
GESCHICHTE
spätere Aubinger Heizkraft- von der Münchner Jugend dem Landesbund für Vogel-
kann. Es transformiert das alte Heizkraftwerk in
werk. als Location für Techno-Par- schutz für das Engagement
tys entdeckt. zum Schutz der mittlerweile der Münchner Drygalski Allee zu einem Ort der
1937 im Keller heimischen Mops- Vielfalt. Heute beherbergt es Büros, Wohnungen,
Die Reichsbahndirektion 2005 fledermaus ausgezeichnet. Gastronomie und ein Einrichtungshaus. Archi-
München beschließt den Das Münchner Familienunter- tekt Markus Stenger erweist sich als perfekter
Bau als Teil des Projektes nehmen Allguth erwirbt das 2017 Komplize, mit dem das Bergson, wie das alte
„Münchner Ost-West-Achse“. Gebäude mit 20.000 Qua- Vorübergehende Nutzung
Heizwerk von jetzt an heißt, wachgeküsst werden
dratmetern Grund. als Kulturstätte durch den
soll. Allerdings stehen Architekt und Bauherren
AB 1940 Musiktheatermacher Mathis
Der Bau entsteht als Zusam- 2007 Nitschke und den Bayeri- zunächst ohne Plan da: „Wir haben eine breit an- So muss ein Vermessungsteam vor Ort mühevoll
menspiel von Stahlbe- Das ehemalige Heizkraftwerk schen Rundfunk. gelegte Recherche gestartet – waren im Bahn- triangulieren, auf dem Dach balancieren, die Kel-
ton-Tragstruktur, Industrie- wird unter Denkmalschutz archiv in Nürnberg, im zentralen Bahnarchiv in ler durchwaten, Laserstrahlen verschießen und
ziegeln und klassizistischen gestellt. 2019 Berlin, haben ganz München durchstöbert – und den Zollstock entfalten, bis das Bergson all seine
Elementen. Erste Umbauarbeiten: Die
nichts gefunden,“ berichtet Markus Stenger. „Die Dimensionen preisgibt und in den Computern
2015 alten Hochöfen werden ab-
historischen Pläne des Bergson vergilben entwe- der Architekten alle Visionen der Brüder Amber-
1942 Das renommierte Architek- getragen, das Biotop ent-
steht. der in unerreichbaren Archivtiefen oder sind in ger simuliert werden können. Jetzt nimmt die Ge-
Der Krieg bringt das erst turbüro Stenger2 wird mit
zur Hälfte vollendete Bau- dem Umbau des ehemaligen den Kriegswirren verloren gegangen. Wir wer- schichte des alten Heizwerks unaufhaltsam Fahrt
vorhaben zum Erliegen. Es Heizkraftwerks betraut. 2021 den nie erfahren, wer sich diese Schönheit aus- auf, die Neuinterpretation des seit 2007 geschütz-
existiert lediglich der heute Aufnahme des Baus zu einer gedacht hat.“ ten Industriedenkmals als Kulturstätte beginnt:
bekannte Kubus. multifunktionalen Stätte für Im Mai 2020 halten die Bauherren sämtliche Ge-
Kultur, Gastronomie und
nehmigungen in den Händen – fast ein Jahr spä-
UM 1955 Events.
ter beginnen die Bauarbeiten endlich.
Das Heizwerk wird durch
einfache Baumaßnahmen 2023 Von heute an sind es noch gut zwei Jahre und die
der Deutschen Bahn nutzbar ERÖFFNUNG DES KUNST- dann 100-Jährige ist die Vollendete.
gemacht. KRAFTWERKS BERGSON.
16
I KUNST UND TRIEBE
N S Namenspatron Henri-Louis Bergson
Vernunft ist nicht alles, fand Henri-Louis
Bergson, denn zum menschlichen We-
und Dynamik besiegen Ratio und Materialismus.
Und nun entsteht ein Ort, der Kunst und Kultur
für alle Sinne anbietet. Hier unterstellen wir dem
sen gehört es, schöpferisch zu sein.
Philosophen ein wohlwollendes Lächeln, denn
Einen besseren Namenspatron als den
diese Transformation dürfte ganz nach seinem
großen Philosophen können sich die
P
Geschmack sein. Instinkt, Intuition und Triebe
Künstler, die bald das „Bergson“ mit Le- sind, so Bergson, wesentliche Teile eines umfas-
ben und Leidenschaft erfüllen werden, senden Lebens. Bergsons Gedanken über Raum
kaum wünschen.
I
und Zeit, das Lachen und den Lebensschwung
„
(„élan vital“) harmonieren perfekt mit der Ge-
Gemeinsam mit Nietzsche zählt Henri-Louis Berg- schichte des „Bergson“ – und sind eine ausge-
son zu den Schöpfern der „Lebensphilosophie“, er zeichnete Inspiration für seine Zukunft.
erhielt den Nobelpreis für Literatur und wurde mit
höchsten Ehren ausgezeichnet. Ein Platz im Her-
zen von Paris trägt seinen Namen. Hätte es Berg-
son auch gefallen, Namenspatron für ein Heizwerk
17
zu sein? Wohl kaum, obwohl er der Technologie
R
Neue Ideen sind
und den Naturwissenschaften durchaus zugetan
war. Der Philosoph fand sie jedoch störend beim
T
Unterfangen, das Lebendige freizusetzen.
Als Namenspatron wohler gefühlt hätte sich
meistens die
A
Bergson in den 1980er Jahren, als der Industrie-
bau längst ein „Lost Place“ geworden war, eine
Leinwand für die Sprayer und Location für ille-
gale Raves. Die pralle Lebensfreude zwischen den
Kinder alter Ge-
erkalteten Kesseln war, als hätte man seine Phi-
losophie auf einer Bühne inszeniert: Kreativität danken.
O N
LEBEN AUSZEICHNUNGEN HALTUNG
Henri-Louis Bergson wurde am 18. Bergson erhielt 1927 den Litera- Als das französische Vichy-Re-
Oktober 1859 in Paris geboren, turnobelpreis für seine Haupt- gime die antisemitische Doktrin
wo er überwiegend bis zu seinem werke „Le Rire“ (Das Lachen) Nazideutschlands übernahm und
Tod am 4. Januar 1941 lebte. Hier und „L’Évolution créatrice“ (Die ab 1940 Juden per Gesetz diskri-
I
hatte er auch den Lehrstuhl für schöpferische Entwicklung). Er minierte, ließ sich Bergson – zuvor
Philosophie inne. Sein Vater war war u.a. Offizier der Ehrenlegion, noch ein glühender Patriot Frank-
der jüdische Komponist Michael Ehrendoktor der Universität Cam- reichs – demonstrativ als Jude
Bergson, seine Mutter entstamm- bridge und Mitglied der American eintragen und gab alle Ehrungen,
te einer irisch-jüdischen Familie. Academy of Arts and Sciences. Mitgliedschaften und Titel zurück.18
A KUNST UND
U S KÖNNEN
Münchens neuer Kultur-Hotspot
Beinahe 15 Jahre haben sich die Käufer
der an ein Spaßbad für Fledermäuse erinnert (was
er auch ist). „Wir schlafen ganz hervorragend und
ohne Sorge“, lacht Michael Amberger, „denn wir
sind als Unternehmen völlig unabhängig und ha-
ben auch keine Förderungen in Anspruch genom-
men, die uns zum schnellen Handeln gezwungen
hätten.“ Druck verspürten die Brüder Amber-
B
des ehemaligen Aubinger Heizkraftwerks
ger auch nicht, nachdem sie die Pläne, hier ihre
für die Entscheidung gegönnt, was aus Firma Allguth anzusiedeln, fallen ließen, wie
dem Bau und den 20.000 Quadratme- Christian Amberger ergänzt: „Es war ein Kauf aus
I
tern Grund außen herum werden soll. dem Bauch heraus, aus Leidenschaft. Natürlich
hing ein großes Preisschild daran und der Erhalt
Die Frage liegt nahe: Ob man als Eigentümer ist auch nicht ohne, aber Hand aufs Herz: Ein
noch gut schläft, wenn die Immobilie im Wesent- mörderisches Risiko ist es nun wirklich nicht, in
lichen nur aus drei intakten Wänden besteht,
L
unter Denkmalschutz steht und einen Keller hat,
C
K
Edas begnadeten Solisten und großen Orchestern
eine außergewöhnliche Spielstätte bietet. Michael
Ambergers Affinität für zeitgenössische Malerei
und sein Interesse am Kunstmarkt ließen eine
Galerie vor seinem inneren Auge entstehen. Eine
Event-Location inmitten von plastischen Kunst-
werken und Gemälden, die man kaufen kann, sin-
nierte Christian Amberger, die mögliche Gegenfi-
nanzierung im Blick. Plötzlich lagen Ideen auf dem
Tisch, die alle zündeten. Ein Konzertsaal. Ein Jazz-
club. Eine Galerie. Ein Restaurant. Ein Biergarten.
„
Events im Industrial-Look. Was soll es werden?
München eine Immobilie zu erwerben. Wir woll-
ten immer das Richtige damit tun, etwas, das un-
serer Liebe auf den ersten Blick dafür entspricht.“ Wir wollen die
AUSBLICKE
Der riesige kubische Bau lässt tatsächlich Raum
für zahllose Ideen. Die kamen und gingen, man-
Menschen zur
21
che wurden berechnet, mit potentiellen Partnern
Kunst bringen.
weit entwickelt und dann doch wieder verworfen.
„Bei allen, auch den wirtschaftlich wirklich hoch-
interessanten Möglichkeiten hat immer etwas ge-
fehlt. Der Funke sprang nicht über“, erzählt Mi-
chael Amberger. „Es ist so: Mein Bruder und ich
Und die Kunst zu
den Menschen.
treffen sämtliche Entscheidungen gemeinsam.
Nur, wenn wir beide damit glücklich sind, wird
etwas gemacht. Das gibt uns Sicherheit und kei-
ner von uns muss jemals eine unternehmerische
(Michael Amberger)
Last alleine tragen. Wir haben entschieden, dass
wir hier geduldig sein wollen, bis die eine Idee
kommt, für die wir brennen.“
In der Ruhe lag das Kraftwerk – und sorgte dann
selbst für den nötigen Funken: 2017 bespielte der Funktionales Indus-
Münchner Musiktheatermacher Mathis Nitschke triedesign gepaart mit
das Gebäude mit seiner “Mixed-Reality-Tech- klassischen Elementen:
Die Simulation der
no-Oper“ Maya. Es war ein fünf Tage währendes
Architekten zeigt, wie die
Event mit überwältigendem Erfolg. Wenig später schon in den 1920ern ge-
verlegte das Bayerische Fernsehen für einen Bei- plante Schönheit im Jahr
trag zum Faustjahr Szenen aus Faust II in die 2023 neu erstrahlen wird.
Hallen. „Wir machen eine Kulturstätte daraus“, be-
Der „Block“ aus Bar und
schlossen die Brüder und Visionen entfalteten sich: Restaurant erinnert an
Das Heizwerk könnte zum Konzerthaus werden, die mächtigen Heizkes-
sel, die einst den Raum
dominierten.„ Diese Event- Location wird in München einzigartig sein. (Christian Amberger)
PLANUNG
AUSBLICKE
25
ATRIUM
FLÄCHE: 567 m²
Michael und Christian Amberger standen vor ei- Das macht uns stolz. Hinzu kommt, dass wir vom ANIMA
ner Entscheidung – und trafen sie nicht. Planen und Bauen wirklich etwas verstehen.“ FLÄCHE: 223 m²
2023
„Wir machen einfach alles davon“, lautete der ein- Mit Markus Stenger und seinem Team stießen Ar- Fertigstellung des
hellige Beschluss. Einfach? „Nun, ein Spaziergang chitekten hinzu, zu deren Stärke der Umgang mit SALON
Interior, feierliche
FLÄCHE: 231 m²
wird das sicher nicht“, lächelt Christian Amber- denkmalgeschützten Immobilien zählt. „Ich wür- Eröffnung
ger. „Aber wer die DNA von Allguth kennt, weiß, de Stenger2 jederzeit einen Neubau anvertrauen,
BEL ÉTAGE
dass wir ein einmal gefasstes Ziel nie mehr aus aber beim Bau im Bestand haben sie eine nahe- FLÄCHE: 670 m²
den Augen lassen. Wir sind zwar nur ein kleiner zu konkurrenzlose Expertise“, betont Michael
Player in der großen Mineralölbranche, aber der Amberger. „Wir sind froh, dass wir sie für unser SILO
2022
bunte Hund darin, auf den alle schauen. Wenn Projekt gewinnen konnten.“ Markus Stenger kam, Arbeiten im Außen- FLÄCHE: 197 m²
wir etwas eröffnen, dann reisen die Eni aus Rom sah und war überwältigt. „In diesem Kraftwerk zu bereich, Einbau
und die Total aus Paris an, um sich das anzusehen. stehen, war ein Erweckungserlebnis, das ich schon der Technik RESTAURANT
einmal hatte. Im Pantheon im Rom. Dort, wo im FLÄCHE: 208 m²
Bergson die Decke beginnt, beginnt im Pantheon
Die Flexibilität der die Wölbung. Es ist der gleiche Effekt, man muss
Bel Étage im Bergson den Kopf heben, um an die Decke zu schauen. Da-
wird sogar Gala-Diners 2021
mit ist ein Maßstab in den Ring geworfen, auf den Erneuerung des
möglich machen. Die
ehemaligen Silos (links man reagieren muss. Das ist extrem spannend.“ Daches, Einsetzen
oben im Bild) werden Wie ist das so, mit dem „bunten Hund der Mine- der Fenster
Kunstausstellungen be-
heimaten.„
Wir haben ein
Entspannte Eleganz:
Im lichtdurchfluteten
Atrium werden Besucher
hyperflexibles
Raumkonzept
unter anderem eine Bar
und ein Restaurant ge-
nießen können.
Die einstigen Kohle-
silos bleiben erhalten.
Der Mix aus Industrial
entwickelt.
Design und urbanem
Style verleihen dem Berg-
(Markus Stenger, Architekt)
son seine einzigartige
Atmosphäre.
AUSBLICKE
rausfinden müssen, was aus der Künstlerin oder
27
dem Künstler geworden sein mag, sondern wer-
den, wenn sie das wünschen, auf dem Laufenden
ralölbranche“ ein Kunstkraftwerk aus den Ruinen gehalten und bekommen Gelegenheit, sie persön-
zu heben? Architekt Stenger antwortet nach Art lich kennenzulernen. „In unserer Branche sind
der Philosophen: „Es gibt die beiden Konzepte, wir vielen disruptiven Kräften ausgesetzt und
nach denen sich die Menschheit unterteilt: Grie- müssen uns ständig in Frage stellen. Der Kunst-
chen und Römer. Die, die unbeirrt am Konzept handel dagegen jammert, aber verharrt auf einem
festhalten und jene, die der Empirie folgen. Ich Niveau, das immer niedriger wird. Dabei kann es
würde uns von Stenger2 den Empirikern zuord- doch nicht so schwer sein, Menschen zur Kunst
nen. Wir schauen, was da ist und arbeiten vom zu bringen. Wir wollen Alternativen aufzeigen“,
Bestand, der in diesem Fall gigantisch ist, aus wei- so Michael Amberger.
ter. Je tiefer man vordringt, umso mehr Informati- Das Bergson wird auch Bereiche bieten, die für
onen, Möglichkeiten und Aufgaben kommen zum Events gebucht werden können. „Hier setzen wir
Vorschein. Unsere Bauherren sind ganz genauso aber nicht auf Großveranstaltungen und mächti-
– die Herren Amberger sind grandiose Empiriker.“ ge Kongresse“, erklärt Christian Amberger. „Wir
Mit der Galerie wünschen sich die Ambergers bezeichnen unser Konzept als ‚Event-Boutique‘ –
nichts weniger, als den verkrusteten Kunstmarkt wer uns bucht, kann sich mit seinen Mitarbeitern
ein wenig aufzumischen: Sie wollen zeitgenös- und Gästen von einer wirklich außergewöhnli-
sischen Künstlern mehr als nur alle Jubeljahre chen Location inspirieren lassen.“
einmal eine Ausstellung widmen. Wer ein Kunst- Musikfreunde steigen in den Jazzkeller hinunter,
werk, ob an der Wand oder im Raum, nicht nur ge-
nießen, sondern erwerben möchte, erfährt sofort
den Preis und nicht erst auf peinliche, hemmende
Nachfrage. Danach sollen Käufer nicht selbst he-„
Komme wegen der
einen Sache und
bleibe wegen einer
anderen. Das ist
die Devise.
der nicht nur die namengebende Stilrichtung bie- einer anderen. Und dann komme immer wieder.
ten wird. „Hier wird live gespielt, wir wollen ein Das ist die Devise.“ Einen begeisterten Mitstreiter
(Michael Amberger)
breites Spektrum bieten und es wird natürlich haben die Ambergers in Thomas E. Bauer gefun-
auch Kabarett und Comedy-Programme geben“, den. Er hat sich nicht nur stimmgewaltig als Bari-
AUSBLICKE
verrät Christian Amberger. „Ganz wichtig war uns ton einen Namen gemacht, sondern ist auch Ini-
bei der Planung, großzügige Räumlichkeiten zu be- tiator und Intendant des Konzerthauses Blaibach,
29
kommen. Das Publikum wird bei uns nicht, wie in das dank seines Könnens und Gespürs große
den einschlägigen Musik- und Kleinbühnen üblich, Strahlkraft entfaltet. Welchen Kultur-Wunsch
Hüftknochen an Hüftknochen sitzen müssen.“ würden sich die Brüder zum Tag der Eröffnung
In einem uralten Stadtplan steckt noch mehr gerne selbst erfüllen? Michael Amberger zögert
Musik: Darauf ist das Heizwerk doppelt so groß keine Sekunde: „Eine Installation und Show des
eingezeichnet, als es je gebaut wurde – nicht als Berliner Licht-Künstlers Christopher Bauder.“
der Quader, wie wir es kennen, sondern als lang- Christian Amberger setzt auf die Kraft der Klassik:
gezogenes Rechteck. Dies verrät, warum nur drei „Ich hätte gerne das Sinfonieorchester des Bayeri-
Wände die aufwändige Ziegel- und Nagelfluh- schen Rundfunks zu Gast. Am Dirigentenpult na-
Fassade erhalten haben und die vierte nicht. „Man türlich Sir Simon Rattle.“ Keine Frage, dass man an
muss sich die rückwärtige Wand wie eine Spie- diesem Abend auch die Wettbewerber aus Rom,
gelachse vorstellen, hinter der ein weiterer, mög- Paris und London im Publikum entdecken kann,
licherweise identischer Bau entstehen sollte“, er- die man herzlich willkommen heißt.
klärt Markus Stenger. „Vermutlich war dieser für
die Generatoren und Transformatoren gedacht,
die das Heizwerk dann wirklich zu einem Heiz-
kraftwerk gemacht hätten. Tatsächlich haben wir
Heiße Live-Musik &
die Reste eines entsprechenden Fundamentes ge-
coole Drinks: Nacht-
funden.“ Wetten, dass sich die Brüder Amberger schwärmer dürfen sich
darauf ausruhen werden, sollte man nicht. auf den Jazzkeller im
Das kulturelle Leben im Kunstkraftwerk Bergson, Bergson freuen.
wie es ab 2023 sein soll, bringt Michael Amberger
Ein Raumgefühl wie in
so auf den Punkt: „Es wird ein Haus für alle Sinne. einer Kathedrale, aber
Komme wegen der einen Sache, bleibe wegen mit erheblich besser
sortierter Bar: Blick ins
Atrium des Bergson.E
30
„DIE STADT WIRD DAS
G S BERGSON LIEBEN“
Markus Stenger im Gespräch
Das Architekturbüro Stenger2 hat der Monokultur den
Kampf angesagt und will München mit Polyzentren über-
ziehen – Stadtbausteine der Begegnung, die mehr als
nur einem Zweck dienen. Diese Philosophie passt per-
fekt zur Vision der Bergson Eigentümer. Ein Gespräch
über die Vergangenheit des Heizwerks und die Zukunft
P
des Kunstkraftwerks.
Herr Stenger, was macht einen Scheidepunkt im Archi- ursprünglichen Pläne ja vor,
das Bergson aus Sicht des tekturdesign dar, der konzep- dieses Gebäude anderswo zu
Architekten so interessant? tuell in den 1920er Jahren an- bauen, etwa in Berlin oder im
Ä
31
Diese Strukturen entstammen zusiedeln ist. norddeutschen Raum.
einer Zeit, wo Moderne und
Historismus ganz nah beiein- Diese Architektur ist in Ihre Planung musste sowohl
ander liegen. Würde man die München einzigartig. Wie den Denkmalschutz als
Ziegelfassade wie eine Haut ab- kommt das? Anfang der auch die spätere Nutzung
R
ziehen, käme dahinter ein mo- 1940er Jahre gab es bekannt- als Ort für Kunst und Kultur
derner Stahlbetonskelett-Bau lich megalomane Pläne, den auf höchstem technischen
zum Vorschein. Das Bergson Hauptbahnhof niederzureißen Niveau berücksichtigen. Die
bietet geradezu klassische Ele- und in Form eines riesigen Quadratur des Kreises? Bis
mente der Antike, dazu prä- Kugelgewölbes nach Laim zu in die 1980er Jahre war es durch
moderne, vertikale Bandfenster verlegen. Dort sollte ein neu- das noch junge Denkmal-
und im Verborgenen eine reine er Gigabahnhof entstehen. schutzgesetz eher notwendig,
Industriearchitektur. Es stellt Dieses Heizwerk, das heutige Gebäude wie ein Museums-Ex-
Bergson, sollte einen der vielen ponat zu erhalten, man kon-
Ausweichbahnhöfe während servierte. Das ist heute anders.
C
der Umbauphase versorgen. Gute Vorschläge, die ein denk-
Es musste schnell gehen, also malgeschütztes Gebäude mit
wurden bereits fertige Kon- Leben und Sinn erfüllen, wer-
H
„Wir setzen auf ein zepte aus der Schublade gezo- den jetzt gerne und durchaus
hyperflexibles Raum- gen. Möglicherweise sahen die kreativ unterstützt. Ich habe
konzept“. Architekt
Markus Stenger und
seine Partner zeichnen
für die Pläne des Berg-
son verantwortlich.„ Das Bergson verbindet
klassische Elemente mit
am Tag mit Leben gefüllt ist,
obwohl sie in den anderen 23
Ihr Wunsch für den Eröff-
nungsabend? Bloß kein Er-
Ich zähle am Industriearchitektur.
Architekt Markus Stenger
setzt auch im Inneren
Stunden für alle möglichen Be-
gegnungen wunderbare Räume
öffnungsabend! Ein ganzer Er-
öffnungstag muss es sein. Es
Bestand nicht
auf Patina und lässt die bieten könnte. Hinsichtlich muss am Morgen beginnen und
Subkultur aufblitzen, die der Nutzungen auf jeweils nur über den Tag hinweg bis tief in
einst hier feierte.
ein Pferd zu setzen geht schon Nacht gehen. Ein offenes Haus,
die Mängel auf, seit Jahrzehnten in die falsche
Richtung. Was wir in unseren
in dem es auf jeder Fläche
brummt. 24 Stunden Halligalli
sondern sehe
Städten dagegen brauchen, ist und Kraft, das wünsche ich mir.
eine Vielzahl vitaler, heterogen
entwickelter Unterzentren. So
das Potenzial. eines kann und soll das Berg-
son werden. Die Stadt wird es
lieben.
(Markus Stenger)
GESPRÄCH
nie ein kategorisches Nein er- Die Graffitis werden teilweise FAKTEN
lebt, sondern vielmehr harmo- auch noch sichtbar und kon-
nische, für beide Seiten nutz- serviert sein, aber sicherlich
bringende Gespräche. So war nicht alle. Nicht jeder Griff zur
es auch, als wir das Konzept für Spraydose hat auch erhaltens- Stenger2 beschäftigt sich seit
das Bergson vorgelegt haben. werte Kunst produziert, um es 2003 mit nachhaltigem Neu- und
Umbau von Gebäuden in Mün-
vorsichtig zu formulieren. Aber
chen. Dazu zählen die Revitali-
Was wird nach Fertigstel- die temporäre Inbesitznahme
sierung des ehemaligen Heiz-
lung vom historischen Bau- durch die Subkultur wird und kraftwerks in Obersendling, die
körper und der wechsel- muss schon aufblitzen. Umnutzung des Kesselhauses in
vollen Geschichte noch zu Freiham und das urbane Quartier
sehen sein? Sie erleben zu- Wo sehen Sie die Rolle des an der Tölzer Straße. Das Team
besteht aus den Partnern Annet-
nächst ein nahezu unangetas- Bergson im Münchner Stadt-
te und Markus Stenger und Jörg
tetes Bild der Außenoberfläche. leben? Ich engagiere mich
Siegert und zwölf Mitarbeitern.
Auch im Gebäude finden Sie leidenschaftlich dafür, das lei-
die ursprüngliche Grundstruk- dige Thema monofunktionaler
tur – einschließlich der pati- Bauten aus unseren Städten
nierten Oberflächen. Wir bau- herauszubekommen. Die Kraft
en also keineswegs ein schickes und Ausschließlichkeit, die das
Loft hinein, man soll das Alter Stadtzentrum im Mittelalter
ruhig sehen und fühlen dürfen. hatte, ist einfach überholt – wir
sehen ja, was die Pandemie in
der Fußgängerzone anrichtet.
Oder die Monofunktion einer
Kirche, die nur eine StundeDER EXPERTE Betrieb waren, hat die hohe Innentemperatur von „Ein Neubau, der er in
einer denkmalgeschütz-
40 Grad den Job erledigt. ten Hülle stattfindet.
FÜRS PRIMA
Es ist die mit Abstand
Wie haben Sie das Problem ohne Kessel ge- komplizierteste Aufgabe,
an die ich mich je heran-
löst? Wir gaukeln den Fenstern vor, es sei alles
KLIMA
gewagt habe.“ Ingenieur
wie früher: Eine Heizung darüber wird sie gleich- Karl-Heinz Mayer be-
mäßig beströmen. Das ist schon anspruchsvoll, gegnet der Herausforde-
aber es wird funktionieren. rung mit Herzblut und
Erfindungsreichtum.
Karl-Heinz Mayer im Gespräch
Macht so ein Projekt Spaß? Einen Riesenspaß
sogar, auch wenn mir die Ausführung sicher alles
abverlangen wird. Für die Bauherren ist das Berg-
Auch ein Denkmal will modern versorgt son eine Herzensangelegenheit und wenn ich
sein. Ingenieur Karl-Heinz Mayer stattet ehrlich bin, für mich auch. Ich bin mit Herzblut Wann beginnt für Sie die heiße Phase? Ge-
das Bergson vom Keller bis zum Dach mit dabei und das wird sozusagen mein Meisterstück. gen Ende dieses Jahres legen wir los. Sobald das
Haus abgedichtet ist, beginnen wir damit, den
High End-Technologie aus, die niemand
Was bereitet Ihnen am meisten Genuss? Ich Keller leerzupumpen. Hier bauen wir dann den
sehen soll. Um das zu erreichen, ist seine
kann in Technik schwelgen. In der Kunstausstel- Maschinenraum ein.
gesamte Erfahrung aus 40 Jahren am Bau lung bauen wir beispielsweise eine Vollklimaan-
gefragt. lage ein – das ist High End-Technologie, die das Dort unten lebt auch die Mopsfledermaus,
ganze Jahr über eine gleichbleibende Temperatur die sich im Bergson eingerichtet hat. Sind
GESPRÄCH
Herr Mayer, welche Versorgungsbereiche und Luftfeuchtigkeit garantiert und die kostbaren Sie ihr schon begegnet? Nicht persönlich, sie
decken Sie im Bergson ab? Wir kümmern uns Werke schützt. hat ja ihren eigenen Bereich bekommen. Aber ihr
35
bei diesem Gebäude um die Wasserversorgung, Einflugtunnel bringt uns ins Schwitzen, weil er
„
die Abwasserentsorgung, die Heiz- und Klima- sich mit unseren Rohren kreuzt. Wir werden also
technik, die Lüftungstechnik für sämtliche Be- etwas tiefer graben müssen. Aber sie kann auf uns
reiche – alles, was in Rohren hin- und herbewegt bar zu verlegen. Unsere Technik will ja keiner se- anstoßen, denn auch ihre Tränke wird von uns
wird, geht auf unser Konto. Auch die Parkplatz- hen, wenn das Haus fertig ist. Niemand möchte in versorgt.
und Dachentwässerung gehört zu unseren Auf- einer Kunstausstellung ein Abwasserrohr betrach-
gaben. ten müssen.
Wo ordnen Sie ein Projekt dieser Größe ein? Wie beheizt man ein 25 Meter hohes, innen
Es ist weniger eine Frage der Dimensionen, son- offenes Gebäude? In der Bodenfläche und auf
dern vielmehr die Kombination aus Alt und Neu:
Für uns ist das Bergson eigentlich ein Neubau mit
den Emporen bauen wir eine Fußbodenheizung
ein, die eine gewisse Grundwärme erzeugen wird.
Ich kann in
Technik schwel-
der Herausforderung, dass er in einer denkmalge- Auf dem Dach werden Lüftungsanlagen instal-
schützten Hülle stattfindet. Es ist die mit Abstand liert, die über kräftige Düsen im Winter zuheizen
komplizierteste Aufgabe, an die ich mich je heran- und im Sommer kühlen. Die Kunst dabei ist tat-
gewagt habe. sächlich, die große Innenhöhe zu überlisten.
gen. Das Bergson
wird mein
Was macht die Arbeit am Bergson so kom- Wie wirkt sich der Aspekt Denkmalschutz
pliziert? Wir haben beispielsweise keine Zwi- auf Ihre Aufgabe aus? Mich betreffen die rie-
schengeschosse, deren Böden beziehungsweise sigen Fenster mit der Einfassung aus Naturstein.
Decken man nutzen könnte, um Rohre unsicht- Die bleiben im Urzustand, aber sie bekommen
natürlich eine Isolierverglasung. Es besteht aber Meisterstück.
Gefahr, dass die kostbaren Rahmen im Winter
anlaufen und leiden. Als die alten Kessel noch in (Karl-Heinz Mayer)„Wir haben geplant und
ausgetüftelt, was man
nur austüfteln kann. Jetzt
soll es losgehen.“ Karl
Petermichl, Leiter Planen
und Bauen bei Allguth,
im Bergson.
Herr Petermichl, welche Er-
fahrung bringen Sie für das
„Projekt Bergson“ mit? Ich
bin vor 16 Jahren zu Allguth ge-
kommen. Zuvor hatte ich fast
15 Jahre lang für das Unterneh-
men von außerhalb schlüssel-
fertige Bauten erstellt. Heute
bin ich für rund 50 Gebäude zu-
ständig, die das Unternehmen
betreut – Neubau, Instandhal-
tung, Umbau, Renovierungen.
An mangelnder Erfahrung soll
es nicht scheitern. ten, einschließlich den Heraus- Vision dieser Größenordnung
forderungen bei Denkmal- und auch in Angriff zu nehmen. Die
Was haben Sie bei Ihrem Naturschutz. Ich betrachte Herren Amberger bringen die-
GESPRÄCH
ersten Besuch im Bergson diese Aufgabe als wunderbaren sen Mut auf.
vorgefunden? Der bautechni- Abschluss meiner beruflichen
37
sche Standpunkt ist sicherlich Laufbahn. Wie ist der Stand der Dinge?
ernüchternd: Drei brauchba- Wir haben das Jahr 2020 ge-
re Außenwände, ein undich- Worauf kommt es bei einem nutzt – nachdem alle Geneh-
tes Dach und ein überfluteter Bauprojekt dieser Größen- migungen vorlagen – um die
Keller. Ästhetisch betrachtet ordnung an? Alles, was Freu- Baustelle vorzubereiten. Bei-
ist es jedoch ein Gebäude mit de machen oder Sorgen berei- spielsweise musste der alte Ka-
„DAS BERGSON herausragenden Proportionen,
errichtet in einem Stil, den
ten kann, muss in der Planung
berücksichtigt werden. „Das ist
min abgetragen und die gesam-
te Technik einschließlich der
LÄSST MEIN HERZ HÖHER
man in München kein zweites jetzt aber eine Überraschung“ gewaltigen Heizöfen abgebaut
Mal findet. Ein Juwel, das man ist ein Satz, den ich auf der und entsorgt werden. Mit Blick
nicht verfallen lassen darf. Wir Baustelle nur sehr ungern höre. auf eine fachgerechte Asbest-
SCHLAGEN“ schützen es, indem wir es neu
aufbauen, natürlich in stän-
diger Abstimmung mit dem
Wir brauchen ein großes Team,
das unseren Enthusiasmus für
das Projekt teilt und das haben
entsorgung waren das keine
trivialen Arbeiten. Nun können
wir kaum das Frühjahr und den
Karl Petermichl im Gespräch Denkmalamt. wir gefunden – für jeden Be- Baustart erwarten – wir sind so-
reich, vom Keller bis zum Dach. weit, jetzt kann es losgehen!
Das Bergson ist Ihr letztes Vor allem aber brauchen Sie
Projekt. Hätten Sie es sich Bauherren mit Leidenschaft, Wo findet man Sie am Tag
Alle Fäden des „Projekt Bergson“ laufen fing entstehen. Bis zur Fertigstellung des vor dem Ruhestand nicht einer Vision und dem Mut, eine der Eröffnung? Ich habe ein
bei Karl Petermichl zusammen. Der Lei- Kulturkraftwerks koordiniert er ein Team, eine Nummer kleiner ge- Faible für Malerei und freue
ter Planen und Bauen bei Allguth ließ das sich aus rund zwei Dutzend Berufen wünscht? Auf keinen Fall. mich auf den Moment, wenn
Alles, wirklich alles, was einem die ersten Bilder hängen. Da-
unter anderem imposante Tankstellen- zusammensetzt. Ein Gespräch über die
Baumenschen das Herz höher nach finden Sie mich wahr-
anlagen und den Firmensitz in Gräfel- Kunst, zu bauen.
schlagen lässt, wird hier gebo- scheinlich im Jazzkeller.38
O
B
Noch nie zuvor war in
München ein Winter-
quartier von der Mops-
I
fledermaus bekannt
– bis jetzt: Sie nutzt das
Bergson für den langen FAKTEN
Schlaf.
Man kennt sich. In
T
trauter Einigkeit tum-
Lateinisch: Barbastella barbastel-
meln sich hier auch die
lus. Der Name Mopsfledermaus
Zwergfledermaus (links)
und Zweifarbenfleder- bezieht sich auf ihre unverwech-
maus (rechts). selbare mopsartige Schnauze. Das
nachtaktive Tier kann eine Größe
bis zu 5,8 Zentimeter mit einer
Spannweite bis 29 Zentimeter er-
reichen. Ihr Höchstgewicht liegt
bei ca. 13 Gramm, sie kann bis zu
O
22 Jahre alt werden.
P
die Fledermaus selbst“, lobt Schwahn. Er siedelte
39
außerdem Schmetterlingsarten an, die den Fleder-
mäusen als Jagdbeute dienen können.
Die Mopsfledermaus darf sich neben dem Schmet-
terlings-Buffet über eine private Suite inklusive
Bar und Diskothek freuen. „Ihr großzügiges Kel-
KLEINE SENSATION lerabteil erlaubt zur Paarungszeit sogar Verfol-
gungsflüge“, erklärt Matthias Schwahn. „Das ist
die Fledermaus-Disco, der Sound spielt sich al-
Die Mopsfledermaus lerdings im Ultraschallbereich ab.“ In den Boden
eingelassen wurde zudem ein Wasserbecken mit
über fünf Metern Länge, das den Tieren als Tränke
und Luftbefeuchter dient.
Seit Jahrzehnten galt die Mopsfledermaus tes Bleiberecht. „Es wäre widersinnig, mit dem Allguth wurde vom Referat für Gesundheit und
in München als ausgestorben. Umso grö- Bergson für Denkmalpflege und kulturelle Viel- Umwelt sowie dem Landesbund für Vogelschutz
ßer die Überraschung, als der Keller des falt einzutreten, aber den Naturschutz zu ver- für das besondere Engagement zum Schutz der
nachlässigen“, erklärt Christian Amberger und Mopsfledermaus ausgezeichnet.
Bergson gleich ein ganzes Quartett der
sein Bruder Michael ergänzt: „Wir sind im Um- Bleibt die Frage, ob die Münchner die seltene
seltenen Art offenbarte. Der Winzling ver-
kreis von 50 Kilometern die einzigen, die eine Mopsfledermaus auch selbst erleben können. „Sie
steht es meisterhaft, den Bauherren viel Mopsfledermaus haben. Das ist eine Sensation.“ zu sehen ist schwer, weil sie in der Dunkelheit
Arbeit und noch mehr Freude zu bereiten. Landschaftsarchitekt Matthias Schwahn schuf mit jagt“, erklärt Matthias Schwahn. „Aber wer später
dem neuen Biotop an der Westseite des riesigen im Biergarten statt seines Handys einen Bat-De-
Neben der Mopsfledermaus geben sich auf dem Grundstückes ein Paradies für Eidechsen, Wild- tektor auf den Tisch legt, hat im Spätsommer die
Gelände viele seltene Tiere und Pflanzen die Ehre bienen, Vögel und Frösche. „Ein solches Engage- Chance, dass ihre Ultraschall-Rufe sie verraten,
– und sie genießen sämtlich ein uneingeschränk- ment seitens der Bauherren ist noch seltener als wenn sie heimlich an einem vorbeisaust.“40
NÄCHSTE SCHRITTE
Für die Allguth Geschäftsführer Michael und
Christian Amberger steht das Jahr 2021 ganz im
Zeichen der zukünftigen Nutzung des Bergson.
Nicht mehr ganz drei Jahre vor Eröffnung des
Petermichl setzt daher auf eine Lösung, die Zu-
schauern ein Spektakel verspricht: „Wir hängen
in 25 Metern Höhe einen kleinen Bagger mit Mei-
ßel-Ausrüstung an einen Kran. Der Maschinist im
„
Kunstkraftwerks gilt es, die ersten Ausstellungen,
Events und das Bewirtungskonzept festzuzurren.
Bagger knackt damit das Dach in kleine Stücke.
Die wiederum fallen in ein Sandbett, das wir im Wenn spektakuläre
Spielstätten entstehen,
Nicht nur die Eigentümer, auch Allguths Leiter Inneren des Bergson aufschütten. Newton hilft,
Planen und Bauen, Karl Petermichl, krempelt wo er kann.“
die Ärmel hoch: „Das Dach ist undicht und kann Danach beginnen die Aufbauarbeiten. Bereits vor-
nicht saniert werden. Das muss weg.“ Unmög-
lich, sich auf dem brüchigen Dach sicher zu be-
handene Betonstützen werden am Kopf ausmo-
delliert und dienen als Auflage für das neue Dach, kann ich es kaum er-
wegen, geschweige denn, dort oben zu arbeiten. eine Beton-Kassettendecke aus Fertigteilen. „Das
soll alles über den Sommer passieren, denn wir
müssen das Gebäude spätestens zum Herbst wie-
warten, den neuen Ort
der schließen“, erläutert Petermichl. „So bekom-
men wir noch in diesem Jahr eine dichte Hülle
und das Gebäude kann innen, vor allem der über-
das erste Mal zu be-
flutete Keller, austrocknen.“ Fortsetzung folgt …
spielen, die Akustik zu
41
erleben und mit dem
Sie möchten miterleben, wie sich die Ruine des
Aubinger Heizkraftwerks zum Kunstkraftwerk
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Ausgabe: No.1 Frühjahr 2021
Ich freue mich auf das
Herausgeber: ALLGUTH GmbH,
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Würmtalstraße 35, 82166 Gräfelfing
Text: Hans Fuchs (Thomas E. Bauer, Bariton und Intendant
Redaktion: Annabelle Panusia Ocanto,
Simone Thaysen
des Konzerthauses Blaibach)
Fotografie: Alamy, Tobias Hase, Sascha Kletzsch,
Dietmar Nill, Paula Prucker, Kerstin Scheller-Kieburg,
Stenger2 Architekten und Partner mbB
Grafische Gestaltung:
Teresa Lehmann, Anna Schlecker
Lithografie: Serum Network
Ein kleines Best of der
Druck: Blueprint
vielen hundert Graffitis
im Bergson wird aufwän-
dig konserviert.Sie können auch lesen
