Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen

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Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen
SPM-Koll VIII_CoverWeb_SPM VIII – KOLL 14.11.18 09:22 Seite 1

                                                         SPM
                                                                                         Kolloquium — colloque Bern 2018
                                                                                                                                                    AS – Archäologie Schweiz
                                                                                                                                                    SAM – Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die
                                                                                                                                                    Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit
                                                                                                                                                    SBV – Schweizerischer Burgenverein
                                                                                                                                                    (Herausgeber)

                                                                                                                                                    Die Schweiz von 1350 bis 1850
                                                                                                                                                    im Spiegel
                                                                                                                                                    archäologischer Quellen

                                                                                         Die Schweiz von 1350 bis 1850 — La Suisse de 1350 à 1850
                                                                                                                                                    AS – Archéologie Suisse
                                                                                                                                                    SAM – Groupe de travail suisse pour l’archéologie
                                                                                                                                                    du Moyen Age et de l’époque moderne
                                                                                                                                                    SBV – Association suisse Châteaux forts
                                                                                                                                                    (éditeurs)

                                                                                                                                                    La Suisse de 1350 à 1850
                                                                                                                                                    à travers les sources
                                                                                                                                                    archéologiques

                                                                                                                                                    Akten des Kolloquiums
                                                                                                                                                    Actes du Colloque
                                                                                                                                                    Bern, 25.–26.1.2018

                                                                                                                                                    Verlag Archäologie Schweiz
                                                                                          SPM

                                                                                                                                                    Basel 2018
                                                                ISBN 978-3-908006-48-0
Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen
Umschlag:    Dudelsackbläser vom so genannten Holbein-Brunnen. Werk eines unbekannten Künstlers, um 1545. Sandstein mit farbiger Fassung. Höhe 91 cm. Heute Basel,
             Historisches Museum, Inv. 1910.132. Umzeichnung Archäologie Baselland, S. Schäfer.
             Schellen-Under. Schaffhauser Spielkarte. Schaffhausen, um 1800. Holzschnitt, schablonenkoloriert. Drucker David Hurter; Bearbeitung I. D. Zeder.
Couverture: Joueur de cornemuse de la fontaine dite de Holbein. Oeuvre d’un artiste inconnu, ver 1545. Grès avec décor polychrome. Hauteur 91 cm. Aujourd’hui à Bâle,
            Musée Historique, Inv. 1910.132. Dessin Archéologie Baselland, S. Schäfer.
             Schellen-Under (Under de grelot). Carte à jouer de Schaffhouse. Schaffheouse, vers 1800. Gravure sur bois peinte au pochoir. Imprimeur David Hurter. Infogra-
             phie I. D. Zeder.

Wissenschaftliche Leitung / Direction scientifique : Steuerungsgruppe SPM VIII (s. S. 7), im Auftrag der Wissenschaftlichen
Kommission der Archäologie Schweiz / sur mandat de la Commission Scientifique d’Archéologie Suisse.

Die Umsetzung dieser Internet-Publikation wurde unterstützt durch die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozial-
wissenschaften SAGW. Der Band ist gratis online verfügbar unter www.archaeologie-schweiz ▻ Publikationen ▻ Online-Publi-
kationen.
La réalisation de cette publication éléctronique a été largement soutenue par l’Académie des Sciences humaines et sociales
ASSH. Le volume est mis à disposition en ligne gratuitement sur www.archeologie-suisse.ch ▻ Publications ▻ Publications en
ligne.

Hardcopy produziert mit Unterstützung der Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Archäologie des Mittelalters und der
Neuzeit. / Version imprimée réalisée avec le soutien du Groupe de Travail pour l’Archéologie du Moyen Age et de l’Epoque
moderne.

Bestelladresse für die gedruckte und gebundene Version:
Archäologie Schweiz, Petersgraben 51, CH-4051 Basel, admin@archaeologie-schweiz.ch
Adresse de commande pour la version imprimée et reliée:
Archéologie Suisse, Petersgraben 51, CH-4051 Bâle, admin@archeologie-suisse.ch

Projektleitung / Direction du projet : Urs Niffeler.
Redaktion / Rédaction :                Catherine Leuzinger-Piccand (Beitrag Liboutet/Vanetti); Urs Niffeler (übrige Teile).
Druckvorstufe / Prépresse :            Isabelle D. Zeder.

Copyright by Archäologie Schweiz, Basel 2018.
ISBN 978-3-908006-48-0
Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen
Inhaltsverzeichnis – Table de matière – Indice

Dank        ....................................................7                                              Zur Chronologie und Typologie der Wohnbauten
                                                                                                               Graubündens im Zeitraum von 1350 bis 1850
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7       Mathias Seifert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .115

                                                                                                               Alpnutzung in Spätmittelalter und Frühneuzeit
1. Siedlungen – Habitat                                                                                        am Beispiel Andermatt UR
                                                                                                                   Brigitte Andres und Christian Auf der Maur . . . . . . . . . . . . . . .129
         1.1 Städte – Villes
                                                                                                               Der Oberwalliser Wohnbau in Spätmittelalter und
Basel – Transformationen einer Stadt                                                                           Neuzeit. Das Bespiel Schnydrighaus in Mund,
         Frank Löbbecke, Martin Möhle,
                                                                                                               Gemeinde Naters
                                                                                                                   Werner Bellwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .139
         Christoph Matt und Marco Bernasconi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11

Vom Lagerbau zum Stadthaus.                                                                                    Innerschweizer Holzbau
                                                                                                                   Ulrike Gollnick und Christoph Rösch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .147
Die bauliche Entwicklung des Städtchens Werdenberg
(Grabs SG) im 14. und frühen 15. Jh.
         Carolin Krumm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29
                                                                                                               Bauernhäuser aus Altholzbeständen –
                                                                                                               eine Erscheinung des Taunerwesens im 18./19. Jh.?
                                                                                                                   Katharina König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .161
Städtischer Wohnbau am Beispiel Zug
         Anette JeanRichard und Christoph Rösch . . . . . . . . . . . . . . . . . .37
                                                                                                               Archéologie du « village vigneron » : l’exemple
Freiburg: Rue Neuveville 46,                                                                                   du Vignoble neuchâtelois (15e–17e siècles).
ein spezieller Typ von Gerbereigebäude                                                                         Comment le développement de l’économie viticole
         Christian Kündig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .49
                                                                                                               du 15e au 17e siècle a durablement influencé le
                                                                                                               paysage, l’urbanisme et l’architecture de la région
                                                                                                                   Christian de Reynier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .175
Murten: Ein Dachstuhltyp zu Wohnbauten
ab dem frühen 16. Jh.
         Christian Kündig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .53
                                                                                                                   1.3 Sonderbauten und Infrastruktur –
Bossonnens FR: Von der mittelalterlichen Burg                                                                      Bâtiments spécialisés et infrastructures
bis zur Artillerieplattform
         Christian Kündig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .57        Münzstätten im archäologischen Befund
                                                                                                                   Rahel C. Ackermann und Christoph Ph. Matt . . . . . . . . . . . . . .189
Saint-Ursanne, premières investigations
en archéologie urbaine dans le Jura                                                                            Die gemeineidgenössischen, bernischen und vorder-
         Sébastien Saltel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .63    österreichischen Landvogteischlösser des Aargaus
                                                                                                                   Peter Frey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .195

         1.2 Ländliche Siedlungen – Habitat rural                                                              Baden AG: vom Wildbad zum Kurort
                                                                                                                   Andrea Schaer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .197
Der städtische Einfluss auf die Haus- und
Siedlungsentwicklung im Basler Untertanengebiet                                                                Bad Weissenburg und das Badewesen
(Kanton Baselland ohne Laufental)                                                                              im Berner Oberland
         Anita Springer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .69          Volker Herrmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .207

Hochstudbauten im Aargau.                                                                                      Bauarchäologische und bauhistorische Unter-
Typologische Entwicklung vom 16. Jh. bis 19. Jh.                                                               suchungen am Escher- und am Linthkanal
         Cecilie Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .79       Jakob Obrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .217

Alles unter Schutt und Asche.                                                                                  Das ehemalige Gasthaus Ochsen in Flüelen UR:
Ofenkachelfunde des 14.–18. Jh. in Brandhorizonten                                                             Gasthof, Kaufhaus und Sust an der Gotthardroute.
von Fricktaler Bauerndörfern                                                                                   Ein stattlicher Bau am Übergang zwischen Land
         David Wälchli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .93     und See
                                                                                                                   Ulrike Gollnick und Christian Auf der Maur . . . . . . . . . . . . . .229
Bohlenständerbau im Kanton St. Gallen
         Moritz Flury-Rova . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .107

                                                                                                                                                                                                                    3
Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen
Le pavillon de chasse de Guillaume de La Baume :                                                        3. Glaubenswelt – Croyances
une source d’inspiration pour le Canton de Fribourg
     Rocco Tettamanti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .237
                                                                                                             3.1 Bauten und Zeichen –
Pour une relecture du statut économique du Canton                                                            Bâtiments et symboles
de Vaud à l’époque moderne : les cas du fer et des
fours à chaux du Jura-Nord vaudois                                                                      Die Mikwe von Lengnau AG
                                                                                                             Peter Frey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .397
     Alice Vanetti et Marion Liboutet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .239

                                                                                                        Das «Cappeli» im Berner Stockental
                                                                                                             Volker Herrmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .399
2. Materielle Kultur – Culture matérielle
                                                                                                        Ermitages religieux des environs de la ville de Fribourg
Laufenburg-Siechebifang – ein aussergewöhnlicher                                                        (15e–19e siècles) : un patrimoine à redécouvrir
Fundkomplex aus dem 15. Jh.                                                                                  Ludovic Bender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .407
Ein Einblick in das Inventar des ehemaligen
Laufenburger Siechenhauses                                                                              Aménager un temple réformé en terres neuchâteloises
     Reto Bucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .255   (1530–1850). Apports de l’archéologie
                                                                                                             Jacques Bujard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .417
Bunte Schüsseln, schlichte Tassen. Gefässkeramik-
entwicklung in der Nordostschweiz (1350–1850)                                                           An Holzbauten beobachtete Zeichen
     Valentin Homberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .271        von Praktiken der Volksfrömmigkeit
                                                                                                             Ulrike Gollnick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .427
Ein geschlossenes Geschirrensemble des 18. Jh.
aus Winterthur
     Annamaria Matter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .283             3.2 Bestattungen – Sépultures
Alles im grünen Bereich. Die Haushaltskeramik                                                           Grabbeigaben im Gebiet der Deutschschweiz
vom Bauschänzli in Zürich, datiert vor 1662                                                                  Martina Kaelin-Gisler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .431
     Jonathan Frey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .297
                                                                                                        Die Bestattungen im Kanton Bern im Wandel der Zeit.
Spätmittelalterliche und neuzeitliche Keramik-                                                          Interdisziplinäre Betrachtungen zu den Gräbern und
komplexe im Kanton Zug                                                                                  Verstorbenen
     Eva Roth Heege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .309           Amelie Alterauge und Sandra Lösch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .441

Reperti ceramici in Ticino dal 1350 al 1850:                                                            Evolution des ensembles funéraires de la fin du
prime considerazioni                                                                                    Moyen-Âge au début du 20e siècle. Quelques exemples
     Maria-Isabella Angelino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .325         de fouilles récentes dans les cantons de Vaud et de
                                                                                                        Neuchâtel
L’atelier de potiers de Bulle-rue de la Poterne                                                              Lucie Steiner et Sophie Thorimbert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .457
(1765–1895). Etat de la recherche
     Gilles Bourgarel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .337    Temple de Daillens VD : sépultures découvertes
                                                                                                        dans le chœur désaffecté – un cas d’école
L’évolution du vaisselier genevois entre 1350 et 1850                                                        Anna Pedrucci . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .469
     Michelle Joguin Regelin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .361

Tabak und Tabakpfeifen in der Schweiz
     Andreas Heege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .371
                                                                                                        4. Umwelt und Naturressourcen –
                                                                                                        Environnement et ressources naturelles
Konjunkturen und Kleingeldwanderung.
Kirchenfunde des 16.–19. Jh.                                                                            Klima und extreme Naturereignisse in der Schweiz,
     Benedikt Zäch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .383   1350–1850. Nutzen und Potenziale historischer und
                                                                                                        naturwissenschaftlicher Klimaforschung für die
Plomben und Marken                                                                                      Archäologie
     Rahel C. Ackermann und Benedikt Zäch . . . . . . . . . . . . . . . . . .391                             Christian Rohr und Chantal Camenisch . . . . . . . . . . . . . . . . . .479

                                                                                                        Landwirtschaft und Umwelt im Spiegel
                                                                                                        archäobiologischer Funde – Materialvorlage
                                                                                                             Marlu Kühn, Sabine Deschler-Erb und Simone Häberle . . . . .489

4
Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen
Abkürzungen – Abréviations – Abbreviazioni

AAS         Annuaire d’Archéologie Suisse                         AS et al. 2011 AS et al. (Hrsg.; 2011) Archäologie Schweiz AS/
ABBS        Archäologische Bodenforschung des Kantons Basel-                     Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Archäo-
            Stadt                                                                logie des Mittelalters und der Neuzeit SAM/
ADSO        Archäologie und Denkmalpflege im Kanton Solo-                        Schweizerischer Burgenverein SBV (Hrsg.; 2011)
            thurn                                                                SPM – Siedlungsbefunde und Fundkomplexe der
AF          Archéologie Fribourgeoise                                            Zeit zwischen 800 und 1350. Akten des Kollo-
AiZ         Archäologie im Kanton Zürich                                         quiums zur Mittelalterarchäologie in der Schweiz,
AKBE        Archäologie im Kanton Bern                                           Frauenfeld, 28.–29.10.2010. Basel. – Archéologie
AM          Archeologia Medievale                                                Suisse AS/Groupe de travail suisse pour l’archéolo-
ArchBE      Archäologie Bern – Archéologie bernoise. Jahrbuch                    gie du Moyen Âge et de l’époque moderne SAM/
            des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern                        Association suisse Châteaux forts SBV (éds.; 2011)
as.         archäologie schweiz – archéologie suisse – archeo-                   SPM – Habitat et mobilier archéologiques de la
            logia svizzera                                                       période entre 800 et 1350. Actes du colloque
ASA         Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde                           «Archéologie du Moyen Âge en Suisse», Frauen-
ASSPA       Annuaire de la Société Suisse de Préhistoire et                      feld, 28.–29.10. 2010. Bâle.
            d’Archéologie – Annuario della Società Svizzera di    SPM VII        Urs Niffeler (Projektleitung u. Red.), Reto Marti et
            Preistoria e di Archeologia                                          al. (wissenschaftl. Leitung) SPM VII, Archäologie
BSSI        Bollettino Storico della Svizzera Italiana                           der Zeit von 800 bis 1350 – L’archéologie de la
BZ          Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertums-                     période entre 800 et 1350 – L’archeologia del
            kunde                                                                periodo tra l’800 ed il 1350. Basel 2014.
CAF         Cahiers d’Archéologie Fribourgeoise, Fribourg
CAR         Cahiers d’Archéologie Romande, Lausanne
ENr.        Ereignisnummer                                        Kantone – Cantons – Cantoni
FA          Freiburger Archäologie
FHA         Freiburger Hefte für Archäologie                      AG            Aargau
HLS         Historisches Lexikon der Schweiz                      AI            Appenzell Innerrhoden
HS          Helvetia Sacra                                        AR            Appenzell Ausserrhoden
ISOS        Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der     BE            Bern
            Schweiz von nationaler Bedeutung                      BL            Basel-Landschaft
JbAB        Jahresbericht der Archäologischen Bodenforschung      BS            Basel-Stadt
            Basel-Stadt                                           FR            Fribourg
JbADG       Jahresbericht des Archäologischen Dienstes Grau-      GE            Genève
            bünden und der Denkmalpflege Graubünden               GL            Glarus
JbAS        Jahrbuch der Archäologie Schweiz                      GR            Graubünden
JbHGL       Jahrbuch der Historischen Gesellschaft Luzern         JU            Jura
            (1983–2001); Historische Gesellschaft Luzern, Ar-     LU            Luzern
            chäologie, Denkmalpflege, Geschichte (seit 2002)      NE            Neuchâtel
JbHVFL      Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürsten-    NW            Nidwalden
            tum Liechtenstein                                     OW            Obwalden
JbSGUF      Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Ur-     SG            St. Gallen
            und Frühgeschichte                                    SH            Schaffhausen
KA          Kantonsarchäologie                                    SO            Solothurn
KDM         Die Kunstdenkmäler des Kantons …                      SZ            Schwyz
KdS         Die Kunstdenkmäler der Schweiz                        TG            Thurgau
RHV         Revue historique vaudoise                             TI            Ticino
SBKAM       Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Ar-       UR            Uri
            chäologie des Mittelalters                            VD            Vaud
SAEF/AAKF   Service archéologique de l’Etat de Fribourg/Amt       VS            Valais
            für Archäologie des Kantons Freiburg                  ZG            Zug
SCA         Service Cantonal d’Archéologie                        ZH            Zürich
SPM         Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum Mittelalter –
            La Suisse du Paléolithique au Moyen-Age – La Sviz-    FL            Fürstentum Liechtenstein
            zera dal Paleolitico al Medioevo
ZA          Zürcher Archäologie
ZD          Zürcher Denkmalpflege, Stadt Zürich, Bericht
ZAK         Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und
            Kunstgeschichte
ZAM         Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters

                                                                                                                                   5
Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen
Baden AG: vom Wildbad zum Kurort
                                                                                                                  Andrea Schaer

1. Einleitung                                                      ren. Ihre Archetypen sind in Bergschluchten gelegene Bade-
                                                                   orte, wie Bad Pfäfers (Kanton St. Gallen) Leukerbad (Kanton
1.1 Heilquellen als raison d’être                                  Wallis) oder Bad Gastein (Österreich). Diese Orte, die sich
                                                                   zwar in der Wildnis befanden, vermittelten aber mit ihrer
Das Vorhandensein einer Heilquelle ist die Grundvoraus-            Architektur und mehr noch durch die dort verkehrenden
setzung zum Entstehen eines Heilbadeorts. Die Lage der             Gäste durchaus ein urbanes, «zivilisiertes» Lebensgefühl.7
Quelle bzw. die Möglichkeiten zu deren Fassung und die             Mit dem Begriff der «wilden Wasser» wurde auch natürlich
Topografie – das Quellwasser muss über natürliche Gefälle          warmes Wasser, also Thermalwasser bezeichnet.8
zu den Bädern transportiert und von dort wieder abgeleitet
werden können – waren daher entscheidend dafür, wo und
in welchen Dimensionen die Badeeinrichtungen und erstellt          1.3 Heilbäder mit antikem Ursprung
wurden.1 Demensprechend sind die Lage und die räumliche            als besondere Orte der Repräsentation
Ordnung von Badeorten von der Antike bis in die Moderne
stets von der Lage der Heilquellen und den topografischen          Besondere Reputation kam im Spätmittelalter und der frühen
Eigenheiten des Quellgebiets bestimmt.2                            Neuzeit insbesondere Heilbädern zu, die bereits von den
Primäre und wichtigste Infrastruktur eines Badeortes sind          Römern genutzt worden waren. Dass Karl der Grosse mit
die Einrichtungen zur Fassung des Quellwassers und dessen          Aachen – dem antiken Aquae Granni – eine alte römische
Nutzung, insbesondere natürlich die Bäder. In deren Bau-           Bäderstadt zu seiner Residenz machte und dort, schenkt
weise widerspiegelt sich nicht nur das technische Können           man seinem Chronisten Einhard Glauben, viel Zeit in den
der Baumeister, sondern auch die Art und der Stellenwert           Thermalbädern verbrachte, ist kein Zufall.9 Neben der Ab-
des Badens und der damit verbundenen medizinischen Mög-            wesenheit anderer weltlicher und kirchlicher Herrscher und
lichkeiten und Erwartungen der jeweiligen Epoche.                  der günstigen Verkehrslage im Norden seines Reiches wird
Im Gegensatz zu gewöhnlichen Bädern, für deren Betrieb             es auch das antike Erbe Aachens gewesen sein, welches Karl
Wasser einer beliebigen Quelle ausreicht, liegen Heilbäder         zu seiner Entscheidung bewog. Hier, in römischen Ruinen
stets unmittelbar bei den entsprechenden Quellen, denn nur         und, wie Einhard lebendig beschreibt, bei ausgiebigen Be-
dort entfaltet das Wasser uneingeschränkt seine Wirkung. Der       suchen des hofeigenen Thermalbades wird Karl eine seinem
Besuch eines Heilbades war und ist für die Menschen meist          Selbstverständnis als Nachfolger der römischen Kaiser ent-
mit einer Reise verbunden. Oftmals bleiben die Besucher            sprechende Umgebung und Bühne für seine Selbstinszenie-
mehrere Tage oder Wochen im Quellort, weshalb neben den            rung gefunden haben.10
Badeeinrichtungen den Unterkünften grosse Bedeutung zu-
kommt.3 Die Architektur der Herbergen und damit des Bade-
orts unterschied sich daher bis ins 18. oder frühe 19. Jh. kaum    2. Die Bäder von Baden zwischen
von derjenigen einer «gewöhnlicher» mittelalterlichen oder         Spätmittelalter und Moderne
frühneuzeitlichen Kleinstadt.4 Erst im 18. und namentlich im
19. Jh. entwickelte sich eine eigentliche Kurarchitektur, die      In Baden, 25 km nördlich von Zürich an der Limmat gelegen,
nicht nur neue Gebäudetypen – Hotels im heutigen Sinne,            entspringen seit Jahrtausenden schwefelhaltige Thermalquel-
Kurhäuser, Trinkhallen – umfasste, sondern auch Parks und          len.11 Seit der Römerzeit wurde dort das (heute) im Mittel
die Erschliessung der den Kurort umgebenden Landschaft.5           47°C heisse Wasser gefasst und zu Heilzwecken genutzt.12
                                                                   Es ist davon auszugehen, dass zwischen Antike und Mittelal-
                                                                   ter eine Thermalbadetradition bestehen blieb und die heissen
1.2 Der Topos des Wildbads:                                        Quellen nicht nur von der regionalen Bevölkerung, sondern
städtisches Leben und warmes Wasser                                auch von Durchreisenden aller Stände aufgesucht wurden.13
                                                                   Ob die Nähe Badens zur karolingischen Pfalz in Zürich be-
in feindlicher Natur                                               reits in dieser Zeit dem Badeort an der Limmat zu gekröntem
                                                                   Besuch verhalf, muss offen bleiben.
Im Hoch- und Spätmittelalter wurde für Thermalbäder die            Es dürfte aber kein Zufall sein, dass die neue Siedlung um die
Bezeichnung «Wildbad» gebräuchlich.6 Der Begriff bezieht           heutige Stadtkirche (die heutige Altstadt) im 11. Jh. ebenfalls
sich darauf, dass viele Thermalbäder ausserhalb der als «zivili-   den programmatischen Namen Baden trägt.14 Die Lage der
siert» und sicher geltenden Städte und oftmals weit von jenen      neuen Siedlung ca. 1 km südlich des Quellgebiets (Abb. 1)
entfernt lagen, zudem nur sehr beschwerlich zugänglich wa-         dürfte nicht alleine der strategischen Lage geschuldet sein,

A. Schaer, Baden AG: vom Wildbad zum Kurort                                                                                   197
Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen
Abb. 1. Baden im Aargau zu Beginn des 17. Jh. Im Hintergrund die eigentlich jüngere Altstadt, im Vordergrund die Bäder, der ursprüngliche Kern der Stadt. Kupferstich von
Matthäus Merian (gestochen zwischen 1621 und 1632). Grafische Sammlung Historisches Museum Baden 8917.

sondern es ist anzunehmen, dass bei der Siedlungsgründung                              Bäder vom Hochmittelalter bis in die Moderne anhand der
durchaus Rücksicht auf bereits wesentlich ältere herrschaft-                           materiellen Hinterlassenschaft zu rekonstruieren (Abb. 2).
liche Besitzansprüche im Gebiet der Bäder und der einstigen                            Die archäologischen Befunde ergänzen damit die ausgespro-
römischen Siedlung genommen werden musste.15                                           chen reiche schriftliche Überlieferung.18
Im hier behandelten Zeitabschnitt vom Spätmittelalter bis in
die beginnende Moderne durchlebt der Baden zunächst
Jahrhunderte grosser Blüte: bis ins beginnende 17. Jh. ist                             2.1 Situation und Ausbau der Bäder
der Kurort der wichtigste Badeort im Deutschen Reich.16                                im Hochmittelalter
Ab dem 16. Jh. brachten Seuchen und neue Krankheiten
wie die Syphilis auch die Thermalbäder in Bedrängnis. Die                              Im Bereich der unmittelbar in der Limmatbiegung gelegenen
neumodische Trinkkur und Ereignisse wie die Kriege des 17.                             römischen Thermenanlagen entstand wohl bereits im Früh-
und 18. Jh. führten zu einem markanten Bedeutungsverlust                               mittelalter, sicher aber im Hochmittelalter ein erster Bade-
der Thermalbäder, dem sich Baden ebenso wenig entziehen                                gasthof: der ab dem 14. Jh. überlieferte «Hof nid dem Rain»
konnte wie andere Orte.17 Erst im Kurboom des 19. und be-                              (der spätere «Staadhof»).19 Im Bereich des heutigen Kurplatzes
ginnenden 20. Jh. blühte der Kurort an der Limmat wieder                               wurden zwei vermutlich römische Becken bis ins 19. Jh. als
auf, jedoch kam es hier nie zu einer so rasanten Entwicklung,                          öffentliche Bäder genutzt.20
wie sie in anderen Kurorten wie z. B. Baden-Baden fassbar                              Ein gezielter Ausbau der Bäder im 11. Jh. lässt sich archäolo-
ist – wir werden darauf zurückkommen.                                                  gisch fassen. Im zentralen Bereich der Bäder (den heutigen
Die im Vorfeld der Neugestaltung und Revitalisierung des                               Hotels Verenahof, Ochsen und Bären) liegende Quellen
Bäderbezirks zwischen 2009 und 2012 ergrabenen und in den                              wurden mit grossem Aufwand neu gefasst und das Areal des
historischen Hotels Bären und Ochsen freigelegten Befunde                              späteren Gasthofs Hinterhof mit Thermalwasser erschlossen.
erlauben es nun erstmals, die Entwicklung der Badener                                  Im selben Zug wurde mit der Dreikönigskapelle ein Sakral-

198                                                                                                                 A. Schaer, Baden AG: vom Wildbad zum Kurort
Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen
Abb. 2. Baden AG, Gasthof Hinterhof. Abfolge mehrerer ineinander geschachtelter Badebassins aus dem 14. bis 19. Jh. Foto Kantonsarchäologie Aargau.

bau errichtet, dessen Grösse identisch ist mit der damals                          Im Gasthof Hinterhof wurden mit dem «Kesselbad» (Abb. 3)
noch bestehenden karolingischen Saalkirche in der Stadt und                        und dem «4. Bad» zwei Gemeinschaftsbassins integral ar-
der den Machtanspruch der in den Bädern aktiven Herr-                              chäologisch untersucht und ihre Bauweise und Entwicklung
schaft manifestiert.21 Neben der Dreikönigskapelle wurde ein                       dokumentiert.26 Die Böden der nur 70–100 cm tiefen Bade-
herrschaftlicher Badegasthof22, der Hinterhof, erbaut. Über                        becken waren mit grossen Steinplatten (Dolomit) belegt. Die
den Thermalquellen und im Gasthof Hinterhof wurden                                 gemauerten Bassinwände wiesen einen sehr feinen Verputz
Badebecken erstellt, die von einfachen, Pavillon- oder Loggia-                     aus Terrazzomörtel auf. Die umlaufenden Sitzbänke von zwi-
artigen Badehäusern vor Wetterunbill geschützt waren. Der                          schen 20 und 30 cm Höhe waren teils gemauert, teils aus
Unterbringung der Badegäste dienten erste Gasthäuser.                              Dolomitblöcken gefügt. Zapflöcher weisen darauf hin, dass
                                                                                   die Sitzbänke mit Holzplanken verschalt waren. Den auf den
                                                                                   Sitzbänken sitzenden Badegästen reichte das Wasser also
2.2 Die Badeinfrastruktur                                                          gerade einmal bis in die Höhe des Bauches; ein richtiges Ein-
im Hoch- und Spätmittelalter                                                       tauchen oder gar Schwimmen war in diesen Becken nicht
                                                                                   möglich – und auch nicht erwünscht.
Bei den ältesten im archäologischen Befund fassbaren Bäder                         Für beide genannten Bäder lässt sich im 14. oder 15. Jh. der
handelt es sich um grosse Gemeinschaftsbecken.23 Sie fassten                       Einbau von steinernen Trennwänden fassen, welche die
gemäss zeitgenössischen Beschreibungen bis zu 100 Kurgäste.                        grossen Becken in zwei Hälften unterteilten. Damit wurden
Charakteristisch für die Funktionsweise der Becken war der                         Frauen und Männer voneinander getrennt, wie dies 1416
stete Wasserdurchfluss.24 Installationen der beschriebenen Art                     Giovanni Francesco Poggio Bracciolini in seinem berühmten
fanden sich sowohl als nur den Hausgästen offene Privatbäder                       Brief über die Badener Bäder beschrieb.27
in den Gasthöfen und Gasthäusern als auch als öffentliche An-                      Die Bäder des Gasthofs Hinterhof lagen, damit sie mit Ther-
lagen unter freiem Himmel (St. Verenabad und Freibad).25                           malwasser versorgt werden konnten, 1–2 m tiefer als der In-

A. Schaer, Baden AG: vom Wildbad zum Kurort                                                                                                           199
Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen
nenhof der Anlage, auf einer künstlichen Geländestufe gegen
                                                                                   den Ehgraben hin. Die zugehörigen Befunde deuten an, dass
                                                                                   die Gemeinschaftsbäder hier zunächst in einfachen Pavillon-
                                                                                   oder Loggia-artigen Bauten untergebracht waren.28
                                                                                   Die im Hotel Ochsen dokumentierten Reste des so genann-
                                                                                   ten «Beschlossenen Bades»29 mit seinen 5 m hohen Arkaden
                                                                                   aus Tuffstein belegen, dass einzelne dieser Badepavillons im
                                                                                   Laufe des 13. und 14. Jh. zu überaus repräsentativen Bade-
                                                                                   häusern ausgebaut wurden (Abb. 4–6).
                                                                                   Wie zahlreiche historische Quellen belegen, waren im Hoch-
                                                                                   und Spätmittelalter die Gemeinschaftsbäder das Herz des ge-
                                                                                   sellschaftlichen Lebens in den Bädern. Bereits der Gang ins
                                                                                   Bad über die offenen Hofplätze war ein öffentlicher Akt. Eben-
                                                                                   so war es das Baden selbst. Während den täglich 6–8 Stun-
                                                                                   den, welche die Badenden im Wasser verbrachten, wurde ge-
                                                                                   spielt, gegessen, getrunken, musiziert, geschäkert und sogar
 Abb. 3. Baden AG, Gasthof Hinterhof. «Kesselbad» im Zustand des 15. Jh. Das       über Vergehen gegen die Badesitten Gericht gehalten.30
leicht trapezförmige 6.6 × 7 m grosse Becken wurde über den so genannten Kessel
eine brunnenartige Vertiefung mit Thermalwasser versorgt. Der «Kessel» sollte im
grössten Bad des Hauses eine sich direkt ins Becken ergiessende Thermalquelle
simulieren. Die später eingebaute steinerne Trennwand diente der Separierung von   2.3 Vom Badehaus zum Badekeller
Männern und Frauen. Foto Kantonsarchäologie Aargau.
                                                                                   Für das 16. Jh. ist im archäologischen und im Baubefund ein
                                                                                   Zusammenwachsen der Badehäuser mit den benachbarten
                                                                                   Unterkünften zu beobachten. Die halboffenen Baderäume
                                                                                   wurden zunächst mit massiven Mauern umfasst und teilweise
                                                                                   neu unterteilt. Die Badhäuser erhielten offenkundig Ober-
          Hotel Ochsen
                                                                                   geschosse. Gleichzeitig wurden die grossen Becken schritt-
          M. 1:200
                                                                                   weise in kleinere Bassins unterteilt (Abb. 7). Gegen Ende des
                                                                                   16. Jh. beschrieb Heinrich Pantaleon ein Nebeneinander von
                                                                                   nach Geschlechtern getrennten Gemeinschaftsbädern und
                                                                                   kleineren Privatbädern.31 Ab dem 17. Jh. waren Privatbäder
                                                                                   von üblicherweise 4–8 m2 Grundfläche die Norm, geeignet
                                                                                   für Familien oder grössere und kleinere Gesellschaften.
                                                                                   Wo immer die Versorgung mit Thermalwasser möglich war,
                DG
                                                                                   wurden neue Bäder eingebaut. Aufwendig gebaute, teilweise
                                                                                   begehbare Leitungsstollen erlaubten es nun, auch entlegene
                                                                                   Gebäude mit Thermalwasser zu versorgen.
                2. OG                                                              In den kleineren Bädern konnte das Wasser nun, ganz nach
                                                                                   Bedarf, in jedes Bad frisch eingelassen und danach wieder
                                                                                   abgelassen werden. Dies, zusammen mit den ersten Puffer-
                1. OG                                                              resevoirs, vereinfachte zum einen die Temperaturregulierung;
                                                                                   zum anderen stand ausreichend Wasser zur Verfügung, um
                EG
                                                                                   die Bassins regelmässig zu reinigen und damit die hygieni-
                                                                                   schen Verhältnisse deutlich zu verbessern.32
                                                                                   Mit der Verwendung von (unglasierten) Tonplatten zur Aus-
                                                                                   kleidung der Becken sowie der systematischen Verschalung
                                                                                   der Sitzbänke mit Holzplanken wird eine weitere Materiali-
                                                                                   sierung fassbar. Die mit weisser Farbe getünchten Badekeller
                                                       UG
                                                                                   waren nun mit Kreuzgratgewölben aus Tuffstein überspannt.
                                                                                   Ornamentale und figürlichen Malereien im Grisaille-Stil zier-
                                      Quelle                                       ten Wände und Decken.
                                       0                      5m
                                                                                   Die Badegäste gelangten über hausinterne Treppen direkt
                                                                                   von den Gemächern in die Baderäume. Der Gang vor den
                                                                                   Augen Aller über die offenen und der Witterung ausgesetzten
Abb. 4. Baden AG, heutiges Hotel Ochsen. Schnitt durch den nördlichen Teil. Im     Innenhöfe blieb den Badenden nun erspart.
Kellerraum über der «Paradiesquelle» sind die Arkaden erkennbar, die einst die
Schauseite des im 13. und 14. Jh. mehrfach urkundlich belegten «Beschlossenen
                                                                                   Anlass für den markanten Umbau der Badeinfrastruktur im
Bades» bildeten. Zeichnung Kantonsarchäologie Aargau, S. Dietiker/Bearbeitung      späteren 16. und frühen 17. Jh. waren einerseits die wachsen-
Archäologischer Dienst Bern, E. Schranz.                                           de Angst vor Seuchen und Krankheiten, deren Übertragung

200                                                                                                      A. Schaer, Baden AG: vom Wildbad zum Kurort
Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen
Abb. 5. Baden AG, Gasthof Hinterhof. Rekonstruktionsvorschlag der ersten Bade-        Abb. 6. Baden AG. Um 1300 dürfte der zentrale Bäderplatz (der heutige Kurplatz)
häuser über den Gemeinschaftsbädern. Skizze A. Schaer.                                noch einiges grösser gewesen sein als heute. Die Gasthäuser Löwen und Halbmond
                                                                                      bestanden noch nicht. Die Badehäuser, namentlich das «Beschlossene Bad» über
                                                                                      der Paradiesquelle mit den Arkaden, wandten dem Platz ihre Schauseite zu. Skizze
                                                                                      A. Schaer.

Abb. 7. Baden AG, Gasthof Hinterhof. Das Gemeinschaftsbecken des «4. Bades» unterteilte man im 17. Jh. mit einer Mauer in zwei Räume und richtete darin je zwei kleinere
Familienbassins ein. Diese Baderäume bestanden bis zum Abbruch des Gasthofs 1870. Die Bassins – hier ist der Zustand des 18. Jh. freigelegt – wurden mehrfach erneuert
und weiter verkleinert. Foto Kantonsarchäologie Aargau.

A. Schaer, Baden AG: vom Wildbad zum Kurort                                                                                                                         201
Grösse der Bassins
      m2                                               max. Grösse           min. Grösse
                                                                                            2.4 Kaum Ausbauten und zunehmende
45
                                                                                            Normierung der Badeinfrastruktur im 18. Jh.
40

35
                                                                                            Im 17. Jh. erwuchs der traditionellen Badekur in heissen
30
                                                                                            Schwefelthermen neue Konkurrenz durch die Trinkkur.36
25
                                                                                            Gleichzeitig verunmöglichten die grossen europäischen Reli-
20                                                                                          gionskriege vielen Menschen die Bäderreisen. Auch Baden,
15                                                                                          welches von den kriegerischen Ereignissen zwar verschont
10
                                                                                            bleibt, verzeichnete einen markanten Rückgang an internatio-
                                                                                            nalen Kurgästen. Der Ort lebte nun von seinen Stammgästen,
 5
                                                                                            die sich aus der Bevölkerung der näheren Umgebung sowie aus
 0
     1300      1400       1500         1600         1700             1800         1900      dem nahen Zürich und der Eidgenossenschaft rekrutierten.37
                                                                                  n. Chr.   In den historischen Quellen ebenso wie in den archäologi-
Anzahl Bäder                                                                                schen und den Baubefunden lässt sich für diese Zeit tatsäch-
      n                                                                     Anzahl Bäder
700                                                                                         lich eine gewisse Stagnation fassen.38 Die Bauaktivitäten be-
600
                                                                                            schränkten sich vor allem auf Anpassungen der Becken sowie
                                                                                            die Erneuerung von Fussböden und Malereien. Nun wurden
500
                                                                                            annähernd quadratische Bassins mit einer Grundfläche von
400                                                                                         2–4 m2 üblich, die man mit Tonplatten ausgekleidete (Abb. 9).
300
                                                                                            Von der Holzverschalung zeugen Nuten in den gemauerten
                                                                                            umlaufenden Sitzbänken. Für Wassereinlass und -ablauf ver-
200
                                                                                            wendete man einen annähernd quadratischen Kalksteinblock,
100                                                                                         den man mit einer zentralen, mit einem Holzstöpsel ver-
                                                                                            schliessbaren Öffnung von ca. 10 cm versah (Abb. 10). Ab-
 0
     1300      1400       1500         1600         1700             1800         1900      drücke von Textilien im Innern der Öffnung belegen, dass die
                                                                                  n. Chr.
                                                                                            Zapfen zur besseren Abdichtung bisweilen mit Stoff umwi-
      Typ 1
                                      Typ 2                                                 ckelt waren. Reservoirs gewährleisteten die stete Versorgung
                                                      Typ 3
                                                                        Typ 4
                                                                                            der Becken mit Thermalwasser.
                                                                                            Als Bodenbeläge dienten in den Baderäumen und Gängen
Abb. 8a. Entwicklung der Bassingrössen im Bädergasthof Hinterhof zwischen dem               weiterhin unglasierte Tonplatten. Die geweisselten Räume
Spätmittelalter und dem 19. Jh. Der orange Balken unterlegt den Zeitabschnitt des           waren entlang der Sockelzonen der Wände, der Ecken und
markanten Wechsels von den Gemeinschaftsbädern zu den Gruppen- und Einzel-                  Gewölberippen mit ockergelben Bändern mit rotem Begleit-
bäder im späteren 16. Und beginnenden 17. Jh. Grafik A. Schaer/Archäologischer              strich bemalt.
Dienst Bern, E. Schranz.
Abb. 8b. Entwicklung der Anzahl Badegelegenheiten zwischen dem 14. und Ende
des 19. Jh. Grafik A. Schaer/Archäologischer Dienst Bern, E. Schranz.                       2.5 Der «Neue Bau»:
                                                                                            ein spätbarockes Logierhaus
                                                                                            1778 wurde im Gasthof Hinterhof mit dem so genannten
                                                                                            «Neuen Bau»39, ein spätbarockes Logierhaus erbaut.40 Der
beim gemeinsamen Bad drohte. Zudem führte der gesell-                                       Neubau ersetzte ein mittelalterliches Gebäude, was einem
schaftliche Wandel im Zuge von Reformation und Gegen-                                       ersten Schritt hin zu einer Modernisierung des Gasthofs
reformation zu einer Veränderung der Badesitten.33 Mit der                                  gleichkam.41
Badeinfrastruktur wandelte sich das gesellschaftliche Leben                                 Bereits anlässlich der Grabung «Baden-Hinterhof» 2009–2011
im Badeort: es wurde nur noch wenige Stunden im kleinen                                     war zu erkennen, dass der «Neue Bau» auf den Grundmauern
Kreis gebadet, gesellschaftliche Treffpunkte waren nun Sa-                                  des mittelalterlichen Vorgängerbaus (des so genannten «Zeit-
lons, Spielzimmer oder Gärten und Promenaden.34                                             hauses») errichtet worden war. Das Gebäude wurde im
Das Zusammenwachsen von Badehäusern und Unterkünf-                                          Februar 2017 komplett abgebrochen.42 Dabei wurden die
ten war gleichbedeutend mit einer Verdichtung der Anlagen.                                  Badekeller des «Neuen Hauses» im Schnellverfahren doku-
Der Kurort wurde durch den Bau der beiden im 16. Jh. erst-                                  mentiert (Abb. 11).43 Wie sich zeigte, wiesen vier der lim-
mals erwähnten Gasthäuser «Löwe» und «Halbmond» auf                                         matseitigen Badekeller noch die Ausstattung aus der Zeit
seine heutigen Dimensionen verkleinert.35 Mit den beiden                                    ihrer Einrichtung zwischen 1600 und 1610 auf; lediglich die
Anlagen erhielten die Bäder das auf dem Kupferstich von                                     Auskleidung der Badebecken und der Wandverputz waren
Matthäus Merian überlieferte Aussehen (Abb. 1). Die Neu-                                    im 19. und 20. Jh. erneuert worden.44
gründungen und Erweiterungen im 16. und frühen 17. Jh.
belegen die anhaltende Blüte des Badebetriebs in jener Zeit
(Abb. 8).

202                                                                                                               A. Schaer, Baden AG: vom Wildbad zum Kurort
Abb. 9. Entwicklung der Bädertypen vom mittelalterlichen Gesellschaftsbad zur Einzelwanne des 19. Jh. am Beispiel des «Kesselbades» im Gasthof Hinterhof und seiner Nach-
folgebäder. Grafik Kantonsarchäologie Aargau, S. Dietiker/Bearbeitung Archäologischer Dienst Bern, E. Schranz.

 Abb. 10. Baden AG, Gasthof Hinterhof. Für die Bäder des 17. und 18. Jh. charakte-     Abb. 11. Baden AG. Der «Neue Bau» (oder Dorerhaus). Foto von 2009. Das Ge-
ristisches Bauelement sind die annähernd quadratischen Kalksteinblöcke mit             bäude wurde 2017 abgebrochen. Foto Kantonsarchäologie Aargau.
zentralem, mit Holzstöpsel verschliessbarem Loch. Die Steine dienten als Wasserein-
oder -abläufe. Foto Kantonsarchäologie Aargau.

A. Schaer, Baden AG: vom Wildbad zum Kurort                                                                                                                          203
in Kurorten üblichen Hotelpaläste. Zugleich wurden die
                                                                               öffentlichen Bäder unter freiem Himmel abgebrochen. Den
                                                                               Armen und Bedürftigen stand mit dem neuen Armenbad
                                                                               ab 1838 eine zeitgemässe Kureinrichtung zur Verfügung –
                                                                               was zugleich dazu führte, dass dieser weniger attraktive (und
                                                                               lukrative) Gästekreis aus dem Strassenbild verschwand. Der
                                                                               Kurort wuchs erstmals über seine mittelalterliche Stadtmauer
                                                                               hinaus. Promenaden und Wanderwege erschlossen die Um-
                                                                               gebung. Neue Strassenachsen und erstmals seit Jahrhunderten
                                                                               eine Frischwasserleitung vereinfachten den Betrieb der Bade-
                                                                               hotels.48 Mit dem Anschluss an das Eisenbahnnetz – als erstes
                                                                               an die 1847 eröffnete «Spanischbrötlibahn»! – wurde Baden
                                                                               für Kurgäste aus dem In- und Ausland schnell erreichbar.49
                                                                               Eine zweite Ausbauwelle erlebten die Bäder in den 1870er-
                                                                               Jahren, als verschiedene Hotels erweitert wurden und mit
                                                                               dem «Grand Hôtel» ein Haus ganz im Stil der Belle Epoque
                                                                               errichtet wurde.50 In derselben Zeit wurden mit dem 1875 er-
                                                                               öffneten Kurhaus mit zugehörigem Park weitere zeitgemässe
                                                                               Infrastrukturanlagen erstellt.51 Die ganz grossen Namen der
                                                                               Zeit indes bevorzugten andere Badeorte. Entsprechend wur-
                                                                               de in Baden nie im selben Stil in die Infrastruktur investiert,
                                                                               wie dies z. B. in Baden-Baden der Fall war.52
                                                                               Im archäologischen Befund in den beiden Gasthöfe Hinter-
                                                                               hof und Staadhof und in den Baubefunden zeigt sich, wie im
                                                                               19. Jh. die Normierung der Bäder weiter fortschritt: Die Ein-
                                                                               zelpiszinen wiesen nun sogar weniger als 2 m2 Grundfläche
Abb. 12. Baden AG, Gasthof Hinterhof. Um 1870 eingebautes Bassin mit einer     auf (Abb. 12).53 Im Zuge des wachsenden Hygienebewusst-
Verkleidung aus in eine Schablone gegossenem Zement. Foto Kantonsarchäologie
Aargau.
                                                                               seins kamen neue Materialien zum Einsatz. So sind für die
                                                                               Zeit ab der Mitte des 19. Jh. erste Versuche mit Beckenaus-
                                                                               kleidungen und Böden aus Keramikfliesen überliefert. Für das
                                                                               mittlere Drittel des 19. Jh. sind mit Schablonen gegossene
                                                                               Wannen aus Zement belegt. Erst gegen die Wende zum 20. Jh.
2.6 Die Entwicklung der Bäder                                                  setzten sich glasierte Fliesen aus Steinzeug und Klinker
während des Kurbooms des 19. Jh.                                               durch.54 Dieselben Materialien dominierten nun auch in den
                                                                               Baderäumen.55 Um 1883 gab es in Baden über 600 solcher
Befördert von den Fortschritten der Naturwissenschaften                        Einzelbäder, die in verschiedenen Bäderhotels teilweise noch
und der Medizin und begünstigt durch die gesellschaftliche                     bis zur Jahrtausendwende den «state of the art» darstellten.56
Öffnung und den Wirtschaftsaufschwung setzte in den ersten
Jahrzehnten des 19. Jh. in ganz Europa ein eigentlicher Kur-
boom ein.45 Von dieser Entwicklung wurden auch die in den                      3. Die Bedeutung der archäologischen
vorangehenden zwei Jahrhunderten eher etwas an den Rand                        Substanz und Forschung in Baden
gedrängten Thermalbäder ergriffen. Mit dem neuen Bürger-
tum fand ein breiteres Publikum Gefallen am einstigen adli-                    Die zwischen 2009 und 2012 bzw. 2018 in Baden untersuch-
gen und städtischen Privileg der Sommerfrische im Badeort.                     ten archäologischen Befunde und die Baureste in den Hotels
Bei der nun vermehrt staatlich geförderten medizinischen                       Ochsen und Bären brachten erstmals umfassende bauliche
Versorgung der Bedürftigen und Kranken kam den Heil-                           Zeugen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bäder zu
bädern ebenfalls grosse Bedeutung zu.46                                        Tage. Insbesondere die Relikte im mittelalterlichen und neu-
In Baden setzte der Wandel zum modernen Kurort sanft ein:                      zeitlichen Bädergasthof Hinterhof sowie in den historischen
1815–1817 wurde mit dem Teilneubau des Gasthofs Staadhof                       Hotels Bären und Ochsen geben erstmals ein handfestes
ein erster Schritt in Richtung einer zeitgemässen Hotellerie                   Bild der Entwicklung der Infrastruktur des Heilbades. Sie
unternommen. Die anderen Gasthöfe und Gasthäuser – seit                        ergänzen damit die umfangreichen historischen und literari-
Jahrhunderten in einem komplizierten Geflecht von gegen-                       schen Quellen.57
seitigen Wasserrechten und erbrechtlichen Abhängigkeiten ge-                   Es erweist sich dabei für die Forschung als Glück, dass der
fangen – verharrten noch im Zustand des 17. und 18. Jh.47                      Kurort Baden im Kurboom des 19. Jh. keine vergleichbar
Erst als der junge Kanton Aargau im Winter 1828/ 29 die zu-                    umfassende Erneuerung erfuhr, wie dies in anderen Kur-
vor frei in die Limmat auslaufende Limmatquelle fassen liess,                  orten geschah. Das Fehlen eines investitionsfreudigen Sou-
war ein Ausbau der Infrastruktur möglich. In den 1830er-                       veräns, Staats oder eines Mäzens und dadurch eine weniger
und 1840er-Jahren entstanden erste Hotels im Stil der damals                   exzessive bauliche Entwicklung des Kurortes bewahrte erheb-

204                                                                                                  A. Schaer, Baden AG: vom Wildbad zum Kurort
liche Teile der historischen Bausubstanz und die im Boden                       Baden im Aargau – im Rahmen einer seriellen Kandidatur
vorhandenen archäologischen Strukturen vor massiver Ver-                        um das prestigeträchtige Label als Welterbe der UNESCO.60
änderung und Zerstörung.58 Auch das Scheitern zahlreicher                       Im Fokus der Kandidatur steht dabei insbesondere das städ-
grosser Bauvorhaben in der 2. H. des 20. Jh. darf aus Sicht                     tebauliche und architektonische Erbe dieser durch die Ent-
der Archäologie als glückhaft gelten, wären doch noch bis vor                   wicklung im 18. und insbesondere im 19. Jh. geprägten Kur-
wenigen Jahrzehnten die mittelalterlichen und neuzeitlichen                     orte. Die römischen, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen
Reste der Badeinfrastruktur kaum Gegenstand archäologi-                         Wurzeln und Formen der Badeorte werden dabei aus den in
scher Untersuchungen gewesen und daher undokumentiert                           Kapitel 3 dargestellten Gründen weitestgehend ausgeblen-
zerstört worden, wie dies noch anlässlich der Neubauten der                     det. Ebenso findet in den genannten Orten neben der für die
1960er-Jahre der Fall war.59                                                    Kandidatur notwendigen, zumeist historischen oder archi-
Die seit 2009 in Baden erarbeiteten archäologischen Grund-                      tekturgeschichtlichen und kulturgeografischen Archivarbeit
lagen erlauben es nun erstmals, die Entwicklung des während                     keine umfassendere Grundlagenforschung statt.
beinahe zwei Jahrtausenden bedeutendsten Thermalbade-                           Baden im Aargau, das im Mittelalter und bis ins 16. Jh. der
ortes der Schweiz und des ersten Tourismusmagnets unseres                       wohl bedeutendste Thermalbadeort im Deutschen Reich
Landes anhand der materiellen Hinterlassenschaften und                          war – und wo, wie dargestellt, noch zahlreiche und einzig-
der Bausubstanz zu illustrieren. Neu und fundamental ist da-                    artige bauliche Zeugen aus dieser Zeit erhalten sind – war
bei der Nachweis des Ausbaus der Bäder bereits im 11. Jh. –                     nie im Dunstkreis der Kandidatenstädte. Vor dem Hinter-
eine Entwicklung, die anhand der historischen Quellen ge-                       grund der erwähnten Welterbekandidatur bekommt die seit
meinhin erst für das 13. Jh. angenommen wurde. Bislang in                       2009 in Baden laufende Forschung zusätzliche Bedeutung.
dieser Form und Kontinuität nicht und in keinem anderen                         Was wir derzeit in Baden erforschen, wäre in ähnlicher Form
Badeort am Objekt in vergleichbar umfassend dokumentiert                        in den genannten Welterbekandidatenstädten gar nicht mehr
ist auch die Entwicklung der Badeeinrichtungen zwischen                         vorhanden (gewesen). Die Arbeiten in und zu Baden liefern
Mittelalter und Neuzeit.                                                        damit weit über die Schweiz hinaus bedeutende Grundlagen
                                                                                zum Verständnis der Entwicklung des Europäischen Kultur-
                                                                                phänomens der Badekur vom Mittelalter bis in die Moderne.
4. Epilog
                                                                                                                               Andrea Schaer
Derzeit bewerben sich die elf Kurorte – Baden-Baden, Bad                                                                Archaeokontor GmbH
Ems und Bad Kissingen (alle D), Montecatini Terme (I),                                                                 Wangenhubelstrasse 17
Vichy (F), Spa (B), Bath (GB), Karlsbad, Franzensbad und                                                           3173 Oberwangen bei Bern
Marienbad (alle CZ) sowie Baden bei Wien (A), nicht aber                                                      Andrea.schaer@archaeokontor.ch

Anmerkungen
1    Artesische, d. h. natürlich aufsteigende Thermalquellen stehen in Abhän-   18 Die Auswertung der Grabungen 2009–2012 durch die Verfasserin ist
     gigkeit vom natürlichen Grundwasserspiegel. Je höher ihr Quellspiegel         derzeit im Gang. Die Publikation ist 2020/2021 vorgesehen. Bislang
     bei der Fassung angehoben wird, desto geringer wird die Schüttung             erschienen verschiedene Vorberichte und Synthesen (u. a. Schaer 2013;
     einer Quelle. Je tiefer und näher an der natürlichen Austrittstelle das       2015). Der vorliegende Text gibt den Forschungsstand im Januar 2018
     Wasser genutzt werden kann, desto höher ist die Schüttung (Michel             wider.
     1998, 21).                                                                 19 Schaer 2015, 39.
2    Lorenz 1949, 243f.; Fuhs 1992, 17.                                         20 Anm. 19.
3    Schaer 2015, 39.                                                           21 Meier 2015, 94–96.
4    Bothe 1984, 13; Coenen 2008, 135.                                          22 In Baden können seitdem Mittelalter zwei Badegasthöfe sowie Bade-
5    Fuhs 1992, 97; Eidloth 2013, 135f.; Schaer 2015, 67.                          gasthäuser unterschieden werden. Die beiden Gasthöfe «Hof nid dem
6    Studt 2001, 33f.                                                              Rain» und «Hinterhof» waren grossflächige, mit einer Mauer umfriedete
7    Fuhs 1992, 22f; Lotz-Heumann 2003; Studt 2001, 33; 2010, 83f.                 Anlagen, bestehend aus verschiedenen Badehäusern, Unterkunftsge-
8    Studt 2001, 33; 2010, 83f.                                                    bäuden sowie Ökonomiebauten. Die Gasthäuser können ein oder
9    Bredekamp 2014, 28–32.                                                        mehrere Gebäude bzw. Hofstätten umfassen. Sie sind jedoch deutlich
10   Bredekamp 2014, 33.39f.                                                       kleiner als die beiden Höfe. Die Gasthäuser scheinen zunächst von den
11   Die heute 18 gefassten Thermalquellen liefern täglich ca. 900 000–            Badehäusern getrennt entstanden zu sein. Zwischen dem 14. und
     1 000 000 l 47°C warmes Thermalwasser. Wie viele Quellen in der               16. Jh. verschmelzen sowohl in den Gasthöfen wie auch bei den Gast-
     Antike und im Hochmittelalter gefasst und genutzt wurden, ist nicht           häusern die Badehäuser und Unterkunftstrakte: Schaer 2013, 204.
     bekannt: Schaer 2015, 10–12.                                               23 Grabungsdokumentation B.009.1 Baden-Hinterhof; Schaer 2015, 42.
12   Schaer 2015, 13–35.                                                        24 Studierende der Fachhochschule Nordwestschweiz, Abteilung Energie-
13   Schaer 2015, 36.                                                              und Umwelttechnik, erarbeiten gegenwärtig ein thermodynamisches
14   Schaer 2015, 36; Meier 2015, 94.                                              Modell dieses Bassintyps.
15   Anm. 14. Die Parzellen im Bereich der römischen Siedlung auf dem           25 Mit der Unterscheidung von einerseits nur den Hausgästen vorbehal-
     Haselfeld gehören bis ins 19. und 20. Jh. traditionell zu den Badegast-       tenen Bädern der Badegasthöfe und Gasthäuser und andererseits der
     höfen und Badegasthäusern.                                                    Laufkundschaft, den Bürgern der nahen Stadt und den Armen zugäng-
16   Coenen 2008, 134; Studt 2012, 84f.; Eidloth 2012, 16.                         lichen öffentlichen Bädern zeigt sich bereits im Hochmittelalter die
17   Schaer 2015, 39; a. a. O. Anm. 104.                                           ständische Segregation der Badenden.

A. Schaer, Baden AG: vom Wildbad zum Kurort                                                                                                         205
26 Es werden die Bezeichnungen nach Pantaleon 1578, LXXXIIII ver-             44 Das Einrichten der Badekeller ist durch einen Eintrag im Hausbuch der
   wendet.                                                                       Familien Amberg und Falck, 89, genau datierbar.
27 Poggio Bracciolini 1416.                                                   45 Schaer 2015, 59–63.
28 Anm. 23.                                                                   46 Das Nebeneinander von Badegästen der gehobenen Schichten und
29 Das «beschossene Bad» wird urkundlich Ende des 13. Jh. erstmals als           armen Menschen ist ein Charakteristikum aller Badeorte und insbeson-
   habsburgisches Erblehen erwähnt. Es dürfte im heutigen Hotel «Och-            dere der traditionellen Thermalbäder, wenn dann vor Ort die Besucher-
   sen» zu lokalisieren sein: Schaer 2015, 42.                                   gruppen auch räumlich fein säuberlich getrennt wurden. Für Baden mit
30 Schaer 2015, 42.51. Wichtigste Schriftquellen sind Poggio Bracciolini         allgemeinen Verweisen Schaer 2015, 62.
   1416 und Pantaleon 1578.                                                   47 Schaer 2015, 63–65.
31 zum Nebeneinander von Gemeinschafts- und Privatbädern: Pantaleon           48 Anm. 47.
   1578. Die schrittweise Entwicklung ist anhand der Befunde im Gasthof       49 Schaer 2015, 67; Meier 2015, 142.
   Hinterhof archäologisch fass- und datierbar.                               50 Schaer 67–75; Müller 2016.
32 Die Frage der Temperierung und Durchmischung des Wassers ist Ge-           51 Schaer 2015, 79; Furter 2015, 251.
   genstand des in Anm. 24 erwähnten Forschungsprojekts der Fachhoch-         52 Schaer 2015, 79; Schaer/ Förderer 2018, 52.
   schule Nordwestschweiz.                                                    53 Grabungsdokumentationen B.009.1 Baden-Hinterhof und B.010.1
33 Schaer 2015, 54 – 56.                                                         Baden-Limmatknie.
34 Anm. 33.                                                                   54 Befunde B.009.1 Baden-Hinterhof und B.010.1 Baden-Limmatknie;
35 Schaer 2015, 41, Abb. 35.                                                     Münzel 1947, 230–232.
36 Schaer 2015, 54–57.                                                        55 Münzel 1947, 238–241.
37 Schaer 2015, 57.                                                           56 Schaer 2015, 77, Abb. 66.
38 Schaer 2015, 58, Abb. 46.                                                  57 als umfassendste Zusammenstellung zur Entwicklung und Bauweise
39 Der Bau wurde erstmals von Maurer 1790, 29 erwähnt. Ab dem 20. Jh.,           der Bäder in historischer Zeit bis in die 1940er-Jahre: Münzel 1947.
   ebenso in den Dokumentationen der Kantonsarchäologie, wird das             58 Nach wissenschaftlichen Kriterien erstellte Dokumentationen mittel-
   Gebäude nach dem Erbauer auch «Dorerhaus» genannt.                            alterlicher und frühneuzeitlicher Badeeinrichtungen liegen kaum vor.
40 Schaer 2015, 59.                                                              Zumeist standen, gleich wie in Baden, lange, die römischen Thermen
41 Maurer 1790, 28f. und Hess 1818, 25–29 beschrieben die kaum mehr              im Fokus der jeweiligen Forscher.
   zeitgemässen Anlagen des Gasthofs Hinterhof an der Wende zum 19. Jh.       59 Bei den Bauarbeiten für das Thermalbad 1963/ 64 und den neuen
42 Der Abbruchentscheid für das Gebäude wurde auf politischer Ebene              Staadhof sowie die Trinkhalle 1967–69 lag der Fokus der Archäologie
   und bevor dessen kulturgeschichtliche Bedeutung erkannt wurde ge-             ausschliesslich auf den römischen Befunden.
   fällt. Mit dem Neuen Haus oder Dorerhaus ging das letzte neben dem         60 http://whc.unesco.org/en/tentativelists/5934/; https://www.baden-
   Alten Bad in Bad Pfäfers (Bad Ragaz) noch bestehende barocke Bade-            baden.de/stadtportrait/stadt/welterbe/antrag-als-unesco-welterbe/;
   haus der Schweiz verloren. Unpublizierte Grabungsdokumentation                https://www.denkmalpflege-bw.de/denkmale/unesco-welterbe/in-
   B.017.4 Baden-Dorerhaus.                                                      vorbereitung-great-spas-of-europe/(alle aufgerufen am 11.2.2018).
43 Da die Räume völlig mit Schutt und Abfall aufgefüllt waren, war vor
   dem Abbruch eine Baudokumentation unmöglich.

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