Die Sprache der Objekte - Kulturelles Erbe bewahren, erforschen und vermitteln - Hausfragen

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Die Sprache der Objekte - Kulturelles Erbe bewahren, erforschen und vermitteln - Hausfragen
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Die Sprache der Objekte
Kulturelles Erbe bewahren, erforschen und vermitteln
Die Sprache der Objekte - Kulturelles Erbe bewahren, erforschen und vermitteln - Hausfragen
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Inhaltsverzeichnis

Vorwort                                                                                                                                                                         2

Materielle Kultur erschließen, erforschen und vermitteln                                                                                                                        4
Unsere materielle Kultur – warum es so wichtig ist, sie zu fördern von Friederike Fless......................................... 7

Die Sprache der Objekte                                                                                                                                                         9
Neue theoretische Ansätze ................................................................................................................................................ 10
Digitale Methoden und Neue Medien ............................................................................................................................. 14
Naturwissenschaftliche Methoden .................................................................................................................................. 18
Öffentlichkeitswirksamkeit ............................................................................................................................................... 22
Museen als Kooperationspartner ..................................................................................................................................... 26
Internationalisierung .......................................................................................................................................................... 30

Forschende Museen                                                                                                                                                            35
Die Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft ...................................................................................................... 36

Weitere Förderschwerpunkte                                                                                                                                                   43
Allianz für universitäre Sammlungen .............................................................................................................................. 44
eHeritage – Digitalisierung des kulturellen Erbes ........................................................................................................ 46
Kleine Fächer – große Potenziale ..................................................................................................................................... 47
Innovative Einzelprojekte .................................................................................................................................................. 48

Standpunkte                                                                                                                                                                  51
Zur Sache – über Dinge in den Geistes- und Sozialwissenschaften von Till Förster............................................... 52
Unsere Sorgen – über Herausforderungen beim Sammeln von Ulrich Raulff ......................................................... 53
Digitale Methoden – wichtige Ergänzung zu traditionellen Arbeitsweisen in den Geistes-
und Sozialwissenschaften – ein Interview mit Wolfram Horstmann ........................................................................ 54
Die Zusammenarbeit von Hochschulen, Sammlungen und Museen – ein Gewinn für alle
– ein Interview mit Frank D. Steinheimer......................................................................................................................... 55

Ihre Ansprechpartner                                                                                                                                                         56

Impressum                                                                                                                                                                    57
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Vorwort
Was kann uns ein zweitausend Jahre altes Trinkgefäß erzählen? Es gibt uns
einen Einblick in das Alltagsleben und die kulturellen Errungenschaften der
Menschen in der damaligen Zeit.

Ein bedeutender Teil unseres kulturellen Erbes wird in Museen, Archiven und
Sammlungen aufbewahrt. Damit die Objekte dort nicht verstauben, son-
dern den Wissenshorizont der Menschen erweitern, brauchen wir engagierte
Geistes- und Kulturwissenschaftler, die die Bestände erschließen, zugänglich
machen und verständlich aufbereiten. Die Geistes- und Kulturwissenschaften
helfen uns, kulturelle Systeme und Ordnungen zu verstehen, gesellschaftliche
Zusammenhänge zu durchdringen und historische Entwicklungen und
Umbrüche zu analysieren.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt sie dabei. Mit
dem Rahmenprogramm für die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften
stärken wir die Perspektive auf die Materialität von Kultur mit verschiedenen
Förderaktivitäten. Das Spektrum reicht von der institutionellen Förderung der
acht Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft bis zur Projektförderung
von Sammlungen an Universitäten. Letztere werden dabei unterstützt, ihre
Bestände zu erschließen und für die Forschung zur Verfügung zu stellen. Der
Beitrag der sogenannten Kleinen Fächer ist dabei von erheblicher Bedeutung.
Ein wichtiges neues Aufgabenfeld ist die Digitalisierung von Sammlungsbe-
ständen. Sie eröffnet vollkommen neue Möglichkeiten der kulturellen und
wissenschaftlichen Nutzung der Sammlungen.

Die vorliegende Broschüre gibt einen Überblick über unser breites Förder-
spektrum im Bereich der Forschung zur materiellen Kultur und stellt die-
se erstmals gebündelt dar. Außerdem kommen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler zu Wort, die an Hochschulen, Museen, Archiven und anderen
Forschungseinrichtungen die vielfältige „Sprache der Objekte“ erforschen.

Ich wünsche Ihnen interessante Einsichten in einen sehr lebendigen, interdiszi-
plinären und anschaulichen Bereich der Geistes- und Kulturwissenschaften.

Prof. Dr. Johanna Wanka                                                                                     Fischfigur vom Stamm der Apalai-Wayana
                                                                                                             aus der Sammlung M. Rauschert (Bonner
Bundesministerin für Bildung und Forschung                                                                                    Altamerika-Sammlung).
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Materielle Kultur erschließen, erforschen                                                                                                                                                                 Allianz für universitäre Sammlungen
und vermitteln                                                                                                                                                                                            Der Wissenschaftsrat hat 2011 darauf aufmerksam
                                                                                                                                                                                                          gemacht, dass an deutschen Hochschulen teilweise
                                                                                                                                                                                                          einzigartige Sammlungen brachliegen und von der
                                                                                                                                                                                                          Wissenschaft nicht genutzt werden können. Deshalb
                                                                                                                                                                                                          unterstützt das BMBF diese Sammlungen seit 2012 in
Der Mensch umgibt sich seit jeher mit Dingen, die er         gende Sammlungen in den Bereichen                                                                                                            ihrem Bemühen, gemeinsame Standards und dringend
herstellt, um sie in den verschiedensten Kontexten zu        Naturkunde sowie Kunst-, Kultur-                                                                                                             erforderliche Kooperationsstrukturen aufzubauen. Die
verwenden. Seien es Gegenstände der Alltagskultur, der       und Technikgeschichte, sie sind auch                                                                                                         Bekanntmachung „Vernetzen – Erschließen – Forschen.
Kunst, Religion, Wissenschaft, Medizin oder Architek-        national bedeutende Forschungsinsti-                                                                                                         Allianz für universitäre Sammlungen“ (2015) stellt
tur – die Fülle der materiellen Kultur spiegelt die Fülle    tutionen (siehe S. 35 bis 41).                                                                                                               darüber hinaus Projektmittel in Höhe von circa 8,9 Mio.
vergangener wie gegenwärtiger menschlicher Gesell-                                                                                                                                                        Euro zur Verfügung, um die Hochschulen in die Lage
schaften. Über die Jahrhunderte hinweg haben sich            Disziplinen und Institutionen                                                                                                                zu versetzen, ihre Sammlungen gemeinsam mit inner-
unzählige materielle Zeugnisse menschlichen Tuns er-         vernetzen                                                                                                                                    und außeruniversitären sowie musealen Partnern
halten. Dieses kulturelle Erbe gilt es zu erforschen, weil   Neben der langfristig ausgerichteten                                                                                                         exemplarisch für Forschung und Lehre aufzuarbeiten.
sich in Artefakten komplexe gesellschaftliche, kulturelle    institutionellen Förderung der For-                                                                                                          (siehe S. 44–45).
und wirtschaftliche Zusammenhänge materiell verdich-         schungsmuseen der Leibniz-Gemein-
ten. Indem sie die Spuren ihres Entstehens und ihrer         schaft setzt das BMBF auf die zumeist                                                                                                        Kleine Fächer – große Potenziale
Verwendung in sich tragen und kulturelle Zuschreibun-        auf drei Jahre angelegte Projektför-                                                                                                         Etwa ein Viertel der an den sammlungsbezogenen
gen spiegeln, können sie als wissenschaftliche Quellen       derung. Kennzeichen der BMBF-                                                                                                                Verbundvorhaben beteiligten Disziplinen können den
genutzt und somit zum „Reden“ gebracht werden, um            Projektförderung sind zum einen die                                                                                                          sogenannten Kleinen Fächern zugerechnet werden.
Geschichte und Gegenwart besser zu verstehen oder neu        Arbeit in Forschungsverbünden mit                                                                                                            Diese Fächer beschäftigen sich besonders häufig mit
zu deuten.                                                   mehreren Kooperationspartnern und                                                                                                            Objekten des kulturellen Erbes, zum Beispiel die
                                                             zum anderen die Interdisziplinarität                                                                                                         Ägyptologie, die Ostasiatische Kunstgeschichte oder
Die Museen, Archive, Hochschulen und Bibliotheken in         der Projekte. Beides zielt auf eine Ver-                                                                                                     die Europäische Ethnologie. Diese Disziplinen sind in
Deutschland verfügen über einen immensen Bestand             netzung zwischen Museen, Archiven,                                                                                                           Forschungsverbünden unverzichtbare Partner, weil
an materiellen Kulturgütern: von künstlerischen und          Hochschulen und Forschungsinstitu-                                                                                                           sie sehr spezifische Kompetenzen einbringen. Um die
ethnologischen Artefakten über wissenschafts- und            ten sowie zwischen den unterschied-                                                                                                          Kleinen Fächer weiter zu stärken, hat das BMBF 2016
medizinhistorische Gegenstände bis hin zu Objekten           lichen Fächern.                                                                                                                              erstmals die Bekanntmachung „Kleine Fächer – Große
der Natur- und Technikgeschichte. Das BMBF trägt                                                                                                                                                          Potenziale“ veröffentlicht, die Nachwuchswissenschaft-
gezielt dazu bei, dass diese vielfältigen Sammlungs-         Die Erforschung der vom Menschen                                                                                                             lerinnen und -wissenschaftler dabei unterstützen soll,
bestände erschlossen und erforscht werden. Seit der          geschaffenen Dingwelten erfordert                                                                                                            Forschungsvorhaben innerhalb dieser wichtigen, aber
„Freiraum-Initiative“, 2007 im Jahr der Geisteswis-          die Zusammenarbeit verschiedener                                                                                                             oft bestandsgefährdeten Fachdisziplinen zu realisieren
senschaften gestartet, hat das BMBF mehrere Förder-          Disziplinen und möglichst auch                                                                                                               (siehe S. 47).
bekanntmachungen auf den Weg gebracht, um die                verschiedener Institutionen. So
sammlungsbezogene Forschung zu stärken. Über                 haben Fachwissenschaftlerinnen und                                                                                                           Sammlungen als (digitale) Infrastrukturen
                                                                                                                      Birgit Schorer und Maxime Rageot vom Projekt BEFIM bei der Entnahme von Proben im
44 Mio. Euro wurden seither in entsprechende Projekt-        -wissenschaftler an den Museen in                        Archiv des Landesmuseums Württemberg.                                               Wissenschaftliche Sammlungen sind Infrastrukturen
vorhaben investiert. Auf diese Weise konnte in den letz-     der Regel eine größere Nähe zu Sammlungs-                                                                                                    für die Forschung. Um ihr Funktionieren zu gewähr-
ten zehn Jahren ein neuer BMBF-Förderschwerpunkt             objekten als jene, die vor allem theoriegetrieben an                       Hinzu kommen innovative Projekte wie der For-                     leisten, müssen sie wissenschaftlich erschlossen wer-
im Bereich der Material Culture Studies entwickelt           einer Universität forschen. Beide Expertisen gehören                       schungsverbund Marbach-Weimar-Wolfenbüttel,                       den. Das gilt für die Lagerung, Pflege, Konservierung
werden, der die Förderlandschaft in Deutschland sicht-       zusammen und sollen möglichst durch andere diszi-                          der Forschungsaktivitäten von drei herausragenden                 und Zugänglichkeit der konkreten Objekte sowie für
bar und nachhaltig bereichert hat.                           plinäre Sichtweisen ergänzt werden, um zu neuen                            Einrichtungen des deutschen Kulturerbes bündelt,                  die Pflege der Katalogdaten. Da der Zugriff auf wissen-
                                                             und überraschenden Erkenntnissen zu gelangen.                              ein Forschungsprojekt zu Alexander von Humboldts                  schaftliche Quellen zunehmend auf digitalem Wege
Seit 2009 ist das BMBF zudem für die acht Forschungs-        Mit dem Programm „Die Sprache der Objekte. Mate-                           amerikanischen Reisetagebüchern, das auch Aspekte                 erfolgt, stehen auch die Museen und Sammlungen vor
museen der Leibniz-Gemeinschaft zuständig. Der               rielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwick-                       der Materialität der Tagebücher berücksichtigt, sowie             neuen Herausforderungen. Mit der Digitalisierung
Bund beteiligt sich an der dauerhaften institutionellen      lungen“, in dem aktuell 24 Verbundprojekte gefördert                       ein Verbundprojekt zu dem Kunsthistoriker Aby War-                verbinden sich aber auch große Chancen für die For-
Förderung dieser Museen mit 50 Prozent des jeweili-          werden, soll die Vernetzung der Disziplinen und                            burg, das interdisziplinäre Bild- und Ideengeschichte             schung, denn sie ermöglicht neue Forschungszugänge
gen Forschungsetats. Die Forschungsmuseen verfügen           Institutionen weiter vorangetrieben werden (siehe                          in einem internationalen Umfeld betreibt (siehe S. 48             und bietet den Museen die Möglichkeit, ihre Sammlun-
nicht nur über national sowie international herausra-        S. 9 bis 33).                                                              bis 49).                                                          gen über das Internet bekannt zu machen. Deshalb hat
Die Sprache der Objekte - Kulturelles Erbe bewahren, erforschen und vermitteln - Hausfragen
6                                                                                                          DIE Sprache der Objekte         ��������������������������������������������������������                                                                  7

                                                                                    gefördert, sondern anteilig auch Ausstel-
                                                                                                                                               Unsere materielle Kultur – warum es so wichtig ist,
                                                                                    lungen als museumsspezifische Form des                     sie zu fördern – ein Statement von Friederike Fless
                                                                                    Transfers von Forschungsergebnissen in
                                                                                    eine breitere Öffentlichkeit.

                                                                                    Kulturelles Erbe braucht starke                        Vor 3,3 Millionen Jahren setzt                                                               Deutschland verfügt in
                                                                                    Förderer                                               die Produktion von Werkzeu-                                                                  bestimmten Disziplinen wie
                                                                                             Das kulturelle Erbe in der Bundesrepublik     gen ein. Damit beginnt eine                                                                  der Archäologie über eine
                                                                                             Deutschland kann in seiner Vielfalt und       zunächst langsame Ent-                                                                       lange Tradition und Erfah-
                                                                                             Einzigartigkeit nur dann umfassend erhal-     wicklung, die im Verlauf der                                                                 rung in der Erforschung der
                                                                                             ten, erforscht und vermittelt werden, wenn    Menschheitsgeschichte jedoch                                                                 materiellen Kultur sowie über
                                                                                             sich verschiedene Förderer engagieren.        zunehmend an Dynamik                                                                         einmalige Sammlungen, die
                                                                                             Zuallererst müssen die Träger von Samm-       gewinnt. Heute leben wir in                                                                  geradezu enzyklopädisch das
                                                                                             lungseinrichtungen – seien es Kommune,        einer Welt voller Dinge, eine                                                                Objektgedächtnis der Welt
                                                                                             Land oder Bund – eine möglichst ausrei-       Welt, in der über immer neue                                                                 bewahren. Aktuell führt das
                                                                                             chende Grundfinanzierung zur Erfüllung        technologische Innovationen                                                                  stärker werdende Interesse an
                                                                                             dieser komplexen Aufgaben zur Verfügung       neue Objekte hervorgebracht                                                                  der materiellen Kultur dazu,
                                                                                             stellen. Ergänzend kommen Drittmittelan-      werden. Im „Internet der                                                                     dass die Zusammenarbeit von
                                                                                             gebote hinzu, die vom Bund, aber auch von     Dinge“ verändert sich dabei                                                                  universitärer Forschung und
                                                                                             anderen Förderern wie der Deutschen For-      der Charakter der Objekte,                                                                   Museen intensiviert wird. Die
Nahaufnahme eines typischen Granatzellwerks (Cloisonné), das im Projekt „Zellwerk“           schungsgemeinschaft oder den zahlreichen      die selbst zu „Handelnden“                                                                   im Rahmen des Programms
untersucht wurde.
                                                                                            im Netzwerk „Kunst auf Lager“ organisier-      werden. Kühlschränke werden                                                                  „Die Sprache der Objekte“
                                                                                            ten Förderern angeboten werden. Als ein        in die Lage versetzt, knap-                                                                  durchgeführten Projekte lassen
das BMBF dieser dringenden Zukunftsaufgabe mit der                               Förderer im weiten Feld des kulturellen Erbes steht das   per werdende Lebensmittel                                                                    dies ebenso wie das breite
Bekanntmachung „eHeritage“ (2016) ein eigenes För-                               BMBF im Austausch mit diesen und anderen Geldge-          nachzubestellen, oder defekte                                                                Spektrum der Fragestellungen
derprogramm gewidmet, das Sammlungen unterstützt,                                bern, um auch in Zukunft koordiniert und effektiv die     Geräte, einen Servicetechniker                                                               und beteiligten Disziplinen und
Digitalisierungskonzepte zu erarbeiten und konkrete                              wissenschaftliche sowie öffentliche Nutzung materiel-     zu bestellen. In einer Situa-                                                                Einrichtungen erkennen. Es
Digitalisierungsmaßnahmen zu realisieren (siehe S. 46).                          ler Kulturgüter sicherzustellen.                          tion, in der eine Virtualisierung                                                            müssen aber noch viele weitere
                                                                                                                                                                             Keramikkrug aus Alt-Samarkand (siehe Projekt Khurasan).
                                                                                                                                           von Realität stattfindet, in der                                                             Projekte durchgeführt werden,
Von der Forschung zur Vermittlung                                      Mehr zu „Kunst auf Lager. Bündnis zur Erschließung und              Objekte beginnen, scheinbar                                                                  damit die große Kompetenz in
Objektbezogene Forschung ist zumeist anschaulich                       Sicherung von Museumsdepots“                                        selbstständig zu handeln, und der Mensch einer Flut von              Deutschland auch für die Bewältigung aktueller Heraus-
und eignet sich damit hervorragend, einem breiteren                    → www.kunst-auf-lager.de                                            Objekten gegenübersteht, stellt sich in ganz neuer Form              forderungen in einer Welt voller Dinge wirksam werden
Publikum vermittelt zu werden. An den Museen wer-                                                                                          die Frage: Was machen die Objekte mit den Menschen?                  kann.
den im Rahmen von Ausstellungen Forschungsergeb-
nisse zu Bildungserlebnissen aufbereitet, Museen sind                                                                                      Anders als Bilder und Texte prägt die materielle Kul-
deshalb wichtige Orte des außerschuli-                                                                                                     tur alle Bereiche des menschlichen Lebens. Menschen                                         Friederike Fless
schen Lernens. Dieses spezifische Poten-                                                                                                   schaffen Objekte und werden von diesen wiederum in                                          Die Klassische Archäologin
zial der Museen gilt es, weiter zu entfalten.                                             Das BMBF-Rahmenprogramm                          ihrem Handeln geprägt. In Objekten materialisieren sich                                     begann ihre Laufbahn am
So haben sich die Forschungsmuseen                                                        Geistes-, Kultur- und Sozialwissen-              Erfahrungswissen und das technologische Wissen ihrer                                        Archäologischen Institut in
der Leibniz-Gemeinschaft die Aufgabe                                                      schaften                                         Herstellung. Sie können Ergebnis von Innovationen sein.                                     Mainz. Nach Stationen an
gestellt, als Schaufenster der Forschung                                                  Mehr zum BMBF-Rahmenprogramm                     Sie sind Gegenstand sozialer und ritueller Praktiken. Sie                                   den Universitäten in Köln
neue Konzepte der Wissensvermittlung                                                      Geistes-, Kultur- und Sozialwissen-              prägen die Kulturen, die sie hervorbringen. Sie sind aber                                   und Leipzig nahm sie einen
zu entwickeln. Auch das BMBF trägt                                                        schaften erfahren Sie auf den Seiten             auch Gegenstand kulturellen Austausches. Die Material                                       Ruf an die Freie Universität
dieser Zielsetzung Rechnung, indem mit                                                    des BMBF auf www.bmbf.de/de/                     Culture Studies können diese Sprache der Objekte                    Berlin an. Von 2007 bis 2011 war sie Sprecherin
der Bekanntmachung „Die Sprache der                                                       geistes-und-sozialwissenschaf-                   mit ihren vielfältigen Bezügen aufdecken und so zum                 des Berliner Exzellenzclusters „Topoi – The Forma-
Objekte“ ein Novum in die Förderpraxis                                                    ten-152.html. Dort steht auch das                Verständnis der Kulturen beitragen. Der Blick in die Ver-           tion and Transformation of Space and Knowledge
eingeführt wurde: Neben der Forschung                                                     komplette Rahmenprogramm zum                     gangenheit erlaubt es wiederum, aktuelle Entwicklun-                in Ancient Civlilization“ von Freier Universität und
werden nicht nur Transferaktivitäten wie                                                  Download bereit.                                 gen zu spiegeln und materielle Kultur in ihrer heutigen             Humboldt-Universität. Seit 2011 ist Fless Präsi-
Tagungen, Publikationen und Webseiten                                                                                                      globalen Vernetzung besser zu verstehen.                            dentin des Deutschen Archäologischen Instituts.
Die Sprache der Objekte - Kulturelles Erbe bewahren, erforschen und vermitteln - Hausfragen
8                                                                           9

    Die Sprache der Objekte

       Die materielle Kultur mit ihrer Vielfalt an Objekten bildet eine
       zentrale Wissensquelle über Gesellschaften: Objekte geben
       über Wissens- und Produktionsstrukturen Auskunft, die sich
       im Gegenstand verkörpern. Und sie spiegeln Wertesysteme,
       die ihnen eingeschrieben sind oder zugesprochen werden. Um
       diese Wissenspotenziale zu bergen, braucht es interdisziplinäre
       Zusammenarbeit und Kooperationen verschiedener Institutionen,
       insbesondere von Museen und Hochschulen. Genau dies fördert
       das BMBF mit dem Programm „Sprache der Objekte“.

                                                        Ein Publikumsmagnet:
                                                  Der Brachiosaurus brancai im
                                                      Sauriersaal des Museums
                                                        für Naturkunde Berlin.
Die Sprache der Objekte - Kulturelles Erbe bewahren, erforschen und vermitteln - Hausfragen
10                                                                                                                   DIE Sprache der Objekte                                     Neue theoretische Ansätze                                                                                                             11

Neue theoretische Ansätze                                                                                                                                                                                                                   FARBAKS – die Sprache der Farbe
                                                                                                                                                                                         Pflegedinge – drei Fragen an                       im Wandel der Jahrhunderte
                                                                                                                                                                                         Projektleiter Andreas Kruse
Pflegedinge – die Bedeutung                                                   Das Projekt nimmt diese Dinge der Pflege in den Blick:                                                                                                        Farbe ist ein omnipräsentes, sinnliches Medium, das in
von Objekten in Geschichte und                                                vom Einmalhandschuh bis zu assistiven Technologien                                                           Sprechen Objekte? Wenn ja, wie kann ihre         einer zunehmend bunter werdenden Welt in zahlrei-
                                                                              wie Notfallsystemen im Krankenhaus um 1900 oder                                                              Sprache verstanden werden?                       che Lebensbereiche Einzug gehalten hat. Das Projekt
gegenwärtiger Praxis der Pflege                                               in der Wohnung eines pflegebedürftigen Menschen                                                              Die Analyse von Diskursen, also des Sprechens    FARBAKS erforscht im interdisziplinären Verbund die
                                                                              der Gegenwart. Untersucht wird, welche Bedeutung                                                             über Dinge, ist essenziell. Folgen wir den       Farb-Licht-Entwicklung seit 1800 und den fundamen-
Dinge spielten und spielen in der alltäglichen Pflege                         den verwendeten Objekten bei der Pflege zukommt                                                              Material Culture Studies, also den Forschun-     talen Wandel, den diese seit Beginn der Industrialisie-
von Menschen mit Behinderungen und Krankheit eine                             und wie sich die Nutzung dieser Dinge gewandelt hat.                                        gen zur materiellen Kultur, so ist insbesondere ein sinnlicher,   rung durch neue Produktions- und Anwendungsfor-
große Rolle – seien es der Schnabelbecher oder innova-                        Ziel ist es, den Anteil der Dinge an der Pflege sichtbar                                    haptischer Zugang angemessen, um Dinge – verstanden als           men, durch theoretisch-wissenschaftliche Diskurse
tive Technologien zur Unterstützung eines Lebens zu                           zu machen und zu erforschen, wie sich das Wissen der                                        dreidimensionale materiale Gebilde – zu begreifen. Aus der        und durch gesellschaftliche und kulturelle Bedeu-
Hause. In solchen Pflegedingen drücken sich pflegeri-                         Pflege in diese Dinge einschreibt – sowohl in pfle-                                         Materialität folgt ein bestimmter praktischer Umgang des          tungszuweisungen durchlaufen hat.
sche, medizinische und alltagsweltliche Wissensstände                         gerischen Tätigkeiten als auch in wissenschaftlichen                                        Menschen mit den Objekten. Die Analyse von Dingen umfasst
aus. Sie stellen im Zusammenspiel mit dem Menschen                            Sammlungen. Wie also strukturieren Objekte mögli-                                           aus unserer Perspektive diese leibliche Erfahrungsdimension,      Expertinnen und Experten aus den Geistes-, Kunst-
Pflege her.                                                                   cherweise die Pflegearbeit?                                                                 die daraus resultierende praktische Handhabung der Dinge          und Sozialwissenschaften sowie wissenschafts- und
                                                                                                                                                                          und Diskurse über die Dinge.                                      technologiegeschichtlichen Disziplinen nehmen auf
                                                                                                                                                                                                                                            der Grundlage neuester Entwicklungen in der Ob-
                                                                                                                                                                          Inwiefern materialisieren oder spiegeln Objekte                   jekt-, Materialitäts- und Wahrnehmungsforschung die
                                                                                                                                                                          soziale und kulturelle Prozesse?
                                                                                                                                                                          Wir gehen davon aus, dass sich in Objekten Werte, Normen,
                                                                                                                                                                          soziale Ordnungen oder kulturelle Prozesse ausdrücken. Das
                                                                                                                                                                          lässt sich z.B. am sogenannten Blindthermometer zeigen.
                                                                                                                                                                          Dieses Objekt fand Anfang des 20. Jahrhunderts in Sanatorien
                                                                                                                                                                          bei Tuberkulosepatienten Verwendung: Am Glasgehäuse des
                                                                                                                                                                          Quecksilberthermometers war keine Temperaturskala ange-
                                                                                                                                                                          bracht, sodass der Fieberwert erst abgelesen werden konnte,
                                                                                                                                                                          wenn das Thermometer in eine mit einer Skalierung versehene
                                                                                                                                                                          Hülse eingeführt wurde. Hintergrund war die Überzeugung,
                                                                                                                                                                          dass Aufregung über den eigenen Gesundheitszustand vermie-
                                                                                                                                                                          den werden sollte.

                                                                                                                                                                          Wirken Objekte „selbsttätig“ oder ist ihre Wirkung
                                                                                                                                                                          von soziokulturellen Hintergründen abhängig?
                                                                                                                                                                          Objekte sind integrale Bestandteile sozialer Praktiken und
                                                                                                                                                                          Handlungen. Ohne sie können spezifische Tätigkeiten even-
                                                                                                                                                                          tuell gar nicht ausgeführt werden bzw. müssen auf andere Art
                                                                                                                                                                          realisiert werden. Dinge wirken also an Praktiken und Hand-
                                                                                                                                                                          lungen mit. Ziel des Projekts ist es u.a. zu untersuchen, wie
                                                                                                                                                                          sich Handlungsfähigkeit in verschiedenen Pflegesituationen
                                                                                                                                                                          zwischen Menschen und Dingen verteilt. Bei neuen „smarten“
                                                                                                                                                                          Technologien, die für die Unterstützung älterer Menschen
                                                                                                                                                                          eingesetzt werden, gestaltet sich die Mitwirkung des Dings an
                                                                                                                                                                          der Handlungsfähigkeit des Menschen ganz anders als etwa
                                                                                                                                                                          bei einem Mundbefeuchtungsstäbchen.

                                                                                                                                                                                                                                            Hautfarben-Tafel nach Prof. Felix von Luschan von Puhl & Wagner, Rixdorf (ca. 1904/05).
           Scheinbar profan: Der Einmalhandschuh ist aus der Pflege nicht wegzudenken. Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité bewahrt ihn für die Nachwelt.
Die Sprache der Objekte - Kulturelles Erbe bewahren, erforschen und vermitteln - Hausfragen
12                                                                                                              DIE Sprache der Objekte     Neue theoretische Ansätze                                                                                                  13

vielschichtigen Potenziale von Farbe und Licht in den                             Wirkung zunehmend immaterieller Farbinformatio-           BIOFAKTE –
Blick. Darüber hinaus erforschen sie Beständigkeit,                               nen auf individuelle Wahrnehmungen und kulturelle         wie High-Tech-
Alterung und Rückgewinnung von Farbmaterialien                                    Codierungen an der Schnittstelle zwischen „analog“
bzw. farbigen Artefakten und thematisieren die                                    und „digital“.
                                                                                                                                            Pflanzen Gesellschaft
                                                                                                                                            beeinflussen

                                                                                                                                            „Biofakte“ ist ein von der
                                                                                                                                            Technikphilosophin Nicole C.
                                                                                                                                            Karafyllis entwickelter Begriff.
                                                                                                                                            Es sind hybride Objekte, die wie
                                                                                                                                            „Klonschaf“ und „Gentomate“
                                                                                                                                            die traditionelle Unterschei-
                                                                                                                                            dung von unbelebter Technik
                                                                                                                                            und lebender Natur unterlau-
                                                                                                                                            fen und damit immer wieder
                                                                                                                                            gesellschaftliche Konflikte aus-
                                                                                                                                            lösen. Die aktuellen Auseinan-
                                                                                                                                            dersetzungen um den Einsatz
                                                                                                                                            von Gentechnik im Agrar- und
                                                                                                                                            Ernährungssektor sind ein
                                                                                                                                            markantes Beispiel.

                                                                                                                                            Der Forschungsverbund BIO-
                                                                                                                                                                                 Die Forschungsobjekte des Verbunds Biofakte: Tomaten, Mais, Kakao und Samen.
                                                                                                                                            FAKTE setzt sich mit hoch-
                                                                                                                                            technisch kultivierten Obst- und
                                                                                                                                            Gemüsesorten auseinander sowie den damit verbunde-                    chanismen unterliegt und wie Technik und Gesell-
                                                                                                                                            nen Fragen des Sortenschutzes und des Lebensmittel-                   schaft (z.B. Erwartungen der Konsumenten) wiederum
                                                                                                                                            designs. Ziel des Verbunds ist es herauszuarbeiten, in-               die „Natürlichkeit“ der Dinge beeinflussen. Damit soll
                                                                                                                                            wieweit der scheinbar natürliche Prozess pflanzlichen                 auch ein besseres Verständnis aktueller Konflikte auf
                                                                                                                                            Wachstums technischen und sozialen Steuerungsme-                      dem Agrar- und Ernährungssektor erreicht werden.

 Während der Tagung des Projekts JuBri „Schaufenster in Jugendkulturen“ (2015).
                                                                                                                                               Projekte auf einen Blick
                                                                                                                                                                                                              JuBri – Techniken jugendlicher Bricolage:
                                                                                                                                               Pflegedinge – Die Pflege der Dinge:                            Interdisziplinäre Perspektiven auf jugend-
JuBri – Jugendkulturen und                                                                                                                     Die Bedeutung von Objekten in Geschichte und                   kulturelle Praktiken des Umgangs mit alltagskultu-
ihre alltagskulturellen Objekte                                                                                                                gegenwärtiger Praxis der Pflege                                rellen Objekten
                                                                                  In den vier thematischen Schwerpunkten der Inszenie-         Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Universität             Universität Duisburg-Essen, Fachhochschule Kiel,
                                                                                  rung von Jugendlichkeit, Gemeinsamkeit, Geschlecht           Osnabrück, Universität Hildesheim, Charité – Berliner          Technische Universität Dortmund, Hochschule
Jugendliche Szenen haben den Ruf, moderne Gesell-                                 und politischen Positionen werden Techniken der              Medizinhistorisches Museum der Charité                         Magdeburg-Stendal, Archiv der Jugendkulturen e.V.
schaften revolutionieren zu wollen. Dabei sind Ju-                                jugendlichen Bricolage aus den Perspektiven der              www.pflegederdinge.de                                          www.jugendkulturen.de/jubri.html
gendkulturen weniger Brutstätten tief greifend neuer                              Erziehungswissenschaft, der Geschlechterforschung,
Erfindungen als vielmehr Räume der Umdeutung,                                     der Psychologie und der Soziologie untersucht. Eine          FARBAKS – Farbe als Akteur und Speicher:                       BIOFAKTE – Die Sprache der Biofakte: Semantik und
Verbindung und Umwandlung von Bestehendem.                                        reflexiv angelegte Querschnittsstudie fragt aus kultur-      Historisch-kritische Analyse der Materialität und              Materialität hochtechnologisch kultivierter Pflanzen
Anhand von Objekten des Archivs der Jugendkulturen                                wissenschaftlicher Sicht nach medialen und wissen-           kulturellen Codierung von Farbe                                Technische Universität München, Technische Univer-
untersucht der Forschungsverbund die Schaffung von                                schaftlichen Deutungen jugendkultureller Formen des          Technische Universität Dresden, Hochschule für Bil-            sität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig, Ludwig-
(neuen) Sinnzusammenhängen in Szenen (z.B. Punks,                                 Umgangs mit Objekten. Begleitet werden die For-              dende Künste Dresden, Friedrich-Schiller-Universität           Maximilians-Universität München
Gamer, Metal, Skins).                                                             schungsarbeiten von zwei Ausstellungen.                      Jena, Technische Hochschule Köln                               www.biofakte.de
                                                                                                                                               www.farbaks.de
Die Sprache der Objekte - Kulturelles Erbe bewahren, erforschen und vermitteln - Hausfragen
14                                                   DIE Sprache der Objekte          Digitale Methoden und neue Medien                                                                                             15

Digitale Methoden und Neue Medien                                                                                                             Portal – Figurenportale als
                                                                                             Wesa – drei Fragen an                            Gesichter des mittelalterlichen
                                                                                             Projektleiterin Eva-Maria Seng                   Kirchenbaus
WeSa – was Sandstein
über das Bauen in                                                                              Wie verändern sich die Geistes- und            Engel, die jubeln, Propheten, die schauen, Heilige,
                                                                                               Sozialwissenschaften durch die Nutzung         die lächeln. Das Projekt „Mittelalterliche Portale als
vorindustrieller Zeit                                                                          digitaler Methoden?                            Orte der Transformation“ befasst sich mit der Wir-
erzählt                                                                                        Die Nutzung digitaler Methoden ermöglicht      kung und Erhaltung von Figurenportalen gotischer
                                                                                               neue Forschungsfragen und -zusammenhän-        Kirchen. Zwei Arten von Wandlungen werden unter-
Im letzten Jahrhundert gab es vor der                                          ge, jenseits reiner Materialanhäufung. Es werden Verknüp-      sucht: einerseits jene, die im Laufe der Jahrhunderte
westaustralischen Küste einen spek-                                            fungen höchst unterschiedlicher Quellengattungen und           im Auge des Betrachters vorging, denn der heutige
takulären Fund: das Wrack eines im                                             Medien möglich, die neue, dynamische Prozesse deutlich         Betrachter besitzt eine andere religiös inspirierte
17. Jahrhundert gesunkenen nieder-                                             werden lassen. Perspektiven, die bisher gesondert unter-       Seherfahrung als der Mensch im Mittelalter. Anderer-
ländischen Handelsschiffes. An Bord                                            sucht worden sind, lassen sich so interdisziplinär miteinan-   seits werden historische Veränderungen der Portale in
befand sich der vorgefertigte Bausatz                                          der verbinden und durch die Einbeziehung der Informatik        den Blick genommen, die sich durch unterschiedliche
eines Portals aus 137 Sandstein-Ein-                                           überhaupt erst einnehmen.                                      Erhaltungszustände ergeben. Wie wirkt ein Portal, das
zelteilen. Dieser Fund ist ein Beleg für                                                                                                      eines Großteils seiner originalen Substanz beraubt
die frühe Verbreitung des Wesersand-                                           Welchen Mehrwert birgt die Nutzung digitaler Methoden          wurde? Die parallele Auswertung von Portalen in Wien,
steins.                                                                        für die Geistes- und Sozialwissenschaften?                     Paris, Laon, Köln und Bamberg eröffnet die Möglich-
                                                                               Der Einsatz digitaler Methoden trägt in vielfacher Wei-        keit, unterschiedliche Gestaltungskonzepte, ikonogra-
In dem Projekt WeSa arbeiten Wis-                                              se zur Forschung bei: Einerseits können mit ihrer Hilfe        fische Systeme und Erhaltungszustände miteinander
senschaftlerinnen und Wissenschaft-                                            archivalische und immaterielle Befunde sowie die kon-          zu vergleichen. Die Portale werden zunächst mit
ler aus Kunst-, Kultur- und Wirt-                                              kreten Objekte auf Übereinstimmung untersucht werden.          unterschiedlichen Verfahren eingescannt, dann werden
schaftsgeschichte sowie Architektur/                                           Andererseits machen digitale Methoden serielle Quellen         skulpturale Elemente mit einem speziellen digitalen
Digitale Gestaltung und Informatik                                             für die statistische Auswertung verfügbar, sie strukturieren
zusammen, um Präfabrikation, Ver-                                              und verknüpfen Ergebnisse und erlauben unterschiedliche
arbeitung, Verbreitung sowie Handel                                            Präsentationsformen.
und Verbau von Sandsteinelementen
aus dem weiteren Wesergebiet seit                                              Welche Möglichkeiten und Probleme birgt die Zusammen-
der Frühen Neuzeit zu erforschen                                               arbeit zwischen der Informatik und den Geistes- und
und zu rekonstruieren. Sie wollen                                              Sozialwissenschaften?
damit das Wissen über Bauprozesse,                                             Unterschiedliche Wissenschaftskulturen, insbesondere auch
technische Innovation sowie Kultur-                                            in begrifflicher Hinsicht, können überbrückt werden, sodass
transfer und wirtschaftliche Vernet-                                           eine fruchtbare Zusammenarbeit entsteht. Grundsätze
zung im 16.–19. Jahrhundert aus                                                geisteswissenschaftlicher Methodik und Theoriebildung wie
globaler Perspektive vervollständigen.                                         Kategorisierungen und Hierarchisierungen sollten jenseits
Ausgehend von einer sehr heteroge-                                             reiner Anwendungspragmatik auch gemeinsam diskutiert
nen Quellenlage aus verschiedenen                                              werden. Ein wünschenswertes Ziel gemeinsamer Projekte
Wissensbereichen, stellt das Projekt                                           könnte die Arbeit an einer Forschungsarchitektur sein, die
mithilfe von 3D-Computermodellen                                               zwischen den Geistes- und Sozialwissenschaften und der
und einer dynamischen Forschungs-                                              Informatik einen geistigen Austausch während der For-
datenbank Forschungstools zur Erar-                                            schungsprozesse in Gang setzt und nicht nur Ergebnisse
beitung dieses komplexen Bestandes                                             oder Datenbestände erzeugt.
bereit.

Fotogrammetrische Aufnahmen am Tor der Zitadelle
von Batavia im Western Australian Maritime Museum,                                                                                            Die Kathedrale Notre-Dame in Paris verfügt über bedeutende Figurenporta-
Geraldton.                                                                                                                                    le: hier das Tympanon des nördlichen Querhauses.
Die Sprache der Objekte - Kulturelles Erbe bewahren, erforschen und vermitteln - Hausfragen
16                                                                                                                  DIE Sprache der Objekte                                  Digitale Methoden und neue Medien                                                                            17

Verfahren dreidimensional aufgenommen und mit der                                    Zentrale Ziele des Verbundprojekts                                                                                                          PolitCIGs – die Kulturen
ursprünglichen Gesteinsoberfläche dargestellt. So ist es                             sind, ein digitales Lexikon von Objekt-                                                                                                     der Zigarette und die Kulturen
erstmals gelungen, die Querhausfassaden der Pariser                                  gebrauchsgesten in der Alltagskom-
Kathedrale Notre-Dame exakt aufeinander zu projizie-                                 munikation zu erstellen, das zugleich
                                                                                                                                                                                                                                 des Politischen
ren und die Baugeschichte in wesentlichen Punkten zu                                 ein kulturelles Objektgedächtnis dar-
korrigieren.                                                                         stellt, sowie ein arbeitswissenschaft-                                                                                                      Das Projekt PolitCIGs untersucht die Frage, welche
                                                                                     liches Manual zur Gestensteuerung                                                                                                           sozialen Leistungen und politischen Bedeutungen ein
                                                                                     von Mensch-Maschine-Schnittstellen.                                                                                                         zunächst so banal erscheinendes Erzeugnis wie die
                                                                                     Dafür werden Videoaufnahmen von                                                                                                             Zigarette während der letzten 150 Jahre erbracht und
MANUACT – Hände und Gesten                                                           Gesten im traditionellen Handwerk                                                                                                           hervorgerufen hat. Schließlich bleibt ihre Produkt(an)-
im Spiegel von Arbeitsprozessen                                                      und in modernen Arbeitsprozessen                                                                                                            sprache zwischen rasantem Aufstieg schon vor 1914
                                                                                     mit Software-Tools ausgewertet. In                                                                                                          und der späteren gesundheitspolitisch motivierten Ein-
und Produktgestaltung                                                                der Abschlussausstellung im Sächsi-                                                                                                         dämmung heute noch immer gesellschaftlich wirksam.
                                                                                     schen Industriemuseum in Chemnitz
Kulturelle Objekte unterliegen Bearbeitungsprozes-                                   werden die Ergebnisse in digitalen,                                                                                                         Es wird untersucht, wie Kulturen des Rauchens mit
sen, bei denen die menschliche Hand eine entschei-                                   interaktiven Exponaten erfahrbar                                                                                                            politischen Kulturen in Deutschland und Österreich
dende Rolle spielt. Das Verbundprojekt MANUACT                                       gemacht.                                                                                                                                    des 20. und 21. Jahrhunderts verbunden sind. Ausge-
widmet sich dem Objektgebrauch im Alltag, der                                                                                                                                                                                    hend von der Analyse der dinglichen Qualitäten wird
Dokumentation und Rekonstruktion des Zusammen-                                                                                                                                                                                   das gesamte Spektrum der „Sprache der Zigarette“ im
spiels von Traditionen des Objektgebrauchs, deren                                                                                                                                                                                20. und 21. Jahrhundert aufgefaltet – im Verhältnis
Verkörperung in Gesten und der Gestaltung von Be-                                                                                                                                                                                zu den Usancen der Konsumenten sowie den Orten
dienkonzepten. Der interdisziplinäre Ansatz verbindet                                                                                                                                                                            und Situationen des Konsums. Der Weg führt von
linguistische, arbeitswissenschaftliche und künstleri-                                                                                                                                                                           den Schützengräben des Ersten Weltkriegs über den
sche Perspektiven.                                                                                                                                                                                                               handels- und geschmackspolitisch motivierten Wandel
                                                                                                                                                                                                                                 von der Orient- zur American-Blend-Zigarette bis hin
                                                                                                                                                                                                                                 zur aktuellen Vorsorge- und Gesundheitspolitik.

                                                                                                                                                                                                                                 In einer Online-Ausstellung tritt die Zigarette als Ob-
                                                                                                                                                                                                                                 jekt und Akteur auf, um den Nutzern ihre Kulturen des
                                                                                                                                                                                                                                 Politischen als „große Erzählung“ sinnlich vorzuführen
                                                                                                                                                                                                                                 und begreifbar zu machen.

                                                                                                                               Die ganze Welt in einer Zigarettenschach-
                                                                                                                               tel: Zeitreise in vier Packungen vom Orient
                                                                                                                               bis nach China (ca. 1920 bis 1960).              Projekte auf einen Blick
                                                                                                                                                                                                                                 MANUACT – Hands and Objects in Language,
                                                                                                                                                                                                                                 Culture, and Technology: Manual Actions at Work-
                                                                                                                                                                                WeSa – Wesersandstein als globales Kulturgut:    places between Robotics, Gesture, and Product
                                                                                                                                                                                Innovation in der Bauwirtschaft und deren        Design
                                                                                                                                                                                weltweite Verbreitung in vorindustrieller Zeit   Technische Universität Chemnitz, Zweckverband
                                                                                                                                                                                (16.-19. Jahrhundert)                            Sächsisches Industriemuseum
                                                                                                                                                                                Universität Paderborn, Technische Universität    www.manuact.org
                                                                                                                                                                                Darmstadt
                                                                                                                                                                                www.uni-paderborn.de/forschungsprojekte/wesa     PolitCIGs – die Kulturen der Zigarette und
                                                                                                                                                                                                                                 die Kulturen des Politischen: Zur Sprache der Pro-
                                                                                                                                                                                Portal – Mittelalterliche Figurenportale als     dukte im 20. und 21. Jahrhundert
                                                                                                                                                                                Objekte der Transformation                       Friedrich-Schiller-Universität Jena, Stiftung Histori-
                                                                                                                                                                                Otto-Friedrich-Universität Bamberg               sche Museen Hamburg – Museum der Arbeit
                                                                                                                                                                                www.uni-bamberg.de/portalprojekt                 www.politcigs.uni-jena.de
Viel Übung ist erforderlich, damit dem Töpfer das Formen leicht von der Hand geht.
18                                                                                               DIE Sprache der Objekte           Naturwissenschaftliche Methoden                                                                                                  19

Naturwissenschaftliche Methoden                                                                                                                                                            ISIMAT – das menschliche Abbild
                                                                                                                                           BEFIM – drei Fragen an                          in antiker und mittelalterlicher
                                                                                                                                           Projektleiter Philipp Wolf-                     Tafelmalerei
BEFIM – Importschlager? Mediter-                                    Um Funktionen und Bedeutungen der mediterra-
                                                                                                                                           gang Stockhammer
rane Trinkgefäße bei den Kelten                                     nen Importe zu verstehen, unternimmt das Projekt                                                                       Das Tafelbild prägt bis heute unser Verständnis von
                                                                    umfangreiche naturwissenschaftliche Analysen von                       Inwiefern helfen Naturwissenschaften bei        Malerei, wobei die Darstellung des Menschen seit jeher
                                                                    Nahrungsrückständen und Abnutzungsspuren an                            der Lösung von Forschungsfragen in der          zu ihren wichtigsten Aufgaben gehört. Die Bedeutung
Vom 7. bis 5. Jahrhundert v. Chr. gelangte mediterrane              importierten und einheimischen Gefäßen. Diese Er-                      Objektforschung?                                dieser Menschenbildnisse in der Antike und im Früh-
Keramik wie Trinkgeschirr und Transportamphoren in                  gebnisse werden mit einer archäologischen Analyse der                  Die Naturwissenschaften – in unserem Falle      mittelalter und deren Verwirklichung in der Tafelma-
größerem Umfang in die Gebiete nördlich der Alpen,                  Gefäße verbunden. Die Untersuchung zeigt, in wel-       Nahrungsrückstandsanalysen v.a. mittels Gaschromatografie-     lerei sind Thema des Projekts ISIMAT. Welche Technik
vor allem nach Südwestdeutschland, in die Schweiz                   chem – geringeren – Umfang mediterrane Gelagesitten     Massenspektrometrie – erlauben, bislang unerkannte, weil       wählte man für die Darstellung der menschlichen
und nach Ostfrankreich. Bislang wurden diese Gefäße                 und der Konsum von Wein im früheisenzeitlichen          molekulare und deshalb mit bloßem Auge unsichtbare Reste       Haut, die sogenannten Inkarnate, um welche Wirkung
als Hinweis für die Übernahme mediterraner Trink-                   Mitteleuropa tatsächlich verbreitet waren. Vor allem    ehemaliger Nahrungsmittel in Gefäßen zu identifizieren. Die    zu erzielen? Wie wurde dabei das aus der Antike tra-
sitten durch die frühkeltischen Eliten angesehen. Das               aber wird deutlich, dass die vormals fremden Objekte    Bestimmung dieser Essensreste ermöglicht erstmals, die         dierte Wissen verarbeitet? Wie spiegelt sich darin der
Projekt BEFIM möchte diese Einschätzung hinterfra-                  auch auf eigene Weise genutzt und damit in die eigene   Funktionen und Bedeutungen entsprechender Gefäße und           gesellschaftliche Wandel?
gen und den Wandel von Bedeutungen und Funktio-                     Lebenswelt übersetzt wurden.                            den Wandel ihrer Nutzung zu verstehen, über die bislang nur
nen im interkulturellen Austausch untersuchen.                                                                              anhand der jeweiligen Gefäßform spekuliert werden konnte.

                                                                                                                            Welche Möglichkeiten bzw. Grenzen birgt die Zusammen-
                                                                                                                            arbeit zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften und
                                                                                                                            naturwissenschaftlichen Disziplinen?
                                                                                                                            Die Potenziale einer solchen interdisziplinären Zusammen-
                                                                                                                            arbeit sind enorm und bergen kaum Gefahren, solange ein
                                                                                                                            permanenter Dialog zwischen beiden Partnern besteht und
                                                                                                                            die Möglichkeiten und Risiken des jeweiligen Ansatzes und
                                                                                                                            der entsprechenden Methodik offen und ehrlich thematisiert
                                                                                                                            werden. Für BEFIM bedeutet dies, dass die Archäologinnen
                                                                                                                            und Archäologen verstehen müssen, welche Lebensmittel
                                                                                                                            überhaupt mit welcher Wahrscheinlichkeit mittels der
                                                                                                                            Nahrungsrückstandsanalysen nachgewiesen werden können
                                                                                                                            und wie Umnutzungen und Kontaminationen die erzielten
                                                                                                                            Ergebnisse beeinflussen können. Die Naturwissenschaftle-
                                                                                                                            rinnen und -wissenschaftler lernen ihrerseits, wie sehr der
                                                                                                                            archäologische Kontext, von der Grabungstechnik bis hin zur
                                                                                                                            Befundqualität, von vornherein die weitere Aussagekraft der
                                                                                                                            erzielten naturwissenschaftlichen Ergebnisse einschränkt.

                                                                                                                            Wie gestalten sich entsprechende Kooperationen,
                                                                                                                            wer steuert dabei die Forschungsfragen?
                                                                                                                            Die Verbundpartner stehen in einem ständigen Austausch –
                                                                                                                            von der Auswahl der zu beprobenden Objekte über die Reali-
                                                                                                                            sierung der invasiven Beprobung bis hin zur Auswertung der
                                                                                                                            in der Gaschromatografie-Massenspektrometrie gewonnenen
                                                                                                                            Ergebnisse. Gemeinsam werden die aus archäologischer bzw.
                                                                                                                            naturwissenschaftlicher Perspektive denkbaren Lebensmittel
                                                                                                                            (z.B. Trauben- oder sonstiger Obstwein, Met oder Honig etc.)
                                                                                                                            diskutiert und räumlich und zeitlich eingeordnet.              Madonna del Monasterium Tempuli, 6. Jahrhundert, Chiesa di Santa Maria
                                                                                                                                                                                           del Rosario a Monta Mario, Rom.
Trinkgefäße im Archiv des Landesmuseums Württemberg in Stuttgart.
20                                                                                                                DIE Sprache der Objekte     Naturwissenschaftliche Methoden                                                                                                         21

Um zu erfahren, welche Maltechniken jeweils für                                       Röntgenfluoreszenzanalyse und Rasterelektronen-         Hildesheim – Innovation
Inkarnate genutzt wurden – z.B. sogenannte Ei-Tem-                                    mikroskopie analysiert, Bindemittel mittels Gas-        und Tradition in Kirche
pera oder frühe Öltechniken –, untersucht das Projekt                                 chromatografie-Massenspektrometrie und Amino-
etwa Tafelbilder im Katharinenkloster auf dem Sinai,                                  säureanalyse. Die Ergebnisse der Untersuchungen
                                                                                                                                              und Kloster
frühe Madonnenbilder in Rom und mittelalterliche                                      werden u.a. durch eine umfangreiche Bilddatenbank
Tafelbilder der Toskana. Farbmittel werden durch                                      im Internet vorgestellt.                                Das Gebäude von Dom und Klosterkirche
                                                                                                                                              St. Michaelis in Hildesheim, seit 1985
                                                                                                                                              UNESCO-Weltkulturerbe, und deren
                                                                                                                                              Ausstattung mit Bronzegüssen, Emaille-
                                                                                              Silk Road Fashion –                             und Metallarbeiten sowie Wandfresken
                                                                                              was Kleider über Kultur und                     bilden ein europaweit einzigartiges
                                                                                                                                              Ensemble. Seine künstlerische und
                                                                                              Gesellschaft aussagen                           liturgische Bedeutung wird nun interdis-
                                                                                                                                              ziplinär von Wissenschaftlerinnen und
                                                                                              „Kleider machen Leute“, denn sie werden         Wissenschaftlern aus Kunstgeschichte
                                                                                              wahrgenommen, noch bevor das erste Wort         und Geschichte, Montanarchäologie, Me-
                                                                                              gesprochen ist. Sie sind Ausdruck von Lebens-   tallurgie sowie Textilkunde erforscht.
                                                                                              art und Denkweise, Zeichen von Zusammen-
                                                                                              schluss oder Absonderung. Das Projekt „Silk     Ziel der chemischen und metallurgischen
                                                                                              Road Fashion“ widmet sich diesem Thema          Untersuchungen ist es, Auskünfte über
                                                                                              und untersucht bis zu dreitausend Jahre alte    die Herkunft der Werkstoffe und den
                                                                                              Textilien, die in China geborgen wurden und     Entstehungsprozess der Kunstgegenstän-
                                                                                              die sich durch extreme Trockenheit außerge-     de zu erlangen. Ergebnisse montanar-        Reliquiar mit Bergkristall (Hildesheim, um 1180) – heute im Dommuseum Hildesheim ausgestellt.
                                                                                              wöhnlich gut erhalten haben.                    chäologischer Analysen erlauben Aussagen
                                                                                                                                              zur Herkunft von Metallerzen. Metallurgische Analy-               tungsprozesse, etwa bei der Herstellung von Emaille.
                                                                                              Mit verschiedenen naturwissenschaftlichen       sen helfen, die Zusammensetzung der verarbeiteten                 Die Resultate des Projekts sollen modellbildend für
                                                                                              Methoden werden Alter, Materialeigen-           Legierungen zu klären. Schonende chemische Unter-                 ähnliche Überlieferungssituationen mittelalterlicher
                                                                                              schaften und Herstellungsverfahren dieser       suchungsmethoden geben Aufschluss über Verarbei-                  Kunst und Kultur sein.
                                                                                              Kleidungsstücke aus organischem Material
                                                                                              ermittelt. Mithilfe der Radiokarbonmethode
                                                                                              werden die Kleidungsfunde zum ersten Mal
                                                                                              direkt und zuverlässig datiert. Im Unter-           Projekte auf einen Blick                                             Silk Road Fashion – Kleidung als Kommunikations-
                                                                                              schied zu bisherigen Verfahren liefert diese                                                                             mittel im 1. Jahrtausend v. Chr. in Ostzentralasien
                                                                                              Methode präzise Altersangaben, die für die                                                                               Deutsches Archäologisches Institut, Landesamt für
                                                                                              gesamte Kulturgeschichte Zentralasiens              BEFIM – Bedeutungen und Funktionen mediterraner                      Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt –
                                                                                              bahnbrechend sind. Mit DNA-Studien konn-            Importe im früheisenzeitlichen Mitteleuropa                          Landesmuseum für Vorgeschichte, Martin-Luther-
                                                                                              ten die Arten von Tieren bestimmt werden,           Ludwig-Maximillians-Universität München, Eberhard                    Universität Halle-Wittenberg, Berlin-Brandenburgi-
                                                                                              deren Häute für die Fertigung von Mänteln           Karls Universität Tübingen; Landesamt für Denkmal-                   sche Akademie der Wissenschaften, Freie Universität
                                                                                              und Köchern verwendet wurden. Neu ist               pflege Stuttgart, Landesmuseum Württemberg                           Berlin
                                                                                              die Erkenntnis, dass es sich um Haustiere           www.befim.de                                                         http://bridging-eurasia.org/de/node/295
                                                                                              handelte und dass die heute in dieser Region
                                                                                              gehaltenen Schafe und Ziegen mit denen vor          ISIMAT – Inkarnat und Signifikanz: Das mensch-                       Hildesheim – Innovation und Tradition: Objekte und
                                                                                              2800–2500 Jahren genetisch eng verwandt             liche Abbild in der Tafelmalerei von 200 bis 1250 im                 Eliten in Hildesheim, 1130–1250
                                                                                              sind.                                               Mittelmeerraum                                                       Universität Osnabrück, Christian-Albrechts-Universi-
                                                                                                                                                  Technische Universität München, Zentralinstitut für                  tät zu Kiel, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität
                                                                                                                                                  Kunstgeschichte München, Doerner Institut –                          Bonn, Universität Potsdam, Bistum Hildesheim –
Die Wollhose vom chinesischen Fundplatz Yanghai, Turfan, ist circa 3.000 Jahre alt.
                                                                                                                                                  Bayerische Staatsgemäldesammlungen                                   Dom-Museum Hildesheim
                                                                                                                                                  www.zikg.eu/projekte/projekte-zi/isimat                              http://objekte-und-eliten.de
22                                                  DIE Sprache der Objekte          Öffentlichkeitswirksamkeit                                                                                                       23

Öffentlichkeitswirksamkeit                                                                                                                      MobiWe – Mobile Welten.
                                                                                             WDWM – drei Fragen                                 Zur Migration von Dingen in trans-
                                                                                             an Projektleiter Hans-                             kulturellen Gesellschaften
WDWM – wie werden                                                                            Rudolf Meier
Bauten zu Denkmälern?                                                                                                                           Unzählige Dinge wandern über den Erdball, in Form
                                                                                              Was ist das Besondere an der Objekt-              von Handelsware oder im Gepäck von Touristinnen
                                                                                              forschung – auch im Vergleich zu anderen          und Touristen oder Migrantinnen und Migranten.
Die größten Objekte, die uns alltäg-                                                          Themengebieten der Geistes- und Sozial-           Im Verlauf dieser Wanderbewegungen kann sich die
lich begegnen, sind Bauwerke. Durch                                                           wissenschaften?                                   Bedeutung der Dinge, aber auch ihre Gestalt verän-
ihre Form und Symbolik, aber auch                                             Die Objektforschung hat gegenüber anderen Ansätzen der            dern. Auf der Ebene der materiellen Kultur offenbart
ihre Materialität kommunizieren                                               Geistes- und Sozialwissenschaften den Vorteil, sich mit           sich somit eine gesellschaftliche Realität, die im
sie mit Nutzern, Betrachtern und                                              sinnlich erfahrbaren Dingen zu beschäftigen. Das erleichtert      öffentlichen Bewusstsein vielfach vernachlässigt oder
Passanten. Ein kleiner Teil der Bauten                                        es, einer breiten Öffentlichkeit das Forschungsinteresse          gar verdrängt wird: Seit jeher leben wir in transkultu-
wird als erhaltenswert erkannt und                                            zu erklären. Es ist evident, dass unser Forschungsfeld, die       rellen Gesellschaften, die Versatzstücke unterschied-
zu Denkmälern erklärt. Wie aber                                               Denkmalforschung, größere öffentliche Beachtung findet            lichster Herkunft in sich vereinen. Das Projekt „Mo-
werden Bauten zu Denkmälern, mit                                              und sehr viel stärker in gesellschaftliche Aushandlungspro-       bile Welten“ geht diesen vielfältigen Vermischungs-
welchen Begründungen gelangen sie                                             zesse eingebunden ist als andere Bereiche der Architektur-        und Verflechtungsprozessen nach und lässt sich dabei
auf die Denkmallisten? Das Projekt                                            und Kunstgeschichte.                                              sowohl von der Sammlung des Museums für Kunst
WDWM geht dieser Frage anhand                                                                                                                   und Gewerbe Hamburg als auch an den gegenwärti-
von Bauwerken aus den Jahrzehnten                                             Welche Strategien bezüglich Anwendungsnutzen                      gen bundesdeutschen Dingkulturen inspirieren.
zwischen 1960 und 1980 nach, die den                                          und Öffentlichkeitswirksamkeit sind für die
öffentlichen Raum bis heute prägen.                                           Objektforschung sinnvoll?                                         Dazu ist ein Blick über den akademischen Tellerrand
Es untersucht, welche Arten von Bau-                                          Auch dazu ist an die Vorteile zu erinnern, sich mit sinnlich      hinaus erforderlich. Neben Expertinnen und Experten
ten für unterschiedliche Wertvorstel-                                         erfahrbaren Dingen zu beschäftigen. Die Fragen, die man an
lungen einer Gesellschaft als Denk-                                           diese stellt, die Zuschreibungen, die damit verbunden sind,
mal von Bedeutung sein können.                                                sind Aspekte, die vergleichsweise einfach erfolgreich zu
                                                                              vermitteln sind.
Die Bauten werden direkt vor Ort,
aber auch mithilfe von Plänen,                                                Besteht die Gefahr, dass sich geistes- und
Modellen und anderen Archivalien                                              sozialwissenschaftliche Forschung nur noch als
aus Architektursammlungen er-                                                 Mittel zum Zweck von Anwendungsnutzen und
forscht. Das Projekt entwickelt eine                                          Öffentlichkeitswirksamkeit versteht?
Ausstellung, die Bewertungsprozesse                                           Es ist momentan wohl noch weniger die Gefahr, dass sie
des spätmodernen Architekturerbes                                             sich selber so versteht, als dass die Gesellschaft die Geistes-
anschaulich macht. Die Ausstellung                                            und Sozialwissenschaften darauf reduziert. Diese Gefahr
findet nicht in einem herkömmli-                                              besteht tatsächlich. Gegenwärtig scheint der Orientierungs-
chen Museum statt, sondern in zwei                                            bedarf in der Gesellschaft und bei den Menschen besonders
Gebäuden, an denen sich exempla-                                              groß zu sein, zugleich hat der Verwertungsdruck den
risch fragen lässt: Worin besteht die                                         Wissenschaftsbetrieb erreicht. Hinzu kommt verstärkter
besondere Bedeutung dieser Bauten?                                            politischer Druck, wenn mancherorts offen gegen eine
Mit welchen Methoden bewertet sie                                             nationale Mythen hinterfragende kritische Geschichts-
die Denkmalpflege?                                                            wissenschaft vorgegangen wird. Wissenschaftlerinnen
                                                                              und Wissenschaftler müssen sich verstärkt bemühen, den
                                                                              Freiraum zur nicht unmittelbar anwendungsorientierten
                                                                              Forschung zu verteidigen.

Gebäude im Wohnviertel Intervento IACP – Tor
Sapienza in Rom, errichtet zwischen 1975 und 1979                                                                                               Das Projekt MobiWe bezieht auch Schülerinnen und Schüler einer Hamburger
nach Plänen des Architekten Alberto Gatti.                                                                                                      Schule ein.
24                                                                                                               DIE Sprache der Objekte        Öffentlichkeitswirksamkeit                                                                                                               25

aus Wissenschaft und Kunst werden daher unter-                                      Objekte entstehen. Das Projekt untersucht, wie sich         OMedeR – wie Objekte neues                                                     inhaltet Achtsamkeit in Bezug auf die Wirkung eigener
schiedliche Expertinnen und Experten des transkultu-                                Handwerkerinnen und Handwerker Wissen aneignen,             Denken anregen können                                                          Aktivitäten. Wer reflexiv ist, spielt Alternativen durch,
rellen Alltags, darunter auch Hamburger Schülerinnen                                es erhalten und vermitteln und wie es zu Innovatio-                                                                                        schätzt das Neue, Andere, Abweichende und neigt nicht
und Schüler, in die Forschung eingebunden. Während                                  nen kommt. Gegenstand der Untersuchungen sind                                                                                              zum Verabsolutieren seiner eigenen Position. Grund-
der gesamten Laufzeit werden die Forschungsfragen                                   Betriebe des Orgel- und Lehmbaus, die heute noch            Reflexivität ist eine zentrale Fähigkeit von Menschen.                         annahme des Projekts ist, dass Objekte – insbesondere
und -ergebnisse in einer Ausstellung, die den Lernpro-                              traditionelles (Erfahrungs-)Wissen nutzen und es für        Sie beschreibt die Offenheit gegenüber Informationen,                          wenn sie in ungewohnten Kontexten auftauchen oder
zess abbildet und sich daher verändert, zur Debatte                                 moderne Produkte anwenden.                                  Wissen und Rückmeldungen aus der Umwelt und be-                                in ihrer Bedeutung erst entschlüsselt werden müssen
gestellt.                                                                                                                                                                                                                                   – neue Zugänge, Sichtweisen und Erkennt-
                                                                                    Anhand von Objekten und Gewerken und unter                                                                                                              nisse vermitteln können.
                                                                                    Einbeziehung von Könnern erforscht das Projekt die
OMAHETI – traditionelles Handwerk                                                   Entstehungsweisen, Ausbildungsformate und Überlie-                                                                                                      In Workshops wird untersucht, wie diese
als Schöpfer von Innovation                                                         ferungsformen handwerklicher Praxis und dokumen-                                                                                                        Verfremdung von Dingen reflexive Prozes-
                                                                                    tiert diese. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Aus-                                                                                                   se auszulösen vermag. Wenn diese Prozes-
                                                                                    und Weiterbildung sowie dem handwerkseigenen                                                                                                            se neue Zugänge öffnen, andere Sichtwei-
Handwerksobjekte zeugen von den Fähigkeiten und                                     Gefüge aus Verbänden, Netzwerken und Traditionen.                                                                                                       sen vermitteln, Distanz zur gewohnten
Fertigkeiten der Personen, die sie geschaffen haben.                                Die Ergebnisse werden für die handwerkliche Aus-                                                                                                        Routine ermöglichen, dann werden
Aus der Auseinandersetzung mit dem überlieferten                                    und Weiterbildung von Nutzen sein. Lehrfilme zu                                                                                                         Objekte zu Mittlern der Reflexivität.
Wissen, das durch die Nachahmung von Handgriffen                                    Handwerkskönnen, Lehrmodule sowie eine Ausstel-
und im Umgang mit Materialien entsteht, resultieren                                 lung sollen erarbeitet werden.                                                                                                                          Das Projekt entwickelt eine Methode, wie
nicht nur althergebrachte Formen: Wissen und Kön-                                                                                                                                                                                           Objekte systematisch für Distanzierungs-
nen sind auch ein Ausgangspunkt, damit innovative                                                                                                                                                                                           prozesse eingesetzt werden können und
                                                                                                                                                                                                                                            das Einnehmen neuer Perspektiven damit
                                                                                                                                                                                                                                            letztlich problemlösendes Handeln för-
                                                                                                                                                                                                                                            dert. Einsatzmöglichkeiten sind etwa im
                                                                                                                                                                                                                                            Rahmen von Unternehmensberatungen,
                                                                                                                                                                                                                                            für Workshop- und Seminarformate, für
                                                                                                                                                                                                                                            die Konzeption von Ausstellungen und in
                                                                                                                                            Die Wirkung von Objekten hängt auch von ihrer Anordnung ab – dies wird im Projekt OMedeR
                                                                                                                                                                                                                                            pädagogischen Kontexten denkbar.
                                                                                                                                            getestet.

                                                                                                                                                     Projekte auf einen Blick                                                   OMAHETI – Objekte der Könner: Materialisierun-
                                                                                                                                                                                                                                gen handwerklichen Erfahrungswissens zwischen
                                                                                                                                                                                                                                Tradition und Innovation
                                                                                                                                                     WDWM – Welche Denkmale welcher Moderne?                                    Georg-August-Universität Göttingen, Volkswirtschaft-
                                                                                                                                                     Erfassen, Bewerten und Kommunizieren des                                   liches Institut für Mittelstand und Handwerk an der
                                                                                                                                                     baulichen Erbes der 2. Hälfte des 20. Jh.                                  Universität Göttingen e.V., Forschungsinstitut für Be-
                                                                                                                                                     Bauhaus-Universität Weimar, Technische Universität                         rufsbildung im Handwerk an der Universität zu Köln
                                                                                                                                                     Dortmund                                                                   www.uni-goettingen.de/de/506427.html
                                                                                                                                                     http://welchedenkmale.info/wdwm
                                                                                                                                                                                                                                OMedeR – Objekte als Medien der Reflexivität:
                                                                                                                                                     MobiWe – Mobile Welten: Zur Migration von Dingen                           Neue „materialistische“ Perspektiven auf das Feld
                                                                                                                                                     in transkulturellen Gesellschaften                                         der Innovation und ihre sozialen Kontexte
                                                                                                                                                     Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Johann                       Zeppelin Universität gemeinnützige GmbH, Univer-
                                                                                                                                                     Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main,                             sität der Künste Berlin, jambit GmbH – I+ Innovation
                                                                                                                                                     Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg                                       Consulting
                                                                                                                                                     www.mobile-welten.org                                                      http://omeder.de
Pfeifenreihen in einer Orgel von Conrad Euler in der Kirche von Oedelsheim (ca. 1850).
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