Die Vermessung der Welt aus dem All
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56 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING Die Vermessung der Welt aus dem All Die Satellitengeodäsie spielt als messende Ingenieursdisziplin eine bedeutende Rolle in der Erdsystem- und Klimaforschung. Der geodäti- sche Blick aus dem All ist global und synoptisch, eine Bedingung um das Gesamtsystem „Erde“ quantitativ erfassen und verstehen zu kön- nen. Wie verschiedene Komponenten des globalen Wasserkreislaufs quantifiziert werden, wird anhand zweier Satellitenverfahren erläutert. bolisierten die Vermessungstätigkeiten von Gauß. Seine mathematischen Ent- wicklungen wurden oft aus seinen prakti- schen Messtätigkeiten gespeist; zum Bei- spiel die Schätzmethode der kleinsten Quadrate oder seine Statistik. Letzteres ist auch auf dem alten Zehnerschein symboli- siert, nämlich durch die Gauß’sche Nor- malverteilung. Auch Alexander von Hum- boldt war ein aktiver Geodät, hatte er auf seinen Entdeckungsreisen doch immer high-tech Vermessungsgeräte dabei. Geodäten haben schon immer davon ge- träumt, die Erde als Ganzes vermessen zu können. Der Grundstein dazu wurde vor 150 Jahren vom preußischen General Jo- 01 hann Jacob Baeyer gelegt, als er Delegierte Tipping Points: kritische Indikatoren aus Preußen, Österreich und Sachsen 1862 der Klimastabilität. nach Berlin zur Diskussion seiner „Ent- 1. Geodäsie und die Vermessung wurf zu einer Mitteleuropäischen Grad- der Welt messung“ einlud. Bald schlossen sich wei- tere europäische Staaten der Initiative an, Vom österreichisch-deutschen Schriftsteller was als Geburtsstunde der Internationalen Daniel Kehlmann erschien 2005 der Best- Assoziation der Geodäsie (IAG) gilt. Im seller Die Vermessung der Welt, ein Roman Jahr 2013 veranstaltet die IAG in Potsdam über die Geodäten Carl Friedrich Gauß zu Ehren von General Baeyer eine große (1777–1855) und Alexander von Humboldt internationale Konferenz. (1769–1859). Der breiteren Öffentlichkeit Der Traum der globalen Vermessung der sind die beiden Herren zwar eher als Ma- Erde wurde natürlich erst im Satelliten- thematiker bzw. Naturforscher bekannt. zeitalter realisiert. Nur von Satelliten aus Der Buchtitel verweist aber auf die Kern- besteht überhaupt die Chance, die Erde aufgabe der Geodäsie, nämlich das Aus- gleichmäßig, mit homogener Genauigkeit messen und Abbilden der Erdoberfläche. und in einem beschränkten Zeitraum zu Und genau das taten die Herren Gauß und vermessen. Schon aus den ersten Sputnik- von Humboldt. Nicht umsonst zeigte der Bahnbeobachtungen konnte die Erdab- alte Zehnmarkschein ein norddeutsches plattung genauer bestimmt werden, als Triangulationsnetz samt Sextant; sie sym- aus allen terrestrischen Messungen der
VERMESSUNG DER WELT 57 Jahrhunderte davor. Danach entwickelte Astronaut auf der Raumstation schwebt S U M MARY sich die Satellitengeodäsie in einem rasan- und anscheinend nicht von der Erde ange- ten Tempo. Man denke nur an die gesell- zogen wird. (In Wahrheit wird er von der Satellite geodesy plays a key schaftlichen und wirtschaftlichen Mög- Erde angezogen; nur ist die Erdanziehung role in Earth system science and lichkeiten, die globale satellitengestützte in Bilanz mit der Zentrifugalbeschleuni- climate research as it provides a Navigationssysteme wie das US-amerikani- gung durch die Freifallbewegung.) Was quantitative observational basis. sche GPS oder das künftige europäische sich aber sehr wohl messen lässt, ist die The geodetic vantage point from Galileo bieten. unterschiedliche Fallbewegung zweier Sa- space is global and synoptic, Die Notwendigkeit kontinuierlicher Erdbe- telliten. Beide Satelliten befinden sich an which is required to determine obachtung wird durch die aktuelle Debat- unterschiedlicher Position im Erdschwere- “system Earth” in a quantita- te um den globalen Wandel unterstrichen. feld und werden entsprechend unter- tive sense and to understand it. Man liest zwar regelmäßig in der Zeitung, schiedlich angezogen. Deren Fallbewegung Two satellite geodetic methods dass der Meeresspiegel ansteigt. Wie misst und somit die Intersatellitendistanz ist da- are employed here to demon- man aber zuverlässig solche kleinen Ände- her variabel. strate how individual compo- rungen (etwa 3 mm/Jahr), wenn man Dieses Prinzip, das sich „low-low satellite-to- nents of the global water cycle überlegt, dass Wellen und Gezeiten um satellite tracking“ nennt, wird von der are measured. Satellite einige Größenordnungen größer sind? Und amerikanisch-deutschen Satellitenmission gravimetry measures changes wo kommt das Wasser her? Teils erklärt GRACE realisiert. Dabei befinden sich seit in the Earth’s gravity field, sich der Meeresspiegelanstieg durch ther- etwa zehn Jahren zwei baugleiche Satelli- from which large scale mass mische Ausdehnung: wenn die mittleren ten auf derselben polaren Umlaufbahn in transports are inferred. Thus Temperaturen steigen, dehnt sich auch etwa 450 Kilomter Höhe. Allerdings sind several processes like ice cap das Wasservolumen aus. Zum Großteil er- sie in der Bahn um etwa 200 Kilometer melting in Greenland and West klärt sich der Meeresspiegelanstieg aber versetzt; der eine Satellit jagt dem anderen Antarctica, melting of conti- durch eine großskalige Verlagerung der mit fast 30 Sekunden Verzögerung hinter- nental glaciers, large scale Wasser- und Eismassen im globalen Was- her. Die Entfernungsänderungen zwischen groundwater depletion and, ulti- serkreislauf. den beiden Satelliten werden mit einer mately, sea level rise from con- In der Debatte um den Klimawandel haben Präzision von etwa zehn Mikrometern tinental freshwater influx into Kollegen des Potsdam-Instituts für Klima- (µm) durch K-Band-Entfernungsmessung the oceans can be monitored. folgenforschung (PIK) den Begriff der „tip- erfasst. Satellite altimetry, on the ping points“ geprägt. Dies sind kritische Aus diesen hochgenauen Messungen produ- other hand, is a geometric meas- Indikatoren des Klimasystems insgesamt. zieren Geodäten praktisch jeden Monat urement method. It also allows Zum Beispiel beobachten geodätische Sa- ein Erdschwerefeld. Im Rahmen der Kli- the long term monitoring of sea telliten seit einigen Jahren eine beschleu- maforschung werden solche Ergebnisse level and sea level rise. The nigte Abschmelzung des Grönländischen erst interessant, wenn die monatlichen geometric sea surface change, Eisschildes. Ohnehin spielt die Satelliten- Schwerefelder so-zu-sagen als Film hinter- however, is a combination of geodäsie bei etwa der Hälfte der „tipping einander gereiht werden. Es entsteht eine freshwater influx and thermal points“ , siehe (01), eine wichtige Beob- Zeitfolge von Schwerefeldänderungen, expansion. Hence, the combina- achtungsrolle. also von Massenverlagerungen im Erd- tion of both satellite geodetic Dieser Beitrag dient dazu, anhand von zwei system, über die letzten 10 Jahre. Bedingt methods allows disentangling unterschiedlichen geodätischen Satelliten- durch die Höhe der Satelliten und durch the different contributors. Satel- systemen die zentrale Rolle der Geodäsie die, trotz Messgenauigkeit, relativ geringe lite altimetry is also used for in der Erdbeobachtung zu verdeutlichen. Sensitivität kann die Satellitengravimetrie hydrological purposes here, allerdings solche Änderungen nur für monitoring inland water bodies. 2. Satellitengravimetrie räumliche Skalen auflösen, die größer als This is a relevant application of etwa 400 Kilometer sind. Trotzdem liefert satellite altimetry as the global Wie „wiegt“ man nun großskalige Massenän- die Zeitreihe der Massenänderungen ein database of lake and river derungen wie das Abschmelzverhalten umfassendes Bild der Erde, das Hydro- heights and river runoff from von Grönland aus dem All? Großräumige logen, Eiswissenschaftler oder Geophysiker lake and river gauges is far from Massenumlagerungen bewirken eine Än- so noch nicht gesehen hatten. Über die satisfactory for continental scale derung des Erdschwerefeldes. Das Schwe- klassischen bildgebenden Verfahren der modelling. Moreover, the data- refeld der Erde bringt ja „nur“ die Gesamt- Satellitenfernerkundung hinaus, eröffnet base has been in decline over the massenverteilung in und auf der Erde zum die Satellitengravimetrie eine komplett past years. Apart from the focus Ausdruck. Auch wenn es sich hier um neue Art, die Erde zu erkunden. Statt on the quantitative role of satel- vielleicht die 6. Nachkommastelle handelt, elektro-magnetischer Wellen wird die gra- lite geodesy this contribution sind solche zeitliche Änderungen messbar. vitationelle Wechselwirkung genutzt. emphasizes the need for long- Eine direkte Schwerefeldmessung vom Satel- Weil viele, obwohl nicht alle, Massenverlage- term observation of key varia- liten aus wird aber nicht gelingen. Satelli- rungen im Erdsystem mit dem Wasser- bles in the Earth system. ten bewegen sich im Freifall, genau wie ein kreislauf zusammen hängen, werden die
58 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING Massen oft dass sich Massenumsätze messtechnisch als Wasser- quantifizieren lassen und zwar global mit schicht aus- homogener Genauigkeit und homogener gedrückt: die (obwohl grober) räumlicher Auflösung. sogenannte Dies ist umso wichtiger, weil das terrestri- wasseräqui- sche Netzwerk von hydrologischen und valente meteorologischen Messstationen seit Jah- Höhe. Dies ren rückläufig ist. Der langfristige Betrieb ist selbst- zum Beispiel von Flusspegelstationen ist verständlich nun mal für viele Länder weltweit eine irreführend kostspielige Angelegenheit. für Massen- In Gegensatz zur jährlichen Variation stellt änderungen, (03) die langfristige Änderung, ausge- die nicht mit drückt in cm/Jahr Änderung der äquiva- 02 Hydrologie lenten Wasserhöhe, dar. Es sei nochmals Jahresgang der hydrologischen Mas- zu tun ha- betont, dass die äquivalente Wasserhöhe senänderungen, ausgedrückt in äqui- ben. Auch nur eine Darstellung der gemessenen Mas- valenter Wasserhöhe in Zentimeter. wenn es um hydrologische Massenverlage- senänderungen ist. Zum Beispiel haben die rungen geht, können wasseräquivalente blauen Bereiche in Skandinavien und Höhen in die Irre führen. Das Gravita- Nordamerika wenig mit langjährigen tionssignal aus der GRACE-Mission kann Grundwasseränderungen zu tun. Viel- nicht unterscheiden, ob es nun um Ober- mehr geht es um postglaziale Hebung der flächenwasser, Bodenfeuchte, tiefes Landmassen nach dem Rückzug der Eis- Grundwasser oder gar um Wasser in der schilde der letzten Eiszeit (vor 18.000 Jah- Biosphäre geht. Eine vertikale Trennung ren). Die Massen der damaligen kilometer- ist nicht möglich. Der Vorteil ist aber, dass dicken Eispanzer haben die Erdkruste nach man ein vergleichbares Maß und einen innen deformiert. Seitdem das Eis abge- globalen Überblick erhält, was in (02) und schmolzen ist, bewegt sich die Erdkruste (03) eindrucksvoll belegt wird. wieder visko-elastisch zurück. Es geht um (02) zeigt die Variabilität der äquivalenten Bewegungsraten bis zu einem Zentimeter Wasserhöhe weltweit. Obwohl weitere Pe- pro Jahr, die übrigens auch mit anderen rioden im Spiel sind, geht es hier in erster geodätischen Messtechniken wie GPS oder Linie um den Jahresgang. Für jeden Pixel aus geologischen Analysen festgestellt auf dieser Karte muss man sich also eine wurden. Die Quantifizierung der Massen- jährliche Sinuskurve mit einer Amplitude bewegungen und eine Bestimmung der vorstellen, die man von der jeweiligen Far- räumlichen Ausdehnung über Kanada be abliest. Konkret geht zum Beispiel der sind aber wichtige Errungenschaften der Wasserspeicher des Amazonasbeckens GRACE-Mission. jährlich mit 20 Zentimetern Amplitude Das Beunruhigende an (03) sind die roten auf und ab. Man sieht auch, dass der Ama- Bereiche über Grönland und der Westant- zonas vom Orinocobecken getrennt ist. arktis. Die Satellitengravimetrie erlaubt Weitere Gebiete mit starker hydrologi- eine eindeutige Quantifizierung des Ab- scher Aktivität sind die Tropenbereiche in schmelzverhaltens, etwas das mit her- Afrika und Nordaustralien und der Zu- kömmlichen Fernerkundungsmethoden sammenfluss von Ganges und Brahmaput- oder mit Modellierung kaum möglich ra. Auch die hydrologisch eher inaktiven war. Vom grönländischen Eisschild Kontinentalgebiete, wie die Wüsten und schmelzen etwa 300 Gt/Jahr (Gigatonnen die Antarktis fallen durch helle Farben ins pro Jahr) ab. Zum Vergleich: eine Giga- Auge. Die Karte zeigt gleichzeitig auch die tonne entspricht der Wassermasse in ei- Beschränkungen der momentanen Satelli- nem Würfel mit einem Kilometer Kanten- tengravimetrie auf. Für viele Gebiete, wie länge. Wenn 300 solcher Eiswürfel pro Jahr etwa die indonesischen Inseln, reicht die abschmelzen, bewirkt das einen mittleren räumliche Auflösung nicht aus. Meeresspiegelanstieg von etwa 0,85 Milli- Selbstverständlich ist es keine neue Erkennt- meter pro Jahr. Zahlenmäßig mag das viel- nis, dass im Wüstenbereich hydrologisch leicht gering erscheinen. Über den Zeit- wenig passiert und dass die Tropen dage- raum der GRACE-Satellitenmission aber gen sehr aktiv sind. Die Innovation der Sa- sind die Ozeane im Schnitt alleine wegen tellitengravimetrie steckt in der Tatsache, Grönland um fast einen Zentimeter ge-
VERMESSUNG DER WELT 59 stiegen. GRACE hat auch Hinweise darauf Schwere- geliefert, dass sich der Abschmelzvorgang feldes. Ob beschleunigt. Wichtig in der Meeresspie- der Stärke geldiskussion ist auch die Tatsache, dass der Mas- der so berechnete Meeresspiegelanstieg senände- nur einen Schnittwert über die ganze rung hat Ozeanfläche darstellt. In Wirklichkeit wird sich dieser aber das Schmelzwasser nicht gleichmäßig Sprung in über die Ozeane verteilt. Eine große Masse die Karte wie das grönländische Eisschild entfaltet eingeschli- nämlich gravitationelle Wirkung. Wenn chen. Es das Eis schmilzt, verliert es die Wirkung zeigt auf und wird das Wasser im umliegenden jeden Fall, Meer in geringerem Maße anziehen. Der dass die Meeresspiegel des umliegenden Meeres GRACE- 03 wird sich dadurch sogar senken. Das Ab- basierten Langfristige Massenänderungen an der schmelzen von Grönland muss sich also Schwere- Erdoberfläche, ausgedrückt in Ände- auf Europa nicht negativ auswirken, we- feldänderungen nicht nur Objekt der hyd- rungen der äquivalenten Wasserhöhe in nigstens nicht was den Meeresspiegelan- rologischen Forschung und Eisforschung cm/Jahr. stieg betrifft. ist, sondern auch der Geophysik. Die antarktischen Eismassen dagegen sind bedrohlicher für die nördliche Halbkugel. 3. Satellitenaltimetrie Die roten Bereiche in der Westantarktis in (03) zeigen eindeutig, dass die Antarktis Die Satellitengravimetrie erfasst die Massen- Eis verliert. Der Umfang beträgt in etwa verteilung und -umverteilung im Erdsys- 180 Gt/Jahr, was einem mittleren Meeres- tem. Dagegen erfasst die Satellitenaltimet- spiegelanstieg von 0,5 Millimetern pro Jahr rie die Erde in geometrischem Sinne. Das entspricht. (01) nennt das westantarkti- Messprinzip ist einfach, siehe (04). Der Sa- sche Eisschild als einen der „tipping tellit sendet einen Radarpuls nach unten points“. Dementsprechend ist eine genaue und empfängt ihn nach Reflektion an der langfristige Beobachtung hochrelevant. Meeresoberfläche. Die Laufzeitmessung er- Auch kontinentales Eisabschmelzverhalten gibt also, nach Multiplikation mit der ist in (03) klar erkennbar. Insbesondere Lichtgeschwindigkeit und nach atmosphä- die Gletscher von Alaska und Patagonien rischer Korrektur, die doppelte Entfer- verlieren an Masse. Verglichen mit Grön- nung zwischen Satellit und Meeresoberflä- land und der Westantarktis fällt dies viel- che. Wenn man die Satellitenbahn genau leicht weniger „ins Gewicht“. Das Ab- kennt, zum Beispiel aus GPS-Messung, hat schmelzen ist aber ein klares Indiz für den man somit die Höhe der Meeresoberfläche globalen Wandel. bestimmt. So wird ein Profil der Erde Des Weiteren beschreibt die Karte auch lang- direkt unterhalb der Satellitenbahn ab- fristige Speicheränderungen gewisser gestreift, die sogenannte Bodenspur. Der Flussbecken. Der Amazonas scheint Reflektionspunkt an der Meeresoberfläche schwerer, also nasser, zu werden, genauso hat durch die Ausweitung des Radar- wie der Sambesi. Die roten Flecken in Kali- strahls übrigens einen Durchmesser in der fornien (central valley), im mittleren Os- Größenordnung von etlichen Kilometern. ten und in Nordindien (Ganges-Ebene) Seit nunmehr drei Jahrzehnten kommt die deuten klar auf Grundwasserentnahme Satellitenaltimetrie zum Einsatz, obwohl für Bewässerungszwecke hin. Wenn das erst ab Anfang der 90er Jahre operationell. Wasser mal abgepumpt ist, verdunstet es Eine amerikanisch-französische Zusam- schnell und landet in den globalen Was- menarbeit hat eine Generation von Alti- serkreislauf. metermissionen hervorgebracht mit Na- Interessant ist auch die Änderung des men wie Topex/Poseidon und Jason. Die Schwerefeldes durch das Sumatra-Anda- Europäische Raumfahrtbehörde ESA Satel- man Erdbeben, Dezember 2004. Selbst- liten wie ERS und Envisat. Die Relevanz verständlich geht es hier nicht um einen kontinuierlicher Ozeanbeobachtung wur- langsamen Bewegungsvorgang, die man in de gemeinsam von der ESA und der Euro- Zentimeter pro Jahr ausdrücken sollte, päischen Union anerkannt. Im Rahmen sondern um eine ruckartige Änderung des des europäischen Erdbeobachtungspro-
60 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING 04 05 Messprinzip der Satellitenaltimetrie. (05) Verlauf des mittleren Meeres- gramms „Global Monitoring for Environ- Die verschiedenen Altimetersatelliten ge- spiegels in mm. ment and Security“ (GMES) wird bald der ben, trotz Differenzen, ein konsistentes Envisat-Nachfolger unter dem Namen Bild. Die Differenzen erklären sich aus Un- Sentinel-3 ins All starten. terschieden in Satellitenbahn, Bodenspur- Die Satellitenaltimetrie wurde in erster Linie muster, Abtastverhalten, Bauweise und zur Beobachtung der Meeresoberfläche Radarfrequenz. entworfen. In der Ozeanografie hat sie da- Richtig interessant wird die Satellitengeodä- her auch große Erfolge vorzuweisen: Ge- sie erst in der Kombination aus gravimetri- zeitenmodelle konnten mit hoher Genau- schem und geometrischem Verfahren. Im igkeit verfeinert werden, die globale vorigen Abschnitt wurde festgestellt wie Ozeanzirkulation und deren Änderungen viel Eis in Grönland, der West-Antarktis werden kontinuierlich verfolgt, kleinräu- und den großen kontinentalen Gletscher- migere Strukturen wie Eddies (Wirbel) gebieten ins Meer verschwindet. Zusätz- oder Tsunamis werden erfasst, das El-Niño lich wurde die Massenänderung einiger Phänomen konnte genauer erforscht wer- großer Flussbecken festgestellt, sowohl mit den, und so weiter. positivem als auch negativem Vorzeichen. In der Klimaforschung ist der Meeresspie- Eine konsistente Zählung ergibt einen gelanstieg eine besonders wichtige Größe. Beitrag des kontinentalen Abflusses (Was- Die Satellitenaltimetrie erlaubt ein lang- ser und Eis) in Höhe von 1.2 ± 0.4 mm/ fristiges Monitoring der Meeresoberflä- Jahr. Die Differenz zum obengenannten chen mit hoher Genauigkeit und homo- altimetrisch bestimmten Meeresspiegelan- gener räumlicher Abdeckung. Nur so stieg von 3.1 mm/Jahr beträgt 1.6 mm/Jahr. können zuverlässig Schätzungen des An- Diese Differenz, die also erst aus der ge- stiegs ermittelt werden und in den Berich- meinsamen Analyse von GRACE und Alti- ten des „Intergovernmental Panel on Cli- metrie bestimmt werden kann, stellt die mate Change“ (IPCC) eine tragende Rolle thermische Ausdehnung der Ozeane dar, spielen. In (05) wird die mittlere Meeres- die sogenannte sterische Komponente des oberfläche ab Anfang der 90er Jahr durch Meeresspiegelanstiegs. Sie wird hier aus- Multimissionsanalyse verfolgt. Der mittle- schließlich aus satellitengeodätischen Ver- re Anstieg beträgt 3.1 ± 0.7 mm/Jahr. Wie fahren bestimmt, ohne Zuhilfenahme von im Abschnitt zur Satellitengravimetrie, ozeanografischer Modellierung oder kli- muss auch hier bemerkt werden, dass die- matischen Annahmen. Solche unabhängi- se Zahl einen Mittelwert über die gesamte gen Messungen sind eine wichtige Stütze Ozeanoberfläche darstellt. Von Ort zu Ort für die weitreichenden Stellungnahmen in variiert der Anstieg; er kann durchaus den IPCC-Berichten. Werte annehmen, die eine Größenord- Wie vorher beschrieben ist die Satellitenalti- nung größer sind, also im Bereich einiger metrie für den Gebrauch auf dem offenen Zentimeter pro Jahr. Auch gibt es weite Ozean gedacht; in Küstennähe liefert sie Ozeanbereiche, wo der Meeressspiegel deutlich schlechtere Ergebnisse. Trotzdem nicht steigt sondern fällt. versucht man seit einigen Jahren, auch Klar erkennbar in (05) ist auch die Über- größere Binnenseen, Speicherseen und so- lagerung von generellem Anstieg und Jah- gar breite Flüsse zu beobachten. Obwohl resgang. Zusätzlich sind noch sogenannte der globale Wasserkreislauf einen der interannuelle Effekte, wie z.B. das schon wichtigsten Prozesse im System Erde dar- erwähnte El-Niño Phänomen, zu sehen. stellt, ist er messtechnisch relativ schlecht
VERMESSUNG DER WELT 61 06 07 Mit dem Altimetersatelliten Envisat bestimmte Flusspegelstände. Die roten erfasst. Die Abflüsse aus den großen Fluss- zeitreihen sehr stark mit den Flusspegel- vertikalen Balken stellen den Messfeh- systemen weltweit werden hauptsächlich ständen korrelieren. Nur ist die Feststel- ler dar. an terrestrischen Pegelmessstationen ge- lung einer hohen Korrelation in diesem messen. Solche Messungen werden am Fall keine Lösung des Problems, weil dafür (06) Wo die Satellitenbodenspur den „Global Runoff Data Centre“ (GRDC) an gleichzeitig gemessene Datensätze benötigt Fluss kreuzt, entsteht eine virtuelle Pe- der Bundesanstalt für Gewässerkunde in werden. Und wenn die Abflüsse schon ge- gelstation. Koblenz kompiliert und Nutzern zur Ver- geben sind, braucht man die altimetrisch fügung gestellt. Leider muss man feststel- bestimmten Höhen nicht umwandeln in len, dass die GRDC-Datenbank weder demselben Zeitraum. Die eigentliche Frage räumlich noch zeitlich die Kontinente ist also, ob vergangene Abflussdaten die komplett abdeckt. Die Abdeckung ist so- richtige statistische Information besitzen, gar seit einigen Jahren rückgängig. Aus um heutige Altimetermessungen in Ab- verschieden Gründen stellen viele natio- flussinformation umzuwandeln. Ein Bei- nale hydrologische Behörden ihre Daten spiel für diese Fragestellung ist der Me- nicht mehr zur Verfügung oder dünnen kong, für den Abflussmessungen nur in ihre Messnetze aus. Ähnliches gilt für die den Zeiträumen 1960–1970 und 1991–1994 Beobachtung weiterer hydrologischer Va- zur Verfügung stehen. Der Flusspegel wird riablen wie Niederschlag oder Verduns- in (07) aus der Altimetermission Envisat tung. Satellitengestützte Beobachtung bestimmt. scheint hier die einzige Möglichkeit, dem Weil die Abflüsse aus der Vergangenheit be- Problem zu begegnen. kannt sind, wird die Statistik der beiden Die klassische Satellitenaltimetrie eröffnet Datensätze miteinander verglichen. Auch hier tatsächlich gewisse Möglichkeiten, ob- wenn die Datensätze nicht synchron sind, wohl zu große Hoffnungen von vornher- passen die statistischen Verteilungen gut ein gedämpft werden müssen. Es sei daran zueinander, so dass man zuversichtlich erinnert, dass der Bodenfusspunkt einer mit einem Ansatz über Quantilfunktionen Altimetermessung einen Durchmesser die aktuellen Altimeterdaten in Abfluss- von etlichen Kilometern hat. Nur größere information umwandelt. hydrologische Objekte können somit er- Echte Zuversicht entsteht dabei aber erst, fasst werden. Des Weiteren misst ein Alti- wenn die Ergebnisse validiert werden. meter grundsätzlich die Höhe, also den Dazu nimmt man ein Flussbecken mit See- oder Flusspegel; der Bodenfusspunkt ausreichend Abflussdaten, auch synchron des Satelliten stellt sozusagen eine virtuel- zur Satellitenaltimetrie. Die synchronen le Pegelstation dar, siehe (06). Dies ist aber Abflussdaten werden dann aber ausgelas- aus hydrologischer Sicht weniger relevant. sen und der statistische Ansatz nur mit Vielmehr benötigt die Hydrologie Abfluss- vergangenen Abflussdaten angewandt. daten. Beide Probleme werden aktiv er- Die aus Altimetrie prädizierten Abfluss- forscht am Geodätischen Institut: informationen können nun unabhängig • Welche hydrologischen Objekte kann die mit den ausgelassenen Abflussmessungen Satellitenaltimetrie (noch) erfassen? verglichen werden. Diese Art von Valida- • Kann eine Zeitreihe von Höhenmessungen tion wird in (09) für den Amazonas vor- in Abflussinformation umgewandelt wer- geführt. Es zeigt sich eine Prädiktions- den? kapazität mit einem Fehler, der weniger Die zweite Frage kann in Prinzip mit einem als zehn Prozent vom Signal beträgt. Ja beantwortet werden, weil die Abfluss- Dieses Ergebnis bestätigt sich in der Analyse
62 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING 08 09 Altimetrisch bestimmte Flusspegel- stände werden mit einem statistischen Ansatz in Abflussinformation trans- weiterer Flüsse. Die Satellitenaltimetrie künftig nur an Bedeutung gewinnen. formiert. stellt somit als Beobachtungssystem eine Durch verbesserte Messtechniken werden wesentliche Ergänzung für die Hydrologie kleinere hydrologische Objekte künftig (09) Gemessene (schwarz) und aus dar. Für die wichtigsten (weil größten) auch erfasst werden können mit gleichzei- Satellitenaltimetrie bestimmte Abflüs- Flusssysteme der Welt können im Zeit- tiger Verbesserung der Raum-Zeit-Abtas- se (blau) im Amazonasbecken. raum der Satellitenaltimetrie Abflussinfor- tung. Aus der amerikanisch-französischen mationen hergestellt werden mit einer Schiene der Topex/Poseidon und Jason-Sa- Qualität, die für die hydrologische Model- telliten wurde zum Beispiel das Konzept lierung ausreicht. der SWOT-Altimetrie geboren. Mit InSAR- Technik soll dabei nicht nur im Fusspunkt 4. Fazit und Ausblick gemessen werden, sondern in einem brei- ten Streifen um die Bodenspur herum. In diesem kurzen Beitrag konnte die Rolle Ähnliches wird im deutschen TanDEM-L der Satellitengeodäsie als messende Ingeni- Konzept des Deutschen Zentrums für Luft- eursdisziplin in der Erdsystem- und Klima- und Raumfahrt (DLR) vorgeschlagen. forschung anhand zweier Satellitenverfah- Die Zukunft der Satellitengravimetrie ist we- ren dargestellt werden. Wie gezeigt wurde, niger sicher. GRACE war die erste Mission, liefert die Satellitengravimetrie Informa- die überhaupt in der Lage war, zeitliche tion zu Massenverlagerungen im System Variationen im Schwerefeld mit der ge- Erde. Zum Beispiel kann dadurch der Was- nannten räumlichen Auflösung zu beob- serkreislauf, der auch ein Massenkreislauf achten. Obwohl noch immer messbereit, ist, großskalig erfasst werden. Unter an- ist die Mission schon lange über ihre „Halt- derem erlaubt die Satellitengravimetrie barkeitsfrist“ hinaus. Vermutlich wird sie quantitative Aussagen über das Ab- noch dieses Jahr beendet. Eine GRACE- schmelzverhalten der großen Eisschilde Nachfolgemission wurde von US-amerika- und Gletscher der Welt und über den nischer und von deutscher Seite geneh- Wasserkreislauf in kontinentalem Maßstab. migt. Sie wird aber voraussichtlich erst ab Die Satellitenaltimetrie liefert komplemen- 2017 fliegen. Die Nachfolgemission wird in tär dazu eine geometrische Messgröße. Prinzip dieselbe Hardware an Bord haben, Global wird die Höhe der Meeresoberflä- so dass nicht mit besseren Genauigkeiten chen, eine wichtige Variable in der Klima- oder einer besseren räumlichen Auflösung forschung, überwacht. Auch der defizitä- gerechnet werden darf. Verbesserte Satelli- ren Situation der globalen Abflussmessun- tengravimetriemissionen werden zwar un- gen wird mit der Satellitenaltimetrie ge- tersucht und konzipiert, eine genehmigte holfen. Mission liegt aber noch nicht vor. Die Satellitenaltimetrie ist mit der geplanten Der Blick aus dem All ist vom Charakter her europäischen Mission Sentinel-3 für die global und synoptisch, wodurch man das nächste Zukunft gesichert. Auch weitere Gesamtsystem „Erde“ besser verstehen Altimetersatelliten werden im All tätig lernt. Wichtig dabei ist jedoch, dass die sein. Zum Beispiel leistet sich China als Messreihen langfristig angelegt sind. Eine aufstrebende Weltraummacht unter dem Zeitreihe von zehn Jahren reicht im Rah- Namen Hai-Yang eine Flotte von Ozeanbe- men einer Klimadebatte schlichtweg nicht. obachtungssatelliten, darunter auch einen Kontinuität kann wichtiger sein als hohe Altimetersatelliten. Die hydrologische An- Genauigkeit. • Nico Sneeuw, wendung von Satellitenaltimetrie wird Mohammad J. Tourian, Balaji Devaraju
VERMESSUNG DER WELT 63 Z U SAM M E N FAS S U N G D I E AUTO R E N Die Satellitengravimetrie misst großskalige Kontakt Massenänderungen im Erdsystem. Sie erlaubt da- durch zuverlässige Aussagen über Prozesse wie Universität Stuttgart Abschmelzverhalten der grönländischen oder west- Geodätisches Institut antarktischen Eiskappen, der kontinentalen Glet- Geschwister-Scholl-Str. 24D scher, großräumige Grundwasserentnahme und, D–70174 Stuttgart schließlich, Meeresspiegelanstieg durch kontinenta- Nico Sneeuw le Süßwassereinträge in den Ozean. Die Satelli- +49 (0) 711/685-83390 tenaltimetrie ist dagegen ein geometrisches sneeuw@gis.uni-stuttgart.de Messverfahren. Sie misst zwar auch den Meeres- Von links nach rechts: Sneeuw, Tourian, Devaraju. spiegel und somit den Meeresspiegelanstieg, erfasst aber zusätzlich zur Massenkomponente noch die Prof. Dr. -I ng. Ni co Sne e uw thermische Ausdehnung. Des Weiteren wird die studierte Geodäsie an der Technischen Universität Delft, Niederlande. An der Techni- Satellitenaltimetrie zur langfristigen Beobachtung schen Universität München promovierte er 2000 zur Thematik der Satellitengeodäsie. hydrologischer Objekte wie Binnenseen und Flüsse Anschließend nahm er 2001 einen Ruf an die University of Calgary, Kanada, an, wo er eingesetzt. Dies ist insofern wichtig, als der Daten- bis 2005 im Department of Geomatics Engineering tätig war. Als Humboldt-Stipendiat satz aus terrestrischen Pegel- und Abflussmessun- hat er 2004 an der Universität Stuttgart das Geodätische Institut kennengelernt, dessen gen relativ dünn ist und sich im Laufe der vergan- Institutsleiter er seit 2005 ist. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Satelliten- genen Jahre sogar verschlechtert hat. Außer der geodäsie; insbesondere erforscht er die Nutzung von Satellitengravimetrie und Satelliten- Fokussierung auf die quantitative Rolle der Satel- altimetrie in der Erdsystemforschung. litengeodäsie wird in diesem Beitrag die Relevanz langfristiger Beobachtung des Erdsystems betont und das Zusammenspiel von geometrischen und phy- Moham m ad J . T ouri an M. Sc. sikalischen Messgrößen hervorgehoben. ist seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geodätischen Institut und am Institut für Wasser- und Umweltsystemmodellierung, Abteilung Hydrologie und Geohydrologie. Er erhielt seinen Bachelor-Abschluss im Bauingenieurwesen, Spezialisierung Vermessungs- technik, von der Universität Teheran. Er schloss sein Masterstudium in Geodäsie mit einer Masterarbeit über die Gezeitenmodellierung mit Satellitenaltimetrie an der Univer- Literatur sität Teheran ab. Derzeit erforscht er in einem DFG-Projekt im Schwerpunktprogramm SPP1257 die direkte Bestimmung terrestrischer Wasserbilanzen. In seiner Forschungsar- • Bindoff NL et al. (2007). Observations: oceanic beit beschäftigt er sich mit der Anwendung von satellitengestützten geodätischen Sensoren climate change and sea level. In: Solomon S et al. in der Hydrologie. (Eds.) IPCC climate change 2007: the physical science basis. Cambridge University Press • Kehlmann D (2005). Die Vermessung der Welt. Balaj i De v araj u M. Sc. Rowohlt, ISBN 3-498-03528-2 erhielt einen BSc-Abschluss an der Anna University, Chennai, Indien. Daran schloss • Schellnhuber HJ (2009). Tipping elements in the sich ein MSc Studium Geomatics Engineering an der University of Calgary, Kanada, an, Earth System. PNAS, Vol. 106, Nr. 49, S. 20561– wo er das kanadische Höhensystem untersuchte. Ab 2006 erforscht er am Geodätischen 20563 Institut im Rahmen eines DFG-Projekts im Schwerpunktprogramm SPP1257 die direkte • Torge W (2005). The International Association of Bestimmung terrestrischer Wasserbilanzen. Kern seiner Forschung ist die Satellitengravi- Geodesy 1862 to 1922: from a regional project to metrie und die Assimilation verschiedener satellitengeodätischer Messgrößen. an international organization. J Geodesy, Vol. 78, S. 558–568
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