DIE VERWANDLUNG 09.-19.09.2021 - BIENNALE FÜR NEUE MUSIK UND ARCHITEKTUR - ZeitRäume Basel
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INHALT EDITORIAL 3 HERZLICH WILLKOMMEN! HERZLICH WILLKOMMEN! ZEITRÄUME BASEL IST… 6 STADT VERWANDELN ANDREAS RUBY: BASEL BRENNT 8 UNTERWEGS SEIN CLAES OLDENBURG: I AM FOR … 12 SPIELEN MICHEL ROTH: SPIEL PLATZ SPIEL RAUM SPIEL HÖLLE Die Ausnahmejahre 2020 und 2021 sind unmissverständlich: Wir bewegen uns 14 MUSIK SEHEN HEINRICH TOEWS / IOANNIS PIERTZOVANIS: TRANSPARENTE SCHICHTEN inmitten rasanter Veränderungsprozesse. Welchen Bereich wir auch anschauen 16 RAUM HÖREN AYLIN TSCHOEPE: SOZIO-SONISCHE POETIK: DIE STADT MIT GESCHLOSSENEN AUGEN SEHEN – Klima, Ökologie, Energie, Mobilität, Wirtschaft, Gesundheit, das Verhältnis zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Überzeugung, Religion, un- terschiedlichen Geschlechts, Alters, Wohlstands, Bildungsstands –, die Pande- PRODUKTIONEN mie hat die immer und überall gegenwärtige Verwandlung merklich beschleunigt. 20 FESTIVALPAVILLON AN DER MITTLEREN BRÜCKE 03.–19.09.2021 In diesem Sommer 2021 ein Festival für neue Musik und Architektur anzubie- 22 H.E.I. KASERNE 09.–19.09.2021 ten, ist ungewohnt: Was bieten Kunst und Kultur im Spannungsfeld zwischen 24 DER KLANG VON BIRSFELDEN 08.–19.09.2021 grossen, kaum greifbaren Veränderungen und den vielen kleinen Versuchen, vielleicht so etwas wie alltägliche Vertrautheit und Entspannung zu geniessen? 28 BLIND AUDITION 08.–18.09.2021 30 PHASE 4 09.–19.09.2021 Gut, auch neue Musik und Architektur lassen sich geniessen – vor allem im ge- meinsamen, physischen Erleben, im Wechselspiel und der inspirierenden 32 VOR ORT 09.–11.09. & 18.09.2021 Spannung zwischen diesen beiden Polen. Zwischen der Architektur, die bes- 34 DIE SUMME 08.–19.09.2021 tenfalls für Jahrhunderte Beständigkeit schafft, und der Musik, die immer 36 SONIC SPACES IM KLYBECK 09. & 11.09.2021 gleich wieder weg ist und doch manchmal bleibende Eindrücke hinterlässt. Wie beeinflussen sich Architektur und Musik, wie verändern sie die Wahrnehmung 38 POPPAEA 10. & 12.09.2021 füreinander? Die immer wieder überraschenden künstlerischen Antworten da- 42 NIEMANDSLAND 10.–12.09.2021 rauf führen diesmal u. a. an ausgewählte Brennpunkte der Stadtentwicklung. 44 SNURGLOND 10. & 11.09.2021 Das Klybeck-Areal beispielsweise, in dem das Festival beginnt (S. 20) und en- 46 PFLAUMENBLÜTEN 12.09.2021 det (S. 64), war vor 150 Jahren noch Weideland, vor 110 Jahren Industriezone, 48 FESTIVALORTE vor 5 Jahren Gegenstand einer Planungsvereinbarung für ein postindustrielles Basler Stadtquartier. 2021 wird es kurz zur Bühne einer Musik, die dann gleich 50 THINGS ARE GOING DOWN 12.09.2021 wieder weg ist – und in der doch spürbar wird, wie Künstler*innen heute auf die 54 URBAN CREATURES 15.–19.09.2021 Verwandlung reagieren. Wie auch bei «zeitlosen» neuen Klangwelten in einer ehemaligen Kirche von vor 120 Jahren (S. 46) oder in der ephemeren Architek- 56 SKRIPT 17.09.2021 tur unserer ersten Opernbühne in einer frisch umgebauten Basilika (S. 14 & 38). 58 GRENZBAHNHOF 18. & 19.09.2021 60 SPIELHÖLLE 18. & 19.09.2021 Vor 133 Jahren wurde in Berlin eine ehemalige Rollschuhbahn in die allererste Philharmonie umgebaut, und der strenge Chefdirigent Hans von Bülow erklär- 62 ORATORIUM 18.09.2021 te stundenlanges Stillsitzen zur einzig wahren Art, Musik zu erleben. Wir 64 URBAN MORPHOLOGIES 19.09.2021 schlagen Euch und Ihnen im Sommer 2021 – frei nach dem berühmten Zitat von Claes Oldenburg, das sich auf Seite 8 im Kontext nachlesen lässt – zur Ab- wechslung wieder eine Musik vor, die etwas anderes tut, als in einem Konzert- 68 KÜNSTLER*INNEN UND WERKE saal «auf ihrem Arsch zu sitzen». Lest Kafka und Ovid (und dieses Festivalma- gazin). Hört Architektur. Seht Musik. Geniesst die Verwandlung. 90 HERZLICHEN DANK! Bernhard Günther & Anja Wernicke 96 TEAM UND IMPRESSUM Leitung ZeitRäume Basel ÜBERSICHT 2 EDITORIAL 3
ZEITRÄUME BASEL IST … STADT VERWANDELN Und was passiert eigentlich mit der Altstadt auf der zeigt sich an dem reichlich unverfrorenen Coup der anderen Rheinseite? Welche Probleme die Abhän- Schweizerischen Rheinhäfen, den Bermenweg ent- gigkeit des Gebiets vom Einkaufen und Gewerbe mit lang des Rheins für die Öffentlichkeit sperren zu sich bringt, hat sich spätestens während des Coro- wollen. Dieser Weg liegt wohlgemerkt auf öffentli- na-Lockdowns gezeigt. Weil die Bedeutung des chem Grund und Boden und wurde vor 50 Jahren als Einkaufens durch die Digitalisierung des Handels Ausgleich für die durch Hafen-, Bahn- Industrie- auch nach Corona weiter sinken wird, muss die In- gelände vom Rhein abgeschnittene Bevölkerung nenstadt ein anderes Selbstverständnis jenseits der von Birsfelden, Muttenz und Pratteln geschaffen. Einkaufsstadt für sich finden. Welche Nutzungen Durch Proteste der Bevölkerung konnte die Politik könnte es für die zukünftig leerstehenden Kauf- diese klandestine Privatisierung von öffentlichem BASEL BRENNT Von ähnlicher Bedeutung ist die städtebaulich häuser geben? Die Kultur kann das Vakuum zum Raum zumindest teilweise verhindern, jedoch dür- Andreas Ruby überfällige Öffnung der Rosentalanlage, die den Teil füllen – so wie z. B. die neue Theaterplatziniti- fen Velofahrer*innen diesen einzigartigen Frei- Badischen Bahnhof zu einem neuen urbanen Entrée ative, mit der 11 um den Theaterplatz angesiedelte zeitkorridor zwischen Flusslandschaft und indust- Auch wenn in Basel bisher nicht jene zivilgesell- Basels machen könnte, mit einer sich daran an- Kulturinstitutionen das Quartier an der ehemaligen rieller Infrastruktur heute offiziell nicht mehr be- schaftlichen Spannungen herrschen, die im Zürich schliessenden porösen Stadtraumsequenz bis hin Kulturmeile gemeinsam programmatisch neu be- nutzen. der 1980-er Jahre jenes geflügelte Wort prägte, dass zum Rhein. Wird Kleinbasel dabei aber seine sozia- spielen wollen. Aber damit die Altstadt wieder di- die Stadt in Flammen stehe, so steigt in Basel doch le, funktionale und demografische Durchmi- vers, gemischt und damit auch wirklich urban wird, Eine sozial und ökologisch nachhaltige Stadtent- kontinuierlich die Temperatur, weil sich die Stadt schung erhalten können oder durch stärkere Ge- müsste dort vor allem auch wieder gewohnt werden wicklung in Basel wird nur möglich sein, wenn die gleichzeitig an vielen Orten radikal verändert. Alte werbeanteile und Segregation zu einem «norma- können – tatsächlich lebten im Mittelalter deutlich Politik den immanenten Widerspruch zwischen be- Räume und neue Nutzungen stossen aufeinander len» Stadtteil werden? mehr Menschen im Zentrum Basels als heute. grenztem Stadtgebiet und realem wirtschaftlichem und erzeugen dabei jene Art von Reibung, die aller Wachstumspotenzial klug kuratiert. Überlässt man urbanen Transformationen vorausgeht. Welche ge- Dass die Zukunft Basels auf seiner rechtsrheini- Genauso stellt sich die Frage, wie sich Basel an sei- dieses Spannungsfeld dem Markt, wird die Tem- sellschaftlichen Auswirkungen von dieser zu er- schen Hälfte entschieden wird, zeigt sich unver- nen Rändern entwickelt. Weil die Stadt territorial peratur in Basel weiter steigen. Bleibt zu hoffen, warten sind, ist noch völlig offen: das Spektrum kennbar im Klybeck. In welcher Form dieses grösste nicht wachsen kann, kann Stadtentwicklung in Ba- dass die Verantwortlichen nichts anbrennen lassen. zwischen metropolitanem Wachstumsszenario und ehemalige Industrieareal nun zur Stadt zurückfin- sel nur transkantonal (und letztlich auch nur trans- provinzieller Entropie ist weit gespannt. det, wird Basels Entwicklung insgesamt entschei- national) funktionieren. Birsfelden ist performativ dend prägen. Die Zivilgesellschaft fordert, das Kly- gesehen genauso ein Stadtviertel Basels wie zu- Andreas Ruby, 1966 in Dresden geboren, ist Architekturkritiker, Publizist, Buchverleger und Kurator. Nach seinem Studium der Kunstgeschichte war Beginnen wir in Kleinbasel. Das ewige Utopiever- beck als ausgleichenden Hebel für einseitige Ent- künftig das Klybeck und muss entsprechend naht- er zunächst als freier Architekturkritiker tätig, bevor er 2008 er zusam- sprechen der Stadt – jung, aktiv, multikulturell, wicklungen anderswo zu nutzen: mehr öffentlichen los angebunden sein. Wie wenig das bisher wesent- men mit Ilka Ruby den Architektbuchverlag Ruby Press gründete. Seit dicht – könnte mit der umgebauten Kaserne end- Raum am Rhein, mehr kostengünstigen Woh- liche urbane Player der Peripherie realisiert haben, 2016 ist er Direktor des S AM Schweizerisches Architekturmuseum in Basel. lich sein eigenes repräsentatives Kulturhaus be- nungsbau und überhaupt mehr Chancen für pro- kommen und die Rolle Kleinbasels als Inkubator grammatische Entwicklungen jenseits des Marktes. neuer städtischer (Gegen-)Kulturen verstärken. Ob Aber weil Novartis das Areal nicht an den Kanton, das gelingt, hängt nicht unerheblich davon ab, wie sondern an zwei Versicherungsgesellschaften ver- sich Kleinbasel an seinem östlichen Ende entwickeln kaufte, ist die Entwicklung des durch Lage und Be- wird. Wie wird die Messe das absehbare Auslaufen stand überaus vielversprechenden neuen Stadt- traditioneller Messekonzepte kompensieren? Ge- viertels, das mit 28 ha grösser ist als die Innenstadt lingt es, neue, hybride Messekonzepte mit Schnitt- Kleinbasels (23 ha), von einem vorhersehbaren In- stellen zur Stadt zu entwickeln, oder werden frei- teressenskonflikt zwischen dem Recht auf Stadt der werdende Flächen einfach nur anders kommerzia- Allgemeinheit einerseits und dem Zwang zur Refi- lisiert? Oder werden sie durch stadtdienliche Nut- nanzierung einer 1,2 Mrd. Franken teuren Investiti- zungen ersetzt, die neue Spielräume schaffen für on der privaten Grundstückseigentümer anderer- gesellschaftliche Innovationen? seits überschattet. STADT VERWANDELN 6 ANDREAS RUBY 7
ZEITRÄUME BASEL IST … UNTERWEGS SEIN I am for an art that joggles like everyone’s knees, when the bus traverses an excavation. I am for art that is smoked like a cigarette, smells like a pair of shoes. I am for art that flaps like a flag, or helps blow noses like a handkerchief. I am for art that is put on and taken off like pants, which develops holes like socks, which is eaten like a piece of pie, or abandoned with great contempt like a piece of shit. I am for art covered with bandages. I am for art that limps and rolls and runs and jumps. I am for art that comes in a can or washes up on the shore. I am for art that coils and grunts like a wrestler. I am for art that sheds hair. I am for art you can sit on. I am for art you can pick your nose with or stub your toes on. I am for art from a pocket, from deep channels of the ear, from the edge of a knife, from the corners of the mouth, stuck in the eye or worn on the wrist. I am for art under the skirts, and the art of pinching cockroaches. I am for the art of conversation between the sidewalk and a blind man’s metal stick. I am for the art that grows in a pot, that comes down out of the skies at night, like lightning, that hides in the clouds and growls. I am for art that is flipped on and off with a switch. I am for art that unfolds like a map, that you can squeeze, like your sweetie’s I AM FOR … arm, or kiss like a pet dog. Which expands and squeaks like an accordion, Claes Oldenburg (1961) which you can spill your dinner on like an old tablecloth. I am for an art that you can hammer with, stitch with, sew with, paste with, file I am for an art that is political-erotical-mystical, that does something other than with. sit on its ass in a museum. I am for an art that tells you the time of day, or where such and such a street is. I am for an art that grows up not knowing it is art at all, an art given the chance I am for an art that helps old ladies across the street. of having a starting point of zero. I am for the art of the washing machine. I am for the art of a government check. I am for an art that embroils itself with the everyday crap and still comes out on I am for the art of last war’s raincoat. top. I am for the art that comes up in fogs from sewer holes in winter. I am for the I am for an art that imitates the human, that is comic, if necessary, or violent, art that splits when you step on a frozen puddle. I am for the worm’s art insi- or whatever is necessary. de the apple. I am for the art of sweat that develops between crossed legs. I am for all art that takes its form from the lines of life itself, that twists and I am for the art of neck hair and caked teacups, for the art between the tines of extends and accumulates and spits and drips, and is heavy and coarse and restaurant forks, for the odor of boiling dishwater. blunt and sweet and stupid as life itself. I am for the art of sailing on Sunday, and the art of red-and-white gasoline I am for an artist who vanishes, turning up in a white cap painting signs or hall- pumps. ways. I am for art that comes out of a chimney like black hair and scatters in the sky. I am for art that spills out of an old man’s purse when he is bounced off a passing fender. I am for the art out of a doggie’s mouth, falling five stories from the roof. I am for the art that a kid licks, after peeling away the wrapper. UNTERWEGS SEIN 8 CLAES OLDENBURG 9
I am for the art of bright blue factory columns and blinking biscuit signs. I am for the art of cheap plaster and enamel. I am for the art of worn marble and smashed slate. I am for the art of rolling cobblestones and sliding sand. I am for the art of slag and black coal. I am for the art of dead birds. I am for the art of scratching in the asphalt, daubing at the walls. I am for the art of bending and kicking metal and breaking glass, and pulling at things to make them fall down. I am for the art of punching and skinned knees and sat-on bananas. I am for the art of kids’ smells. I am for the art of mama-babble. I am for the art of bar-babble, tooth-picking, beer-drinking, egg-salting, in-sulting. I am for the art of falling off a barstool. I am for the art of underwear and the art of taxicabs. I am for the art of ice-cre- am cones dropped on concrete. I am for the majestic art of dog turds, rising like cathedrals. I am for the blinking arts, lighting up the night. I am for art falling, splashing, wiggling, jumping, going on and off. I am for the art of fat truck tires and black eyes. and squares. I am for the art of crayons and weak, gray pencil lead, and grainy I am for Kool art, 7UP art, Pepsi art, Sunshine art, 39 cents art, 15 cents art, Va- wash and sticky oil paint, and the art of windshield wipers and the art of the fin- tronol art, Dro-bomb art, Vam art, Menthol art, L&M art, Ex-lax art, Venida ger on a cold window, on dusty steel or in the bubbles on the sides of a bathtub. art, Heaven Hill art, Pamryl art, San-o-med art, Rx art, 9.99 art, Now art, New I am for the art of teddy bears and guns and decapitated rabbits, exploded um- art, How art, Fire Sale art, Last Chance art, Only art, Diamond art, Tomorrow brellas, raped beds, chairs with their brown bones broken, burning trees, fi- art, Franks art, Ducks art, Meat-o-rama art. recracker ends, chicken bones, pigeon bones, and boxes with men sleeping in I am for the art of bread wet by rain. I am for the rat’s dance between floors. I them. am for the art of flies walking on a slick pear in the electric light. I am for the I am for the art of slightly rotten funeral flowers, hung bloody rabbits and art of soggy onions and firm green shoots. I am for the art of clicking among wrinkly yellow chickens, bass drums and tambourines, and plastic phonographs. the nuts when the roaches come and go. I am for the brown sad art of rotting I am for the art of abandoned boxes, tied like pharaohs. I am for an art of water apples. tanks and speeding clouds and flapping shades. I am for the art of meows and clatter of cats and for the art of their dumb electric I am for US Government Inspected Art, Grade A art, Regular Price art, Yellow eyes. Ripe art, Extra Fancy art, Ready-to-Eat art, Best-for-Less art, Ready-to-Cook I am for the white art of refrigerators and their muscular openings and closings. art, Fully Cleaned art, Spend Less art, Eat Better art, Ham art, pork art, chicken I am for the art of rust and mold. I am for the art of hearts, funeral hearts or art, tomato art, banana art, apple art, turkey art, cake art, cookie art… sweetheart hearts, full of nougat. I am for the art of worn meat hooks and singing barrels of red, white, blue, and yellow meat. First published 1961 in the catalogue of the exhibition Environments, Situations, Spaces at Martha Jackson I am for the art of things lost or thrown away, coming home from school. I am Gallery New York City. Reprinted courtesy Claes Oldenburg. / Der Beitrag wurde zuerst 1961 im Katalog zur for the art of cock-and-ball trees and flying cows and the noise of rectangles Ausstellung Environments, Situations, Spaces in der Martha Jackson Gallery, New York City, publiziert. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Claes Oldenburg. Claes Oldenburg (* 1929 in Stockholm als Claes Thure Oldenburg; lebt in New York) gehört neben Andy Warhol und Roy Lichtenstein zu den bedeutendsten Vertretern der amerikanischen Pop Art. Besonders bekannt wurde er durch Skulpturen, die aus einfachen Werkstoffen hergestellt sind oder Alltagsgegenstände darstellen. Oldenburg arbeitete ab 1976 mit der niederländischen Künstlerin Coosje van Bruggen (1942–2009) zusammen, mit der er ab 1977 auch verheiratet war. www.oldenburgvanbruggen.com UNTERWEGS SEIN 10 CLAES OLDENBURG 11
ZEITRÄUME BASEL IST … Der Klang ist die stärkste Waffe dieses Spiels. Die totschlagen wird. Drum herum entsteht ein soziales Kugel rollt und scheppert und lässt die trennende Gefüge, eine Spiel- und Fankultur mit je eigenen SPIELEN Glasscheibe schnell vergessen. Zugleich aktivieren Spielregeln und Jargons – der Spielraum als Spiel- meine Spielzüge wie von Zauberhand eine Biblio- platz: ein institutionalisiertes Schlupfloch, in dem thek von Sounds und Songs, die mir aus dem Kopf ich zusammen mit anderen das fade Räderwerk aufsatz entgegenschallen. Diese Musik scheint im- meines Alltags mit einem flippigen Spielmechanis- mer zu wissen, wie es um mich gerade steht. Sie mus vertausche. You will never defeat the Earl of Ego liefert den Soundtrack zum Plot meiner Performan- … well, maybe! Der Mehrspielermodus ermöglicht ce, ihr Tonfall ist alarmiert, triumphierend, auch uns auf einem Quadratmeter ein Zusammenspielen, unerbittlich, denn sie flippt eiskalt zur nächsten im Duo, Trio oder Quartett – ein menschliches Nummer, wenn ich die Runde verloren habe. Die «Multiball Game», in dem wir uns nicht nur in der SPIEL PLATZ SPIEL RAUM SPIEL HÖLLE werde ich in einen Möglichkeitsraum geschossen, akustische Überhöhung betont die Fallhöhe des Kugel spiegeln, sondern ineinander und gegenein- Michel Roth der sich im Moment der Performance immer neu Spiels, bezweckt die kontinuierliche Reanimation ander, auch nebeneinander: Flipper sind schwarm- formt und artikuliert. Bausteine werden zu Akteu- (You’ve got the power!) meiner Selbstüberschätzung bildende Wesen, die sich aufgrund ihrer seriellen You wanna play, you gotta pay! ren, Spielelemente zu Komplizen oder Gegnern, der (You’ve got the might!) – jetzt, jetzt bin ich warmge- Bauweise anbieten, aufgereiht zu werden zum Spa- Ich werfe ein Geldstück ein und drücke den Knopf: Automat zur Glücksmaschine. Das Spielsystem ge- spielt (Get ready for battle!), diesmal werde ich ihm lier; früher bevölkerten sie dutzendhaft Kneipen und Irgendwo in den Eingeweiden des Kastens (oder in neriert immer neue Erzählungen – alles, was ge- den Marsch blasen (Beat the Black Knight!). Spelunken, rotteten sich wild blinkend und quas- meinen?) rumpelt es aufgeregt – schieht, ist unmittelbar versinnlicht und bekommt selnd zu Spielhöllen zusammen. Ready for liftoff! Bedeutung, ganze Epen werden von dem Kugel- Man interagiert mit der Maschine viel breiter als nur – und schon ziehe ich am Plunger und die Kugel schreiber auf das Spielfeld stenografiert und reissen mit dem Bewegen von Teilen und Drücken von So stürzen wir uns also in Münchenstein wahlweise schiesst nach vorne. mich fort: Ich, Indiana Jones, Lisa Simpson oder Knöpfen. Ein Spiel beschränkt sich nicht auf seinen als Clint Eastwood oder Harrison Ford ins Getriebe, Das Spiel beginnt. Mister Spock, bin nun Spieler und Spielball zugleich. regulierten Rahmen, sondern aktiviert Echoräume überwältigt und zugleich belustigt vom überzeich- um sich herum. 1979 – fast zeitgleich wie ich – ha- neten «Gothic Horror» und der horriblen Soundqua- Wo bin ich hier? Dabei … Dare to enter the black hole! … ist entschei- ben die Flipper sprechen gelernt und kommentieren lität dieser Kästen. Das spielt keine Rolle, denn der Flipperclub Regio Basel – ein niedriger Raum in ei- dend, dass der Spielraum kein reiner Gedankenraum nun launig das Geschehen: You are making me verrrry Flipper ist nur das Instrument, diese Hölle eröffnet nem schmucklosen Gewerbegebäude in München- ist, kein grenzenloses Fantasiegebäude, sondern angry! uns paradiesische Spielräume, an diesem Platz wer- stein. wesentlich einer beschränkten Bewegungsfreiheit den wir und unsere Performance Teil eines gemein- Was tue ich hier? unterliegt. Die ersten Flipperhebel waren kürzer als Ein perfider «Attraction mode» lässt diese Kisten sam geteilten unendlichen Erlebnisraums. Und für Ich starre in einen noch viel kleineren Raum von die Zeigefinger, die sie bedienten, der unkontrol- sogar weiterplaudern, wenn ich mich längst den guten Sound sorgen am ZeitRäume-Festival eine etwa einem Quadratmeter Fläche, ein mit Glas be- lierte Absturz der Kugel war oft nicht mehr abzu- resigniert abgewendet habe, und versuchen mich ganze Reihe weiterer spielartiger und partizipativer deckter Korpus. Dieser ist gefüllt mit blinkenden wenden. Das forderte Gegenstrategien heraus, zum oder ein neues Opfer ins nächste Spiel zu verstricken: Musikprojekte: Die Summe, Niemandsland, H.E.I. Ka- Lämpchen, wippenden Bauteilen, schleudernden Beispiel am Kasten zu rütteln und so die Kugel mit You can’t win! Ha ha ha! The Black Knight will slay you! serne, Phase 4 und Spiel Hölle. Gummibändern, heimtückischen Löchern, über- anderen Mitteln wieder auf die Flipper zu lenken. Try me again! zeichneten Figurinen … Dagegen wurde der Tilt-Mechanismus entwickelt, Spielen ist ein ästhetisches Erlebnis, dem ich mich Nun sind Sie an der Reihe! Quit talking and start chalking!, ruft mir der Flip- der dieses Manipulieren des Spielraums bestrafte. lustvoll hingeben kann, denn ich weiss, dass der perkasten zu. Inzwischen sind die Flipperhebel genau fingerlang «Black Knight» nicht mich, sondern mir die Zeit Seite 61, 84 und erlauben kontrolliertere Schüsse. Nun knipse In dieser Kiste lebt mein Traum vom unendlichen ich den Ball scheinbar wirklich mit blossen Fingern, Spiel. wird der Flipper zur Prothese. Oder ich schlüpfe selbst in dieses Kabinett und werde zur Feder oder Was ist das für ein Raum, in dem man die Zeit ver- Magnetspule, Energize me!, ein Selbstwirksamkeits- gisst? erlebnis: Ich bin dem Spiel nicht mehr ausgeliefert, Warum werde ich immer von Neuem hineingezogen, sondern habe Spielräume. Mein Können und meine obwohl diese Spielautomaten prinzipiell immer Strategie stecken ein Aktionsfeld ab, worin das ei- gleich aufgebaut sind, nur ihre Möblierung ändert? gentliche Kräftemessen stattfindet – ich gegen Wohin gehen meine Gedanken, wenn meine beiden mich. Zeigefinger nervös auf die beiden seitlichen Tasten drücken und die Flipper die Kugel quer übers Spiel- Natürlich ist das nur Schein. Denn nach allem, was feld jagen? mir gelingt oder misslingt, wird im Kopfaufsatz, wo sich Tony Soprano gerade eine Zigarre angezündet Der Griff an den Plunger setzt einen Hebel in Bewe- hat, abgerechnet, drehen die Zählwerke, klingelt die gung, der weit über das Mechanische hinausgeht, Kasse – Mission accomplished! und eröffnet einen Raum, wie ihn kein Architektur- büro ersinnen könnte: Zusammen mit der Kugel SPIELEN 12 MICHEL ROTH 13
ZEITRÄUME BASEL IST … MUSIK SEHEN TRANSPARENTE SCHICHTEN Weite, Veränderungen des Raumes sind Qualitäten, Heinrich Toews und Ioannis Piertzovanis, die wir – ebenso wie die Handlung der Figuren – als Bühnenbildner der Opernuraufführungs- aussenstehende Beobachter registrieren, während produktion Poppaea, antworten auf Fragen von in der Architektur die Besucherinnen oder Nutzer Bernhard Günther selbst zu Hauptfiguren werden. Sie fühlen, riechen, hören, ertasten und begehen das Gebaute, das auf Ihr habt als Architekten auf die Musik von Michael ihre Bedürfnisse zugeschnitten worden ist. Hersch und das Libretto von Stephanie Fleisch- mann reagiert. Was war das für ein Prozess, und Weder das Don Bosco in Basel noch das Odeon in wie fühlt sich das an? Wien sind Opernhäuser, die beiden Festivals in Ba- lyrischen Gesangspartien. Es ist auf jeden Fall ein Aber war das wirklich so unausweichlich, wie es An unserer täglichen Arbeit gefällt uns besonders, sel und Wien gehen auch sehr anders mit Ausstat- sehr widersprüchliches Gebäude, das man sich da scheint, oder hätten die Figuren einen positiven dass jedes Projekt von einem völlig neuen Aus- tungsbudgets um als beispielsweise Zürich, vorstellen muss. Einfluss auf den Ausgang nehmen können? War es gangspunkt startet. Ein Pavillon hat andere Anfor- Aix-en-Provence oder Salzburg. Kanntet ihr die- von Anfang an nur Abfall, aus dem sie ihr schönes derungen als ein Wohnhaus, eine Ausstellung legt sen ökonomischen, leichten Materialeinsatz und Und wie klingt euer Bühnenbild für Poppaea? Haus errichtet haben, oder hat erst der gewissenlo- andere Schwerpunkte als eine Dachaufstockung. diese Hands-on-Arbeitsweise bereits aus früheren Das Bühnenbild klingt wahrscheinlich ebenso para- se Umgang damit das Material so gefährlich ge- Und selbst bei einer ähnlichen Bauaufgabe werden Projekten, oder war das jetzt eine Spezialanforde- dox wie die Oper selbst. Transparenz und Ver- macht? beim nächsten Mal die Beteiligten völlig andere Be- rung der freien Kulturszene? schwommenheit, Schichtungen, Überlagerungen, dürfnisse haben. So haben wir uns auch diesmal auf Von luxuriösen Ausstattungen bis zu einfachen Verschlingungen und Entflechtungen sind Charak- Was seht ihr in Musik? die neue Aufgabenstellung gefreut und uns mit viel Strukturen durften wir schon an völlig unterschied- teristika, mit denen man durchaus auch Klänge und Die Antwort darauf müsste täglich, fast stündlich Begeisterung in die Thematik hineingelesen und hi- lichen Projekten arbeiten, und alle haben ihren ganz deren Entwicklung umschreiben könnte. unterschiedlich ausfallen! Stimmungsfragmente, neinexperimentiert. eigenen Reiz. Bei einem Hausumbau mit kleinem Erinnerungen, ganze Welten oder auch nur eine Budget haben wir auch schon eigenhändig auf der In der Oper Poppaea geht es – wie auch in der realen Tonfolge, die gar nicht über sich hinaus verweist Eure Beteiligung an der Uraufführungsproduktion Baustelle mitgeholfen, bei einem anderen Projekt Geschichte der Zeit von Poppaea vor 2000 Jahren – und doch eine Gänsehaut hervorruft. Sich mit den Poppaea ist euer erstes Bühnenbild. Was unter- bauten wir ein 1:1 Mockup, um den Zimmermann teilweise sehr brutal zu. Gewalt, Missbrauch von oben beschriebenen Fragen und der dazu kompo- scheidet eine Opernbühne von euren sonstigen Ar- von einer sehr filigranen Dachkonstruktion zu über- Macht und Sexualität, Mord und Totschlag, der nierten Musik auseinanderzusetzen, ist alles andere beiten als Architekten? zeugen. Wir haben durchaus Freude daran, auch Brand von Rom, das Ende einer Welt – diese Oper als langweilig. Das bedeutet aber auch nicht, dass Zunächst sicher die Distanz in der Wahrnehmung handwerklich mit anzupacken. Unabhängig vom stellt der Menschheit kein besonders gutes Zeug- man deshalb anderntags nicht gerne auf einen elek- und die kurze Lebensdauer eines Bühnenbildes. Budget ist das Wichtigste jedoch die Fokussierung nis aus. Was bedeutet das für das Bühnenbild? tronischen Beat tanzen würde. Wie auch andere Während wir in der Architektur sehr darauf bedacht auf das Wesentliche in der jeweiligen Situation: Was Die Oper will ja keine Darstellung eines rein histori- Ausdrucksformen, kann Musik uns unterhalten oder sind, selbst bei einem kleinen Budget auf Materiali- ist relevant für das grosse Ganze, was ist überflüs- schen Geschehens sein, sie hätte als solche wohl aufrütteln, nachdenklich oder fröhlich stimmen. en zu setzen, die schön altern, angenehm riechen sig? Auch ein selbstgebasteltes Bühnenbild kann keinerlei Relevanz. Aber wenn wir darin nur die Und manchmal alles gleichzeitig. und sich gut anfühlen, liegt der Fokus beim Bühnen- sich in Beiläufigkeiten verzetteln. nächstliegende Projektion des Tagesgeschehens in bild eher auf der Frage: Wie nehme ich das aus einer einen historischen Stoff suchen, wird auch das auf Und worauf soll das Publikum bei dieser Oper Entfernung von zehn Metern und mehr wahr? Wir- Frei nach dem überbeanspruchten Zitat von der den Holzweg führen. Vielmehr müssen wir uns fra- schauen? ken die Einzelteile abstrakt genug, um sich zu einem Architektur als gefrorener Musik hat Max Goldt gen lassen, welchen Teil dieses nicht besonders gu- Auf sich selbst, hoffentlich. Jeder und jede bringt Ganzen zu fügen? Welche räumlichen Qualitäten einmal von einer Band behauptet, ihre Musik klin- ten Zeugnisses wir uns selbst ausstellen sollten. Das eine ganz persönliche Disposition mit in die Oper. können wir mit dem Bild darstellen, die mit Musik ge wie aufgetauter Plattenbau. Mit welcher Archi- Bühnenbild soll diese Fragestellung unterstreichen. Was wir hören und beobachten, hat sehr viel mit uns und Libretto korrelieren? Der Bühnenraum wird bei tektur würdet ihr die Musik von Michael Hersch in Da ist einerseits die Ästhetisierung eines banalen zu tun – damit, wie wir sind und wie wir so gewor- dieser Oper – auch wenn es sich nicht um eine Guck- der Oper Poppaea vergleichen? Materials, dann das Eröffnen von Räumen und Mög- den sind. Wenn wir dem Gesehenen und Gehörten kastenbühne handelt – von einer statischen Be- Das Spannende ist hier ja die Diskrepanz zwischen lichkeiten, und schliesslich der totale Zerfall. Am Raum geben, öffnet sich hier und da vielleicht ein trachtungsposition aus wahrgenommen. Nähe, der teils ziemlich brachialen Musik und den oft fast Ende lässt sich das Ergebnis von Neros und Pop- neuer Blickwinkel. paeas Handeln recht eindeutig als Scherbenhaufen oder mehr noch als giftiger Müllhaufen beschreiben. Seite 38 MUSIK SEHEN 14 HEINRICH TOEWS / IOANNIS PIERTZOVANIS 15
ZEITRÄUME BASEL IST … Soundscape (1973) ein Erlebnis der Stadt zu jener mente, in welchen Zuhörende an die Gegenwärtig- Zeit und Ernst Karels Projekt Dreiländereck (2013) keit der Stadt und die Anwesenheit der Ethno- RAUM HÖREN ein Hörerlebnis aus Basel. Um den Zuhörenden graf*in erinnert werden. neue Erfahrungen verschiedener Orte und Gesell- schaften näher zu bringen, arbeitete Steven Feld in Die Stadt mit geschlossenen Augen zu sehen, ihr Voices of the Rainforest (1991) mit Klängen, die ei- zuzuhören, eröffnet sinnliche Erfahrungen über die nem Narrativ mit Schlüsselmomenten, klangeth- Vorherrschaft des Sehens hinaus. Diese Erfahrun- nografischen Vignetten und Stimmen aus dem Feld gen können entweder in Echtzeit und vor Ort oder in Papua-Neuguinea folgen. Budhaditya Chatto- als zeitlich-räumliche Verschränkung durch das padhay vermittelt in A Day in the Life of a Listener spätere Zu- und Anhören von Aufnahmen (Klang- (2014) eine klangliche Erzählung vom Besuch ver- landschaften und -projekte) gesammelt werden. schiedener Orte, die über die Zeit der Aufnahme miterlebt werden können. In diesen Projekten bie- Wie jeweilige klangliche Lebenswelten und Land- SOZIO-SONISCHE POETIK: Klänge oder ein Ensemble von Klängen bestimmten ten sich interessante Vergleichspunkte zwischen schaften wahrgenommen werden, hängt davon ab, DIE STADT Räumen, Zeiten, Rhythmen und Momenten zuord- heute und damals, hier und andernorts. wie die eigenen Sinne an unterschiedliche Umge- MIT GESCHLOSSENEN AUGEN SEHEN nen. Da visuelle Wahrnehmung sehr dominant ist bungen gewöhnt wurden und wie der Einsatz von Aylin Tschoepe in unserer Gesellschaft, müssen andere Sinne be- In eigenen Klangprojekten entwickle ich das Kon- verschiedenen Sinnen geübt wurde. Vertraute Klän- wusster eingesetzt werden, um diverse Möglich- zept der sozio-sonischen Poetik. Diese bezieht sich ge können bei Zuhörenden die Erinnerung an Klan- Inmitten des Lockdowns boten sich in vielen Städ- keiten der Wahrnehmung auszuschöpfen. Klänge auf das soziale Wechselspiel und die Selbstdarstel- gerlebnisse wecken und vermitteln Kontext für ten ähnliche Szenen: Auf den nahezu menschen- oder Geräusche besitzen das Potenzial, ganze Be- lung verschiedener Handlungsbeteiligter durch weitere Klanglandschaften. Diese eröffnen vielsei- und verkehrsleeren Plätzen und Strassen konnte deutungsuniversen zu erschliessen und verschie- Klänge. Diese Poetik entsteht im Zusammenhang tige Auseinandersetzungen mit Räumen und Zei- zunächst eine Stille wahrgenommen werden, die dene Reaktionen zu erzeugen. Bei der Dokumenta- von Räumen, Körpern und Zeiten, und sie kann bei- ten. Sie ermöglichen Einblicke, wie eine Person an- selbst nachts ihresgleichen suchte. In Basel durch tion und Präsentation von Klängen stellen sich je- spielsweise als ethnografische Klangkartografie in dere wahrnimmt und ebenfalls ermöglicht, sich die Strassen zu laufen und nichts als die eigenen doch die Fragen, wie entsprechende Erfahrungen Form eines Soundfiles wieder erlebbar gemacht selbst neu und anders zu hören. Schritte auf verschiedenen Untergründen zu hören, an Zuhörende vermittelt werden können und wie werden. In Socio-Sonic Poetics of Food (2016) be- in fast leeren Trams als eine der wenigen Mitfah- diese aufgenommen werden. Als Forschungsme- schäftigte mich die Frage, wie Klänge in Zusam- Quellenangaben Budhaditya Chattopadhay: A Day in the Life of a Listener. Field recording, renden zu sitzen, auf der Rheinbrücke zu stehen thodik setzt sich die Sonic Ethnography (klangliche menhang mit Mahlzeiten strukturgebend für ver- 6 Tracks. Frankfurt a. M.: Gruenrekorder 2014; www.gruenrekorder.de/ und kaum etwas anderes als den Klang des Wassers, Ethnografie) mit diesen Fragen auseinander und schiedene Räume, Rhythmen und Rituale eines Ta- ?page_id=11653. der Vögel und Baustellen in der Ferne wahrzuneh- entwickelt Herangehensweisen kritisch-reflektiert ges, verschiedene Lebenszeiten, Erinnerungen oder Steven Feld: Voices of the Rainforest: A Day In The Life Of The Kaluli People. Salem, MA: Rykodisc 1991. CD 10173. men, war ein Erlebnis jenseits meiner bisherigen ständig weiter (Samuels et al. 2010). Darüber hinaus Selbsterfahrungen sind. Das Klangprojekt ist in Ernst Karel: Dreiländereck. Digital Album. Very Quiet Records 2013; Erfahrungen dieser Stadt. Durch Abwesenheit und stellt sie eine Alternative zur visuell und textlich zeitliche und räumliche Sequenzen gegliedert: In- veryquietrecords.bandcamp.com/album/dreil-ndereck. eingeschränkte Präsenz kamen andere Klangland- basierten Wissensvermittlung dar, wenn sie für die tro/Solo – Schwelle – Strophe 1/Ensemble: Essens- Walter Ruttmann: Wochenende (1930); Soundfile; museum.rechtaufremix.org/exponate/walter-ruttmann-weekend. schaften ins Bewusstsein. Diese unterliegen stän- klangliche Beschreibung bestimmter Momente im rhythmen werden durch Geschichten etabliert – David Samuels, Louise Meintjes, Ana Maria Ochoa, Thomas Porcello: digen zeitlichen und räumlichen Veränderungen, Leben eines Ortes eingesetzt wird: Bedeutungen Schwelle – Strophe 2/Ensemble: Essensrhythmen wer- «Soundscapes: Toward a Sounded Anthropology.» die oftmals nur wahrgenommen werden, wenn und Identitäten von (Stadt-)Räumen werden durch den durch Rituale etabliert – Schwelle – Strophe 3/ In: Annual Review of Anthropology. 39 (2010), S. 329–345. Murray Schafer: The Vancouver Soundscape 1973 (1972−1973); statt der alltäglichen, passiven Tätigkeit des Hö- Klanglandschaften beziehungsweise durch die Ensemble: Fokus auf Gespräche über Essenszuberei- 2 CDs, 76:00 min. rens ein Zuhören zugelassen wird. In diesem Zu- Vielstimmigkeit der menschlichen und tung und Soziale Verhandlungen während des Essens Aylin Tschoepe: Socio-Sonic Poetics of Food (2016); Soundfile; sammenhang erlaubt das Zuhören ein bewusstes nicht-menschlichen Handlungsbeteiligten (andere – Schwelle – Outro/Solo. Entlang der Zeitachsen von aylintschoepe.net/URBAN-MATTERS. Erleben von Räumen und Zeiten durch verschiede- Lebewesen, Naturen, Architekturen, Infrastruktu- Kleinkind- bis zum Erwachsenenalter und vom Prof. Dr. Aylin Y. Tschoepe hat einen Background in Anthropologie, Archi- ne sinnliche und verkörperte Erfahrungen. Beim ren, etc.) verdichtet und erlebbar gemacht. Hierbei Frühstück bis zum Abendessen werden soziale und tektur, Stadt- und Geschlechterforschung. Seit September 2021 unter- Schliessen der Augen mischen und verdichten sich wird ein Verständnis dafür geschaffen, wie das gustatorische Klanglandschaften kontextualisiert. richtet und forscht Aylin als Professorin für Theorie an der FHNW Hoch- Klanglandschaften: die Wahrnehmung von Wind in Selbst und andere Akteur*innen die Welt erleben. Schwellen sind Veränderungen im Projekt, welche schule für Gestaltung und Kunst in Basel. Ihr besonderes Interesse gilt urbanen, unsichtbaren und ephemeren Szenografien, der Stadt- und De- den Bäumen, Gesprächsfetzen, das Rattern einer nicht nur die wahrnehmbaren Unterschiede zwi- sign-Anthropologie, sowie Diskursen zum räumlichen, gesellschaftli- Tram, Bewegungen anderer Menschen, Hupen, Die Sonic Ethnography bietet somit reflektierte, kri- schen solitären und gemeinschaftlichen Räumen chen und ökologischen Wandel. Flügelflattern, fliessendes Wasser, Oberflächen, tische und emanzipatorische Möglichkeiten der Er- und Praktiken deutlich machen. Diese Situationen Wärme und Kälte, Licht und Schattenspiele sowie lebnisvermittlung. Zuhörende können sich in an- des Hinüberschreitens sind ebenfalls wichtige Mo- Seite 24, 64 Gerüche und Geräusche von Speisen – letztere ru- dere Räume und Zeiten versetzen, sodass ein Ver- fen oftmals gustatorische Erinnerungen mit her- ständnis jenseits der gängigen Vorstellungen und vor. bisherigen Erfahrungen entstehen kann. Hierzu beitragend bietet Walter Ruttmanns Wochenende Sinnliche Erfahrungen werden durch den Körper (1930) einen kurzen Einblick in das Berlin der wahrgenommen und archiviert. So lassen sich 1930er-Jahre, Murray Schafers The Vancouver RAUM HÖREN 16 AYLIN TSCHOEPE 17
PRODUK TIONEN
FESTIVALPAVILLON AN DER MITTLEREN BRÜCKE INSTALLATION | MITMACHEN | IM ÖFFENTLICHEN RAUM | JUNGES PUBLIKUM | GESPRÄCH | GRATIS DURCHGEHEND 03.–19.09. JEWEILS 11:00–19:00 INFOS, COCKTAILS, PERFORMANCES & GESPRÄCHE MITTLERE BRÜCKE, GREIFENGASSE 1, 4058 BASEL Eintritt frei Der Pavillon an der Mittleren Brücke ist das Herzstück des Festivals: Hier laden Ge- spräche, Performances, Installationen sowie die Cocktail-Bar dazu ein, in die Klän- ge, Räume und Themen des Festivals einzutauchen. Und hier lassen sich die Künst- ler*innen hinter den Festivalproduktionen persönlich kennenlernen. In neuer, verwandelter Form wird der nachhaltig für mehrjährige Nutzung geplante Pavillon (Buol & Zünd 2019 ff.) wieder in Szene gesetzt. Mitten in der Stadt präsentiert sich das Festival offen, zugänglich und spielerisch – mit zahlreichen musikalischen Ak- tionen, einer klingenden Seilbahn-Kabine, kinetischen Klangobjekten und wech- selnden Cocktails vom 3. bis zum 19. September. Durchgehend 03.–19.09. DRUMRUM TAKE A BREAK GONDELWANDEL spielt mit dieser Doppelnatur: Im Inneren Baukulturelle Aktion für Kinder und Jugendliche – Michel Roth der Seilbahngondel kann man mit den Oh- mach mit und erlebe wie sich der Festivalpavillon verwandelt! ren in die ausgedehnten Klangräume ein- drumrum Raumschule | Nevena Torboski, Lea Gnöpff Baukulturistinnen Im Rahmen eines Forschungsprojekts sam- tauchen, nach aussen verwandelt sich die Produktion drumrum Raumschule mit freundlicher Unterstützung der Basler Kantonalbank melt der Basler Komponist Michel Roth Kabine aus Metall und Glas zum Vibrations- in Koproduktion mit ZeitRäume Basel Klänge von Urner Seilbahnen. Dabei ent- körper und macht die einzelnen Schwin- Durchgehend 03.–19.09. deckte er, dass diese tonnenschweren Me- gungen nur fühlbar. GONDELWANDEL tallkörper als Resonanzsaiten sehr sensibel Michel Roth: Gondelwandel. Klanginstallation (2021UA) auf menschliche und klimatische Verände- Die Gondel ist während der Öffnungszeiten Michel Roth Projektleitung, Forschung, Komposition rungen im Alpenraum reagieren. Eine faszi- des Pavillons zugänglich, ausserhalb der Gondelwandel ist Teil des Forschungsprojekts «Alpine Netze der Verbundenheit» nierende Klangwelt an der Grenze zwischen Öffnungszeiten sind nur die Vibrationen mit Unterstützung des Förderprogramms SPARK des Schweizerischen Nationalfonds hörbaren Obertönen und nur fühlbaren erlebbar. Sa 04.09. | So 05.09. | Sa 11.09. | So 12.09. Grundschwingungen. Die Installation Gon- DIALOGUES & CHIMERAS jeweils 11:00, 12:00, 13:00, 16:00, 17:00, 18:00 | Dialogues delwandel bei der Mittleren Rheinbrücke Seite 84 jeweils 11:30, 12:30, 13:30, 16:30, 17:30, 18:30 | Chimerae Alexander Grebtschenko: Chimerae. Kinetische Klangobjekte (2021 UA, Auftrag ZeitRäume Basel) Eleni Ralli: Dialogues. Eine dialektische Interaktion zwischen Mensch und Maschine (2021UA, Auftrag ZeitRäume Basel) – 4′ | I. Live quartet and mechanical conductor | II. Duos (Solo-Live-Performance und Zuspielung, Koexistenz zwischen Live-Spiel und Aufnahme) Eleni Ralli, Alexander Grebtschenko Komposition | False Relationships and the Extended Endings Ensemble: Noa Mick Saxophon | Alice Belugou Harfe | Nejc Grm Akkordeon | Chris Moy E-Gitarre | Sebastián Zuleta Technik Kompositionsauftrag an Eleni Ralli und Alexander Grebtschenko mit freundlicher Unterstützung durch den Fachausschuss Musik BS / BL Kompositionsstudent Sa 04.09. | So 05.09. | Sa 11.09. | So 12.09. Oliver Rutz in der SUISA TALKS TonGondel 41, die seit jeweils 11:15, 13:15, 15:15, 17:15 (Dauer ca. 15–20′) März 2021 als Talsta- Blicke hinter die Kulissen mit Komponist*innen, Architekt*innen, Künstler*innen tion des Projekts Alpi- ne Netze der Verbun- und Mitwirkenden des Festivals denheit im Innenhof Mit freundlicher Unterstützung der SUISA der Musik-Akademie ZeitRäume Basel Festivalpavillon 2019 Basel steht © Anna Katharina © Anja Wernicke Scheidegger FESTIVALPAVILLON 20 03.–19.09.2021 21
H.E.I. KASERNE Vielleicht verführt die Stimmung eines lau- Sibylle Hauert, Anja Wernicke schigen Sommerabends zu einem Song? Was bei diesem Hörspaziergang genau pas- Aufmüpfige Nonnen, die im Rhein baden sieren wird, liegt nicht nur in den Händen gehen, Box-Champions, die mit Bären im der Schüler*innen, die mit vor Ort aufge- Ring tanzen, ein Muezzin unter dem Dach nommenen Klängen arbeiten, sondern auch der ältesten Moschee von Basel: Das Kaser- am mitwirkenden Publikum: Ausgestattet nen-Areal steckt voller Geschichten. Ange- lehnt an den 2018 erstmalig präsentierten mit speziellen Kopfhörern, sind die Besu- cher*innen eingeladen, ihre eigenen Wege H.E.I. KASERNE H.E.I.-Guide am Klybeckquai entwickeln durch diesen weiten, offenen Hörraum zu Schüler*innen der Gymnasien Bäumlihof erkunden. Mit dezenter digitaler Unterstüt- und Münster für das Kasernen-Areal mit all zung im Hintergrund (Geo-Lokalisation + INSTALLATION | MITMACHEN | UNTERWEGS SEIN | seinen Legenden und Fakten aus vielen Be- Binaural-Synthese) kann die reale Ge- IM ÖFFENTLICHEN RAUM | JUNGES PUBLIKUM obachtungen und noch mehr Fantasie einen räuschkulisse vor Ort ganz individuell zu interaktiven Kopfhörer-Soundwalk. Die Ka- Fuss mit dem virtuellen Klangraum abge- 09.–19.09. KECK KIOSK, serne, ihre Umgebung und die vielfältigen mischt werden − und schon verwandelt sich KLYBECKSTRASSE 1C, 4057 BASEL Akteur*innen dieser Stadtlandschaft wer- der Kasernenhof beim Flanieren, Ausruhen ausser Ruhetage 13.09. & 14.09. den zur Klangfundgrube und zur aku- und Umherspazieren in einen Raum der jeweils Mi, Do & Fr 16:00–20:00, Sa 14:00–20:00, So 14:00–18:00 stisch-musikalischen Inspirationsquelle: Fantasie. jede volle Stunde Urbane Beobachtungen, Assoziationen und CHF 10 | ermässigt CHF 5 | Reservierung unter www.heiguide.ch erforderlich Atmosphären spiegeln sich in interaktiven Seite 76 H.E.I. Kaserne. Interaktiver 3D Soundwalk (2021 UA) Soundscapes, Kompositionen und Texten. Sibylle Hauert / Atelier Hauert-Reichmuth Künstlerische Leitung, Konzept und Durchführung | Irena Müller-Brozovic Konzeptentwicklung, musikpädagogische Begleitung | Thomas Resch Softw are-Entwicklung | Johannes Wernicke Assistenz, Workshop H.E.I. Technische Betreuung | Von Schüler*innen der Gymnasien Bäumlihof und Münster: Kaserne Sidney Aellen, Ayana Beckmann, Neil Bürgin, Alyssa Degen, Solèn Doppler, Tilla © Johannes Gallay, Sebastian Günther, David Hamel, Justus Hornig, Ajentha Jeyachandran, Wernicke Bao-Duyen Nguyen, Elias Riggenbach, Anastasia Sanfilippo, Zoe Tricoteaux, Ellin Valentin, Nadim Vögelin | Jacqueline Herrmann betreuende Lehrperson Produktion eduart – Verein für Kulturvermittlung unterstützt durch die Abteilung Kultur Basel-Stadt und Fondation Dulcimer | In Koproduktion mit ZeitRäume Basel und Kaserne Basel H.E.I. KASERNE 22 09.–19.09.2021 23
DER KLANG VON BIRSFELDEN DER KLANG VON Anstossen in der Schleuse länger nach) ab. Hanan Isabella Kohlenberger Ostwind bringt in der Paarungszeit auch mal BIRSFELDEN Basels Tramlinie Nummer 3 bringt mich Froschquaken nach Birsfelden, und bei Süd- wind können die Geräusche der Autobahn normalerweise zur Musik-Akademie. Doch dominieren. Die eigene Position in Birsfel- für dieses Projekt mit der Komponistin den hat dabei immer einen Einfluss darauf, Cathy van Eck fuhr ich etliche Male in die wie stark die jeweiligen Geräusche hörbar INSTALLATION | IM ÖFFENTLICHEN RAUM | entgegengesetzte Richtung – nach Birs sind. RAUM HÖREN | STADT VERWANDELN | GRATIS felden. Diese Gemeinde des Kantons Ba- sel-Land grenzt direkt an die Stadt Basel an. Auch der Klang der 3er-Tram, die von Birs 08.–19.09. EHEM. GEMEINDEVERWALTUNG, Birsfelden hat über zehntausend Einwoh- felden über Basel bis nach Saint-Louis in HARDSTRASSE 21, 4127 BIRSFELDEN ner*innen mit wachsender Tendenz. Die Frankreich führt, ist prägend und wurde Vernissage: 08.09., 17:00 Birs, die von Süden kommend nach Norden häufig genannt. Dabei erfuhr ich, dass die Eintritt frei in den Rhein fliesst, bildet die Grenze zu Fahrzeuge mit der Zeit leiser wurden, sei es Grossbasel. Der Rhein trennt Birsfelden im der Klang der rollenden Trams auf den Glei- Cathy van Eck: Der Klang von Birsfelden. Interaktive Norden und Osten von Kleinbasel, Riehen sen oder der der Türen, die früher manuell Klanginstallation mit Erinnerungen von Bewoh- ner*innen (2021 UA, Auftrag ZeitRäume Basel) und Deutschland. In Birsfelden befand sich betätigt wurden. Heute rollen die Trams lei- Cathy van Eck Komposition & interaktive Instal- einst der erste Flughafen der Region. Im ser, die Türen schliessen leiser und in der lation | Christian Salewski, Vera Hobrecker Rhein, nördlich von Birsfelden, liegt die Regel gleichzeitig. Was beibehalten wurde, (Graffiti), Ljubica Arsic (Grafik), Salewski & Kretz ist der alte Warn-Klingelton. Er wurde digi- Kraftwerksinsel. Diese mir schon vorher be- Architekten Architektur & Städtebau | Hanan Isabella Kohlenberger Interviewführung & Ver- kannten Fakten durfte ich bei meinen Ge- talisiert und wird in den modernen Trams mittlung | Markus Oppenländer Technische Ein- sprächen vielseitig erweitern. Im Rahmen weiterhin verwendet. Doch wie ich lernen richtung | Ali Albayrak, Lucas Borer, Christian Brechbühl, Urs Buess, Daniel Burri, Ronni Buser, der Interviews schenkten mir 22 Menschen durfte, klingen selbst innerhalb einer Fahr- Nathalie Dürr, Christel Grünenwald, François einen spannenden, tiefen, akustischen und zeug-Generation die einzelnen Trams nicht Gibello, Stephanie Grob, Aman Hamid, Philippe auch persönlichen Einblick in die Gemeinde: alle gleich. Jedes Fahrzeug hat vorne eine Meerwein, Frederic Muller, Eros Nodari, Vanda Nodari, Rafael Pérez, Mika Platten, Simone Schon beim ersten Gespräch erfuhr ich, dass Kennzahl. Erstaunlich ist, dass manche Platten, Mina Schmitt, Marianne Schuppe, Basil die Birs nicht nur in Birsfelden, sondern auf Tram-Lieb haber*innen die Fahrgeräusche Stotz, Felicitas Stotz Interviewpartner*innen ihrer gesamten Strecke von Verkehrslärm der einzelnen Trams auseinanderhalten Produktion ZeitRäume Basel mit Unterstützung der Ge- meinde Birsfelden und der BLKB-Stiftung für Bildung und umgeben ist. Die Interviewpartnerin, die können. Kultur | Der Kompositionsauftrag wurde realisiert mit von ihrer Wohnung aus auf die Birs blickt, Unterstützung der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und der UBS Kulturstiftung. wollte den Fluss mal von Anfang an erkun- Auch menschliche Stimmen waren immer den und war 75 Kilometer lang von der Quel- wieder von Belang. Bei den Sprachen domi- Sa 18.09. le bis zur Mündung gewandert. Ver kehrs niert selbstverständlich der Dialekt. Durch AMBULATION | 12:00, 15:00, 18:00 Treffpunkt: Ehemalige Gemeindeverwaltung, geräusche waren ihr ständiger Be gleiter. die Stadtnähe gleicht sich die baselland- Hardstrasse 21, 4127 Birsfelden Trotz Renaturierungsprojekten bleibt auch schaftliche Mundart – vor allem bei Jüngeren – CHF 10 | ermässigt CHF 5 der Einfluss der Industrie deutlich spürbar. langsam an den Dialekt von Basel-Stadt an. Tim Shaw: Ambulation. Birsfeldener Klänge unter Dazu kommt, dass bei einem Ausländer*in- der Lupe. Interaktive Performance (2021 UA) – 45′ In weiteren Gesprächen berichtete man mir nenanteil von etwa 25 Prozent in Birsfelden Tim Shaw Klangkünstler vom Einfluss des Windes. Bläst er aus Wes- eine ganze Reihe anderer Sprachen zu hören Produktion ZeitRäume Basel ten, hört man die Birs besser. Ihr Klang ist sind. So waren beispielsweise die Mutter- Beim Klangspaziergang Ambulation richtet der Klangkünstler Tim Shaw seine Mikrofone auf vor- dabei abhängig vom Wasserstand. Manch- sprachen meiner Interview partner*innen dergründige und versteckte Klänge in Birsfelden. mal trägt der Wind auch den Jubel aus dem Schweizer Mundart, Hochdeutsch, Franzö- Die Besucher*innen erleben so alltägliche Klänge des Stadtraums wie unter einer Lupe vergrössert «Joggeli», wenn Tore geschossen werden, sisch, Afghanisch, Italienisch und Türkisch. Ehemalige und teilweise auch live verfremdet. In dieser im- nach Birsfelden. Bei Nordwind wiederum Jede Sprache hat ihren eigenen Klang und Gemeindeverwal- provisierten Aufnahme-Performance werden hört man den Rhein und dessen Schiffe be- trägt zum Klang von Birsfelden bei. tung Birsfelden Klänge in den Fokus gerückt, die gerade zufällig beim © Prismago sonders deutlich, vor allem wenn sie die Spazieren durch Birsfelden angetroffen werden. Schleuse passieren oder flussaufwärts fah- Auf den zahlreichen Baustellen ist der Spra- ren. Der Klang der Schiffe hängt dabei von chenmix oft vielseitig und gepaart mit dem ihrer Grösse (je grösser desto tiefer), ihrem Lärm der Werkzeuge, Maschinen und Mate- Alter (je älter desto lauter) und ihrer Ladung rialien. Doch nicht nur das Laute wurde the- (bei leeren Schiffen hallt der Klang beim matisiert, sondern auch die Stille. Spannend DER KLANG VON BIRSFELDEN 24 08.–19.09.2021 25
war die Erkenntnis, wie «laut» Stille sein ihren Bieren anstossen. Kling! An warmen kann, wenn man von einem lauten an einen Abenden gehören Musik, Gelächter und Stim- sehr ruhigen Ort kommt, oder wie der eige- men am Birsköpfli zu den Feierabend ne Kopf Klänge und Geräusche dazu dichtet, klängen. Auf Birsfelder Seite ist dies bis 22 Uhr wenn man etwas nur sieht und eigentlich möglich, anschliessend herrscht Nachtruhe. gar nicht hört. Wie Klänge emotional be- Sollte das Treffen länger dauern, besteht die setzt sein können, Ruhe schenken oder ne- Möglichkeit, über eine kleine Brücke auf die gative Gefühle auslösen. Wie Klänge bei je- andere Seite der Birs, also nach Basel-Stadt, dem Menschen emotional unterschiedlich zu gehen. Dort darf der Sommerabend ein besetzt sind, doch manche als eindeutig ge- wenig länger genossen werden – das hören fährlich zugeordnet werden können, auch auch die Birsfelder*innen. wenn man sie zuvor vielleicht noch nie ge- hört hat. Als ich einen Interviewpartner fragte, wie der Klang von Birsfelden gemalt werden könnte, Die Tageszeit spielt ebenfalls eine Rolle antwortet er ohne zu zögern: «Wie eine Far- beim Klangbild von Birsfelden. Zu Stosszei- bexplosion: vielseitig und bunt!» Besser hät- ten ist der Verkehrslärm besonders hoch. te ich meine Klang-Erfahrungen in Birsfel- Wenn anschliessend fast nur noch Birsfel- den, meine Gespräche und auch meine Ge- der*innen anwesend sind, ist es wesentlich sprächspartner*innen selbst nicht zusam- stiller. Exakt an die Uhrzeit angelehnt sind menfassen können. Die Interviews führten Kirchen- und Schulglocken, welche vieler- mich auf eine Reise in die Vergangenheit, die orts das Birsfelder Klangbild prägen. Gegenwart und die Zukunft der Stadt und de- Manchmal überraschen sie die Hören den, ren Bewohner*innen. Jedes einzelne Ge andere Male geben sie Struktur und sind spräch liess mich, entlang und anhand von Anhaltspunkte für die Tagesplanung. Für Klängen und damit verbundener Welten, die eine oder andere Person zeigt ein Klang Neues, Spannendes und Buntes entdecken. den Feierabend an, der wiederum weitere Klänge zur Folge hat – wie mir zwei Bauar- Seite 73 beiter lachend berichten, während sie mit Cathy van Eck beim Testen der Klanginstallation © Anja Wernicke DER KLANG VON BIRSFELDEN 26 08.–19.09.2021 27
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