Digitalisierungsbericht - AUDIO - Sächsische ...

 
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Digitalisierungsbericht

                   19
Digitalisierungsbericht - AUDIO - Sächsische ...
Digitalisierungsbericht 2019
Audio
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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Herausgeber
die medienanstalten – ALM GbR
Friedrichstraße 60
10117 Berlin
Tel: + 49 30 206 46 90 - 0
Fax: + 49 30 206 46 90 - 99
E-Mail: INFO@die-medienanstalten.de
Website: https://www.die-medienanstalten.de

Verantwortlich
Cornelia Holsten – Vorsitzende der Direktorenkonferenz
der Landesmedienanstalten
Thomas Fuchs – Koordinator des Fachausschusses Netze,
Technik, Konvergenz der ZAK/DLM

Redaktion
Aylin Ünal, Dr. Simon Berghofer,
Gemeinsame Geschäftsstelle der Medienanstalten

Lektorat
Aylin Ünal, Berlin

Copyright © 2019 by
die medienanstalten – ALM GbR

Stand: September 2019
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 978-3-9819728-8-7

Design, Bildkonzept, Illustrationen und Satz
Rosendahl x Borngräber UG
Website: www.rosendahl-berlin.de

Bildnachweis:
Illustrationen: © Rosendahl x Borngräber UG, Daniela Sattler

Druck
Druckcenter Berlin GmbH

Der Digitalisierungsbericht wird klimaneutral
und nach FSC Standards gedruckt.
Digitalisierungsbericht - AUDIO - Sächsische ...
Digitalisierungsbericht 2019
Audio

herausgegeben von
die medienanstalten – ALM GbR
Digitalisierungsbericht - AUDIO - Sächsische ...
Vorwort

                          Thomas Fuchs
                          Koordinator des Fachausschusses
                          Netze, Technik, Konvergenz
                          der Medienanstalten

Als die Medienanstalten letztes Jahr entschieden,           z­ ugenommen. Welche weiteren Einsichten uns
den Digitalisierungsbericht Audio erstmals eigen-            die Erhebung durch das Forschungsinstitut Kan-
ständig und unabhängig vom Digitalisierungs­                 tar in diesem Jahr noch beschert, zeigt Dr. Simon
bericht Video zu veröffentlichen, wollten wir ­damit         Berghofer in seinem Beitrag.
dem Bereich Audio eine größere Sichtbarkeit ein-
räumen. Die Fülle an Debatten und Forschungser-             Weitet man den Blick von der Radiowelt auf sämt-
kenntnissen hat uns darin bestätigt, dass dies der          liche Audioangebote aus, wird die Landschaft noch
Breite des Themas angemessen ist. Mit der vorlie-           vielfältiger. Wir sehen zum Beispiel, dass der Besitz
genden Publikation wollen die Medienanstalten               von Smart Speakern grundsätzlich die gesamte Au-
einen Beitrag dazu leisten, den Audiomarkt bes-             dionutzung steigert. Wer Audioangebote nutzt,
ser kennenzulernen und auf langfristige Trends              insbesondere Podcasts, ist außerdem häufig in Be-
ebenso wie auf aktuelle Phänomene aufmerksam                wegung, entweder beim Sport, zuhause, im Auto
zu machen.                                                  oder im Flugzeug. Das bedeutet jedoch nicht, dass
                                                            Podcasts ein „Nebenbeimedium“ wären, ganz im
Wir beobachten unter anderem, dass die An-                  Gegenteil: Längst sind professionelle Abonnement-
zahl an Smart Speakern sehr stark anwächst und              funktionen im Einsatz, um den Lieblingsformaten
Smartphones die Webradionutzung dominieren.                 zu folgen. Die Podcast-Primetime ist übrigens am
Inzwischen verfügt weit mehr als die Hälfte der             Abend. Dies zeigen die Ergebnisse des diesjährigen
Bevölkerung über eine digitale Radioempfangs-               Online-Audio-Monitors (OAM), die von Regina Deck
möglichkeit oder nutzt Webradio. Außerdem ent-              und Dr. Kristian Kunow vorgestellt werden. Es ist
puppt sich DAB+ als Wachstumstreiber für den                nun das zweite Mal in Folge, dass die Forschung
digitalen ­Radioempfang, was die Haushaltsaus-              des Online-Audio-Monitors in diesem Rahmen prä-
stattung und insbesondere die Ausstattung in Neu-           sentiert werden kann. Der OAM hatte den Webra-
wagen betrifft – im Vergleich zum Vorjahr ­haben            diomonitor abgelöst und beleuchtet die Nutzung
die Haushalte mit DAB+ geradezu sprunghaft                  von Online-Audioangeboten in Deutschland.

4
Die Audiobranche boomt und Radio findet inzwi-         Über welchen Übertragungsweg diese Geschich-
schen auf mehreren Plattformen gleichzeitig statt,     ten und die anderen Inhalte in die Haushalte
stellt auch Christian Schalt in seinem Beitrag fest.   ­gelangen, ist ebenfalls spannend zu beobachten.
Die Anbieter stehen dabei vor der Herausforde-          Warum R   ­ adioanbieter sich nicht auf einen Weg
rung, sich innerhalb des eigenen Ökosystems bei         verlassen, sondern einen vielfältigen Mix nut-
der Hörerschaft möglichst gut zu profilieren, wenn      zen sollten, erläutert Siegfried Schneider. Seiner
sie Teil dieses dynamischen Wachstums sein wol-         ­Ansicht nach zeichnet sich eine gesunde, digitale
len. Seiner Meinung nach kann dies gelingen, wenn        Audiolandschaft durch eine Mischung aus dem
die Radiomacher die Chance nutzen, ihre Inhalte          terrestrischem Digitalradio DAB+, dem klassischen
zielgerichtet an die jeweiligen Nutzungssituatio-        UKW sowie über IP-Streaming und Internetplatt-
nen anzupassen und dadurch im Alltag vieler Nut-         formen aus. Er ist davon überzeugt, dass sich die
zerinnen und Nutzer eine wichtige Rolle zu spielen.      positive Entwicklung von DAB+ auch in Europa
                                                         fortsetzen wird.
So werden Podcasts auch im täglichen Leben
i­mmer beliebter und die Landschaft dieser Ange-       Welche Technik und welche Formate sich ­künftig
bote stellt sich täglich vielfälter dar. Was hinter    durchsetzen mögen – für die Medienanstalten
dem ­Erfolg von Podcasts steckt, wie sich unsere       bleibt es eine wichtige Aufgabe, den Markt zu
Nutzung verändert und welche Auswirkungen              ­beobachten und die Forschungsergebnisse zu
dies etwa auf inhaltliche Formate, Empfehlungen         veröffentlichen. Wir unterstützen die Vielfalt an
und Werbung hat, beschreibt Cornelia Holsten in         Inhalten, Anbietern und Übertragungswegen der
ihrem Beitrag. Sie plädiert für Mindeststandards        Audiolandschaft und wollen dazu beitragen, den
bei Transparenz und Auffindbarkeit von Angebo-          unterschiedlichen Klängen darin ausreichend
ten und appelliert an alle Radiomacher, weiterhin       ­Gehör zu verschaffen.
spannende Geschichten zu erzählen.

                                                                                                        5
6
Inhalt

Hauptsache Reichweite?                                                   9
Radio in der Plattformökonomie
Christian Schalt

Faszination Podcast                                                     19
Weil mir deine Stimme so gut tut
Cornelia Holsten

Die Mischung macht’s                                                    29
UKW, DAB+, Online-Audio
Siegfried Schneider

Daten & Fakten zur Digitalisierung in Deutschland

Stand und Entwicklung der Digitalisierung des Hörfunks in Deutschland   36
Dr. Simon Berghofer

Methodik                                                                48

Webradio, Musikstreaming, ­Podcast und Smart Speaker –                  50
Die Vermessung von Audio-Neuland
Ergebnisse des Online-Audio-Monitors 2019
Regina Deck / Dr. Kristian Kunow

Die Aufgaben der Landesmedienanstalten im Hörfunk                       67

Autoren                                                                 69

                                                                         7
Hauptsache Reichweite?
Radio in der Plattformökonomie
Christian Schalt

Radio hat sich in den letzten Jahren zu einem          Der digitale Audioboom führt in vielen Fällen sogar
­Multi-Plattform-Medium entwickelt. Waren noch         zu einer gesteigerten Nutzung der Radiosender.
 vor w
     ­ enigen Jahren die Übertragung über UKW          So geben in der Studie „Spot on Voice“ 95 % der
 und der Empfang über stationäre Radiogeräte der       befragten Besitzerinnen und Besitzer von Smart
 Normalfall, haben sich Distribution und Konsum        Speakern wie Amazon Echo an, gleich viel oder
 von Radioinhalten diversifiziert – Radio wird neben   häufiger Radio zu hören als zuvor.
 UKW-Geräten über Webseiten und Apps übertra-
 gen, über Smart Speaker gestreamt und in der Gerä-    Damit einhergehend gibt es eine immer g     ­ rößer
 tesoftware vieler Entertainment-Systeme verbreitet.   werdende Zahl an Radioangeboten – von
 Das Ökosystem Radio erlebt tektonische Verschie-      ­terrestrisch verbreiteten Sendern über Web­
 bungen – mit großen Chancen, aber auch großen          radios bis hin zu Musikchannels aller Art. Allein
 Herausforderungen.                                     die B
                                                            ­ eteiligungssender von RTL Radio Deutschland
                                                        verbreiten mittlerweile eine dreistellige Anzahl
Radio ist aus dem Alltag der meisten Deutschen          unterschiedlicher Radioangebote – vom Vollpro-
nicht wegzudenken. Nach wie vor nutzen vier von         gramm bis hin zu musikalischen Spartenkanälen
fünf Deutschen jeden Tag eines der in Deutschland       wie dem Weihnachtsradio, dem Chilloutsender
lizenzierten Radioprogramme, die tägliche Nut-          „the wave“ oder dem Fußball-Talk-Channel mit
zungszeit liegt mit 249 Minuten pro Tag auf einem       dem Sportreporter Wolf Fuss.
hohen Niveau. Der Hörfunk erlebt – im Gegensatz
zu seinen Massenmediengeschwistern Zeitung             Die Attraktivität von Radio lässt sich auch daran
und Fernsehen – keinen abrupten Nutzungsabriss,        ­ablesen, dass die großen Digitalfirmen Google,
sondern hält die Reichweiten in der Gesamtbevöl-        Apple, Facebook und Amazon (oft „GAFA“ genannt)
kerung auf stabilem Niveau und sieht allenfalls in      auf Radioinhalte als Plattformcontent oder als
den jüngeren Zielgruppen ein leichtes Abschmel-         ­Marketingtool setzen: Apple mit „Beats 1“, Google
zen von Reichweite und täglicher Nutzung.

                                                                                                        9
Hauptsache Reichweite?

Abb. 1

Anzahl der Radios in US-Haushalten

2018
                                       29                                                             60          11

2008
     4                                                                          65                                31

0%                        20 %                           40 %          60 %                  80 %              100 %

   Keines     1 bis 3     Mehr als 4

Quelle: The Infinite Dial 2018; Bevölkerung 12+ Jahren

mit „Free Radio“, Amazon mit den Radioplaylists auf             Immer mehr Mediennutzungsgeräte in
Amazon Music und Spotify mit dem kuratierten Mix                deutschen Haushalten
aus Musik und Wort „your daily drive“.                          Im Zuge der Digitalisierung lässt sich auch in
                                                                Deutschland beobachten, dass in den Haushalten
Trotz der hohen Nutzung von Radio über analoge                  eine zunehmend größere Zahl an Mediennutzungs-
und digitale Verbreitungswege lässt sich in vielen              geräten vorhanden ist – neben den klassischen Ge-
Hörfunkmärkten beobachten, dass die Zahl der                    räten Fernseher und Radio vor allem Smartphones
stationären Radiogeräte, also der „echten“ Radio-               jeglicher Art, stationäre Computer, Laptops, Tablets,
geräte, zurückgeht. Zwar werden in Deutschland                  Spielekonsolen, Smart Speaker und vieles mehr.
noch jedes Jahr knapp 10 Millionen UKW-Geräte
verkauft, doch gerade in den jungen Zielgruppen                 Viele dieser Geräte ermöglichen Anwendungen,
gehört das UKW-Radio nicht mehr zur Haushalts-                  die als Konkurrent oder Substitut dem Radio im
grundausstattung.                                               ­Medienmix Nutzungszeit abnehmen. Sie führen
                                                                 aber auch dazu, dass Radioprogramme über die un-
Gerade in den mobilen Zielgruppen im Alter zwi-                  terschiedlichsten Geräte empfangen werden und
schen 18 und 34 Jahren ist seit einigen Jahren ein               eine neue Hörerschaft erschließen – über Smart-
Rückgang des Gerätebesitzes zu konstatieren. In                  phone-Apps, Smart Speaker, Bluetooth-Kopfhörer
den USA, wo dieser Trend seit Jahren in der Studie               oder Smart Watches. Einige Sender mit einer jün-
„Infinite Dial“ gemessen wird, hat im Jahr 2017 in               geren Zielgruppe verbreiten ihre Programme sogar
dieser Altersgruppe zum ersten Mal die Mehrheit                  über Spielekonsolen.
überhaupt kein Radiogerät im eigenen Besitz. Da
die Radionutzung in dieser Altersgruppe auch in                 Aus Sicht der Radiosender verlangt diese Diversifi-
den USA allerdings nach wie vor signifikant hoch ist,           zierung des Gerätemarktes nach einer zunehmend
liegt der Schluss nahe, dass die Radionutzung zu-               plattformübergreifenden Distributionskonzeption.
nehmend über andere Geräte und Plattformen er-                  Wer wie bisher eine hohe Reichweite erzielen und
folgt, in vielen Fällen über das zentrale Mediennut-            mit seinen Inhalten möglichst viele Menschen errei-
zungsgerät der Digitalisierung – das Smartphone.                chen will, muss seine Radioprogramme auch über

10
Hauptsache Reichweite?

„fremde“ Plattformen verbreiten – mit dem Vorteil,                     Für die Radiosender bedeutet dies zu überlegen,
eine große Reichweite zu erzielen, aber auch mit                       wie der Anteil des eigenen Ökosystems bei der
dem Nachteil, in vielen Fällen die Kontrolle über                      ­Distribution möglichst hoch zu halten ist und
den eigenen Content zu verlieren. Dies hat Folgen                       gleichzeitig möglichst viele Hörerinnen und Hörer
für Auffindbarkeit und Sichtbarkeit des Contents                        auch auf anderen Plattformen zu erreichen sind.
auf den Plattformen sowie für den Zugriff auf Nut-
zungs- und Nutzerdaten.
                                                                       Radio verfolgt eine dezentrale
Als Folge der plattformübergreifenden Distribu-                        Plattformstrategie
tion liegt der Anteil des eigenen Ökosystems bei                       Diese Crossplattformkonzeption gewinnt zuneh-
den meisten massenattraktiven Radioprogrammen                          mend an Bedeutung im redaktionellen Alltag und
bei einem Wert um die 30 Prozent, d. h. 70 Prozent                     betrifft sowohl kleinere Nischenradios als auch die
der Verbreitung findet über „fremde“ Plattformen                       großen Anbieter:
statt – über Amazon-Echo-Smart-Speaker, über
WLAN-Radios, über Entertainment-Systeme und                            In Großbritannien fand zu Beginn des Jahres
über ­Aggregatoren.                                                    ein spektakulärer Personalwechsel statt. Der
                                                                       ­Morgenmoderator Chris Evans von BBC Radio 2,
Bei jüngeren Sendern oder bei Musiksparten­                             dem mit Abstand erfolgreichsten Radiosender auf
sendern liegt der Anteil des eigenen Öko­systems                        der ­Insel, wechselte zu Virgin Radio, einem Sen-
oft etwas höher und kann bis zu 50 Prozent                              der, der in England ausschließlich über digitale
­ausmachen.                                                             Wege zu hören ist. Dazu zählen in Großbritannien
                                                                        vor a
                                                                            ­ llem die Verbreitung über DAB+ und online.
                                                                        Um als populärer Moderator möglichst viele Hö-
                                                                        rerinnen und Hörer zu erreichen, wurde die Sen-
                                                                        dung von Anfang an als plattformübergreifendes

Abb. 2

Eigenes Ökosystem/fremdes Ökosystem RTL Radio Deutschland

2019
                                       31                                                                                             69

2018
                                            33                                                                                        67

2017
                                            34                                                                                        66

0%                       20 %                        40 %                       60 %                        80 %                   100 %

  Eigenes Ökosystem*       Aggregatoren**

Quelle: RTL Radio Deutschland; Sessions (ab 60 Sek.) via StreamABC / * Summe aus 104.6 RTL, 105’5 Spreeradio, JAM FM & The wave /
** Summe aller Aggregatoren inkl. Alexa

                                                                                                                                      11
Hauptsache Reichweite?

­ ngebot konzipiert: Der Kern der Sendung findet
A                                                    Radioinhalte passen sich der jeweiligen
über den Simulcast des Senders statt. Dazu kom-      Nutzung an
men als weitere Verbreitungswege Smart Speaker,      Viele Radiosender beantworten diese Frage vor
Fernsehen (über Sky), Dashboard-Systeme im Auto      ­allem mit zusätzlichen Angeboten und Features
sowie ein Podcast mit einer Zusammenfassung der       auf den eigenen Plattformen. Dazu gehören
Sendung. Dieser soll die Leute erreichen, denen       ­exklusive Inhalte, technische Funktionen und vor
die Zeit fehlt um die ganze Sendung zu hören und       allem die zunehmende Anpassung des Radiopro-
die dies am Wochenende in komprimierter Form           gramms an die Bedürfnisse der jeweiligen Nut-
nachholen wollen.                                      zerinnen und Nutzer – die Individualisierung des
                                                       Radio­programms. In vielen Fällen ist die Individu-
                                                       alisierung erst einmal die Anpassung des Contents
Abb. 3                                                 an die Bedürfnisse unterschiedlicher Teilgruppen
                                                       der eigenen Hörerschaft. Zur „echten“ Individu-
Crossmediakonzeption bei Virgin Radio
                                                       alisierung fehlen noch Daten (weil die meisten
                                                       ­Hörerinnen und Hörer ihr Radioprogramm ­anonym
                                                        hören), technische Ausspielmöglichkeiten (weil
                                                        über die meisten Distributionswege „Broadcast“
                                                        betrieben wird und nicht die individualisierte Aus-
                                                        lieferung) und in Teilen auch die musiklizenzrecht-
                                                        liche Grundlage.

                                                     Ein Beispiel für diese Anpassung an unterschied-
                                                     liche Bedürfnisse der eigenen Hörerschaft ist das
                                                     Angebot „Arno Hoch 3“ von 104.6 RTL in Berlin. Arno
                                                     Müller, der Morgenmoderator und Programmdirek-
                                                     tor des Senders, moderiert die Sendung „Arno &
                                                     die Morgencrew“ seit Sendestart im Jahr 1991 und
                                                     hat seither eine große Hörerschaft aufgebaut, die
                                                     die Sendung vor allem wegen seiner Person hö-
Quelle: Virgin Radio; eigene Darstellung
                                                     ren. Diese große Hörerschaft hat aber gerade im
                                                     musikalischen Bereich durchaus unterschiedliche
                                                     ­Geschmäcker, finden sich doch unter den Hörerin-
Wie entkommen also Radiosender dem Dilemma,           nen und Hörern Menschen im Alter von Anfang
entweder eine hohe Reichweite auf fremden Platt-      20 bis hin zu 60-Jährigen. Daher hat der Sender
formen zu erzielen oder eine geringere auf den ei-    im Herbst 2018 ein neues Angebot eingeführt, das
genen?                                                genau auf diese differenzierten ­Interessen und
                                                      Geschmäcker eingeht: Die Sendung „Arno & die
                                                      Morgencrew“ gibt es seither in drei verschiede-
                                                      nen Varianten: als „normale“ UKW-Version, in einer
                                                      ­Variante mit nur neuer Musik und in einer Variante

12
Hauptsache Reichweite?

mit älterer M
            ­ usik. In allen drei Fällen ist der Mode-   Die Konfiguration der Inhalte entsteht auf Grund-
rationsinhalt der gleiche, die Musik ist hingegen        lage der Messung dieser Dimensionen. Gerade
jeweils unterschiedlich.                                 hierfür ist es wichtig, dass die Hörfunknutzung
                                                         im eigenen Ökosystem stattfindet, weil nur hier
So können Hörerinnen und Hörer der Morning-              der nötige Direktkontakt zu den Hörerinnen und
show entscheiden, in welcher musikalischen Aus-          Hörern besteht, so dass auch die entsprechenden
prägung sie die Sendung hören wollen.                    Nutzungsdaten generiert und ausgewertet wer-
                                                         den können.
Das Ziel der Radiosender ist also die Inhalte zu-
nehmend an die jeweiligen Bedürfnisse der Nut-           Bei der Verbreitung auf Fremdplattformen ist der
zerinnen und Nutzer anzupassen. Diese können oft         Zugang zu diesen Daten deutlich schwieriger, zum
deckungsgleich sein und mit dem unveränderten            einen weil die Daten technisch nicht sinnvoll erho-
Liveprogramm bedient werden, in einigen Fällen           ben werden können (z. B. WLAN-Radios), zum an-
unterscheiden sich die Bedürfnisse aber auch. Aus        deren weil der jeweilige Plattformanbieter diese
Sicht der Radioanbieter ist es daher zuerst wichtig,     Daten für sich behält und nicht mit dem jeweiligen
diese Wünsche und Anforderungen der Nutzerin-            Publisher teilt (z. B. Amazon, Spotify). In diesen Fäl-
nen und Nutzer zu kennen, um in weiterer Folge           len wird oftmals versucht, die Nutzung rechnerisch
darauf aufbauend passende Programminhalte zu             mit Profildaten anzureichern, beispielsweise durch
(re)konfigurieren und zielgerichtet an die jeweilige     Vergleiche mit anderen Datenquellen, auf Grund-
Person auszuspielen.                                     lage des Nutzungsgerätes oder durch den Abgleich
                                                         mit möglichen anderen Geräten der Nutzenden.

Der Content wird durch vier Dimensionen                  Oft sind diese angereicherten Daten von relativ
beeinflusst                                              ­guter Qualität, so dass auch auf sinnvolle Weise
Die Bedürfnisse der Hörerinnen und Hörer in ­Bezug        Contentanalyse und Vermarktung betrieben wer-
auf den Content werden beeinflusst durch vier             den können. Tiefergehende Analysen sowie das
­Dimensionen:                                             individualisierte Ausspielen von Inhalten oder
                                                          Werbung ist damit jedoch nur sehr eingeschränkt
• D ie Person des Nutzenden mit ihren Eigen-             möglich, so dass die Radiosender zunehmend ver-
   schaften (z. B. Wohnort, Alter, Geschlecht) und        suchen, die Nutzerinnen und Nutzer mit entspre-
   Interessen (z. B. Fußball, Musik, Nachrichten)         chenden Angeboten in ihr Ökosystem zu ziehen und
• Die Nutzungssituation (z. B. beim Frühstück,           sie dort idealerweise auch zu einer Registrierung zu
   beim Sport, auf dem Weg zur Arbeit)                    bewegen, um somit primäre Daten über Nutzer und
• Das Nutzungsgerät (z. B. Smartphone, Smart             Verhalten zu erlangen („First Party Data“).
   Speaker, Autoradio)
• Der Nutzungshistorie (z. B. Lieblingspodcasts,        Das Bewegen der Nutzerinnen und Nutzer in
   favorisierte Songs, gehörte Webradios)                das eigene Ökosystem erfolgt über sogenannte
                                                         ­„Triggerpoints“, also Punkte, an denen ein Nutzer
                                                          für sich einen Vorteil sieht, sich beim jeweiligen
                                                          Anbieter auch zu registrieren.

                                                                                                              13
Hauptsache Reichweite?

In vielen Fällen sind die stärksten Triggerpoints      Auch in der Werbevermarktung spielt die zuneh-
­Gewinnspiele der Sender, es können aber auch          mend individualisierte Ausspielung von Inhalten
 ­Zusatzfunktionalitäten sein, die es dem Nutzer er-   eine immer größere Rolle. Durch die Digitalisierung
  möglichen, den Sendercontent zu personalisieren.     der Übertragungswege verschiebt sich die Werbe-
                                                       vermarktung von einer reinen Kontakt-­Betrachtung
                                                       (wie viele Kontakte erreicht meine Werbung?) zu
Der Rückkanal gewinnt an Bedeutung                     einem Fokus auf die Qualitäten der mit der Wer-
Ein Beispiel hierfür ist die „Swop“-Technologie,       bung erreichten Personen. Dadurch, dass bei der
die RTL Radio Deutschland bei einigen Sendern in       digitalen Radionutzung ein Rück­kanal nutzbar
Deutschland einsetzt. Hierbei können Nutzerin-         ist, werden Kennzahlen wichtig, wie etwa der
nen und Nutzer der Senderapp aktiv in das Live-        Nachweis der Auslieferung, die Zahl der tatsäch-
programm eingreifen und es auf individueller           lich ­erreichten Personen, das Profil der erreichten
­Ebene verändern: Sie „swoppen“ einen Song, d. h.      ­Personen und in manchen Fällen auch eine durch
 sie schalten um auf einen anderen, für sie bes-        die Werbung initiierte Zahl an Transaktionen im
 seren Song – bis zu vier Mal. Danach oder wenn         Anschluss an die Ausstrahlung der Werbung.
 der jeweilige Song zu Ende ist, werden sie wieder
 mit dem Liveprogramm synchronisiert, so dass
 sie ­keine wichtigen Inhalte des Liveprogramms        Ein starkes eigenes Ökosystem
 verpassen. Diese Form von technischen Zusatz­         ist wichtig – für die Inhalteerstellung
 funktionalitäten ist gerade für jüngere Hörerin-      und für die Wertschöpfung
 nen und Hörer attraktiv und kann dazu führen,         Ein Teil dieser Kennzahlen kann nur im eigenen
 dass sich die Nutzungszeit des Programms verlän-      Ökosystem der Radiosender verlässlich erhoben
 gert. Vor allem aber bekommt der Sender präzise       werden, so dass auch aus Sicht der Werbevermark-
 ­Nutzungsinformationen in Echtzeit und kann mit       tung ein möglichst hoher Anteil der Hörerinnen
  diesen Daten entsprechend in der Programmge-         und Hörer über sendereigene Plattformen erfol-
  staltung agieren.                                    gen sollte.

In der weiteren Ausbaustufe werden diese Daten         Das Ziel ist dabei, innerhalb des eigenen Öko­
auch auf individueller Ebene zur Programmopti-         systems eine möglichst gute Profilierung der
mierung verwendet, so dass z. B. ein Nutzer, der       ­Hörerschaft zu ermitteln: Dabei wird im Idealfall
einen Song mehrfach „geswoppt“ hat, diesen in           schon zu Beginn des Einschaltens die Nutzerin oder
Zukunft nicht mehr angeboten bekommt. Nach              der Nutzer erkannt, weil sie beispielsweise Stamm-
diesem auf Nutzungsdaten basierenden, algorith-         hörer sind, sich zu einem früheren Zeitpunkt schon
misch ausgespielten Prinzip beruhen mittlerwei-         beim Radiosender registriert haben und zum Zeit-
le viele digitale Audioanwendungen, so zum Bei-         punkt der Nutzung eingeloggt sind. In diesem Fall
spiel das individualisierte Newsradio von NPR, das      verfügt der Sender meist schon über Daten über
­öffentlich-rechtliche Sendernetzwerk der USA.          die jeweiligen Nutzer (z. B. Interessen oder frühe-
                                                        re Nutzungen) und kann sofort auf individueller
                                                        Ebene Programminhalte und Werbung anpassen.

14
Hauptsache Reichweite?

Sind die Nutzer zu Beginn eines Nutzungsvorgangs          oder die Plattform und kontrollieren somit auch
unbekannt, wird im Laufe ihrer Nutzung versucht,          den Z­ ugang zu diesen. Auch wenn im Moment
sie stärker zu qualifizieren, z. B. aufgrund ihres Nut-   viele der Anbieter sehr kooperativ mit den Inhal-
zungs- und Interaktionsverhaltens in Bezug auf            teanbietern umgehen (nicht zuletzt, weil diese in
das Radioprogramm (Umschalten auf einen ande-             nicht unerheblichem Umfang auch die jeweiligen
ren Kanal, „Swoppen“, Favorisieren von Programm­          Plattformen bewerben und damit Nutzerinnen
elementen etc.).                                          und Nutzer auf diese bringen), so besteht doch
                                                          perspektivisch die Gefahr, dass die großen Platt-
Die Grundlage der zukünftigen Vermarktung sind            formbetreiber einseitig neue Regeln für Zugang
Daten – über Nutzerinnen und Nutzer und ihr Nut-          zur und ­Präsenz auf der Plattform bestimmen (z. B.
zungsverhalten. Und gerade hier stößt die platt-          Zugang nur gegen Entgelt), durch gezielte Algorith-
formübergreifende digitale Radioübertragung an            men ­eigene ­Angebote privilegieren oder einzelne
ihre Grenzen: weil die technische Messung solcher         Publisher den Zugang ganz untersagen.
Daten über mehrere Plattformen teils nur schwer
möglich ist oder weil die jeweiligen Anbieter diese       Daher ist es für die Radioanbieter wichtig, neben
Daten den Inhalteanbietern nicht zur Verfügung            einem starken eigenen Ökosystem auch Zugang
stellen.                                                  zu den reichweitenstarken Plattformen zu bekom-
                                                          men und dort sowohl ihre Hörerinnen und Hörer
                                                          zu erreichen als auch die entsprechenden Daten
GAFA als Audioanbieter                                    der Nutzung für ihre Contentplanung und Werbe-
Die großen Plattformanbieter – in Deutschland             vermarktung zu erhalten.
vor allem Amazon, Google und Apple – versuchen
­selber vielmehr, alle relevanten Teile der Audio-        Mit der zunehmenden Verbreitung insbesondere
 Wertschöpfungskette zu besetzen und darüber              von Smart Speakern werden diese damit auch zum
 eigene Daten über Nutzung sowie Nutzerinnen              Gegenstand von Medienpolitik und -regulierung.
 und Nutzer zu sammeln. In den letzten Jahren ist es      Es ist entscheidend, dass auf diesen Radiogeräten
 den Plattformanbietern gelungen, jeweils sowohl          der digitalen Gegenwart und Zukunft die Radio­
 Plattform als auch Hardware als auch ein entspre-        angebote verlässlich vorhanden („must carry“) und
 chendes Inhalteangebot zu etablieren. Das Ziel der       zu finden („must be found“) sind.
 Plattformanbieter ist dabei natürlich, die Nutze-
 rinnen und Nutzer möglichst im eigenen Ange-
 bot zu halten und sie nicht zu anderen Anbietern         Radioanbieter werden selbst zu
 oder A­ ngeboten wechseln zu lassen – ein potenti-       Plattformbetreibern
 eller Zielkonflikt bei der Integration externer Radio­   Für die Radioanbieter ergeben sich durch die
 angebote auf den Plattformen.                            ­Digitalisierung aber auch große Chancen – indem
                                                           sie selbst zum Plattformbetreiber werden und
Für die Radiosender ist daher der Umgang mit den           ­Angebote verschiedener Anbieter aggregieren.
großen Plattformen von immer größer werden-
der Bedeutung. In vielen Bereichen der digitalen
Nutzung stellen sie die marktführende Hardware

                                                                                                             15
Hauptsache Reichweite?

Abb. 4

GAFA als relevante Akteure im Audiomarkt

                                   Amazon                    Google                     Apple

                                                       Google Home /              Apple HomePod /
          Hardware              Amazon Echo
                                                     Android Smartphone               iPhones

                               Amazon Music/
                                                        Google Podcast /           Apple Podcasts /
           Plattform         Amazon Prime / Alexa
                                                        Google Actions              Apple Music
                                 Skillstore

     Content-Angebot          Prime Radio / Prime      Google Play Music
                                                                                    Beats 1 Radio
        (Beispiele)               Fußball Live              Radio

Quelle: eigene Darstellung

In den USA machen dies zum Beispiel seit eini-       Angebote der eigenen Radiosender, dazu kom-
gen Jahren die beiden größten Radioanbieter          men die Audioangebote der „Content Alliance“
iHeart Media (mit der App „iHeart Radio“) und        von ­Bertelsmann in Deutschland, also von der
Entercom/CBS („radio.com“) recht erfolgreich. Die    ­Mediengruppe RTL, UFA, BMG, Gruner & Jahr und
­Anbieter haben in den letzten Jahren Vereinbarun-    von Penguin Random House.
 gen mit anderen Radioanbietern geschlossen und
 ­verbreiten deren Radioangebote ebenfalls über      Zum anderen finden sich auf der Plattform auch
  ihre ­Plattformen.                                 die Podcasts der größten deutschen Publisher,
                                                     ­darunter unter anderem die Angebote von ­SPIEGEL,
In Großbritannien verfolgen die BBC (mit „BBC         der Süddeutschen Zeitung oder ZEIT ONLINE, ­sowie
Sounds“) und die größte Privatradiogruppe             von großen deutschen unabhängigen Podcast­
­Englands, Global (mit dem „Global Player“), eine     produzenten.
 Plattformstrategie, wenn auch ausschließlich mit
 eigenen Inhalten – ähnlich wie in Deutschland die   Das Ziel ist, vor allem denen ein starkes, kuratier-
 ARD mit der „ARD Audiothek“.                        tes Audioangebot zu liefern, die jetzt den noch
                                                     ­jungen Bereich des Podcastings entdecken und
RTL Deutschland hat im März dieses Jahres             nach ­ihrem persönlichen Geschmack Audioinhal-
­ebenfalls eine neue Plattform gestartet, die dem     te abrufen wollen.
 starken Trend zu Podcast- und Audio-On-Demand-­
 Angeboten gerecht werden soll: AUDIO NOW. Die
 Plattform versammelt zum einen die inhaltlichen

16
Hauptsache Reichweite?

Im Gegensatz zu den anderen großen Plattform­        S­ ystem der UKW-Übertragung genutzt, so sorgt die
betreibern stellt AUDIO NOW allen auf der Platt-      Fragmentierung des Marktes dafür, dass R
                                                                                             ­ adio über
form vertretenen Publishern die verfügbaren           immer mehr Plattformen genutzt wird, vor ­allem
­Daten zu Nutzung und den Nutzerinnen und Nut-        durch die zunehmende Verbreitung der Smart
 zern zur Verfügung. Die Plattform soll somit dazu    Speaker. Zudem werden viele Inhalte ­verstärkt
 beitragen, das inhaltliche Angebot der Publisher     nicht linear gehört – je nach Nutzungs­situation
 weiter zu verbessern und den deutschen Hörerin-      der Hörerinnen und Hörer auf unterschiedliche Art
 nen und Hörern so jeden Tag ein möglichst starkes    und Weise und auf unterschiedlichen Nutzungs-
 Audioangebot zu bieten.                              geräten. Dazu kommen neue Audioinhalte, vor
                                                      ­allem in Form von Podcasts. Diese werden auch
                                                       von R ­ adiosendern produziert, stammen aber oft
Abb. 5                                                 vor ­allem von anderen Medienanbietern oder von
                                                       rein digitalen Anbietern.
Plattform AUDIO NOW von RTL Radio Deutschland

                                                     Dies führt im Moment zu einem regelrechten
                                                     Boom von digitalem Audio und zu immer mehr
                                                     Akteuren, die an diesem dynamischen Wachstum
                                                     partizipieren wollen.

                                                     Für die Radioanbieter bestehen hier große Chan-
                                                     cen, wenn sie es schaffen, mit ihren Angeboten
                                                     im digitalen Alltag vieler Nutzerinnen und Nut-
                                                     zer weiter eine wichtige Rolle zu spielen – über
                                                     ­Anpassung der Inhalte an die jeweiligen Nutzungs-
                                                      situationen und die zielgerichtete Ausspielung von
                                                      Werbeinhalten.

                                                     Dazu ist ein starkes eigenes Ökosystem wichtig –
                                                     mit guten und auch exklusiven Inhalten und mit
                                                     neuen technologischen Möglichkeiten. Genauso
                                                     entscheidend sind die Präsenz und die Auffind-
                                                     barkeit auf den neuen Audio-Systemen der gro-
Quelle: RTL Radio Deutschland; eigene Darstellung
                                                     ßen Plattformbetreiber. Dies für die Zukunft durch
                                                     ­Medienpolitik und -regulierung zu gewährleisten
                                                      wird zur wichtigsten Aufgabe der nächsten Jahre.

Fazit: Die Plattformökonomie bietet Chancen
und Risiken
Die Digitalisierung verändert in zunehmendem
Maße auch den Audiomarkt. Wurden bisher die
meisten Radioangebote über das proprietäre

                                                                                                        17
Faszination Podcast
Weil mir deine Stimme so gut tut
Cornelia Holsten

Mein Großvater konnte es perfekt: spannen-                      Viele Menschen besinnen sich heute mit wa-
de ­Geschichten erzählen. Er nahm mich mit auf                  chen Ohren wieder auf dieses Ur-Bedürfnis des
­seine Abenteuerreisen, in seine Jugend, als er                 ­Geschichtenlauschens zurück. Das vielleicht auch,
 ­meine Großmutter kennenlernte und in die Zeit,                 weil die Augen durch das permanente Starren auf
  als die beiden aus Trümmersteinen ein Haus bau-                Bildschirme müde werden und eine Display-Pause
  ten. Zu seinem 85. Geburtstag schenkte ich ihm                 brauchen – „Screen-Fatigue“ nennt sich das Phäno-
  ein ­Diktiergerät und bat ihn, seine Geschichten               men, wenn die Augen vom ständigen Aufs-Smart-
  auf Band zu sprechen, damit sie für immer blei-                phone-Gucken immer müder werden. Nach einem
  ben. Diese Bänder sind bis heute mein persönlicher             halben Jahrhundert der visuellen Dominanz in den
  Lieblingspodcast.                                              Medien und bei der Mediennutzung meldet sich
                                                                 spätestens jetzt die Bedeutung des Hörens laut-
Die Ur-Bedürfnisse des Hörens, Anhörens und                      stark zurück. Und das sicher auch, weil der Mensch
Zuhörens wurden also schon in unserer Kind-                      offenbar schon immer ein Bedürfnis nach erzähl-
heit befeuert und erfüllt. Wenn wir dann selbst                  ten, persönlichen Geschichten hatte.
Eltern sind, genießen wir es, diese Tradition wei-
terzugeben: Es gibt kaum etwas Innigeres und                    Aktuell wird dieses Bedürfnis durch neue und aus
Entspannteres als den Moment der vorgelesenen                   allen Ecken sprießende Podcast-Formate gestillt.
Gutenachtgeschichte. Nicht umsonst wird immer                   Sie drängen mit einer solchen Wucht auf den
wieder kolportiert, dass Eltern dabei vor ihrem Kind            Markt, wie es bei den legendären „Europa“-Kinder-
einschlafen. Geschichten zu hören, zu teilen und                kassetten, zum Beispiel über die Kinderdetektive
weiterzugeben ist in jeder Hinsicht wertvoll und                von „TKKG“ oder „Die drei ???“, kaum vorstellbar ge-
hat unsere Kreativität und Fantasie schon in frühen             wesen wäre. Kassetten gab es schon damals nicht
Kinderjahren angekurbelt.1                                      nur für Kinder. Ich erinnere mich zum Beispiel noch
                                                                an die Rechtsprechungslesungen aus der Neuen
1 Ich danke Franziska Riedel für die großartige Unterstützung
  beim Verfassen dieses Beitrags.

                                                                                                                 19
Faszination Podcast

J­ uristischen Wochenschrift auf K
                                 ­ assette – auch                   dem Smartphone sein? Wo Erfolg entsteht, ist Wer-
 wenn die nicht halb so spannend wie ein Aben-                      bung nicht weit und wo mit Werbung gut definier-
 teuer der „Drei ???“ waren.                                        bare Zielgruppen erreicht werden können, lassen
                                                                    neue Formen des Content-Marketing nicht lange
Seinen Aufschwung verdankt der Podcast in ers-                      auf sich warten. Ein Blick auf regulatorische Frage-
ter Linie dem Smartphone. Die Nutzung von                           stellungen lohnt sich aber nicht nur im Hinblick auf
­Audioinhalten und damit auch der Konsum von                        Werbefragen. Podcasts finden wir im ­Wesentlichen
 Podcasts sind aufgrund der hohen Durchdringung                     auf den großen Plattformen, die mit ihren algo-
 von Smartphones kinderleicht, überall und jeder-                   rithmenbasierten Empfehlungs­systemen über die
 zeit möglich. Und so sind auch Geschichten überall,                Auffindbarkeit mindestens mitbestimmen. Wenn
 jederzeit und über Streamingplattformen gegen                      wir die Grundsätze der Meinungs- und Medienviel-
 eine monatliche Abo-Gebühr oder kostenlos ver-                     falt ernst nehmen, müssen wir uns auch hier um
 fügbar und downloadbar, womit Podcasts auch                        ­Regeln für eine transparente und diskriminierungs-
 zunehmend für alle erdenklichen Nischen und                         freie Auffindbarkeit kümmern. Meine Vorschläge
 Zielgruppen interessant werden. Podcasts werden                     stelle ich auf den nächsten Seiten vor.
 aber kein Nischentrend bleiben und den Sprung in
 den Mainstream schaffen, denn wir akzeptieren
 den technologischen Fortschritt viel schneller und                 Hör mir zu! Der Weg der Stimme zum Ohr
 ­lassen ihn bereitwilliger in unser Leben als je zuvor:            Wer schon einmal versucht hat, nichts zu hören,
  13 Jahre brauchte das Fernsehen, 5 Jahre das Inter-               weiß: das funktioniert nicht. Wir können zwar un-
  net, 3 Jahre das Smartphone dafür, 50 Millionen                   sere Augen schließen, unsere Ohren jedoch nicht.
  Nutzer zu erreichen. Sprachassistenten brauchten                  Unsere Ohren sind geduldige Zuhörer und unser
  nur noch 1 Jahr.2 Ich bin sicher, dass Sprachassis-               ganz persönliches Tor zur Welt. Unsere Ohren, in
  tenzsysteme und Speaker wie Google Home, Alexa                    denen sich die kleinsten menschlichen Knochen
  und Siri den Markt weiter befeuern und uns bald                   und gleichzeitig die großen Schaltkreise der akus-
  durch den Mediendschungel navigieren werden,                      tischen Wahrnehmung befinden, sind der Ort, wo
  was Audio in Zukunft noch viel spannender ma-                     wir uns mit anderen Menschen verbinden und uns
  chen wird. Unsere Stimme, die natürlichste und                    auf sie einlassen. Wir können Menschen allein am
  ursprünglichste Kommunikationsform, die uns zur                   Rhythmus ihrer Schritte identifizieren, wir können
  Verfügung steht, wird viel stärker zu dem Medium,                 Gefühle in Sekundenschnelle an der Stimme able-
  mit dem wir uns Zugang zur digitalen Welt ver-                    sen und selbst visuelle Gehirnzellen durch Geräu-
  schaffen und in ihr interagieren.                                 sche und Musik aktivieren, also fast synästhetisch
                                                                    Bilder durch Töne entstehen und wieder aufleben
Kommt nach dem „Iconic Turn“ aus dem vergange-                      lassen. Ein bestimmtes Geräusch kann verloren ge-
nen Jahrhundert nun also der „Audible Turn“?3 Wird                  glaubte Erinnerungen in uns aufleben lassen und
das neue wärmende Lagerfeuer die Stimme aus                         der Klang einer Stimme kann uns zu jedem denk-
                                                                    baren Ort in der Vergangenheit zurückbeamen.
2 https://www.horizont.net/tech/nachrichten/rms-manager-frank-
  bachr-smartspeaker-durchdringen-den-markt-mit-unglaublicher-
  geschwindigkeit-171585
3 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/audible-turn-wer-
  nicht-hoeren-will-muss-weitersehen-15597339-p3.html

20
Faszination Podcast

Gefühle über unsere Stimme auszudrücken und                     Begleiter, sondern auch Lückenfüller für die viel-
durch das Hören zu dekodieren, bekommen wir in                  fältigsten Beschäftigungen, weil sich zum Beispiel
die Wiege gelegt. Der Hörsinn entsteht sogar und                körperliche Arbeit gut mit der geistigen Stärkung
ist schon aktiv, bevor wir auf der Welt sind. Ab dem            und Aktivierung durch Podcasts kombinieren lässt.
fünften Schwangerschaftsmonat nehmen Babys                      „When your hands are busy but your mind is free“ –
Geräusche wahr und machen die ersten „media-                    so bringt Audible-Gründer Don Katz die Vorteile
len“ Erfahrungen mit den Herztönen der Mutter.                  des Mediums und den Siegeszug von Online-Audio
Sie lernen früh die Stimme ihrer Mutter kennen,                 knapp und gut auf den Punkt. „Podcast hören ist
weswegen Babys diese Stimme von Anfang an                       wie freihändig lesen. Mit den Händen kann man
besonders vertraut ist. Das Hören ist also schon                stupide Hausarbeit erledigen, während der Geist
naturgemäß viel intensiver und erlaubt eine ganz                gefüttert wird.“5
andere Aufmerksamkeit als das Sehen, das per se
eher flüchtiger Art ist. Hören schafft Vertrauen, das           Obwohl der Siegeszug der Podcasts seit 2004 im-
Sehen hingegen eher Distanz, sagte schon Imma-                  mer wieder aufs Neue verkündet wird, haben sich
nuel Kant.4 Die Stimme ist das ursprünglichste                  die Audioangebote spätestens mit dem im Jahr
und natürlichste Ausdrucksorgan von Emotionen,                  2016 gestarteten US-amerikanischen Erfolgspod-
Stimmungen und Gedanken. Darum ist es auch nur                  cast „Serial“, der wohl der erfolgreichste Podcast
­logisch, dass wir eine angenehme Stimme gerne                  aller Zeiten ist, endgültig auch in der deutschen
 hören, ihr gerne zuhören und die von ihr erzählten             Medienlandschaft durchgesetzt: In den letzten
 Geschichten gerne anhören. Und das haben wir                   drei Jahren wagten – auch dank niedriger Eintritts-
 schon beim Vorlesen gemerkt: Die Fantasie wird                 schwellen auf beiden Seiten – Laien den Schritt
 bemüht, die fremde Stimme, ein beinahe intimes                 vor das Mikrofon und Podcast-Labels wurden ge-
 Medium, schafft es bis in den eigenen Kopf. Kein               gründet. Für die Erstellung von Podcasts braucht
 Organ ist dem Gehirn so nah wie das Ohr.                       es nicht viel außer einem Aufnahmegerät. Neben
                                                                privaten und öffentlich-rechtlichen Medienhäu-
                                                                sern, privatwirtschaftlichen Unternehmen oder
Von Fest und Flauschig bis zur Lage der                         einzelnen Wissenschaftlern, Künstlern und Journa-
Nation: Eine Bestandaufnahme                                    listen starten auch immer mehr Verlage ihre eige-
Ob im Zug, bei der morgendlichen Laufrunde durch                nen Podcasts. Darunter lassen sich unter anderem
den Park, im Auto auf dem Weg zur Arbeit, beim                  DIE ZEIT, DER SPIEGEL, Der Tagesspiegel sowie das
Kochen, während der Hausarbeit oder vor dem Ein-                Handelsblatt finden, die tagesaktuelle Podcasts
schlafen: Podcasts sind in unserem Alltag zu einem              produzieren und mit traditionellen Hörfunkange-
beliebten Begleiter geworden. Podcast ist ein Kof-              boten um die Hörer konkurrieren. Selbst TV-An-
ferwort, das sich zusammensetzt aus der engli-                  bieter wagen den Schritt in die Audio-Welt und
schen Rundfunkbezeichnung Broadcast und der                     knacken mitunter die Millionengrenze. Stimmen
Bezeichnung für den tragbaren MP3-Player iPod,                  funktionieren eben nicht selten sogar besser, wenn
der 2001 das Licht der Welt erblickte und somit
zum Namensgeber wurde. Podcasts sind nicht nur

4 https://www.blm.de/infothek/magazin_tendenz/tendenz_1_2019/   5 https://www.abendblatt.de/podcast/article226169257/Podcasts-
  podcasting_tendenz119.cfm                                       Das-Hamburger-Abendblatt-zum-Hoeren.html

                                                                                                                                 21
Faszination Podcast

man die Menschen dazu (erst einmal) nicht sieht.        Wir dürfen uns wieder auf’s Zuhören
Letztlich sind die intimen Dialogsituationen beim      ­konzentrieren
Podcast wie eine besondere Form des Blind Dates.        Die Bedeutung von dialogorientierten Kommuni­
                                                        kationsformen wächst. In unserer immer noch
Spätestens seit sich neben Spezialisten wie             stark visuell dominierten Medienwelt werden
Viertausendhertz, dem ersten Podcastlabel im            wir durch auditive Inhalte regelrecht dazu ge-
deutschsprachigen Raum, auch die beiden größten         zwungen, unsere passive Konsumhaltung abzu-
deutschen Audiovermarkter AS&S Radio und RMS            legen, die rein akustischen Inhalte bewusst auf-
mit dem Format auseinandersetzen, muss man              zunehmen und das Gehörte aktiv zu rezipieren.
Podcasts ernst nehmen. Denn egal ob sogenannte          Die bildgewaltige Debattenkultur, die viel stärker
„Laberpodcasts“, die konzept- und ziellos schnell in    vom Dissens als vom Dialog lebt, bekommen wir
banale Plaudereien driften können, oder der sich        ja schon tagtäglich und nonstop, sobald wir un-
immer weiter verbreitende „Redakteursnewslet-           ser TV-­Gerät ­einschalten oder unseren Newsfeed
ter“ (z. B. „Morning Briefing“ von Gabor Steingart),    auf dem Smartphone checken. Durch den Audio-
sie haben eines gemeinsam: Sie sind den Weg der         boom wird unser Hörsinn endlich wieder stärker
Professionalisierung und Kommerzialisierung ge-         gefordert, unsere Augen in Zeiten von visueller
gangen – ihre Formate haben nicht mehr viel mit         Reizüberflutung entlastet. Wir können uns ein-
den Podcast-Anfängen von vor 15 Jahren zu tun.          fach den Kopfhörer aufsetzen oder die Stöpsel in
                                                        die Ohren stecken, uns aktiv vom Lärm der visuell
Von „Faking Hitler“, einer Eigenproduktion vom          reizüberfluteten und dauernd ­erregten, sich ver-
Magazin stern und einer der meistgehörten Pod­          ändernden Welt ­abschotten und einen privaten,
casts zu Beginn des Jahres 2019, über den Polit-        geschützten und geschlossenen Raum nur für uns
Podcast „Lage der Nation“ von Philip Banse und          herstellen. Und uns so die Welt erklären lassen. Wir
Ulf Buermeyer zum erfolgreichsten Spotify-Pod-          hören a ­ llein, wir hören für uns – es scheint, als hät-
cast „Fest und Flauschig“ von Jan Böhmermann            ten wir geradezu sehnsüchtig darauf gewartet, uns
und Oli Schulz: Die Themenbandbreite ist riesig.        endlich mal wieder für eine gewisse Zeit auf ein
Vom Motivationsratgeber über das Journalistenge-        ­bestimmtes Thema konzentrieren zu dürfen. Einem
spräch und den Ladytalk, von Popkultur und Sport         einstündigen Podcast zu lauschen schult die Sinne
über C­ omedy zu Sex und True Crime, von Podcasts        jedenfalls anders, vielleicht auch stärker, als über
über Tipps und Tricks bei der Mäuseaufzucht bis          Texte zu s­ crollen und Inhalte in Form von Snippets
hin zu Formaten zum tagespolitischen Gesche-             zu erfassen. Es wird sogar von einer „neuen Münd-
hen ist alles dabei. Auch Sendungen zu Themen            lichkeit“ gesprochen, in der sich das Verhältnis von
aus den Bereichen Naturwissenschaft, Philosophie         Wort und Wissen, ­Lesen und Schreiben, Sprechen
und Technik sind in den Charts zu finden, was den        und Hören neu j­ustiert und zugunsten des Spre-
Trend zur Beschleunigung von Wissensproduk-              chens zu verschieben scheint.6
tion und -nachfrage bestätigt. Es gibt kaum ein
­Thema, das nicht vertreten ist. In diesem Format
 können die Menschen endlich ihre Gedanken zu
 Ende f­ ühren, für die es in anderen Formaten oft
 keinen Platz gibt.                                    6 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/youtube-und-
                                                         die-neue-muendlichkeit-16237905.html

22
Faszination Podcast

Jung und gebildet: Die größte Zielgruppe der                Spotify und Co. geworfen hat: Laut der Podcast Ad
Podcast-Fans                                                Revenue Study wird im Jahr 2021 in den USA, d­ eren
Laut einer Bitkom-Studie aus dem Jahr 2018 hört             Podcast-Markt dem deutschen Markt in der Ent-
inzwischen jeder fünfte Deutsche mehr oder                  wicklung einige Jahre voraus ist, die Marke von
­weniger regelmäßig einen der über 6.000 Pod-               1 Milliarde Dollar bei den Werbeeinnahmen ge-
 casts aus dem deutschsprachigen Raum. Dabei ist            knackt. Auch hier ist der steile Aufstieg sichtbar:
 die Tendenz deutlich steigend: Im Jahr 2016 hörte          Im Jahr 2017 lagen die Einnahmen noch bei 323 Mil-
 nur jeder sechste Deutsche Podcasts.7                      lionen Dollar, wohingegen die Einnahmen im Jahr
                                                            2018 bei 479 Millionen Dollar lagen, ein Plus von
Dabei kurbeln vor allem die Millennials, also Ver-          53 Prozent im Vergleich zu 2017. Für das Jahr 2019
treter der Generation Y, den Podcast-Boom an: Laut          wird laut der Studie ein Anstieg von 42 Prozent
einer Umfrage des Podcast-Vermarktungsunter-                auf 679 Millionen Dollar erwartet.9 Auch laut den
nehmens Podstars aus dem Jahr 2018 sind knapp               WARC Global Advertising Trends verdoppelt sich
drei Viertel der Podcast-Hörer zwischen 21 und              der globale Werbeumsatz aus der Vermarktung von
35 Jahre alt, knapp 70 Prozent sind davon ­unter 30.        Podcasts bis 2022: Momentan sichern sich Podcasts
Podcast-Hörer sind laut der Studie außerdem ge-             etwa 2,5 Prozent des Audio-Werbemarkts, bis 2022
bildet: 90 Prozent haben Abitur oder einen Hoch-            soll der Anteil auf 4,5 Prozent steigen.10
schulabschluss in der Tasche.8 Laut der Bitkom-­
Studie sind die Zahlen zwar etwas weniger auffällig         Für die Werbebranche ist der Podcast also ein
(14 – 29 Jahre und 30 – 49 Jahre jeweils 30 Prozent,        ­lukratives und vielversprechendes Medium, da es
50 – 64 Jahre: 24 Prozent, 65 Jahre und älter: 4 Pro-        sehr gezielt und konzentriert genutzt wird – und
zent), dennoch bestätigen sie die Tendenz: Pod-              das auch noch von einer besonders kaufstarken
cast-Hörer sind jung, gebildet, kaufstark und mit            Zielgruppe, deren Interessen durch ihre Podcast-
Medien aufgewachsen. Es gibt kaum eine andere                Vorlieben viel besser bestimmt werden können
Zielgruppe, die von vornherein so interessant für            als zum Beispiel durch den Musikgeschmack. Die
die Werbeindustrie sein dürfte: Es ist, als bekämen          Aufmerksamkeit von Podcast-Hörern ist sehr hoch,
Produzenten und Werber den perfekten Kunden                  der Großteil der Nutzer konzentriert sich ganz aufs
auf einem Silbertablett serviert.                            Hören. Sie sind relativ offen für Werbung, vor allem
                                                             dann, wenn sie unterhält und an die Interessen
                                                             der Hörer angepasst ist. Das könnte daran liegen,
Fast wie im Schlaraffenland: Podcasts und                    dass sich die meisten beim Podcast-Hören wohl-
der Werbemarkt                                               fühlen, etwa beim Sport machen, Bahn fahren oder
Mit zunehmender Verbreitung und weil Podcast-                sich einfach auf dem Sofa entspannen. Selbst kom-
Hörer als loyal, technikaffin und gebildet gelten            plexe Werbeinhalte werden intensiv konsumiert
sowie über ein überdurchschnittliches Einkommen              und kaum übersprungen: Laut der oben genann-
verfügen, steigt auch die Attraktivität von Podcasts         ten Umfrage des Podcast-Vermarktungsunter-
für den Werbemarkt, der schon lange ein Auge auf             nehmens Podstars aus dem Jahr 2018 empfinden

7 https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Jeder-­   9 https://www.iab.com/wp-content/uploads/2019/06/
  Fuenfte-hoert-Podcasts.html                                  Full-Year-2018-IAB-Podcast-Ad-Rev-Study_6.03.19_vFinal.pdf
8 https://www.podstars.de/wp-content/uploads/­­             10 https://www.warc.com/newsandopinion/news/podcast_­
  Podcas­tumfrage2018.pdf                                      advertising_set_to_double/41998

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Faszination Podcast

mehr als 80 Prozent der Befragten eingesproche-          nicht überschritten. Ist Podcast-Werbung also das
ne Werbung vom Podcaster nicht als störend. Und          neue Influencer-Marketing? Was beide verbindet:
mehr als 75 Prozent hören sich die Werbung an und        Die Formate funktionieren über Nähe, Authentizi-
­machen keinen Gebrauch von der vorhandenen              tät, Vertrautheit und Vertrauen – Premiumeigen-
 Vorspulmöglichkeit.11                                   schaften für erfolgreiches Marketing.

Sind Podcaster die neuen Influencer?                     Geht ins Ohr. Bleibt im Kopf. Die Werbung in
Podcaster werden sogar in ihrer Funktion als             Podcasts
­Werbetreibende nicht als nervig empfunden und           Die drei häufigsten Werbeformate sind der
 können damit als die neuen Sympathieträger gel-         Audiospot, der Sponsorhinweis und Native
 ten – mit ihnen wächst eine neue Generation von         Ad(vertising). Audiospots sind inhaltlich und
 Influencern auf, denen die Hörer vertrauen. Es fühlt    technisch etwa vergleichbar mit klassischer
 sich aufgrund der dialogischen Formate teilweise        ­Radiowerbung und können sowohl am Anfang als
 so an, als wäre man als stille Zuhörerin bei e ­ inem    auch während oder nach der Sendung ertönen.
 Gespräch oder Dialog live dabei. Vieles, und damit       Der Sponsorhinweis stellt Werbepartner und ihr
 eben auch Werbung, geht über die Menschen als            Produkt bzw. ihren Service vor und wird meist zu
 Identitätsträger, wodurch eine emotionale Bindung        Beginn oder in der Mitte des Podcasts ausgestrahlt.
 entsteht. Vielleicht ist es für die Podcaster deswe-     Die Native Ad wird meist vom Podcaster selbst ein-
 gen einfacher als für traditionelle Medienhäuser,        gesprochen und ist dadurch manchmal nicht so
 ihre Hörer über Crowdfunding-Plattformen wie             leicht als Werbung erkennbar. Insbesondere diese
 Steady oder Patreon zu bezahlten Mitgliedschaften        vom Podcaster direkt eingesprochene Werbung ist
 zu bringen oder zum Kauf von Merchandise zu ver-         nicht nur unkompliziert in der Produktion, sondern
 leiten. Ich bezahle keine Sendung und kein Format,       wirkt auch beim Hörer positiv und nicht störend.
 sondern unterstütze einen Medienanbieter, dem            Native Advertising verspricht durch die Nähe von
 ich vertraue und dessen Meinung ich schätze. Der         Spot und Podcaster implizit eine Werbebotschaft
 Podcaster ist der neue Freund von ­nebenan, ver-         so gut zu verpacken, dass sie nicht unbedingt als
 gleichbar mit der Influencerin auf I­ nstagram. Und      solche zu erkennen ist und sich vom redaktionellen
 wenn er mir auch noch eine Tasse anbieten kann,          Umfeld möglichst wenig abhebt.
 kaufe ich sie mir bereitwillig, um meinen morgend-
 lichen Kaffee daraus zu trinken und mich dadurch        Um Werbung dennoch klar von Podcast-Inhal-
 zugehörig zu fühlen.                                    ten zu trennen, ertönt bei einigen Podcasts ein
                                                         Ton­signal zu Beginn und am Ende eines Werbe-
Podcasts werden immer beliebter und – aufgrund           beitrags. Manchmal wird Werbung mit der stets
der starken Bindung zum Host und der konzentrier-        gleichen Melodie untermalt und in anderen Pod­
ten Hörsituation – mit ihnen auch die nativen Wer-       casts wird deutlich gesagt, dass nun Werbung
beformen. Der Hype rund um Podcast-Marketing             oder Sponsoring folgt. Hier wird viel ausprobiert
beginnt gerade erst und der Zenit ist noch lange         und e­ xperimentiert – nicht zuletzt, weil der Markt
                                                         ­gerade erst die ersten wirtschaftlich relevanten
11 https://www.podstars.de/wp-content/uploads/­
                                                          Formate entwickelt.
   Podcastumfrage2018.pdf

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Faszination Podcast

Wo Werbung drin ist muss auch Werbung                  und ­Anchor für über 300 Mio. Euro übernommen.
draufstehen                                            Ist der Podcast-Plattformmarkt schon heute ein
Es ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis     ­Haifischbecken?
der erste Fall einer falschen oder fragwürdigen
Podcast-Werbekennzeichnung medial diskutiert           Heute ist ein Podcast vor allem darauf angewiesen
wird. Vielleicht profitieren die Podcaster aber auch   gefunden zu werden. Das funktioniert entweder
hier vom Influencer-Marketing und dem Wissen           über Empfehlungen von echten Freunden oder von
rund um die Werbekennzeichnung. Wann immer             Spotify, Alexa und Co. Netflix oder Amazon Prime
eine Werbeabsicht besteht, weil es einen Werbe-        produzieren im Streamingbereich mittlerweile ei-
auftrag oder eine sonstige Gegenleistung für die       gene Serien, die sie umfangreich bewerben, mit-
Werbung gibt, muss es im Audiobereich einen ent-       unter auch ganz analog über Litfaßsäulen. Wird
sprechenden Hinweis geben. Der kann bei Podcasts       es so etwas irgendwann auch in der Welt der Pod-
nur akustisch erfolgen. Medienrechtlich ist auch       casts auf Spotify geben, das auf dem besten Wege
hier jede Form der Werbung transparent und ein-        ist, zum Netflix des Audiomarkts zu werden? Erste
deutig zu kennzeichnen, damit der Nutzer sofort        Beispiele gibt es bereits: So will Apple nun in Zu-
zwischen werblichen und nicht werblichen Beiträ-       sammenarbeit mit Medienunternehmen in eigene
gen unterscheiden kann. Dies gilt nach dem Rund-       Podcasts investieren. Und das zu Amazon gehören-
funkstaatsvertrag, dem Telemediengesetz sowie          de Audible arbeitet schon heute mit verschiedenen
dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.            Medienhäusern wie dem SPIEGEL und Bertelsmann
Und der Grundsatz gilt unabhängig davon, wo ich        für Exklusivproduktionen zusammen. Vor dem Hin-
werbe – in Print, TV, Hörfunk oder eben online über    tergrund dieser rasanten Entwicklungen stellt sich
Instagram, YouTube oder Podcasts.                      die Frage: Was kann und muss ich tun, um dem
                                                       Ungehörten eine Stimme zu geben? Wenn ich als
                                                       Podcast-Anbieter auf den großen Plattformen nicht
Wer bestimmt, was ich höre?                            verfügbar bin, habe ich dann von Anfang an meine
Die Zeiten, in denen Apple mit iTunes der Pod-         Stimme verloren?
cast-Platzhirsch war, sind endgültig vorbei. Neben
­iTunes von Apple als Podcast-Plattform der ersten
 Stunde sind mittlerweile zahlreiche neue Akteure      Wer hat die Macht über den Markt?
 auf den Markt vorgedrungen. Ob Audio Now, eine        Während ich diesen Beitrag schreibe, läuft die
 Podcast-Plattform von RTL/Bertelsmann, Goog-          Phase der zweiten Online-Konsultation zum
 le Podcast oder die ARD-Audiothek, die Markt-         ­erwarteten Medienstaatsvertrag. Wir haben als
 player werden mehr und der Markt umworbener.           Medien­anstalten für diesen Medienstaatsver-
 Musikstreaming-Anbieter etablieren sich zuneh-         trag von Anfang an unter anderem Regelungen
 mend als Podcast-Plattformen. Sowohl Spotify           für Sprachassistenten und M    ­ edienintermediäre
 als auch Deezer setzen neben der Musik immer           gefordert, die sich im Wesentlichen um die
 mehr auf Wortinhalte und investieren verstärkt         ­Fragen von Auffindbarkeit und Diskriminierungs­
 in eigene Podcast-Angebote. Anfang 2019 hat Spo-        freiheit drehen. Am Beispiel der Podcasts
 tify die b
          ­ eiden Podcasting-Unternehmen Gimlet          ­werden diese E­ rfordernisse mindestens so deut-
                                                          lich wie bei Such­ergebnissen auf Google oder

                                                                                                          25
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