Nachrichten für Filmschaffende - Crew United

Die Seite wird erstellt Cornelia Völker
 
WEITER LESEN
Nachrichten für Filmschaffende - Crew United
467 | 30. Januar 2020

 Nachrichten für Filmschaffende

herausgegeben von Peter Hartig, Oliver Zenglein und Vincent Lutz
Nachrichten für Filmschaffende - Crew United
467 | 30. Januar 2020                                                                            Umfrage Tonschnittplätze | 2

High Tech im Home Office: Die Ansprüche an Sounddesigner sind gestiegen. Die haben sich auch in ihrer Ausstattung darauf eingestellt.

Doch ansprechend vergütet wird ihnen das zu oft nicht. Die Fotos zum Artikel zeigen die Schnittplätze mehrerer Souddesigner*innen.

Die Arbeit am Ton
Wie steht’s tatsächlich um die Ton-Postproduktion in Deutschland? Die Berufsvereinigung Filmton
wollte Fakten und stellte im Dezember die erste flächendeckende und repräsentative Umfrage vor.
Über die Erkenntnisse sprechen Kirsten Kunhardt und Jörg Elsner von der BVFT.

Interview Peter Hartig

Titel und Foto: BVFT
Nachrichten für Filmschaffende - Crew United
467 | 30. Januar 2020                                                      Umfrage Tonschnittplätze | 3

Früher gingen Sounddesigner zur Arbeit ins Ton-       anderen Digitalisierungsfortschritten auch sehr
studio, heute müssen sie die gesamte Infrastruk-      schnell im Arbeitsprozess etabliert. Aber wahr-
tur selber stellen. Lässt sich das Problem in ihrem   scheinlich genau wegen diesem reibungslosen
Berufsfeld so grob zusammenfassen?                    Übergang, der erfolgreichen Etablierung der
Kirsten Kunhardt: In den 1990ern war es noch üb-      Technik und der schnellen Bildung von entspre-
lich, dass Filmproduktionsfirmen für den Ton-         chendem             Know-how         seitens     der
schnitt einen Schneidetisch zur Verfügung stell-      Sounddesigner*innen, gab es nie einen speziellen
ten oder einen solchen für die Produktionsdauer       Fokus auf das Arbeitsfeld.
nebst Räumlichkeit anmieteten. Auch der oder              Erst jetzt, als wir immer öfter von Kolleg*innen
die Tongestalter*in (die Bezeichnung Sounddesi-       hörten, dass es für sie zunehmend schwieriger
gner*in hat sich ja erst ab diesem Zeitpunkt ange-    wird, gewohnte, geschweige denn angemessene
fangen zu etablieren) wurde direkt von der Film-      Tagessätze für ihren Tonschnittplätz zu erhalten,
produktion gebucht.                                   da sich die Postproduktionshäuser im Kampf um
   Mittlerweile ist es in Deutschland üblich, dass    Aufträge immer mehr unterbieten oder gezwun-
Filmproduktionen nach Dreh- und Schnittende           gen sind, sich billigeren Angeboten anzupassen.
einen Postproduktionsdienstleister damit beauf-       Erst dadurch begann man sich zu diesem Thema
tragen, die noch notwendigen Arbeitsschritte in       intensiver auszutauschen, und wir erfuhren, dass
der Bild- und Tonbearbeitung durchzuführen.           immer öfter sogar gar keine Schnittplatzvergü-
Daher werden Sounddesigner*innen in der Regel         tung mehr stattfindet.
nicht mehr wie früher über die Produktionsfirma       Gleichzeitig sind aber die Anforderungen an die
angefragt, sondern über das Postproduktions-          Arbeit der Sounddesigner*innen in den letzten 20
haus. In deren Räum befinden sich aber oft nur        Jahren enorm gestiegen.
wenige oder gar keine Tonschnittplätze. Sind          Jörg Elsner: Das hat mit der sich weiter entwik-
Tonschnittplätze vorhanden, arbeitet hier meist       kelnden Aufnahmetechnik am Set, immer ausge-
ein kleiner Stamm an festangestellten Mitarbei-       feilteren Softwarelösungen zur Tonbearbeitung,
tern.                                                 leistungsstärkeren Computern und mit den sich
   Je nach Auftragslage der Postproduktionshäu-       weiter entwickelten Tonformaten zu tun. Vor 20
ser werden für die Bearbeitung der Filmprojekte       Jahren boten die meisten Tonbearbeitungspro-
freiberufliche Sounddesigner*innen angefragt,         gramme wenig mehr Bearbeitungsmöglichkeiten
die dann auch den eigenen Tonschnittplatz stel-       als am analogen Schneidetisch an. Das hat sich
len. Auf diese Art und Weise wird in der momen-       völlig verändert. Heutzutage gibt es zahlreiche
tanen Marktsituation der Großteil der Filmprojek-     Bearbeitungsmöglichkeiten, die früher aus-
te abgewickelt.                                       schließlich in der Mischung möglich waren, heute
Die »Privatisierung der Schnittplätze« ging mit der   aber von Sounddeigner*innen schon während
Digitalisierung im Tonbereich einher. Das begann      der Tonschnittphase vorgenommen werden. Ins-
aber auch schon vor gut 20 Jahren. Wieso kommt        besondere im Kinobereich erfordert die Weiter-
diese Umfrage erst jetzt?                             entwicklung von stereo über 5.1 zu 7.1 und Dolby
Kirsten Kunhardt: Der Umbruch vom analogen            Atmos zusätzliche Technik auch in den Ton-
Tonschnitt zum digitalen vollzog sich in der Tat      schnittplätzen, die aufwendig und kostspielig ist.
schon vor längerer Zeit, und er war, gemessen an      Weitere nicht unerhebliche Kostenfaktoren sind
Nachrichten für Filmschaffende - Crew United
467 | 30. Januar 2020                                                                                 Umfrage Tonschnittplätze | 4

                              Verteilung des Tagessatzes in Nordrhein-Westfalen (in Prozent).

                                 kein                        niedrig                      mittel                      hoch

                              Verteilung des Tagessatzes in Berlin/Brandenburg (in Prozent).

 Kinospielfilme

 Fernsehspielfilme

 Dokumentarfilme

                                 kein                        niedrig                      mittel                      hoch

Vieles, was die Umfrage ergibt, hatten die Filmtomeister geahnt, aber es ging ja darum, das Bild in Zahlen zu malen. Da gab es durchaus

erfreuliche Überraschungen, was Ausstattung und Berufseinstieg angeht. Wie deutlich aber die Vergütungspraxis sich regional unterscheidet,

hätten auch Kirsten Kunhardt (links) und Jörg Elsner (rechts) vom BVFT-Vorstand nicht gedacht. Auch nicht, dass Berlin da so weit abfällt.

Quelle: Filmtonstudie 2018, Berechnungen BVFT | Foto: BVFT
Nachrichten für Filmschaffende - Crew United
467 | 30. Januar 2020                                                      Umfrage Tonschnittplätze | 5

eine angepasste Raumakustik und natürlich die         terbach von der Uni Potsdam eine überdurch-
Raummiete mit ihren Nebenkosten. Stark stei-          schnittlich hohe Beteiligung, die eine hohe, sehr
gende Mieten in den Ballungsräumen, wie etwa in       zuverlässig Aussagekraft bietet – eine durch-
Berlin, München, Köln werden sich hier in den         schnittliche Quote liegt in der Regel bei 12 Pro-
nächsten Jahren immer weiter bemerkbar ma-            zent.
chen.                                                 Sie liefern einen ziemlich detaillierten Überblick.
   Wir dachten daher, das kann nicht sein! Wir        Die Daten beschreiben nicht nur die Personen
müssen immer mehr Geld für unsere Tonschnitt-         und Berufserfahrung, Region, Gattung und Medi-
plätze ausgeben und gleichzeitig fallen die Sätze     um, sondern auch Ausstattung und Service –
für deren Vergütung, sind wir beim Tagessatz der      Raum, Equipment, Software, weitere Dienstlei-
Tonschnittplätze vom Konkurrenzkampf der              stungen.
Dienstleister im Postproduktionsbereich abhän-        Jörg Elsner: Ja, das ist uns auch sehr wichtig. Denn
gig.                                                  wenn selbst wir als Vertretung der Filmtonschaf-
   Da wir aber keine genaue, unabhängige und          fenden, respektive der Sounddesigner*innen,
vor allem belastbare Kenntnisse hatten und alles      nicht detailliert und vor allem repräsentativ ge-
mehr oder weniger auf Hörensagen beruhte, ent-        nug wissen, wie denn genau in Deutschland im
schlossen wir uns zur Durchführung der Umfrage.       Tonschnitt/Sounddesign gearbeitet wird, wie sol-
Daher kam auch die Entscheidung mit der Uni-          len das denn unsere Auftraggeber wissen.
versität Potsdam und Herrn Prof. Dr. Lauterbach          Tonschnitt beziehungsweise Sounddesign ist
einen unabhängigen und auf wissenschaftlicher         für Außenstehende regelrecht zu einer Art Black-
Seite sehr versierten Partner mit ins Boot zu ho-     box geworden. Und das betrifft nicht nur Räum-
len.                                                  lichkeit und Technik, sondern vor allem die zu-
491 Sounddesigner haben Sie angeschrieben,            nehmend komplex gewordenen Arbeitsprozesse.
232 haben geantwortet. Wie repräsentativ ist das      Natürlich entsteht dann ein mangelndes Ver-
für Ihre Berufsgruppen?                               ständnis für erforderliche Aufwände und deren
Jörg Elsner: In Deutschland ist der größte Teil der   Kosten.
Sounddesigner*innen in den von uns angeschrie-           Wir hatten daher von Anfang die Idee, ein Wirt-
benen zwei Berufsvereinigungen, BVFT und VDT          schaftsprüfungsunternehmen zu beauftragen,
gelistet. Um den Teil der Nichtorganisierten zu er-   das anhand der gewonnen Daten, wirtschaftlich
reichen, konnten wir die Online-Plattform Crew-       tragfähige Tagessätze für Tonschnittplätze ablei-
United gewinnen. Crew-United gewährleistete           tet. Und das macht ja nur dann Sinn, wenn man
uns durch ihre Infrastruktur, den Personenkreis       möglichst genau weiß, was alles an Ausstattung
nochmals zu erweitern.                                vorhanden ist und wie die Arbeitsprozesse sind.
   Eine breit angelegte und flächendeckende Er-       Gleichzeitig wollten wir aber auch abbilden, wie
hebung der Daten war uns sehr wichtig. Daher          die Sozialstruktur der Sounddesigner*innen und
danken wir auch noch mal ausdrücklich dem VDT         die regionalen Unterschiede in Deutschland sind.
und Crew-United für Ihren Support. Wir konnten        Kirsten Kunhardt: Und natürlich ist es auch wich-
so eine Grundgesamtheit von 491 gelisteten            tig in diesem Zusammenhang die Bereiche TV-
Sounddesignern anschreiben. Wir hatten eine           Spielfilm, Kino-Spielfilm und Dokumentarfilm in
Rücklaufquote von 48 Prozent, laut Prof. Dr. Lau-     Punkto Vergütung einzeln betrachten zu können.
Nachrichten für Filmschaffende - Crew United
467 | 30. Januar 2020                                                                       Umfrage Tonschnittplätze | 6

                            Verteilung des Tagessatzes in Bayern und Baden-Württemberg (in Prozent).

                               kein                     niedrig                  mittel                    hoch

                            Verteilung des Tagessatzes in den restlichen Bundesländern (in Prozent).

 Kinospielfilme

 Fernsehspielfilme

 Dokumentarfilme
                               kein                     niedrig                  mittel                    hoch

491 Sounddesigner hatte die BVFT mit Unterstützung von Crew

United und dem Verband deutscher Tonmeister (VDT) angeschrieben,

232 haben geantwortet. Eine Rücklaufquote von 48 Prozent sei

»überdurchschnittlich«.

Quelle: Filmtonstudie 2018, Berechnungen BVFT | Foto: BVFT
Nachrichten für Filmschaffende - Crew United
467 | 30. Januar 2020                                                    Umfrage Tonschnittplätze | 7

Die Tonleute haben ihre Hausaufgaben gemacht,        mit Mischstudio, wird mehr verlangt. Mal ganz
bieten größtenteils solide bis gehobene Ausstat-     ehrlich: Haben Sie das nicht schon vorher ge-
tung an … doch das wird oft nicht anerkannt,         wusst?
sprich entsprechend vergütet?                        Jörg Elsner: »Das habe ich gewusst, geahnt…«
Jörg Elsner: Richtig, wie die Umfrageergebnisse      oder wie auch immer, zählt ja bei einer wissen-
zeigen, werden durchschnittlich 25 Prozent der       schaftlich fundierten Arbeit nicht, daher ist es
Tonschnittplätze gratis zur Verfügung gestellt.      eben auch wichtig, vermeintlich allgemeingültige
Angesichts des hohen Preisdrucks und des zu-         Annahmen zu betrachten und zu belegen.
nehmenden Preiskampfes in der Postproduktion            Aber natürlich ist das grundsätzlich so, wie Sie
zwischen den Dienstleistern finden sich Tagessät-    es sagen, aber eben nicht überall. Es gibt auch
ze für Tonschnittplätze in den Kostenvoranschlä-     eine Gruppe jüngerer Sounddesigner, die trotz re-
gen zwar wieder, werden dann aber gerne im           lativ kurzer Berufserfahrung hohe Tagessätze für
Zuge eines Rabattes deutlich reduziert oder ganz     ihre Schnittplätze erreichen können.
gestrichen. Als Subunternehmer tätige Soundde-       Kirsten Kunhardt: Wir waren auch positiv über-
signer*innen sind dann gezwungen diese Praxis        rascht, dass der Ausstattungsgrad der Schnittplät-
mitzutragen.                                         ze durchweg hoch ist. Wie deutlich aber die Un-
   Kirsten Kunhardt: Wir wissen auch von Fällen,     terschiede in der Vergütungspraxis bezüglich der
wo Schnittplatzvergütungen an Sounddesig-            Regionen sind und dass Berlin hier so weit abfällt,
ner*innen komplett nicht weitergereicht werden,      das hätten wir auch nicht gedacht.
um für das Postproduktionshaus ausgelobte Ra-        Zwei kleine Überraschungen sind vielleicht diese:
batte intern auszugleichen. Das hat uns ein In-      Es gibt keine Unterschiede zwischen den Ge-
sider gesteckt, und das wirkt auf uns so, als wäre   schlechtern, ebenso wenig zwischen den Ausbil-
das in diesem Fall eine Art Geschäftsmodel.          dungsarten.
Gibt es regionale Unterschiede? Sie sprechen         Kirsten Kunhardt: Das liegt vielleicht daran, dass
von einem »Berlin/Brandenburg-Effekt«.               man als Sounddesigner*in auch ein Talent für
Kirsten Kunhardt: Im Vergleich zum Bundes-           Klang und Rhythmus mitbringen muss, um be-
durchschnitt werden in Berlin/Brandenburg be-        ruflich erfolgreich zu sein. Der gestalterische
sonders oft Tonschnittplätze nicht vergütet. Liegt   künstlerische Aspekt spielt in der dramaturgi-
der Bundesdurchschnitt bei 25 Prozent, so sind es    schen Ausgestaltung des Filmtons eine entschei-
in Berlin/Brandenburg durchschnittlich 33 Pro-       dende Rolle. Und das ist unabhängig vom Ge-
zent, im Bereich TV-Spielfilm sogar 37 Prozent,      schlecht oder der Ausbildung.
während es in Bayern nur 17,4 Prozent sind. Zu-         Und die Software, die Technik und Infrastruk-
sätzlich werden in Berlin auch überdurchschnitt-     tur sind letztendlich ja nur das »Werkzeug« das
lich oft nur niedrige Tagessätze von unter 100       der/die Sounddesigner*in dazu »zur Hand«
Euro für die Schnittplatzvergütung angesetzt.        nimmt. Nichtsdestotrotz sehen wir auch anhand
Je niedriger Alter, Berufserfahrung oder Ausstat-    unserer Erhebung, dass der Anteil von Frauen un-
tung, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass für   ter den Sounddesigner*innen gegenüber dem Ge-
den Tonschnittplatz nichts berechnet wird. Bei       samtanteil der Frauen unter den Filmtonschaf-
Dokumentarfilmen wird selten ein hoher Tages-         fenden mit etwas über 10 Prozent sehr gering ist.
satz genommen. Für teure Konstruktionen, gar         Da gilt es auch in Zukunft, was dran zu ändern.
Nachrichten für Filmschaffende - Crew United
467 | 30. Januar 2020

                                                      DE IN TI C KE T NA C H
                                                      H O L LY W O O D
Sie schreiben selbst, dass der Tonschnittplatz
gerne auch als Verhandlungsmasse genutzt wird.
»Zahl mir die Gage, dann gibt’s den Platz dazu.«
Korrekt nach Tarif ist das aber nicht?
Kirsten Kunhardt: Der Tarif für Sounddesigner*in-
nen, der ja erst seit 2018 in die Tarifgagentabelle
aufgenommen wurde, bezieht sich auf die reine
Arbeitsleistung. Jegliche Technik oder Equipment
gehören nicht dazu. Für die Gewerke, die am Set
arbeiten, ist es selbstverständlich, dass für die
Ausübung der Tätigkeit notwendiges Equipment
zusätzlich zur Gage vergütet wird. Niemand käme
hier auf die Idee, zum Beispiel Kamera-, Licht-
oder auch Tonequipment gratis zur Verfügung zu
stellen.
Jörg Elsner: Natürlich sind Preise und Konditio-
nen immer auch Verhandlungssache. Umso wich-
tiger ist es aber zu sehen (und das gilt für alle
Marktbeteiligten), wie eine tatsächlich wirtschaft-
lich tragfähige Vergütung auszusehen hat.
   Zu geringe Tagessätze für den Tonschnittplatz      Gefährlich
                                                               h gute
                                                      Kurzfi
                                                       u filme
bedeuten zum einen ein deutlich zu niedrig wer-
dendes Einkommen der Sounddesigner*innen,
da sie mit Teilen ihrer Gage ihren Schnittplatz

                                                      gesucht
selbst finanzieren müssen, zum anderen aber
auch die Gefährdung der sozialen Absicherung
und Altersvorsorge. Gar nicht zu sprechen von
Rücklagenbildung für Reparaturen, Neuanschaf-
fungen et cetera. Das wiederum betrifft direkt die
Zukunftsfähigkeit der Sounddesigner*innen und
damit auch die Zukunftsfähigkeit des Filmstand-       Es wartet auf Dich ein unbezahlbarer
                                                                             u
orts Deutschland.                                     Preis: Die Te
                                                                  eilnahme am
                                                                            m exklusiven
   Zu niedrige Tagessätze, vor allem aber die Null-   Universal Filmmasters Program
                                                                            P         in L.A.
Euro-Praxis gefährden zudem längerfristig die
Durchsetzbarkeit von angemessenen Tagessät-
zen. Aber: Hierzu müssen wir jetzt auch mal sehr      EINSEN DES CH LUS S: 2 9.0 2.2 0 2 0
deutlich die positive Seite betonen: 56 Prozent der
Tonschnittplätze in Deutschland werden regel-
mäßig mit mittleren (101 bis 200 Euro) und hohen
                                                      Weitere Informationen unter
                                                                            u
Tagessätzen (mehr als 200 Euro) vergütet. In wie-
                                                      www.13thStreet.de |     /13thStreetDE
Nachrichten für Filmschaffende - Crew United
467 | 30. Januar 2020                                                     Umfrage Tonschnittplätze | 9

weit diese Sätze allerdings tragfähig sind, bleibt    Befunde dargelegt, dann in einem zweiten Schritt
noch abzuwarten …                                     die gewonnenen Ergebnisse mit einem statisti-
Wäre es folglich als Kontrolle und Ergänzung          schen Modell geprüft und die Aussagen verfeinert
nicht sinnvoll gewesen, nach den durchschnittli-      und bestätigt. Die von Ihnen angesprochene Clu-
chen Gagen zu fragen, die die Sounddesigner in        ster-Bildung bezieht sich auf die dann folgende
den Zeiträumen erzielten?                             Clusteranalyse.
Kirsten Kunhardt: 2008 haben wir eine Gagenum-           Wir wollten wissen, ob sich die Sounddesi-
frage unter den Filmtonschaffenden gemacht, an-       gner*innen systematisch unterscheiden bei der
hand der wir dann auch unsere Gagenempfeh-            Anrechnung ihres Tonschnittplatzes. Wir wollten
lung entwickelt haben. Zudem gibt es jetzt ja seit    wissen, ob sich die Gesamtheit der Befragten sy-
2018 die Mindesttarifgage für Sounddesigner*in-       stematisch in homogene Teilgruppen unterglie-
nen, die ab jetzt als Richtwert dienen kann und       dern lassen. Die Kriterien konzentrierten sich auf
sollte.                                               drei unterschiedliche Aspekte: a) Merkmale der
Jörg Elsner: In der Tat ist es aber leider immer      Sounddesigner (zum Beispiel Alter) , b) deren Be-
noch so, dass die Gagen für Sounddesigner*innen       rufserfahrung und c) die Ausstattung ihres Ar-
einigermaßen ungeregelt – und auch Regional           beitsplatzes.
stark unterschiedlich sind, in der Regel auch oft        Vier Gruppen, Cluster genannt, haben sich er-
deutlich unterhalb der Tarifgage. Das Wissen hier-    geben: Zwei kleinere, extreme Cluster: Solche, die
über ist unsererseits zwar vorhanden, momentan        nie einen Tagessatz (12 Prozent) berechnen, und
aber nicht wirklich fundiert.                         solche, die ausschließlich einen sehr hohen Ta-
   Fragen nach der Gage in der jetzt vorliegenden     gesssatz (7 Prozent) ansetzen. Und dann fanden
Umfrage, hätten den Rahmen vollends gesprengt.        wir noch zwei Hauptgruppen: diejenigen, die oft
Und so ist tatsächlich von unserer Seite aus ge-      keinen oder einen Tagessatz zwischen 1 und 200
plant, möglichst zeitnah eine zusätzliche Erhe-       Euro (45 Prozent) anrechnen, und solche, die
bung dazu zumachen.                                   häufig einen hohen Tagessatz von über 200 Euro
   Aber, ganz im Ernst, jetzt müssen wir erstmal      (35 Prozent), aber nie 0 € ansetzen. Die beiden
tief Luft holen und eine kleine Pause nehmen. Das     letzteren Gruppen zeigen sich also flexibel in der
Ganze war ehrenamtlich neben der eigentlichen         Berechnung ihres Tagesssatz je nach Filmart.
Arbeit in der Filmtonwelt schon eine ordentliche      Kirsten Kunhardt: Ehrlich gesagt, waren wir bei
Packung vom Energie- und Zeitaufwand her. Da          der Auswertung insbesondere bei der Clusterana-
gilt auch noch mal ein außerordentlicher Dank an      lyse heil froh, dass hier die Expertise von Herrn
Herrn Prof. Dr. Lauterbach, der sich da wirklich      Prof. Dr. Lauterbach und seinem Team an der Uni
intensiv und kompromisslos mit uns gemeinsam          zum Tragen kam. Hier wären wir ansonsten mit
reingekniet hat in die Materie!                       unserem Latein absolut am Ende gewesen . Es ist
Für ein genaueres Bild haben Sie die Befragten in     auch immer noch so, dass wir uns in diese Art von
Cluster aufgeteilt. Nach welchen Kriterien?           Tabellen immer wieder von neuem »einlesen«
Jörg Elsner: Da müssen wir zur Beantwortung           müssen.
kurz etwas weiter ausholen. Und zwar haben wir        Cluster 2 ist mit 44,4 Prozent das Größte: Die sind
die Analyse zur Vergütungssituation in drei Schrit-   in der Mehrheit so ab Mitte 30, haben mehr als 30,
ten durchgeführt. Zuerst haben wir allgemeine         viele gar mehr als 100 Filme gemacht, minde-
Nachrichten für Filmschaffende - Crew United
467 | 30. Januar 2020                                                                            Umfrage Tonschnittplätze | 10

   34,5 %

eher hoher Tagessatz
                                                     44,4 %

                                           eher mittlerer Tagessatz
                                                                                             6,7 %
                                                                                               
                                                                                             hoher Tagessatz
                                                                                                                       
                                                                                                                       12,5 %

                                                                                                                        kein Tagessatz

In vier Cluster hat der BVFT die Sounddesigner eingeteilt. Die größte Gruppe ist meist Mitte 30 und älter, hat mehr als 30 Filme gemacht,

mindestens zehn Jahre Berufserfahrung, Abitur und ist durch Ausbildung oder Studium in den Beruf gelangt. Sie nimmt selten mehr als 200

Euro am Tag und passt sich ans Budget an. Die zweitgrößte Gruppe, ist jünger, nicht ganz so gut ausgestattet und hat weniger Erfahrung,

nimmt aber meist mehr als 200 Euro am Tag und überlässt den Arbeitsplatz selten umsonst.

Grafik: cinearte | Quelle: Filmtonstudie 2018, Berechnungen BVFT | Foto: BVFT
467 | 30. Januar 2020                                                     Umfrage Tonschnittplätze | 11

stens zehn Jahre Berufserfahrung, das Abitur und       ziehungsweise durch Verschiebungen im Timing
sind durch Ausbildung oder Studium in den Beruf        der Produktion/Postproduktion (oft kurzfristig
gelangt. Die nehmen doppelt so oft nichts fürs         und teilweise um nicht unerhebliche Zeiträume)
Studio als die anderen, fast nie mehr als 200 Euro     eine lückenlose Planung unmöglich wird.
am Tag und passen sich ans Budget an. Eine das             Angenommen, ein Sounddesigner*in wäre
also die typischen Sounddesigner?                      maximal mit Projekten ausgelastet. Auch in die-
Jörg Elsner: Ja, das kann man so sagen.                sem Fall würde der Tonschnittplatz zeitweise un-
Cluster 1 ist mit 34,5 Prozent die zweitgrößte         genutzt bleiben, da der Sounddesigner*in am
Gruppe. Vom Alterschnitt her eher die nächste          Ende der Vertonung in die Mischung geht und
Generation, anscheinend nicht ganz so gut aus-         dort gemeinsam mit dem Mischtonmeister das
gestattet, nimmt aber in der Regel mehr als 200        Projekt finalisiert.
Euro am Tag und überlässt den Arbeitsplatz sel-        Jörg       Elsner:      Außerdem         betreiben
ten für lau. Wie funktioniert das?                     Sounddesigner*innen in der Regel sehr individua-
Kirsten Kunhardt: Es ist eher die Gruppe mit we-       lisierte Tonschnittplätze, die ausschließlich von
nig Berufserfahrung, also weniger als zehn Jahre.      ihnen selbst genutzt werden können. Daher müs-
Das Alter spielt hier keine Rolle. Die Personen aus    sen bezüglich der Auslastung auch Urlaubstage,
diesem Cluster finden sich häufiger in Nord-           Tage für unternehmerische Tätigkeiten, Krankheit
rhein-Westfalen und im übrigen Bundesgebiet,           etcetera angenommen werden. Eine durch-
weniger häufig in Berlin/Brandenburg oder Bay-         schnittliche Auslastung (wohlgemerkt des Ton-
ern und Baden-Württemberg. Wir können daraus           schnittplatzes, nicht des*der Sounddesigner*in)
nur den Schluss ziehen, dass es hier im Postpro-       von sechs Monaten bedeutet also bereits eine
duktionsbereich weniger Konkurrenz gibt und            ganz gute Auftragslage. Daher muss sich diese
dass weniger Sounddesigner*innen als Subunter-         Tatsache auch in der Vergütung des Schnittplatzes
nehmer tätig sind. Und somit ein geringerer            widerspiegeln.
Druck auf dem Markt. Auch könnte hier die Film-            Das Wort Studiobetreiber impliziert wohl eher
förderung eine Rolle spielen. Aber eine wissen-        das Wort Unternehmer, oder? Aus unserer Sicht ist
schaftliche Begründung kann die Analyse hier           der Sounddesigner in diesem Wortzusammen-
nicht liefern.                                         hang nur dann »Studiobetreiber«, wenn er über
Das Problem scheint aber auch selbstverschul-          den Preis für sein »Studio« auch selbst verhandeln
det: Fast die Hälfte der Tonschnittplätze wird ge-     kann. Das ist aber immer seltener der Fall, da die
rade mal die Hälfte des Jahres genutzt und oft         Preise meistens von einem Postproduktionshaus
weniger. Heißt das, Sounddesigner sind zwar            vorgegeben werden. Will man hier nachverhan-
quasi auch Studiobetreiber – doch viele haben          deln, kommt nicht selten das Argument »der Pro-
das noch nicht realisiert?                             duzent zahlt nicht mehr«.
Kirsten Kunhardt: In der Filmbranche ist es ja für     Kirsten Kunhardt: Hier sollte eventuell tatsächlich
alle Gewerke üblich, dass man nicht durchgehend        ein Umdenken seitens der Sounddesigner*innen
beschäftigt ist, sondern übers Jahr verteilt an        im unternehmerischen Sinne einsetzten. Dass
mehreren Filmprojekten arbeitet. Zwischen die-         er*sie nämlich wieder direkt mit dem Produzen-
sen Projekten gibt es in der Regel Lücken, da sich     ten bezüglich Produktionsfirma die Konditionen
selten ein Projekt nahtlos an das nächste reiht, be-   für sein*ihr Werk ausverhandelt.
467 | 30. Januar 2020

Ist dieser betriebswirtschaftliche Aspekt Thema
während der Ausbildung?
Kirsten Kunhardt: Genaue Kenntnisse dazu ha-
ben wir nicht, vermutlich ist dieser Aspekt aber
eher nicht Teil der Ausbildung, oder wenn, dann
nur unbedeutend, zumal es ja bisher auch keine
genauen zu verallgemeinernde Kenntnisse zum
Tonschnittplatz und die Arbeitsprozesse gab.
   Ihre Frage ist aber ein guter Anstoß, diesen
Aspekt in der Zukunft in Zusammenarbeit mit
den Ausbildungsstätten und Universitäten in ei-
nen stärkeren Fokus zu bringen.
Gibt es Unterschiede in der Auslastung der
Schnittplätze zwischen Cluster 1 und 2?
Kirsten Kunhardt: Es gibt in der Auslastung keine
großen Unterschiede. Diejenigen, die keine oder
geringe Tagessätze erzielen, sind ähnlich ausgela-
stet wie diejenigen mit den hohen Tagessätzen.
Oder umgekehrt analysiert: Diejenigen, die gut
ausgelastet sind, unterscheiden sich in ihrer Ver-
gütungsstruktur nicht signifikant von denen, die
wenig Auslastung ihres Schnittplatzes angeben.
Wir haben uns das angeschaut und nicht in den
Bericht hineingenommen, weil sich keine rele-
vante Aussage ergeben hat.
Von den Befragten sind 50,9 Prozent Mitglied im
BVFT und 37,5 Prozent Mitglied im VDT. 17,8 Pro-
zent sind sogar in beiden Verbänden Mitglied –
fast jeder Fünfte. Sind Tonleute besonders gut or-
ganisiert?
Jörg Elsner: Sie sind gut organisiert, aber dies sind
andere Filmschaffenden-Verbände auch und viel-
leicht sogar in ihrer Verbandsstruktur professio-
nalisierter. Die BVFT hat mit fast 400 durchaus
viele Mitglieder, aber im Gegensatz zu anderen
Verbänden arbeiten wir im Vorstand ausschließ-
lich unentgeltlich ehrenamtlich und somit in un-
serer Freizeit. Der [Schittverband, Red.] BFS dem-
gegenüber hat zum Beispiel eine hauptamtliche
Geschäftsführerin.
467 | 30. Januar 2020                                                           Umfrage Tonschnittplätze | 13

    Mit dem Verband Deutscher Tonmeister (VDT)        Kirsten Kunhardt: Das Ergebnis der Umfrage ha-
haben wir inhaltlich schon einige gemeinsame          ben wir bereits Redakteuren, Postproduktionsfir-
Themen, zum Teil aber auch andere Schwerpunk-         men und Produzentenverbänden zur Verfügung
te. Insbesondere Tonmeister, die am Set arbeiten,     gestellt. Unser Wunsch ist, in einer Allianz aus
und Mischtonmeister, die in der Postproduktion        Freiberuflern, Studios und Postproduktionshäu-
tätig sind, haben häufig eine Doppelmitglied-         sern einen Dialog zu beginnen mit Filmproduk-
schaft.                                               tionen und Rundfunkanstalten, um die Proble-
Kirsten Kunhardt: Wie unsere Umfrage zeigt, be-       matiken der Vergütung, der Tarifgagen und der
trifft das aber auch deutlich den Bereich Soundde-    Arbeitsprozesse zu erörtern. Wir müssen heraus
sign.                                                 aus der »Blackbox-Sounddesign« und auch raus
Welche Handlungsimpulse ziehen Sie aus der            aus der »Blackbox-Ton-Postproduktion«, denn
Umfrage?                                              auch hier haben sich Arbeitsprozesse mit Projekt-
    Jörg Elsner: Momentan lassen wir durch eine       management, Teambildung, Supervising, Quali-
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ermitteln, wie        tätssicherung et cetera etabliert, die Ressourcen
eine wirtschaftlich tragfähige Vergütung eines        (auch in Form von Personal) erfordern, die bud-
Tonschnittplatzes auszusehen hat. Hierzu haben        getär teils gar nicht mehr abgedeckt sind, sondern
wir Ende vorigen Jahres aus den Reihen unserer        irgendwie über andere existierende Positionen
Berufsvereinigung eine Expertenkommission ge-         querfinanziert werden müssen. Das wiederum er-
bildet, in der wir die erhobenen Daten bewertet       höht den Kostendruck, der ohnehin schon auf der
und ergänzt haben, um drei unterschiedliche Ka-       Ton-Postproduktion lastet noch mal zusätzlich.
tegorien von Tonschnittplätzen zu definieren, die        Wir sind auch der Einladung des BKM an die
jetzt von den Wirtschaftsprüfern bewertet werden.     Verbände nachgekommen, eine Stellungnahme
    Resultieren soll das dann in einer »Empfehlung    zur Novellierung des Filmfördergesetzes 2022 ein-
zur Vergütung von Tonschnittplätzen«, die dann        zureichen. Hier konzentrieren wir uns auf künst-
Sounddesigner*innen helfen kann, für anstehen-        lerische und vor allem soziale Aspekte. Wir weisen
de Verhandlungen einen soliden Tagessatz anzu-        auch hier auf den zunehmenden Sparzwang in
setzen, der aber auch ganz transparent für Post-      der Postproduktion hin, der zum großen Teil aus
produktionshäuser und Filmproduktionen als            der Tatsache resultiert, dass am Ende der Produk-
kalkulatorische Grundlage dienen kann.                tion der Etat schlicht verbraucht ist. Zur Verbesse-
    Dabei ist uns sehr wichtig, alle genannten Be-    rung der Situation würden wir neben der Förde-
teiligten partnerschaftlich mit ins Boot zu neh-      rung der Pre-Produktion und Produktion eine se-
men, denn Kalkulationen oder Geschäftsmodelle         parate Postproduktionsförderung sehr begrüßen.
die auf unwirtschaftliche Gegebenheiten bauen,        Gekoppelt mit einer wirksamen Prüfung, ob För-
erzeugen aus sich heraus einen sich selbst verstär-   dermittel auch wirklich bei den Filmschaffenden
kenden Abwärtstrend. Dieser kann aber nur ge-         ankommen.                                          c
meinsam aufgebrochen werden.
Sie wollen auch »zeitnah Rundfunkanstalten,           www.bvft.de
Filmproduktions- und Postproduktionsfirmen zur
Arbeit an einer gemeinsamen Lösung motivie-           Mehr zut Stellungnahme der BVFT zum Filmförderungsgesetz ab
ren.« Wie wollen Sie das erreichen?                   Seite 15.
Ta
   annhaus – B
             Business Apartments
                        a        in
 B
 Berlin Ta
         ag & N
              Nacht. Für Gute
                         G    Zeiten,
                               eiten
    Schlechte Zeiten. Und
                        d In Aller
Freundschaft
  e         , es bleibt alle
                           es Unter Unss.
        Und wann
            w    kommstt du?

           Mietbar ab 1 Mona
                           at
             ww
              ww.tannhaus.com
467 | 30. Januar 2020                                                                                             FFG 2022 | 15

»Der Filmsound ist 50 Prozent des Kinoerlebnisses«, meint George Lucas, der auf seiner Skywalker Ranch (oben) selbst am Klangerlebnis

tüftelte. Doch in der Förderung ist für die große Wirkung kaum etwas vorgesehen. Und als letztes Glied in der Produktionskette bleibt für die

Tonarbeit auch nur wenig übrig.

Stellungnahmen 8
2022 gibt’s ein neues Filmförderungsgesetz, Verbände und Initiativen haben ihre Verbesserungen
vorgeschlagen. Die Berufsvereinigung Filmton meldet sich für eine übersehene Filmkunst und faire
Bezahlung. Und die Deutsche Filmakademie fordert im zweiten Teil ihrer Stellungnahme einen
Neuanfang – und hat auch die soziale Frage für sich entdeckt.

Text Jan Fedesz

Foto: Skywalker Ranch
467 | 30. Januar 2020                                                              FFG 2022 | 16

Berufsvereinigung Filmton
Auch die Berufsvereinigung Filmton (BVFT) hat         der Regie und dem finanziellen Druck seitens der
sich zur Novellierung des Filmförderungsgesetzes      Produktion auszugleichen. In der Regel wird die
zu Wort gemeldet. In ihrer Stellungnahme kon-         gesamte Ton-Postproduktion an Subunterneh-
zentriert sie sich »auf künstlerische und vor allem   men (Postproduktionshäuser) übergeben, die
soziale Aspekte, die sich einander bedingen.« Der     sich mit den Mitbewerbern einen Preiskampf lie-
künstlerischen Aspekt heißt, erstmal klarzuma-        fern, um an Aufträge zu kommen, einen Preis-
chen, was die Tonspur alles für den Film leistet.     kampf, der dann oft in viel zu niedrigen Gagen
Das ist eine lange Aufzählung und mündet in dem       und zu wenig bezahlten Arbeitstagen für die Film-
einfachen Satz von George Lucas: »Der Film-           tonschaffenden mündet, die meist als Freelancer
sound ist 50 Prozent des Kinoerlebnisses.«            auf Rechnung arbeiten und teilweise monatelang
   Paradoxerweise machen die Kosten für diese 50      auf Begleichung ihrer Rechnungen warten müs-
Prozent Wirkung nur einen Bruchteil von dem aus,      sen. Aber auch die Postproduktionshäuser selbst
was auf die Bildherstellung verwendet wird, er-       stehen mit ihrer Infrastruktur und ihrem Personal
klärt die BVFT, die mehr als 400 Filmtonschaffen-     in der Regel unter diesem hohen Budgetdruck.«
de in Deutschland vertritt. Die Berufsvereinigung        Nicht unbedingt böser Wille, meint die BVFT:
betont die kreative und zeitintensive Leistung der    Meist sei der für die gesamte Filmproduktion
vielen spezialisierten Tongestalter*innen und         schlicht verbraucht, weil die Postproduktion nun
überhaupt den Stellenwert dieser Arbeit: »Die         mal zeitlich am Ende der Produktionskette liegt.
Ton-Postproduktion nimmt insbesondere bei der
Produktion von Kinofilmen einen erheblich grö-        Dramatisch sei die Situation dennoch – und spitze
ßeren und zeitlich längeren Teil ein als der Dreh.«   sich weiter zu: »Gagen und Honorare stehen unter
   Und diese Arbeit am Ende des gesamten Ent-         immensem Druck. Filmtonschaffende bewegen
stehungsprozesses dürfe nicht aus Mangel an           sich dadurch auf eine Altersarmut zu, wenn sie
Geld »stiefmütterlich« behandelt werden – sonst       nicht vorher an Überarbeitung erkranken oder in
verschenke der Film »enormes Potenzial.« Doch         einen anderen Berufszweig wechseln.« Wegen der
gerade in der Ton-Postproduktion herrsche zu-         Geldmangels bleibe die Ausbildung auf der Strek-
nehmender Sparzwang.                                  ke. »Die Folge wird auch in der Postproduktion,
   Damit ist die BVFT schon beim zweiten Aspekt,      und hier insbesondere bei den Geräuschema-
dem sozialen: »Es wird teilweise um halbe Ar-         chern, ein Fachkräftemangel sein, wenn nicht so-
beitstage gefeilscht, die in Anbetracht des Ge-       gar das Ende des Berufszweiges in Deutschland.«
samtbudgets eine verschwindend kleine Summe              Was tun? Da verweist die BVFT auf die neue
ausmachen. Es werden Geräuschaufnahmen,               Aufgabe der FFA seit 2017, »darauf hinzuwirken,
trotz lokaler Förderbindung, an das halb so teure     dass in der Filmwirtschaft eingesetztes Personal
osteuropäische Ausland vergeben. Sounddesi-           zu sozialverträglichen Bedingungen beschäftigt
gner und -Editoren arbeiten häufig mehr Tage, als     wird.« Leider fehle es an wirksamen Ansätzen. Die
sie bezahlt bekommen, in 14-Stunden-Schichten         BVFT schlägt ein »Drei-Säulen-Modell« vor: Pre
und oft auch an Wochenenden, um die Diskre-           Production (Drehbuchentwicklung und Vorberei-
panz aus Wünschen und Forderungen von Seiten          tung), Produktion (der Dreh mit allem zu Planen-
467 | 30. Januar 2020                                                            FFG 2022 | 17

den) und Postproduktion (Ton- und Bildbearbei-      kommen.« Die BVFT sieht eine »Rechenschafts-
tung) sollten über eigene Fördertöpfe verfügen,     pflicht der Filmproduzenten bis hin zu von diesen
die nicht von den jeweils anderen Bereichen in      beauftragten Unternehmen und Subunterneh-
Anspruch genommen werden können. Schließ-           men (Postproduktionshäuser) durch eine Offen-
lich forderten Produzenten und Drehbuchauto-        legung der Zahlungen an die Mitarbeiter« vor.
ren zurecht eine eigene Pre-Production-Filmför-     »Diese Zahlungen sollten von der FFA geprüft
derung, um hochqualitative Stoffe in genügender     werden und nicht nur auf freiwilligen Angaben
Zeit und finanzieller Ausstattung zu gewährlei-     beruhen.«
sten – das Gleiche müsse es auch für die Postpro-      »Denkbar« wäre sogar eine Meldestelle für
duktion geben, insbesondere für die Ton-Postpro-    Filmschaffende, »wo bei begründetem Verdacht
duktion, meint die BVFT.                            auf eine nicht der Fördersumme entsprechende
                                                    Ausgabe der Gelder die Beantragung einer Son-
Dabei müsse gewährleistet werden, dass die Mit-     derprüfung ermöglicht wird.«                    c
tel »auch wirklich bei den Filmschaffenden an-      https://tinyurl.com/t2ahd25
467 | 30. Januar 2020                                                              FFG 2022 | 18

Deutsche Filmakademie
Die Deutsche Filmakademie hatte schon früh             Beispielen deutscher Serienproduktion für die
Stellung zum anstehenden Filmförderungsge-             neuen Plattformen erkennen wir eine Chance
setz genommen. Im April 2019 hatte sie ein dü-         für das Kino, da diese Serien von der Kraft und
steres Bild der deutschen Filmlandschaft skiz-         dem Einfallsreichtum deutscher Filmemache-
ziert (cinearte 454). Das sollte aber noch nicht al-   rinnen und -macher im globalen Wettbewerb
les gewesen sein: ein zweiter Teil mit konkreten       um das Publikum zeugen.«
Vorschlägen sollte folgen, wenn die Diskussion            Kurz: Die Zuschauer*innen würden schon tol-
der Kinofilmverbände in der Spitzenorganisati-         le Kinofilme ansehen, die Filmemacher*innen
on der Filmwirtschaft (SPIO) gelaufen ist. Auch        könnten sie schon drehen. An beiden liegt es an-
die Deutsche Filmakademie gehört dem Dach-             scheinend nicht.
verband von 20 Interessen- und Berufsverbän-
den an. Darauf nimmt sie in ihrer Stellungnahme        »Und zur Wahrheit gehört auch, dass es an zu
allerdings wenig Rücksicht.                            wenig Geld in den Fördertöpfen nicht liegen
   Die Ausgangssituation, die die Filmakademie         kann, denn die sind gut gefüllt.« Dieser Satz
schildert, ist bekannt: Das Publikum, vor allem        stammt nicht von der Filmakademie, sondern
das Jüngere, zieht es immer weniger ins Kino           von der Kulturstaatsministerin (BKM) Monika
und erst recht nicht in deutsche Filme. Die Kon-       Grütters. Die hatte sich im vorigen Februar zum
kurrenz »durch die neuen Formen des ›Home-             Kinojahr 2018 geäußert »durchaus ein gewisses
Entertainments‹ verschärft den Abwärtstrend –          Missverhältnis zwischen Investition und Ertrag«
und ist selbst für Filmemacher attraktiver. Auf        gesehen.
der anderen Seite sinkt das Budget der Filmför-           Mit zarten Formulierungen hatte sie der Bran-
derungsanstalt (FFA) und wird noch weiter sin-         che gehörig den Kopf gewaschen. Schließlich
ken. Damit habe sie noch weniger Möglichkei-           habe sie die Produktionsförderung in den ver-
ten, »›die Struktur der deutschen Filmwirtschaft       gangenen drei Jahren fast verdreifacht. Mit den
und die kreativ-künstlerische Qualität des deut-       Fördermaßnahmen von BKM, DFFF, DFFF2 und
schen Films‹ nach den Vorstellungen der Film-          GMPF stünden mittlerweile jährlich rund 165
branche selber zu fördern.«                            Millionen Euro allein für die Produktionsförde-
   Kurz: »Der schleichenden finanziellen Krise         rung von Kinofilmen und High-End-Serien zur
der FFA entspricht in vielfältiger Weise auch eine     Verfügung. »Damit haben wir so viel Geld wie nie
inhaltliche Schwächung des Kinofilms.«                 zuvor in der öffentlichen Filmförderung – und
   Das muss nicht so sein! Die Deutsche Film-          damit ist Deutschland im internationalen Stand-
akademie glaubt ganz fest an das Kino, der Film        ortwettbewerb vorne mit dabei.«
sei »als genuine erzählerische Form noch lange            Lassen wir mal beiseite, dass Frankreichs CNC
nicht ›tot‹«. Andere Länder und hin und wieder         mehr als fünfmal so viel Geld verteilt (und im-
ein Erfolgsfilm aus heimischer Produktion              mer noch doppelt so viel wie alle deutschen För-
machten es ja vor.                                     dertöpfe zusammen; cinearte 464) – in der Sache
   Auch vor dem Streaming-Boom hat die Film-           hat Grütters ja recht. Und sie zog gleich Konse-
akademie keine Angst: »In den hervorragenden           quenzen und kündigte einen Runden Tisch an.
467 | 30. Januar 2020                                                               FFG 2022 | 19

»Gemeinsam mit Produzenten, Produktions-                 Förderung wirtschaftlich erfolgreicher Filme
dienstleistern, Filmverleihern und Kinobetrei-        wird im Referenzsystem des FFG an erreichten
bern möchte die Staatsministerin ausloten, wie        Zuschauerzahlen festgemacht, während die Er-
ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Aufwand          folge der kulturellen und künstlerischen Förde-
und Nutzen der Filmförderung erreicht werden          rung des Kinofilms an Teilnahmen und Erfolgen
könne«, erklärte eine Pressemitteilung der BKM.       auf Filmfestivals »gemessen« werden, erklärt die
   Das klingt nach den üblichen Verdächtigen,         Filmakademie. Neben dieser automatischen
die auch bisher über Erfolg und Qualität des          Förderung gibt es die selektive Förderung durch
Deutschen Films beschlossen haben, und nicht          eine Vergabekommission. Und hier »durchkreu-
nach einem »strukturellen und kreativ-künstleri-      zen sich die unterschiedlichsten Zielsetzungen
schen Neuanfang«, wie ihn die Deutsche Film-          und Erfolgskriterien und führen letztendlich zu
akademie in ihrer neuen Stellungnahme an-             einer ›nivellierten Förderung‹, die in großen Tei-
mahnt. Doch es scheint, als höre die Ministerin       len auch einen ›nivellierten Film‹ hervorbringt.
genauer hin. Inzwischen haben bereits mehrere         Dieser ›nivellierte‹ deutsche Film ist auf die Fi-
Runde Tische stattgefunden. Die Gesprächskrei-        nanzierung durch alle beteiligten Finanzie-
se sind zwar nicht öffentlich, doch wurden auch       rungsformen angewiesen und muss es damit
Verbände und Organisationen BKM eingeladen,           letztlich schon ab der Projektentwicklung allen
die nicht in den Gremien der FFA oder der SPIO        recht machen.«
vertreten sind.                                          Das konnte einigermaßen funktionieren, so-
                                                      lange der Kinofilm die »Vorherrschaft« hatte,
Es bleiben nicht mehr viele, denen man nun            doch diese Zeiten sind vorbei. »Spätestens jetzt
noch die Schuld an der Misere geben könnte.           muss allen Beteiligten klar werden, dass die jahr-
Doch so einfach macht es sich die Filmakademie        zehntelange Politik des mehr oder weniger ›Im-
nicht. Denn so einfach ist das Problem nicht – es     mer-weiter-so‹ gescheitert ist.« Es brauche »eine
liegt bereits im System: »Die deutschen Filmför-      klarere Ausrichtung der unterschiedlichen Ziel-
derungen in ihrer föderalen Aufstellung und ih-       setzungen und die Entmischung der Interes-
ren unterschiedlichen, sich teilweise widerspre-      sensvielfalt im einzelnen Projekt«. Das könne
chenden Zielsetzungen vermischen eine Wirt-           nur über deutlichere Erfolgskriterien und poin-
schaftsförderung und eine Kunst- und                  tiertere Entscheidungen auf allen Förderebenen
Kulturförderung. In dieser Förder-/Marktwirt-         gelingen.
schaft ist das höchste Ziel die Befriedigung aller
Markteilnehmer und der verschiedenen Film-            Zwei Ziele müsste »jede gegenwärtige Filmför-
richtungen auf einem weitestgehend ausgegli-          derung in Zeiten der verstärkten Konkurrenz ver-
chenen Niveau.«                                       folgen«, sie würden aber verschleppt oder gar
   Kurz: Die deutsche Filmförderung ist in zwei-      verpasst:
erlei Hinsicht zerrissen – zersplittert in zahlrei-      1. Die Steigerung des Zuschauerzuspruchs für
che Fördertöpfe des Bundes und der Länder, und        deutsche Filme jeglichen Genres und jeglicher
uneins in dem, was sie eigentlich fördern will. So    Ausrichtung: dazu müssten die Stoffe und die Fil-
werkelt jedes vor sich hin und verteilt nur, was es   me vom Publikum aber als für sie relevant er-
noch zu verteilen gibt …                              kannt werden können. Relevanz entscheidet sich
467 | 30. Januar 2020                                                              FFG 2022 | 20

bereits bei der Auswahl und Entwicklung der Stof-        Mit 2 Millionen davon sollten bereits die er-
fe; Relevanz braucht die Verpflichtung der besten     sten Schritte unterstützt werden: Die bisherige
Kreativen und es wird angesichts der gut ausgestat-   Drehbuchförderung soll eine Projektentwick-
teten Konkurrenz auch nicht ohne entsprechend         lungsförderung umgewandelt werden, ihr Bud-
gut aufgestellte Herstellungs- und Herausbrin-        get wäre dann mit 3,3 Millionen Euro mehr als
gungsbudgets gehen.                                   doppelt so hoch werden.
    2. die Stärkung moderner kuratorischer und           Die Förderung müsse deutlicher zwischen
technischer Instrumente der Kinos im Rahmen           »publikumsaffinen« und »kulturell innovativen«
ihrer Publikumsansprache. Die Kinos müssen in         Filmen unterscheiden. Bislang war das Verhält-
die Lage versetzt werden, dem Publikum gegen die      nis zwischen Referenz- und Projektmitteln 44:56,
Konkurrenz des »Alles-Immer-An jedem Ort« ein         zur Zeit werde es auf 60:40 Prozent geändert. Das
erkennbares einzigartigen Erlebnisversprechen         heißt (nach dem Stand 2018), dass die Referenz-
abgeben zu können – und dies mittels der gegen-       förderung um 7,2 auf 19,2 Millionen steigt, die
wärtigen Kommunikationswege. Dazu gehört              Projektfilmförderung um 2,2 auf 12,8 Millionen
auch die technische und vor allem haptische Aus-      Euro sinkt.
stattung der Kinos, die auch als Ort für das Publi-
kum attraktiv sein müssen.                            Projektfilmförderung soll es nur noch geben,
    Statt einer klugen inhaltlichen, die Bereiche     wenn noch vorhandene Referenzmittel der Pro-
»Zuschauerfilm« und »innovativer Film« ent-           duktionsfirma zum Zeitpunkt der Antragsstel-
schieden in das Zentrum der Novelle stellenden        lung weniger als 15 Prozent des Budgets betra-
Initiative, führt die FFA im Einklang mit den an-     gen. Sequels sollten nur noch mit Hilfe der Refe-
deren Förderungen eine Form der Klientelwirt-         renzförderung gefördert werden. Filmen, die von
schaft fort, die das FFG und die FFA schon bald       der FFA und durch die kulturelle Filmförderung
nach ihrer Gründung angefangen hat zu prägen.         der BKM gefördert werden, sollen auch eine hö-
                                                      here automatische Zuwendungen des DFFF er-
Wohin das geführt hat, führt die Filmakademie in      halten: 35 statt der üblichen 20 Prozent des Bud-
einem eigenen Kapitel aus (siehe Seite 23). Mehr      gets. Die Leitlinien der FFA für die Förderkom-
Geld von der Branche, »schlankere« Entschei-          mission sollen nur noch für die Mindesthöhe des
dungsabläufe und mehr Mut zum Risiko in der           Budgets. gelten.
Förderpraxis brauche eine »neue FFA«. Damit              Auch die Berufung dieser Kommissionen solle
nimmt sie das Selbstverständnis der Filmförde-        überdacht werden. Sie solle über ein ausgewoge-
rungsanstalt beim Wort, sich allein durch Abga-       nes Verhältnis von Herstellern (inkusive Urhe-
ben der Branche selbst zu finanzieren. Rund 50        bern) und Auswertern verfügen und nicht die
Millionen Euro waren das 2018, um 30 Prozent          Struktur des Verwaltungsrats in den Gremien ab-
müsse das erhöht werden, um der FFA wieder an         bilden, meint die Deutsche Filmakademie. »Ziel
die Spitze des deutschen Fördersystems zu brin-       muss sein, eine kontinuierliche, nachvollziehba-
gen, meint die Deutsch Filmakademie – und zwar        re und diskutierbare Spruchpraxis des Gremi-
»aus eigener Kraft«. Mit diesen 15 Millionen Euro     ums zu erreichen.«
käme die FFA wieder auf das Niveau früherer Jah-         Das Risiko zwischen Verleih und Produktion
re – 61,42 Millionen Euro verteilte sie 2018.         soll gerechter verteilt werden, so dass Produ-
467 | 30. Januar 2020                                                               FFG 2022 | 21

zent*innen und Kreative »von Anfang an am Er-         gungsverhältnissen, »die genau gerechnet weit
folg der Filme partizipieren« können, so die          unter dem Mindestlohn liegen«, rechnet die
Filmakademie. »Erst in einer solchen Recoup-          Deutsche Filmakademie vor: Ein Dokumentar-
ment-Struktur wird es in Zukunft möglich sein,        film mit einem Budget von 500.000 Euro erlaube
privates Kapital in größerem Umfang für die Pro-      maximal 20.000 Euro Regiegage und 25.000 Euro
duktion deutscher Kinofilme akquirieren zu            Produzent*innenhonorar. »Dies ist für die mehr-
können.«                                              jährige Arbeit an einem 90-Minuten-Film nicht
                                                      angemessen.«
Die Sperrfristen für Spielfilme sollen wieder ein-         36 Mitglieder hat der Verwaltungsrat der FFA,
heitlich werden. Bislang gelte sechs Monate, ehe      damit ja alle Interessengruppen vertreten sind.
ein Film nach seinem Kinostart auf Bildträger         Ein Drittel weniger und eine gemeinsame Beset-
oder als Stream erscheinen darf, in »Ausnahme-        zung einzelner Posten in Verwaltungsrat und
fällen« kann das auf herunter bis zu 4 Monate         Präsidium »durch verschiedene Gruppierungen
verkürzt werden. Die Filmakademie will diese          zusammen würde den ›Lobbydiskurs‹, der die
kürzere Frist für alle – ohne Ausnahme, »um an-       Arbeit vieler Mitglieder in diesem Gremium
gesichts der kommenden Marktverschiebungen            prägt, reduzieren und die branchenübergreifen-
innerhalb der nächsten FFG-Periode flexibel rea-      de Kommunikation über den notwendigen Kurs
gieren zu können«.                                    der FFA stärken«, glaubt die Filmakademie. Ko-
   Für Dokumentarfilme sollen die Sperrfristen        sten würde es außerdem sparen.
fürs Home-Entertainment gar ganz gestrichen               Auch Diversität und Nachhaltigkeit will die
und Verleih und Produktion überlassen werden.         Deutsche Filmakademie in die Präambel des
Fürs Bezahlfernsehen sollen sie auf 4 Monate          Filmfördergesetzes aufgenommen haben, meint
(bislang 12, als Ausnahme 6 Monate), fürs Free-       mit letzterem aber lediglich das »Grüne Drehen«.
TV auf 12 Monate (bislang 18, als Ausnahme 6          Doch auch die Arbeitsbedingungen hat sie in-
Monate) verkürzt werden – oder sogar ebenfalls        zwischen auf dem Radar – in der Stellungnahme
auf 4 Monate, sofern es keine Pay-TV-Auswer-          zum FFG 2017 fehlte dieser Aspekt noch. Ins FFG
tung gibt. Und auf Antrag könne sogar das »in-        hatte er trotzdem gefunden, nun erinnert die
klusive Mediathek« weiter abgesenkt werden,           Filmakademie an diese Verpflichtung: »Die Ge-
»wenn die finanzielle Beteiligung des Senders         staltung sozialverträglicher Arbeitsbedingungen
bei mindestens 40 Prozent liegt, ein aktueller An-    ist eines der wichtigsten Zukunftsthemen für un-
lass gegeben ist und ein gemeinsames innovati-        sere Branche, die bereits unter Fachkräftemangel
ves Auswertungskonzept von Verleih, Produktion        leidet. Hierzu zählt neben einer angemessenen
und Sender vorliegt.«                                 Bezahlung auch das Schaffen von familien-
   Nach den aktuellen Richtlinien werden bei          freundlichen Arbeitsbedingungen, denn nur un-
Mehrfachbeschäftigung die veranschlagten Ga-          ter Schaffung und Einhaltung neuer Standards
gen um 20 Prozent gekürzt, falls ein*e Regis-         wird die Branche bei der nachrückenden Gene-
seur*in gleichzeitig als Produzent*in fungiert, ist   ration (männlich und weiblich) langfristig als Ar-
die Regiegage auf 4 Prozent des Budgets gedek-        beitgeber attraktiv bleiben.«                   c
kelt. Betroffen sind davon insbesondere Doku-
mentarfilmer*innen. Das führe zu Beschäfti-           https://tinyurl.com/yyf8r59o
%%%          %
%

                               2nd
                                nd
                                   AD
                                   AD W
                                      WORKSHOP
                                        O R K SH O P
                                              given by

                                     the international working

                                        2nd
                                         nd
                                            AD
                                            AD OANA
                                               OANA ENE
                                                    ENE
%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%$##"!   "      "$

“The workshop will focus on the requirements, duties and responsibilities of the 2nddA
                                                                                     AD.
     Detailed and comprehensive presentation on how to become a successful 2nddA
                                                                               AD,
                            reaching high performance standards.“

                              DATES
                              DATES                 MARCH 07th + 08th 2020
                              LOCATION
                              LOCATION              BERLIN
                              LANGUAGE
                              LANGUAGE              ENGLISH
                              FEE
                              FEE                    ADU MEMBERS 200
                                                     NON-MEM
                                                           MBERS 250
                                                     The fee is ta
                                                                 ax deductible.

                              PARTICIPANTS
                              PARTICIPANTS           MAX. 20
                              REQUIREMENTS LAPTOP, O
                              REQUIREMENTS         OFFICE

    REGISTRATION
    REGISTRATION FOR  FOR AADU
                             DU MEMBERS
                                MEMBERS
    is exclusively reserved from January 15th to February 12th 2020.

    REGISTRATION
    REGISTRATION OPENSOPENS FOR
                            FOR NON-MEMBERS,
                                 NON-MEMBERS,
    1.
    1. A
       ALL and
           and other
               other INTERESTED
                     INTERESTED PARTIES
                                 PARTIES
    from February 13th to March 5th 2020.

    REGISTRATION
    REGISTRATION FORM,
                 FORM, TERMS
                       TERMS A
                             AND
                               ND CONDITIONS A
                                  CONDITIONS ATTACHED.

    FOR QUESTION
        QUESTIONS p
                  please contact Anmeldung@ad
                                         g   -unio
                                                 on.org
467 | 30. Januar 2020                                                                                   Förderfilmland | 23

Wie kommt das Kino aus der Krise? Die Deutsche Filmakademie fordert einen völligen Neustart der Filmförderung – und spricht aus, wo es

überall im System hängt.

Immer nur weiter so
Damit der Deutsche Kinofilm aus seiner Krise komme, brauche es einen »strukturellen und
kreativ-künstlerischen Neuanfang«. Doch stattdessen bleiben viele Branchenteilnehmer in ihrer
jeweiligen Nische. Eine harsche Zustandsbeschreibung aus Sicht der Deutschen Filmakademie.

Foto: Wikipedia, Mattbr CC BY 2.0
467 | 30. Januar 2020                                                                      Förderfilmland | 24

An den Filmhochschulen wurde die Leidenschaft
für die kollektive Kraft des Kinos schon lange er-
setzt durch die Ausbildung des individuellen
Ausdrucks der je eigenen Befindlichkeit. Der De-
bütfilm ist bis auf wenige Ausnahmen innovati-
onslos.

                                                                   Viele etablierte Kreative und Produktionsfirmen
                                                                   wandern vom Kino, in dem sie ihre ersten Schrit-
                                                                   te machen konnten, dorthin, wo ihre Geschich-
                                                                   ten gewollt, gesehen und gut bezahlt werden.
                                                                   Neben den neuen inhaltlichen und ästhetischen
                                                                   Herausforderungen locken diese neuen Player
                                                                   mit schnelleren Entscheidungen, schnellerer Fi-
                                                                   nanzierung und besserer Bezahlung der Stoff-
                                                                   entwicklung von der Idee an.

Die Verleihwirtschaft verweist gerne auf das
hohe Risiko, das sie nach wie vor eingeht, hat
aber vergessen, dass die Möglichkeit dazu auch
durch die seit Jahrzehnten gesetzlich festgeleg-
ten »Terms of Trade« zu Gunsten der Verleiher
und zu Ungunsten der Produzentenschaft ge-
schaffen wurde – nun, da die Zeiten schwieriger
geworden sind, wird auch von den Verleihern
mehr staatliche Förderung verlangt.

                                                                   Die Kinos selber verschanzen sich in einem Ge-
                                                                   schäftsmodell, welches mit ihren an den Publi-
                                                                   kumswünschen vorbeigehenden Angeboten,
                                                                   Programmierungen und Auswertungskaskaden
                                                                   nun schon seit zehn Jahren stagniert – beschützt
                                                                   von den Sperrfristen des FFG. Letztlich verspielt
                                                                   das Kino derzeit seine lang gehaltene Führungs-
                                                                   rolle als der kompetenteste, am besten unterhal-
                                                                   tende und kulturell relevanteste Ort für Film.
Fotos: Robert Pupeter, HFF München | Wikipedia CC BY 3.0 | Paramount | Kommunales Kino Pforzheim
467 | 30. Januar 2020                                                       Förderfilmland | 25

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen, jahrzehn-
telang treuer Verbündeter des Kinofilms, welches
durch Koproduktionen, inhaltliche Freiheiten
und eine Vielfalt von Verbreitungs- und Diskussi-
onsangeboten für Akzeptanz des Kinofilms in ei-
ner breiteren Öffentlichkeit gesorgt hat, wendet
sich immer mehr vom Kinofilm ab und betreibt
die eigene Umstrukturierung zur digitalen Platt-
form, inzwischen sogar schon im Vertrieb über
privatwirtschaftlich aufgestellte Plattformen, wie
Youtube.                                             auch noch den Aufbau eines VoD-Marktes für
   Dieses öffentlich-rechtliche Gratis-VoD-An-       deutsche Produzentinnen und Produzenten ver-
gebot wird, wenn es unter den derzeit vorherr-       hindern, wie dies schon einmal vor 30 Jahren im
schenden Lizenzbedingungen verwirklicht wird,        entstehenden Pay-TV-Markt passiert ist.

Der Rückzug des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus der dokumentarischen Kinoproduktion und
die zunehmende Formatierung dokumentarischer Programme trifft den kreativen Dokumentarfilm
besonders hart. Der kreative, unformatierte Dokumentarfilm ist daher mehr denn je auf kulturelle
Filmförderung angewiesen und bräuchte eigentlich die Freiheit, seine Zuschauer in einem insgesamt
kürzer werdenden Zeitfenster über verschiedene Auswertungsformen zu finden. So wird der doku-
mentarische Film immer mehr über öffentliche Kinofilmförderung finanziert, kann aber seine Zu-
schauer über einen klassischen Kino- Flächenstart kaum noch erreichen. Und das, obwohl deutsche
Dokumentarfilme zugleich international auf Festivals und bei Preisen so erfolgreich sind wie nie zu-
vor.

                                                     Und die neuen Player, die US-amerikanischen
                                                     Streaming-Plattformen, kehren angesichts der
                                                     sich verschärfenden Konkurrenz untereinander
                                                     zu Auftragsproduktionsstrukturen zurück, die
                                                     »den kurzen Sommer der Freiheiten und Mög-
                                                     lichkeiten« für Kreative und Produktionsfirmen
                                                     zu beenden droht.

Fotos: NDR | Apple
Sie können auch lesen