DIPLOMARBEIT MAGISTRA DER PHARMAZIE - Pharmakotherapie der Adipositas Yasemin Celebi

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DIPLOMARBEIT MAGISTRA DER PHARMAZIE - Pharmakotherapie der Adipositas Yasemin Celebi
DIPLOMARBEIT

zur Erlangung des akademischen Grades einer

 MAGISTRA DER PHARMAZIE

 an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der

 Karl-Franzens-Universität Graz

Pharmakotherapie der Adipositas
 vorgelegt von

 Yasemin Celebi

 Graz, Jänner 2023
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DANKSAGUNG

Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich bei meiner Betreuerin Mag. Dr.
rer. nat. Gabriele Schoiswohl für die Übernahme der Betreuung meiner
 Diplomarbeit und ihre wertvollen Verbesserungsvorschläge bedanken.

 Mein großer Dank gilt meiner liebevollen Familie, die mich bei der
 Anfertigung dieser Arbeit und während meines Studiums geduldig
 motiviert haben. Vielen Dank für ihre emotionelle und finanzielle
 Unterstützung.
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KURZFASSUNG

Die weltweit zunehmende Prävalenz von Adipositas, die als chronische
Stoffwechselerkrankung mit assoziierten Folgeerkrankungen anerkannt ist, erhöht
die Notwendigkeit von präventiven und wirksamen Therapien.

Das Basisprogramm zur Behandlung von Adipositas, welches sich aus einer mit der
Ernährungsumstellung und Bewegungstherapie zusammensetzt, ist bei der
Gewichtsreduktion oft nicht ausreichend und zeigt in den meisten Fällen einen
kurzfristigen Erfolg.

Eine medikamentöse Behandlung von Adipositas kann diesen Maßnahmen
unterstützen. Das Ziel der Pharmakotherapie ist die langfristige Reduktion des
Körpergewichtes und Verbesserung der Adipositas-assoziierten Folgeerkrankungen.
Aufgrund der möglichen unerwünschten oder teilweise noch unbekannten
Nebenwirkungen wird die medikamentöse Therapie jedoch nur kurzfristig eingesetzt.
Aufgrund dieser limitierten pharmazeutischen Behandlungsmöglichkeiten ist
Untersuchung der pathophysiologischen Grundlagen der Adipositas unumgänglich,
um neue Wirkstoffe mit verbesserter Verträglichkeit und Wirksamkeit entwickeln zu
können.

In dieser Diplomarbeit werden der Lipidstoffwechsel und die Regulation des Appetits,
welche bei der Entstehung von Adipositas eine wichtige Rolle spielt, beschrieben. Des
Weiteren beschäftigen sich diese Arbeit mit unterschiedlichen Behandlungsansätzen
sowie zugelassene Medikamente und deren Wirkungsmechanismen für die Therapie
von Adipositas. Abschließend werden neu-entwickelte anti-adipöse Wirkstoffe
beschrieben, welche sich noch in klinischen Studien befinden.
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ABSTRACT

The increasing prevalence of obesity, which is recognized as a chronic metabolic
disease with associated consequential health disorders, highlights the importance of
preventive and effective therapies.

The basic program for the treatment of obesity, which incorporates a dietary change
and exercise therapy, is often not sufficient for weight loss and usually only shows
short-term success. Thus, a medication-based treatment of obesity can be used as a
support in conjunction with the basic program. The aim of pharmacotherapy is the
long-term weight reduction and improvement of obesity-associated secondary
diseases. However, due to the possible unwanted or partially unknown side effects,
drug therapy is only used in the short-term. Given the limited options for
pharmaceutical treatment, investigating the pathophysiological basis of obesity is
unavoidable in order to develop new drugs with improved tolerability and efficacy.

This diploma thesis describes the lipid metabolism and the regulation of appetite,
which play an important role in the development of obesity. Furthermore, this thesis
deals with different treatment approaches as well as approved medications and their
mechanisms of action for the therapy of obesity. Lastly, newly developed anti-obesity
substances are described, which are still in clinical trials.
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Inhaltsverzeichnis
1. Das Fettgewebe und seine Funktion 7

 1.1 Energie- und Fettaufnahme 13

2. Adipositas 17

 2.1 Klassifikation der Adipositas 18

 2.2 Ursachen 19

3. Appetitregulation im Hypothalamus 19

 3.1 Die Kurz- und Langzeitregulation des Appetits 22

 3.1.1 Kurzzeitregulation der Nahrungsaufnahme 22

 3.1.2 Ghrelin 22

 3.1.3 Peptid YY 22

 3.1.4 Glucagon-like-Peptid-1 23

 3.1.5 Glucose als Signal für Sättigung 23

 3.2 Langzeitregulation der Nahrungsaufnahme 24

 3.2.1 Leptin 24

 3.3 Orexigene und Anorexigene Neuropeptide 25

 3.3.1 Neuropeptid Y 26

 3.3.2 Agouti-related-Peptid 26

 3.3.3 Melanin-konzentrierendes Hormon 26

 3.3.4 Orexin A / B 27

 3.3.5 Das Peptid Galanin 27

 3.3.6 Proopiomelanocortin und α-Melanozyten-stimulierendes Hormon 28

 3.3.7 Serotonin 29

4. Medikamentöse Therapie: Antiadiposita 31

 4.1 Entkoppler der Atmungskette 32

 4.2 Indirekte Sympathomimetika 33

 4.3 Cannabinoid-Rezeptor-1-Antagonist-Rimonabant 33
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4.4 Lipasehemmer 35

 4.5 Serotonin Agonist 36

 4.6 Sympathomimetika / Antikonvulsiva 36

 4.7 Opioid Rezeptor Antagonist / Dopamin und Noradrenalin Wiederaufnahme-Hemmer 37

 4.8 GLP-1-Rezeptoragonisten 39

 4.8.1 Liraglutid 39

 4.8.2 Semaglutid 40

5. Neue medikamentöse Entwicklungen in der Adipositastherapie 40

 5.1 Leptin-Sensitizer 40

 5.1.1 Der Wirkstoff Celastrol 41

 5.1.2 Der Wirkstoff Withaferin A 42

 5.2 Ghrelin 43

 5.2.1 Der Ghrelin-Antikörper 43

 5.2.2 Das Anti-Ghrelin Spiegelmer Nox-B11 43

 5.3 Y2-Rezeptoragonisten 44

 5.4 Melanocortin-4-Rezeptor Agonist 44

6. Zusammenfassung 45

7. Abkürzungsverzeichnis 47

8. Abbildungsverzeichnis 49

9. Tabellenverzeichnis 50

10. Literaturverzeichnis 51
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1. Das Fettgewebe und seine Funktion
Das Fettgewebe ist ein metabolisch aktives Gewebe, welches reife Adipozyten
(Fettzellen), Vorläuferzellen der Adipozyten (Prä-Adipozyten), Blutgefäße,
Nervenzellen und Immunzellen wie Makrophagen beinhaltet. [1] Es gibt zwei Arten
von Fettgewebe, die aus braunen und weißen Adipozyten bestehen. Das
Fettgewebe erfüllen viele wichtige Funktionen im menschlichen Körper wie
Energiespeicherung und Energiebereitstellung, mechanischer Schutz,
Wärmeisolation, endokrine Aktivität, Thermogenese und Speicherung von
fettlöslichen Vitaminen (A, D, E und K). [2]

Abbildung 1: Braunen, beigen und weißen Adipozyten; Braune und Beige Adipozyten
besitzen einen Kern (blau), viele Mitochondrien (rot) und kleine Lipidtröpfchen
(gelblichbraun). Weiße Adipozyten haben ein großer Lipidtropfen, der die gesamte Zelle
ausfüllt und somit die wenige Mitochondrien und den Kern an die Peripherie dräng. aus [3]

Das weiße Fettgewebe wird in subkutanes und viszerales Fettgewebe unterteilt. Das
subkutane Fettgewebe liegt in der Subkutis und wird auch als Unterhautfettgewebe
bezeichnet. [4] Es ist unter anderem für die Wärmeisolation verantwortlich. Die
Fettverteilung des subkutanen Fettgewebes ist geschlechtsabhängig. [5] Es befindet
sich bei Frauen vor allem an der Brust sowie im Bereich des Gesäßes. Bei Männern
kommt es am Bauch und im Nacken vor. Das viszerale Fettgewebe befindet sich
hauptsächlich in der Bauchhöhle und wird auch als intraabdominales Fettgewebe
bezeichnet. Es bietet einen mechanischen Schutz, indem es die innere Organe
umschließt. Im Gegensatz zu subkutanem Fett kann übermäßiges viszerale Fett das
Risiko für verschiedene Krankheiten wie Herzerkrankungen, Bluthochdruck und
Diabetes mellitus Typ 2 erhöhen. [6]

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Weiße Adipozyten sind hauptsächlich für die Speicherung von Lipiden in Form von
Triglyceriden und deren Abbau bei erhöhtem Energie Bedarf verantwortlich. [7]Sie
besitzen einen großen Lipidtropfen (Univakuoläre Adipozyten) [Abb. 1], indem unter
anderem Triglyceride, Diglyceride und Cholesterinester gespeichert werden. Der
Lipidtropfen ist mit einem Monolayer aus Phospholipiden vom Zytoplasma begrenzt.
An diese Phospholipide sind Proteine aus der PAT-Familie wie Perilipin und
Adipophilin assoziiert. Das Intermediärfilament Vimentin stabilisiert die Form des
Lipidtropfen. [8] Die gespeicherten Lipide im Fettgewebe können aus der Nahrung
stammen oder werden selbst in den Adipozyten synthetisiert. Triglyceride sind
chemisch gesehen ein Ester, der aus einem Molekül Glycerin und drei gesättigten
oder ungesättigten Fettsäuren aufgebaut ist.

Biosynthese (Lipogenese) und Speicherung von Triglyceriden sind stark regulierte
Stoffwechselvorgänge, die unter anderem durch das Hormon Insulin reguliert
werden. [9] [Abb. 2] Die Aktivierung des Insulin-Rezeptors mit Insulin stimuliert die
PIK3-Aktivät, wodurch der Glucose-Transporter (GLUT4-Transporter) vom
Zytoplasma zur Plasmamembran transloziert und somit Glukose aufgenommen
werden kann. [10] Die aufgenommene Glucose wird in der Glykolyse, welche im
Zytosol stattfindet, verstoffwechselt und durchläuft mehrere Prozessierungsschritte
mit den wichtigen Stoffwechselzwischenprodukten Dihydroxyaceton-Phosphat
(DHAP) und Glycerinaldehyd-3-Phosphat (GAP). DHAP wird zu GAP isomerisiert,
welches die Glykolyse weiter durchläuft und letztendlich zu Pyruvat verstoffwechselt
wird. Zusätzlich kann das entstandene DHAP für die Synthese von Glyzerol-3-
Phosphat (G-3-P) verwendet werden, welches in den Adipozyten essenziell für die
Lipogenese ist. Das entstandene Pyruvat wird anschließend in den Mitochondrien
durch die oxidative Decarboxylierung zu Acetyl-CoA umgewandelt, welches in den
Citratzyklus eingeschleust wird und Citrat entsteht. Das Citrat wird in das Zytosol
transportiert, welches dort mithilfe der ATP-Citrat Lyase wieder zu Acetyl-CoA
umgewandelt wird. Das Acetyl-CoA ist das Ausgangsgerüst für die de novo
Synthese von Fettsäuren. Hierbei wird Acetyl-CoA zu Malonyl-CoA und
anschließend zur Fettsäure Palmitate konvertiert. Palmitat stellt somit die erste und
einfachste neu synthetisierte Fettsäure in der de novo Lipogenese dar. Anschließend
unterläuft Palmitat diverse Prozessierungsvorgänge zur Synthese von
unterschiedlich langen und komplexen Fettsäuren. [11] Die neu gebildeten
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Fettsäuren werden zu Acyl-CoA aktiviert und mit dem ebenfalls neu gebildetem G-3-
P verestert, um Triglyceride zu bilden. Der erste und limitierende Schritt in der
Triglycerid-Synthese ist die Bildung von Lysophosphatidsäure (LPA) durch die
Veresterung der ersten Hydroxylgruppe des G-3-P Rückgrates mit Acyl-CoA LPA
wird anschließend mit einem weiteren Acyl-CoA zu Phosphatidsäure (PA) acyliert.
Über einen Zwischenschritt wird PA dephosphoryliert, wodurch ein Diglycerid
entsteht. Der letzte Schritt der Triglycerid-Synthese ist die erneute Veresterung des
letzten Kohlenstoffes des G-3-P mit einem Acyl-CoA. [12]

Zusätzlich zu den de novo synthetisierten Fettsäuren werden auch Fettsäuren aus
der Nahrung für die Triglycerid Synthese herangezogen. Diese freien Fettsäuren
werden im Blutplasma an Albumin gebunden und transportiert. Über spezifische
Fettsäure Transporter werden diese in die Adipozyten aufgenommen und
transportiert, zu Acyl-CoA aktiviert und mit G-3-P verestert (siehe oben). Ebenso
werden auch Fettsäuren von Triglyceriden aus der Nahrung für die Triglycerid-
Synthese verwendet. Die Triglyceride aus der Nahrung werden als Bestandteil
Chylomikronen im Blut transportiert. Die Adipozyten-membranständige
Lipoproteinlipase hydrolysiert die Triglyceride der Chylomikronen und die dabei
entstehenden freien Fettsäuren werden von den Fettsäure Transportern
aufgenommen und anschließend für die nachstehende Synthese aktiviert. [13]

 9
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Abbildung 2: Lipogenese und Lipolyse in Adipozyten: Lipoproteine Chylomikronen und
VLDL werden durch Lipoproteinlipase hydrolysiert und die freien Fettsäuren gelangen in die
Adipozyten. Diese werden in mehreren Schritten in Speicherform (Triglyceride)
umgewandelt. Der Abbau von Triglyceriden wird durch Insulin und Catecholamine wie
Adrenalin und Noradrenalin reguliert. Durch hormonsensitive Lipasen werden sie wieder in
freie Fettsäuren und Glycerin abgebaut; aus [14]

Bei Energiebedarf können die gespeicherten Triglyceride wieder mobilisiert werden.
Diesen Vorgang nennt man Lipolyse (Abbau von Triglyceriden). [15]Dabei wirkt das
Hormon Noradrenalin lipolytisch und das Hormon Insulin anti-lipolytisch. [16]
Die Adipozyten besitzen β3-Adrenorezeptoren und durch Noradrenalin wird die
Lipolyse aktiviert. Die G-Protein-gekoppelten β-Rezeptoren aktivieren
die Adenylatcyclase und über Proteinkinase A werden die Lipasen aktiviert. Die
gespeicherten Triglyceride durch die Adipocyten-Triglyceridlipase, die
hormonsensitive Lipase und die Monoglyceridlipase in Fettsäuren und Glycerin
hydrolytisch gespalten. Die Fettsäuren werden von den Adipozyten freigesetzt und
gelangen über das Blut zu unterschiedlichen Organen, wie Herz, Muskel, Leber, wo
sie je nach Bedarf für Synthese herangezogen werden. Das Glycerin aus der
Lipolyse wird in der Leber für die Neusynthese von Glucose (Gluconeogenese)
verwendet. [17][Abb. 2]

 10
Das braune Fettgewebe ist ein plurivakuoläres Fettgewebe. [18]Das braune
Fettgewebe macht bei Neugeborenen etwa 5 % des Körpergewichtes aus. Bis zum
Erwachsenenalter kommt es zur Abnahme der braunen Fettmasse. Sie befindet sich
nur noch um die Arterien, im Brustkorb, am Hals, im Nacken, an den Nieren und
unter den Achseln. [19] Die braunen Adipozyten besitzen mehrere kleine
Lipidtropfen und Mitochondrien. Diese typische Zellfarbe der Adipoztyen (gelb-
bräunlich) ist von der Mitochondrienzahl abhängig. [Abb. 1] Die Hauptaufgabe der
braunen Adipozyten ist die Produktion von Wärme, die sogenannte Thermogenese.
[20] Mit der Energie aus der Atmungskette wird durch das Protein Thermogenin
Wärme produziert. Das Membranprotein Thermogenin wird auch uncoupling protein
1 (UCP-1) bezeichnet. Hier dient es als Entkoppler. [21] Außer den weißen und
braunen Adipozyten existiert noch eine weitere Form von Adipozyten. Sie werden
beige oder brite Adipozyten (aus „brown“ und „white“) benannt. Beige Adipozyten
entstehen bei Kältereiz aus weißen Adipozyten. Diese Adipozyten sind wie braunen
Adipozyten multivakuolär und mitochondrienreich aber in das weiße Fettgewebe
eingestreut. [Abb.1] Sie besitzen auch UCP-1 und können somit Wärme
produzieren. [22]
Eine weitere wichtige Funktion des Fettgewebes ist die sekretorische Funktion. Als
stoffwechselaktives und endokrines Regulationsorgan setzt das Fettgewebe
zahlreiche Sekretionsprodukte frei. [Abb. 3] Etwa 100 solcher Botenstoffe aus
Adipozyten sind bisher entdeckt. [23] Viele davon werden als Adipokinine und
Adipozytokine bezeichnet. Die Stoffe wirken nicht nur autokrin und parakrin, sondern
auch endokrin und werden über das Blut zu ihren Zielorganen transportiert, wo sie
und viele Prozesse im Stoffwechsel wie den Lipid- und Glukosemetabolismus,
Blutdruckregulation, Immun- und Komplementsystem und Insulinsensitivität
beeinflussen. [24]

 11
Abbildung 3: Mediatoren aus Adipozyten: Adipozyten sezernieren zahlreiche spezifische
Mediatoren, wie die Hormone Leptin, Resistin, Adiponektin und Vaspin, welche die
Energiebilanz regulieren. Adipozyten sekretieren auch mehrere Entzündungsmediatoren wie
Tumor-Nekrose-Faktor α (TNF-α) und Interleukin 6 (IL-6), Komplementfaktoren wie Faktor D
(auch als Adipsin bekannt), prothrombotische Gerinnungsfaktoren wie Plasminogen-
Aktivator-Inhibitor 1 (PAI-1) und vasoaktive Proteine des Renin-Angiotensin-Systems wie
Angiotensinogen; aus [25]

Als erstes beschriebenes Adipokin wurde Leptin 1994 entdeckt. [26] Leptin wirkt
appetithemmend, wobei ein Sättigungsgefühl im Hypothalamus ausgelöst wird. Es
wird proportional zur Fettmasse gebildet. Das Fettzellhormon Adiponektin, dessen
Konzentration bei Patienten mit Adipositas erniedrigt ist, erhöht die Insulinsensitivität
in der Muskulatur und steigert die Lipidoxidation. Zusätzlich besitzt es
antiinflammatorische und gefäßschützende Eigenschaften. Resistin und Retinol-
bindendes Protein (RBP4), deren Konzentrationen bei Adipositas erhöht sind,
verursachen Insulinresistenz. Eine erhöhte Konzentration von dem Adipokin Vaspin,
einen Serinprotease-Inhibitor, führt zur Hyperglykämie (Überzuckerung) und
Verminderung der Nahrungsaufnahme. [27]Die vermehrte Freisetzung von
Plasminogen-Aktivator-Inhibitor I aus den Adipozyten führt zu Blutgerinnungs-
störungen und weiters zu einer Hyperkoagulabilität mit Thromboembolien. Die
Anschaltung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) durch Freisetzung
von Angiotensinogen führt zur arteriellen Hypertonie (Bluthochdruck). Die
Freisetzung von proinflammatorischen Adipozytokine wie Tumornekrosefaktor- α
(TNF-α), Interleukin 6 (IL-6) und anderen Zytokinen können zu chronischer
 12
Inflammation des Fettgewebes. [25] Zusammenfassend, beeinflussen die von
Adipozyten freigesetzten Mediatoren die Lipidhomöostase, Insulinsensitivität, die
Regulation des Blutdrucks, Gerinnung und Gefäßfunktion und spielen bei der
Entstehung der Folgeerkrankungen bei adipösen Patienten eine wesentliche Rolle.

1.1 Energie- und Fettaufnahme

Mit der Nahrung werden nicht nur Nährstoffe, sondern auch die benötigte Energie für
die Grundfunktionen des Körpers aufgenommen. Bei Energieüberschuss werden
Nahrungsfette in Form von Lipiden im Fettgewebe und die Glukose als Glykogen in
Muskel- und Leberzellen gespeichert. Nach der Nahrungsaufnahme finden die
physiologische Verdauungs- und Resorptionsprozesse von Kohlenhydraten,
Proteinen und Fetten statt.

 Abbildung 4: Verdauung und Resorption der Fette Teil 1: Durch Zungengrundlipasen
 und Magenlipasen werden die Nahrungsfette gespalten. Spaltprodukte und Gallensäure bilden
 gemischte Mizellen. aus [29]

Die Fettverdauung beginnt bereits im Mund mit der Sekretion der
Zungengrundlipase. [28] Durch gastrische Lipasen werden die Fette teilweise im
Magen abgebaut. Die freie Fettsäuren, welche nach der Hydrolyse von Triglyceriden
entstehen, stimulieren die Freisetzung des Gewebshormons Cholecystokinin aus
endokrinen Zellen (I-Zellen) des Duodenum und Jejunum. Dies löst die Freisetzung
von Pankreasenzymen (Trypsin und Chymotrypsin) und eine Kontraktion der
 13
Gallenblase aus. Die Fett-Moleküle werden durch die Pankreaslipase in Glycerin und
kurz- bzw. mittelkettige Fettsäuren gespalten. Durch die Gallensäure werden die
Fette emulgiert und es entstehen kleine amphiphile Fettkügelchen oder Mizellen
genannt. [Abb.4] Die Mizellen werden von den Zellen (Enterozyten) des
Dünndarms resorbiert und die darin gespeicherten langkettige Fettsäuren und
Monoglyceride werden wieder zu Triglyceriden verestert. [28] [ Abb.5]

Abbildung 5: Verdauung und Resorption der Fette Teil 2: Die gebildeten Mizellen
werden von den Enterozyten des Dünndarms aufgenommen. Resynthese von Triglyceriden
finden in den Mukosazellen; aus [29]

Die resynthetisierte Triglyceride werden zusammen mit Cholesterin,
Cholesterinestern, Phospholipiden und Apolipoprotein B-48 in Chylomikronen
eingebaut. [Abb.6] Die Chylomikronen werden von Lymphgefäßen aufgenommen
und gelangen über den Ductus thoracicus in den systemischen Kreislauf. Im Blut
erhalten sie noch den Cofaktor der Lipoproteinlipase Apolipoprotein C-II (Apo C-II).
[30]

 14
Abbildung 6:Chylomikronen sind Produkte des exogenen Lipoproteinmetabolismus

Sie enthalten Trigylceride, Colesterin, Cholesterinestern, Phospholipiden und
Apolipoproteine ApoB-48, ApoE und ApoC II. Lipoprotein-Lipase( LPL) spaltet Triglyceride
der Lipoproteine in Fettsäuren und Gylcerin. ApoC II dient als Cofaktor für diese
enzymatische Reaktion ; aus [31]

Kurz- und mittelkettige Fettsäuren sind aufgrund ihrer geringen Größe hydrophiler
und werden über den Pfortaderkreislauf zur Leber transportiert. Dort werden sie mit
Cholesterin, Lipiden mit Phosphatgruppe und den Apolipoproteinen ApoB100,
ApoC1und ApoE zu Very Low Density Lipoprotein (VLDL) vereinigt und in die
Blutbahn geschleust. In der Blutbahn wird noch Apolipoprotein C-II eingebaut. [31]

Abbildung 7: Produkte des endogenen Lipoproteinmetabolismus: Lipoproteine VLDL
und IDL enthalten Apolipoproteine ApoE und ApoB-100. Das Lipoprotein LDL besitzt nur
mehr ApoB-100. aus [31]

Das extrazelluläre Enzym Lipoproteinlipase befindet sich auf der
Endothelzellmembranen von Blutkapillaren des Herzens, der Muskulatur und des

 15
Fettgewebes und katalysiert die Hydrolyse von Triglyceriden aus Lipoproteinen
(VLDL und Chylomikronen). Die freigesetzten Fettsäuren werden in die Zellen (z.B.
Adipozyten) aufgenommen. [siehe Kapitel 1: S.2] Die Überreste von Chylomikronen,
die Chylomikronen-Remnants werden mithilfe des LDL-Rezeptors
durch rezeptorvermittelte Endozytose in die Hepatozyten aufgenommen und
vollständig abgebaut werden. Aus den VLDL entstehen zunächst IDL (intermediate
density proteins). IDL können durch weitere Abspaltung von Triglyceriden
in LDL (low density lipoproteins) prozessiert werden und über einen LDL-Rezeptor
zurück zur Leber. [31] [28] [Abb. 7]

Die Verdauung von Kohlenhydraten (Polysaccharide) beginnt in der Mundhöhle
mit der α-Amylase, welche sich im Speichel befindet. Hierbei werden die
Polysaccharide in Oligo- und Disaccharide zerlegt. Im Magen wird die Verdauung
aufgrund des sauren Milieus unterbrochen, da das Enzym Amylase kann bei sauren
pH-Werten nicht mehr arbeiten kann. Erst im Dünndarm wird der weitere Abbau mit
dem alkalischen Pankreassaft fortgesetzt, indem er den sauren Nahrungsbrei
neutralisiert. Die α-Amylase der Pankreas baut die Oligosaccharide und
Disaccharide zu Monosacchariden ab. Die entstandene Monosaccharide Glucose,
Galaktose und Fructose gelangen in die Darmwandzellen. [32] Die Resorption von
Glucose und Galactose in den Enterozyten erfolgt mittels Natrium-gekoppelten
Transporter aktiv. Fructose wird von einem spezifischen Transporter durch
erleichterte Diffusion in die Zellen aufgenommen. Danach werden die
Monosaccharide durch einen Glukosetransporter aus der Zelle ins Blut und über die
Pfortader zur Leber transportier. [28] Glucose spielt eine wesentliche Rolle bei der
verstoffwechselt und die dabei entstandenen Zwischenprodukte und Fettsäuren
zusammen zu Triglyceriden verestert. [siehe Kapitel 1: S.2]

 16
2. Adipositas
Adipositas (von lateinisch adeps = Fett) oder Fettleibigkeit ist eine chronische
Stoffwechselerkrankung, die durch eine vermehrte Ansammlung von Körperfett
charakterisiert ist. Sie ist eine global verbreitete Erkrankung aller
Bevölkerungsschichten und Altersgruppen. Weltweit leben aktuell fast zwei Drittel
der Erwachsenen mit Übergewicht oder Fettleibigkeit. [33] Der europäische
Adipositas-Bericht 2022 der WHO zeigt, dass 59 % der Erwachsenen und 29 % der
Kinder in der Europäischen Region übergewichtig sind oder mit Adipositas leben.
[34]Der Körper braucht eine regelmäßige Energiezufuhr zur Aufrechterhaltung der
Lebensfunktionen. Die hierfür benötigte Energie wird entweder aus der Nahrung
bezogen oder es werden körpereigene Energiereserven mobilisiert.

Die überschüssige Energie wird in den Adipozyten als Fettdepot gespeichert, wobei
ein einziger Adipozyt sich bis auf das 200-fache vergrößern kann. [35]Bei erhöhtem
Energiebedarf wird die gespeicherte Energie der Triglyzeride in Form von freien
Fettsäuren ins Blut abgegeben. Wird das Gleichgewicht zwischen der
Energieaufnahme und dem Energieverbrauch gestört, kann dies über einen längeren
Zeitraum zu einer Gewichtsabnahme oder einer Gewichtszunahme führen. Im Fall
von Adipositas führt eine Dysbalance zwischen Energiezufuhr und Energiebedarf zu
einer pathologischen Vermehrung bzw. Ansammlung von Körperfett. Die
Energiebalance ist vor allem von genetischen Faktoren sowie vom Lebensstil wie
übermäßige Nahrungsaufnahme, Bewegungsmangel und Stress aber auch von
hormonellen Erkrankungen (z.B. Hypothyreose und Cushing-Syndrom) abhängig.
Adipöse Patienten leiden auch unter Adipositas-assoziierten Begleiterkrankungen
wie Diabetes mellitus Typ 2, nicht- alkoholischer Fettleber, Polyzystisches-Ovar-
Syndrom, Schlaf-Apnoe-Syndrom, Hypertonie, Arthrose, Depression, Sodbrennen
und Herzinsuffizienz. [36]

 17
2.1 Klassifikation der Adipositas
Adipositas wird anhand des Body Mass Index (BMI) ermittelt. Der BMI oder auch
Körpermasseindex genannt, wird als Quotient aus Kilogramm (kg) Körpergewicht
und dem Quadrat der Körpergröße in Metern (m) definiert: [37]

 Körpergewicht (kg)
 =
 ö öß ( )2

Der BMI wird wie folgt eingeteilt:

Tabelle 1: Gewichtsklassifaktion der WHO mit BMI: aus [38]
 Gewichtskategorie BMI (kg/m²)
 Normalgewicht 18,5-24,9
 Übergewicht (Präadipositas) 25 – 29,9
 Adipositas Grad I 30-34,9
 Adipositas Grad II 35 – 39,9
 Adipositas Grad III ≥40

Adipositas (Grad I und II) wird definiert mit einem BMI zwischen 30-39,99 kg/m2. Ein
BMI über 40 kg/m2 deutet auf eine schwere Form der Adipositas (Grad III) hin.

[Tabelle 1]

Neben der Körperfettmasse spielt auch die Verteilung des Fettgewebes eine
entscheidende Rolle für die Entwicklung adipositasbedingter Folgeerkrankungen. Bei
der abdominalen Adipositas (auch „Apfeltyp“ genannt) befindet sich die
Fettanlagerung vorwiegend im Bereich der Bauchregion und rund um die inneren
Organe. Diese Form tritt hauptsächlich bei Männern auf. Daher wird sie auch als
androide Fettverteilung bezeichnet. Die bauchbetonte Adipositas kann Herz-
Kreislauf-Störungen, Diabetes mellitus Typ-2, Bluthochdruck und Fettleber
begünstigen. Bei der peripheren Adipositas (auch gynoide Adipositas oder
„Birnentyp“ genannt) sammelt sich das Fett vermehrt im Bereich der Oberschenkel
und Hüften an und tritt häufiger bei Frauen auf. Dieser Form der
Fettgewebesverteilung erhöht das Risiko für Gefäßerkrankungen. [39]

 18
2.2 Ursachen
Adipositas ist eine vielseitige Krankheit. Ätiologisch wird zwischen primärer und
sekundärer Adipositas unterschieden. [40] Bei der primären Adipositas (mit der
Prävalenz von 95 %) spielen genetische Disposition, Bewegungsmangel,
übermäßiger Konsum von kalorienreichen Lebensmitteln aber auch psychische
Faktoren wie Stress, Essstörungen (Binge-Eating-Störung) oder depressive
Erkrankungen eine Rolle. [39]Bei etwa 5 % der Patienten mit Adipositas Grad III
handelt es sich um eine monogenetische Erkrankung, welche durch einen Defekt in
einem einzigen Gen ausgelöst wird. Bei diesen Genen handelt es sich um das
Leptin-Gen LEP, das Leptinrezeptor-Gen, das Melanocortin-4-Rezeptor-Gen und
das Proopiomelanocortin-Gens. Mutationen in diesen Genen können für die
frühkindlich auftretende Adipositas verantwortlich sein (childhood-onset obesity). [41]
Die sekundäre Adipositas wird durch endokrine Erkrankung hervorgerufen und
macht etwa 5 % der Fälle aus. Die häufigen Ursachen der sekundären Adipositas
sind meist hormonell bedingte Stoffwechselerkrankungen wie
Schilddrüsenunterfunktion, Cushing-Syndrom oder Sexualhormonmangel.
Außerdem können Medikamente wie Antihistaminika, Psychopharmaka,
Betablocker, Antidiabetika und Glucocorticoide eine sekundäre Adipositas
begünstigen. Zusätzlich besteht bei vielen adipösen Patienten eine psychische
Essstörung, die sogenannte Binge-Eating-Störung, die zu regelmäßig auftretenden
Essanfälle führen. [42]

 3. Appetitregulation im Hypothalamus
Der Hypothalamus (von altgriechisch hypo unter und thálamos Zimmer) befindet sich
im Zwischenhirn (Diencephalon) und liegt unterhalb des Thalamus. [43] Die
Verbindung zwischen dem Hypothalamus und der Hypophyse wird von dem
Hypophysenstiel übernommen. [44] Der Hypothalamus ist das wichtigste
Regulationszentrum des vegetativen Nervensystems. Er kontrolliert und reguliert
lebenswichtigen Körperfunktionen wie Atmung, Kreislauf, Körpertemperatur,
Hormonhaushalt, Schlaf, Sexualfunktionen und auch die Nahrungsaufnahme.

 19
Abbildung 8:a) Die Lage des Hypothalamus im Gehirn. b) im Querschnitt: aus [45]

Er besitzt verschiedene Nuclei oder auch Kerngebiete, die in der Neuroanatomie
eine Ansammlung von Nervenzellkörpern im zentralen Nervensystem bezeichnet
werden. Diese Kerngebiete sind von einer weißen Substanz (Substantia alba)
umgegeben. [46] Die wichtigen Kerngebiete des Hypothalamus sind: Nucleus
arcuatus, dorsomedialis, paraventricularis, periventricularis, suprachiasmaticus,
supraopticus und ventromedialis. Im Hypothalamus werden releasing Hormone und
Inhibiting Hormone, welche die Ausschüttung anderer Hormone in die Hypophyse
fördern oder hemmen. Die releasing Hormone des Hypothalamus sind das Growth
hormone-releasing Hormon, Gonadotropin-releasing Hormon, das Thyreotropin-
releasing Hormon und das Corticotropin-releasing Hormon. Zu den inhibiting
Hormone gehören Somatostatin und das Prolaktin-inhibiting Hormon. [47]
An der zentralnervösen Regulation des Appetits sind die Regionen des Nucleus
ventromediale (VMH), Nucleus arcuatus (ARC), Nucleus paraventricularis (PVN) und
lateralen Hypothalamus-Areale (LHA) beteiligt. [48]Das Hungerzentrum befindet sich
im lateralen Hypothalamus. Für die Sättigung ist der ventromediale Hypothalamus
zuständig. Lokale Läsionen im Bereich des ventromediale Hypothalamus und des
Nucleus arcuatus haben einen Einfluss auf die Nahrungsaufnahme. Eine Läsion im
ventromedialen Nucleus, der eine große Anzahl von Leptin-Rezeptoren (Ob-Rb)
besitzt, führt zu Hyperphagie und schlussendlich zu Adipositas. [49] Im Gegensatz
dazu führt eine Läsion im lateralen Hypothalamus zu Hypophagie und damit zu
Gewichtverlust. [50] Der Nucleus Arcuatus, ein Regulator der Energie-Homöostase,

 20
liegt oberhalb der Eminentia mediana, wo die Blut-Hirn-Schranke leicht durchgängig
ist und somit die Signalmoleküle aus der Peripherie zu den Neuronen (Nervenzellen)
des Nucleus arcuatus gelangen können. Der Nucleus arcuatus leitet mit dem
Nucleus paraventricularis die Informationen für Appetit zur Großhirnrinde (Kortex)
weiter. [51][Abb.9]

Abbildung 9: Die Kurz- und Langzeitregulation des Appetits im Hypothalamus. Die
appetitregulierenden Neuronen sind mit ihren Rezeptoren im Nucleus arcuatus und
paraventricularis lokalisiert. Sie werden durch Leptin, Ghrelin und PYY reguliert: aus [52]

Der Nucleus arcuatus besitzt unterschiedliche Neuronengruppen, die Agouti-related
Protein (AgRP), Neuropeptid Y (NPY), Proopiomelanocortin (POMC) und das
Cocain- und Amphetamin-regulierende Transkript (CART) freisetzen. Die orexigenen
Peptide, NPY und AgRP, sind Appetitstimulatoren und senken den
Energieverbrauch des Körpers, wohingegen POMC und CART eine
appetithemmende Wirkung besitzen und somit den Energieverbrauch erhöhen. Die
Aktivität der Neuronen wird durch die peripheren Peptidhormone wie Leptin, Ghrelin
und Peptid YY (PYY) reguliert. [48] [51] [Tabelle 2]

 21
3.1 Die Kurz- und Langzeitregulation des Appetits
Die Nahrungsaufnahme wird mithilfe verschiedener Hormone und Neurotransmittern
in den Regulationszentren des zentralen Nervensystems reguliert. Dabei wird
zwischen der Kurzzeitregulation und der Langzeitregulation unterschieden. Die
Kurzzeitregulation ist für den akuten Hunger- und Sättigungszustand des Körpers
zuständig. Signale, die bei der akuten Appetitregulation beteiligt sind, können durch
externe Reize (optische und olfaktorische Wahrnehmungen) oder durch interne
Reize (Blutzuckerspiegel, Füllungszustand des Magens und Darms) ausgelöst
werden. Dabei spielen die Peptidhormone Ghrelin, Peptid YY, Glucagon-like-Peptide
(GLP-1) und die Glucosekonzentration im Blut eine wichtige Rolle. Die
Langzeitregulation des Appetits wird hingegen durch das Sättigungs-hormon Leptin
gesteuert. [51]

Tabelle 2: Hormone, die Nahrungsaufnahme steigern (Orexigene) bzw. vermindern
(Anorexigene); aus [48]

 Orexigene Ghrelin
 Anorexigene Leptin, Glukagon-Like-Peptide, Peptid YY

 3.1.1 Kurzzeitregulation der Nahrungsaufnahme

 3.1.2 Ghrelin
Ghrelin (Akronym, englisch: Growth Hormone Release Inducing) ist ein
gastrointestinales Hormon, welches postprandial in Zellen der Magenschleimhaut
produziert wird. Der Ghrelin-Spiegel im Blut steigt im Hungerzustand und sinkt nach
der Nahrungsaufnahme. [53]Ghrelin gelangt über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn,
wo es mit hoher Affinität an seinen Growth-Hormon-Secretagogue-Rezeptoren
(GHS-R) im Hypothalamus bindet und eine erhöhte Ausschüttung von Neuropeptid Y
und Agouti-related-Peptid im Nucleus arcuatus bewirkt. Dadurch wird der Appetit
gesteigert. [54]

 3.1.3 Peptid YY

 22
Das Peptid Tyrosin-Tyrosin (PYY) besteht aus 36 Aminosäuren und gehört zur
Gruppe der pankreatischen Polypeptiden. Das Peptid enthält die Aminosäure
Tyrosin am N- und C-Terminus in der Primärstruktur. Da im Einbuchstaben-Code die
Aminosäure Tyrosin mit Y gekennzeichnet ist, kam es zur Namensgebung von
Peptid Tyrosin-Tyrosin bzw. Peptid YY. [55]Das appetithemmende Hormon Peptid
YY1-36 wird postprandial von endokrinen L-Zellen im Dünndarm und Dickdarm
gebildet. Nach der Abspaltung durch das proteolytisches Enzym Dipeptyl-Peptidase
IV (Peptid YY1-36 wird zu Peptid YY3-36 gespalten) wird das Hormon biologisch aktiv.
PYY ist dem Neuropeptid Y strukturell sehr ähnlich. PYY bindet an Y2–Rezeptoren
und bewirkt eine Hemmung von orexigenen Neuropeptid Y-Neuronen. Dadurch wird
das Sättigungsgefühl gesteigert. Die klinischen Untersuchungen zeigen, dass die
PYY-Konzentration bei übergewichtigen Patienten niedrig und bei Personen mit
Untergewicht deutlich erhöht ist. Als ein spezifischer Agonist der Y2-Rezeptoren
bietet das Peptid YY3-36-Analogon eine wichtige therapeutische Alternative für
Patienten mit Adipositas und Diabetes Mellitus Typ 2. [56]

 3.1.4 Glucagon-like-Peptid-1

GLP-1 wird nahrungsabhängig von den neuroendokrinen L-Zellen des Darms
produziert und gehört zur Gruppe der gastrointestinalen Hormone (Inkretine). Bei
erhöhter Glukosekonzentration steigert die Insulinsekretion aus den Betazellen der
Bauchspeicheldrüse. Außerdem hemmt das Peptidhormon die Glukagon-Sekretion
und verzögert die Magenentleerung. [57]GLP-1-Rezeptoren befinden sich im
Pankreas, Hypophyse, Magen, Dünndarm, Gehirn, Lunge, Nieren, Myokard und
Endothelzellen.Die Bindung an GLP-1-Rezeptoren im Bereich der Area
postrema führt zu vermindertem Appetit. [58]

 3.1.5 Glucose als Signal für Sättigung

Die Glukosekonzentration im Blut kann die Regulation der Nahrungsaufnahme
beeinflussen. Im Gehirn, im Darm und in der Leber befindet sich Sensoren, die für
 23
die Messung der Glukosekonzentration zuständig sind. [59] Wenn der Glukose-Wert
unter dem Soll-Wert (zwischen 100 und 125 mg/dl) liegt, wird ein Hungergefühl
ausgelöst, wohingegen das Erreichen des Soll-Wertes ein Sättigungsgefühl
hervorruft. Bei normalem Insulinwert führt eine Erhöhung der Glukosekonzentration
zu einer Hemmung des Hungergefühls und zu einer Steigerung des
Sättigungsgefühls Dadurch wird ein Zustand von Sättigung erreicht. Im anderen Fall
löst eine verminderte Glucosekonzentration ein Hungergefühl aus. [60]

3.2 Langzeitregulation der Nahrungsaufnahme

 3.2.1 Leptin
Das Polypeptidhormon Leptin (von griech. leptós, dünn) wird hauptsächlich von den
weißen Adipozyten produziert und ins Blut abgegeben. [61] Es bindet an den
löslichen Leptin-Rezeptoren (Slep-R; soluble Leptin Receptor) und überwindet die
Blut-Hirn-Schranke. [62] [63]Rezeptoren für Leptin (Ob-Rs) befinden sich in beiden
Neuronengruppen des Nucleus arcuatus. Es besteht eine Korrelation zwischen der
Leptin-Konzentration im Blut und der Körperfettmasse, da eine Zunahme der
Fettzellmasse die Bildung von Leptin steigert. In Folge führt eine erhöhte Leptin-
Konzentration zur Stimulierung der POMC-Expression, wodurch die
appetitsteigernden NYP/AGRP-Neuronen gehemmt werden. Dies führt zur
Appetitunterdrückung und Gewichtsabnahme. Bei niedrigerer Leptin-Konzentration
kommt es zu einer verminderten POMC-Expression und die NYP/AGRP-Neuronen
werden wieder aktiviert. Dies führt zu einer Steigerung des Appetits und somit zu
einer gesteigerten Gewichtszunahme. [64]Ähnlich wie die Insulinresistenz bei der
erworbenen Form von Diabetes bewirkt eine andauernd hohe Leptin-Konzentration
ein vermindertes Ansprechen der Nervenzellen auf das Sättigungshormon Leptin
was als Leptinresistenz bezeichnet wird. [65]Aufgrund der reduzierten Leptin
Sensitivität kommt es trotz erhöhter Leptin-Konzentration zu keinem
Sättigungsgefühl bei adipösen Menschen. Deshalb wird Leptinresistenz als eine der
Hauptursachen für Adipositas gesehen. Daher ist es wichtig die Ursachen für
Leptinresistenz zu bestimmen. Die Wirkstoffe Withaferin A und Celastrol sind als
Leptin-Sensitizer bereits identifiziert. [66] Weiters kann eine Mutation im Leptin-Gen
LEP zu einem angeborenen Leptinmangel führen. [67] Da der Körper das Hormon
nicht mehr produzieren kann, sind eine schwere Hyperphagie mit früh entstehender
 24
Adipositas die Folge. Bei Patienten mit biologisch inaktivem Leptin ist das Hormon
zwar im Blut nachweisbar jedoch besitzt es keine biologische Aktivität mehr.
Patienten mit Leptinmangel werden mit dem Wirkstoff Metreleptin, ein
rekombinantes humanes Leptin-Analogon, behandelt. Das Arzneimittel steht als
Injektionslösung zur Verfügung. [68]Zusätzlich zu Mutationen im Leptin-Gen, können
Mutationen im Leptinrezeptor zur Beeinträchtigung der Leptin Sensitivität führen. Die
Mutationen von Leptinrezeptoren bewirken eine erhöhte Nahrungsaufnahme, da die
anorexigene Wirkung von Leptin ausbleibt. Der Wirkstoff Setmelanotid ist zur
Behandlung von Adipositas aufgrund des Proopiomelanocortinmangels oder Leptin-
Rezeptor-Mangels zugelassen. [69]

3.3 Orexigene und Anorexigene Neuropeptide
Man unterscheidet zwischen orexigenen und anorexigenen Neuropeptide bzw.
Cotransmittern. Im Hypothalamus regulieren sie die Nahrungsaufnahme und den
Energiehaushalt des Körpers. Orexigene (anabole) Neuropeptide steigern den
Appetit und verringern den Energieverbrauch. Anorexigene (katabolische)
Neuropeptide steigern den Energieverbrauch und unterstützen das Abnehmen. [48]
[Tabelle 3]

Tabelle 3: Neuropeptide/-transmitter, welche die Nahrungsaufnahme steigern
(Orexigene) bzw. vermindern (Anorexigene). aus [48]

 Orexigene Neuropeptid Y,
 Agouti-related-Peptid,
 Orexin A und B
 Melanin-Concentraiting Hormon (MCH),
 Galanin
 Anorexigene Cocaine-und Amphetamine-related Transcript
 Proopiomelanocortin,
 Serotonin,
 α-Melanozyten-stimulierendes Hormon (α-MSH)

 25
3.3.1 Neuropeptid Y

Der Appetitstimulator NPY besteht aus 36 Aminosäuren. Die NPY-produzierende
Nervenzellen kommen vorwiegend im Nucleus arcuatus und im Nucleus
paraventricularis vor. Freisetzung von NYP aus ARC-Neuronen wird durch Leptin
und Peptid YY gehemmt, während Ghrelin stimulierend wirkt. [70]Das Neuropeptid
hat 6 verschiedene G-Protein-gekoppelten Rezeptoren Y1-Y6, die in
unterschiedlichen Geweben vorkommen. Im Gehirn befindet sich der Rezeptor Y5,
der für die Appetitregulation wichtig ist. Rezeptor Y4 kommt im Darm vor und
reguliert die Darm-Motilität. [55] Neben der Regulation der Nahrungsaufnahme und
des Körpergewichts hat NYP zahlreiche Funktionen im Zentralennervensystem,
unter anderem fördert es die Freisetzung von Insulin und Glucocorticoide, verbessert
die kognitiven Leistungsfähigkeiten (Y2), kontrolliert Krampfanfälle und wirkt
antikonvulsiv (Y1, Y5), hat analgetische (Y1, Y2), anxiolytische und sedierende
Wirkung (Y1). Y1 und Y5- Rezeptorantagonisten werden als potenzielle Arzneistoffe
zur Behandlung von Adipositas gesehen. [71]

 3.3.2 Agouti-related-Peptid

Das Agouti-related-Peptid ist ein aus 132 Aminosäuren bestehendes Neuropeptid,
welches im Nucleus arcuatus gebildet wird. Die Freisetzung von AgRP wird durch
Leptin gehemmt und durch Ghrelin gefördert. [72] Es hat eine antagonistische
Wirkung an Melanocortin-3,4-Rezeptoren. Mit dem α-Melanozyten-stimulierenden
Hormon bindet AgRP an die gleichen Rezeptoren und wirkt appetitfördernd. [73]
Dementsprechende zeigten AgRP-Transgene Mäuse eine gesteigerte
Nahrungsaufnahme. Die Blockade von AgRP-Rezeptoren führte hingegen zu einer
massiven Unterdrückung der Nahrungsaufnahme. [48]

 3.3.3 Melanin-konzentrierendes Hormon

Das zyklische Polypeptid Melanin-konzentrierendes Hormon, das auch als Melanin-
Concentrating Hormon (kurz: MCH) bezeichnet wird, wird von Neuronen des
 26
lateralen Hypothalamus und der Zona incerta synthetisiert. Ursprünglich wurde MCH
in Fischen identifiziert. Dort beeinflusst das Hormon die Pigmentation, weshalb es
als Melanin-konzentrierendes Hormon bezeichnet wurde. [74]MCH-Expression wird
durch Leptin reguliert, wobei ein Leptinmangel die MCH-Synthese fördert. [48]

Die Bindung von MCH an MCH-1 und MCH-Rezeptoren bewirkt eine Steigerung des
Appetits. Deshalb sind MCH-Rezeptoren interessante Angriffspunkte für neuronale
Appetitsteuerung. Zurzeit werden die Substanzen racSNAP-7941, GW3430 und T-
226296 für ihre antagonistische Wirkung an MCH-Rezeptoren untersucht. [75]

 3.3.4 Orexin A / B

Die zwei Neuropeptide Orexin A und B (Hypokretin 1 und 2) sind im lateralen und
dorsamedialen Hypothalamus zu finden. Sie werden durch enzymatische Spaltung
aus einem Propeptid, Pre-Pro-Orexin gebildet. Orexin wird durch das HCRT-Gen
kodiert. [76] Orexin hat einen starken Einfluss auf das Essverhalten und den
Schlafrhythmus, indem es die Nahrungsaufnahme und auch den Wachzustand
erhöht. [48]

 3.3.5 Das Peptid Galanin

Galanin ist ein Neuropeptid mit orexigenen Effekt und besteht aus 30 Aminosäuren.
ARC und PVN Neuronen produzieren Galanin. Die Wirkung von Galanin wird über
drei G-Protein-gekoppelte Rezeptoren: GALR1, GALR2 und GALR3 vermittelt.
[77]Im Hungerzustand steigt die Expression von Galanin und stimuliert die
Nahrungsaufnahme. Es wurde eine Korrelation zwischen Verlangen nach fettreicher
Nahrung und der Galaninkonzentration im Nucleus paraventricularis festgestellt. Die
Hemmung von Galanin-Rezeptoren führte bei Ratten zur verminderten
Nahrungsaufnahme. [78] Es kommt auch im Gastrointestinaltrakt vor, wobei es dort
die Motilität beeinflusst. [79]

 27
3.3.6 Proopiomelanocortin und α-Melanozyten-stimulierendes
 Hormon
Das aus 267 Aminosäuren bestehende Protein Proopiomelanocortin kommt in der
Haut, im Magendarmtrakt und in vielen anderen Geweben vor. Das Prähormon wird
zellspezifisch in ihre Derivate gespalten: in Adrenocorticotropes Hormon (ACTH),
Corticotropin-like intermediate Peptide (CLIP), α, β- MSH, Lipotropin und Beta-
Endorphin. [80]Zuerst spaltet das Enzym Prohormonconvertase 1 (PC1) das
adrenocorticotrope Hormon enzymatisch ab. α-MSH, besteht aus 13 Aminosäuren,
wird nach der Aufspaltung des ACTH durch Prohormonconvertase 2 gewonnen. [81]
[Abb.10]

Abbildung 10: Proopiomelanocortin und seine Derivate. Aus POMC können ACTH,
MSH, Lipotropin, CLIP und β-Endorphin entstehen; aus [82]

Die Freisetzung von POMC und α-MSH wird durch das Hormon Leptin geregelt.
Nach der Bindung von Leptin an seinen Rezeptor kommt es zur Expression von
Poopiomelanocortin. Dies wird durch Prohormonconvartase 1 zu α-MSH prozessiert.
Die Bindung von α-MSH an Melanocortin-4-Rezeptoren bewirkt eine
Appetithemmung. [ Abb.11] Der Mangel an POMC durch eine Mutation im POMC-
Gen kann zu Übergewicht führen. Auch Mutationen im Melanocortin-4-Rezeptor und
in der Prohormonconvartase 1 können Hyperphagie und Adipositas verursachen.
[25]

 28
Abbildung 11: Das Melanocortinsystem; zentrale Regulation von Appetit und Körpergewicht .
Die Bindung von Leptin an seinen Rezeptor führt zur Aktivierung von POMC, das mit Enzym PC-1 zu α-MSH
gepalten wird. Bindung α-MSH an MC4R führt zur Appetithemmung. Die grünen Pfeile zeigen die bekannte
Gendefekte, die zur Adipositas führen; aus [25]

Setmelanotid, ein Analogon von α-MSH, aktiviert die Melanocortin-4-Rezeptoren,
wodurch der Appetit kontrolliert wird. Der Wirkstoff wird zur Behandlung von
genetisch bedingtem Proopiomelanocortin - oder Leptinrezeptor (LEPR)-Mangel
eingesetzt. [69]

 3.3.7 Serotonin

Serotonin, auch 5-Hydroxytryptamin (5-HT) oder Enteramin genannt, wirkt im
zentralen Nervensystem als Neurotransmitter. Als Gewebshormon wird es in den
enterochromaffinen Zellen der Darmmukosa gebildet. Da es die Blut-Hirn-
Schranke nicht passieren kann, wird in serotonergen Neuronen Serotonin durch
Hydroxylierung und Decarboxylierung aus der Aminosäure Tryptophan synthetisiert.
[83] Die Aufnahme von Tryptophan ins Gehirn wird durch Insulin gefördert. Es wurde
festgestellt, dass Personen mit Übergewicht eine niedrigere Serotonin-Konzentration
aufweisen. [84]

 29
Abbildung 12: 5-HT-Wirkungsstellen auf Melanocortinweg. 5-HT aktiviert POMC-
Neuronen über die Aktivierung von 5-HT2C -Rezeptoren 5-HT hyperpolarisiert und hemmt
AgRP-Neuronen; aus [85]

Die Serotoninrezeptoren des Subtyps 5-HT1B und 5-HT2C sind bei der
Appetitregulation wichtig. Für die eigentliche appetitsenkende Wirkung von Serotonin
sind die Serotoninrezeptoren 5-HT1B oder 5-HT2C, die auf den POMC- und AgRP-
Neuronen lokalisiert sind, verantwortlich. [ Abb.12] Nach der Aktivierung von 5-HT2C-
Rezeptoren werden die POMC-Neuronen stimuliert. Dies führt zur Freisetzung von
α-MSH, das wiederum die Melanocortin-4-Rezeptoren aktiviert und das
Sättigungsgefühl fördert. Die Aktivierung von 5-HT1B-Rezeptoren durch Serotonin
wirkt inhibitorisch auf AgRP-Neuronen, die appetitfördern sind. [85]

 30
4. Medikamentöse Therapie: Antiadiposita
 Antiadiposita (Schlankheitsmittel) sind Arzneistoffe für die Behandlung von
 Übergewicht (BMI 25‒29,9 kg·m−2) und Adipositas (BMI ≥ 30 kg·m−2). Sie werden
 meistens unterstützend und zeitlich begrenzt mit dem Ziel einer Gewichtreduktion
 angewendet. Die Wirkstoffe haben unterschiedliche Wirkungsmechanismen, aber
 erzielen den gleichen Effekt, unkontrollierbaren Appetit zu hemmen oder das
 Sättigungsgefühl zu steigern. [86]

 Tabelle 4: Einteilung der Antiadiposita nach Wirkungsmechanismus. aus [87]

Substanzklasse /Substanz Firmenname Zulassung

Entkoppler der Atmungskette

2,4-Dinitrophenol Stanford University 1933–1938 (USA)

Sympathamimetika

Fenfluramin und Dexfenfluramin Wyeth Ayerst 1973–1997 (USA)

Sibutramin Abbott Laboratories 1997–2010(USA, EU)

Phentermin Teva Pharmaceuticals 1959–aktuell in USA

Cannabinoid-Rezeptor-1-Antagonist

Rimonabant Sanofi SA 2006–2009 (EU)

Lipase-Hemmer

Orlistat Roche Pharmaceuticals 1999–aktuell (USA, EU)

5-HT2C Serotonin Agonist

Lorcaserin Arena Pharmaceuticals, Eisai 2012–2020 (USA)

Sympathomimetika / Antikonvulsiva

Phentermin und Topiramat Vivus 2012-aktuell (USA)

Opioid Rezeptor Antagonist / Dopamin und Noradrenalin Wiederaufnahmehemmer

Naltrexone SR/Bupropion SR Orexigen Therapeutics Inc 2014–aktuell (USA, EU)

GLP-1-Rezeptoragonisten

Liraglutid Novo Nordisk 2014–aktuell (USA, EU)

Semaglutid Novo Nordisk 2021 (USA)

 31
4.1 Entkoppler der Atmungskette
2,4-Dinitrophenol, eine Industriechemikalie, war das erste synthetische
Arzneimittel, welches zur Gewichtsabnahme in USA eingesetzt wurde. [88]
An Arbeitern, welche 2,4-Dinitrophenol in Sprengstofffabriken verarbeitet haben,
wurde eine extreme Gewichtsabnahme beobachtet. Diese gewichtreduzierende
Wirkung von 2,4-Dinitrophenol wurde vom Pharmakologe Maurice L. Tainter von der
Stanford University im Jahr 1933 erkannt. [89]

Abbildung 13: Strukturformel von 2,4-Dinitrophenol. [90]

2,4-Dinitrophenol hebt die Kopplung von Elektronentransport und ATP- Synthese in
den Mitochondrien auf, indem es den Protonentransport aus dem
Intermembranraum in die Matrix durch passive Diffusion als Protonophore
(Protonentranslokator) erleichtert. Es wird der Aufbau der Protonengradienten
verhindert und somit die ATP-Synthese verringert, aber gleichzeitig die
Wärmeproduktion (Thermogenese) gesteigert. [91] Die Entkopplung führt zu einer
Steigerung des Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsels, um ATP-Mangel zu
kompensieren. 2,4-Dinitrophenol hat eine geringe therapeutische Breite und ist
hochgiftig. Mögliche schwere Nebenwirkungen sind: Herzrhythmusstörungen,
Tachykardie, Atemnot, Kopfweh, Hyperthermie, Übersäuerung des Blutes, Zerfall
der quergestreiften Muskulatur, Hyperglykämie, Grauer Star, Nierenversagen,
Leberversagen und letztendlich Multiorganversagen. [92] Aufgrund der
lebensbedrohlichen Nebenwirkungen wurde das Mittel 1938 nach nur 5 Jahren vom
Markt genommen. [87]

 32
4.2 Indirekte Sympathomimetika
Der appetithemmende Wirkstoff Sibutramin hat eine Phenylethylaminstruktur und
hat somit auch eine strukturelle Ähnlichkeit mit älteren Appetitzügler wie
Amphetamin, Phenylpropanolamin und Phentermin. [93]

Abbildung 14: Strukturformel von Sibutramin [94]

Sibutramin ist ein Noradrenalin/Serotonin‐Wiederaufnahmehemmer. [95] Die
Hemmung der Wiederaufnahme von beiden Neurotransmittern führt zu einer
Erhöhung der Neurotransmitterkonzentration im synaptischen Spalt, wodurch die
Adrenorezeptoren verstärkt aktiviert werden. Als ein indirekt wirkendes
Sympathomimetikum bewirkt es eine Verstärkung des Sättigungsgefühls und eine
Steigerung der Fettverbrennung. [96]Sibutramin wurde im Jahr 1997 in den USA und
später in der EU zugelassen. [87] Der Wirkstoff war unter dem Medikamentennamen
Reductil® im Handel. Das Arzneimittel wurde wegen der lebensbedrohlichen
Nebenwirkungen auf das Herz-Kreislauf-System wie Herzinfarkt, Schlaganfall und
Erhöhung des Blutdrucks vom Markt genommen (1997-2010). [97]

4.3 Cannabinoid-Rezeptor-1-Antagonist-Rimonabant
Das Endocannabinoid System reguliert viele physiologische Prozesse, wie Schlaf,
Schmerzempfindung, Stimmung, Motorik, Gedächtnis, Nahrungsaufnahme und
Apppetitregulation. [98]Die Cannabinoid (CB)-Rezeptoren und Endocannabinoiden
 33
als Liganden bilden das Endocannabinoid System. Der Cannabinoidrezeptor‐Typ I
(CB‐1), ein G‐Protein gekoppelter Rezeptor, kommt im Gehirn, sowie in anderen
Geweben wie z.B. im Fettgewebe, in der Leber und in den Muskeln vor. Die
Aktivierung der CB-1-Rezeptoren im zentralen Nervensystem führt zur
Appetitsteigerung. Dieser appetitsanregende Effekt von Tetrahydrocannabinol
(THC), ein Phytocannabinoid der Hanfpflanze, ist seit längerem bekannt. Die
periphere Aktivierung der Rezeptoren stimuliert die Lipogenese in den Adipozyten.
[99] Durch die Blockade der CB-1-Rezoptoren mit Rimonabant kann die
Überaktivierung moduliert werden und es kommt zur Appetithemmung, zum Abbau
von Fettreserven und zum Anstieg des Adiponektinspiegels. [100] Strukturell handelt
es sich um ein chloriertes Piperidin und Pyrazolcarboxamid-Derivat, das ursprünglich
zur Raucherentwöhnung von dem Pharmaunternehmen Sanofi-Aventis entwickelt
wurde.

Abbildung 15: Strukturformel von Rimonabant [99]

Übelkeit, Durchfall, Schwindel und Atemwegsinfektionen gehören zu den somatisch
unerwünschten Nebenwirkungen. Die Substanz wurde wegen ihrer psychiatrischen
Nebenwirkungen wie Depression, Suizidgedanken und Gedächtnisstörungen vom
Markt genommen. [99]

 34
4.4 Lipasehemmer
Bei Orlistat (=Tetrahydrolipstatin) handelt es sich um ein peripher wirkendes
Antiadipositum, das spezifisch gastrointestinalen Lipasen hemmt. [101]

Abbildung 16: Strukturformel von Orlistat. [102]

Lipasen sind Serin-Hydrolasen und besitzen im aktiven Zentrum eine katalytische
Triade aus Serin, Histidin und Aspartat. Als Enzyminhibitor bindet Orlistat an das
katalytische Zentrum, wo es die nukleophile Hydroxyl-Gruppe des Serins am ß-
Lacton-Ring unter Ausbildung einer kovalenten Bindung angreift, und somit das
Enzym irreversible hemmt. [103]

Abbildung 17: Wirkungsmechanismus von Orlistat. [102]

Die inaktivierten Lipasen können die Esterbindungen der Nahrungsfette nicht mehr
hydrolytisch spalten und somit wird das Fett unverdaut ausgeschieden. Bei der
Einnahme von Orlistat wird meist von Magen-Darm-Beschwerden wie Fettstühle,
Durchfall, Blähungen mit Stuhldrang und Bachschmerzen berichtet. [104] Außerdem

 35
kann es bei Dauereinnahme zur Unterversorgung von fettlöslichen Vitaminen (A, D,
E und K) kommen. [105]

4.5 Serotonin Agonist
Mit serotonerger Wirkung bindet Lorcaserin selektiv an den Serotonin-Rezeptoren
vom Typ 5-HT2C, welche sich auf den POMC-Neuronen befinden. [85] Weiter wird
der Melanocortin-Weg, welcher zu einer Erhöhung des Sättigungsgefühls und einer
Appetithemmung führt, aktiviert. Außerdem wird die Ausschüttung orexigener
Mediatoren wie Neuropeptid Y und Agouti-releated peptid verhindert. [106]

Abbildung 18: Strukturformel von Lorcaserin. [106]

Depression, Euphorie, Selbstmordgedanken und gastrointestinale Beschwerden sind
bekannte Nebenwirkungen von Lorcaserin. Ergebnisse aus Karzinogenitätstests mit
Ratten zeigen ein erhöhtes Krebsrisiko. [107] Der Wirkstoff wurde nur in den USA
(2012-2020) als Anorektikum verwendet, in Europa wegen Sicherheitsbedenken
nicht zugelassen. [108]

4.6 Sympathomimetika / Antikonvulsiva
Phentermin wurde bereits 1959 von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA
für einen Gebrauch von bis zu 12 Wochen für Personen über 16 Jahren als
Appetitzügler zugelassen. [109] Der Wirkstoff Phentermin gehört zur Substanzklasse
der Amphetamine (Amine mit „aufweckender“ Wirkung). [110] Es ist ein indirektes
Sympathomimetikum und stimuliert die vermehrte Freisetzung von
Neurotransmittern wie Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin aus den

 36
präsynaptischen Nervenzellen, wodurch seine appetithemmende Wirkung im
Zentralnervensystem entfaltet.

Abbildung 19: Strukturformel von Phentermin (oben) und Topiramat(unten)
[111]
Phentermin wurde ursprünglich in Kombination mit Fenfluramin und Dexfenfluramin
als Medikament gegen Übergewicht verwendet. Aufgrund der kardialen
Nebenwirkung (Herzklappenfehlern) und pulmonaler Hypertonie wurden die
Wirkstoffe Fenfluramin/Dexfenfluramin verboten. (1973-1997 USA) [112] [87]
Phentermin wird jetzt in Kombination mit Topiramat als Medikament gegen
Übergewicht verwendet. Es ist aber nur in den USA zugelassen. Topiramat ist ein
Sulfamat substituiertes Monosaccharid, welches zur Behandlung von Epilepsie und
Migräneprophylaxe eingesetzt wird. Als Nebenwirkung kommt es zu einer Minderung
des Appetits und zusammen mit Phentermin unterschützt es die Gewichtreduktion.
[111]

4.7 Opioid Rezeptor Antagonist / Dopamin und Noradrenalin
 Wiederaufnahme-Hemmer
Bupropion als selektiver Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer wird
vor allem zur Raucherentwöhnung und zur Behandlung von Depression verordnet.
[113]Naltrexon als Opioid-Antagonist wird hauptsächlich in der Therapie von
Alkohol- und Opiatabhängigkeit eingesetzt. Seit 2018 wird Bupropion SR (360mg/
Tag) mit Naltrexon SR (32mg/ Tag mit verzögerter Freisetzung) zur Behandlung von

 37
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