Diskriminierung durch die Polizei: Institutioneller Rassismus und die polizeiliche Kontrollpraxis des Racial Profiling

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Diskriminierung durch die Polizei: Institutioneller Rassismus und die polizeiliche Kontrollpraxis des Racial Profiling
Rechtswissen-
     schaftliche
     Fakultät

Kathrin Fitzek

Diskriminierung durch die Polizei: Institutioneller
Rassismus und die polizeiliche Kontrollpraxis des
Racial Profiling
Eine verfassungs- und antidiskriminierungsrechtliche Analyse
Lehrstuhl für Gender im Recht
Bachelorarbeit
Kathrin Fitzek
Schneidemühlerstr. 13
53119 Bonn
Matr.-Nr.: 8044210

                     BACHELORARBEIT IM STUDIENGANG
                               BACHELOR OF LAWS

                                 THEMA DER ARBEIT

         ,,Diskriminierung durch die Polizei: Institutioneller Rassismus und die
                     polizeiliche Kontrollpraxis des Racial Profiling.
             Eine verfassungs- und antidiskriminierungsrechtliche Analyse‘‘

                               Betreuerin: Dr. Anja Böning

                                 FernUniversität in Hagen
                                Wintersemester 2020/2021

                                Abgabedatum: 08.12.2020
Inhalt

I. Einleitung ................................................................................................................................ 1
II. Rassismus in der deutschen Gesellschaft .............................................................................. 2
   1. Entwicklung und Status Quo .............................................................................................. 2
   2. Exkurs: Abgrenzung zu Rechtsextremismus und Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit .. 3
III. Rassismus und Diskriminierung durch die Sicherheitsbehörde Polizei ............................... 4
   1. Institutioneller Rassismus und institutionelle Diskriminierung ......................................... 5
      a. Begrifflichkeiten und Konzeptualisierungen .................................................................. 6
      b. Erscheinungsformen des institutionellen Rassismus in der Polizei ................................ 7
   2. Rechtsextremismus in der Polizei....................................................................................... 9
   3. Institutioneller Rassismus am Beispiel des NSU-Komplexes .......................................... 10
   4. Rassistische Polizeigewalt ................................................................................................ 12
IV. Die polizeiliche Kontrollpraxis des Racial Profiling ......................................................... 14
   1. Racial Profiling als polizeiliche Praxis ............................................................................. 15
   2. § 22 I a BPolG .................................................................................................................. 16
   3. Polizeikultur...................................................................................................................... 19
   4. Angst vor Fremdheit ......................................................................................................... 20
V. Verfassungs- und Antidiskriminierungsrechtliche Analyse ................................................ 22
   1. EMRK ............................................................................................................................... 22
   2. Anti-Rassismus-Konvention ............................................................................................. 26
   3. Art. 3 GG .......................................................................................................................... 28
   4. Exkurs: Racial Profiling und AGG ................................................................................... 30
   5. Beamt*innenstatus ............................................................................................................ 31
   6. LADG Berlin als Vorreiterin des Diskriminierungsschutzes gegen Racial Profiling? .... 33
VI. Schutz und Prävention ....................................................................................................... 35
   1. Polizeiausbildung.............................................................................................................. 35
   2. Beschwerdestellen und -beauftragte ................................................................................. 38
   3. Forschungsbedarf.............................................................................................................. 40
   4. Modernisiertes Kulturverständnis..................................................................................... 41
VII. Fazit und Ausblick ............................................................................................................ 42
Literaturverzeichnis .................................................................................................................. 45
Eigenständigkeitserklärung ...................................................................................................... 52

                                                                                                                                                   II
I. Einleitung
Seit dem Tod des schwarzen US-Amerikaners George Floyd, der von weißen
Polizeibeamten mit dem Knie auf den Boden gedrückt wurde, bis er erstickte,
stehen die Themen Rassismus und rassistische Polizeigewalt im Fokus. Die
Rassismus Debatte in den USA und die Black Lives Matter Bewegung führen
auch in Deutschland vermehrt zur Kritik an dem Vorgehen und den Hand-
lungsweisen der Polizei. Diskriminierungs- und Rassismusvorwürfe nehmen
zu. Rechtsextremistische Äußerungen und die jüngste Enthüllung rechtsextre-
mer Chatgruppen in der Polizei lassen die Vorwürfe nicht verstummen. Die
strikte Ablehnung jeder Form von Diskriminierung und Extremismus ist zwar
ein grundlegendes Prinzip bei allen gesetzgeberischen Maßnahmen, dennoch
bestehen Strukturen, Routinen und institutionelle Rahmenbedingungen, die
sich rassistisch auswirken. Dass es der Politik und Gesellschaft nicht leicht-
fällt, zu erkennen, dass rassistische Arbeitskulturen und Praktiken in staatli-
chen Institutionen wie der Polizei verankert sind, zeigen die jahrelangen Er-
mittlungen der NSU-Morde. Die Zurückweisung der Existenz rassistischer
Praktiken in der Polizei erfolgt auch im Rahmen des sog. Racial Profiling. Es
sind die alltäglichen, anlasslosen, verdachtsunabhängigen Personenkontrollen,
die sich aufgrund von Verdachtsstrategien und Erfahrungswissen von Polizei-
beamt*innen sowie der Angst vor der ,,gefährlichen Fremdheit‘‘ zuspitzen und
nicht selten in Polizeigewalt münden. Sicher ist: ,,Rassismus schont keinen
Teil der Gesellschaft und die Polizei bildet da keine Ausnahme. Rassismus
kann in der Einstellung oder dem Verhalten von Polizeibeamt*innen, in ihrem
Umgang mit der Bevölkerung oder mit anderen Beamt*innen vorhanden sein.
Er findet sich auch in den von der Polizei angewandten Regeln und Verord-
nungen, die in diesem Fall als institutioneller Rassismus gelten würden. Unter
diesen ist das rassistische Profiling ein besonderes Anliegen.‘‘1
Im Folgenden wird aufgeführt, wie Diskriminierung durch die Polizei ausge-
staltet ist und inwieweit institutioneller Rassismus sowie die polizeiliche Kon-
trollpraxis des Racial Profiling gegen Menschen- und Grundrechte sowie die
Anti-Rassismus-Konvention verstoßen. Zudem wird aufgezeigt, dass Schutz-
und Präventionsmaßnahmen bei der Bekämpfung von Diskriminierung in einer
modernen Polizei und einer vielfältigen Gesellschaft unabdingbar sind.

1
    David Davies, Bekämpfung des Rassismus in der Polizei, 2014, S. 1.

                                                                                   1
II. Rassismus in der deutschen Gesellschaft
Rassismus ist ein historisch gewachsenes, gesamtgesellschaftliches sowie
strukturelles Phänomen, das ein Macht- und Dominanzverhältnis ausdrückt.2
Es ist ein gesellschaftliches Konzept. Es entwickelt sich, nimmt unterschiedli-
che Formen an und geht mit der Zeit.

1. Entwicklung und Status Quo
Die Entstehung von Rassismus beruht zunächst auf der Vorstellung einer Ein-
teilung der Menschen in verschiedene ,,Rassen‘‘3. Bereits in der Antike exis-
tierten Theorien zu sog. ,,Menschenrassen‘‘, die Sklaverei und Eroberungs-
kriege legitimierten.4 Die Machtverhältnisse mündeten u.a. in der Differenzie-
rung der Hautfarben. ,,Schwarze‘‘ wurden in der Antike als barbarisch und
unzivilisiert betrachtet.5 Diese Vorstellung verfestigte sich in nachfolgenden
Jahrhunderten und führte zur Formierung von ,,Rasse‘‘ als Instrumentarium
der Klassifizierung von Menschen.6 Dabei kann die koloniale Eroberung als
Prototyp des Rassismus verstanden werden.7 Denn es wurden biologische
Merkmale wie Hautfarbe dazu genutzt, Fremdgruppen zu markieren.8 Nach
dem Zweiten Weltkrieg und dem Rassenwahn des NS-Regimes, kam es zur
Tabuisierung des Rassekonzepts und des Rassismus an sich.9 Heute ist allge-
mein anerkannt, dass ,,Menschenrassen‘‘ nicht existieren. Eine solche Vorstel-
lung ist wissenschaftlich nicht haltbar. Dennoch ist das Rassekonzept in der
sozialen Welt real: ,,Race doesn’t exist, but it does kill people.‘‘10 Der Begriff
Rasse stellt heute einen Rechtsbegriff dar, um die Anknüpfung an Rassismus
zu verdeutlichen und die Signalwirkung des Wortes zu erhalten.11 Rassismus
ist ein System von Diskursen und Praxen, die historisch entwickelte, aktuelle
Machtverhältnisse legitimieren und reproduzieren.12 Dafür werden Menschen
in homogene Gruppen zusammengefasst, vereinheitlicht und den anderen als

2
  Cengiz Barskanmaz, Recht und Rassismus, 2019, S. 19.
3
  Sofern es um den juristischen Begriff geht, wird auf die Anführungszeichen verzichtet.
4
  Susan Arndt, in: Fereidooni/El (Hg.), Rassismuskritik und Widerstandsformen, 2017, S. 29
(34).
5
  A.a.O., S. 29 (35).
6
  Ebd.
7
  Birgit Rommelspacher, in: Melter/Mecheril (Hg.), Rassismuskritik, 2009, S. 25 (25).
8
  A.a.O., S. 25 (26).
9                                                                                            2
  Cengiz Barskanmaz, Recht und Rassismus, 2019, S. 119.
10
   Vgl. a.a.O., S. 22.
11
   Gregor Thüsing, in: MüKo, 8. Aufl. 2018, § 1 AGG Rn. 16.
12
   Birgit Rommelspacher, in: Melter/Mecheril (Hg.), Rassismuskritik, 2009, S. 25 (29).
grundsätzlich verschieden und unvereinbar gegenübergestellt.13 Rassismus
meint nicht nur individuelle Vorurteile, sondern die Legitimation von gesell-
schaftlichen Hierarchien, die auf der Diskriminierung der konstruierten Grup-
pen basieren.14 Darüber hinaus ist Rassismus wandelbar, sodass zunehmend
neue Erscheinungsformen auftreten, die den biologischen Rassismus ergänzen.
Die Migrationsbewegung nach Europa ließ kulturalistisch fundierte Bewertun-
gen menschlicher Charakteristika in den Vordergrund treten.15 Der Begriff
Rasse wird nunmehr durch Wörter wie ,,Volk‘‘, ,,Fremde‘‘, ,,Ausländer‘‘ oder
,,Kultur‘‘ ersetzt.16

2. Exkurs: Abgrenzung zu Rechtsextremismus und Ausländer- und
Fremdenfeindlichkeit
Rassismus zeigt sich in vielen Formen. Dabei ist Rassismus nicht mit Rechts-
extremismus gleichzusetzen. Rechtsextremismus ist zunächst ein Sammelbe-
griff, mit dem auf die von stark nationalistischen und rassistischen Vorstellun-
gen geprägten politischen Ideologien verwiesen wird.17 Dieser ist demokratie-
feindlich, gewaltbereit, strebt Homogenität an und ist geprägt von einem ras-
sistisch-völkischen Abstammungsmythos.18 Darüber hinaus ist der Antisemi-
tismus in den meisten Spektren des Rechtsextremismus ein wichtiges Ideolo-
gieelement.19 Während Rassismus eher ein kulturelles Phänomen ist, welches
Werte, Normen und Praxen in der Gesellschaft prägt, handelt es sich bei
Rechtsextremismus um eine politische Ideologie, die ihre gesellschaftlichen
Vorstellungen umsetzen möchte.20 Rechtsextremismus kann insofern als poli-
tisierte Form des Rassismus verstanden werden und fällt immer mit Rassismus
zusammen. Rassismus kann aber nicht nur auf Rechtsextremismus reduziert
werden.21 Demgegenüber sind die Begriffe Fremden- und Ausländerfeindlich-
keit zu unterscheiden. Sie haben neue Erscheinungen des Rassismus geschaf-
fen und kamen in den 1980er und 1990er Jahren auf, um die in der einheimi-
schen Bevölkerung existierenden Ablehnungen gegen die sog. ,,Ausländer‘‘

13
   Ebd.
14
   Ebd.
15
   Cengiz Barskanmaz, Recht und Rassismus, 2019, S. 55.
16
   A.a.O., S. 46.
17
   A.a.O., S. 128.
18
   A.a.O., S. 128f.
19
   Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Verfassungsschutzbericht 2019, S. 51.   3
20
   Birgit Rommelspacher, in: Melter/Mecheril (Hg.), Rassismuskritik 2009, S. 25 (29).
21
   Cengiz Barskanmaz, Recht und Rassismus, 2019, S. 136.
zu beschreiben.22 Allgemein werden darunter negative und abwertende Ein-
stellungen sowie Vorurteile gegenüber Ausländer*innen und Fremden be-
schrieben.23 Mit dem Begriff Fremdenfeindlichkeit wird das Bild eines mit un-
veränderlichen Eigenschaften ausgerüsteten Fremden konstruiert.24 Ähnlich
verhält es sich mit dem Begriff Ausländerfeindlichkeit. Dieser bringt die Zu-
schreibung des Ausländerstatus und damit die Nicht-Zugehörigkeit der Be-
troffenen zum nationalen Kollektiv zum Ausdruck.25 Hierbei ist zu beachten,
dass die Konzepte der Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit nur einen be-
grenzten Zugriff auf Rassismus als strukturelles Phänomen bieten. Sie verfol-
gen selbst eine rassistische Logik, da sie Gruppen wie ,,Ausländer‘‘ und
,,Fremde‘‘ voraussetzen, die allein für sich rassistische Fremdbezeichnungen
sind.26 Sie sollten folglich als eine Ausprägung von Rassismus verstanden,
wenn nicht ganz durch das Konzept Rassismus ersetzen werden.27

III. Rassismus und Diskriminierung durch die Sicherheitsbehörde Polizei
Eine Diskriminierung liegt vor, wenn Menschen, die einer Minderheit angehö-
ren, im Vergleich zu Mitgliedern der Mehrheit weniger Lebenschancen, weni-
ger Zugang zu Ressourcen und Chancen zur Teilhabe an der Gesellschaft ha-
ben.28 Rassismus und Diskriminierung sind wandelbare Konzepte, die sich in
allen Lebensbereichen zeigen und auf allen Ebenen eng verknüpft sind. Folg-
lich kann die Institution Polizei, als ein Teil dieser Gesellschaft, nicht frei von
diesen Konzepten sein. Vielmehr haben Diskriminierungs- und Rassismusvor-
würfe gegen die Polizei eine lange Tradition.29 Sie können sich in der Einstel-
lung oder dem Verhalten der Beamt*innen zeigen. Sie finden sich aber auch in
den von der Polizei angewandten Gesetzen, Regeln und Routinen.30

22
   Cengiz Barskanmaz, KJ 2008, S. 296 (296).
23
   A.a.O. S. 296 (297).
24
   Cengiz Barskanmaz, Recht und Rassismus, 2019, S. 121.
25
   Ebd.
26
   A.a.O., S. 122.
27
   A.a.O., S. 121.
28
   Birgit Rommelspacher, in: Melter/Mecheril (Hg.), Rassismuskritik, 2009, S. 25 (30).   4
29
   Rafael Behr, in: Scherr et al. (Hg.), Handbuch Diskriminierung, 2017, S. 301 (301).
30
   David Davies, Bekämpfung des Rassismus in der Polizei, 2014, S. 3 Rn. 1.
1. Institutioneller Rassismus und institutionelle Diskriminierung
Die Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus und institutioneller
Diskriminierung ist in Deutschland seit den späten 2000er Jahren politisch und
rechtlich relevant geworden.31 Dieser Umstand ist nicht nur auf gesetzliche
Veränderungen im migrations- und integrationspolitischen Bereich zurückzu-
führen, sondern auch auf den Übergang zu einer aktiven Integrationspolitik
und der zunehmenden Forderung nach einer interkulturellen Öffnung der In-
stitutionen.32 Institutionelle Diskriminierung beschreibt die dauerhafte Be-
nachteiligung sozialer Gruppen, die auf überindividuelle Sachverhalte wie
Normen, Regeln, Routinen und kollektiv verfügbare Begründungen zurückge-
führt werden.33 Als Verursacher werden insbesondere Organisationen und in
Organisationen tätige Professionen berücksichtigt.34 Entscheidend ist, dass
Mechanismen institutioneller Diskriminierung unabhängig von individuellen
Vorurteilen oder negativen Absichten wirken und bestehen können.35 Eine
Diskriminierungsabsicht der Beteiligten ist nicht erforderlich. Die Mechanis-
men wirken indirekt und subtil, sodass sie von beteiligten Personen und Be-
troffenen meist nicht wahrgenommen werden.36 Ausgangspunkt der Konzept-
entwicklung der institutionellen Diskriminierung ist der institutionelle Rassis-
mus. Mit institutionellem Rassismus werden Diskurse, Politiken und Praktiken
von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen bezeichnet, die syste-
matisch Ausgrenzung und Diskriminierung produzieren, ohne konkret vorsätz-
lich rassistische Begründungs- und Deutungsmuster zu verwenden.37 Somit
wird die normative Hegemonie der Dominanzgesellschaft sichergestellt, wäh-
rend Zuschreibungen sowie Verfahrensweisen angemessen und neutral er-
scheinen.38 Maßgebend ist die institutionelle Struktur, die für die Produktion
von Rassismus verantwortlich ist, sodass es unerheblich ist, ob diejenigen, die
diese Gesetze und Verordnungen ausführen und durchsetzen, sie billigen.39
Dies wird auch durch die Macpherson-Definition deutlich. Die Macpherson-

31
   Mechthild Gomolla, in: Scherr et al. (Hg.), Handbuch Diskriminierung, 2017, S. 133 (138).
32
   Ebd.
33
   Raimund Hasse/Lucia Schmidt, in: Ulrich et al. (Hg.), Handbuch Bildungs- und Erziehungs-
soziologie, S. 883 (883).
34
   Ebd.
35
   Mechthild Gomolla, in: Scherr et al. (Hg.), Handbuch Diskriminierung, 2017, S. 133 (134).
36
   Ebd.
37
   Vassilis S. Tsianos, Standpunkt: Sozial 2018, S. 45 (46).                                   5
38
   Ebd.
39
   Margarete Jäger/Heiko Kauffmann, in: Jäger/Kauffmann (Hg.), Leben unter Vorbehalt,
2002, S. 9 (19).
Studie befasste sich mit dem rassistisch motivierten Mord des schwarzen, bri-
tischen Studenten Stephen Lawrence. Die Täter wurden festgenommen, jedoch
nie verurteilt. Im Untersuchungsausschuss wurde institutioneller Rassismus als
Ursache der erfolglosen Ermittlungen festgestellt und definiert: ,,Als kollekti-
ves Versagen einer Behörde bzw. Organisation, Menschen aufgrund ihrer
Hautfarbe, ihrer kulturellen oder ethnischen Herkunft adäquate und professio-
nelle Dienstleistungen und Service zur Verfügung zu stellen. Institutioneller
Rassismus kann in behördlichen Abläufen, Einstellungen und Verhaltenswei-
sen aufgezeigt bzw. entdeckt werden, die Diskriminierung erzeugen und
dadurch Minderheiten bzw. bestimmte Gruppen benachteiligen: durch unab-
sichtliche Vorurteile, Ignoranz, Gedankenlosigkeit und rassistische Stereoty-
pisierung.“40 Die Definition bietet Raum für individuelle diskriminierende
Verhaltensweisen wie die eines einzigen Polizeibeamten.41 Somit besteht in-
stitutioneller Rassismus auch dann, wenn Institutionen es unterlassen und/oder
versäumen, rassistische Handlungen zu sanktionieren.42 Dieser Grundsatz liegt
dem Diskriminierungsverbot des Art. 14 der Europäischen Menschenrechts-
konvention zugrunde.

a. Begrifflichkeiten und Konzeptualisierungen
Die Begriffskombination des institutionellen Rassismus stammt aus der US-
amerikanischen Soziologie der 1960er Jahre.43 Die Verwendung des Begriffs
soll die Trennung zwischen politisch-institutionellen Verhältnissen und dem
rassistischen Subjekt überwinden, indem der institutionelle Rassismus als Vo-
raussetzung von individuellen Handlungen verdeutlicht wird.44 Der Begriff des
institutionellen Rassismus ist jedoch strittig, da der Begriff der Institution(en)
unterschiedlich eng oder weit gefasst wird, sodass eine befriedigende Defini-
tion fehlt. Die Schwierigkeit der Bedeutung zeigt sich besonders in der Wahl
bzw. Konzeptualisierung einer institutionellen Erklärungsebene. Zunächst
kann Institution als eine notwendige Verfestigung von Sinn und Wissen ver-
standen werden.45 Gemeint sind u.a. staatliche oder öffentliche Einrichtungen,

40
   Vgl. Mechthild Gomolla, in: Scherr et al. (Hg.), Handbuch Diskriminierung, 2017, S. 133
(137); BT-Drs. 18/12950 S. 1220.
41
   Cengiz Barskanmaz, Recht und Rassismus, 2019, S. 62.
42
   Ebd.
43
   Vassilis S. Tsianos, Standpunkt: Sozial 2018, S. 45 (46).
44
   Ebd.
45                                                                                           6
   Margarete Jäger/Heiko Kauffmann, in: Jäger/Kauffmann (Hg.), Leben unter Vorbehalt,
2002, S. 9 (22).
kollektive Organisationen, die bestimmte Aufgaben übernehmen, einem fest-
gelegten Zweck dienen sowie eine bestimmte Regelhaftigkeit inne haben.
Folglich kann institutioneller Rassismus als eine verfestigte Form von Rassis-
mus verstanden werden.46 Jedoch ist der Begriff der Institution gleichzeitig mit
dem negativ aufgeladenen Begriff des Rassismus verbunden, sodass administ-
rative Maßnahmen und Verhaltensweisen von vornherein kritisch hinterfragt
werden.47 Es bestehe die Gefahr, dass die Auseinandersetzung mit institutio-
neller Diskriminierung bzw. institutionellem Rassismus auf einzelne instituti-
onelle Sektoren, Organisationen oder Maßnahmen reduziert werde. 48 Dem ist
aber auch kritisch zu begegnen. Eine Lokalisierung auf der institutionellen
Ebene bedeutet nicht, dass pauschal jedes Bewusstsein über Diskriminierung
bzw. Rassismus verneint werden muss.49 Das Potenzial der Perspektive liegt
darin, latente Formen der Benachteiligung und Ausgrenzung sichtbar zu ma-
chen. Für selbstverständlich genommene Überzeugungen, Wertorientierungen
und Praktiken können in Frage gestellt werden.50 Der Begriff ist mithin hilf-
reich, um diese Praxen, die als richtig und neutral erscheinen, zu kritisieren
und sie als ein Ganzes fassen zu können.51 Teilweise wird institutioneller Ras-
sismus als Synonym für strukturellen Rassismus verwendet. Dabei liegt dieser
vor, wenn das gesellschaftliche System mit seinen Rechtsvorstellungen, seinen
politischen und ökonomischen Strukturen Ausgrenzung bewirkt.52 Im Vorder-
grund des strukturellen Rassismus stehen die gesellschaftlichen Strukturen, die
dazu führen, dass Menschen abgewertet oder benachteiligt werden. Strukturel-
ler Rassismus schließt somit den institutionellen Rassismus ein.53

b. Erscheinungsformen des institutionellen Rassismus in der Polizei
Institutioneller Rassismus findet sich in den Verfahren, Regelungen und der
Kultur der Institution. Dazu zählen Handlungsroutinen, Maßnahmen wie Iden-
titätskontrollen, Befragungen, Überwachungen, Festnahmen oder Durchsu-
chungen, die nicht auf einem konkreten Verdacht beruhen, sondern anhand von

46
   Ebd.
47
   Ebd.
48
   Mechthild Gomolla, in: Scherr et al. (Hg.), Handbuch Diskriminierung, 2017, S. 133 (139f.).
49
   Vg., A.a.O., S. 133 (141f.).
50
   Ebd.
51
   Margarete Jäger/Heiko Kauffmann, in: Jäger/Kauffmann (Hg.), Leben unter Vorbehalt,
2002, S. 9 (25).                                                                                 7
52
   Birgit Rommelspacher, in: Melter/Mecheril (Hg.), Rassismuskritik, 2009, S. 25 (30).
53
   Vgl. Ebd.
äußeren Merkmalen wie der Hautfarbe durchgeführt werden. In erster Linie ist
die Kontrollpraxis des Racial Profiling zu nennen, die sich in den genannten
Maßnahmen wiederfindet und vorliegt, wenn rassistische Zuschreibungen zu
einer anlasslosen Personenkontrolle führen. Die Kontrollen werden durch Po-
lizist*innen nach Verdachtsstrategien ausgeführt, sodass Personen, die in das
Raster fallen, weil sie etwa anderer Hautfarbe sind, öfter kontrolliert werden.54
Dies äußert sich z.B. in der sog. Residenzpflicht nach § 56 Asylgesetz (AsylG).
Diese Regelung soll zunächst verhindern, dass sich Asylsuchende den Ort ih-
res Aufenthalts selbst suchen und den staatlichen Verteilerschlüssel unterlau-
fen.55 Daneben ermöglicht die Bestimmung nicht nur eine Grundlage für die
Kontrolle von ,,Fremden‘‘. Sie bewirkt diskriminierendes Verhalten, da sie
dazu einlädt, dass Polizist*innen bestimmte Menschen häufiger kontrollieren
als andere.56 Eine weitere Erscheinungsform des institutionellen Rassismus
und zugleich eine des Racial Profiling ist die Rasterfahndung. Diese erfolgte
nach den Terroranschlägen des 11. September 2001. Die Suche gestaltete sich
nach den Kriterien: männlich, Alter 18 bis 40 Jahre, Student oder ehemaliger
Student, islamische Religionszugehörigkeit, Geburtsland oder Nationalität be-
stimmter, im Einzelnen benannter Länder mit überwiegend islamischer Bevöl-
kerung.57 Das Bundesverfassungsgericht stellte die Rechtswidrigkeit der Ras-
terfahndung fest, da keine konkrete Gefahr vorgelegen habe und erklärte, dass
die Rasterfahndung als solche eine stigmatisierende Wirkung für diejenigen
haben könne, die diese Kriterien erfüllen.58 Institutioneller Rassismus findet
sich auch in pauschalen und gruppenbezogenen Erfassungen der Polizei. Nach
§ 16 AsylG wird die Identität des ,,Ausländers‘‘ festgestellt und überprüft.
Diese Daten dürfen zur allgemeinen Nutzung gespeichert werden.59 Der dahin-
terstehende Zweck zielt zwar auf die Sicherung des Asylverfahrens, jedoch
wird für diese spezifische Bevölkerungsgruppe dieser Zweck auf die allge-
meine Kriminalitätsbekämpfung ausgedehnt.60 Zudem finden sich Datenverar-
beitungen oder administrative Strategien, die ausschließlich an die von der

54
   VG Koblenz vom 28.02.2012, Az. 5 K 1026/11 .KP, Rn. 3ff.
55
   Rafael Behr, in: Howe/Ostermeier (Hg.), Polizei und Gesellschaft, 2019, S. 17 (25).
56
   Ebd.
57
   Martin Herrnkind, in: Antidiskriminierungsbüro Sachsen et al. (Hg.), Alles im weißen Be-
reich?, 2014, S.39 (41).
58
   BVerfG vom 04.04.2006, MMR 2006, 531 (537).
59
   Martin Herrnkind, in: Antidiskriminierungsbüro Sachsen et al. (Hg.), Alles im weißen Be-   8
reich?, 2014, S.39 (43).
60
   Ebd.
Polizei zugeschriebene Kategorie Ethnie anknüpfen, sodass eine pauschale
Speicherung einer ganzen Gruppe vorgenommen wird.61 Zudem muss die Po-
lizei Prognoseentscheidungen treffen, wenn personenbezogene Datensätze in
polizeiliche Auskunftsdateien gespeichert werden sollen.62 Begründungen,
dass Straftaten bei Asylbewerber*innen nicht auszuschließen seien, bestätigen,
dass ohne tatsächliche Anhaltspunkte Pauschalisierungen vorgenommen wer-
den. Rassistische Tendenzen können sich somit auch in Kriminalprognosen zur
Beurteilung künftigen Täterverhaltens festigen.63 Darüber hinaus sind die sog.
Verdachtskalender zu beachten, die von der Polizei an Behörden, Institutionen
oder Firmen weitergegeben werden.64 Diese beinhalten Empfehlungen mit be-
stimmten Faktoren wie Religion, Herkunftsstaat und sollen Argwohn begrün-
den.65 Die Polizei verlagert den Prozess der Verdachtsschöpfung an andere
Stellen, obwohl andere Behörden weder qualifiziert noch erfahren sind, um
Verdacht zu generieren.66 Das Risiko stereotypischer Verdachtsmuster wird
dadurch erhöht. Dies gilt auch für den Fall, wenn eine Verdachtskonstruktion
an die Polizei herangetragen wird. Verdachtsroutinen und Stereotypisierungen
realisieren sich in Ermittlungsstrategien und -taktiken und können zu bedeu-
tenden Richtungsentscheidungen führen.

2. Rechtsextremismus in der Polizei
Rechtsextremismus geht immer mit Rassismus einher und kann sich entspre-
chend im institutionellen Rassismus widerspiegeln. Dabei bedürfen Rechtsext-
remistische Fälle, die innerhalb der Polizei stattfinden, einer besonderen Be-
trachtung. Denn Polizist*innen stehen als Bedienstete des Staates für die frei-
heitliche demokratische Grundordnung ein und sind dieser in besonderem
Maße verpflichtet.67 In den vergangenen Jahren wurden in der Polizei jedoch
Fälle bekannt, die auf eine Haltung jenseits der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung hindeuten.68 Diese reichten von Anhaltspunkten für antisemiti-
sche oder fremdenfeindliche Haltungen, über Chatgruppen, mit entsprechen-
den rechtsextremistischen Inhalten, bis hin zu der Beschaffung sowie

61
   Ebd.
62
   A.a.O., S. 39 (45).
63
   Ebd.
64
   A.a.O., S. 39 (46).
65
   Ebd.
66
   Ebd.
67                                                                                          9
   Bundesamt für Verfassungsschutz, Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden, 2020, S. 6.
68
   A.a.O., S. 5.
Vorhaltung von Waffen und Munition zur Vorbereitung des sog. Tag X.69 Die
rechtsextremistische Entwicklung fügt sich in die Beurteilung des Verfas-
sungsschutzes ein. So stieg die Gesamtzahl aller rechtsextremistischer Strafta-
ten in Deutschland im Jahr 2019 um 9,7 % im Vergleich zum Vorjahr auf
21.290 Delikte an.70 Die Gesamtzahl rechtsextremistischer Straftaten durch
Polizist*innen kann mangels empirischer Studien in diesem Bereich nicht auf-
gezeigt werden. In diesem Zusammenhang zeigt der Lagebericht ,,Rechtsext-
remisten in Sicherheitsbehörden‘‘ aber eine erste Übersicht über Verdachts-
fälle in der Polizei auf, die einen rechtsextremen Zusammenhang aufweisen.
Im Erhebungszeitraum (1. Januar 2017 bis 31. März 2020) leitete die Polizei
und der Verfassungsschutz der Länder insgesamt 319 Verdachtsfälle mit Be-
zug zum Rechtsextremismus ein.71 Die Bundessicherheitsbehörden meldeten
58 Verdachtsfälle und der Militärische Abschirmdienst für den Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums der Verteidigung erfassten 1064 Verdachts-
fälle.72 Zwar sind die absoluten Zahlen dieser Verfehlungen in Relation zur
Gesamtzahl der Beschäftigten bei den Sicherheitsbehörden gering, doch ist
grundsätzlich von einem Dunkelfeld auszugehen.73 Das Gefahrenpotenzial
zeigt sich besonders in der sensiblen Aufgabenstellung der Polizei, denn sie
verfügt über Zugang zu Waffen sowie sensiblen, internen Informationen und
Datenbanken.74 Sind Polizist*innen oder eine Gruppierung innerhalb der Poli-
zei rechtsextremistischen Tendenzen oder Positionen zugeneigt, entsteht nicht
nur eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Gesellschaft und den Staat.
Vielmehr kann institutioneller Rassismus begünstigt und verstärkt werden.

3. Institutioneller Rassismus am Beispiel des NSU-Komplexes
Dass Rechtsextremismus von staatlichen Behörden übersehen, unterschätzt
und unzureichend bewältigt wird, zeigt die Mordserie des Nationalsozialisti-
schen Untergrundes (NSU).75 Dem NSU wird zugeschrieben seit 2000 bis zu
seiner Aufdeckung im Jahr 2011 zehn Menschen ermordet zu haben, davon
neun aus rassistischen Motiven. Der NSU verfolgte eine rassistische Ideologie

69
   Ebd.
70
   Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Verfassungsschutzbericht 2019, S. 54.
71
   Bundesamt für Verfassungsschutz, Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden, 2020, S. 12.
72
   A.a.O., S. 12ff.
73
   A.a.O., S. 5.
74
   A.a.O., S. 6.
75                                                                                           10
   Britta Schellenberg, in: Fereidooni, El (Hg.), Rassismuskritik und Widerstandsformen,
2017, S. 721 (721).
und ,,Rassenreinheit‘‘, sodass sich die Mordserie und Anschläge an Menschen
mit Migrationshintergrund richteten.76 Die aufgenommenen Ermittlungen der
Polizei und Überwachungsmaßnahmen des Verfassungsschutzes blieben über
zehn Jahre erfolglos.77 Der Einsatz von V-Leuten, die selbst NSU-Unterstützer
waren, verstärkte das behördliche Versagen, das sich während des ganzen Er-
mittlungsverfahrens darbot. Auch die umfangreiche Aktenvernichtung mögli-
chen Beweismaterials der Behörden führte zur Behinderung, sodass sich eine
Aufarbeitung als schwierig erwies. Indizien und Befürchtungen, dass es sich
um rassistisch motivierte Taten und rechter Gewalt handeln könnte, blieben
von der Polizei ungehört und wurden nicht berücksichtigt.78 Das Handeln der
Ermittlungsbehörden erfasste eine rassistisch zustande gekommene Wahrneh-
mungskultur, welche leitend für das staatliche Handeln wurde.79 Entsprechend
fiel der Verdacht auf einen ausländerextremistischen Tathintergrund, sodass
die Ermittlung besonders im Umfeld der Opfer stattfand. Dabei wurden
Zeug*innenaussagen über Männer eines ,,südländischen‘‘ Typs handlungslei-
tend für die Polizei.80 Der Begriff südländisch drückt Andersartigkeit aus und
beinhaltet Zuschreibungen, die von dem Verhalten der eigenen sozialen Norm
abweichen.81 Es handelt sich um eine soziale Kategorisierung anderer durch
eine gesellschaftlich dominante Gruppe.82 Diese Kategorisierung zeigt sich
insbesondere im Ermittlungsverfahren der Polizei. Allein die Wahl der Be-
zeichnungen der Sonderkommissionen ,,Soko Bosporus‘‘ und ,,Soko Halb-
mond‘‘ machen nicht nur die sprachliche Ausgrenzung des türkischen Perso-
nenkreises deutlich, sondern zeigen, dass die Polizei auf rassistische Vorstel-
lungen zurückgegriffen hat und von einer organisierten Kriminalität im mig-
rantischen Milieu ausging.83 Dass die Ermittlungen rassistische Deutungs- und
Interpretationsmuster beinhalteten und diese Grundlage für weitere Ermitt-
lungsstrategien waren, zeigt u.a. das Gutachten bzgl. eines möglichen Täter-
profils. So wurde aufgeführt, dass „vor dem Hintergrund, dass die Tötung von
Menschen in unserem Kulturkreis mit einem hohen Tabu belegt ist‘‘ abzuleiten

76
   Nina Bach, Institutioneller Rassismus im NSU-Prozess, Eine Dispositivanalyse, 2017, S. 8.
77
   A.a.O., S. 6.
78
   A.a.O., S. 6.
79
   Lee Hielscher, in: Arbeit und Leben DGB/VHS Hamburg e. V. (Hg.), Rassismus als Terror,
Struktur und Einstellung, 2018, S.7 (8).
80
   A.a.O., S. 7 (7).
81
   A.a.O., S. 7 (8).                                                                           11
82
   Ebd.
83
   Nina Bach, Institutioneller Rassismus im NSU-Prozess, Eine Dispositivanalyse, 2017, S. 9.
sei, ,,dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des
hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist.“84 Diese verdeckten Aus-
grenzungspraktiken und rassistische Stereotypisierung sind charakteristisch
für den institutionellen Rassismus. Die Vorgehensweise der Polizei während
der Ermittlungen zeigt die auf Stereotypen basierenden Verdachtsschöpfungs-
praktiken und deren Auswirkungen. Der institutionelle Rassismus hat eine er-
folgreiche Fahndung nach den Täter*innen verhindert.85 Er führte dazu, dass
Hinweise auf rassistisch motivierte Taten ignoriert wurden.86 Darüber hinaus
trug dieser maßgebend dazu bei, dass die Opfer und ihre Angehörigen über
Jahre kriminalisiert, stigmatisiert und sozial ausgegrenzt wurden.87 Zudem ver-
deutlicht die Mordserie den staatlichen Umgang mit rechtsextremistischen Ta-
ten und zeigt, dass es Politik sowie Polizei schwerfällt, zu erkennen, dass ras-
sistische Diskriminierung in Arbeitskulturen und Praktiken der Polizei veran-
kert sind.

4. Rassistische Polizeigewalt
Der Polizei kommt die zentrale Aufgabe zu, das Recht notfalls mit Gewalt
durchzusetzen. Rassistische, institutionalisierte Praxen in der Polizei weisen
eine große Bandbreite auf und reichen von selektiven Kontrollen, körperlichen,
psychischen und sexuellen Misshandlungen bis hin zu Mord.88 Allerdings ist
der empirische Forschungsstand in Deutschland in Bezug auf rassistische Po-
lizeigewalt sehr begrenzt. Hierbei ist lediglich ein grober Rahmen ersichtlich,
der die polizeiliche Gewalt i.S.v. Körperverletzung im Amt nach § 340 Straf-
gesetzbuch (StGB) aufzeigt, von der Menschen mit Migrationshintergrund be-
troffen waren. So wurden im Jahr 2019 insgesamt 1.579 mutmaßliche Opfer
einer Körperverletzung im Amt registriert.89 25 % hatten keine deutsche
Staatsangehörigkeit.90 Ungefähr 5 % davon waren Asylsuchende und Geflüch-
tete.91 Darüber hinaus hatten 26 % der Bevölkerung in Deutschland einen

84
   BT-Drs. 17/14600, S. 878.
85
   BT-Drs. 18/12950, S. 1199.
86
   Ebd.
87
   A.a.O., S. 1206.
88
   Sebastian Friedrich/Johanna Mohrfeldt, ZAG 2012, S. 27 (27).
89
   Bundeskriminalamt, PKS Opfer nach Staatsangehörigkeit 2020, T911.
90                                                                                 12
   Ebd.
91
   Bundeskriminalamt, PKS Opferspezifik-Asylbewerber/Flüchtling 2020, T944.
Migrationshintergrund.92 Deutlich wird, dass Personen mit Migrationshinter-
grund unter den mutmaßlichen Opfern überrepräsentiert sind.93 Im Dunkelfeld
ist von einer höheren Zahl auszugehen. Dass es zu einer erhöhten rassistischen
Gewaltbereitschaft kommen kann, wird besonders in den sog. Gefahrengebie-
ten und kriminalbelasteten Orten sichtbar. Polizeiliches Handeln wird im öf-
fentlichen Raum durch Gefahrengebiete strukturiert, in denen die Polizei be-
sondere Befugnisse hat und etwa verdachtsunabhängige Kontrollen durchfüh-
ren kann.94 Dies geschieht vorwiegend in Gebieten, in denen die Migrations-
rate und Kriminalität nachweislich sehr hoch sind.95 Werden polizeiliche Maß-
nahmen hier als rassistisch wahrgenommen und infrage gestellt, kann es zu
einer übermäßigen Gewaltanwendung und Eskalation der Situation kommen.96
Dies liegt u.a. daran, dass Polizist*innen nicht neutral in das Gebiet gehen,
sondern davon ausgehen, dass die Situation außer Kontrolle gerät.97 Aus dem
Wissen der Beamt*innen über bestimmte Orte kann somit eine andere Einstel-
lung zum Einsatz von Gewalt resultieren. Gewaltsames Handeln wird als al-
ternativlos verstanden und entsprechend legitimiert.98 Neben Erfahrungswis-
sen und raumorientierten Handeln, aus denen sich rassistische polizeiliche Pra-
xen und Gewaltbereitschaft ergeben können, drückt sich die institutionelle
Verankerung auch bei der Betrachtung alltäglicher Polizeipraxen aus.99 Mit
rassistischen Aussagen wie ,,Heute gehen wir Türken jagen‘‘ gehen Beamt*in-
nen gezielt bei Streifenfahrten und Kontrollen auf die Suche und provozieren
aufgrund von Kleinigkeiten eine gewaltbereite Situation herauf.100 Der unge-
klärte Tod des schwarzen Oury Jalloh ist ein Beispiel von vielen, das auf ras-
sistische Polizeigewalt schließt, jedoch nicht vollends aufgeklärt wurde. Die
Polizei nahm ihn zur Identitätsfeststellung in Gewahrsam, worauf er kurze Zeit
später bei einem Brand in der Zelle ums Leben kam, während er an Händen
und Füßen mit metallenen Fesseln fixiert war. 101 Die während den Ermittlun-
gen massenhafte Bezeichnung des ,,Afrikaner‘‘, trotz Kenntnis des Namens,

92
   Statistisches Bundesamt, Bevölkerung mit Migrationshintergrund 2019 um 2,1 % gewach-
sen: schwächster Anstieg seit 2011 - Statistisches Bundesamt (destatis.de).
93
   Laila Abdul-Rahman et al., KviAPol, 2020, S. 11.
94
   A.a.O., S.36.
95
   A.a.O., S.37.
96
   A.a.O., S.36.
97
   Ebd.
98
   A.a.O., S. 37.                                                                         13
99
   Sebastian Friedrich/Johanna Mohrfeldt, ZAG 2012, S. 27 (27).
100
    Laila Abdul-Rahman et al., KviAPol, 2020, S. 37.
101
    LT-Sachsen-Anhalt, Bericht zum Todesfall Ouri Jallow, 2020, S. 61.
ist als Ausdruck des institutionellen Rassismus zu werten.102 Auch die Anmer-
kung ,,Schwarze brennen länger‘‘103 verdeutlicht die offen rassistische, men-
schenverachtende Haltung und den Umgang der polizeilichen Behörde mit
dem Tod eines Menschen anderer Hautfarbe. Zwischen solchen Äußerungen
und einem rassistisch gewaltbereiten Handeln liegt oft nur ein schmaler Grad.
Zudem ist die Wahrnehmung rassistischer Polizeigewalt in der Öffentlichkeit
gering. Die Folgen der Betroffenen dagegen schwerwiegend. Sie resultieren in
Wut, Angst und Unwohlsein beim Anblick der Polizei.104 Es kommt zur Unfä-
higkeit sich gegen rassistische Gewalthandlungen zur Wehr zu setzen. Auch
die geringen Erfolgsaussichten, die hohe Wahrscheinlichkeit einer Gegenan-
zeige und die psychische Belastung stellen Gründe gegen eine Anzeige dar.105

IV. Die polizeiliche Kontrollpraxis des Racial Profiling
Diskriminierende Polizeikontrollen, die aufgrund von rassifizierten und ethni-
sierten Merkmalen ausgeführt werden, stellen einen grundlegenden Fall von
institutionellen und strukturellen Rassismen dar. Nach Ansicht der Bundesre-
gierung verstoßen Polizeimaßnahmen, die sich allein oder ganz überwiegend
auf das äußere Erscheinungsbild einer Person oder ihre ethnische Herkunft
stützen, gegen deutsches Recht.106 Eine Praxis wie Racial Profiling bzw. Eth-
nic Profiling könne als Methode in der polizeilichen Praxis nicht existieren.107
Allerdings belegen u.a. die regelmäßigen Länderberichte der Europäischen
Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), dass Racial Profiling als
systematische Praxis existiert. Auch der Menschenrechtskomissar des Europa-
rats zeigte sich besorgt über das rassistisch motivierte Verhalten und die zahl-
reichen Berichte über Racial Profiling in der Polizei.108 Im Jahr 2017 bestätigte
die Expertengruppe der Vereinten Nationen zu Menschen afrikanischer Ab-
stammung, dass Racial Profiling unter deutschen Polizeikräften weit verbreitet
sei.109

102
    A.a.O., S. 85.
103
    Ebd.
104
    Laila Abdul-Rahman et al., KviAPol, 2020, S. 39.
105
    A.a.O. S. 44.
106
    Auswärtiges Amt, Staatenbericht Deutschland, S. 6.
107
    Ebd.
108                                                                                 14
    ECRI-Bericht Deutschland, 2020, S. 38, Rn. 104.
109
    Ebd.
1. Racial Profiling als polizeiliche Praxis
Racial Profiling wird als eine Form des institutionellen und strukturellen Ras-
sismus verstanden und kann übersetzt werden als ,,Rassistische Fahndungs-
muster‘‘110, ,,Rassische Profilbildung‘‘111 oder als polizeiliche ,,Kontrolle nach
Hautfarbe‘‘112. Unter Racial Profiling sind verdachtsunabhängige, ohne objek-
tive und vernünftige Begründung erfolgende, polizeiliche Maßnahmen wie
Kontrollen, Überwachungen oder Ermittlungen zu verstehen, bei denen die Po-
lizei den Fokus in unzulässiger Weise auf physische Merkmale wie Rasse,
Hautfarbe, Sprache, Religionszugehörigkeit, tatsächliche oder vermeintliche
Herkunft der betroffenen Menschen richtet.113 Zusätzlich können weitere Fak-
toren wie Geschlecht, Kleidung, zugeschriebener sozialer Status oder Alter
Einfluss haben.114 Gemeint ist eine anlass- bzw. verdachtsunabhängige Kon-
trollpraxis. Indessen ist zu beachten, dass die polizeiliche Berufspraxis auf
Verdachtsschöpfung ausgelegt ist und für die Polizei zur täglichen Arbeit ge-
hört. Auch die deutsche Polizei kontrolliert Menschen, weil deren andere Haut-
farbe einen Verdachtsimpuls auslöst.115 Merkmale wie „fremdes“ Aussehen
oder die ,,andere‘‘ Herkunft werden eine besondere Gefährlichkeit zugeschrie-
ben. Hält sich der/die Verdächtige illegal in Deutschland auf? Ist er/sie ein
Drogenkurier?116 Fährt ein*e Schwarze*r in Deutschland ein hochwertiges
Auto, passt ein solches Bild oft nicht in das Weltbild der Polizist*innen, die
ihn/sie kontrollieren.117 Es sind die Klischeevorstellungen, die Argwohn und
Verdachtsmomente auslösen, Stereotype beeinflussen und prägen. Entspre-
chend wird von einem spezifischen äußerlichen Merkmal – vorwiegend der
Hautfarbe – per se auf eine delinquente Handlung oder auf eine Verbindung
von Devianz und persönlichem Aussehen geschlossen.118 Besonders in Zügen
werden Menschen ,,ausländischen‘‘ Aussehens kontrolliert, um dem Verdacht
einer möglichen illegalen Einreise nachzukommen. Dies wird menschenrecht-
lich problematisch, wenn die konkrete Verdachtslage fehlt oder dünn ist und

110
    Amnesty International, Racial/Ethnic Profiling Positionspapier, 2014, S. 3.
111
    ECRI, Allgemeine Politik-Empfehlung Nr. 11, 2007, S. 4 Rn. 1.
112
    Bernd Belina, in: Dollinger/Schmidt-Semisch (Hg.), Sicherer Alltag, 2016, S. 125 (132).
113
    ECRI-Bericht Deutschland, 2020, S. 38, S. 38 Rn. 105.
114
    Laila Abdul-Rahman et al., KviAPol, 2020, S. 10.
115
    Martin Herrnkind, in: Antidiskriminierungsbüro Sachsen et al. (Hg.), Alles im weißen Be-
reich?, 2014, S. 39 (40).
116                                                                                            15
    Ebd.
117
    A.a.O., S. 39 (41).
118
    Rafael Behr, in: Howe/Ostermeier (Hg.), Polizei und Gesellschaft, 2019, S. 17 (26).
die Polizei stattdessen auf rassistische Zuschreibungen zurückgreift.119
Schwarze und ,,ausländisch‘‘ aussehende Menschen sowie People of Color
(PoC) sind besonders von Racial Profiling betroffen. Dabei ist PoC eine Selbst-
bezeichnung, die verschiedene Menschen mit Rassismuserfahrung umfasst.120
Rassismus realisiert sich in Form von Racial Profiling durch die Polizei insbe-
sondere in öffentlichen, städtischen Räumen, wie in Bahnhöfen, an Flughäfen
oder in Ausgangsvierteln.121 Es ist daher auch mit der Frage verknüpft, wer in
einem bestimmten Raum erwünscht ist und wer nicht.122 Dieser Raum ist ins-
besondere für Personen mit sichtbaren Merkmalen, die sie als vermeintlich
nichteinheimisch oder nichtweiß markieren, beschränkt.123
Teilweise wird die Kontrollpraxis auch als ,,Ethnic Profiling‘‘ bezeichnet. Dies
ergibt sich daraus, dass die Kategorien Rasse und ethnische Herkunft nicht
scharf voneinander abzugrenzen sind. Zudem erfasst Racial Profiling nicht nur
Differenzierungen aufgrund des Merkmals Rasse, sondern ist allgemein auf
das äußere Erscheinungsbild und phänotypische Merkmale ausgelegt, die auch
die Ethnie oder anderen Kriterien betreffen wie Religion oder Staatsangehö-
rigkeit.124 Zum Teil wird, um eine völlige terminologische Beliebigkeit zu ver-
meiden, Racial Profiling auf das Merkmal der rassistischen Zuschreibung be-
schränkt.125 Zu berücksichtigen ist aber, dass Profiling hinsichtlich der Ethnie,
zu keiner anderen rechtlichen Bewertung führt. Auch hier liegt die Vorstellung
zugrunde, Menschen könnten in voneinander zu trennenden Gruppen eingeteilt
und pauschal bestimmte Eigenschaften wie delinquentes Verhalten zuge-
schrieben werden.126

2. § 22 I a BPolG
Staatliches Handeln ist nach Art. 20 III GG an Recht und Gesetz gebunden.
Hoheitliches Handeln, das in die Rechte der Bürger*innen eingreift, muss auf
einer gesetzlichen Grundlage beruhen. Dies gilt auch für polizeiliche Maßnah-
men wie etwa Personenkontrollen. Entsprechend räumt § 22 I a

119
    Martin Herrnkind, in: Antidiskriminierungsbüro Sachsen et al. (Hg.), Alles im weißen Be-
reich?, 2014, S. 39 (41).
120
    Laila Abdul-Rahman et al., KviAPol, 2020, S. 9.
121
    Rea Jurcevic et al., in: Aigner/ Kumnig (Hg.), Stadt für Alle, 2018, S. 122 (122).
122
    A.a.O., S. 122 (125).
123
    A.a.O., S. 122 (128).
124
    Uwe Kischel, in: BeckOK, 44. Ed. 2020, Art. 3 GG Rn. 223a.                                 16
125
    A.a.O., Rn. 223b.
126
    Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme Racial Profiling, 2020, S. 5.
Bundespolizeigesetz (BPolG) der Bundespolizei zur Verhinderung oder Un-
terbindung unerlaubter Einreisen i.S.d. § 14 I Aufenthaltsgesetz (AufenthG)
bestimmte Befugnisse ein.127 Danach kann die Bundespolizei zu Grenzkon-
trollzwecken u.a. in Zügen und auf Bahnhöfen Personen kontrollieren, soweit
auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung anzuneh-
men ist, dass diese zur unerlaubten Einreise genutzt werden. Dabei kann sie
jede Person kurzzeitig anhalten, befragen und verlangen, dass mitgeführte
Ausweispapiere oder Grenzübertrittspapiere zur Prüfung ausgehändigt wer-
den, sowie mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen. Der Normzweck des
§ 22 I a BPolG liegt insoweit auf der Verhinderung oder Unterbindung uner-
laubter Einreise in das Bundesgebiet.128 Dabei kommt der Bundespolizei ein
weites Auswahlermessen zu.129 Nach der Gesetzesfassung können alle Perso-
nen einbezogen werden, die sich an bestimmten Orten (z.B. Zug, Bahnhof,
Flughafen) aufhalten.130 Die Norm setzt nicht voraus, dass der/die Adressat*in
der Eingriffsmaßnahme für eine Gefahr verantwortlich ist.131 Ob die betroffe-
nen Personen Störer*innen oder Tatverdächtige sind oder nicht, soll gerade
herausgefunden werden.132 Zu berücksichtigen ist, dass im Vordergrund des §
22 I a BPolG die Unerlaubtheit steht. Die unerlaubte Einreise kann aber nur
von Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel vorgenommen werden. Demzu-
folge: Nicht-Deutsche.133 Kontrollen, die an Sprache oder äußeres Erschei-
nungsbild wie die Hautfarbe einer Person anknüpfen, sind schon in der Norm
selbst angelegt.134 Folglich besteht die Gefahr, dass allein nach dem Nicht-
Deutschen Erscheinungsbild einer Person geschlossen wird, dass eine Gefahr
der unerlaubten Einreise besteht, ohne dass konkrete Anhaltspunkte dafür vor-
liegen. Diese wiegt umso schwerer, wenn man davon ausgeht, dass eine grö-
ßere Wahrscheinlichkeit bestehe, unter den Personen mit ,,ausländischen Aus-
sehen‘‘, auf unerlaubt Einreisende zu treffen, als innerhalb einer Gruppe ,,ein-
heimisch aussehender Personen‘‘.135 Vor diesem Hintergrund stellt sich die

127
    BT-WD 3-3000-244/14, S. 4.
128
    OVG Koblenz vom 21.4.2016, NJW 2016, 2820 (2822).
129
    Maximilian J. Alter, NVwZ 2015, 1567 (1568); Matthias Wehr, in: BPolG, 2. Aufl. 2015,
§ 22 Rn. 12.
130
    Hendrik Cremer, „Racial Profiling“, 2013, S. 23.
131
    Ebd.
132
    Ebd.
133                                                                                         17
    Amnesty International, Racial/Ethnic Profiling Positionspapier, 2014, S. 11.
134
    Hendrik Cremer, „Racial Profiling“, 2013, S.7.
135
    Jeannine Drohla, ZAR 2012, 411 (414); Maximilian J. Alter, NVwZ 2015, 1567 (1569).
Frage, inwieweit § 22 I a BPolG Racial Profiling begünstigt, wenn zugelassen
wird, dass die Bundespolizei gänzlich frei darin ist auszuwählen, welche Per-
sonen sie kontrolliert und welche nicht. Dabei ist das Auswahlverfahren ins-
besondere durch das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot nach Art.
3 III 1 Grundgesetz (GG) begrenzt. Dass die Ermächtigung des § 22 I a BPolG
keinen polizeirechtlichen Gefahrenverdacht verlangt, führt dazu, dass die Per-
sonenkontrollen keinerlei Tatsachen oder konkretisierten personenbezogenen
Verdacht erforderlich machen.136 Doch werden verdachtsunabhängige Kon-
trollen nicht völlig verdachtsunabhängig durchgeführt. Klischeevorstellungen,
die Argwohn und Verdachtsmomente auslösen, prägen die polizeiliche Berufs-
praxis. Zudem werden verdachtsunabhängigen Kontrollen i.S.e. Vorstufe zum
Verdacht auf Personen konzentriert, die eine gesteigerte Nähe zum Norm-
zweck aufweisen.137 Wie aber, sollen Polizeibeamt*innen ihren gesetzlichen
Auftrag nach § 22 I a BPolG effektiv erfüllen? Die Ausübung der Befugnisse
hat jedenfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu verfolgen, § 16 I BPolG.
Eine überproportionale Heranziehung von Personen mit phänotypischen
Merkmalen wäre bei verdachtsunabhängigen Kontrollen nicht zu rechtferti-
gen.138 Für die Ausübung ihres Ermessens ist die Polizei dennoch auf bestimm-
bare Unterscheidungsmerkmale angewiesen.139 Durch Kontrollen nach dem
Zufallsprinzip dürften Menschen anderer Hautfarbe auch nicht stärker betrof-
fen sein als es ihrem Bevölkerungsanteil bzw. ihrem Anteil im konkret kon-
trollierten Verkehrsmittel entspräche.140 Die Polizei bleibt daher auf ermes-
senssteuernde Kriterien verwiesen, welche nicht ausdrücklich nach Art. 3 III 1
GG verboten sind, die aber gleichzeitig eine unerlaubte Einreise erkennen las-
sen.141 In Betracht kommen Umstände wie auffällig abgenutzte Kleidung, er-
kennbar aus Drittstaaten stammende Gepäckstücke, Schlafsäcke oder auffäl-
lige Nervosität beim Anblick der Polizeibeamt*innen.142 Es bleibt dennoch
eine Gratwanderung, die zwischen der Wahrung der Grundrechte und dem
Vorwurf einer umständlichen Praxisferne verläuft.143

136
    A.a.O., S. 24.
137
    Uwe Kischel, in: BeckOK GG, 44. Ed. 2020, Art. 3 Rn. 223f.
138
    Ebd.
139
    Maximilian J. Alter, NVwZ 2015, 1567 (1569).
140
    Uwe Kischel, in: BeckOK GG, 44. Ed. 2020, Art. 3 GG Rn. 223f.
141
    Vgl. Maximilian J. Alter, NVwZ 2015, 1567 (1569).
142                                                                              18
    Maximilian J. Alter, NVwZ 2015, 1567 (1569).
143
    Ebd.
3. Polizeikultur
Eng mit der Kontrollpraxis des Racial Profiling verbunden ist die unter der
Polizei bestehende offizielle Polizeikultur sowie die inoffizielle Polizist*in-
nenkultur (Cop Culture). Denn jedes polizeiliche Handeln erfolgt vor dem Hin-
tergrund eines kulturellen Rahmens, aus dem Diskriminierungspraxen resul-
tieren können. Der Begriff Kultur ist zunächst ein vielfältiges Konzept, dass
sich in eine Vielzahl verschiedener Bereiche erstreckt. Es wird oft als etwas
gesehen, das Identität repräsentiert.144 Ein standardisiertes Verständnis von
Kultur verleitet jedoch zur Abgrenzung und Homogenisierung anderer.145 Dies
kann sich entsprechend in der Auswahlpraxis von Personenkontrollen realisie-
ren. Die Kulturen der Polizei sind grundsätzlich Assimilations- bzw. Homoge-
nitätskulturen.146 Somit können und wollen viele Polizist*innen die sozialen
Bedingungen ihrer Klientel nicht verstehen und entwickeln keine berufliche
Neugier auf fremde Lebenswelten.147
Die Polizeikultur umfasst Verhaltensmuster und Wertmaßstäbe, die den Poli-
zeiberuf prägen. Es ist eine Organisationskultur, die nach außen, von der Poli-
zei in die Gesellschaft wirkt.148 Dabei steht die Stellung der Polizei als Dienst-
leisterin im Vordergrund.149 Sie kennzeichnet aber nicht nur die Organisation,
sondern zeigt auf, wie die Polizei nach außen wirken soll. Zudem ist die Poli-
zeikultur eine Leitkultur, die darauf setzt, dass es eine Cop Culture gibt, die für
die weniger freundlichen Seiten der Polizeiarbeit zuständig ist.150 Die Cop Cul-
ture ist vorwiegend durch Männer, Männlichkeit und der Kriegereigenschaft
geprägt.151 Sie sichert den Zusammenhalt nach innen und ist von den offiziel-
len Leitbildern der Polizeikultur zu unterscheiden. Kerneigenschaften sind So-
lidarität und Isolation gegenüber denjenigen, die nicht zur Cop Culture gehö-
ren. Die Bürger*innen sind nicht Klientel, sondern Herrschaftsunterworfene
der Staatsmacht.152 Das Verhältnis ist entsprechend macht- und dominanzori-
entiert und führt zu einer Klarstellung der Fronten in Freund-Feind

144
    Michaela Wendekamm/Jana-Andrea Frommer, in: Lange/Wendekamm (Hg.), Postfakti-
sche Sicherheitspolitik, 2019, S. 169 (174).
145
    Vgl. Ebd.
146
    Rafael Behr, in: Howe/ Ostermeier (Hg.), Polizei und Gesellschaft, 2019, S. 17 (40).
147
    Ebd.
148
    A.a.O., S. 17 (40).
149
    Ebd.
150                                                                                        19
    Rafael Behr, in: Howe/Ostermeier (Hg.), Polizei und Gesellschaft, 2019, S. 17 (40).
151
    Rafael Behr, juridikum 2017, S. 541 (545).
152
    A.a.O., S. 541 (543).
Konstellationen.153 Somit werden alle Personen, die Fremdheitsmerkmale auf-
weisen wie Sprache oder Hautfarbe, mit Argwohn und Vorbehalten begegnet.
Dies hängt u.a. mit dem Aufgabenspektrum der Polizei zusammen, welches
durch Unordnung, Misstrauen, Widersprüche und Konflikt geprägt wird.154
Cop Culture schafft Stabilität. Dazu gehört die unbedingte Solidarität im Ein-
satz, gegenüber den Kolleg*innen und Vorgesetzten sowie Zurückhaltung ge-
genüber der Außenwelt.155
Problematisch wird dies, wenn ein/e Polizist*in zwar im Bewusstsein, auf der
richtigen Seite zu stehen, doch moralisch und rechtlich in einer delinquenten
Zone angekommen ist.156 Denn bei der Cop Culture geht es um Verlässlichkeit
und gemeinsame Rituale, in der Kritik und Reflexivität keinen Platz finden.
Erfahrungen werden im kollegialen Umfeld weitergegeben und gefestigt, so-
dass ein kultureller Deutungsrahmen entsteht, in dem z.B. von vornherein für
bestimmte Delikte nur bestimmte Personengruppen infrage kommen.157 Auf
diese Personengruppe richtet sich dann die Aufmerksamkeit, um zu prüfen, ob
interne Alltagsdeutung mit der Wirklichkeit übereinstimmt.158 So können dis-
kriminierende Praxen wie Racial Profiling und darauf basierende Verdachts-
strategien nach dem Code of Silence verborgen bleiben, sich festigen und an
die nächste Generation der Cop Culture weitergegeben werden.

4. Angst vor Fremdheit
Racial Profiling gilt als wesentliches Ergebnis bestehender Klischeevorstellun-
gen innerhalb der Polizei, denen zufolge Personen anhand Hautfarbe, Sprache,
Religion, Staatsangehörigkeit, nationaler oder ethnischer Herkunft bestimmten
Personengruppen zugerechnet werden, die öfter als andere dazu neigen, Straf-
taten zu verüben.159 Menschen wird entsprechend ihres „fremden“ Aussehens
oder ihrer Herkunft eine besondere Gefährlichkeit zugeschrieben.160 Dies fin-
det sich besonders in der aus dem Kolonialismus resultierenden Vorstellung,
der dominierenden Position der Weißen. In Deutschland sind schwarze Men-
schen noch heute den wirkmächtigen Theorien des Kolonialismus ausgesetzt.

153
    Ebd.
154
    Rafael Behr, juridikum 2017 S. 541 (543).
155
    Ebd.
156
    Ebd.
157
    Rafael Behr, in: Howe, Ostermeier (Hg.), Polizei und Gesellschaft, 2019, S. 17 (31).
158
    Ebd.
159                                                                                        20
    ECRI, Allgemeine Politik-Empfehlung Nr. 11, 2007, S. 10, Rn. 37.
160
    Heiner Busch, in: Bürgerrechte & Polizei, 2013, S. 3 (3).
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