Diskriminierung an Schulen erkennen und vermeiden - Praxisleitfaden zum Abbau von Diskriminierung in der Schule

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Diskriminierung an Schulen erkennen und vermeiden - Praxisleitfaden zum Abbau von Diskriminierung in der Schule
Diskriminierung an Schulen
erkennen und vermeiden
Praxisleitfaden zum Abbau von Diskriminierung in der Schule
Inhalt
 3 Vorwort

 5 1. Einleitung

 6 2. Warum brauchen Schulen eine Strategie
      gegen Diskriminierung?

  6		   2.1 Diskriminierung: Begriffsklärungen

10		    2.2 Diskriminierungsrisiken an Schulen

13		    2.3 Auswirkungen von Diskriminierungen

14	3. Rechtliche Rahmenbedingungen

16 4. Handlungsmöglichkeiten für Schulen

17		    4.1 Diskriminierung identifizieren und aufdecken

20		    4.2 Prävention von Diskriminierung

25		    4.3 Intervention bei Diskriminierung

28		    4.4	Nachhaltige Verankerung von Maßnahmen
             gegen Diskriminierung

32	5. Glossar

34 6. Literatur

37 7. Serviceteil
Hinweis: In dieser Broschüre wird eine gendersensible Sprache verwendet. Es werden entweder
geschlechtsneutrale Bezeichnungen (z. B. Mitarbeitende) oder die Schreibweise mit Unterstrich
(z. B. Bürger_innen) benutzt. Dieser sogenannte Gender Gap macht als „Lücke“ darauf aufmerksam,
dass es jenseits von Frauen und Männern auch Personen gibt, die sich keinem der beiden
Geschlechter eindeutig zuordnen können oder wollen.
An wen richtet sich dieser Leitfaden?
Dieser Leitfaden richtet sich an Lehrer_innen,      Dieser Leitfaden beantwortet folgende Fragen:

                                                    ——
Schulleitungen und das pädagogische Personal an
Schulen, an Mitarbeitende von Schulverwaltungen,          Wo findet Diskriminierung in Schulen statt?

                                                    ——
aber auch an außerschulische Akteure wie Eltern-
vereine und zivilgesellschaftliche Organisationen          elche Auswirkungen haben Diskriminie-
                                                          W
aus dem Bereich der Antidiskriminierungsarbeit.           rungserfahrungen auf Betroffene?

                                                    ——
Wenn Sie sich für den Schutz vor Diskriminie-
rung an Ihrer Schule einsetzen wollen, finden Sie          elchen rechtlichen Diskriminierungsschutz
                                                          W
in diesem Leitfaden Ideen für konkrete Maß-               gibt es im Bereich Schule?

                                                    ——
nahmen, die Sie alleine oder in Kooperation mit
anderen umsetzen können, sowie bestehende                  ie kann eine Schule Antidiskriminierung
                                                          W
Beispiele guter Praxis an Schulen.                        verankern?

                                                    Wir möchten Sie mit diesem Leitfaden moti-
                                                    vieren, sich aktiv für Chancengerechtigkeit und
                                                    gegen Diskriminierung an Schulen einzusetzen.
1. Einleitung
Eine Schülerin wird auf dem Pausenhof als              dann kann es sich um eine Benachteiligung
„Du dumme Lesbe“ beschimpft. Wie reagieren Sie         handeln, für die Lehrkräfte und Strukturen an der
in dieser Situation? Was können Sie tun, wenn          Schule gleichermaßen verantwortlich sind. Darü-
ein Mitschüler einem Mädchen mit Kopftuch              ber hinaus gibt es gesellschaftliche Haltungen, die
vorwirft, eine Terroristin zu sein? Oder wenn ein      diskriminierend sind und die Schule prägen, z. B.
Lehrer einen Schüler rassistisch beleidigt? In allen   die Vorstellung, dass alle Kinder und Jugendlichen
Fällen handelt es sich um Diskriminierungen.           mit einer Behinderung auf Förderschulen unter-
Kann man darüber hinwegsehen und sie als Aus-          richtet werden sollten.
nahme abtun oder als Konflikte zwischen Ein-
zelpersonen, die diese selbst austragen müssen?        Es gibt aber auch viele ermutigende Signale – wie
Schulen werden vielfältiger und die Klassenräume       auch die Praxisbeispiele in diesem Leitfaden zeigen.
heterogener. Damit steigen die Anforderungen an        Überall in Deutschland nehmen Pädagog_innen
die Schule. Konflikte lassen sich nicht immer ver-     die Vielfalt in der Schule als Herausforderung an
meiden. Umso wichtiger ist es, Chancengerechtig-       und sorgen für ein faires Miteinander und glei-
keit zu fördern, Diskriminierungen zu verhindern       che Chancen für alle. Weder die Schüler_innen
und Antidiskriminierung als Bildungsziel zu            noch die Lehrer_innen oder die Schulleitung sind
verankern. Dies wird in einigen Schulgesetzen der      diskriminierenden Verhaltensweisen, Regeln und
Bundesländer bereits aufgegriffen. So bestimmt         Routinen hilflos ausgeliefert – sie können etwas
beispielsweise das Schulgesetz in Sachsen-Anhalt       dagegen tun. Und sie sollten es auch, weil die
(§ 1 Abs. 2 Nr. 6), „dass den Schülerinnen und         Folgen von Diskriminierungserfahrungen erheb-
Schülern Kenntnisse, Fähigkeiten und Werthal-          lich sind: Betroffene Schüler_innen können ein
tungen zu vermitteln sind, die die Gleichachtung       geringeres Selbstwertgefühl entwickeln und ihre
und Gleichberechtigung der Menschen unabhän-           Leistungsbereitschaft, Lernbereitschaft und Iden-
gig von ihrem Geschlecht, ihrer Abstammung,            tifikation mit der Schule können sich verringern.
ihrer Behinderung, ihrer Rasse, ihrer sexuellen
Identität, ihrer Sprache, ihrer Heimat und Her-
kunft, ihrem Glauben oder ihren religiösen und
politischen Anschauungen fördern und über die
Möglichkeit des Abbaus von Diskriminierungen
und Benachteiligung aufklären“.

Gleichzeitig kommen Diskriminierungen nicht
nur unter Schüler_innen vor. Sie finden sich auch
in Schulordnungen, z. B. durch Vorschriften, die
das Tragen von Kopfbedeckungen im Unterricht
verbieten und so nicht nur das Tragen einer Base­
cap sinnvoll verhindern, sondern auch das religiö-
ser Kopfbedeckungen (z. B. Kopftuch oder Kippa).
Und auch in den Benotungen oder im Verhalten
von Lehrkräften gegenüber Schüler_innen, aber
auch umgekehrt kommt es zu Diskriminierungen.
Wenn die Wahrscheinlichkeit einer Gymnasial­
empfehlung für Kinder mit Migrationshinter­
grund˚ deutlich unter der anderer Kinder liegt,

˚ Begriffserläuterung im Glossar
2. Warum brauchen Schulen
eine Strategie gegen
Diskriminierung?
Diskriminierungserfahrungen an Schulen lassen
sich von der Einschulung bis zum Abschluss der
                                                        ——    Eine Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2013
                                                               zeigt, dass 6 Prozent der Befragten mit
Sekundarschule beobachten. Kinder und Jugend-                  Behinderung schon eine Diskriminierung in
liche erleben Benachteiligungen z. B. aufgrund der             der Schule oder Hochschule erlebt haben
ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religi-              (ADS 2013c).
on oder Weltanschauung, einer Behinderung, des
Alters oder der sexuellen Identität, ihrer sozialen
Herkunft oder ihres Aussehens. Solche Diskrimi-
                                                        ——    Eine weitere Untersuchung der FRA aus dem
                                                              Jahr 2013 stellt fest, dass 68 Prozent aller
                                                              Befragten in den EU-Mitgliedsstaaten häufig
nierungserfahrungen in der Schule sind durch
                                                              oder ständig negative Kommentare oder
mehrere Studien und Umfragen belegt:

——
                                                              Verhaltensweisen gegenüber LSBT˚-Men-
        Die Repräsentativbefragung der Antidiskrimi-         schen in der Schule wahrgenommen haben
                                                               (FRA 2013:20).

                                                        ——
        nierungsstelle zu Diskriminierungserfahrun-
        gen in Deutschland ergab, dass 23,7 Prozent            as Integrationsbarometer 2012 gibt an,
                                                               D
        aller Befragten in den letzten zwei Jahren            dass sich 23,7 Prozent der Menschen mit
        Diskriminierungen im Bildungsbereich erlebt           Migrationshintergrund in Schule oder Ausbil-
        haben (ADS 2016).

——
                                                              dung diskriminiert fühlen (SVR 2012).
        Eine Befragung der Agentur der Europä-
         ischen Union für Grundrechte (FRA) von         Tipp
         Menschen mit Migrationshintergrund aus         Die Ergebnisse der Repräsentativbefragung
         der Türkei oder aus Sub-Sahara-Afrika zeigt,   „Diskriminierungserfahrungen in Deutsch­land“
         dass 6 bzw. 10 Prozent der Befragten in den    werden durch eine umfassende Betroffenen­
         letzten 12 Monaten im Schulkontext Diskri-     befragung ergänzt. Ein Kapitel des Ergebnisberichts
         minierung aufgrund ihrer Hautfarbe, ethni-     widmet sich dem Bildungsbereich und stellt Dis­
         schen Herkunft oder Religion erlebt haben      kriminierungserfahrungen in diesem Lebensbereich
         (FRA 2017).                                    umfassend dar (Beigang et al. 2017).

2.1 Diskriminierung: Begriffsklärungen
Bei Diskriminierungserfahrungen spielen Vorstel-        z. B. in Kindergarten und Schule, führen können
lungen von dem eine Rolle, was „normal“ und was         (Fachstelle Kinderwelten 2004:1 f). Lehrer_innen
„nicht normal“ ist. Diese Normalitätsvorstellungen      kommt in diesem Zusammenhang eine heraus-
können dazu führen, dass Menschen, die nicht            ragende Rolle zu: Wenn sie diskriminierendes
dieser Norm entsprechen, abgewertet und ausge-          Verhalten als solches benennen, tragen sie ak-
grenzt werden. Auch Kinder entwickeln bereits           tiv dazu bei, Kindern und Jugendlichen andere
Vorurteile, die zu diskriminierenden Handlungen,        Normalitätsvorstellungen zu vermitteln, und

˚ Begriffserläuterung im Glossar
fördern dadurch Vielfalt und Chancengerechtig-
keit. Dafür ist es aber ebenso notwendig, dass sich
                                                       ——     eligion oder Weltanschauung
                                                             R
                                                             Geschützt wird die Zugehörigkeit oder Nicht-
Lehrer_innen über ihr eigenes möglicherweise                 zugehörigkeit zu einer Religion oder Weltan-
diskriminierendes Verhalten im Klaren sind und               schauung sowie deren Ausübung.

                                                       ——
es reflektieren.
                                                              ehinderung und chronische Erkrankungen
                                                             B
                                                             Menschen gelten als behindert, wenn ihre
Juristischer Diskriminierungs-                                körperliche Funktion, geistige Fähigkeit
begriff: geschützte Merkmale                                  oder seelische Gesundheit dauerhaft einge-
                                                              schränkt ist und in Wechselwirkung mit Bar-
                                                              rieren aus dem sozialen Umfeld die Teilhabe
Gesetzliche Verbote von Diskriminierung finden                an der Gesellschaft nachhaltig beeinträchtigt
sich u.a. im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz              sein kann. Auch bei chronischen Erkrankun-
(AGG) sowie in Schulgesetzen. Das AGG benutzt                 gen können solche Barrieren für die gesell-
dabei den Begriff der Benachteiligung. Von Dis-               schaftliche Teilhabe entstehen.

                                                       ——
kriminierung oder Benachteiligung wird in der
Regel gesprochen, wenn eine Person aufgrund                   lter
                                                             A
eines bestimmten Merkmals in einer vergleichba-              Der Schutz vor Diskriminierung aufgrund
ren Situation schlechter behandelt wird als andere            des Alters bezieht sich auf das Lebensalter
Personen, bei denen dieses Merkmal fehlt und                  allgemein. Somit sind Ungleichbehandlungen
ohne dass es dafür einen sachlichen Grund gibt.               wegen eines zu jungen oder zu alten Alters
Dabei ist es unerheblich, ob das jeweilige Merkmal            untersagt.

                                                       ——
tatsächlich vorliegt oder die Ungleichbehand-
lung aufgrund eines zugeschriebenen Merkmals                  exuelle Identität
                                                             S
erfolgt. Im AGG werden beispielsweise die unten              Der Begriff der sexuellen Identität bezieht
aufgeführten sechs Merkmale genannt, aufgrund                sich auf lesbische, schwule, hetero- und
derer niemand schlechter behandelt werden                    bi­sexuelle sowie asexuelle Menschen˚. Nie-
darf. Auch Landesschulgesetze formulieren ein                mand darf aufgrund der sexuellen Identität
diskriminierungsfreies Recht auf Bildung von                 benachteiligt werden.
Schüler_innen im Hinblick auf diese und gegebe-
nenfalls weitere Merkmale. Gemeinsames Kenn-           Alle sechs genannten Diskriminierungsmerkmale
zeichen dieser Merkmale und Schutzgrund ist,           sind gleichwertig und gleichermaßen schutzwür-
dass einzelne Menschen auf ihr Vorhandensein           dig. Damit wird eine Hierarchisierung von Diskri-
oder Fehlen keinen oder nur begrenzten Einfluss        minierungsmerkmalen bzw. Betroffenengruppen
nehmen können:                                         verhindert. Das AGG trägt auch der Tatsache

——
                                                       Rechnung, dass Menschen immer von mehreren
         thnische Herkunft bzw. die sogenannte
        E                                              Merkmalen gleichzeitig geprägt sind und somit
        Rasse                                          auch mehr als ein Diskriminierungsgrund ursäch-
        Das Merkmal bezieht sich auf Kategorien wie   lich für Benachteiligungen sein kann. So hat jeder
         Hautfarbe, äußere Erscheinung, Sprache oder   Mensch beispielsweise ein Alter, eine Geschlechts­
         Migrationshintergrund. Niemand darf wegen     identität oder eine sexuelle Orientierung.
         dieser Kategorien diskriminiert werden.       Verschiedene Merkmale können dabei sowohl

——
                                                       einzeln als auch gleichzeitig Anknüpfungspunkte
        Geschlecht                                    für Diskriminierung sein. Ist mehr als ein Dis-
        Der Schutz in Bezug auf das Geschlecht gilt   kriminierungsgrund für eine Benachteiligung
         für Frauen, Männer, Trans*Personen˚ und       in einer Situation ursächlich, handelt es sich um
         intergeschlechtliche˚ Menschen.               eine Mehrfachdiskriminierung oder mehrdimen-
                                                       sionale Diskriminierung. Dabei summieren sich

˚ Begriffserläuterung im Glossar
einzelne Diskriminierungsgründe und verstärken         entsprechenden Landesschulgesetze sein, die
sich gegenseitig. Wenn in einer Situation mehrere      einen diskriminierungsfreien Rechtsanspruch auf
Diskriminierungsmerkmale zusammentreffen               Bildung im Hinblick auf eine Reihe von Merkma-
und derart spezifisch zusammen wirken, dass sie        len verbindlich vorschreiben (Dern et al. 2013:37 ff.).
nicht mehr getrennt voneinander zu betrachten
sind, spricht man von intersektionaler Diskrimi-
nierung (Walgenbach 2012:11). Die Formen sind          Formen von Diskriminierung
nicht immer eindeutig voneinander abzugrenzen.
Zentral ist jedoch, dass es um die Komplexität von     Man kann zwischen unmittelbarer und mittelba-
Diskriminierung geht. Beispielsweise wird eine         rer Diskriminierung unterscheiden. Unmittelbar
Schülerin ausgegrenzt, weil sie als Frau ein mus-      oder direkt ist eine Diskriminierung, wenn eine
limisches Kopftuch trägt (intersektional) oder ein     Person aufgrund eines der geschützten Merkmale
Bewerber wird nicht als Lehrer eingestellt, weil er    eine weniger günstige Behandlung als eine Ver-
einen Migrationshintergrund und eine Behinde-          gleichsperson erfährt. Mittelbare oder indirekte
rung hat (mehrdimensional).                            Diskriminierungen sind scheinbar neutrale Ver-
                                                       haltensweisen, Vorschriften und Regelungen, die
Im Kontext der Schule sind noch andere Diskri-         für alle Personen gelten, sich aber stärker benach-
minierungsmerkmale zu nennen, die in anderen           teiligend auf bestimmte Gruppen auswirken.
Gesetzen geschützt werden, z. B. der Familien­
status oder                                            Beispiel für eine unmittelbare Diskriminierung

——    „ Soziale Herkunft“/sozialer Status
       Dieses Merkmal bezieht sich auf den fami-
                                                       Trotz gleicher Leistung erhält ein Schüler mit
                                                       türkischem Migrationshintergrund eine schlechtere
       liären Hintergrund eines Kindes, genauer        Note als ein Schüler ohne Migrationshintergrund.
       den sozialen Status der Eltern eines Kindes.
       Diskriminierungen aufgrund der „sozialen        Beispiel für eine mittelbare Diskriminierung
       Herkunft“ treffen dabei Kinder aus Familien
       mit geringen sozioökonomischen Mitteln          In der Schulordnung einer Schule wird das Tragen
       oder geringem Ausbildungsniveau. Die wirt­      jeglicher Kopfbedeckungen im Unterricht verboten.
       schaftliche oder gesellschaftliche Stellung     Von dieser Regelung sind muslimische Schülerinnen
       der Eltern darf beispielsweise nach dem         oder jüdische Schüler, die ein Kopftuch bzw. eine
       Hessischen Schulgesetz für die Aufnahme in      Kippa tragen, überproportional häufig betroffen.
       eine Schule nicht bestimmend sein (§ 1 Abs. 2
       Hess. SchulG).                                  Eine Diskriminierung kann auch in der Form
                                                       einer Belästigung vorkommen. Das AGG definiert
Tipp                                                   diese als unerwünschte Handlungen, die eine
Das Themenheft „Klassismus – Diskriminierung           Person wegen eines der genannten Merkmale
aufgrund der sozialen Herkunft“ (Schule ohne           einschüchtern, beleidigen oder erniedrigen und
Rassismus – Schule mit Courage 2017) zeigt auf, was    dadurch ein feindliches Umfeld schaffen oder
Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft ist     darauf abzielen. Belästigungen können Teil von
und was sich dagegen tun lässt.                        Mobbingprozessen sein. Mobbing wird allge-
                                                       mein als würdeverletzende Handlung über einen
                                                       längeren Zeitraum hinweg beschrieben, die dabei
Generell gilt: Die Gründe, weswegen es an Schu-        zielgerichtet und systematisch erfolgt und auf
len zu Diskriminierungen kommt, sind vielfältig        eine Persönlichkeitsverletzung abzielt. Mobbing
und jede Schule hat selbst die Möglichkeit, im         kann direkt an eines der genannten Merkmale an-
Leitbild festzulegen, wie gegen Diskriminierung        knüpfen, es kann aber auch ohne Bezug zu diesen
vorgegangen wird. Grundlage können dabei die           Merkmalen erfolgen.
Von einer Diskriminierung in Form einer sexuel-       liche Strukturen gibt, die z. B. Ressourcen ungleich
len Belästigung spricht man, wenn diese Verhal-       verteilen, wodurch bestimmte Gruppen benach-
tensweise sexuell bestimmt ist.                       teiligt werden.

Beispiel für eine sexuelle Belästigung                Beispiel für eine Diskriminierung auf
                                                      institutioneller Ebene
Eine Schülerin macht gegenüber einem Mitschüler
anzügliche Bemerkungen und schickt an ihn             Sonderschulüberweisungen für Kinder mit
ungebeten Nachrichten mit pornografischem             Migrationshintergrund werden mit Sprachdefiziten
Inhalt.                                               und kulturellen Differenzen gerechtfertigt
                                                      ohne eine Überprüfung der muttersprachlichen
                                                      Fähigkeiten, um das Sprachdefizit als Ursache für
                                                      Lernschwierigkeiten auszuschließen.
Ebenen der Diskriminierung
Diskriminierung erfolgt vor allem auf drei Ebe-       Strukturelle Diskriminierung
nen: der individuellen, der institutionellen und      liegt zum Beispiel dann vor, wenn gesellschaftliche
der gesellschaftlichen. Diese Ebenen sind nicht       Strukturen dazu führen, dass Bildungseinrichtungen
immer eindeutig voneinander zu trennen. An-           in Stadtteilen mit einem hohen Anteil von Familien
tidiskriminierungsmaßnahmen in der Schule             mit Migrationshintergrund oder sozial schwächeren
sollten daher immer alle drei Ebenen im Blick         Familien eine vergleichsweise geringere Qualität
behalten.                                             aufweisen als in anderen Stadtteilen und dadurch
                                                      Schüler_innen mit Migrationshintergrund oder aus
Auf der individuellen Ebene bezieht sich Diskri-      sozial schwächeren Familien benachteiligt werden.
minierung auf ein Verhalten zwischen Individuen,
das einzelne Personen abwertet oder ausgrenzt.
Dabei geht es im Schulkontext oft um wiederkeh-       Die gesellschaftliche Ebene betrifft Vorstellungen,
rende verletzende Erfahrungen zwischen Lehr-          Bezeichnungen und Bilder. Häufig spielen dabei Ste-
kräften auf der einen und Schüler_innen auf der       reotypisierungen eine Rolle. Stereotype Ideen und
anderen Seite oder zwischen Schüler_innen.            Bilder werden von Medien transportiert, finden
                                                      sich aber auch in alltäglichen Gesprächen, in Schul-
Beispiel für eine Diskriminierung auf individueller   büchern oder Lehr- und Lernmaterialien wieder.
Ebene
                                                      Beispiel für eine Diskriminierung auf
Ein Schüler, dessen Eltern homosexuell sind, wird
                                                      gesellschaftlicher Ebene
vom Klassenlehrer immer wieder aufgefordert, zu
erzählen, wie sich seine Familie von „normalen“       In Schulmaterialien wird ein klischeehaftes Bild
Familien unterscheidet.                               vom afrikanischen Kontinent vermittelt. Komplexe
                                                      Lebensrealitäten in unterschiedlichen afrikanischen
                                                      Ländern werden gar nicht oder nur vor negativem
Auf der institutionellen Ebene ist für die Diskri-
                                                      Hintergrund (Flüchtlingsströme, Kriege etc.)
minierung das Handeln einer Organisation verant-
                                                      dargestellt. Auch bei vermeintlich positiven
wortlich: Die Personen handeln nicht aus eigenen
                                                      Darstellungen von afrikanischen Menschen als
Motiven diskriminierend, sondern die Regeln,
                                                      tanz- und musikbegabt („Rhythmus im Blut“)
Gesetze, Praktiken und Abläufe der Institution
                                                      handelt es sich um stereotype Darstellungen, die
sind für die Benachteiligung verantwortlich, dabei
                                                      diskriminierend sind.
handelt es sich um institutionelle Diskriminierung
(Gomolla und Radtke 2007:19). Im Zusammen-
hang mit der institutionellen Ebene wird häufig
auch von struktureller Diskriminierung gespro-
chen. Sie entsteht dadurch, dass es gesellschaft­
2.2 Diskriminierungsrisiken an Schulen

Im Folgenden haben wir diskriminierende Si-            Geschlecht/Geschlechtsiden-
tuationen anhand der im AGG genannten Dis-             tität sowie sexuelle Identität/
kriminierungsmerkmale zusammengestellt, die
verdeutlichen, welche Diskriminierungsrisiken
                                                       Diskriminierung von LSBTIQ*-
an Schulen bestehen (siehe dazu ausführlicher:         Personen˚
Jennessen et al. 2013).

Rassistische Diskriminierung/                          ——   Mobbing, Beschimpfungen, verletzende Be-
                                                            merkungen: Ein Lehrer wertet die Kenntnisse
ethnische Herkunft                                          und Fähigkeiten von Mädchen im naturwis-
                                                            senschaftlichen Unterricht dauernd ab („In

——
                                                            Physik seid ihr nur Deko“). Ein Schüler verhält
       obbing, verbale Angriffe durch Mitschü-
      M                                                     sich gegenüber weiblichen Lehrkräften
      ler_innen oder Lehrkräfte: Schüler_innen mit          permanent abwertend und respektlos („Von
      Migrationshintergrund werden von Mitschü-             Frauen lasse ich mir gar nichts sagen“).

                                                       ——
      ler_innen als „Kanaken“ bezeichnet, Schü-
      ler_innen ohne Migrationshintergrund als              S chüler_innen werden als „Lesbe“ oder
      „deutsche Kartoffeln“.                                 „Schwuchtel“ beschimpft.

——     tereotype Zuschreibungen und Reduzie-
      S
      rung auf die (vermeintliche) Herkunft: Ein
                                                       ——    rans*Schüler_innen erleben physische Ge-
                                                            T
                                                            walt oder deren Androhung.

                                                       ——
      türkischstämmiges Mädchen bekommt von
      einem Lehrer gesagt, ihre schlechten Noten             ei Trans* und Inter*Personen: Benutzung
                                                            B
      seien doch nicht so schlimm, da sie ja eh bald        der selbstgewählten Toiletten und Umkleide-
      verheiratet wird.                                     kabinen in der Schule wird erschwert.

Religion/Weltanschauung
                                                       ——    ei Trans* Personen: Bei der Namensän-
                                                            B
                                                            derung sind Schulen oft nicht bereit, Zeug-
                                                            nisunterlagen auf den geänderten Namen

——
                                                            auszustellen.

                                                       ——
       elästigung von muslimischen Schülerinnen
      B
      mit Kopftuch: Mitschüler_innen machen                  ine Trans*Schülerin wird von der Lehrerin
                                                            E
      sich über das Kopftuch einer muslimischen             nicht mit ihrem neuen Namen angesprochen.

                                                       ——
      Schülerin lustig und versuchen ihr dieses vom
      Kopf zu reißen.                                       I n einem Deutsch-Lehrbuch für die Grund-

——
                                                            schule werden Mädchen generell beim
       ntisemitische Beleidigungen: Schüler_innen
      A                                                     Spielen drinnen mit Puppen, am Herd oder
      werden als „Du Jude“ beschimpft.                      in Interaktion mit anderen Mädchen gezeigt,
                                                            während Jungen generell draußen sind,
                                                            Fußball spielen oder mit anderen Jungen
                                                            herumtollen.

                                                       ——   S exuelle Belästigung: unerwünschte Blicke
                                                             oder Anstarren in der Umkleidekabine beim
                                                             Sportunterricht, scheinbar zufällige Berüh-
                                                             rungen.
Exkurs: Pauschale Kopftuchverbote im Schuldienst
sind verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht hat am 27.01.2015             vereinbaren. Kopftuchverbote sind demnach nur
entschieden, dass pauschale Kopftuchverbote für            noch in Einzelfällen möglich, wenn eine hinreichend
Lehrkräfte an öffentlichen Schulen verfassungs-            konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des Schul-
widrig sind: Pauschale Kopftuchverbote lassen              friedens oder der staatlichen Neutralität vorliegt.
sich nicht mit dem Grundrecht auf Glaubens- und            (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. Januar
Bekenntnisfreiheit nach Artikel 4 GG Abs. 1 und 2          2015 – 1 BvR 471/10 – Rn. (1–31))

Behinderung                                                Zugang zur Schule

——       usgrenzung, Ablehnung von Hilfe: Ein Schü-
        A
        ler, der im Rollstuhl sitzt, darf nicht an einem
                                                           Durch Benachteiligungen beim Schulzugang
                                                           kann strukturelle Segregation˚ entstehen: Die
                                                           Mehrheit der Schüler_innen mit sonderpädago-
        Schulausflug teilnehmen, weil der Busfahrer        gischem Förderbedarf besucht nach wie vor eine
        ihn aus Sicherheitsgründen nicht mitnehmen         Förderschule: Im Schuljahr 2015/2016 besuchten
        will, obwohl im Bus ausgewiesene Stellplätze       37,7 Prozent der Schüler_innen mit sonderpäd-
        für Rollstühle vorhanden sind.

——
                                                           agogischem Förderbedarf eine Regelschule und
         inem Schüler mit Hörbehinderung wird
        E                                                  62,3 Prozent eine Förderschule (KMK 2016:8).
        die Teilnahme an der Klassenfahrt mit der          Auch Schüler_innen mit Migrationshintergrund
        Begründung verwehrt, dass es zu viel Auf-          erleben Diskriminierung beim Zugang zur Regel-
        wand sei, während der Klassenfahrt auf seine       schule: Verstärkt wird Kindern und Jugendlichen
        Beeinträchtigung Rücksicht zu nehmen.              mit Migrationshintergrund ein sonderpädagogi-

——       ehlende Barrierefreiheit, nicht ausreichen-
        F
        de Bereitstellung von Assistent_innen (z. B.
                                                           scher Förderbedarf aufgrund von vermeintlichen
                                                           Sprachdefiziten attestiert.

        Gebärdensprachdolmetscher oder Assistenz
        für Toilettengänge)                                Leistungsbewertungen und Übergangsempfehlungen

——       usätzliche Kosten für die Eltern etwa für
        Z
        eine Hortbetreuung am Nachmittag oder
                                                           Leistungsunterschiede unter den Schüler_innen
                                                           basieren nicht zwangsläufig nur auf Kompetenz-
        sehr hohe Fahrtkosten                              defiziten, sondern können auch auf diskriminie-
                                                           rende Entscheidungspraktiken von Lehrer_innen
                                                           zurückzuführen sein. Insbesondere kann man
                                                           rassistische, geschlechtsspezifische oder soziale
Spezifische Diskriminierungs­                              Zuschreibungen bei der Leistungseinschätzung
risiken                                                    und -erwartung beobachten. Auch Noten und
                                                           Leistungstests sind mitunter nicht objektiv und
Es gibt schulische Bereiche mit spezifischen               diskriminierungsfrei: Empirische Studien haben
Diskriminierungsrisiken. Diese treten zum Bei-             gezeigt, dass Lehrer_innen die Leistungen von
spiel beim Zugang zur Schule, aber auch beim               Schüler_innen (unbewusst) in Abhängigkeit zu
Übergang von der Grundschule zur weiterfüh-                vornamengebundenen Vorurteilen bewerten. So
renden Schule auf. Hierbei spielt insbesondere             erhielten Aufgaben, die unter dem Namen Maxi-
die Bewertung von schulischen Leistungen eine              milian verfasst wurden, bessere Bewertungen als
wichtige Rolle. Darüber hinaus können Lern- und            die gleichen Aufgaben unter dem Namen Kevin,
Lehrmaterialien Diskriminierungsrisiken aufwei-            die Vornamen werden dabei als Hinweis auf die
sen (Gomolla und Radtke 2007:80 f.).

˚ Begriffserläuterung im Glossar
soziale Herkunft interpretiert (Universität Olden-         sowie gleichgeschlechtliche Lebensformen häufig
burg 2010). „Gerechte Bewertung“ ist in der Praxis         auftreten (siehe z. B. die Studien „Migration und
schwierig umzusetzen und die Benotung birgt                Integration“ der Beauftragten der Bundesregie-
damit ein hohes Diskriminierungsrisiko.                    rung für Migration, Flüchtlinge und Integration
                                                           von 2015 und „Geschlechterkonstruktionen und
Der Übergang von der Grundschule auf die                   die Darstellung von LSBTI in Schulbüchern“ der
weiterführende Schule ist eine entscheidende               GEW von 2011). Lehrkräfte sollten sich kritisch
Weichenstellung in der Bildungslaufbahn, auf der           mit den Schulbüchern auseinandersetzen und
alle weiteren Bildungschancen aufbauen. Es be-             die problematischen Darstellungsweisen in den
steht die Gefahr, dass bei diesem Auswahlprozess           Materialien mit Schüler_innen thematisieren
Diskriminierung eine Rolle spielt. Übergangsemp-           und ergänzend Unterrichtsmaterialien nutzen,
fehlungen der Schule basieren vor allem auf den            die sonst vernachlässigte Themen (z. B. sexuelle
in Noten gemessenen Leistungen sowie den                   Vielfalt) behandeln.
Einschätzungen der Lehrer_innen. Neben dem
Diskriminierungsrisiko, das von der Bewertung              Tipp
ausgeht, birgt auch die subjektive Perspektive der         Im Serviceteil dieses Leitfadens finden Sie auch
Lehrkräfte ein erhöhtes Risiko. Insbesondere bei           Hinweise auf Organisationen, die Materialien für
den Übergangsempfehlungen nach der Grund-                  den Unterricht erstellt haben, z. B. zu den Themen
schulzeit wirkt sich die sozioökonomische Lage             sexuelle Vielfalt, interkulturelle Erziehung und
des Elternhauses oft negativ aus. Studien zeigen,          Rassismus˚.
dass trotz gleicher Leistungen die Wahrschein-
lichkeit einer Gymnasialempfehlung für Kinder,
                                                           Auch Sprache beeinflusst und prägt das Bewusst-
deren Eltern einen Migrationshintergrund und/
                                                           sein sowie die Wahrnehmung der Welt. Damit
oder einen „niedrigen sozialen Status“ haben,
                                                           agiert Sprache nicht nur als Kommunikations-
deutlich sinkt (Jennessen et al 2013:50 ff.). Dies liegt
                                                           mittel, sondern kann auch Wertvorstellungen,
auch an den von vielen Lehrer_innen als schwä-
                                                           Vorurteile und Ungleichheiten transportieren.
cher eingeschätzten elterlichen Unterstützungs-
                                                           Wie gesellschaftliche Wirklichkeit sprachlich
kompetenzen.
                                                           beschrieben wird, hat einen Einfluss darauf, wie
                                                           wir Wirklichkeit wahrnehmen. Sprache kann
Tipp
                                                           Diskriminierung beispielsweise durch Zuschrei-
Der zweite Bericht der Antidiskriminierungsstelle
                                                           bungen und Verallgemeinerungen hervorrufen.
des Bundes an den Bundestag „Diskriminierung
                                                           Eine diskriminierungsbewusste Sprache versucht
im Bildungsbereich und im Arbeitsleben“ (ADS
                                                           gesellschaftliche Vielfalt sichtbar zu machen und
2013a) geht in Kapitel 2.5 ausführlich auf das
                                                           spricht alle Mitglieder der Gesellschaft gleicher-
Diskriminierungsrisiko beim Übergang von der
                                                           maßen an. Außerdem vermeidet sie stereotype
Grundschule zur weiterführenden Schule ein.
                                                           Darstellungen und diskriminierende Begrifflich-
                                                           keiten.

Lehr- und Lernmaterialien                                  Tipp
                                                           Die Broschüre der Gewerkschaft Erziehung
Grundsätzlich gilt, dass Unterrichtsmaterialien            und Wissenschaft „Eine Sprache, die alle
nur dann zugelassen oder eingeführt werden dür-            anspricht“ (GEW 2016a) gibt Anregungen, wie
fen, wenn sie den in den Schulgesetzen festgeleg-          eine geschlechterbewusste Sprache in der Praxis
ten Bildungs- und Erziehungszielen sowie ande-             umgesetzt werden kann. Die Freie Universität Berlin
ren Rechtsvorschriften entsprechen. Schulbücher            hat eine Toolbox „Gender und Diversity in der
und andere Unterrichtsmaterialien sind jedoch              Lehre“ (FU Berlin 20017) entwickelt, die umfassend
oftmals nicht diskriminierungsfrei gestaltet.              auf gender˚- und diversitätsbewusste Sprache in
Analysen zeigen, dass stereotype Darstellungen in          der Lehre eingeht und auch Anregungen für den
Bezug auf Menschen mit Migrationshintergrund,              schulischen Kontext geben kann.
Religion (insbesondere den Islam), Geschlecht
2.3 Auswirkungen von Diskriminierungen
Diskriminierungen gehen nicht spurlos an                Neben direkten Auswirkungen auf den Lernerfolg
Betroffenen vorüber, sondern haben gravieren-           führen Diskriminierungserfahrungen oftmals
de Auswirkungen: Empirische Untersuchungen              dazu, dass Schüler_innen einem zusätzlichen
konnten belegen, dass Diskriminierungen den             permanenten Stress ausgesetzt sind. Dieser Stress
Lernerfolg negativ beeinflussen (Universität Ulm        kann zu psychischen Belastungen führen, die
2014). Wenn Schüler_innen immer wieder mit              auch Auswirkungen auf die psychische und physi-
Vorurteilen konfrontiert werden, entwickelt sich        sche Gesundheit haben können. Eine Konsequenz
ein Gefühl der Einschüchterung, welches sich auf        von Diskriminierungserfahrungen, die von Be-
das Verhalten auswirkt: Es entsteht eine Angst          ratungsstellen berichtet wird, ist der Wechsel der
davor, durch das eigene Verhalten diese Vorurteile      Schule. Schulwechsel stellen für viele Betroffene
zu reproduzieren. Dies kann drei Konsequenzen           aufgrund mangelnder Beschwerdemechanismen
haben:                                                  und fehlender Interventionsmöglichkeiten

——      Leistungsminderung
                                                        die einzige Möglichkeit dar, sich dauerhaft der

——
                                                        Diskriminierung zu entziehen. Solche Schulwech-
         etroffene distanzieren sich von den Berei-
        B                                               sel sind mit weiteren negativen Auswirkungen
        chen, in denen sie das Bedrohungsgefühl         verbunden, so z. B. dem Verlust des sozialen
        erlebt haben.                                   Umfeldes.

——       uch zukünftige Entscheidungen, z. B. die
        A
        Berufswahl, werden beeinflusst. Betroffene
                                                        Bei Diskriminierungen kann es sich auch um
                                                        Erlebnisse handeln, welche auf den ersten Blick
        vermeiden Berufsfelder, in denen sie befürch-   nicht gravierend erscheinen. Durch ihre perma-
        ten, erneut mit Vorurteilen konfrontiert zu     nente Wiederholung tragen sie aber dazu bei, eine
        werden.                                         Grenze zwischen einem konstruierten ‚„Wir“ und
                                                        „den Anderen“ zu etablieren (Nguyen 2013:22).
                                                        Der Fachbegriff dafür heißt „Othering“.

˚ Begriffserläuterung im Glossar
3. Rechtliche
Rahmenbedingungen
Schulen stehen in der Verantwortung, sich aktiv         minierung im Unterrichtswesen, im Internationa-
für die Beseitigung von Diskriminierungen einzu-        len Pakt über ökonomische, soziale und kulturelle
setzen und eine diskriminierungsfreie Bildung für       Rechte (UN-Sozialpakt) und in der EU-Grund-
alle Schüler_innen zu ermöglichen. Diese Verant-        rechtecharta.
wortung ergibt sich nicht zuletzt aus rechtlichen
Regelungen in verschiedenen Rechtsbereichen:            Diese völkerrechtlichen Verträge sind in Deutsch-

——    auf Ebene der Menschenrechte/Grundrechte
                                                        land geltendes Recht. Sie definieren Verpflich-

——
                                                        tungen an den Gesetzgeber und sind verbind-
      a uf der Ebene des Allgemeinen Gleich­           liche Leitlinien für das staatliche Handeln. Das
       behandlungsgesetzes (AGG) und                    Grundgesetz (GG) selbst kennt allerdings kein

——    auf Ebene des Landesschulrechts
                                                        ausdrückliches Recht auf diskriminierungsfreie
                                                        Bildung. Aus verschiedenen Grundrechten und
                                                        dem Benachteiligungsverbot kann aber das Recht
Tipp                                                    auf eine diskriminierungsfreie Bildungsteilhabe
Sehr viel ausführlicher dargestellt werden              abgeleitet werden (z. B. Artikel 3, 6 und 7).
die rechtlichen Rahmenbedingungen in den
Publikationen „Schutz vor Diskriminierung               Im Jahr 2006 trat das Allgemeine Gleichbehand-
im Schulbereich“ (Dern et al. 2013) und „Das            lungsgesetz (AGG) in Kraft. Das AGG bietet in erster
Menschenrecht auf Bildung im deutschen                  Linie einen arbeits- und beamtenrechtlichen Dis-
Schulsystem“ (DIMR 2016).                               kriminierungsschutz für Beschäftigte an Schulen.
                                                        Lehrer_innen und andere Beschäftigte an Schulen
Das Recht auf Bildung – und damit das Recht auf         können sich auf das AGG berufen und arbeits-
diskriminierungsfreie Bildungsteilhabe – ist ein        rechtlich gegen Diskriminierungen vorgehen. Das
Menschenrecht. Es ist in verschiedenen völker-          AGG verpflichtet die Schule als Arbeitgeber auch,
rechtlichen Verträgen festgeschrieben: Zum              Lehrer_innen vor Diskriminierungen durch Dritte,
Beispiel in der Allgemeinen Erklärung der Men-          z. B. Schüler_innen oder Eltern zu schützen.
schenrechte, im Übereinkommen gegen Diskri-

Exkurs: Errichtung einer Beschwerdestelle bei Diskriminierung
nach § 13 AGG
Für Beschäftigte (Lehrer_innen, Erzieher_innen, Re-     zuständige Stelle eingerichtet werden. Die konkrete
ferendar_innen und sonstiges Personal) sind Schu-       Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens und der
len als Arbeitgeber durch das AGG verpflichtet, Be-     Beschwerdestelle überlässt der Gesetzgeber dem
schwerdestellen einzurichten. § 13 AGG räumt allen      Arbeitgeber.
Beschäftigten ein umfassendes Beschwerde­recht bei
Diskriminierungen ein. Die Beschwerde­stellen nach      Ausführliche Hinweise zur Umsetzung und Er-
§ 13 AGG haben das Ziel, dass sich Beschäftigte dort    richtung einer Beschwerdestelle nach § 13 AGG
beschweren können, wenn sie sich rassistisch oder       können unseren Publikationen „Leitfaden Diskrimi-
wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der     nierungsschutz an Hochschulen“ (ADS 2014) und
Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung,        „Beschwerde­stellen und Beschwerdeverfahren
des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt   nach § 13 AGG“ (Liebscher und Kobes 2010) ent-
fühlen. Es können konkrete Personen als Beschwer-       nommen werden.
destelle benannt oder eine für Beschwerdeverfahren
Für Schüler_innen an staatlichen Schulen gilt der     diskriminierungsfreie Bildung, der in den Landes-
Diskriminierungsschutz durch das AGG nicht. Im        verfassungen enthaltene Anspruch auf gleichen
Bildungsbereich sind Schüler_innen lediglich an       Zugang zum öffentlichen Bildungswesen ist
Schulen, in denen ein privatrechtlicher Unter-        jedoch selten weiter ausdifferenziert. Manchmal
richtsvertrag abgeschlossen wird oder bei priva-      greift das Recht nur die Herkunft bzw. die gesell-
ten Dienstleistern (z. B. Privatschulen, Nachhilfe-   schaftliche Stellung der Eltern und deren wirt-
einrichtungen, Volkshochschulen) durch das AGG        schaftliche oder soziale Lage auf (z. B. § 1 Abs. 1
vor Diskriminierung durch die Bildungseinrich-        Schulordnungsgesetz Saarland). Häufig enthalten
tung selbst geschützt.                                Landesschulgesetze darüber hinaus ein explizites
                                                      Diskriminierungsverbot bzw. Fördergebote im
Gerade weil das AGG Schüler_innen an öffentli-        Hinblick auch auf die im AGG genannten Merk-
chen Schulen keinen ausreichenden Schutz gegen        male.
Diskriminierung im Bildungsbereich bietet, ist es
wichtig, dass die Institution Schule und die schu-    In der Gesamtschau der Landesschulgesetze
lischen Akteur_innen selbst aktiv werden.             fehlen aber insbesondere konkrete und niedrig-
                                                      schwellige Regelungen zur Durchsetzung des
Tipp                                                  Rechts auf diskriminierungsfreie Bildung – selbst
Der AGG-Wegweiser (ADS 2017) erläutert umfassend      in den Ländern, deren Schulgesetze Regelungen
und anschaulich den Diskriminierungsschutz des        gegen Diskriminierung enthalten (siehe dazu
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in den          Dern et al. 2013).
Bereichen „Beschäftigung und Beruf“ sowie
„Alltagsgeschäfte“.                                   Der Auftrag zum Schutz vor Diskriminierung
                                                      wird an Schulen und schulische Akteur_innen
                                                      auch durch die Kultusministerkonferenz heran-
Da die Gesetzgebungs- und Verwaltungskom-
                                                      getragen:
petenzen in Schulangelegenheiten den Bundes-
ländern zukommen, sind die einzelnen Landes­
                                                      „Sie [die Schule] tritt aktiv der Diskriminierung
verfassungen und Schulgesetze der Länder
                                                      einzelner Personen oder Personengruppen ent-
entscheidend für die Regelung des diskriminie-
                                                      gegen. Sie prüft, inwieweit Strukturen, Routinen,
rungsfreien Zugangs zu Bildung.
                                                      Regeln und Verfahrensweisen auch unbeabsichtigt
                                                      benachteiligend und ausgrenzend wirken, und ent-
Alle 16 Bundesländer verfügen über eigene
                                                      wickelt Handlungsansätze zu deren Überwindung.“
Schulgesetze und Verordnungen. In fast allen
                                                      (KMK 2013:3)
Landesschulgesetzen findet sich ein Recht auf
4. Handlungsmöglichkeiten
für Schulen
Um angemessen auf Diskriminierungen zu                 insbesondere aus dem Bereich der Betroffenen­
reagieren, sollte ein schulisches Diversity˚- und      vertretungen (z. B. LSBTIQ*-Netzwerke, die
Antidiskriminierungskonzept erarbeitet werden.         Aufklärungsprojekte in Schulen anbieten) sowie
Zentrale Bausteine dafür werden in diesem Kapitel      Antidiskriminierungsberatungen zusammenar-
dargestellt. Zur Umsetzung der einzelnen Bau-          beiten. Hinweise auf Ansprechpersonen finden
steine sollten Schulen externe Fachleute hinzu-        Sie im Serviceteil dieses Leitfadens.
ziehen und mit außerschulischen Akteur_innen,

Exkurs: Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) zur
interkulturellen Bildung (siehe KMK 2013)
Um die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen
im Schulsystem zu ermöglichen, hat die KMK einen
                                                       ——    
                                                             „Entwicklung  eines für alle (…) gültigen
                                                             Schulhauscodes als dialogischer Prozess
Orientierungsrahmen für die systematische inter­             zwischen Schülerinnen und Schülern, Eltern
kulturelle Entwicklung von Schulen erarbeitet.               und Schulpersonal, Förderung der friedlichen
Dabei wird ein breites Verständnis von interkultu-           Konfliktaustragung.“
reller Kompetenz˚ und Bildung zugrunde gelegt. Ziel
ist die Entwicklung einer Schule der Vielfalt, die
sich bewusst auf die Heterogenität von Schüler_in-
                                                       ——    „ Förderung und Wertschätzung (…) des Ein-
                                                             satzes von Schüler_innen gegen Gewalt, Ras-
                                                             sismus, Antisemitismus˚, Islamfeindlichkeit˚
nen ausrichtet und frei von offener und versteckter
                                                             und jede andere Form von Diskriminierung.“

                                                       ——
Diskriminierung ist.
                                                             „Prüfung der Lehr-/Lernmaterialien im
Dabei werden Schulen aufgerufen, gesellschaftli-             Hinblick darauf, ob die vielschichtige, auch
che Vielfalt als Normalität wahrzunehmen, allen              herkunftsbezogene Heterogenität der Schü-
Schüler_innen mit Wertschätzung zu begegnen und              lerinnen und Schüler berücksichtigt ist, und
Diskriminierung aktiv entgegenzutreten. Schule soll          ggf. Ergänzung der Materialien.“
weiter Kompetenzen vermitteln, die Schüler_innen
befähigen, soziale Zuordnungen und Stereotypisie-
rungen zu reflektieren und Mitverantwortung für
                                                       ——    „Verdeutlichung unterschiedlicher Orien-
                                                             tierungen, Wertungen und Denkmuster (…).
                                                             Schule kann Gemeinsamkeiten erfahrbar
eine gleichberechtigte Teilhabe aller zu übernehmen.
                                                             machen und Schülerinnen und Schüler er-
                                                             mutigen und unterstützen, Differenz selbst-
Der Beschluss der KMK empfiehlt verschiedene
                                                             bestimmt zu artikulieren und sich nicht auf
Maßnahmen, um diese Grundsätze zu erfüllen
                                                             fremdbestimmte Zuschreibungen festlegen
(KMK 2013:7–9):
                                                             zu lassen.“

˚ Begriffserläuterung im Glossar
Im Folgenden werden verschiedene Handlungs-             Diese vier Ebenen bauen aufeinander auf: Nur
möglichkeiten vorgestellt, mit denen Schulen            wenn Diskriminierung identifiziert wird, können
dazu beitragen können, Benachteiligung insbe-           Maßnahmen zur Prävention und Intervention
sondere durch Sensibilisierung für Diskriminie-         sinnvoll ergriffen werden und nur wenn man die-
rungsrisiken abzubauen. Dabei sind die folgenden        se drei Ebenen umfassend berücksichtigt, ist eine
vier Ebenen besonders zentral:                          Institutionalisierung der Maßnahmen möglich.

——    Diskriminierung identifizieren und aufdecken

——    Prävention von Diskriminierung

——    Intervention bei Diskriminierung

——    I nstitutionalisierung von Maßnahmen gegen
       Diskriminierung

Handlungsebenen

                                                  Ebene 1
                                Diskriminierung identifizieren und aufdecken

                                Ebene 2                            Ebene 3
                               Prävention                        Intervention

                                                     Ebene 4
                          Institutionalisierung von Maßnahmen gegen Diskriminierung

4.1 Diskriminierung identifizieren und aufdecken
Um die Schulgemeinschaft für Diskriminierun-            kann dieser Schritt auch in regelmäßigen Abstän-
gen zu sensibilisieren, ist es wichtig, zu prüfen, an   den wiederholt werden. Denn Schule verändert
welchen Stellen Diskriminierung in der Einrich-         sich fortlaufend und so ist es sinnvoll, immer
tung auftritt und wie sie sich äußert. Dadurch          wieder die eigene Praxis zu reflektieren.
werden Benachteiligungen sichtbar gemacht und
ein Raum zur Thematisierung geboten. Außerdem           Dazu können die folgenden Bausteine beitragen:
kann eine Bestandsaufnahme zeigen, ob beste-
                                                        ——    Befragungen

                                                        ——
hende Schutzregelungen eingehalten werden und
wo nachgebessert werden muss. Verschiedene                     ntersuchung bestehender Regeln und
                                                              U
Methoden und Verfahren können helfen, Diskri-                 Routinen
minierungen an Schulen zu identifizieren. Das
                                                        ——    Erhebungen statistischer Ungleichheiten

                                                        ——
Sichtbarmachen ist einerseits der erste zentrale
Schritt, den Schulen auf dem Weg zu mehr Dis-                  nalyse von Unterrichtsmaterialien und
                                                              A
kriminierungsschutz gehen sollten. Andererseits               -inhalten
Befragungen                                          Untersuchung von Regeln
                                                     und Routinen
Um einen Überblick über Diskriminierungs­
erfahrungen von verschiedenen Personengruppen        Regeln und Routinen, aber auch die Organisati-
innerhalb der Schule (z. B. Schüler_innen, Eltern,   onsstruktur zum Beispiel im Rahmen des Auf-
Lehrer_innen, andere Mitarbeitende) zu erhalten,     nahmeverfahrens oder von Bewertungskriterien
ist es sinnvoll, schulinterne Befragungen durch-     können unbeabsichtigt benachteiligend oder
zuführen. Dadurch können unterschiedliche Er-        ausgrenzend wirken. Eine kritische Auseinander-
fahrungen sichtbar gemacht werden und es wird        setzung mit schulinternen Routinen, Regeln und
deutlich, wo verstärkter Handlungsbedarf besteht.    Verfahrensweisen kann aufzeigen, wo Diskrimi-
Die Sichtbarmachung kann dazu beitragen, die         nierungsrisiken auf struktureller Ebene beste-
Schulgemeinschaft für bestehende Benachteili-        hen. Die Kultusministerkonferenz (2013:3) sieht
gungen zu sensibilisieren.                           Schulen in der Pflicht, zu prüfen, inwieweit diese
                                                     strukturellen Bedingungen benachteiligend und
Die Befragungen können von unterschiedlichen         ausgrenzend auf verschiedene Personengruppen
Personen angestoßen werden: von der Schüler_in-      wirken.
nen- oder Elternvertretung, von Lehrkräften oder
der Schulleitung. Die Befragungen sollten anonym     Folgende Fragen können die Untersuchung leiten:

                                                     ——
und auf freiwilliger Basis durchgeführt werden,
um zu verhindern, dass sich Personen nicht trauen,          elche schulinternen Abläufe wirken sich
                                                           W
ihre tatsächlichen Erlebnisse zu schildern.                möglicherweise nachteilig auf bestimmte
                                                           Personengruppen aus?
Mögliche Fragen für Schüler_innen:

——                                                   ——    I st das Thema Diskriminierung im Schulcurri-
                                                           culum verankert?

                                                     ——
      Wie wohl fühlst du dich an unserer Schule?

——     ast du innerhalb des letzten Schuljahres
      H                                                     ibt es schulinterne Leitlinien zur Vergabe
                                                           G
                                                           von Benotungen?

                                                     ——
      Situationen erlebt, in denen Du ungleich
      behandelt wurdest?

——
                                                            ibt es klar benannte Ansprechpersonen für
                                                           G
      Wie oft hast du solche Situationen erlebt?           Diskriminierung?

——     as denkst du: Warum wurdest du ungleich
      W
      behandelt?
                                                     Durch die Untersuchung auf dieser Ebene kann
                                                     institutionelle Diskriminierung identifiziert wer-

——    Von wem wurdest du ungleich behandelt?
                                                     den. Zur Sensibilisierung für Diskriminierungsri-

——
                                                     siken bei der Notenvergabe können Klassenarbei-
       ie hast du auf die ungleiche Behandlung
      W                                              ten beispielsweise vor der Benotung anonymisiert
      reagiert?                                      werden, um sich in der Bewertung der Leistungen

——    Wie hast du dich in der Situation gefühlt?
                                                     nicht unbewusst durch Vorwissen über die Person

——
                                                     (z. B. das Geschlecht oder einen Migrationshin-
       elche Unterstützung wünschst du dir für
      W                                              tergrund) leiten zu lassen. Auch ist es möglich,
      solche Situationen?                            Klassenarbeiten von zwei Personen korrigieren zu
                                                     lassen, um mögliche Abweichungen in der Noten-
Im Rahmen von Workshops und Projekttagen             vergabe sichtbar zu machen.
können die Ergebnisse dieser Befragungen
thematisiert werden. So wird den Schüler_innen
die Möglichkeit gegeben, über Diskriminierungs-
erfahrungen zu sprechen und sie sichtbar zu
machen.
Erhebung statistischer
Ungleichheiten
                                                      ——    Welche Personengruppen werden in den Un-
                                                            terrichtsmaterialien in Wort und Bild reprä-
                                                            sentiert, welche nicht?

Schulen erheben regelmäßig verschiedene
                                                      ——    Werden Stereotype reproduziert?
statistische Daten zu den soziodemografischen
Merkmalen von Schüler_innen und Lehrkräften,
die sie für die Schulstatistiken an die zuständigen
                                                      ——     ie wird über verschiedene gesellschaftliche
                                                            W
                                                            Gruppen gesprochen?

Kultusministerien melden.
                                                      Praxisbeispiel: Interkulturelle Büchersammlung an
                                                      der Grundschule Mümmelmannsberg in Hamburg
Zu diesen Daten gehören u.a. die Erfassung
von nicht deutscher Muttersprache oder nicht          Um die Vielfalt der Schüler_innenschaft sichtbar
deutscher Staatsangehörigkeit, aber auch des          zu machen, hat sich die Grundschule Mümmel-
Inklusionsstatus (spezieller Förderbedarf) von        mannsberg das Ziel gesetzt, diese Vielfalt auch
Schüler_innen. In manchen Bundesländern wird          im Lesestoff der Schulbücherei widerzuspiegeln.
zusätzlich die Lernmittelbefreiung der Schüler_       Ausgewählt wurden dazu Kinderbücher, die von
innen erfasst, diese kann einen Hinweis auf die       nicht deutschen Autor_innen geschrieben und
soziale Herkunft liefern. Bei der Erhebung kann       auf Deutsch übersetzt wurden oder zweisprachig
auch reflektiert werden, wie Gremien der Eltern-      erschienen sind. Die neu angeschafften Bücher
und Schüler_innenvertretung zusammengesetzt           wurden dabei wie alle anderen Bücher in die Regale
sind und welche Personengruppen in diesen             einsortiert: Eine spezielle interkulturelle Bücherkiste
Gremien nicht repräsentiert sind. Wenn ungleiche      hätte nur wieder jene Sonderstellung betont, die
Verteilungen sichtbar werden, ist es möglich, die     man bewusst vermeiden wollte.
Ursachen dafür zu reflektieren und Maßnahmen
                                                      Empfehlenswert sind Kinderbuchlisten, die
zu entwickeln, die zu einer ausgewogeneren Parti-
                                                      ihre Auswahl nach vorurteilsbewussten und
zipation führen.
                                                      inklusiven Kriterien getroffen haben. Im Internet
                                                      finden Sie eine solche Liste für die Grundschule
Analyse von Unterrichts­                              z. B. hier: http://www.situationsansatz.de/
                                                      vorurteilsbewusste-kinderbuecher.html
materialien und -inhalten
Eine intensive Reflexion über die genutzten           Tipp
Unterrichtsmaterialien sowie die vorhandenen          Nicht alle diese Verfahren werden sich für jede
Unterrichtsinhalte kann aufzeigen, an welchen         Schule als leicht umsetzbar herausstellen. Sie
Stellen Diskriminierungsrisiken durch Materiali-      werden es auch aus organisatorischen Gründen
en und Inhalte verstärkt oder sogar hervorgerufen     oder wegen mangelnder Ressourcen vielleicht nicht
werden. Die kritische Betrachtung von Lernma-         schaffen, sofort alle hier genannten Bereiche zu
terialien kann dabei auch gemeinsam mit den           analysieren. Wichtig ist, dass Sie sich auf den Weg
Schüler_innen erfolgen und somit Teil des Unter-      machen und an Ihrer Schule die Methoden zum
richts werden. Dabei können folgende Fragen die       Einsatz bringen, die am erfolgversprechendsten
Analyse leiten:                                       sind. Ansprechpersonen, die Ihnen dabei helfen
                                                      können, finden Sie im Serviceteil dieses Leitfadens.
4.2 Prävention von Diskriminierung
Haben Sie an Ihrer Schule Diskriminierungsrisi-     Praxisbeispiel: Schule am Goldberg, Heusenstamm,
ken analysiert und aufgedeckt, können präventive    3. Platz im Schulwettbewerb Fair@school 2017
Maßnahmen ergriffen werden. Mögliche Maß-
                                                    In einer jährlich stattfindenden sogenannten
nahmen sind:

——
                                                    „Laut:::stark“-Woche sowie in den „Laut:::stark“-
      Stärkung von Betroffenen                     Pausen während des Schuljahres trainieren

——    Schulung des Lehrpersonals
                                                    die Kinder und Jugendlichen der Förderschule

——
                                                    gemeinsam mit externen Trainer_innen, Gefahren
      Trainings für Schüler_innen                  zu erkennen und zu vermeiden, selbstbewusst

——    Informationen bereitstellen und Beratungs-
      angebote schaffen
                                                    aufzutreten und sich im Notfall zur Wehr zu
                                                    setzen. Dabei wird genau auf die unterschiedlichen

——
                                                    Bedürfnisse und Diskriminierungserfahrungen der
      Vielfalt fördern                             Schüler_innen eingegangen, wird das Miteinander

——    Überarbeitung der Schulordnung
                                                    gefördert und werden Möglichkeiten aufgezeigt,

——
                                                    mit alltäglichen Diskriminierungserfahrungen
      Partizipation fördern                        umzugehen.

Stärkung von Betroffenen                            Tipp
                                                    Die Broschüre „Diversität in Schulen:
Schüler_innen und andere von Diskriminierung        Diskriminierung thematisieren, Empowerment
Betroffene sollten über ihre Handlungsmög-          fördern und Partizipation stärken“ (LIFE e. V. 2013)
lichkeiten und Rechte im Diskriminierungsfall       veranschaulicht, wie Empowerment-Ansätze an
aufgeklärt und darin bestärkt werden, diese auch    Schulen genutzt werden können.
wahrzunehmen. Diese Stärkung von Betroffenen
wird auch als Empowerment bezeichnet, was sich
mit „Selbstbemächtigung“ übersetzen lässt. Dabei    Schulung des Lehrpersonals
geht es um den Prozess, der darauf abzielt, von
Diskriminierung betroffenen Gruppen Gestal-         Um Lehrer_innen für das Thema Diskriminierung
tungs- und Partizipationsmöglichkeiten aufzuzei-    zu sensibilisieren und ihnen Handlungsmöglich-
gen. Dabei werden Menschen unterstützt, sich mit    keiten gegen Diskriminierung aufzuzeigen, ist
ihren Stärken, Potenzialen und Ressourcen aktiv     es notwendig, Lehrkräfte gezielt zu schulen. Erst
in Bereiche und Situationen einzubringen, die       dann sind sie in der Lage, Diskriminierungen re-
wichtig für sie sind (LIFE e. V. 2013:14).          gelmäßig im Rahmen des Unterrichts zu thema-
                                                    tisieren. Geeignete Schulungen sind insbesondere
                                                    sogenannte Anti-Bias- und Diversity-Trainings,
                                                    aber auch Workshops zum Thema (Anti-)Diskri-
                                                    minierung. Solche Schulungen sind besonders
                                                    wirkungsvoll, weil sie in Übungen und Fallbei-
                                                    spielen zum Erkennen von Diskriminierung an-
                                                    leiten und konkret auf die Frage antworten, was
                                                    man als einzelne Lehrkraft tun kann, wenn man
                                                    eine Diskriminierung beobachtet. Im Serviceteil
                                                    dieses Leitfadens werden geeignete Ansprech-
                                                    personen für Workshops aufgelistet. Darüber
                                                    hinaus sollten Lehrkräfte über diskriminierende
                                                    Praktiken bei der Leistungsbewertung und bei
                                                    Übergangsempfehlungen informiert werden und
ihnen sollten Orientierungshilfen gegeben wer-        haben, sich über das Thema auszutauschen.
den, wie sie diese vermeiden können.                  Super­visionen oder Reflexionsgruppen für Leh-
                                                      rer_innen und weitere schulische Akteur_innen
Neben den Schulungen für Lehrkräfte ist es            können die Sensibilisierung aus Schulungen
sinnvoll, dass Lehrer_innen auch in der täglichen     aufgreifen und zur gegenseitigen Unterstützung
Arbeit in regelmäßigem Abstand die Möglich­­keit      und Vernetzung beitragen.

Exkurs: Anti-Bias-Ansatz
Der Anti-Bias-Ansatz zielt auf die Verwirklichung     Eine Expertise des Anti-Bias-Netzes skizziert die
von Bildungsgerechtigkeit ab. Pädagogische und        Grundlagen des Ansatzes und zeigt Bedingungen für
bildungspolitische Arbeit vor dem Hintergrund die-    eine erfolgreiche Umsetzung des Ansatzes im Bil-
ses Ansatzes möchte gesellschaftliche Schief­lagen,   dungsbereich anhand konkreter Beispiele auf. Mehr
welche durch Vorurteile entstehen, sichtbar machen    Informationen: www.vielfalt-mediathek.de/data/
und ausgleichen. Dadurch können Diskriminierun-       expertise_antibias.pdf)
gen auf verschiedenen Ebenen abgebaut werden.

Trainings für Schüler_innen                           Praxisbeispiel: Lessing-Stadtteilschule Hamburg

                                                      Um Konflikten und Diskriminierungen in der Schu-
Ergänzend zur sensibilisierenden Schulung der         le entgegenzuwirken, wurde eine extern moderier-
Lehrkräfte ist es sinnvoll, im Rahmen von Work-       te Steuerungsgruppe etabliert, an der Lehrkräfte,
shops oder Trainings auch die Schüler_innen für       Schulleitung, Eltern- und Schüler_­innenvertretung
das Thema Diskriminierung zu sensibilisieren,         beteiligt waren. Dort wurde entschieden, ein inter-
damit sie Diskriminierung erkennen und sich für       kulturelles Kompetenztraining für Schüler_innen
Antidiskriminierung einsetzen können. Auch im         und Lehrer_innen durchzuführen. Im Rahmen dieses
Rahmen von Projektwochen kann Diskriminie-            Prozesses wurden Fortbildungen durchgeführt, Ma-
rung und gesellschaftliche Vielfalt zum Thema         terialsammlungen erstellt sowie Elternabende und
gemacht werden.                                       Projekttage organisiert. Als Basis für die Kompe-
                                                      tenztrainings wurde der Anti-Bias-Ansatz gewählt.
                                                      Nach anfänglichem Widerstand hat sich nach zwei
                                                      Jahren das Lehrer_innenkollegium einstimmig
                                                      dafür entschieden, das Anti-Bias-Projekt in die Ziel-
                                                      und Leistungsvereinbarungen aufzunehmen und
                                                      jedes Jahr in den Eingangsklassen verbindlich für alle
                                                      Schüler_innen durchzuführen. Auch neue Lehrkräf-
                                                      te werden zur Thematik fortgebildet (ADS 2013b:42).
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