DNA-Sequenzierung in der dritten Generation - Von den Anfängen der Sequenziertechnik bis hin zu den Nanoporen

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DNA-Sequenzierung in der dritten Generation - Von den Anfängen der Sequenziertechnik bis hin zu den Nanoporen
Nanoporensequenzierung
                                                AufsatzthemaKurz

      DNA-Sequenzierung
      in der dritten Generation
      Von den Anfängen der Sequenziertechnik bis hin zu den Nanoporen

      Lisa C. Prudnikow und Röbbe Wünschiers

      „The blueprint of life“, die Desoxyribonukleinsäure, die              reren Stellen im Genom vorkommen. Diese Berei-
      DNA, ist ein Biomolekül, das alle Informationen über                  che haben sich über lange Zeiträume im Genom be-
      einen Organismus enthält [Feng, 2015]. Mit der                        wegt und verändert – und tun es noch. Im Bereich
      Kenntnis über die Abfolge ihrer Bausteine Adenin (A),                 der Evolutionsbiologie und der Diagnostik stehen
      Thymin (T), Cytosin (C) und Guanin (G), können                        repetitive Elemente deshalb stark im Fokus
      Wissenschaftler beispielsweise Mutationen                             [Storch, 2013].
      identifizieren und diese Information in der Diagnostik                  Die Bildung dieser Bereiche bedingt auch die Ver-
      anwenden. Es kann auch auf die Sequenz eines                          änderung oder Zerstörung bestimmter Gene. Bei
      Proteins geschlossen werden. Diese Information wird                   der Erforschung der Weitergabe von Erbkrankhei-
      wiederum zu pharmazeutischen Zwecken genutzt. Es                      ten spielen die repetitiven Bereiche der DNA also
      besteht also reges Interesse daran,                                   ebenfalls eine große Rolle. Demnach ist es von gro-
      molekularbiologische Kenntnisse zu erweitern                          ßem Interesse die DNA-Sequenz exakt zu entsch-
      [Renneberg, 2013].                                                    lüsseln [Wang, 2015]. Dennoch stand die
                                                                            medizinische Anwendung von genetischen Er-
        Die Geschichte der Sequenzierung ist aber noch                      kenntnissen bis in die 1970er-Jahre weitestgehend
      sehr jung. Seit James Watson und Francis Crick                        still. Obwohl die Doppelhelix-Struktur und der ge-
      1953 die Doppelhelix-Struktur der DNA aufgeklärt                      netische Code des DNA-Moleküls der Wissenschaft
      haben [Watson, 1953], forschen Wissenschaftler an                     bereits bekannt waren, blieb es aufgrund der feh-
      unterschiedlichen Methoden, das Erbgut verschie-                      lenden technischen Möglichkeiten schwierig und
      dener Lebewesen zu entschlüsseln [Wang, 2015].                        zu zeitaufwendig, Sequenzen von Genen näher zu
      Stolpersteine ergeben sich dabei primär durch die                     analysieren [Henderson, 2010].
      repetitiven Eigenschaften des menschlichen Ge-
      noms und der dadurch zwangsläufig hohen Fehler-                         1. Zeitsprung: Sequenzierung nach Sanger
      rate der entwickelten Methoden [Lu, 2016]. Denn,
      ganze 49 % des 3,2 Milliarden Basenpaare (bp) lan-                       Frederick Sanger, ein britischer Biochemiker,
      gen menschlichen Genoms bestehen aus repetiti-                        entwickelte ab 1975 eine zum Goldstandard avan-
      ven Bereichen (Abbildung 1). Das heißt, dass dort                     cierte Sequenzierungsmethode. Diese DNA-Poly-
      spezifische Sequenzabschnitte liegen, die an meh-                     merase-basierte Sanger-Sequenzierung stellte der
                                                                            Wissenschaftler anhand der Entschlüsselung des
      Die Autoren:                                                          Genoms des Bakteriophagen Phi-X174 im Jahre
      Lisa Carolina Prudnikow ist an der Hochschule Mittweida               1977 erfolgreich vor [Henderson, 2010]. Bei der
      Master-Studentin an der Fakultät Angewandte Computer- und Bio-        Sanger-, oder auch als Kettenabbruchmethode be-
      wissenschaften. Sie ist Projektmitarbeiterin in der Fachgruppe        kannten Sequenzierung, wird die inhibierende Wir-
      Biotechnologie und Chemie bei Prof. Dr. Röbbe Wünschiers. Ihre        kung     von     Didesoxynukleotiden       (ddNTPs)
      analytischen Kenntnisse wandte sie bisher vorwiegend für              ausgenutzt [Buselmaier, 2018].
      Erkenntnisse zum Sammelverhalten von Honigbienen an.                     Um ein ausreichend starkes Signal zu erhalten,
      Prof. Dr. Röbbe Wünschiers studierte Biologie und promovierte         musste bis zur Einführung der Einzelmolekül-Se-
      in Pflanzenphysiologie an der Universität Marburg. 2006               quenzierung (single-molecule-sequencing) das
      habilitierte er sich an der Universität zu Köln in Genetik. Ab 2007   DNA-Fragment vervielfältigt werden. Früher muss-
      arbeitete er bei BASF Plant Science. Seit September 2009 ist er       ten für diese Art Sequenzierung die zu sequenzie-
      Professor für Biochemie/Molekularbiologie an der Hochschule           renden DNA-Fragmente zunächst in einen
      Mittweida. Seine Lehrgebiete sind Biochemie, Genetik/                 Plasmidvektor (das sind bakterielle zirkuläre DNA-
      Molekularbiologie sowie Computational Biology. In seiner              Moleküle) kloniert werden. Mit den Plasmiden
      Forschung nutzt er labor- und computerbasierte DNA- und RNA-          wurden dann Bakterien transformiert, die sich ver-
      Analytik für die Analyse und ggf. Optimierung unterschiedlicher       mehrten und damit das Plasmid vervielfältigten.
      biologischer Systeme. Diese reichen von Purpurbakterien über          Dieser Prozess wird, in Anlehnung an die Bakteri-
      Pflanzenpollen und Schafpudel bis hin zu Metasystemen wie             enklone, als klonale Amplifikation (clonal amplifica-
      Biofilme und Bioaerosole.                                             tion) bezeichnet. Jenseits der Klonierungsstellen

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Abbildung 1: DNA-Klassen des humanen Genoms. Mikrosatelliten bilden die Basis des genetischen Fingerabdrucks. LINE und
SINE: long and short interspersed nuclear elements; LTR: long terminal repeats; STR: short tandem repeat.

muss der Vektor über bekannte Sequenzabschnitte statt. Durch die Termination der ddNTPs entstehen
verfügen, an die Sequenzierprimer als Startpunkt Fragmente verschiedener Längen [Renneberg,
für die DNA-Polymerase binden können. Heutzuta- 2013]. Diese Fragmente werden anschließend mit-
ge (siehe unten) erfolgt die klonale Amplifikation tels der Gelelektrophorese in einem Agarosegel der
überwiegend mittels verschiedener Varianten der Länge nach separiert. Durch die Markierung der
Polymerase-Kettenreaktion (polymerase-chain-reac- ddNTPs entsteht ein Elektropherogramm an dem
tion, PCR), wie der emulsion PCR (emPCR) oder die Basenreihenfolge identifiziert werden kann (Ab-
bridge PCR (brPCR). Die für die Primerbindung not- bildung 2) [Buselmaier, 2018]. Die Sequenz kann
wendigen bekannten Sequenzen werden in der Re- danach ermittelt werden, in dem in der jeweils fol-
gel den PCR-Primern als 5’-Adapter angehängt.                         genden Bande in Laufrichtung das ddNTP notiert
    Danach werden in einem Reaktionsansatz der wird. So kann die Sequenz in 5‘-3‘-Richtung abgele-
DNA-Einzelstrang und ein Sequenzprimer, der an sen werden [Lang, 2013].
den bekannten Sequenzabschnitt bindet, gegeben.                         Frederick Sanger selbst führte die Sequenzierung
Enthalten sind außerdem das Syntheseprotein des Phagen Phi-X174 noch per Hand durch, in dem
DNA-Polymerase, die vier Desoxyribonukleosidtri- er die Basenreihenfolge Nukleotid für Nukleotid
phosphate (dNTPs) A, T, G und C
sowie mit einem Fluorenszfarb- Abbildung 2: Prinzip der Sanger-Sequenzierung: Nach Einbau eines ddNTPs (oran-
stoff           markierte Didesoxy- ge) werden die Fragmente bei der Gelelektrophorese aufgetrennt. Davon ausge-
r i b o n u k l e o s i d t r i p h o s p h a t e hend kann die Sequenz abgelesen werden.
(ddNTPs) [Buselmaier, 2018].
Bei der Sequenzierreaktion la-
gert sich am 3‘-Ende der einzel-
strängigen DNA-Vorlage der
Primer an und die Synthese in 5‘-
Richtung des Vorlagenstrangs
startet (Abbildung 2). Komple-
mentär zum unbekannten Se-
quenzabschnitt werden die
dNTPs hybridisiert und zum
Primerstrang polymerisiert. Beim
Einbau eines ddNTPs erfolgt der
Kettenabbruch. Diese Inhibitor-
reaktion der ddNTPs beruht dar-
auf, dass sie keine 3‘-
Hydroxylgruppe besitzen, an die
ein neues Nukleotid per Phos-
phodiesterbindung angefügt wer-
den könnte. Also stoppt die
Neusynthese des Primerstranges
[Sanger, 1977].
    Dieser Prozess fand ursprüng-
lich in vier parallelen Reaktionen

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      Abbildung 3: Sequenziert wird durch die Synthese eines komplementären Stranges. Jedes Nukleotid gibt beim Einbau ein cha-
      rakteristischen fluoreszierendes Lichtsignal ab, dass detektiert werden kann.

      auf den Gel-Banden ablas [Henderson, 2010]. Im                nerhalb von 15 Jahren sollte das menschliche Ge-
      Jahr 1986 fand ein Forscherteam um den Medizi-                nom entschlüsselt werden [Renneberg, 2013]. Die
      ner Leroy Hood eine Möglichkeit, die Sequenzie-               dafür 1988 gegründete Human Genome Organisa-
      rung zu automatisieren. Nach Sangers Protokoll                tion (HUGO), ein Verein aus Genomwissenschaft-
      werden die ddNTPs radioaktiv markiert. Hood nut-              lern und Forschungseinrichtungen, koordinierte
      ze Fluoreszenzfarben, die unter einem Laserstrahl             die auf der ganzen Welt verteilten Arbeitsgruppen
      aufleuchten. Alle vier ddNTPs können so parallel in           [URL 1].
      eine einzelne Reaktion gegeben. Die Primerfrag-                  Da in den frühen 1990er Jahren nur 800 bis
      mente werden durch vier unterschiedlich Fluores-              1000 bp auf einmal sequenziert werden konnten,
      zenzfarbstoffe unterschieden, die kovalent an die             musste das 3,2 Milliarden Basenpaare lange
      ddNTPs gebunden sind. Mit dem Computer kön-                   menschliche Genom zusammengepuzzelt werden
      nen die Fluoreszenzsignale zu einer Sequenz auto-             [Renneberg, 2013]. Mit der hierarchischen Metho-
      matisiert zusammengefasst werden [Smith, 1986].               de, DNA mit mechanisch mit Scherkräften in große
      Zudem werden die Fragmente nicht mehr im Aga-                 Fragmente zu zerlegen, diese in künstliche bakteri-
      rosegel, sondern in einer Kapillare aufgetrennt.              elle Chromosomen (artificial bacterial chromosom,
      Dies ermöglicht Leselängen von bis zu 1000 bp.                BAC) zu klonieren, diese BACs enzymatisch mit
        Die Sanger-Kettenabbruchmethode löste eine Re-              Restriktionsenzymen abermals zu fragmentieren
      volution in der biologischen Forschung aus [van               und die Fragmente in Plasmiden subzuklonieren
      Dijk, 2018]. Gene konnten nun viel schneller se-              und diese zu sequenzieren, wurden bis 1998 rund
      quenziert werden als bisher. 800 bis 1.000 bp                 3 % des Genoms entschlüsselt [URL 1].
      (Reads) konnten am Stück entschlüsselt werden                    Zur selben Zeit arbeitete der Genetiker Craig
      [Wink, 2011]. Diese Sequenziertechnik beherrsch-              Venter mit seiner Firma Celera im Alleingang an
      te über 30 Jahre die biologischen und biomedizini-            der Entschlüsselung des Genoms. Während die
      schen Labors.                                                 staatlich finanzierten Genomforscher die DNA-
                                                                    Fragmente hierarchisch im kleiner Einheiten porti-
        2. Das Humangenomprojekt (HGP)                              onierten, fragmentierte er die gesamte genomische
                                                                    DNA aller Chromosomen mit Ultraschall, um die
        Als zukunftsweisenden Schritt in der Entwick-               Fragmente einzeln zu sequenzieren und später mit
      lung von Sequenzierungsmethoden sollte die Se-                Computern an überlappenden Bereichen zusam-
      quenzierung im Großmaßstab erfolgen, um                       menzufügen (zu assemblieren). Bei dieser Schrot-
      menschliche Sequenzvariationen zu erforschen.                 schuss-Methode (shotgun sequencing) erfolgen
      Die Labor- und Kostenbedingungen der Sangerse-                also keine aufwendigen Subklonierungen. Ein
      quenzierung gestalteten sich jedoch auf Dauer für             Wettstreit zwischen Venter und den Wissenschaft-
      das Sequenzieren im Großmaßstab als zu zeitauf-               lern der HUGO begann [Renneberg, 2013]. Durch
      wendig und zu teuer [van Dijk, 2018]. Daher wur-              die vielen repetitiven Bereiche des menschlichen
      de im Jahr 1990 das bis dahin größte internationale           Genoms, verloren die Rechner von Celera aller-
      und gemeinschaftliche Biologieprojekt, das Human-             dings schnell die Orientierung. So kam es zu einer
      genomprojekt (HGP), gestartet [van Dijk, 2018]. In-           teilweisen Zusammenarbeit, in der Venters Metho-

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de zusammen mit den von der HGO erstellten Gen-             direkt bei der Synthese eines komplementären
karten im Jahr 2001 zur Entschlüsselung des                 Stranges (Abbildung 3). Jedes Nukleotid ist mit ei-
menschlichen Genoms führten [URL 1].                        nem anders fluoreszierenden Farbstoff markiert
                                                            und mit einer Schutzgruppe versehen. Der Schutz
  3. Die nächste Generation                                 bewirkt den schrittweise Einbau der Nukleotide,
                                                            bremst also die DNA-Polymerase. Nach Messung
   Auch nach dem Erfolg des HGP lagen die Kosten            des Fluoreszenzsignals wird die Schutzgruppe ab-
im Jahr 2004 für die Sequenzierung eines einzel-            gespalten, wonach der Einbau des nächsten Nu-
nen Genoms noch bei ca. 10 Millionen US-Dollar.             kleotids erfolgen kann [Müller, 2016]. Die zu
Als nächstes Ziel sollten die Durchsatzzahlen der           sequenzierenden DNA-Fragmente sind immobili-
Sequenzierung erhöht und gleichzeitig die benötig-          siert, was die Zuordnung der Fluoreszenzsignale er-
te Zeit und die Kosten gesenkt werden, damit Se-            möglicht.
quenziertechniken auch in der Medizin angewandt               Vor der Sequenzierung werden die DNA-Frag-
werden konnten. So startete im selben Jahr das Na-          mente klonierungsfrei per PCR vervielfältigt. Eine
tional Human Genome Research Institut (NHGRI)               Methode dieser Clonal Amplification ist, wie oben
das $1000-Genome-Project, um revolutionäre Se-              angesprochen, die brPCR (Abbildung 4). Dabei wer-
quenztechnologien in Gang zu setzen, die für die            den an einer Oberfläche Oligonukleotide gebun-
Sequenzierung eines Säugetiergenoms nicht mehr              den, die komplementär zu vorher an die DNA-
als 1000 US-Dollar benötigen. Mehrere Wissen-               Fragmente ligierten Adaptersequenzen sind.
schaftler entwickelten aus diesem Anlass verschie-          Kommt es zu einer Bindung, dienen die Oligonu-
dene Methoden, die als Next Generation                      kleotide als Primer für die PCR. Die synthetisierten
Sequencing (NGS) oder Second Generation Se-                 Doppelstränge werden denaturiert und der Vor-
quencing (2ndGen) zusammengefasst werden                    gang wird wiederholt.
[Wong, 2013].                                                 Bei der SOLiD-Sequenzierung werden Sonden
   Bei den NGS-Methoden werden Millionen von                genutzt, die in regelmäßigen Abständen nacheinan-
DNA-Fragmenten in einem einzi-
gen Lauf parallel sequenziert. Abbildung 4: Bei der Brücken-PCR (brPCR) werden die DNA-Stränge (blau) an einer Oberfläche an ei-
Deshalb werden NGS-Verfahren nem        Oligonukleotid (orange, grün) immobilisiert und bilden eine Brücke aus. Durch die Anlagerung ei-
                                   nes Primers wird die PCR-Reaktion gestartet. Durch Wiederholung des Vorganges entsteht die
auch als Massive Parallel Sequen- Grundlage für das Massive Parallel Sequencing.
cing (MPV) bezeichnet. Grundle-
gend beruht die Technik darauf,
dass die zu sequenzierende DNA
in kleine Stücke fragmentiert
und anschließend von jeweils ei-
nem DNA-Molekül ausgehend
sequenziert wird [Stallmach,
2016]. Dabei fallen die zeitinten-
sive in vivo-Klonierung der Frag-
mente       wie      auch      die
elektrophoretische Separierung
der Produkte weg. Stattdessen
wird der DNA-Polymerase in
Echtzeit bei der Arbeit zugese-
hen, weshalb die Methoden auch
als Real-Time-Sequencing be-
zeichnet werden. So wurde eine
erhebliche Preisreduktion mög-
lich, wodurch die Sequenzierung
auch Einzug in kleinere Labors
fand [van Dijk, 2018].
   Zwei häufig eingesetzte Ver-
fahren der vielen NGS-Metho-
den sind die Ilumina- und die
SOLiD- (sequencing by oligo
nucleotide ligation and detecti-
on) Sequenzierung. Bei der
DNA-Polymerase basierten Ilumi-
na-Sequenzierung erfolgt der Se-
quenzierungs-, also Leseschritt

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      Abbildung 5: Durch mehrere Durchläufe des Hybridisierungsprozesses, werden Sequenzlücken geschlossen und die unbekann-
      te DNA-Sequenz entschlüsselt.

      der an die DNA hybridisieren und dann ligiert wer-          Dies kann zu falschen Assemblies und vielen Lü-
      den, um die DNA zu sequenzieren (Abbildung 5).              cken führen, wodurch tausende Contigs (conti-
      Dabei werden, ebenfalls durch Fluoreszenzsignale,           gous sequences, Sets überlappender DNA-
      immer zwei Basen gleichzeitig identifiziert. Für die        Fragmente) entstehen. Besondere strukturelle Va-
      Sequenzierung sind mehrere Läufe notwendig, wo-             riationen wie zum Beispiel Einzelnukleotid-Variati-
      bei die Sonden immer um eine Base verschoben                onen (single nucleotide variations, SNVs), -
      werden. Lauf für Lauf kann das „Puzzle“ vervoll-            Polymorphismen (single nucleotide polymor-
      ständigt werden [Wagener, 2010].                            phisms, SNPs) oder Indels (insertions and deleti-
         Das Besondere der SOLiD-Sequenzierung ist,               ons, Insertionen und Deletionen), können daher
      dass sie ausschließlich über Hybridsierung verläuft         nicht akkurat identifiziert werden [van Dijk,
      und keine DNA-Polymerase benötigt. Damit wurde              2018]. Die Amplifizierungsschritte sind zusätzli-
      es möglich auch DNA-Bereiche zu sequenzieren,               che Fehlerquellen [Wang, 2015]. Die $1000 stell-
      die reich an repetitiven Sequenzen sind. Denn in            ten sich für eine routinierte klinische Anwendung
      solchen Bereichen bricht die DNA-Polymerase häu-            der dazu noch zu aufwendigen NGS-Verfahren
      fig ab.                                                     weiterhin als zu teuer heraus [Wang, 2015]. Die zu
         Trotz allem führten die repetitiven DNA-Berei-           sequenzierenden Proben mussten noch immer in
      che des menschlichen Genoms zu Problemen: Die               meist tagelanger Arbeit aufbereitet und kompli-
      Read genannten sequenzierten Fragmente sind                 zierte Algorithmen für die Aufschlüsselung ange-
      kürzer als die repetitiven Bereiche [Feng, 2015].           wandt werden [Feng, 2015].

328   CLB     71. Jahrgang, Heft 07 - 08/2020
DNA-Sequenzierung in der dritten Generation - Von den Anfängen der Sequenziertechnik bis hin zu den Nanoporen
Nanoporensequenzierung

  4. Die dritte Generation                                   den. Bei Pacific Biosciences ist die DNA-Polymerase
   Seit 2008 bietet die Einzelmolekülsequenzie-              an den Glasträger immobilisiert. Das inkorporierte
rung Lösungen für einige der schwierigsten Proble-           und damit nahe der Oberfläche befindliche Nukleo-
me, mit denen die Sequenzierung der zweiten                  tid wird durch eine Zero-Mode-Waveguide (ZMW)
Generation konfrontiert ist, indem sie die Proben-           zur Fluoreszenz angeregt. Einen völlig anderen
vorbereitung vereinfacht, den Bedarf an Proben-              Weg geht Oxford Nanopore Technologies (ONT),
masse reduziert und die klonale Amplifikation von            wo die ssDNA-Vorlage an ein Motorprotein gebun-
DNA-Matrizen eliminiert. Jede Probenmanipulati-              den und im elektrischen Feld durch eine Proteinpo-
on und insbesondere Amplifikation kann quantitati-           re gezogen wird. Aus den resultierenden
ve und qualitative Artefakte verursachen, die sich           Stromschwankungen über der Membran kann die
bei der Weiterverarbeitung der Daten auswirken.              DNA-Sequenz berechnet werden (siehe unten).
Die klonale Amplifikation schränkt vor allem die                Da sich die Eigenschaften verschiedener Einzel-
Größe der zu sequenzierenden DNA ein, da zu kur-             molekül-Sequenziertechnologien stark voneinan-
ze oder zu lange Moleküle nicht gut amplifiziert             der und von anderen Sequenziertechnologien
werden. Die vereinfachte Probenvorbereitung und              unterscheiden, ist es wichtig, diese Eigenschaften
die höhere Konsistenz durch Eliminierung der Am-             und ihre Auswirkungen auf das experimentelle De-
plifikation machen die Einzelmolekülsequenzie-               sign und die Ausgabe zu verstehen. Einige Vorteile
rung gut für diagnostische und klinische                     der Einzelmolekülsequenzierung sind universell,
Anwendungen geeignet – sie stellt die dritte Gene-           wie die Fähigkeit, dasselbe Molekül mehrmals neu
ration der Sequenziermethoden dar (Abbildung 6).             zu sequenzieren, um die Genauigkeit zu verbes-
   Bei Helicos Biosciences ist die einzelsträngige           sern, und die Fähigkeit, Moleküle zu sequenzieren,
DNA-Vorlage (ssDNA) an einen auf einem Glasträ-              die aufgrund extremer GC-Gehalte, Sekundärstruk-
ger kovalent gebundenes Oligonukleotid hybridi-              turen oder anderer Faktoren nicht ohne weiteres
siert. Bei jedem Reaktionszyklus wird ein                    amplifiziert werden könnten.
fluoreszenzmarkierter dNTP-Typ angeboten. Durch
konfokale Mikroskopie wird nur das eingebaute                  5. Die Lösung: Nanoporen
Nukleotid (virtual terminator nucleotide genannt)              als Teil der dritten Generation
per Fluoreszenz detektiert und der Fluoreszenz-
farbstoff anschließend abgespalten. Nun kann der               Bei der Genomsequenzierung kommen häufig
Zyklus von vorne beginnen. Bei Life Technologies             mehrere Methoden parallel zum Einsatz. So kön-
wird die ssDNA-Vorlage an den Glasträger gebun-              nen mit der neuartigen Nanoporensequenzierung
den und ausgehend von einem Primer sequenziert.              lange aber ungenaue Reads erhalten werden, auf
An die DNA-Polymerase ist ein Quantum-Dot Nano-              die Illumina-Reads mit hoher Genauigkeit gemap-
kristall (QDN) gebunden, der bei der Detektion An-           ped werden können. Letztlich kommt der Bioinfor-
regungslicht über FRET (engl. Förster resonance              matik eine immense Bedeutung zu. Bereits 1996
energy transfer) an das inkorporierte Nukleotid              führte das Team um die Wissenschaftler David Bea-
weiter leitet. Nach der Abspaltung des Farbstoffs            mer und John Kasianowicz eine Translokation von
folgt der nächste Zyklus. Da die dNTPs mit unter-            Polyuridylsäure durch eine α-Hämolysin-Pore
schiedlichen Fluoreszenzfarbstoffen markiert sind,           durch. α-Hämolysin ist ein tunnelförmiges Protein,
können alle Nukleotide gleichzeitig angeboten wer-           dass in einer Lipidmembran eine Nanopore ausbil-

Abbildung 6: Dominierende Real-Time DNA-Sequenziermethoden der dritten Generation. Alle dargestellten Methoden sind Single-Molecule-Se-
quencing Methoden.

                                                                                CLB     71. Jahrgang, Heft 07 - 08/2020                   329
DNA-Sequenzierung in der dritten Generation - Von den Anfängen der Sequenziertechnik bis hin zu den Nanoporen
Nanoporensequenzierung

                                                                                               onen, die die bisher größte Feh-
                                                                                               lerquelle darstellte, bedeutend
                                                                                               [Lu, 2016].
                                                                                                  Die Poren, die für die Nanopo-
                                                                                               rensequenzierung        eingesetzt
                                                                                               werden können, müssen spezi-
                                                                                               elle Anforderungen erfüllen.
                                                                                               Die wichtigste Voraussetzung
                                                                                               liegt bei den geometrischen Ei-
                                                                                               genschaften. Die einzelsträngi-
                                                                                               ge DNA oder auch RNA müssen
                                                                                               die Pore problemlos durchque-
                                                                                               ren können. Demnach sollte der
                                                                                               Durchmesser der engsten Stelle
                                                                                               des Porenkanals, dem Sensorbe-
                                                                                               reich, in diesem Fall nicht weni-
                                                                                               ger als 1 nm betragen
                                                                                               [Nordheim, 2018]. Die Integrie-
                                                                                               rung in die Membran und die
                                                                                               Bedingungen, unter denen die
                                                                                               Nukleinsäure die Pore passieren
Abbildung 7: Prin-                                                         kann (Temperatur, pH-Wert, Spannung), spielen
zipieller Aufbau
zur Translokation    det. Das Forscherteam erkannte, dass einzelne Mo-     ebenfalls eine Rolle [Wang, 2015]. Die gegenwärtig
von DNA mittels      leküle anhand von Spannungsänderungen über der        verwendeten Poren sind entweder biologischer Na-
Nanoporen.           Membran detektiert werden können. Sie vermute-        tur (porenbildende Proteinkomplexe) oder soge-
                     ten, dass durch die charakteristischen physikali-     nannte Solid-State-Pores, also synthetische Poren
                     schen Eigenschaften der Nukleotide in DNA eine        [Feng, 2015].
                     leichte Identifizierung und darauf aufbauend eine        Die biologischen Poren, also tunnelbildende
                     revolutionierende Sequenzierungsmethode erfol-        Transmembranproteinkomplexe, haben eine klar
                     gen könnte [Kasianowicz, 1996]. Dies ist heute ge-    definierte Geometrie [Liu, 2019]. Sie sind gewöhn-
                     wiss [van Dijk, 2018]. Nanoporen für die              lich in einem biologischen Substrat wie Lipiddop-
                     Sequenziertechnologie einzusetzen, beruht auf         pelschichten,      Liposomen        oder      anderen
                     dem Prinzip des Membranenpotentials: Mit einer        Polymerfilmen eingebettet. Der Vorteil bei der Nut-
                     doppelschichtigen Membran wird eine Elektrolytlö-     zung biologischer Systeme liegt bei der hoch repro-
                     sung in zwei Kompartimente (cis und trans) geteilt.   duzierbaren Größe und der Struktur. Mit
                     Werden diese Kompartimente mit Kathode und            modernen molekularbiologischen Techniken, wie
                     Anode versehen, kann eine einseitige externe          den Einbau von mutierten Sequenzabschnitten an
                     Spannung angelegt werden. Die Ionen wandern           spezifischen Stellen der Aminosäurekette, können
                     durch die Poren der Membran und generieren da-        biologische Nanoporen relativ unkompliziert modi-
                     bei ein messbares Ionenstrom-Signal [Wang, 2015].     fiziert werden [Feng, 2015].
                     Wird in die cis-Kammer einzelsträngige DNA oder          Zwei bisher oft für die Sequenzierung genutzte
                     RNA gegeben, dann wandern die Moleküle auf-           biologische Nanoporen bestehen aus den Protei-
                     grund ihrer negativen Ladung elektrophoretisch        nen α- Hämolysin und MspA [Feng, 2015]. Mit der
                     durch die Poren in die trans-Kammer (Abbildung 7).    aus Staphylococcus aureus stammenden α-Hämo-
                        Der Ionenstrom wird dabei charakteristisch ge-     lysin-Pore wurde 1996 erstmals die Durchführbar-
                     stört. Denn, jedes Nukleotid blockiert beim Durch-    keit der Molekültranslokation mittels Nanoporen
                     queren die Porenöffnung so, dass sich die             bewiesen [Kasianowicz, 1996]. In vivo kann sich
                     elektrische Leitfähigkeit der Membran für eine spe-   die α-Hämolysin-Pore (Abbildung 8) schnell in pla-
                     zifisch kurze Zeit ändert [Feng, 2015]. Die Sequen-   nare Lipid- Doppellayer-Membranen integrieren
                     zierung erfolgt daher nicht wie bei Sanger            und einen Kanal von ca. 1,4 nm Innendurchmesser
                     enzymatisch, sondern elektronisch. Da die moleku-     bilden [Liu, 2019]. Die Größe des Kanals und ein-
                     lare Größe und Passierdauer je nach Nukleotid vari-   zelsträngiger DNA oder RNA liegen damit nah an-
                     iert, entstehen Schwankungen, die von einem           einander. Die Nanoporen behalten zudem bis
                     Computer aufgezeichnet und in ein auswertbares        100 °C und bei pH 2–12 ihre Funktionalität. Die
                     Signal umgewandelt werden können [Feng, 2015].        α-Hämolysin-Pore wird zwar häufig in biologischen
                     Die Nanoporensequenzierung erlaubt so mehrere         Experimenten verwendet, ihr geringer Poren-
                     hunderttausend Basenpaare große Fragmente zu          durchmesser schränkt dies aber auf die Arbeit mit
                     sequenzieren. Das vereinfacht das anschließende       ssDNA, RNA und kleine Moleküle ein [Feng,
                     Assemblieren und die Analyse von repetitiven Regi-    2015].

330                  CLB    71. Jahrgang, Heft 07 - 08/2020
DNA-Sequenzierung in der dritten Generation - Von den Anfängen der Sequenziertechnik bis hin zu den Nanoporen
Nanoporensequenzierung

   Das Porin A des Mycobacterium smegatis, MspA
genannt, kann die Information von vier Nukleoti-
den simultan ablesen (Abbildung 9). Zusätzlich ist
die MspA-Pore sehr robust und behält bei pH 0–14
für 30 min bei 100°C ihre Aktivität. Allerdings ist
der Porendurchmesser am schmalsten Punkt nur
1,2 nm groß [Liu, 2019]. Obwohl Poren mit kleine-
ren Sensorbereichen die Sequenzierung auf kleine-
re Moleküle einschränken, eignen sie sich besser
für ein genaues Sequenzierungsergebnis. Deshalb
wurden die ersten akkuraten Resultate im Jahr
2012 mit der MspA-Pore erzielt [Dijk, 2018].
   Biologische Nanoporen wurden bisher nicht nur
zur DNA-Sequenzierung genutzt. Auch für die Ein-
zelmoleküldetektion eigenen sich die Poren. Die
Pore phi29 zum Beispiel besitzt einen Durchmes-
ser von 3,6 nm. So können auch doppelsträngige
DNA oder Proteine die Pore durchqueren. Die Pore
ist auch bei biochemischen Modifikationen flexibel
und kann somit in vielen Forschungsbereichen ver-
wendet werden [Feng, 2015].
   Obgleich biologische Nanoporen für die Sequen-
zierung von ssDNA gute Resultate erzielten, haben
sie auch Nachteile. Die Porenproteine können un-
ter bestimmten Bedingungen instabil werden und        Abbildung 8: Die α-Hämolysin Nanopore nach PDB-ID 3ANZ aus [Tanaka, 2011].
sie sind auf die Fragilität der Lipidmembranen an-
                                                      Abbildung 9: Eine MspA Nanopore nach PDB-ID 1UUN aus [Faller, 2004].
gewiesen. Die Poren zu transplantieren und in eine
großflächige Anordnung zu überführen, ist zu dem
sehr schwierig [Liu, 2019].
   Um den Problemen, die bei der Verwendung bio-
logischer Nanoporen entstehen, zu entgehen und
die benötigten Dimensionen größentechnisch bes-
ser anzupassen, rücken auch die synthetischen Po-
ren, die sogenannten Solid-State-Nanoporen in den
Fokus. Die chemische, mechanische und thermi-
sche Stabilität sind dabei von großem Vorteil
[Wang, 2015]. Hergestellt werden die Poren, in-
dem Materialien wie Siliziumnitrid, Siliziumdioxid,
Aluminiumoxid oder Polymermembranen mit Elek-
tronen- oder Ionenstrahlen, Laser- oder Ionenspur-
verfahren durchbohrt werden. Geometrische
Vorteile entstehen hier dadurch, dass der Herstel-
ler selbst den Porendurchmesser bestimmen kann.
Für eine hohe zeitliche und räumliche Auflösung
sorgen Membranen aus Graphen, einem modifi-
zierten Kohlenstoff [Feng, 2015] [URL 2]. Im Zu-
sammenspiel mit Transistoren oder eingebaut in
Mikrochips sind synthetische und auch biologische
Nanoporen in Labors einsetzbar. Damit eröffnen
sich kommerzielle Möglichkeiten, das Prinzip der
Nanoporendetektion in portable Geräte einzubau-
en. Auch Hybrid-Nanoporen, eine Kombination aus
synthetischen und biologischen Poren, stehen im
Fokus der Forschung [Feng,2015].                      Die Sequenzierung mit Nanoporen wurde von der
                                                      2005 in Großbritannien gegründeten Firma Oxford
  6. Der MinION-Sequencer                             Nanopore Technologies (ONT) weiterentwickelt
                                                      [Carter, 2018]. ONT beschäftigt sich speziell mit
  Auch kommerziell etabliert sich die Nanoporen-      für die Nanoporensequenzierung verwendbaren
sequenzierung in der Wissenschaft [Feng, 2015].       Geräten und Systemen [URL 3]. Mit dem MinION,

                                                                        CLB      71. Jahrgang, Heft 07 - 08/2020              331
DNA-Sequenzierung in der dritten Generation - Von den Anfängen der Sequenziertechnik bis hin zu den Nanoporen
Nanoporensequenzierung

                                                                                          viert die Effektivität der Nanoporen-
                                                                                          sequenzierung [van Dijk, 2018].
                                                                                            Ein Nachteil dieser Technologie
                                                                                          war lange Zeit die hohe Fehlerrate
                                                                                          von rund 15 %. Diese wird aber von
                                                                                          Quartal zu Quartal besser und nä-
                                                                                          hert sich der DNA-Polymerase ba-
                                                                                          sierten Sequenziertechnologien an.
                                                                                          Außerdem kann bei der Nanoporen-
                                                                                          sequenzierung nicht der gleiche
                                                                                          DNA-Strang mehrere Male sequen-
                                                                                          ziert werden. ONT entwickelte des-
                                                                                          halb         eine         Möglichkeit,
Abbildung 10: Der   der an einen größeren USB-Stick erinnert, veröf-      doppelsträngige DNA mit einem Hairpin-Adapter
MinION-Se-
quencer von Ox-     fentlichte ONT 2014 den ersten für kommerzielle       aufzutrennen. Dieser Hairpin wird an einem äuße-
ford Nanopore       Zwecke entwickelten DNA-Sequencer, der mit der        ren Ende des Doppelstrangs befestigt, sodass beide
Technologies        Nanoporentechnologie arbeitet. Die Größe des Mi-      Stränge miteinander verbunden sind. Vergleichbar
[URL 4]
                    nION beträgt 10 cm × 3 cm × 2 cm bei 90,00 g und      mit einem sich öffnenden Reisverschluss wird der
                    macht ihn damit zum kleinsten erwerbbaren Gerä-       Doppelstrang vor Erreichen des Motorproteins auf-
                    te (Abbildung 10) [Lu, 2016].                         getrennt. In die Pore tritt nun zuerst ein Einzel-
                      In unserer Arbeitsgruppe an der Hochschule          strang ein. Durch die Hairpin-Verbindung wird der
                    Mittweida konnten wir die Technologie als eine        komplementäre Strang durch die Pore gezogen.
                    der ersten Forschungsgruppen Deutschlands eta-        Das DNA-Fragment wird so zweimal sequenziert.
                    blieren und wenden sie in zahlreichen Projekten       Dadurch sinkt die Fehlerrate der bioinformatischen
                    erfolgreich an (Abbildung 11).                        Datennachbereitung um etwa 3 %. Diese Methode
                      Das Gerät enthält eine verbrauchbare Durchfluss-    wird als 1D2 bezeichnet. 1D entspricht folglich
                    zelle, Flow Cell genannt, in welche die Probe gege-   dem Sequenzieren eines Einzelstranges [van Dijk,
                    ben wird. Diese Durchflusszelle enthält zwei mit      2018]. Die neueste Flow-Cell Technologie R10.3
                    Elektrolytlösungen gefüllte Kompartimente, die        erreicht eine 1D-Genauigkeiten von bis zu 95 %
                    durch eine Membran wie in Abbildung 7 gezeigt         und Konsensus-Genauigkeiten über Q50 liefern.
                    voneinander separiert werden [URL 4]. Die ange-       Die gängige Durchflusszelle R9.4, kann mit 512 Ka-
                    legte Spannung führt zur Translokation der Mole-      nälen bis zu 20 GB Sequenzdaten in einem 48 stün-
                    küle.      Das     Signal    des     beschriebenen    digen Zyklus produzieren [URL 4]. In Verbindung
                    charakteristischen Ionenstroms wird mit einem         mit der CsgG-Pore, die eine besonders hohe Ge-
                    Sensor detektiert und in Echtzeit an den Computer     nauigkeit aufweist, verläuft die Translokation der
                    gesendet, sodass die Analyse während des Experi-      Moleküle mit 450 Basen pro Sekunde [van Dijk,
                    ments durchgeführt werden kann [Lu, 2016]. Die        2018]. Für bereits 2000 Euro kann man mit dem
                    Datenprozessierung erfolgt mit einer speziell von     Basissystem starten. Im Verhältnis zum Aufwand
                    ONT entwickelten und zur Verfügung gestellten         der Probenaufbereitung und dem Durchsatz der Se-
                    Software namens MinKNOW auf dem PC, an den            quenzierung kann die Nanoporensequenzierung
                    der MinION mittels USB3 angeschlossen ist. Meh-       somit auch in kleinen Labors eingesetzt werden.
                    rere Gigabasen (Gb) Leselänge können so in weni-
                    gen Stunden analysiert werden [URL 4].                  7. Nanoporen als Hoffnung
                      Für die Durchflusszelle müssen die DNA- oder          für die Diagnostik
                    RNA-Proben entsprechend aufbereitet werden.
                    Charakteristischer Weise fällt der Amplifikations-      Das NHGRI definierte während des $1000-Geno-
                    schritt bei der dritten Generation der Sequenzie-     me-Projects die vier Goldstandards, welche die sich
                    rung weg [Wang, 2015]. Eine typische DNA-Library      noch in der Entwicklung befindlichen Sequenzie-
                    besteht aus vier Komponenten (Abbildung 12). An       rungsmethoden erfüllen sollten: 1.) hohe Genauig-
                    das doppelsträngige DNA-Fragment werden beid-         keit, 2.) lange Reads, 3.) hoher Durchsatz und 4.)
                    seitig Adapter angebracht, die an ihrem 5‘-Ende       geringe Kosten. Die entstandenen NGS-Verfahren
                    überstehen. An diesem Ende des Adapters bindet        entsprachen je auf unterschiedliche Art teilweise
                    ein Motorprotein, welches das DNA-Fragment an         diesen Punkten. Von der dritten Generation, insbe-
                    die Pore führt und für ein schrittweises und kon-     sondere von der Nanoporensequenzierung, wird
                    trolliertes Durchdringen der DNA durch die Pore       erwartet, alle vier Standards zu erfüllen [Wang,
                    sorgt. Am 3‘-Ende des Adapters befindet sich ein      2015]. Durch die Sequenzierung mit Nanoporen
                    Oligonukleotid mit Cholesterin als funktionelle       ergeben sich viele neue Möglichkeiten und Chan-
                    Gruppe. Dieses sorgt zusätzlich für die Anheftung     cen, biologische und medizinische Fragestellungen
                    des DNA-Moleküls an die Membran und intensi-          in verschiedensten Umgebungen anzugehen. Im

332                 CLB    71. Jahrgang, Heft 07 - 08/2020
DNA-Sequenzierung in der dritten Generation - Von den Anfängen der Sequenziertechnik bis hin zu den Nanoporen
Nanoporensequenzierung

Abbildung 11: Forschungskooperationen auf Basis der in der AG Wünschiers (Hochschule Mittweida) etablierten Nanoporen-
sequenzierung. Neben der praktischen Sequenzierung ist vor allem die bioinformatische Datenauswertung von zentraler Be-
deutung [siehe auch Leidenfrost, 2020abc].

Bereich der Diagnostik erschließen sich neue Mög-            amplifiziert, um das Ebola-Virus-Genom abzubil-
lichkeiten, unter denen auch bei beschränkten Ar-            den. Mittels drei MinION-Geräten und vier Laptop-
beitsbedingungen eine Sequenzierung durchge-                 Computern erstellten die Wissenschaftler ein Echt-
führt werden kann. Zum Beispiel bei Epidemien in             zeit-Sequenzierungssystem. Mit 148 MinION-
Tropen- oder Wüstengebieten [Lu, 2016].                      Durchläufen und 142 Proben konnte innerhalb von
   Bei Gefahr eines Krankheitsausbruches, ist es es-         15-60 Minuten sequenziert werden, der gesamte
sentiell, so schnell wie möglich Zugang zu den Ge-           Arbeitsablauf war in weniger als 24 h vollzogen,
nomsequenzen erkrankter Personen zu erhalten,                mitsamt Amplifikation, Library-Preparation und Mi-
um eventuell bekannte virale Evolutionsmuster zu             nION- Lauf [Quick, 2016].
beurteilen. Droht ein Ausbruch, vergeht zu viel                Auch bei der aktuellen SARS-CoV-2 Pandemie
Zeit, bis die DNA-Proben in weit entfernte Labors            kommt die Nanoporensequenzierung zum Einsatz.
mit den benötigten Vorrichtungen zur Analyse ent-            So wurde mittels dieser Methode die Verbreitung
sandt werden. Todesfälle, die in Verbindung mit              des Coronavirus in NRW nachverfolgt [Walker,
der beobachteten Krankheit stehen, steigern die              2020].
Priorität, eine Diagnose zu finden und die Erkrank-            Einen weiteren diagnostischen Erfolg erzielte ein
ten zu behandeln. Sequenzierungsmethoden, die                Forscherteam 2018 in Nigeria. Die Wissenschaftler
längere Zeit beanspruchen, verlängern den Prozess            untersuchten den Lassa-Virus (LASV), der das Las-
zusätzlich [Lu, 2016].
   Die Nanoporensequenzierung umgeht diese
Komplikationen. Denn auch in Regionen, in denen              Abbildung 12: Typische DNA-Library bestehend aus doppelsträngigen DNA-Frag-
ungünstige Bedingungen zur Analyse von DNA-Pro-              ment (blau), Adaptern (orange), Motorprotein (rot) und funktioneller Gruppe aus
                                                             einem Oligonukleotid und Cholesterin (schwarz).
ben herrschen, kann zum Beispiel mit dem MinI-
ON-Sequencer schnell und effizient gearbeitet
werden. Quick et al. führten 2015 eine bahnbre-
chende diagnostische Untersuchung im westafrika-
nischen Ebolagebiet Guinea durch. Durch eine
Reverse-Transcription-PCR wurde zuerst die DNA

                                                                                 CLB     71. Jahrgang, Heft 07 - 08/2020                  333
Nanoporensequenzierung

                                                                                      die öffentliche Gesundheit zugewiesen, und das
                                                                                      Fieber konnte behandelt werden [Kafetzopoulou,
                                                                                      2019].

                                                                                        8. Direkte RNA-Sequenzierung
                                                                                        RNA zu sequenzieren ist nützlich, um Aufschluss
                                                                                      über den genetischen Code eines Organismus zu
                                                                                      einem bestimmten Zeitpunkt zu erhalten. Damit
                                                                                      können Momentaufnahmen erhalten werden, die
                                                                                      zeigen, wie eine Zelle oder Gewebe zu diesem Zeit-
                                                                                      punkt funktionieren. Vor allem die Entwicklung
                                                                                      von Tumorzellen kann so vorausgesagt und beob-
                                                                                      achtet werden. Auch besitzen viele Viren eine
                                                                                      RNA-basierte Erbinformation, die auf Krankheiten
                                                                                      schließt [URL 5].
                                                                                        Die Sequenzierung von RNA gestaltete sich bis-
                                                                                      her über die PCR und die Synthese von komple-
                                                                                      mentärer DNA (cDNA). Dafür musste mit dem
                                                                                      Enzym Reverse Transkriptase ein komplementärer
                                                                                      DNA-Einzelstrang an die RNA hybridisiert werden,
Abbildung 13: Diese stark vergrößerte transmissionselektronenmikroskopische           um einen cDNA-Doppelstrang zu erhalten. Mit
Aufnahme (TEM) zeigte einige der ultrastrukturellen Details einer Reihe von Lassa-    NGS-Methoden wurde dementsprechend weiter
Virusvirionen neben einigen Zelltrümmern. Das Virus, ein Mitglied der Virusfamilie
Arenaviridae, ist ein einzelsträngiges RNA-Virus und ist zoonotisch oder von Tieren   verfahren [Graw, 2015]. Durch die Nanoporense-
übertragen und kann auf den Menschen übertragen werden. Die Krankheit, die in         quenzierung kann dieser Schritt nun vernachlässigt
Westafrika auftritt, wurde 1969 entdeckt, als zwei Missionskrankenschwestern in       werden. Es müssen keine Kopien mehr erzeugt
Nigeria, Westafrika, starben. In Gebieten Afrikas, in denen die Krankheit ende-
misch ist (dh ständig vorhanden ist), ist Lassa-Fieber eine bedeutende Ursache für    werden. Mit dem MinION-Sequencer kann RNA di-
Morbidität und Mortalität. Während Lassa-Fieber bei etwa 80% der mit dem Virus        rekt sequenziert werden [URL 6]. 2018 wurde dies
infizierten Menschen mild ist oder keine beobachtbaren Symptome aufweist, lei-        sogar erfolgreich im Weltraum auf der Internationa-
den die restlichen 20% an einer schweren Multisystemerkrankung. Lassa-Fieber ist      len Raumstation (ISS) durchgeführt. Mikroorganis-
auch mit gelegentlichen Epidemien verbunden. Ungefähr 15 bis 20% der wegen
Lassa-Fieber ins Krankenhaus eingelieferten Patienten sterben an der Krankheit.       men, die sich an Bord befinden, können so
Insgesamt führt jedoch nur etwa 1% der Infektionen mit dem Lassa-Virus zum Tod.       identifiziert und deren Wechselwirkung mit den
                                                                                      Astronauten erforscht werden [URL 5].

                     sa-Fieber verursacht (Abbildung 13). Seit dem ers-                 9. Fazit
                     ten Auftreten 1969 in der Stadt Lassa, Nigeria,
                     wurde 2018 der größte Fieberausbruch verzeich-                      Von Sangers innovativen Kettenabbruchmethode
                     net. Durch das Ausmaß des Fieberausbruch, be-                    1977 bis zu den heutigen Standards der Sequen-
                     stand die Sorge, die Art der Übertragung sei                     ziertechnik durchlief die Wissenschaft also mehre-
                     möglicherweise unbekannt. Deshalb forderten das                  re Stationen und Hürden. Über die mehr als 40
                     Nigeria Centre for Disease Control (NCDC) und die                Jahre Geschichte der Sequenzierungsforschung
                     World Health Organisation (WHO) Sequenzinfor-                    entstanden Techniken, die Generation für Genera-
                     mationen aus einer Pilotstudie, die zur Zeit des                 tion die Probenaufbereitung und damit Zeit- und
                     Ausbruchs, mit dem MinION-Sequencer durchge-                     Kostenfaktoren reduzierten [van Dijk, 2018]. Die
                     führt wurde [Kafetzopoulou, 2019].                               Nanoporensequenzierung, welche die charakte-
                       Mit dem MinION-Sequencer wurden die vorher                     ristische Änderung von Ionenströmen durch in
                     genetisch vervielfältigten RNA-Viren sequenziert.                Membran eingebettete Poren identifiziert, bildet
                     Innerhalb kürzester Zeit konnten ca. 36 LASV-Ge-                 aktuell die Speerspitze [Feng, 2015]. Durch das
                     nome eines Fieberausbruches charakterisiert wer-                 einfache Prinzip des Membranenpotentials erlaubt
                     den, der 18 nigerianische Staaten umfasste. Nach                 diese Art der Sequenzierung eine einfache Automa-
                     diesen ersten Resultaten validierten die Forscher                tisierung und Miniaturisierung. Mit dem auch für
                     mit 120 weiteren LASV-Proben und der Illumina-                   kleinere Labors erschwinglichem Gerät können
                     Resequenzierung ihren Ansatz. So konnten zwei                    Wissenschaftler individueller an Projekten arbeiten
                     Genotypen festgestellt werden. Durch Vergleiche                  oder in laboruntauglichen Umgebungen, wie zum
                     mit vergangenen Lassa-Fällen des Landes konnte                   Beispiel Wüstengebieten, Sequenzierungsergebnis-
                     bestätigt werden, dass es sich bei dem LASV-                     se erzielen. Besonders für humandiagnostische An-
                     Stamm nicht um eine Mensch- zu-Mensch-Übertra-                   wendungen ergeben sich so durch die
                     gung handelte, sondern um eine zoonotische. Dem-                 Nanoporensequenzierung innovative Möglichkei-
                     entsprechend wurden Ressourcen angemessen für                    ten [Lu, 2016]. �

334                  CLB      71. Jahrgang, Heft 07 - 08/2020
Nanoporensequenzierung

Literatur / Quellen

Bücher
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