Eckpunkte einer Strategie des Landes Baden-Württemberg für die Zusammenarbeit mit der Schweiz

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Eckpunkte einer Strategie des Landes Baden-Württemberg für die Zusammenarbeit mit der Schweiz
Eckpunkte einer Strategie
des Landes Baden-Württemberg
    für die Zusammenarbeit
         mit der Schweiz
Eckpunkte einer Strategie des Landes Baden-Württemberg für die Zusammenarbeit mit der Schweiz
Eckpunkte einer Strategie des Landes Baden-Württemberg für die Zusammenarbeit mit der Schweiz
Eckpunkte einer Strategie
des Landes Baden-Württemberg
   für die Zusammenarbeit
       mit der Schweiz
Eckpunkte einer Strategie des Landes Baden-Württemberg für die Zusammenarbeit mit der Schweiz
Eckpunkte einer Strategie des Landes Baden-Württemberg für die Zusammenarbeit mit der Schweiz
Vorwort
Baden-Württemberg und die Schweiz sind als          Baden-Württemberg und die Schweiz haben in
Nachbarn eng verflochten und unterhalten eine       vielen Bereichen vergleichbare Ausgangsbedin-
langjährige Freundschaft. Die Bedeutung der         gungen. Die Bewohnerinnen und Bewohner die-
gemeinsamen Grenze hat sich über Jahrzehnte         ser rohstoffarmen Länder mussten sich auf ihren
hinweg immer mehr von einem trennenden hin          Fleiß und ihren Erfindergeist stützen, um die wirt-
zu einem verbindenden Element verändert. Die        schaftliche Bedeutung zu erlangen, die sie heute
intensive grenzüberschreitende Zusammenarbeit       genießen. Dementsprechend prägen High Tech,
hat aus Randgebieten beider Länder zunehmend        mittelständische Unternehmen und eine renom-
grenzüberschreitende Standorte gemacht, die ins     mierte Hochschullandschaft beide Länder. Diese
Zentrum rücken und von ihrer Lage profitieren.      Stärken auch künftig in einem sich verändernden
                                                    Umfeld zu bewahren und erfolgreich auszuspielen,
Mit den Veränderungen im europäischen und im        ist eine der Kernaufgaben, die sich auf beiden Sei-
globalen Umfeld teilen Baden-Württemberg und        ten der Grenze stellen.
die Schweiz viele Chancen und Herausforderun-       Baden-Württemberg und die Schweiz liegen im
gen. Dazu gehören politische Veränderungen in       Herzen Europas und sind international sehr stark
der Europäischen Union, Ängste, die durch die       verflochten. In diesem Umfeld kommt der Zu-
Globalisierung hervorgerufen werden, und Ver-       sammenarbeit über Grenzen hinweg eine noch
schiebungen in der globalen Geopolitik. Dazu        größere Bedeutung zu. Die mit der sogenannten
gehören auch technologische Umbrüche durch die      „Masseneinwanderungsinitiative”              angestoßene
Digitalisierung, die einen fundamentalen Wandel     Debatte um die Zukunft des bilateralen Weges
auslösen, und die großen Bedrohungen für unsere     zwischen der EU und der Schweiz spielt hier eine
Umwelt und unser Klima, denen wir auf ökolo-        wichtige Rolle. Mit den im Folgenden vorgeleg-
gisch und gleichzeitig ökonomisch sinnvolle Weise   ten strategischen Eckpunkten soll der Blick in die
begegnen müssen.                                    Zukunft gerichtet werden, um gemeinsam mehr
                                                    zu erreichen und einen Beitrag zu Wohlstand und
                                                    Stabilität in Europa zu leisten.

Winfried Kretschmann MdL                            Gisela Erler
Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg      Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung
                                                    im Staatsministerium Baden-Württemberg

                                                                                         5
Eckpunkte einer Strategie des Landes Baden-Württemberg für die Zusammenarbeit mit der Schweiz
Baden-Württemberg
Schweiz

               Mannheim

                               Karlsruhe
                                           Stuttgart

                                                     Ulm

                    Freiburg
                                 Konstanz       Friedrichs-
                                                hafen
                                               Bodensee
           Basel               Zürich
                                        St. Gallen

                   Luzern
           Bern

Lausanne

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Eckpunkte einer Strategie des Landes Baden-Württemberg für die Zusammenarbeit mit der Schweiz
Gliederung
I. Zielsetzung der Strategie                                               8-9

II. Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit                                  10 - 13

III. Zehn Eckpunkte der künftigen Zusammenarbeit mit der Schweiz          14 - 15

IV. Bereiche der künftigen Zusammenarbeit mit der Schweiz                 16 - 32

     1. Politischer Austausch                                             17

     2. Wirtschaftliche Zusammenarbeit                                    18 - 19

     3. Grenzüberschreitende Arbeitsmärkte, Grenzgänger, Fachkräfte       20

     4. Zivilgesellschaft, Bürgerbeteiligung und gemeinsame Identitäten   21

     5. Kooperation in Wissenschaft und Forschung, Wissenstransfer        22

     6. Bildung                                                           23

     7. Verkehrsanbindung                                                 24 - 25

     8. Energie, Klima, Umwelt                                            26 - 27

     9. Naturschutz und Landwirtschaft                                    28

     10. Raumplanung                                                      29

     11. Zusammenarbeit in der Gesundheitspolitik                         30 - 31

     12. Innere Sicherheit, Polizei                                       32

Karte Grenzraum Baden-Württemberg – Schweiz                               33

V. Beziehungen der Schweiz zur EU als Rahmen der Zusammenarbeit           34 - 37

Impressum                                                                 38

                                                                               7
Eckpunkte einer Strategie des Landes Baden-Württemberg für die Zusammenarbeit mit der Schweiz
I. Zielsetzung der Strategie
                                          Baden-Württemberg verbinden eine rund 400 km         Betrachtet man den unmittelbaren deutsch-
                                          lange Grenze an Bodensee, Hochrhein und Ober-        schweizerischen Grenzraum, so leben hier im-
                                          rhein, die Sprache sowie die gemeinsame ale-         merhin rund 4 Mio. Menschen1. Nimmt man die
                                          mannische Kultur mit unseren Nachbarn in der         grenzüberschreitenden Kooperationsräume am
                                          Schweiz. Der Austausch über Grenzen hinweg –         Oberrhein, Hochrhein und Bodensee zusammen,
                                          in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung,    so geht es um eine Region mit rund 10 Mio. Ein-
                                          Gesellschaft und zahlreichen weiteren Bereichen –    wohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von
                                          ist historisch gewachsen, sehr intensiv und hat in   rund 413 Mrd. Euro2. Die Vertiefung der grenz-
                                          Europa Modellcharakter.                              überschreitenden Synergien und der Profilierung
                                                                                               als starke grenzüberschreitende Standorte mit
                                          Die Zusammenarbeit der beiden Hochtechno-            hoher Lebensqualität mitten in Europa bieten hier
                                          logieländer Schweiz und Baden-Württemberg            ganz erhebliche Chancen.
                                          bietet auch künftig in einem mehr und mehr glo-
                                          balisierten Umfeld erhebliche Perspektiven. Viele    Die Grenze zwischen Baden-Württemberg und
                                          Fragestellungen – beispielsweise Erhaltung und       der Schweiz ist eine EU-Außengrenze, die aber
                                          Ausbau der Innovations- und Wirtschaftskraft der     durch den bilateralen Weg zwischen der Schweiz
                                          Standorte, demographische Entwicklung und Zu-        und der EU gegenüber den anderen Außengren-
                                          wanderung, Zukunft der Energiegewinnung und          zen der EU stark privilegiert ist. Mit der Annahme
1
    Quelle: Scherer, Silfverberg, Riser
    „Die (wirtschaftlichen)               -versorgung – stellen sich in ähnlicher Weise auf    der sogenannten „Masseneinwanderungsinitiative“
    Verflechtungen des deutsch-
    schweizerischen Grenzraumes“,         beiden Seiten der Grenze.                            in der Schweiz im Februar 2014 wurde eine inten-
    Stand 2011

2
    Quelle: Oberrhein – Zahlen und
    Fakten, Stand 2012;
    Statistikplattform Bodensee,
    Stand 2013 bzw. 2011

                                          8
Eckpunkte einer Strategie des Landes Baden-Württemberg für die Zusammenarbeit mit der Schweiz
Visualisierung Neuer Rheinsteg Rheinfelden (Bild oben und Titelbild)
(Interreg-Projekt, wird die beiden Rheinfelden verbinden)
Entwurfsverfasser: Ingenieurbüro Miebach, Lohmar (Ingenieur); Swillus Architekten,
Berlin (Architekt); HHVH Landschaftsarchitekten, Berlin (Landschaftsarchitekten);
Interreg A-Projekt Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein

sive Diskussion über die Zukunft des bilateralen             Die Zusammenarbeit mit der Schweiz betrifft
Weges angestoßen, der eine wichtige Basis der                nicht nur Politik und Verwaltung, sondern sie wird
grenzüberschreitenden Zusammenarbeit darstellt.              von einer Vielzahl von Akteuren aus den unter-
                                                             schiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und der
Für die Landesregierung ist die Zusammenarbeit               Zivilgesellschaft gestaltet. Es war der Landesregie-
mit der Schweiz ein europapolitischer Schwer-                rung deshalb ein wichtiges Anliegen, diese Akteu-
punkt. Mit den vorliegenden Eckpunkten sollen                re in die Erarbeitung der Strategie einzubinden.
die vielfältigen und erfolgreichen grenzüberschrei-
tenden Aktivitäten zielgerichtet weiterentwickelt            Die Strategie gibt die Perspektive Baden-Württem-
werden, um gemeinsam Potentiale zu nutzen und                bergs wieder, sie kann aber nur im Zusammenwir-
die Herausforderungen der Zukunft anzugehen.                 ken mit dem Bund in Deutschland, den Partnern
Dabei sollen für jedes Dossier sachgerechte Ziele            in der Schweiz sowie der Europäischen Kommissi-
und Lösungen entwickelt und auch europäische                 on in Brüssel umgesetzt werden. Deshalb wurden
Angelegenheiten aus dem Blickwinkel Baden-                   auch diese Partner bei der Erarbeitung konsultiert.
Württembergs in den Fokus genommen werden.
Ziel ist eine Vision und Leitlinie, die auf dem Be-
stehenden aufbaut, das Machbare klar im Blick hat
und gleichzeitig die Kraft entfaltet, zum Nutzen
der Bürgerinnen und Bürger die nachfolgend be-
schriebenen Ziele zu erreichen.

                                                                                      Zielsetzung der Strategie   9
Eckpunkte einer Strategie des Landes Baden-Württemberg für die Zusammenarbeit mit der Schweiz
Brunnen in Basel                      Grossbasler Rheinufer

                   II. Rahmenbedingungen
                       der Zusammenarbeit
                     1. Die historischen Wurzeln der Verflechtungen      zunächst humanitäre Aspekte, die die grenzüber-
                     zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz          schreitenden Kontakte wiederaufleben ließen. So
                     reichen weit zurück. Die längste Zeit der Ge-       erreichte eine Schweizer Kinder- und Schüler-
                     schichte wurde der Rhein nämlich nicht etwa als     speisung in den Hungermonaten des Winters
                     Trennschneise zwischen abgegrenzten Herrschafts-    1946 Kinder im Markgräflerland um Basel und in
                     räumen wahrgenommen, sondern als verbindende        Freiburg. Diese Grenzöffnung hinterließ einen
                     Schlagader (Zugang zu den Alpenpässen) eines        tiefen Eindruck und die Markgräfler Kinder
                     einheitlichen, weitestgehend zusammengehören-       brachten ihren Dank schon bald darauf mit einer
                     den alemannischen Landschafts- und Kulturrau-       Geldsammlung und einem festlichen Übergabe-
                     mes.                                                akt mit Staatspräsident Leo Wohleb in Form eines
                                                                         „Vreneli-Brunnens“ zum Ausdruck – der Standort
                     Die herausragende geistesgeschichtliche Bedeu-      ist vor der St. Clarakirche in Kleinbasel.
                     tung dieses Raumes zeigt sich beispielsweise auch
                     daran, dass sich die höchsten Repräsentanten        2. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit
                     der Kirche gleich zweimal hintereinander in der     auf politischer und Verwaltungsebene zwischen
                     Region zu universalen Konzilien versammelten, in    Baden-Württemberg und der Schweiz wurde ins-
                     Konstanz (1414-1418) und Basel (1431-1447), um      besondere seit den 1970er Jahren stetig ausgebaut.
                     mit inneren Reformen dem Umbruch der Zeit zu
                     begegnen.                                           Wichtige institutionelle Meilensteine waren:
                                                                         • die Gründung der Internationalen Bodensee-
                     Nach der Zäsur des Zweiten Weltkrieges und der        konferenz am 14. Januar 1972 durch die
                     nationalsozialistischen Gewaltherrschaft waren es     Bodenseeanrainerländer und -kantone,

                     10
• die Vereinbarung vom 22. Oktober 1975           • die Gründung der Trinationalen Metropol-
  zwischen den Regierungen Frankreichs,             region Oberrhein am 9. Dezember 2010.
  Deutschlands und der Schweiz zur Gründung
  der deutsch-französisch-schweizerischen         Weitere Fachgremien sind beispielsweise die In-
  Regierungskommission,                           ternationale Gewässerschutzkommission für den
• die am 16. Oktober 1989 auf Schloss Bürgeln     Bodensee (IGKB), die Internationale Bevollmäch-
  unterzeichnete „Willenserklärung für eine       tigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF),
  gemeinsame Entwicklungskonzeption Elsass-       die Deutsch-Schweizerische Kommission für die
  Südbaden-Nordwestschweiz“,                      Wasserkraftnutzung auf der Rheinstrecke Basel-          Die INFOBEST PALMRAIN ist die einzige
                                                                                                          trinationale INFOBEST und die einzige, die
• die Zusammenführung der beiden Regional-        Bodensee, die Internationale Raumordnungs-              Fragen zur Schweiz beantworten kann. Sie
                                                                                                          befindet sich in einem ehemaligen franzö-
  ausschüsse nach der deutsch-französisch-        kommission Bodensee (ROK) sowie die Deutsch-            sischen Zollgebäude im Dreiländereck von
                                                                                                          Frankreich, Deutschland und der Schweiz.
  schweizerischen Regierungsvereinbarung zur      Schweizerische Kommission für die Sicherheit
  deutsch-französisch-schweizerischen             kerntechnischer Einrichtungen (DSK).
  Oberrheinkonferenz am 21. November 1991,
• Eröffnung der deutsch-französisch-schweizer-    Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit
  ischen INFOrmations- und BEratungs-             der Schweiz verfügt über eine sehr breite Basis ins-
  STelle INFOBEST PALMRAIN am 1. Juli 1993,       besondere in Kommunen, Verbänden, Kammern,
• das deutsch-französisch-schweizerisch-          Institutionen und der Gesellschaft und wird von
  luxemburgische Übereinkommen zur grenz-         vielen aktiv mitgestaltet.
  überschreitenden Zusammenarbeit zwischen
  Gebietskörperschaften und örtlich öffent-       3. Das Generalkonsulat der Schweiz in Stutt-
  lichen Stellen („Karlsruher Übereinkommen“)     gart, das Honorarkonsulat der Schweiz in Frei-          Gruppenbild der IBK-Regierungschefs
                                                                                                          und Regierungsvertreter an der
  vom 23. Januar 1996, das die rechtliche Basis   burg im Breisgau und die Schweizerische Bot-            IBK-Regierungschefkonferenz am
                                                                                                          10.12.2015 in Neuen Schloss,
  für grenzüberschreitende regionale und          schaft in Berlin sind wichtige Ansprechpartner          Meersburg

  kommunale Kooperationsformen legte,             in der Zusammenarbeit.                                  Von links 1. Reihe (vorne):
                                                                                                          Regierungspräsident Ernst Stocker,
• die Gründung der Hochrheinkommission am                                                                 Zürich;
                                                                                                          Minister Franz Untersteller MdL,
  17. September 1997,                             4. Die Schweiz ist nicht Mitglied in der Euro-          Baden-Württemberg;
                                                                                                          Regierungsrätin Carmen Haag,
• die Gründung des Oberrheinrates, des            päischen Union, ihr aber durch inzwischen               Thurgau;

  „Parlaments” des Oberrheins, am 16. Dezember    über 120 bilaterale Abkommen auf das Engste             Von links 2. Reihe:
                                                                                                          Dr. Günther Eberle, Landesamts-
  1997,                                           verbunden, die eine wichtige Basis für die grenz-       direktor für Vorarlberg;
                                                                                                          Elmar Stegmann, Landrat, Landkreis
• die Gründung der Randenkommission durch         überschreitende Zusammenarbeit darstellen.              Lindau für Bayern;
                                                                                                          Regierungsrat Dr. Reto Dubach,
  die Landkreise Waldshut, Schwarzwald-Baar                                                               Schaffhausen;
                                                                                                          Regierungsrat Martin Gehrer,
  und Konstanz sowie den Kanton Schaffhau-        Nach dem Abschluss eines Freihandelsabkom-              St.Gallen;

  sen im November 1998,                           mens (Abbau von Zöllen) zwischen der Schweiz            Von links 3. Reihe (hinten):
                                                                                                          Regierungschef Adrian Hasler,
• die Gründung des Städtenetzes Oberrhein im      und der EU im Jahr 1972 stellte sich mit dem eu-        Fürstentum Liechtenstein;
                                                                                                          Bauherr Stefan Sutter,
  Jahr 2002,                                      ropäischen Binnenmarkt (diskriminierungsfreier          Appenzell Innerrhoden;
                                                                                                          Regierungsrat Alfred Stricker,
• die Gründung des Trinationalen Eurodistricts    Marktzugang) zunehmend die Frage ihrer Beteili-         Appenzell Ausserrhoden.

  Basel (TEB) am 26 Januar 2007,                  gung. 1992 hat die Schweizer Regierung ein Gesuch
• das Statut vom 23. März 2007 über die Parla-    zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen bei der
  mentarier-Konferenz Bodensee,
                                                          II. Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit   11
EG hinterlegt, das aber seit dem Nein der Schwei-       Landwirtschaftsprodukte, Umwelt, Medien, Bil-
                                  zer zum Beitritt zum Europäischen Wirtschafts-          dung, Altersversorgung und Statistik abgeschlossen.
                                  raum von beiden Seiten nicht weiter verfolgt und
                                  inzwischen auch formell zurückgezogen wurde.            Mit der Zunahme der vertraglichen Verflechtungen
                                                                                          ist die Notwendigkeit gestiegen, den bilateralen
                                  Stattdessen haben die Schweiz und die EU eine           Abkommen einen Rahmen zu geben, der Fragen
                                  Zusammenarbeit über den Abschluss bilateraler           der Weiterentwicklung des europäischen Rechts
                                  Abkommen gewählt: Den sogenannten bilateralen           sowie der einheitlichen Auslegung der Verträge
                                  Weg. 1999 wurden sieben Abkommen der sekto-             und des übernommenen Rechts regelt. Deshalb
                                  ralen Marktöffnung zwischen der Schweiz und der         verhandeln die Schweiz und die EU seit Mai 2014
                                  EU abgeschlossen, die sog. Bilateralen I, die 2002 in   über ein institutionelles Abkommen, das nach dem
                                  Kraft getreten sind:                                    Willen der EU Voraussetzung für weiteren Markt-
                                  • Abkommen über die Freizügigkeit                       zugang ist.
                                       (Personenfreizügigkeit)
                                  • Abkommen über gegenseitige Anerkennung                5. Die Schweizerinnen und Schweizer haben
                                       von Konformitätsbewertungen (Beseitigung           im Februar 2014 in einer Volksabstimmung
                                       technischer Handelshemmnisse)                      über die „Masseneinwanderungsinitiative“ für
                                  • Abkommen über bestimmte Aspekte des                   eine neue Verfassungsbestimmung gestimmt,
                                       Öffentlichen Beschaffungswesens                    die eine Begrenzung der Zuwanderung durch
                                  • Abkommen über den Handel mit                          Höchstzahlen und Kontingente vorsieht. Deren
                                       landwirtschaftlichen Erzeugnissen                  Höhe wird nicht vorgegeben, sondern sie sind auf
                                  • Abkommen über den Landverkehr                         die „gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz
Ministerpräsident                 • Abkommen über den Luftverkehr                         unter Berücksichtigung eines Vorranges für Schwei-
Winfried Kretschmann (Mitte)
mit den Vertretern der            • Rahmenabkommen über wissenschaftlich-                 zer“ auszurichten. Kontingente und Höchstzahlen
Schweizer Grenzkantone
                                       technische Zusammenarbeit                          sollen auch für Grenzgängerinnen und Grenz-
                                       (Forschungsabkommen).                              gänger gelten.
                                  Diese Abkommen wurden im Paket verhandelt
                                  und abgeschlossen. Sie sind über eine „Guillotine-      Der Schweizer Bundesrat hat in der Folge Ge-
                                  Klausel“ so miteinander verbunden, dass im Falle        spräche mit der EU-Kommission aufgenommen,
                                  der Kündigung eines Vertrages alle sieben Abkom-        denn Höchstzahlen und Kontingente sind nicht
                                  men hinfällig werden.                                   vereinbar mit der zwischen der Schweiz und der
                                                                                          EU vereinbarten Personenfreizügigkeit. Im Dezem-
                                  2004 folgten die Bilateralen II, die unter anderem      ber 2016 wurde in der Schweiz ein Umsetzungs-
                                  den Beitritt der Schweiz zu den Abkommen von            gesetz beschlossen, das die Verpflichtungen aus dem
                                  Dublin und Schengen (polizeiliche und justizielle       Freizügigkeitsabkommen einhalten soll. Es sieht
                                  Zusammenarbeit, Asyl und Migration) sowie die           keine Obergrenze und Kontingente für die Zu-
Ministerpräsident                 Ausweitung der Zusammenarbeit zur Aufklärung            wanderung vor, sondern eine Vorzugsbehandlung
Winfried Kretschmann (rechts)
und der Schweizer Bundesrat       von Betrugsfällen und bei der Zinsbesteuerung be-       für Stellensuchende, die bei der Arbeitsvermittlung
Johann Schneider-Ammann (links)
                                  inhalten. Daneben wurden Vereinbarungen über            gemeldet sind. Dazu zählen auch EU-Ausländer,

                                  12    II. Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit
die Rechte nach dem Freizügigkeitsabkommen             rund 80 Mio. Menschen in 48 Regionen, darunter
wahrnehmen. Die Referendumsfrist für dieses Ge-        auch Baden-Württemberg und die Schweiz als
setz lief bis zum 7. April 2017. Des Weiteren kam      Drittstaat.
bereits im November 2015 die Volksinitiative „Raus                                                             Mobilität:
                                                                                                               Güterzug auf der Oberrheinstrecke
aus der Sackgasse! Verzicht auf die Wiedereinfüh-      Die EUSALP ist die vierte makroregionale Strategie
rung von Zuwanderungskontingenten“ (Rasa-              der EU und soll die bestehende Zusammenarbeit in
Initiative) zustande, die die Ergebnisse der Massen-   den Bereichen Forschung und Innovation, Unter-
einwanderungsinitiative rückgängig machen und          stützung für KMU, Mobilität, Tourismus, Umwelt-
die Zuwanderungsbestimmungen ersatzlos aus der         schutz und Energie im Rahmen einer territorialen,
Verfassung streichen will.                             auf die Entwicklung des gesamten Raumes angeleg-
                                                       ten Strategie umsetzen. Im Action Plan der EUS-
Die Schweiz hat im Dezember 2016 auch das Pro-         ALP werden die gemeinsamen Herausforderungen
tokoll zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit       und Potenziale konkret benannt. Es wurden insge-
auf Kroatien ratifiziert. Sie nimmt damit wieder       samt neun Action Groups (AG) eingerichtet, die je-
seit 2017 in vollem Umfang am EU-Forschungspro-        weils von zwei Staaten oder Regionen federführend       Tourismus:
                                                                                                               Rheinfall bei Schaffhausen
gramm Horizont 2020 (Budget: 77 Mrd. Euro) teil,       koordiniert werden. Baden-Württemberg ist an der
wo sie zwischenzeitlich nur noch teilassoziiert war.   Leitung der AG 2 „Entwicklung strategischer Sek-
Die Landesregierung begrüßt, dass die Schweizer        toren“ beteiligt, die Schweizerische Arbeitsgemein-
Seite die notwendigen Schritte für die Rückkehr        schaft für die Berggebiete an der Leitung der AG 5,
zur Voll-Assoziation bei Horizont 2020 im beider-      die sich mit der Erreichbarkeit und Digitalisierung
seitigen Interesse unternommen hat.                    des Alpenraumes befasst.

6. Eine wichtige Basis für die Zusammenarbeit          8. Wichtiges Instrument zur Umsetzung der
mit der Schweiz sind auch die INTERREG A-              EUSALP ist das INTERREG B -Alpenraum-
Programme Oberrhein und Alpenrhein-Boden-              programm (ASP) zur Förderung der transnationa-
see-Hochrhein (ABH), die grenzüberschreitende          len Kooperation, an dem Baden-Württemberg und           Natur und Umwelt:
                                                                                                               Kirschenblust in Oltingen
Projekte fördern. Die Schweiz ist auch in der          die Schweiz auch in der aktuellen Förderperiode
5. Förderperiode 2014 – 2020 mit eigenen Mitteln       (2014 – 2020) wieder beteiligt sind, und in dessen
an den Programmen beteiligt.                           Rahmen bereits zahlreiche gemeinsame Projekte
                                                       umgesetzt werden konnten. Wie bei der Makro-
7. Am 19./20. Dezember 2013 rief der Europä-           strategie für den Donauraum (EUSDR) ist auch
ische Rat die Kommission auf, in Zusammen-             hier mit einer Stärkung des entsprechenden trans-
arbeit mit den Mitgliedstaaten eine EU-Strategie       nationalen Programms und einer erhöhten Nach-
für den Alpenraum (EUSALP) auszuarbeiten, die          frage nach Fördermitteln zu rechnen. Der Förder-
auf der dort bewährten Zusammenarbeit basieren         satz im Alpenprogramm liegt bei 85 Prozent.
soll. Die EUSALP wurde im Dezember 2015 vom            Eine gemeinsame Beteiligung besteht auch an dem
Europäischen Rat verabschiedet und ist die zwei-       INTERREG-B-Programm Nordwesteuropa, aus                 Energie:
                                                                                                               Detail Luftbild Kraftwerk Laufenburg,
te makroregionale Strategie der EU, an der Baden-      dem u. a. die Projekte Rheinradweg und Corridor         Rheinkraftwerke werden am Hochrhein
                                                                                                               gemeinsam betrieben
Württemberg beteiligt ist. Betroffen davon sind        24 „Rotterdam – Genua“ gefördert werden.                Quelle: Energiedienst / Michael Spakowski

                                                               II. Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit   13
Elektrifizierung der Hochrheinstrecke,
Erstellung einzelner neuer Haltestellen,
Förderung einer nachhaltigen Stadt-
entwicklung und Anschlussmobilität
beidseits des Rheins um die Haltestellen
Grenzach, Rheinfelden (Baden), Bad
Säckingen, Stein im Fricktal, Möhlin
Projektträger:
Schweizerischer Bund (CH),
Land Baden-Württemberg (D),
Aggloprogramm Basel (CH),
Kanton Basel-Stadt (CH),
Kanton Basel-Landschaft (CH),
Stadt Schaffhausen (CH),
Hochrheinkommission (CH/D),
Landkreis Waldshut (D),
Landkreis Lörrach (D),
Regionalverband Hochrhein-Bodensee (D);
Einzelne Planungsphasen
werden unterstützt durch Interreg A
Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein.

                        III. Zehn Eckpunkte der
                             künftigen Zusammenarbeit
                             mit der Schweiz
                                           1. Die Beziehungen zur Schweiz sind und blei-     tungs- und Gewähltensäulen soll verstärkt wer-
                                           ben ein zentraler Schwerpunkt der Europa-         den und damit auch Beispiel für die Region
                                           politik des Landes Baden-Württemberg. Das         Bodensee sein.
                                           Land möchte die gute Kooperation und Partner-
                                           schaft mit der Schweiz weiter ausbauen.           3. Die   Wirtschaftsbeziehungen       zwischen
                                                                                             Baden-Württemberg und der Schweiz sind
                                           2. Insbesondere    die   grenzüberschreitende     sehr intensiv. Das Land strebt eine weitere
                                           Zu-sammenarbeit hat Modellcharakter für an-       Verbesserung der Rahmenbedingungen für die
                                           dere europäische Grenzregionen, die mithilfe      Wirtschaft, den Abbau bürokratischer Hürden
                                           europäischer Programme wie INTERREG A             und eine verstärkte Vernetzung und Zusammen-
                                           und B sowie der neuen EU-Strategie für den Al-    arbeit gerade in Zukunftsfeldern wie der Digita-
                                           penraum weiter gestärkt werden soll. Mit ihrem    lisierung und der Entkoppelung des Wachstums
                                           grenzüberschreitenden Profil sollen die gemein-   vom Naturverbrauch an.
                                           samen Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorte
                                           im globalen Wettbewerb positioniert werden.       4. Die gezielte Nutzung von Synergien in
                                                                                             Wissenschaft und Forschung soll weiter
                                           Das bewährte Zweikammersystem von Ober-           vorangebracht und der Wissenstransfer in die
                                           rheinkonferenz (ORK) und Oberrheinrat (ORR)       Unternehmen, Bildung, Politik und Verwal-
                                           bildet auf politisch-administrativer Ebene die    tung verstärkt werden, insbesondere in den
                                           Möglichkeit, wichtige Themen der grenzüber-       Grenzregionen, die über ein herausragendes
                                           schreitenden Zusammenarbeit zu identifizieren     Netz an exzellenten Hochschulen, außeruniver-
                                           und anzugehen. Die Kooperation der Verwal-        sitären Forschungseinrichtungen und in der For-
                                                                                             schung aktiven Unternehmen verfügen.
                                       14
Das Projekt «24 Stops» verknüpft über
                                                                                                                eine Länge von fünf Kilometern zwei
                                                                                                                Länder, zwei Gemeinden, zwei Kultur-
                                                                                                                institutionen mit 24 Wegmarken des
                                                                                                                Künstlers Tobias Rehberger.

                                                                                                                Projektträger:
                                                                                                                Gemeinde Riehen (CH),
                                                                                                                Stadt Weil am Rhein (D),
                                                                                                                Fondation Beyeler (CH),
                                                                                                                Vitra (D)

5. Die Zivilgesellschaft nimmt als Treiber und      8. Grenzübergreifende Arbeitsmärkte sind
gleichberechtigte Kraft zunehmend eine Rolle        Ausdruck gemeinsamer Wirtschaftsräume und
in der grenzüberschreitenden Zusammen-              tragen zur Standortattraktivität bei. Sie sollen
arbeit ein, die weiter ausgebaut werden soll.       erhalten und weiter gestärkt werden, ebenso
Zum Thema Bürgerbeteiligung und direkte De-         wie die Arbeitsmöglichkeiten der Grenzgän-
mokratie soll der Austausch mit der Schweiz und     gerinnen und Grenzgänger.
den dort etablierten Modellen gepflegt werden.
                                                    9. Baden-Württemberg unterstützt eine enge
6. Grenzüberschreitende Verkehrsnetze und           Anbindung der Schweiz an die Europäische
–angebote sind die Basis für den Ausbau des         Union und sieht sich als Brückenbauer, wie
grenzüberschreitenden Austauschs und die            zum Beispiel in den Gesprächen rund um die
Einbindung in die großen europäischen Netze.        Masseneinwanderungsinitiative und die laufen-
Sie sollen weiter ausgebaut und der multimodale     den Verhandlungen in Brüssel.
Verkehr gestärkt werden mit dem Ziel der zu-
nehmenden Verlagerung der Verkehrsströme auf        10. Für Baden-Württemberg steht dabei der
umweltfreundliche Verkehrsträger.                   Erhalt des Freizügigkeitsabkommens und der
                                                    bestehenden bilateralen Abkommen zwischen
7. Die Zusammenarbeit bei Energie und Kli-          der Schweiz und der Europäischen Union so-
maschutz hat vor dem Hintergrund der Ener-          wie auf dieser Basis die Weiterentwicklung
giewende großes Potential und soll weiter aus-      des bilateralen Weges im Vordergrund. Dabei
gebaut werden, insbesondere im Bereich der          sind aus Landessicht Lösungen zu den instituti-
erneuerbaren Energien, bei Energieeinsparung        onellen Fragen, zur Marktöffnung bei Energie,
und -effizienz sowie beim Rückbau von Atom-         Daten und Landwirtschaft, zu transeuropäischen
kraftanlagen. Die Endlagersuche für Atommüll        Verkehrsnetzen und zur Migration anzustreben.
in der Schweiz soll weiter kritisch-konstruktiv
begleitet werden, insbesondere mit dem Ziel
eines weitergefassten Regionalbezugs bei der Be-
teiligung der grenznahen Bevölkerung im weite-
ren Verfahren.

                                        III. Zehn Eckpunkte der künftigen Zusammenarbeit mit der Schweiz   15
Nicht nur die Holzbrücke verbindet
die Grenzgemeinden Bad Säckingen
und Stein im Fricktal

                        IV. Bereiche der künftigen
                            Zusammenarbeit mit
                            der Schweiz
                                     Baden-Württemberg und die Schweiz gehören zu          Das baden-württembergisch-schweizerisch Grenz-
                                     den wettbewerbsfähigsten Ländern und Regionen         gebiet verfügt über eine starke Basis in Wirtschaft
                                     Europas. 2016 belegte die Schweiz erneut den          und Wissenschaft sowie eine hohe Lebensquali-
                                     ersten Platz im Global Competitiveness Index,         tät, zu der auch die geographische Lage und der
                                     der jährlich vom World Economic Forum WEF             lebhafte interkulturelle Austausch beitragen. Am
                                     erhoben wird. Baden-Württemberg lag 2016 beim         Oberrhein, Hochrhein und am Bodensee sind
                                     Innovationsindex für die Länder bzw. Regionen         grenzüberschreitende Lebens-, Wirtschafts- und
                                     der Europäischen Union auf Platz 1. Beide Länder      Arbeitsräume entstanden, in denen der gemein-
                                     sind wissensbasierte und innovationsgetriebene        same Alltag zunehmend das Leben der Menschen
                                     Volkswirtschaften, mittelständisch geprägt, export-   prägt und Grenzen in den Hintergrund treten.
                                     orientiert und mit zahlreichen Weltmarktführern.

                                     16
1. Politischer Austausch

Aufgrund der engen Verflechtungen ist der Aus-      sowie der deutsch-schweizerischen Grenzregionen             Mittwoch, 05. April 2017
                                                                                                                Empfang der schweizerischen Delegation
tausch zwischen Baden-Württemberg und der           auch in Zukunft zu sichern und auszubauen.                  für die Beziehungen zum Dt. Bundestag

Schweiz sehr intensiv und umfasst eine große The-                                                               Gruppenbild Delegation:
                                                                                                                - Joachim Eder (Präsident der Delegation)
menvielfalt. Neben bilateralen Kontakten spielen    Die Europäische Union fördert die grenzüber-                - Ständerat Kanton Zug, FDP
                                                                                                                - Thomas Hardegger (Vizepräsident) –
die erfolgreich etablierten grenzüberschreitenden   schreitende Zusammenarbeit mit den INTER-                     Nationalrat Kanton Zürich, SP
                                                                                                                - Anita Fetz – Ständerätin Kanton
Gremien, wie zum Beispiel Hochrheinkommissi-        REG-Programmen, die bereits zum 5. Mal aufge-                 Basel-Stadt, SP
                                                                                                                - Dr. Kathy Riklin – Nationalrätin Kanton
on und Oberrheinrat, eine wichtige Rolle, da sie    legt wurden und bei denen am Oberrhein sowie                  Zürich, CVP
                                                                                                                - Hansjörg Walther – Nationalrat Thurgau,
einen kontinuierlichen und breiten politischen      am Alpenrhein, Bodensee und Hochrhein auch                    SVP
                                                                                                                - I. E. Botschafterin Christine Schraner
und fachlichen Austausch sowie persönlichen         die Schweiz beteiligt ist. Nachdem es dem Land                Burgener
                                                                                                                - Irene Flückiger Sutter – Schweizerische
Kontakt ermöglichen und Ausgangspunkt vieler        gelungen ist, die auf Baden-Württemberg ent-                  GK in Stuttgart
                                                                                                                - Nina Wirth – Außenpolitische Beraterin
grenzüberschreitender Aktivitäten sind.             fallenden EU-Mittel mehr als zu verdoppeln,
                                                                                                                sowie
                                                    bietet sich in der Förderperiode 2014 - 2020 die            Ministerpräsident Winfried Kretschmann,
                                                                                                                Staatsminister Klaus-Peter Murawski und
Diese Zusammenarbeit trägt dazu bei, Hürden         Chance, die gute und erfolgreiche grenzüber-                Landtagspräsidentin Muhterem Aras

im grenzüberschreitenden Leben, Arbeiten und        schreitende Zusammenarbeit weiter auszubauen.
Wirtschaften abzubauen, Gemeinsamkeiten auf-        Dabei sollen gezielt Projekte mit strategischer
zubauen und die Grenzregionen im europäischen       Bedeutung für die Grenzräume unterstützt und
und internationalen Wettbewerb zu positionie-       vermehrt Wirtschaftsakteure für eine Beteiligung
ren. Breite wie Tiefe der grenzüberschreitenden     gewonnen werden.
Zusammenarbeit sowie die entwickelten Gover-
nance-Formen haben europaweit Modellcharakter       Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am
für weitere europäische Grenzregionen.              Hochrhein hat, mit ihrer Scharnierfunktion zwi-
                                                    schen Bodensee und Oberrhein, ein erhebliches
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit schafft     Potential und soll mit Hilfe des EU-INTERREG-               Im Dialog: MP Winfried Kretschmann
                                                                                                                mit dem Präsident der Delegation
einen Mehrwert für die gesamte Region, die weit     Programms ausgebaut werden. Das Land Baden-                 Joachim Eder

über eine bloße Addition der Stärken der ein-       Württemberg strebt an, sein Engagement und
zelnen Länder und Kantone hinausgeht. Grenz-        die Rolle des Regierungspräsidiums Freiburg in
überschreitende Synergien mit der Schweiz sollen    der Hochrheinkommission weiter zu stärken. Es
weiterhin genutzt und vertieft werden, denn sie     wäre wünschenswert, den Kanton Zürich noch
können gerade in einem globalisierten Umfeld        stärker in Projekte einzubinden, mit dem mittel-
entscheidend dazu beitragen, die Wettbewerbs-       fristigen Ziel, ihn als Vollmitglied der Hochrhein-
fähigkeit Baden-Württembergs und der Schweiz        kommission zu gewinnen.

                                               IV. Bereiche der künftigen Zusammenarbeit mit der Schweiz   17
2. Wirtschaftliche Zusammenarbeit

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen                Digitalisierung und Industrie 4.0 mittels einer
Baden-Württemberg und der Schweiz bietet sehr              Plattform am Bodensee grenzüberschreitend vor-
gute Chancen. Beide Länder haben sich in der               anzubringen.
Finanz- und Wirtschaftskrise gut behaupten kön-
nen und sind insbesondere in den Grenzregionen             Die Digitalisierung kann auch dazu beitragen, das
hervorragend aufgestellt, müssen sich aber auch            Wirtschaftswachstum weiter vom Ressourcenver-
im steigenden globalen Wettbewerb nach der                 brauch zu entkoppeln, etwa durch neue Geschäfts-
Decke strecken. Aufgrund ihrer ähnlichen Wirt-             modelle im Bereich der Ressourceneffizienz.
schaftsstruktur sowie ihrer engen wirtschaftlichen         Der Trend zu einer Ausrichtung der Wirtschaft
Verflechtung – auch durch grenzüberschreitende             auf mehr Nachhaltigkeit mit seinen Chancen für
Wertschöpfungsketten – stehen beide Länder da-             Hochtechnologienanbieter aus Baden-Württem-
bei vor ähnlichen Herausforderungen. Um Syner-             berg und der Schweiz bietet sich auch gerade für
gien zu nutzen, sollen der enge wirtschaftspoliti-         die deutsch-schweizerischen Grenzgebiete mit
sche Austausch fortgeführt, die Kooperation von            ihrer landschaftlichen und kulturellen Vielfalt
Unternehmen gestärkt und die Vernetzung der                an und soll weiter gestärkt werden. So wurden
Akteure weiter gestärkt werden, etwa mit erfolg-           beispielsweise 2015 kleine und mittlere Unter-
reichen Formaten wie dem 2015 erstmalig durch-             nehmen für „Nachhaltiges Wirtschaften“ mit dem
geführten Wirtschaftskonzil in Konstanz oder in            Nachhaltigkeitspreis der Internationalen Boden-
der Clusterpolitik.                                        seekonferenz ausgezeichnet.

Ein Megatrend für die Unternehmen ist die Digi-            Grenzüberschreitende Standorte können sich mit
talisierung („Industrie 4.0“). Baden-Württemberg           ihrer gebündelten Stärke auch im europäischen
mit seinen Kernkompetenzen im Automobil-                   und internationalen Wettbewerb besser positio-
sektor, im Maschinenbau, bei IT und Elektronik             nieren, wenn sie gemeinsam als solche auftreten.
baut diesen Bereich gezielt weiter aus, um sich in         Dies gilt beispielsweise für die Bodenseeregion, wo
diesem Zukunftsfeld an der Spitze zu etablieren.           eine stärkere Positionierung innerhalb oder auch
Es gibt dabei ein hohes Potential für Synergien,           mit den Metropolregionen Zürich, München und
denn Schweizer Unternehmen sind im Bereich                 Stuttgart sinnvoll wäre. Auch im Tourismus sowie
der Digitalisierung ebenfalls sehr aktiv. Austausch        gegenüber der EU in Brüssel oder im Rahmen der
und Kooperation hierzu sollen deshalb gestärkt             Makrostrategien hat ein gemeinsames Auftreten
werden, etwa mit einer Initiative, um das Thema            einen großen Mehrwert.

18   IV. Bereiche der künftigen Zusammenarbeit mit der Schweiz
Am Konzernsitz der ZF Friedrichshafen
                                                                                                                 AG ist auch ein Forschungs- und
                                                                                                                 Entwicklungszentrum angesiedelt.
                                                                                                                 Die Zentrale Forschung und
                                                                                                                 Entwicklung unterstützt die operativen
                                                                                                                 Entwicklungsbereiche in den
                                                                                                                 Themengebieten der Antriebs- und
                                                                                                                 Fahrwerktechnik sowie der aktiven
                                                                                                                 und passiven Sicherheitstechnik.

Für den wirtschaftlichen Austausch sind ein frei-    weniger bürokratische Belastungen und eine
er Zugang zu Märkten und Fachkräften sowie           vertragskonforme Umsetzung des Freizügigkeits-
hinsichtlich der EU-Binnenmarktregelungen ein        abkommens ein. Das legitime Ziel, die Befol-
möglichst homogener Rechtsrahmen wichtige            gung der Vorschriften zu den Mindestlohn- und
Rahmenbedingungen. Es besteht ein strategisches      Arbeitsschutzbestimmungen auch durch die
Interesse der Wirtschaft auf beiden Seiten, dass     ausländischen Betriebe sicher zu stellen, könnte
Hürden und Handelshemmnisse weiter abgebaut          die Schweiz auch durch eine Kontrollstrategie
werden, dass die Schweiz die Binnenmarktrege-        sicherstellen, die sich stärker auf eine Risiko-
lungen der EU möglichst komplett anwendet und        bewertung stützt.
dass sie einheitlich ausgelegt werden und gleich-
wertige Rechtsweggarantien bestehen.                 Gegenläufige Währungsentwicklungen in der
                                                     Eurozone und der Schweiz führen zu Verzerrun-
Einschränkungen des gegenseitigen Marktzugangs       gen in den Grenzregionen. Die Aufwertung des
mögen kurzfristig in einzelnen Bereichen der ei-     Franken gegenüber dem Euro stellt die Schweizer
genen Wirtschaft Vorteile verschaffen, langfristig   Exportwirtschaft und den Tourismus vor Heraus-
schaden sie aber dem gesamten Wirtschaftsraum.       forderungen und führt auf deutscher Seite einer-
In den Grenzregionen gibt es beim Marktzugang        seits zu Sonderkonjunkturen, andererseits zu einer
vor allem Probleme mit den sogenannten flankie-      weiteren Steigerung der Gewerbe- und Lebenshal-
renden Maßnahmen (Kontrollen der minimalen           tungskosten und zu Belastungen der Infrastruktur.
Lohn- und Arbeitsbedingungen) zum Frei-              Die Landesregierung wird weiterhin im Rahmen
zügigkeitsabkommen zwischen der EU und               ihrer Möglichkeiten auf Verbesserungen für die
der Schweiz, die in den vergangenen Jahren –         Grenzregionen hinwirken. So setzte sie sich auf
bis auf ein Entgegenkommen in jüngster Zeit          Bundesebene für die Einführung einer Bagatell-
(Einführung einer Bagatellgrenze) – kontinuierlich   grenze für die Umsatzsteuerbefreiung für Ausfuhr-
weiter verschärft wurden. Diese Maßnahmen            lieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr
benachteiligen   die   deutschen   Unternehmen       in Höhe von mindestens 50 Euro ein.
u. a. durch die Kautionspflicht und umfang-
reiche Meldepflichten und haben eine abschre-
ckende Wirkung. Die Landesregierung setzt
sich, gemeinsam mit den Kammern, weiterhin
für einen diskriminierungsfreien Marktzugang,

                                                IV. Bereiche der künftigen Zusammenarbeit mit der Schweiz   19
3. Grenzüberschreitende Arbeitsmärkte, Grenzgänger, Fachräte

                                  Mit dem Freizügigkeitsabkommen zwischen                    Da die Arbeitsverwaltung sowie die Gesetz-
                                  der EU und der Schweiz wurden die Voraus-                  gebungskompetenz etwa im Sozialversicherungs-
                                  setzungen dafür geschaffen, dass die Menschen              oder Steuerrecht beim Bund liegen, bringt sich das
                                  in der Grenzregion ohne Einschränkungen im                 Land vor allem bei Vernetzung, Informationsan-
                                  Nachbarland arbeiten können und es haben                   geboten sowie als „Anwalt der Grenzgänger und
                                  sich grenzübergreifende Arbeitsmärkte entwi-               Grenzregionen“ gegenüber dem Bund und Brüssel
                                  ckelt. Aufgrund des Gefälles bei den Löhnen und            ein. Ziel ist die gemeinsame Entwicklung des Fach-
                                  den Lebenshaltungskosten pendeln insbesondere              kräftepotenzials in und für die Region sowie die
Regierungsrat Ernst Stocker und   ganz überwiegend deutsche Grenzgängerinnen                 gemeinsame Positionierung im globalen Wett-
Ministerpräsident
Winfried Kretschmann              und Grenzgänger von Baden-Württemberg in die               bewerb um Fachkräfte.
                                  Schweiz zum Arbeiten.

                                  Grenzübergreifende Arbeitsmärkte sind ein we-
                                  sentlicher Aspekt gemeinsamer Wirtschaftsräume
                                  und tragen maßgeblich zur Standortattraktivität
                                  der gesamten Grenzregion für Unternehmen und
                                  für Arbeitskräfte bei. Baden-Württemberg und
                                  die Schweiz profitieren hier beide, auch wenn sie
                                  wegen ihres zunehmenden Fachkräftemangels
                                  durchaus um Arbeitskräfte konkurrieren.

                                  Das deutsch-französisch-schweizerische Netzwerk
                                  EURES-T Oberrhein und das Netzwerk Arbeits-
                                  markt Bodensee, das eingebunden ist in die Kom-
                                  mission Wirtschaft der Internationalen Bodensee-
                                  konferenz, unterstützen die Verwirklichung und
                                  Transparenz des grenzüberschreitenden Arbeits-
                                  marktes.

                                  20   IV. Bereiche der künftigen Zusammenarbeit mit der Schweiz
Der grenzüberschreitende slow-Up
                                                                         Hochrhein verbindet

4. Zivilgesellschaft, Bürgerbeteiligung und gemeinsame Identitäten

Grenzüberschreitende Lebens- und Arbeitsräu-         gefüllt werden. Auch Kultur, Medien und Sport
me können nur mit einer aktiven Beteiligung          spielen eine wichtige Rolle, um das gegenseitige
der Bürgerinnen und Bürger und lokaler Ak-           Verständnis und den Austausch zu fördern.
teure entstehen. Ihr Engagement stellt eine ganz
wesentliche Chance für das Zusammenwachsen           Eine wichtige Zielgruppe sind Jugendliche, deren
grenzüberschreitender Regionen dar und trägt we-     interkulturelle Kompetenz gefördert und die als
sentlich dazu bei, eine gemeinsame Identität unab-   die Gestalter und Entscheider von morgen für die
hängig von Grenzen zu entwickeln. Dies ist umso      grenzüberschreitende Zusammenarbeit gewonnen                Eröffnung der Dreipärke-Radtour mit (v.l.)
                                                                                                                 Waldshuts Landrat Dr. Martin Kistler,
wichtiger in einem Umfeld, in dem die zunehmen-      werden sollen.                                              Präsident des Jurapark Aargau Thomas
                                                                                                                 Vetter, Lörrachs Landrätin und Präsi-
de Globalisierung auch Ängste weckt. Zwar sind                                                                   dentin des Naturparks Südschwarzwald
                                                                                                                 Marion Dammann, Hans-Ruedi Meier,
sich Baden-Württemberg und die Schweiz kul-          Die Schweiz ist bei der Einbeziehung der Bürger-            Präsident des Regionalen Naturparks
                                                                                                                 Schaffhausen
turell und sprachlich sehr nah, doch führt gerade    innen und Bürger nicht nur ein wichtiger Partner,
diese Nähe zum Teil auch dazu, dass Unterschiede     sie ist mit ihrer einzigartigen direkten Demokratie
besonders deutlich wahrgenommen werden.              auch ein Modell, das in vielen Bereichen Vorbild-
                                                     charakter für Baden-Württemberg hat. Das Land
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit be-          arbeitet deshalb zu den Themen Demokratie-
zieht deshalb zunehmend die Zivilgesellschaft als    entwicklung und Bürgerbeteiligung eng mit der
wichtigen Treiber und gleichberechtigte Kraft ein    Schweiz zusammen und strebt eine weitere Vertie-
und fördert die Vernetzung, auch zwischen den        fung dieser Kooperation an.
Grenzräumen. Ihre Projekte und Ideen sollen                                                                      Diskussionen in den Workshop-Gruppen
                                                                                                                 bei der Demokratiekonferenz 2015 in
beispielsweise im Rahmen der INTERREG-Pro-                                                                       Stuttgart

gramme gezielt unterstützt werden. So ermöglicht
etwa der Förderschwerpunkt 3 des INTERREG-
Programms Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein 2014
– 2020 gezielt den Ausbau des grenzüberschrei-
tenden bürgerschaftlichen Engagements und die
Vernetzung von Maßnahmen der Verwaltung, etwa
in den Bereichen Gesundheits- oder Sozialpolitik,
Katastrophenschutz, öffentliche Sicherheit, Ret-                                                                 Deutsch-Schweizer-Demokratiekonferenz
                                                                                                                 2015, v.l.n.r.:
tungswesen oder Einrichtung eines Kleinprojekte-                                                                 Ministerpräsident Winfried Kretschmann,
                                                                                                                 Landammann Urs Hofmann,
fonds. Dieser Ansatz soll genutzt und mit Leben                                                                  Staatsrätin für Zivilgesellschaft und
                                                                                                                 Bürgerbeteiligung Gisela Erler,
                                                                                                                 Grossratspräsident Dr. Markus Dieth

                                                IV. Bereiche der künftigen Zusammenarbeit mit der Schweiz   21
5. Kooperation in Wissenschaft und Forschung, Wissenstransfer

30 Hochschulen – 4 Länder –              Die Schweiz und Baden-Württemberg sind ex-                 nale Bodenseehochschule). Diese Verbünde ent-
1 Verbund: Die IBH – Internationale
Bodenseehochschule – ist der             zellente Wissenschafts- und Forschungsstand-               wickeln sich kontinuierlich weiter um ihre euro-
größte hochschulartenübergreifende
Verbund Europas.                         orte, die untereinander und international stark            päische Strahlkraft zu erhöhen. Aktuelle Beispiele
                                         vernetzt sind. Ein dichtes Netz an Hochschulen,            sind der „Eucor-European Campus“ am Oberrhein
                                         außeruniversitären Forschungseinrichtungen und             und die „IBH-Labs“ am Bodensee.
                                         in der Forschung aktive Unternehmen bildet die
                                         Basis für den Technologievorsprung und die not-            In Zeiten eines starken globalen Wettbewerbs
                                         wendigen hochqualifizierten Arbeitskräfte, mit             wird gerade auch der Wissens-, Innovations- und
                                         denen Hochlohnländer wie Baden-Württemberg                 Technologietransfer zwischen Hochschulen, For-
                                         und die Schweiz punkten können. In diesem Zu-              schungseinrichtungen und Unternehmen, Bildung,
                                         sammenhang wird eine verstärkte Vernetzung der             Politik und Verwaltung immer wichtiger. Grenz-
                                         Landeshochschulen mit den Spitzenhochschulen               überschreitende Potentiale am Bodensee, Hoch-
                                         der Schweiz angestrebt.                                    rhein und Oberrhein sollen hier vermehrt genutzt
Universität Freiburg                                                                                und der grenzüberschreitende Wissenstransfer
                                         Beide Länder investieren kräftig in die Grundlage          unterstützt werden, etwa mit einem Innovations-
                                         ihres Erfolgs: In Baden-Württemberg werden 4,9 %           tag3.
                                         des Bruttoinlandsproduktes in Forschung und Ent-
                                         wicklung gesteckt (2014). Auch die Schweiz liegt           Innovationen entstehen immer häufiger an Schnitt-
                                         bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung             stellen. Die deutsch-schweizerischen Grenzre-
                                         weit vorne, mit 2,96 % im Jahr 2012 vor Deutsch-           gionen bringen hier sehr gute Voraussetzungen
                                         land (2,88 %).                                             mit: Eine starke Wirtschafts-, Hochschul- und
                                                                                                    Forschungslandschaft, eine sich ergänzende und
                                         In den Grenzregionen Oberrhein und Bodensee                gegenseitig befruchtende kulturelle Diversität in
Universität Zürich                       leistet die zunehmende Vernetzung aller Wissen-            einem Raum mit einer guten Balance zwischen
                                         schaftsakteure einen wichtigen Beitrag zur europa-         räumlicher Nähe und Internationalität. In einem
                                         weiten und internationalen Positionierung der              Umfeld mit disruptiven Entwicklungen, die vor-
                                         Standorte. Sichtbar wird dies insbesondere durch           wiegend aus den USA zu uns kommen, muss der
3
    Die Studie „Die (wirtschaftlichen)
    Verflechtungen des deutsch-          die Säule Wissenschaft der Trinationalen Metropol-         Fokus noch mehr darauf gelegt werden, dass aus
    schweizerischen Grenzraums“
    von Scherer et al. aus dem Jahr      region Oberrhein, EUCOR (Europäische Kon-                  Ideen und Technologien Geschäftsmodelle und
    2016 kommt zum Ergebnis, dass
    die Potentiale des grenzüber-        föderation der Oberrheinischen Universitäten               aus Erfindern Gründer werden.
    schreitenden Wissenstransfers
    bislang noch nicht in dem            Universitätsverbund) und die IBH (Internatio-
    Umfang ausgenutzt werden, wie
    dies grundsätzlich möglich wäre.

                                         22   IV. Bereiche der künftigen Zusammenarbeit mit der Schweiz
6. Bildung

Bildung ist für Baden-Württemberg und die            Gehört die internationale Mobilität von Studie-             Als Interreg A - gefördertes Klein-
                                                                                                                 projekt der Hochrheinkommission
Schweiz ein zentrales Thema, denn hier liegt der     renden heute bereits weitgehend zur Normalität,             gestartet: Die Kinder-Uni Hochrhein

Schlüssel zur Sicherung der Wirtschaftsstand-        ist sie bei Auszubildenden immer noch keine
orte und insbesondere auch der Zukunft der           Selbstverständlichkeit. Die Internationalisierung
Kinder und Jugendlichen. Neben Schulpartner-         der beruflichen Bildung soll daher weiter voran-
schaften konzentriert sich die Zusammenarbeit auf    gebracht werden und bietet sich insbesondere in
Bereiche mit gemeinsamen Herausforderungen           den Grenzregionen mit der Schweiz an, da durch
und Potentialen.                                     die Gemeinsamkeit des dualen Systems und die
                                                     gemeinsame Sprache die Hürden vergleichsweise
Für die Hochtechnologieländer Baden-Württem-         gering sind und sich anschließend gute Karriere-
berg und Schweiz spielt die Ausbildung in den        chancen bieten. Erfolgreiche Programme für den
sog. MINT-Fächern eine besondere Rolle. Grenz-       Praktikantenaustausch wie „xchange“ am Boden-
überschreitende Synergien sollen deshalb weiter-     see werden daher mit einer Ausbilderakademie                Mitglieder des Bildungsrats der Hoch-
                                                                                                                 rheinkommission veranstalten einen
hin gerade in den Naturwissenschaften und der        weiter ausgebaut.                                           grenzüberschreitenden Austausch der
                                                                                                                 Lehrkräfte. Mit dabei die Gewerb-
Mathematik intensiv genutzt werden. Dazu gehört                                                                  lichen Schulen Waldshut und das
                                                                                                                 Berufsbildungszentrum Schaffhausen.
beispielsweise das BioValley College Network, ein
trinationales deutsch-französisch-schweizerisches
Netzwerk mit Fokus auf den Life Sciences oder die
trinationalen Schülerkongresse.

Ein weiterer Fokus liegt auf der beruflichen
Bildung. Die gemeinsame Tradition der dualen Be-
rufsausbildung ist für Baden-Württemberg und die
Schweiz eine Basis ihres Renommees für Waren
und Dienstleistungen auf qualitativ höchstem
Niveau und ein Grund für die sehr geringe
Jugendarbeitslosigkeit, die beide Länder aus-
zeichnet. Grenzüberschreitende Synergien durch
den Austausch auf schulischer Ebene, insbeson-
dere durch Tagungen für Schulleiterinnen und
Schulleiter, sowie die Förderung der Mobilität von
Auszubildenden sind Schwerpunkte.
                                                IV. Bereiche der künftigen Zusammenarbeit mit der Schweiz   23
7. Verkehrsanbindung

Rheinhafen Basel   Eine hohe Bedeutung kommt der Verkehrs-                    Es soll dazu ein grenzüberschreitendes kohärentes
                   anbindung an die Schweiz zu, die Grundlage                 Konzept für eine nachhaltige Verkehrsentwick-
                   des intensiven wirtschaftlichen Austauschs so-             lung im Bodenseeraum mit einem Ausbau des
                   wie des regen grenzüberschreitenden Alltags-               grenzüberschreitenden      Schienenverkehrs     und
                   verkehrs ist. Das Land pflegt dazu einen engen             dem Aufbau eines vernetzten und vertakteten
                   Austausch mit Schweizer Partnern, der mit                  S-Bahnsystems entwickelt und schrittweise umge-
                   einer jährlichen gemeinsamen Verkehrstagung                setzt werden.
                   mit dem Kanton Zürich weiter ausgebaut
                   wurde. Dieses Format hat sich bewährt und                  Beide Länder sind wegen ihrer zentralen Lage in
                   könnte weiterentwickelt werden.                            Europa stark mit Transitverkehr belastet. Wegen
                                                                              der an seine Kapazitätsgrenze kommenden Stra-
                   Wichtige Treiber der grenzüberschreitenden Ver-            ßeninfrastruktur, die nicht beliebig erweiterbar ist,
                   kehrszusammenarbeit sind die EU-Strategie für den          und der Belastungen für Mensch und Umwelt, ist
                   Alpenraum sowie die EU-Förderprogramme IN-                 es ein gemeinsames Ziel der Schweiz und Baden-
                   TERREG V A Oberrhein und Alpenrhein-Boden-                 Württembergs, den Gütertransport in größtmögli-
                   see-Hochrhein. Die EU-Verkehrspolitik wird                 chem Umfang auf die Schiene und Binnenschiff-
                   durch regionale grenzüberschreitende Strategi-             fahrt zu verlagern.
                   en konkretisiert und ergänzt, wie das verkehrs-
                   politische Leitbild für den Oberrhein ab 2015.             Die Rheintalbahn ist als Teil der wichtigsten Nord-
                   Auch für andere Grenzregionen könnte ein sol-              Süd-Magistrale Rotterdam-Genua eine „Haupt-
                   ches Leitbild zielführend sein.                            schlagader“ des europäischen Güterverkehrs. Als
                   Ein Schwerpunkt der Zusammenarbeit liegt auf               Zulaufstrecke zur Schweizer Neuen Eisenbahn-
                   der weiteren Verbesserung, dem Ausbau und der              transversale (NEAT) soll sie einen großen Teil der
                   Bekanntmachung der grenzüberschreitenden Ver-              weiter zunehmenden alpenquerenden Verkehrs-
                   kehrsnetze und -angebote sowie der Entwicklung             ströme auf die Schiene verlagern. Für das Land
                   des multimodalen Verkehrs, um eine zunehmende              Baden-Württemberg hat der zügige Aus- und
                   Verlagerung der Verkehrsströme von der Straße auf          Neubau der Rheintalbahn mit einer nachhaltigen
                   umweltschonendere Verkehrsträger zu erreichen.             Planung, die Rücksicht auf Mensch und Umwelt
                   Die Schweiz ist dabei für Baden-Württemberg bei-           nimmt, eine besondere Priorität.
                   spielgebend bei der Stärkung umweltfreundlicher
                   Verkehrsträger.

                   24   IV. Bereiche der künftigen Zusammenarbeit mit der Schweiz
Im grenzüberschreitenden Verkehr bestehen
weitere gemeinsame Projekte bei der Elektrifizie-
rung der Hochrheinbahn und der Südbahn, beim
Ausbau der Gäubahn, im grenzüberschreitenden
Schienenpersonennahverkehr sowie im Auto-
bahn- und Bundesstraßenbau (A98, B 34 und 317).
Eine enge Zusammenarbeit erfolgt zum Radver-
kehr, insbesondere mit dem Bau einer Fahrrad-
und Fußgängerbrücke bei Rheinfelden, sowie in
der Binnenschifffahrt auf Rhein und Bodensee.

Ein wichtiges Thema für die Grenzregion ist der
Fluglärm, der vom Flughafen Zürich ausgeht. Im
langjährigen Streit setzt sich das Land auf der
Grundlage der „Stuttgarter Erklärung“ beim für die
An- und Abflüge über deutsches Gebiet zuständi-
gen Bund und im Austausch mit den Schweizer
Ansprechpartnern für eine einvernehmliche und
nachhaltige Lösung ein, die den Belangen der
Bevölkerunggerecht wird. Tragfähige Lösungen
müssen die Menschen in der Region einbinden
und im Ergebnis Verbesserungen bei der Lärm-
belastung in Südbaden und eine Reduzierung der       links oben: Autobahn bei Zürich,
                                                     rechts oben: Bahnhof SBB Basel
Flugbewegungen über deutschem Gebiet durch           rechts Mitte: Schifffahrt auf dem Bodensee
                                                     rechts unten: Flughafen Zürich
eine gerechtere Verteilung bringen. Der vorlie-
gende Staatsvertrag kann deshalb nach Ansicht
der Landesregierung in der vorliegenden Fassung
vom Bund nicht ratifiziert und das vorgelegte
Ostanflugskonzept des Flughafens Zürich vom
Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung nicht ge-
nehmigt werden.

                                                IV. Bereiche der künftigen Zusammenarbeit mit der Schweiz   25
8. Energie, Klima, Umwelt

Der Rhein bei Laufenburg             Ein besonderes Potential besteht in einem Aus-             solch wichtiger Maßnahmen ist eine frühzeitige
                                     bau der Zusammenarbeit in den Bereichen                    Information der Öffentlichkeit notwendig.
                                     Energie und Klimaschutz. Mit dem deutschen
                                     Atomausstieg und der Schweizer „Energiestra-               Bei der Stromversorgungssicherheit ist eine wei-
                                     tegie 2050“ sowie der drängenden Notwendig-                terhin enge Zusammenarbeit beim grenzüber-
                                     keit, den Klimawandel zumindest zu begrenzen               schreitenden Stromhandel und beim Netzausbau
                                     und sich an ihn anzupassen, sind erhebliche                notwendig. Eine Intensivierung des Stromaus-
                                     Veränderungen und Anpassungen erforderlich.                tauschs stärkt die Versorgungssicherheit, die sich
                                     Deutschland und die Schweiz können sich dabei              in Deutschland und der Schweiz auf einem sehr
                                     ergänzen, denn der Schweiz könnte im Kontext               hohen Niveau befindet. Da das derzeit niedrige
Neues Holzkraftwerk der EBL          einer europaweiten Energiewende neben der                  Strompreisniveau auch energiewirtschaftlich sinn-
(Genossenschaft Elektra Baselland)
in Pratteln                          Bedeutung als Transitland auch eine Rolle als              volle Pumpspeicher, die einen Beitrag zur Integ-
                                     Energiespeicher zukommen.                                  ration der erneuerbaren Energien leisten können,
                                                                                                in wirtschaftliche Bedrängnis bringt, sollte bei der
                                     Trotz teilweise unterschiedlicher Ausgangslage             Gestaltung eines zukunftsfähigen Strommarkt-
                                     und nationaler Energie- und Klimastrategien be-            designs die Zusammenarbeit gestärkt werden.
                                     stehen wichtige gemeinsame Ziele: Treibhaus-
                                     gasemissionen müssen reduziert, erneuerbare                Mit der Energiewende und der Abschaltung von
                                     Energien ausgebaut, Energie eingespart und die             Kernkraftwerken bietet eine verstärkte Zusam-
                                     Energieeffizienz gesteigert werden. Die Bewälti-           menarbeit zu Fragen des Rückbaus Chancen. Dazu
                                     gung des Wandels setzt gezielte Forschung, Inno-           wurde ein grenzüberschreitendes Netzwerk zum
                                     vationen und technologische Entwicklung voraus.            Rückbau kerntechnischer Anlagen am Oberrhein
                                     Gemeinsame Initiativen dazu umfassen beispiels-            initiiert, mit dem das Know-How gebündelt und
                                     weise das trinationale Netzwerk für Energie und            vernetzt werden soll.
                                     Klima TRION oder die Begleitung der Ent-
                                     stehung nachhaltiger Low-Tech-Gebäude.                     Da die Schweizer „Energiestrategie 2050“ anders
                                                                                                als die deutsche Energiewende keinen Ausstieg
                                     Für die Erdgasversorgungssicherheit in der Schweiz         aus der Kernenergienutzung zu einem bestimm-
                                     und in Europa hat das Projekt der Reversierung             ten Zeitpunkt vorsieht, setzt sich das Land für ein
                                     der Trans-Europa-Naturgas-Pipeline (TENP) eine             rascheres Abschalten der in unmittelbarer Grenz-
                                     hohe Bedeutung. Zur Erhöhung der Akzeptanz                 nähe liegenden Kernkraftwerke Beznau, Leibstadt
                                                                                                und Gösgen ein.
                                     26   IV. Bereiche der künftigen Zusammenarbeit mit der Schweiz
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