Ein früher Aufruf zur botanischen Erforschung Bayerns: Veranlassung, Ergebnisse und Auswirkungen - C. F. P. v. Martius in der Zeitschrift "Flora" ...
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Hoppea, Denkschr. Regensb. Bot. Ges. 81 (2020): 5–34 Ein früher Aufruf zur botanischen Erforschung Bayerns: Veranlassung, Ergebnisse und Auswirkungen – C. F. P. v. Martius in der Zeitschrift „Flora“ von 1850 von Andreas Bresinsky, Sinzing Im Gedenken an Prof. Dr. Peter Schönfelder, verstorben am 7. Juli 2020 Abstract: An early call for a botanical survey of Bavaria: request, results, and impact. C. F. P. v. Martius in the journal „Flora“ of 1850. In 1840, King Maximilian II of Bavaria suggested a comprehensive exploration of the flora of Bavaria. To achieve this aim and in order to promote activities, he donated an award for the best study in this field of research. However, since the King and his advisors believed that none of the studies sufficiently fulfilled the requirements, they withdrew the research assignment from the Regensburgische Botanische Gesellschaft. It was subsequently transferred to the Bayerische Akademie der Wissenschaften. To achieve the goal set by the King, C. F. P. v. Martius, a member of the academy and also president of the Regensburgische Botanische Gesellschaft, published guidelines. Martius and the Bayeri- sche Akademie der Wissenschaften entrusted Otto Sendtner to take over the unfinished work. His efforts resulted in two voluminous books, one on the plants of southern Bavaria, the other one on the flora of the Bavarian Forest. These publications contain detailed information on the distribu- tion, on the interrelationships with environmental circumstances, and for the first time also data in regard to the elevations up to which species of vascular plants occurred in the mountainous and alpine regions of Bavaria. Together with studies undertaken by Fürnrohr, Schnizlein, Frick- hinger, and Schenk the vascular plants of Bavaria had been explored to quite a great extent. The separately studied areas, being parts of the larger country, were unfortunately not yet combined into a comprehensive survey in order to meet the original intention set in 1840. However, the early efforts stimulated a great number of subsequent publications. Some of them are mentioned in this paper as representative examples. Key words: flora, Fürnrohr, Maximilian II., programme, Sendtner, Schnizlein, Frickhinger, Schenk. Kurzfassung: König Maximilian II. vermittelte im Jahr 1840, noch in seiner Zeit als Kronprinz, die Anregung zur botanischen Erforschung des Königreiches Bayern und verband dies mit der Auslobung eines Preises für eine umfassende Bearbeitung dieses Gegenstandes unter der Obhut der Regensburgischen Botanischen Gesellschaft. Zehn Jahre später, 1850, nachdem sich aus der Sicht des Königs keine befriedigende Lösung der Frage abzeichnete und daher die Realisierung des Projektes 1848 an die Bayerische Akademie der Wissenschaften weitergereicht worden war, publizierte C. F. P. v. Martius in der damals von der Regensburgischen Botanischen Gesellschaft herausgegebenen Zeitschrift „Flora“ Leitlinien, nach denen eine angemessene botanische Er- forschung Bayerns zu erfolgen habe. Zugleich war Otto Sendtner als Adjunkt der Akademie beauftragt worden, diese Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Als Ergebnis entstanden zwei umfangreiche Buchveröffentlichungen, eine über Südbayern, die andere über den Bayerischen Wald. Diese Veröffentlichungen enthalten eine Vielzahl von Verbreitungshinweisen und erstmals
6 A. Bresinsky auch von Höhenangaben sowie Ausführungen zu verschiedenen ökologischen Rahmenbedingun- gen für das Vorkommen der festgestellten Gefäßpflanzen. Zusammen mit den in jener Zeit ver- öffentlichten Werken von A. E. Fürnrohr, A. Schnizlein, A. Frickhinger und A. Schenk waren damit wesentliche Fakten zur Kenntnis der Flora Bayerns erarbeitet worden, die allerdings damals noch nicht zu einem das ganze Land umfassenden Überblick im Sinne der Initiative von Maximilian II. zusammengeführt worden waren. Über diese Zeit hinausgehend haben jedoch die damaligen Anregungen zu vielen weiteren Ergebnissen der botanischen Erforschung des Landes geführt, auf die exemplarisch in diesem Beitrag hingewiesen wird. 1. Einleitung Carl Friedrich Philipp von Martius veröffentlichte 1850 in der damals von der Regensburgischen Botanischen Gesellschaft herausgegebenen Zeitschrift „Flora“ einen Artikel zum Thema „Die botanische Erforschung des Königreichs Bayern“ (Abb. 1). Das in der „Flora“ vorgestellte und erläuterte Programm geht in seinem Ursprung zurück auf eine 1840 durch König Maximilian II. (damals noch als Kron- prinz) gegebene Anregung. Sie war verbunden mit der Auslobung eines Preises für eine Pflanzengeographie und -statistik Bayerns in Höhe von 100 Gulden (etwas über 1300 € in heutiger Währung und Kaufkraft). Trotz eines Vorschlages seitens der Regensburgischen Botanischen Gesellschaft erfolgte dessen Zuerkennung je- doch nicht (ILG 1984). Schließlich (1848) übermittelte der König seine Vorstellun- gen als Auftrag an die Königliche Akademie der Wissenschaften zu München (jetzt Bayerische Akademie der Wissenschaften). Der Auftrag umfasste die naturwissen- schaftliche Erkundung Bayerns in einem erweiterten Umfang, in welchem die botanische Erforschung neben der meteorologisch-magnetischen, hydrodynami- schen und mineralogisch-geognostischen einen Teilbereich darstellte. Im zuletzt genannten Forschungsfeld war es, über die ersten Ergebnisse von Karl Emil von Schafhäutl (SCHAFHÄUTL 1851) hinausgehend, Carl Wilhelm von Gümbel, der die Grundlagen für ein Verständnis der geologischen Ausstattung des Landes erarbeitet hatte. Seine geologische Karte (GÜMBEL 1845, 1894) und die „Geognostische Beschreibung des Königreichs Bayern“ (GÜMBEL 1861–1891) sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Somit war Gümbel ebenfalls einer der Vollstrecker des königlichen Auftrages. Er war überdies Mitglied der Regensburgischen Botani- schen Gesellschaft und ist auch Autor einer kleineren botanischen Abhandlung (GÜMBEL 1856), die in deren Bibliothek vorgehalten wird. Die mit dem Grün- dungsakt der Gesellschaft in Verbindung stehende Schutzfelshöhle an der Donau nahe dem Hoppefelsen wurde von Gümbel geologisch erforscht. Die dort erkenn- baren ältesten Kreideablagerungen wurden von ihm als solche erkannt und mit dem Namen Schutzfelsschicht belegt. Die im Besitz der Botanischen Gesellschaft befindliche Örtlichkeit wurde 2005 (ebenso wie das ebenfalls im Besitz der Gesell- schaft befindliche Sippenauer Moor) als eines der besonders bemerkenswerten Geotope Bayerns ausgewiesen. Einer anderen Höhle in den Malmkalkfelsen des Gebietes wurde 2007 zu seinem Gedenken der Name „Carl-Wilhelm-von Gümbel- Höhle“ zuerkannt.
Ein früher Aufruf zur botanischen Erforschung Bayerns 7 Abb. 1: Band 33(1) der „Flora“ von 1850, Titelseite des Artikels von Martius: „Die botani- sche Erforschung des Königreichs Bayern […] ist eine so grosse und vielseitige Auf- gabe, dass sie zahlreiche und vieljährige Arbeiten […]“ (MARTIUS 1850: 1). Digitalisat: urn:nbn:de:bvb:355-ubr05965-0004-0 (Scan: Universitätsbibliothek Regensburg).
8 A. Bresinsky Der an die Bayerische Akademie der Wissenschaften ergangene Auftrag wird im Rechenschaftsbericht des damaligen Akademiepräsidenten Thiersch erwähnt und auf den 14. Januar 1849 datiert. Eine jährliche Zahlung von 1200 Gulden zur Finanzierung des Vorhabens wurde vom Herrscherhaus gewährt. Für den großen Zweck, so Thiersch, sei die Summe freilich viel zu gering angesetzt gewesen. Den- noch wurde unverzüglich eine Kommission zur Ausführung des Auftrages gebildet. Im Rechenschaftsbericht wird erwähnt, dass die Akademie in ihrem Vorhaben von der botanischen Gesellschaft in Regensburg und zwei weiteren Institutionen (Aka- demie in Wien, Naturhistorischer Verein Augsburg) unterstützt sei. Den Fokus der Arbeiten richtete man auch hier zunächst nur auf einen Teil des Königreiches, näm- lich auf den südlichen. Im botanischen Teil des Auftrages führte die königliche Initiative bzw. das von Martius entwickelte Programm zur Etablierung des Herbarium Boicum, einer bota- nischen Vergleichsammlung, welche erst unter der Obhut der Akademie stand und später sowohl in privater Initiative (Bayerische Botanische Gesellschaft) als auch durch den bayerischen Staat (Staatsherbarium) ausgebaut wurde. Zum anderen gip- felte die Initiative in der hervorragenden botanischen Erfassung weiter Landesteile Bayerns, besonders durch Otto Sendtner, dem die Ausführung des Auftrages als Schüler von Martius und als Adjunkt der Akademie oblag. Davon geben auch heute noch seine beiden Monographien mit den Titeln „Die Vegetations-Verhältnisse Südbayerns nach den Grundsätzen der Pflanzengeographie und mit Bezugnahme auf Landescultur“ (SENDTNER 1854a; 910 Seiten!) und die „Vegetations-Verhält- nisse des Bayerischen Waldes nach den Grundsätzen der Pflanzengeographie“ (SENDTNER 1860; 517 Seiten!) eindrucksvolles Zeugnis ab (Abb. 4). Als Vorläufer dieser beiden Werke haben zu gelten einerseits die von Martius erwähnte Ver- öffentlichung von August Emanuel Fürnrohr mit dem Titel „Naturhistorische Topo- graphie von Regensburg“ (FÜRNROHR 1838) wie andererseits die Monographie von Adalbert Schnizlein und Albert Frickhinger über „Die Vegetations-Verhältnisse der Jura- und Keuperformation in den Flussgebieten der Wörnitz und Altmühl“ (SCHNIZLEIN & FRICKHINGER 1848; Abb. 3). Letztere ist durchaus als ebenbürtiger Teil des Gesamtvorhabens im Sinne der Initiative König Maximilians II. zu werten, auch wenn ihr damals aufgrund ihres engeren regionalen Bezuges die Anerken- nung mittels des ausgelobten Preises letztlich vorenthalten blieb (ILG 1984). Mit den genannten umfangreichen Monographien wurde damals fast das gesamte Bay- ernland diesseits des Rheins im Blick auf Vegetation und Flora abgedeckt. Nach Franz von Paula Schranks „Baierscher Flora“ (SCHRANK 1789) ist das im Auftrag des Königs von Martius und den genannten Autoren vorangebrachte Vorhaben insgesamt als markanter Meilenstein in der botanischen Erforschung Bayerns zu werten. Die Initiative König Maximilians II., das hierzu von Martius entwickelte Programm und die daraus hervorgegangenen Leistungen sind in ihrer Bedeutung viel zu wenig gewürdigt worden und heute fast in Vergessenheit geraten. In diesem Beitrag wird deshalb nochmals darauf zurückzukommen sein.
Ein früher Aufruf zur botanischen Erforschung Bayerns 9 Martius, der forschend in Brasilien Reisende, stand mit seinem auf Bayern bezogenen, pflanzengeographische Aspekte in den Blick nehmenden Aufruf wohl unter dem Einfluss des etwas älteren Alexander von Humboldt, der ihm mit seiner Expedition nach Südamerika wie auch in seinem wissenschaftlichen Werk voraus- gegangenen war. Dessen bahnbrechenden Vorstellungen zu einer Geographie der Pflanzen auf der Grundlage standörtlicher Gegebenheiten wurden jedenfalls im Programm von Martius berücksichtigt. Humboldt war 1828 Mitglied der Regens- burgischen Botanischen Gesellschaft geworden (ILG 1984, LÜTTGE 2019). Ihr Präsident sollte später (ab 1840) Martius werden, sodass die Veröffentlichung des Vorhabens in der „Flora“ nahelag. Mit dem von Martius im Auftrage seines Königs erarbeiteten Programm wurde ein nicht unwesentlicher, bis heute nachwirkender Impuls gegeben zur Erforschung von Flora und Vegetation in Bayern, ein Beitrag, der allerdings etwas im Schatten seiner gewaltigen Leistung zur Kenntnis der Flora Brasiliens blieb. 2. Wichtige Beiträge im Vorlauf zur Martius-Initiative Die von Fürnrohr sowie von Schnizlein und Frickhinger und einigen anderen vorab auf den Weg gebrachten Veröffentlichungen waren eng verbunden mit dem Bestre- ben, das Land unter verschiedenen Gesichtspunkten zu erforschen. Sie waren, wenn auch regional jeweils enger begrenzt, mit der Initiative Maximilians II. verknüpft und damit gewissermaßen Vorläufer und zum Teil wohl auch Ideengeber des Programms von Martius. Er berief sich jedenfalls ausdrücklich auf diese schon vorab publizierten Beiträge. 2.1 Fürnrohr 1838–1840 Das nicht nur aufgrund seines Erscheinungsjahres (1838–1840) an den Beginn einer Reihe zu stellende Werk von Fürnrohr hat in mancherlei Hinsicht Maßstäbe für die später folgenden Arbeiten gesetzt (Abb. 2). Es ist eigentlich ein Gemein- schaftswerk mehrerer Autoren, die jeweils für bestimmte Abschnitte verantwortlich waren. Eine solche Gemeinschaftsleistung hätte man sich auch für die unmittelbar folgenden Unternehmungen gewünscht. Im ersten Teilband des Werkes (mit den Autoren A. E. Fürnrohr, Ferdinand von Schmöger, Ignaz Edler von Voith) wird ein geschichtlicher Überblick über die Ent- wicklung verschiedener Forschungsdisziplinen in Regensburg gegeben, darunter recht ausführlich auch Ausführungen zur Botanik und zur Botanischen Gesell- schaft. Es folgt eine eingehende klimatologische und geologische Kennzeichnung des Untersuchungsgebietes. Im Teil „Flora von Regensburg“ führt Fürnrohr nicht nur 1092 Gefäßpflanzen auf, sondern auch 230 Arten von Moosen, 97 Flechten und 47 verschiedene Algen- arten. In dieser breiten Berücksichtigung von pflanzlichen Organismengruppen steht das Werk Fürnrohrs im Vergleich zu den anderen Veröffentlichungen einzig-
10 A. Bresinsky artig da. Unter den Algen beeindruckt u. a. die Nennung von Batrachospermum moniliforme = gelatinosum, einer Süßwasser-Rotalge (Froschlaichalge) sehr saube- rer Fließgewässer, die jedenfalls bis vor kurzem noch im Sippenauer Moor gefun- den werden konnte. In jüngerer Zeit haben unter den Kryptogamen die Moose (HUBER 1998; 440 Arten und zusätzlich 17 infraspezifische Sippen), Pilze (u. a. KILLERMANN 1922–1955, 1946; KRIEGLSTEINER 1993, mit 168 Arten und 16 infra- spezifischen Sippen von Schleimpilzen; BESL & BRESINSKY 2009, mit etwa 4000 Arten von Basidiomycota in Bayern) und Flechten (DÜRHAMMER 2003; 578 Arten) eine über den damaligen Kenntnisstand weit hinausführende Beachtung im Regensburger Raum wie auch in Bayern gefunden. Dass die Pilze in FÜRNROHR (1839) gänzlich ausgeklammert blieben, hing wohl damit zusammen, dass über J. C. Schaeffers klassisches Werk (SCHAEFFER 1752–1774) hinausgehend damals noch keine weiter führenden Kenntnisse zu erwarten waren. In der Zuordnung kennzeichnender Pflanzen zu unterschiedlichen Standorten bleibt Fürnrohr noch recht vage, indem jeweils pauschal weitgehend nur die beteiligten Familien mit Artenzahlen, aber kaum Arten namentlich genannt werden. Das Zusammentreffen von Gebieten mit einerseits Silikat- und andererseits Kalkgesteinen im Umfeld von Regensburg bot die Möglichkeit, die Bindung von Arten an die aus unterschied- lichen Gesteinsarten hervorgehenden Böden zu studieren. Fürnrohr verweist dabei auf die beigefügte geologische Karte und die Fundortangaben in seiner Florenliste, die unterschiedliche Abhängigkeiten aufzeigen würden, derart, „dass manche Arten nur innerhalb der Region des Kalkes, andere dagegen ausschließlich in der des Granites oder des Grünsandes vorkommen“ (FÜRNROHR 1839: XI–XII). Gleichzei- tig warnt er aber auch vor einer leichtfertigen Verallgemeinerung, da es immerhin doch zahlreiche Ausnahmen von der angenommenen Kalkstetigkeit gäbe (z. B. von Euphorbia cyparissias; aktuell mit nachgewiesener zusammenhängender Verbrei- tung auch in Silikatgebieten wie auch mit indifferenter Reaktionszahl R: x nach ELLENBERG et al. 2001; siehe ARBEITSGEMEINSCHAFT FLORA VON BAYERN 2020). In einer tabellarischen Übersicht in Fürnrohrs Werk werden die Artenzahlen verschiedener Familien ins Verhältnis gesetzt zu der Gesamtartenzahl des Regens- burger Gebietes und zu jener in Deutschland. Darin zeigt sich übrigens, was man damals so alles unter einer Pflanzenstatistik verstand, einem Gesichtspunkt, der später auch in das Programm von Martius aufgenommen wurde und in verschiede- nen Folgewerken eine Rolle spielen sollte. Ein dritter Band (Autoren: K. L. Koch, G..A. Herrich-Schäffer, F. Forster) war der Tierwelt von den Insekten, Spinnen, Tausendfüßern und Krebstieren über die Weichtiere bis hin zu den Wirbeltieren gewidmet. Eine solche umfassende Dar- stellung der Vielfalt von Lebewesen einer Region kann als einmalig bezeichnet werden. Abb. 2 (rechte Seite): „Naturhistorischen Topographie von Regensburg“, Titelseite aus dem 1. Band (FÜRNROHR 1838: [I]). Digitalisat: urn:nbn:de:bvb:355-ubr12337-8 (Scan: Universitätsbibliothek Regensburg).
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12 A. Bresinsky 2.2 Schnizlein 1847, Schnizlein und Frickhinger 1848, Schenk 1848 Auch die Veröffentlichung über die „Vegetations-Verhältnisse der Jura- und Keu- performation in den Flussgebieten der Wörnitz und Altmühl“ (Abb. 3) kann aus heutiger Sicht in ihrem Wert nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die kleinliche Verweigerung einer Anerkennung der von beiden Autoren erbrachten Leistung durch die damals hierfür maßgeblichen Persönlichkeiten (nach ILG 1984: Kron- prinz Maximilian, Martius, sowie mit nur eingeschränkter Befürwortung der vor- gelegten Arbeit durch A. E. Fürnrohr, W. D. J. Koch und J. G. Zuccarini) ist sehr bedauerlich. Angesichts des Umfanges der Aufgabe und des dafür vorgesehenen sehr engen Zeitrahmens waren die an die Ausschreibung (1840) des eher bescheiden dotierten Preises geknüpften Erwartungen völlig unrealistisch, auch wenn der ursprünglich nur zwei Jahre gewährende Zeitraum (erster Termin 1842) mehrfach (1845, 1848) verlängert worden war. Wenn sich auch die Autoren mit ihrer schließlich publizierten Arbeit (1848) gleichsam exemplarisch auf ein recht kleines Teilgebiet Bayerns und nicht auf das ganze Land bezogen hatten, so setzten sie doch Maßstäbe für eine angemessene Herangehensweise zur Lösung der damals aufgeworfenen Preisfrage. Die Enttäuschung über den unguten Vorgang, an dem die Regensburgische Botanische Gesellschaft in nicht gerade glücklicher Weise beteiligt gewesen war, kommt im Briefwechsel zum Ausdruck, den Schnizlein mit Martius in diesem Zusammenhang geführt hatte (KIẞLINGER 2019; Brief vom 22. Januar 1848 an Martius). Andererseits betonten die Autoren zu Recht, dass sie mit ihrer Arbeit einen Stimulus gesetzt hätten „recht Viele [zu] veranlassen, ihre Umgebungen in gleicher Weise zum Gegenstande der Forschung zu machen“. Erst dann würde jene vor acht Jahren aufgeworfene Frage befriedigend gelöst werden können, was bis dahin noch unmöglich gewesen sei. Die Umgrenzung des Untersuchungsgebietes war nicht so eng, wie man auf- grund des Titels vermuten möchte. Sie umfasste weite Teile des Jura- und Keuper- gebietes, wie aus der dort beigelegten „Geognostisch-topographischen Karte des Bezirks“ hervorgeht. Das Ries, der Jura bis Donauwörth und Neuburg sowie die Keuperlandschaft über die Orte Dinkelsbühl, Crailsheim, Feuchtwangen und Roth nach Norden hinausgehend waren darin enthalten. Ein umfangreicher einleitender Teil ist den äußeren Vegetations-Bedingungen gewidmet: u. a. Windverhältnissen, Wärme, Wasser, Erdboden, Geologie des Untergrundes. Eingehend behandelt wer- den die Beziehungen der Pflanzenarten zu Boden und Geologie. Besondere Bedeu- tung wird dabei der Bodenchemie beigemessen. In einigen Aspekten übertreffen die Beobachtungen und die daran geknüpften Schlussfolgerungen jene Darlegun- gen, die später von Otto Sendtner (1854, 1860) in dessen Untersuchungsgebieten gemacht wurden. Das trifft auch für die Beschreibung periodischer Erscheinungen des Pflanzenwuchses (Phänologie) zu. Es werden in schon recht differenzierender Weise unterschiedliche Standorttypen festgelegt und hinsichtlich ihrer Pflanzen und deren Blühterminen (nach Monaten) gekennzeichnet. Einem auf die Standort- kunde ausgerichteten Teil folgt das Verzeichnis der festgestellten Arten, wobei die Anzahl der Vorkommen und die der Individuen je Wuchsort aufgezeichnet sind.
Ein früher Aufruf zur botanischen Erforschung Bayerns 13 Abb. 3: Titelblatt von „Die Vegetations-Verhältnisse der Jura- und Keuperformation in den Flussgebieten der Wörnitz und Altmühl“ (SCHNIZLEIN & FRICKHINGER 1848). Digitali- sat: Biodiversity Heritage Library (BHL). Das Verzeichnis führt 1222 Arten auf. Es wird ergänzt durch eine ausführliche Auf- listung der Kulturpflanzen mit aufschlussreichen Angaben über die Kultur und die Erträge, beispielsweise der damals angebauten Getreidearten oder der Kartoffel.
14 A. Bresinsky Schnizleins Flora von Bayern war der regional begrenzten, aber inhaltlich recht in die Tiefe gehenden Vegetations-Monographie von Schnizlein und Frickhinger zeitlich knapp vorausgegangen. Es ist ein Bestimmungsbuch ohne topographische, ökologische und phänologische Angaben (SCHNIZLEIN 1847; 1705 Arten in Bayern diesseits des Rheins). Aber auch dieser ganz Bayern umfassende Anteil am Schaf- fen Schnizleins hätte bei der Entscheidung über die Zuerkennung des verweigerten Preises eine Rolle spielen müssen. Hier anzuschließen ist die etwa gleichzeitig erschienene Flora von Würzburg von August Schenk (SCHENK 1848). Auch dieser Autor beruft sich ausdrücklich auf die ihm als Vorbild dienende Veröffentlichung A. E. Fürnrohrs (FÜRNROHR 1838– 1840) und er vergisst dabei nicht, auf Schnizleins Flora zu verweisen. In Schenks Flora für den Würzburger Raum werden über die simple Aufzählung von 1067 Pflanzenarten hinausgehend allgemeine standörtliche Zusammenhänge und die jahreszeitliche Periodizität (Phänologie) des Pflanzenwachstums dokumentiert. In diesem Sinne kann die Arbeit Schenks als Vorläufer der ins messende Detail gehenden Studie von G. Kraus aus dem Muschelkalkgebiet Würzburgs (KRAUS 1911) verstanden werden; von dieser Studie wird später nochmals die Rede sein. 3. Das Programm von Martius (1850) und dessen Fernwirkungen bis in die jüngere Zeit Das Programm von Martius aus dem Jahr 1850 (Abb. 1) untergliedert sich in sechs Abschnitte, und es ist hier zu erörtern, was – oder was auch nicht – in späterer Zeit davon umgesetzt werden konnte. 3.1 Inhalt der bayerischen Flora Hierunter versteht Martius die Erforschung des Inventars aller in Bayern vorkom- mender Pflanzenarten in größerer Vollständigkeit und in einer möglichst weit- reichenden kritischen Genauigkeit. Um dieses Ziel zu erreichen, schlägt er Reisen in damals noch wenig untersuchte Landesteile vor und die Einbeziehung von „Freunden der Wissenschaft, die sich mit der Erforschung der vaterländischen Flora beschäftigen“. An sie erging die Aufforderung, für die einzelnen Gebietsteile des Landes Listen der beobachteten Pflanzenarten und Herbarbelege einzusenden.“ Martius sprach bereits damals von Strichlisten, welche als Vordrucke mit allen in Frage kommenden Pflanzennamen zu versehen wären zur Markierung der fest- gestellten Pflanzenarten durch Beobachter. Ausgabe und Rücklauf solcher Listen sollten auf Kosten der Akademie (für den Druck und für die Postgebühren) erfol- gen. So lautete jedenfalls damals der Beschluss einer Kommission, die von der Akademie zur Durchführung des königlichen Auftrages etabliert worden war. Bekanntlich fanden und finden solche Strichlisten bei den Kartierungsvorhaben bis in die Gegenwart hinein Verwendung. Als Hilfsmittel zur Erfassung der Flora wurden sie erstmals von Martius vorgeschlagen und verwendet.
Ein früher Aufruf zur botanischen Erforschung Bayerns 15 Mehrere in der Folgezeit erschienene Landesfloren und Übersichten zeigen, dass die Anregungen offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen waren (Zusammen- stellung der Landesfloren in BRESINSKY 2014, darunter besonders PRANTL 1864, VOLLMANN 1914, LIPPERT & MEIEROTT 2014, 2018). 3.2 Verbreitungsbezirke der Pflanzen in Bayern Martius schlug die Darstellung der Verbreitung von Pflanzenarten in Karten vor, um sich ein Bild von den Arealen innerhalb des Landes machen zu können. Er erwartete davon Kenntnisse über Arealgrenzen in Bayern. In nicht wenigen Fällen wurden seine Anregungen zum vertieften Studium solcher Phänomene in späterer Zeit wieder aufgegriffen. Er sprach von Pflanzen mit östlichem Verbreitungs- schwerpunkt (und daher mit Westgrenzen in Bayern; im Detail behandelt erstmals durch GAUCKLER 1938), mit westlichem Verbreitungsschwerpunkt (daher mit Ost- grenzen ihrer Verbreitung in Bayern; SCHÖNFELDER 1970) oder mit eher nördlicher Verbreitung (und daher mit Südgrenze in Bayern). Eine eigene Gruppe sah er in Pflanzenarten, die vorzugsweise an die Alpen gebunden ins Vorland ausstrahlen und dabei südlich oder nördlich der Donau eine Verbreitungsgrenze finden. Schließlich dachte Martius auch an Pflanzenarten, die in Bayern ein isoliertes Vorkommen zeigen, und er forderte, für solche Sonderfälle eine Ursachenanalyse vorzunehmen. Das ganze Land und dessen Inventar an Gefäßpflanzenarten in den Blick nehmend, wurde mit dem Bayernatlas (SCHÖNFELDER & BRESINSKY 1990) das Martius vorschwebende Ziel einer umfassenden Darstellung in Form von Ver- breitungskarten erstmals erreicht. Seit 2013 werden die Einzeldaten von Fundnach- weisen zur Flora Bayerns in einer in der Botanischen Staatssammlung München (der Nachfolgeinstitution des Botanischen Conservatoriums, deren Leitung Martius oblag) eingerichteten Datenbank verwaltet. Es handelt sich um einen Bestand, der auf mehrere Millionen Einzeldaten angewachsen ist und für den man derzeit über die Verbreitungskarten hinausgehend bemüht ist, Auswertungsoptionen zu ent- wickeln (RUFF et al. 2019). 3.3 „Vertheilungsweise“ der Pflanzen In der Formulierung von Martius erschließt sich einem nicht sogleich, was damit gemeint war und wie dieser Gesichtspunkt von der Frage nach den Bedingungen des Vorkommens (siehe Kap. 3.5) abzugrenzen ist. Der gebrauchte Begriff „Ver- theilungsweise“ enthält auch Elemente, die dort als „Pflanzenstatistik“ bezeichnet werden. Es handelt sich zunächst um Bewertungen von Pflanzenvorkommen mit- tels Parametern, die man heutzutage weitgehend der Pflanzensoziologie und Vege- tationskunde zuordnen könnte, wie Abundanz und Soziabilität der Pflanzenarten je nach Wuchsort, ebenso wie den Zusammenschluss unterschiedlicher Arten zu einzelnen Vegetationsformationen und deren Verbreitungsmuster im Lande. Für all dies forderte er kartographische Darstellungen, wobei die Vorstellungen zu den einzelnen als Flur, Feld und Wald bezeichneten Kategorien der Vegetation noch sehr grob und unbestimmt anmuten. Diese Zielsetzung wurde in sehr viel späterer
16 A. Bresinsky Zeit erfüllt durch Vegetationskarten, die auf einer verfeinerten methodischen Grundlage erstellt wurden (z. B. landesweit durch SEIBERT 1968). Insgesamt beinhaltet der Abschnitt „Vertheilungsweise“ ein Sammelsurium unterschiedlichster, teils vorausschauender, teils aber auch recht grob gefasster oder wenig zusammenhängender Gesichtspunkte, wie etwa die Anregung, in Gärten und Kirchhöfen kultivierte Pflanzen zu erfassen, weil Martius auch hierbei regionale Unterschiede erwartete. 3.4 Formverschiedenheit der Pflanzen Über die anerkannten Arten hinausgehend rief Martius dazu auf, Abweichungen von der als typisch angesehenen Gestalt von Pflanzen eine besondere Aufmerk- samkeit zuteilwerden zu lassen. Er unterschied in seinen Erörterungen nicht genügend scharf zwischen Modifikationen (nicht erbfesten Abweichungen) einer- seits und erbfesten Varietäten andererseits. Ohne Berücksichtigung dieser nunmehr gebotenen Unterscheidung legte die von der Akademie eingesetzte Kommission wert darauf, zu den einzelnen Arten möglichst vollständige Auflistungen von Abweichungen gegenüber der jeweils als typisch angesehenen Gestalt anzulegen. Über eine bloße Dokumentation hinausgehend sollte ergründet werden, in welcher Weise solche Formen und Varietäten an bestimmte Standortsverhältnisse gebunden seien oder auch von bestimmten äußeren Einflüssen geprägt wären. Er deutete an, dass eingehende Kenntnisse der jeweiligen Sippenstruktur, wie wir heute sagen würden, das Verständnis von Arten und damit der Systematik vertiefen könnten. Diese Anregungen wurden von Franz Vollmann in seiner Flora von Bayern (1914) in erstmals detaillierter Weise aufgenommen. Unter dessen Varietäten versteckt sich manche Pflanzensippe, die heute als eigene Art oder Unterart bewertet wird. Ein Beitrag zur Kenntnis des Formenkreises rund um den Schafschwingel (Festuca ovina s. l.) von ZIELONKOWSKI (1972) zeigt, auf welchen fruchtbaren Boden diese frühen Anregungen zur genaueren Erfassung der Artenvielfalt auch in unserem engeren Raum gestoßen waren. Die Auflistung aller in Bayern bekannt gewor- denen Sippen von Gefäßpflanzen durch LIPPERT & MEIEROTT (2014, 2018) wird jener von Martius formulierten Forderung einer möglichst kleinteiligen Erfassung der Sippenstruktur bayerischer Gefäßpflanzen gerecht. Mit den darin umfassend dokumentierten und ausgebauten Ergebnissen hätte sich Martius in seiner, wenn damals auch noch recht vage formulierten, Intention vollauf bestätig gesehen. 3.5 Bedingungen des Vorkommens Dieser Abschnitt umfasste alle für das Vorkommen von Pflanzen bestimmenden Standortfaktoren. Die Beeinflussung durch Alexander von Humboldts Ideen zur Geographie der Pflanzen ist dabei offenkundig. Martius rief dazu auf, Klimafak- toren wie die Temperatur (Mittelwerte bezogen auf Monate oder das Jahr etc.), die Regenmengen, die Dauer und Tiefe der Schneebedeckung usw. zu erfassen oder in Erfahrung zu bringen und mit Arealgrenzen der Pflanzenverbreitung in Beziehung
Ein früher Aufruf zur botanischen Erforschung Bayerns 17 zu setzen. Die Akademie würde pflanzenkundigen Beobachtern Maxima und Mini- ma messende Thermometer aushändigen. Die klimabezogenen Messwerte sollten in Karten (der „königl. Steuerkataster Commission“) eingezeichnet werden, um etwa Arealgrenzen von Pflanzen mit Isothermen (Linien gleicher Temperaturwerte) und ähnlichen Parametern vergleichen zu können. Es ist offenkundig, dass die von Martius hierzu formulierten Vorstellungen sowohl hinsichtlich der Konzeption als auch der praktischen Ausführung noch reichlich vage und zudem realitätsfremd waren, weshalb sie zunächst nicht zu greifbaren Ergebnissen führten. Einbezogen wissen wollte Martius die Erhebung von Daten über die jahreszeitlich bedingte und zugleich klima- sowie witterungsabhängige Entwicklung von Organen einzelner Pflanzenarten (Phänologie des Laubaustriebs, des Blühens usw.). unter methodisch genauer festgelegten Bedingungen. Der Gesamtzeitraum des Blühens, Fruchtens und anderer periodischer Erscheinungen der Pflanzen hatte Martius zuvor schon im Abschnitt „Formverschiedenheit der Pflanzen“ angesprochen, wohl unter Berück- sichtigung der Tatsache, dass es sich dabei auch um Organisationsmerkmale handelt. Martius erörterte des Weiteren zu Recht, dass in Bayern mit seinen Gebirgen und dem Alpenanteil naturgemäß Angaben zur Meereshöhe des Vorkommens von Pflanzen bedeutsam sind. Er schlug vor, sowohl die Obergrenzen als auch die Untergrenzen der Vorkommen von Pflanzenarten detailliert zu erfassen. Jene von Martius als wünschenswert angesehenen Angaben hat erstmals Otto Sendtner (SENDTNER 1854, 1860), dann ihm folgend Karl Prantl (PRANTL 1884), Gustav Hegi (HEGI 1905) und Franz Vollmann (VOLLMANN 1914) für Bayern dokumen- tiert, später wurden solche Angaben ergänzt und neu gefasst durch Hermann Paul (PAUL 1947). Im Blick auf die Untergrenzen verweist Martius auf Alpenpflanzen, die un- beständige Ansiedlungen in tieferen Lagen zeigen, und er meint damit wohl die Alpenschwemmlinge entlang der Flüsse. Demgegenüber stünden die fest etablier- ten Vorkommen im Vorland, die unter anderen Bedingungen dort existierten. Aus gutem Grund maß Martius den Eigenschaften des Bodens ein großes Gewicht zu. Darunter verstand er die geologischen Formationen (den „Geo- gnostischen Charakter“) und die daraus entstehenden spezifischen Bodenstrukturen („Constitution des Bodens“). Noch ziemlich unbestimmt spricht er von einer variabel ausgeprägten „Bodenwärme“, die er im Zusammenhang mit unterschied- lichen Vorkommen von Pflanzen zu erforschen anregte. An den Kalkhängen des Maintals mit ihrer charakteristischen Vegetation (u. a. Sesleria-reiche Trockenrasen) sollte erst sehr viel später Gregor Kraus mit seinen Untersuchungen zu „Boden und Klima auf kleinstem Raum, Versuch einer exakten Behandlung des Standorts auf dem Wellenkalk“ (KRAUS 1911) den von Martius angedeuteten Weg erfolgreich beschritten haben. In der Publikation von Kraus sind auch die Blühtermine von 52 Pflanzenarten an den von ihm behandelten einzelnen
18 A. Bresinsky Standorten für den Zeitraum von sieben Jahren (1901–1907) in einem sog. Blüten- kalender erfasst, ähnlich wie es eben bereits Martius seinerzeit vorgeschlagen hatte. 3.6 „Gebietstheile“ im Sinne einer naturräumlichen Gliederung des Landes In diesem Abschnitt wird eine naturräumliche Gliederung des Landes entworfen, auf welche die Darstellung von Flora und Vegetation bezogen werden sollte. Die zugrunde zu legenden Einheiten wurden von Martius bereits im Zusammenhang mit der geognostischen Gliederung erwähnt und weitgehend unverändert übernom- men. Die vier unterschiedenen Einheiten diesseits des Rheins („rechtsrheinisches Bayern“) waren: die Alpen und deren Vorland bis zur Donau, das Gebiet des Juras und Keupers nördlich der Donau, das nordöstliche Grenzgebirge mit bayerischem Wald und Fichtelgebirge sowie das nordwestliche Gebiet mit Buntsandstein und Muschelkalk. Das derzeit zugrunde gelegte naturräumliche Gliederungskonzept (in SCHEUERER & AHLMER 2003) unterscheidet sich von der damaligen Gliederung durch Aufteilung jener größeren Einheiten in nunmehr insgesamt acht kleinere Regionen (im Einzelnen: südlich der Donau drei Einheiten, nördlich der Donau Keuper und Jura getrennt, das nordwestliche Gebiet untergliedert in Mainfränki- sche Platten und Spessart sowie das Grenzgebirge im Nordosten). Diese acht Regionen sind ihrerseits in kleinere Einheiten untergliedert, sodass sich dabei insgesamt ein Bild ergibt, das weitgehend dem in PRANTL (1884) und VOLLMANN (1914) bereits verwendeten ähnelt, welches wiederum auf der in GÜMBEL (1845, 1894) erarbeiteten Karte der geologischen Gliederung Bayerns fußte. 3.7 Anwendung der Ergebnisse in Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft In etwas bemühter und dabei noch nicht recht überzeugend wirkender Weise ver- suchte Martius, die praktische Anwendbarkeit „phytographischer“ Kenntnisse für die Land- und Forstwirtschaft darzulegen. Im Kern konzentrierte sich bei ihm die mögliche Anwendung auf die Tatsache, dass die einzelnen Pflanzenarten Stand- ortzeiger sind. Für die Bewirtschaftung von Grün- und Ackerland wie auch von Forsten würden Pflanzenarten wichtige Hinweise geben. Eine zeitgemäße Charak- terisierung von Standorten erfolgt jetzt mittels der für die einzelnen Pflanzenarten geltenden Zeigerwerte, wie sie von Ellenberg und Mitarbeitern festgesetzt wurden. In der aktuellen Präsentation der Verbreitungskarten bayerischer Gefäßpflanzen (ARBEITSGEMEINSCHAFT FLORA VON BAYERN 2020) finden sich für jede Art die Ellenbergschen Zeigerwerte (nach ELLENBERG et al. 2001) aufgeführt. Insoweit kann die damalige Vision Martius’ als erfolgreich verwirklicht angesehen werden. Von Naturschutz ist in Martius’ Programm noch nicht die Rede. In der heutigen Zeit ist jedoch die Verwertungsmöglichkeit von Verbreitungsdaten und -karten, neben den Ergebnissen der Biotopkartierung, für den Arten- und Naturschutz von größter Bedeutung. Die Roten Listen gefährdeter Gefäßpflanzen Bayerns (SCHÖN- FELDER 1987; SCHEURER & AHLMER 2003) konnten auf der Grundlage solcher Daten erstellt und aktualisiert werden.
Ein früher Aufruf zur botanischen Erforschung Bayerns 19 4. Realisierung des Programms durch Sendtner (1854, 1860) Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Studien Sendtners zur Vegetation und Flora ausgewählter größerer Gebiete Bayerns in direktem Zusammenhang standen mit der Erfüllung des königlichen Auftrages durch die bayerische Aka- demie der Wissenschaften. Ihrer Konzeption nach lehnen sich die beiden daraus hervorgegangenen umfangreichen Veröffentlichungen Sendtners eng an das von Martius vorgestellte Programm von 1850 an. Es kann allerdings davon ausgegan- gen werden, dass Sendtner als Schüler von Martius und als Adjunkt der Akademie ebenfalls darauf Einfluss genommen hatte. Sein grundlegendes erstes Buch erschien nämlich 1854, nur vier Jahre nach der Veröffentlichung von Martius in der Flora, und seine dazu ausgeführten Geländearbeiten hatten bereits 1848, also exakt im Jahr der Auftragvergabe durch den König an die Akademie, begonnen. Eine Veröffentlichung in der Regensburger Zeitschrift Flora, in der ja auch Martius sei- nen Aufruf publiziert hatte, gibt Zeugnis von Sendtners aufgenommener Tätigkeit in jener Zeit (SENDTNER 1849). Die notwendigen Erkundungsreisen wurden seit 1848 von der Akademie (jedenfalls größtenteils) finanziert, 1852 auch durch das Handelsministerium im Zusammenhang mit der Moorerkundung, aber 1851 und 1853 mussten sie auf eigene (!) Kosten unternommen werden. Abb. 4: Die beiden Werke Sendtners über die Vegetations-Verhältnisse von Südbayern (SENDTNER 1854) und die des Bayerischen Waldes (SENDTNER 1860).
20 A. Bresinsky Das Buch „Vegetations-Verhältnisse Südbayerns“ (1854; Abb. 4) von Sendtner war der dritte Beitrag zur naturwissenschaftlichen Erforschung der bayerischen Lande, der im Auftrag des Königs von der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wurde. Ein beträchtlicher Teil des gesamten Werkes ist der Geländegestalt, dem Klima und dem Boden des Untersuchungsgebietes gewidmet. Diese Ausführungen in ihren zwei Hauptteilen machen insgesamt Dreiviertel seines Gesamtumfanges aus (720 Seiten). Im ersten Teil werden die Gegebenheiten in Südbayern zunächst ohne direkten Bezug auf die Pflanzenwelt dargestellt. Im zweiten wird dargelegt, welchen tatsächlichen oder angenommenen Einfluss verschiedene Außenbedingungen auf die Pflanzenwelt Südbayerns haben oder haben könnten. Einige ausgewählte Aspekte aus diesen beiden ersten, sehr inhaltsreichen Hauptteilen des Werkes seien hier beispielhaft angesprochen. Der starken Höhengliederung Südbayerns entsprechend legte Sendtner großen Wert auf die Bestimmung der unterschiedlichen Höhen über dem Meeresspiegel. Die meist barometrisch, teils auch trigonometrisch bestimmten Höhen werden in Pariser Fuß angegeben. Für den Gipfel der Zugspitze legte er beispielsweise mehrere eigene Messwerte zugrunde (barometrisch im Mittel 9153 Fuß, trigono- metrisch 9024 Fuß; 1 Fuß = 0,325 m). Umgerechnet entspricht der daraus gebildete Mittelwert einer Höhe von 2954 m, was schon recht präzise war (aktuell 2962 m). Im Verzeichnis der von ihm selber gemessenen Höhen sind aus Südbayern ins- gesamt mehr als 900 Angaben zusammengestellt, darunter auch die von der Höfats (Westgipfel: 6957 Fuß = 2261 m; aktuell 2257 m) und der Mädelegabel (8105 Fuß = 2634 m; aktuell 2645 m), deren Erstbesteigungen er selbst (1848, 1852) unter- nommen hatte. Ergänzt wird dieses Verzeichnis durch etwa 300 weitere, damals noch unveröffentlichte Angaben aus anderer Quelle entlang der Grenze zu Öster- reich. In einer von Ost nach West ausgerichteten und von Nord aus gesehenen Graphik der Höhenprofile wird ihr Verlauf in Südbayern dargestellt, getrennt für die 7 festgesetzten Zonen, nämlich: Donauzone, Münchnerzone, Peissenbergzone, Hohe Vorgebirgszone, Vorderzugzone, Mittelzugzone und Hauptzugzone (Abb. 5). Auf der Grundlage dieser zahlreichen eigenen Höhenmessungen konnte er erstmalig recht genaue Angaben zur Höhenverbreitung von Gehölzen in Südbayern machen. Für Legföhre, Zirbe, Fichte, Lärche, Rot-Buche und Berg-Ahorn (bei Sendtner „Traubenahorn“) listet er 488 eigene Beobachtungen unter Angabe der Meereshöhe und sonstiger Umstände wie Exposition, Bodenart, Geländeform und Wuchsweise auf. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind am Schluss des Buches auch in Graphiken dargestellt. Die Linien höchster Vorkommen steigen im Falle der Buche bis zu einem Maximum in Südexposition an und fallen in Nord-, Nordost- und Nordwestexposition, aber auch in Richtung reiner West- und Ost- exposition ab. Bei Fichte und Zirbe werden die höchsten Vorkommen nicht in Süd-, sondern in Südwestexposition erreicht. Für einige Gehölze, so für Grünerle oder Zirbe, werden auch die Untergrenzen dokumentiert. Ebenso beruhen die un- zähligen Höhenangaben zur Verbreitung von krautigen Pflanzen in den bayerischen Alpen auf Sendtners eigenen Beobachtungen. Auch für die in Bayern kultivierten
Ein früher Aufruf zur botanischen Erforschung Bayerns 21 Abb. 5: Ausschnitt aus einem Diagramm (Faltblatt im Anhang) in SENDTNER (1854), die Höhenprofile in Südbayern darstellend. Hellbraun: Hauptzug der Alpen, rosa: Mittelzug, grauviolett: Vorderzug, grün: höheres Alpenvorland (Peissenbergzone), gelb: tieferes Alpenvorland (Münchnerzone); die Donauzone fehlt im hier gewählten Ausschnitt. Berchtesgadener Alpen: Hundstod (5), Watzmann (6), Hochkalter (7), Königssee, Saal- ach. Chiemgauer Alpen: Hochgern (19), Geigelstein (20). Alpenvorland: Chiemsee, Inn. Nutzpflanzen gibt Sendtner die von ihm ermittelten Höhengrenzen an. Die zahlrei- chen Angaben sind hinsichtlich zu erwartender Veränderungen der Höhenverbrei- tung im Kontext der gegenwärtig feststellbaren Klimaveränderung sehr aufschluss- reich (vgl. hierzu auch SENDTNER 1849).
22 A. Bresinsky Breiten Raum nehmen die Erörterungen zu Klima und Boden ein. Die im Anhang dargestellten Temperaturkurven belegen die geringere Wärmezufuhr von Standorten im Oberland gegenüber solchen der Donauzone (Regensburg) und Nordbayerns (Würzburg). Selbst gegenüber Oberfranken (Hof) ist die den Jahres- gang nachzeichnende Kurve von Standorten im höheren Alpenvorland (Peissen- berg, Salzberg) niedriger. Die ausführliche Erörterung klimatischer Faktoren wird in Sendtners Buch ergänzt durch einen Beitrag Gümbels zur Bodenwärme. Dies ist in mehrfacher Hinsicht erwähnenswert. Es zeigt zum einen, wie sehr Gümbel in das gesamte Programm der Akademie zur naturwissenschaftlichen Erforschung Bayerns einge- bunden war, und zum anderen aber auch, welche große Bedeutung man in jener Zeit diesem schon von Martius ins Feld geführten Parameter beimaß. In den Aus- führungen von Martius klingt an, dass man der Bodenwärme eine von der Luft- temperatur unabhängige Eigenschaft beimaß, was u. a. dadurch deutlich wird, dass man in diesen Zusammenhang auch die Temperatur von Quellwasser mit einbezog. Wie später G. Kraus nachwies, ist der aufsteigende und abfallende Gang der Luft- temperatur im Vergleich zur Bodentemperatur weitgehend gleichsinnig, aber die Speicherkapazität des Bodens im Blick auf den Wärmegewinn ist für beide Berei- che doch sehr verschieden (KRAUS 1920). Insoweit war die gesonderte Beachtung der Bodenwärme, wie von Martius empfohlen und von Sendtner sowie später von Kraus vollzogen, durchaus berechtigt. Ein großer Teil der Ausführungen Sendtners bezieht sich auf die in Südbayern vorhandenen Vegetationsformen; die auf dem Lande (also nicht im Wasser) aus- gebildeten werden gegliedert in Wiesen, Wälder, bebautes Land (Äcker, Gärten) und in Moore. Die von ihm aufgeführten Flächenanteile in bayerischen Tagwerken (1 Tag- werk = 3407 m²) sind im Vergleich zum gegenwärtigen Zustand aufschlussreich. So wird die von Mooren eingenommene Fläche in Südbayern zunächst je Forstamt auf der Grundlage der ihm vorliegenden amtlichen Angaben genannt. Es ergab sich daraus eine Gesamtfläche von 169 787 Tagwerken oder 10,5 Quadratmeilen, was einem Anteil an der Gesamtfläche Südbayerns von 1,8 % entspricht. Dieser Wert repräsentiere aber nach Einschätzung Sendtners nicht den wahren Sachverhalt, was er im Einzelnen an verschiedenen Beispielen begründet. So würde alleine die Fläche der Moore um München (Abb. 6) ein höheres Flächenmaß beanspruchen, als das für ganz Südbayern amtlicherseits angegebene. Nach seiner Einschätzung nahmen damals die Moore eine Fläche von etwa 20 Quadratmeilen ein, was einem Anteil von 3,4 % entspricht. Gegenüber der damals von Wald bedeckten Fläche, die von Sendtner zu 25–35 % angegeben wird, und dem damals von Äckern und Gärten beherrschten Kulturland mit 37–50 % war jener Anteil der Moore immerhin recht hoch. Aus heutiger Sicht kann man Sendtner vorhalten, dass er sich für eine komplette wirtschaftliche Nutzung der Moore („Verwendbarkeit im Haushalte des Menschen“) aussprach und sich damit an die Seite der Wegbereiter für die radikale Entwässerung der weiten Flächen von Niedermooren an Donau, Isar und Lech und
Ein früher Aufruf zur botanischen Erforschung Bayerns 23 für die Abtorfung von Hochmooren stellte. Sendtner übernahm als Motto für sein Kapitel über die Moore die Aussage eines Geographen, wonach das bayerische Herrscherhaus durch die Inkulturnahme der Moore die Fläche eines ganzen Fürs- tentums hinzugewinnen könne. So ist es dann auch gekommen, aber ob zum unein- geschränkten Nutzen des Landes, das kann wohl hinterfragt werden. Dennoch sind die über 100 Seiten umfassenden Darlegungen Sendtners über die Moore Südbayerns von unschätzbarem Wert. Er untergliedert die Moore, dem jetzigen Wissen angenähert, in unterschiedliche Typen, denen verschiedene Ur- sachen für ihre Entstehung zugrunde liegen. Es werden für Hochmoore und Nie- dermoore („Wiesenmoore“) die jeweils charakteristischen Pflanzenarten und deren Bodenansprüche aufgelistet. In einem Anhang werden zehn verschiedene Moor- komplexe Südbayerns samt ihrer Pflanzenwelt genau beschrieben. Ihre Einbettung in die Landschaft wird anhand von geologischen Profilen dargestellt. Unter den mit ihrer Pflanzenwelt näher behandelten Mooren finden sich die Niedermoore in den Talebenen von Donau, Isar und Vils, weiterhin das Ried bei Memmingen (für welches er schon Armeria purpurea unter dem Gattungsnamen Statice nennt), die Kemptermoore bei Kempten und die Panger Filze bei Rosenheim. Die vielfach weitflächigen Moore der damaligen Zeit hat Sendtner in einer großen Faltkarte im Anhang zur pflanzengeographischen Einteilung Südbayerns eingetragen (Abb. 6). Der von ihm darin als Panger Filze bezeichnete große Moorkomplex ist identisch mit dem, was wir heute unter Feilnbacher Filze im weiteren Sinne verstehen. Spe- ziell untersuchte Sendner jenen Teil, der zwischen Panger und Dettendorf gelegen war, und für den Hermann Paul und Selma Ruoff den Namen „Koller- und Hoch- runstfilze“ verwendet haben (PAUL & RUOFF 1927). Für das Moor, welches jetzt entwässert und abgetorft ist und über das die Autobahn München-Salzburg führt, wird im Anhang zu Sendtners Werk sogar eine Vegetationskarte (wohl die erste aus Bayern) geboten. Der heutige Zustand des Gebietes zeigt, wie tiefgreifend die von Sendtner befürworteten Nutzungsmaßnahmen dort Landschaft und Vegetation ver- ändert haben. Für die Mächtigkeit des Torflagers hat Sendtner in seiner Karte Werte bis zu 14 Fuß, also 4,5 m eingetragen. Paul und Ruoff haben etwa 3 m des Torflagers pollenanalytisch mit einer bis in das Postglazial reichenden Doku- mentation der Vegetationsgeschichte untersucht. Sie sprechen aber auch davon, dass in der Südwestecke des Moorkomplexes Torfmächtigkeiten bis zu 8 m festge- stellt werden konnten (PAUL & RUOFF 1927). Ab 1900, lange nach Sendtners Tod, haben seine Moorstudien eine beachtliche Intensivierung durch die Mitarbeiter der Königlich Bayerischen Moorkulturanstalt (später fortgeführt als Landesanstalt für Moorwirtschaft und Landkultur) erfahren. Hier entstanden die ganz Bayern abdeckenden Studien von Hermann Paul und Selma Ruoff (PAUL 1910, RUOFF 1922, PAUL & RUOFF 1927, 1932). Die Druck- legung dieser Arbeiten wurde teilweise gefördert durch die Bayerische Akademie der Wissenschaften, womit sich der Bogen schließt zu den bereits geschilderten Anfängen der Forschungsinitiative.
24 A. Bresinsky Abb. 6: Ausschnitte aus der Faltkarte in SENDTNER (1854). – Abb. 6a (li.): „Uebersichts- blatt der Pflanzengeographischen Eintheilung von Südbayern“ mit westlichem Rand des Donaumooses nördlich von Günzburg. Übergang von der „Münchnerzone“ (hellgelb) zur „Donauzone“ (dunkelgraugrünlich). – Abb. 6b (re.): Darin die Umgebung Münchens zeigend mit den ausgedehnten Flächen des Dachauer und Erdinger Mooses sowie mit dem Ort Garching an der Isar (Garchinger Haide). Übergang von der Zone „Hohes Vor- gebirg“ (blau) zur „Peissenbergzone“ (grün) und „Münchner Zone“ (gelb) zeigend. Neben den Alpen und den Mooren in Südbayern, fanden die Haidewiesen eine besondere Beachtung durch Sendtner. Diese für Südbayern kennzeichnende Vege- tationsform wird hier HEPP & POELT (1957) folgend wie bei Sendtner mit „ai“ geschrieben, um den tiefgreifenden Unterschied zu den atlantischen Heiden Nord- westeuropas sprachlich deutlich zu machen. Die ehemals von Haiden bedeckten Flächen in Südbayern waren beachtlich. Alleine für die beiden größten Haide- gebiete des Landes an Lech und Isar, die Lechhaiden und die Garchinger Haide, ergibt sich aus den Angaben Sendtners eine Fläche von fast 125 km² (Garchinger Haide 45 km², Lechfeld 80 km²), was einem Anteil von etwa 8 % an der Gesamt- fläche Südbayerns, also die der Moore übertreffend, entspricht. Anhand ausführ- licher Florenlisten kennzeichnet Sendtner beide Haidegebiete hinsichtlich Überein- stimmungen und Verschiedenheiten wie auch im Hinblick auf ihren gänzlich anderen Charakter gegenüber den norddeutschen Heiden. Auch einige Moose und Flechten werden genannt, obgleich Martius’ Aufruf weitestgehend nur die Gefäß- pflanzen in den Blick genommen hatte; die anderen pflanzlichen Organismengrup- pen, wie auch die Pilze fanden darin kaum Beachtung. Die Ausbildung von Haiden
Ein früher Aufruf zur botanischen Erforschung Bayerns 25 in Südbayern sieht bereits Sendtner gebunden an Kiesablagerungen bei allenfalls geringmächtiger Überdeckung mit Lehm oder Humus. Er belegt dies mit einem Profilbild des Lechfeldes. Die Haiden betrachtet Sendtner nicht als von Natur aus waldfreie Flächen. Er verweist auf dort vorhandene Hochäcker als Beleg für prä- historischen Ackerbau. Er spricht sich für die Schafzucht und für den Anbau von Kartoffeln auf Haideflächen aus. Aus heutiger Sicht muss man es bedauern, dass die Garchinger Kartoffeln, wie Sendtner schreibt, auf dem Münchener Markt einen sehr guten Ruf hatten. Andererseits erkennt er aber auch die Folgen einer intensive- ren Bewirtschaftung, die dazu führt, dass das Häuflein der „Wilden unserer Flora“ gänzlich verschwinden wird. In späterer Zeit wurde die Bearbeitung von Haiden und Trockenrasen mehrfach wieder aufgenommen (z. B. durch RIEMENSCHNEIDER 1956, ZIELONKOWSKI 1972, 1973 und Beiträge anderer Autoren). Den Abschluss des Sendtnerschen Werkes bildet ein Verzeichnis der Gefäß- pflanzen Südbayerns. In diesem Verzeichnis finden sich Angaben unterschiedlichs- ter Art, auch in Form von Kürzeln: Verbreitung in den ausgewiesenen 10 Regionen Südbayerns, jeweils die obere und untere Grenze der Höhenverbreitung, u. a. korrigiert durch Erhöhung oder Abzug gemessener Höhenwerte je nach Exposition, Gebirgsstöcken und -zügen oder Vorkommen im Tal. Weiterhin finden sich An- gaben zur Verbreitungsdichte und Soziabilität (Dichte des Vorkommens), zu den Bodeneigenschaften in vielfach genauerer Weise als später etwa in der Flora von Vollmann sowie zu Begleitpflanzen und zu Einzelfundorten usw. Allerdings fehlen phänologische Daten wie etwa Blühzeiten fast völlig. Durch ein Symbol gibt Sendtner jeweils an, wenn er sich selber ein Bild von den Arten und deren Vor- kommen machen konnte, was für die Mehrheit der genannten Pflanzenarten zutrifft (siehe auch Abb. 8). Eine damals kaum entwickelte Haltung zu Naturschutzanlie- gen wird sichtbar im Hinweis, dass das Edelweiß am Torener Joch „zu holen“ sei, und dieser Hinweis steht im Zusammenhang mit einer sehr genauen und ausführ- lichen Auflistung von jeweils mit Höhenangaben versehenen Vorkommen. Ande- rerseits beklagt er den Rückgang bestimmter Arten, wie etwa den des Gelben Enzians, Gentiana lutea, infolge des Wurzelstechens für die Branntweinbrennerei. Er schreibt, dass er an der Benediktenwand nur noch hier und da ein einzelnes blühendes Exemplar dieser Art vorfände, während er sich erinnere „vor 24 Jahren“ dort durch „Enzianwälder gegangen zu seyn“ (SENDTNER 1854: 824). Hervorhebenswert ist, dass Sendtner immer wieder auf Feinheiten einer ge- naueren Sippengliederung eingeht und hierzu auch eigene Vorschläge unterbreitet, wie etwa für die Gattungen Callitriche, Hieracium und Rubus. Er war eben ein Mann des genauen, analytischen Hinsehens, wie auch seine zusätzlichen Publi- kationen hierzu in der Regensburger Zeitschrift „Flora“ zeigen (SENDTNER 1854b, 1856, 1858). Insoweit liegt die von ihm festgestellte Zahl der Arten um einiges höher als die Durchnummerierung (der „Hauptarten“) bis zur Ziffer 1692 für Süd- bayern zu erkennen gibt. Das Werk fand überwiegend sehr positive Aufnahme und Anerkennung (ROSS 1910). Eine ausführliche Besprechung und Wiedergabe des Inhaltes wurde in der
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