Leopoldina aktuell 5/2020

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Leopoldina aktuell 5/2020
Leopoldina aktuell                                                                             5/2020

Newsletter der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina –
Nationale Akademie der Wissenschaften

                                                                               Halle (Saale), 9. Oktober 2020

                                                                     Einheitliche und
                                                                         klare Regeln
                                                                          für Corona-
                                                                   Schutzmaßnahmen
                                                                        6. Ad-hoc-Stellungnahme
                                                                               der Leopoldina zur
                                                                             COVID-19-Pandemie
Leopoldina aktuell 5/2020
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Inhalt                                                         6-7

     3    Editorial

     4    Nobelpreis für Physik geht an Leopoldina-
          Mitglied Reinhard Genzel

     5    Nobelpreis für Chemie geht an Leopoldina-
          Mitglied Emmanuelle Charpentier

     6    Leopoldina appelliert an Bund und Länder:    Coronavirus-Pandemie: Fünfte und sechste
          „Wirksame Regeln für Herbst und Winter“      Ad-hoc-Stellungnahme zu Bildungssystem und
     7    Leopoldina empfiehlt Maßnahmen               Schutzmaßnahmen veröffentlicht.
          „Für ein krisenresistentes Bildungssystem“

     8    Neue Mitglieder ins Präsidium gewählt und
          neue Sektion „Global Health“ gegründet

     9    Early Career Award für
          Biodiversitätsforscher

     9    Neue Generalsekretärin

     10   Interview mit Ursula M. Staudinger ML:
          „Die Alternsforschung braucht das
          Miteinander vieler Disziplinen“

     11   Gesundheitliche Ungleichheit
                                                       @Leopoldina: Folgen Sie uns auf Twitter und
     12   Stellungnahme für G20-Gipfel vorgelegt       werden Sie unsere 10.000ste Followerin oder unser
                                                       10.000ster Follower.
     12   Psychische Gesundheit in Zeiten
          von COVID-19

     13   Bilaterale Kooperationen mit
          Russland und Südkorea                                14
     13   Die Internationale der Nationalisten?

     14   Interview mit Ivan Đikić ML:
          „Braincirculation ist die beste Lösung,
          um Wissenschaftslücken in Europa
          zu schließen“

     15   SILBERSALZ-Konferenz zeigt
          „The Two Faces of Trust“

     15   In eigener Sache: Auszeichnung für
          Presse- und Öffentlichkeitsarbeit            Braindrain und Braingain: Interview mit Ivan
     16   Aufruf für eine Europäische Stiftung         Đikić ML zur Migration junger Wissenschaftlerinnen
                                                       und Wissenschaftler in Europa und weltweit.
     16   Zwischen Papier und Bildschirm

     17   Meldungen

     18   Termine                                      Die Leopoldina in den Sozialen Medien
     20   Personalia

     23   Impressum
Leopoldina aktuell 5/2020
5/2020 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER                                                                                                     3

Editorial

Liebe Mitglieder, Freundinnen und Freunde der Leopoldina,

die Oktober-Ausgabe des Leopoldina-Newsletters widmet sich gewöhnlich
Berichten von der Jahresversammlung. Sie hätte zum Thema „Biodiversi-
tät und die Zukunft der Vielfalt“ stattgefunden. Coronabedingt musste sie
auf September 2021 verschoben werden. Auch der Early Career Award
2020 wird erst dann offiziell ver-
liehen. Den Preisträger haben wir
der Öffentlichkeit aber bereits
vorgestellt: Patrick Weigelt, ein
Biodiversitätsforscher an der Uni-
versität Göttingen, wird mit dem
mit 30.000 Euro dotierten Preis
ausgezeichnet (siehe Seite 9).

Die jährliche Senatssitzung da-
gegen – traditionell am Vorabend
der Jahresversammlung auf dem
Programm – wurde nicht verscho-
ben, sie fand als Hybridveranstal-
tung statt. Dabei wurde Gunnar                                          Prof. (ETHZ) Dr. Gerald Haug, Präsident der Leopoldina
Berg ML nach zehn Jahren enga-                                                                               Foto: David Ausserhofer

gierter Arbeit als Vizepräsident der Leopoldina aus dem Amt verabschiedet.
Sein Nachfolger ist Robert Schlögl ML, der sich bereits in der Vergangen-
heit vielfältig in die wissenschaftsbasierte Politikberatung eingebracht hat,
unter anderem als Sprecher des Akademienprojekts „Energiesysteme der
Zukunft“ (siehe Seite 8f.).

Die Coronavirus-Pandemie prägt weiterhin die Publikationen der Leopoldi-
na. So werden in dieser Ausgabe erneut zwei Ad-hoc-Stellungnahmen zum
Thema vorgestellt: Die fünfte Stellungnahme „Für ein krisenresistentes Bil-
dungssystem“ und die sechste Veröffentlichung der Reihe zu Fragen nach
dem Pandemie-Management im Herbst und Winter (siehe Seite 6f.). Nicht
zuletzt werden Veranstaltungen zur Coronavirus-Pandemie fortgesetzt. So
fand Ende September das internationale virtuelle Podiumsgespräch zum
Thema Pandemie und psychische Gesundheit große Resonanz (siehe Seite
12).

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!
Leopoldina aktuell 5/2020
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Nobelpreis für Physik geht an Leopoldina-
Mitglied Reinhard Genzel
Astrophysiker erhält die Auszeichnung gemeinsam mit der US-amerikanischen Astronomin Andrea Ghez

                                                                                 Fotos: Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Integral | Adobe Stock

Der Astrophysiker Reinhard Genzel ML,       Schwarzen Löchern und Sternen. Um die           der bislang beste empirische Nachweis
Mitglied der Leopoldina, erhält den No-     Struktur und Dynamik solcher Objekte            für die Existenz von Schwarzen Löchern,
belpreis für Physik. Gemeinsam mit der      zu untersuchen, haben Genzel und sein           die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von
US-amerikanischen Astronomin Andrea         Team eine Reihe neuer Beobachtungs-             Albert Einstein im Rahmen der Allgemei-
Ghez wird er für die Entdeckung eines       techniken und Instrumente im Bereich            nen Relativitätstheorie postuliert worden
supermassereichen kompakten Objekts im                                                      waren.
Zentrum unserer Galaxie, der Milchstraße,                                                       Der Präsident der Leopoldina Ge-
                                              „Es freut uns, dass ein
ausgezeichnet. Die beiden teilen sich die                                                   rald Haug ML beglückwünscht Rein-
eine Hälfte des Nobelpreises für Physik,      Leopoldina-Mitglied                           hard Genzel zu dieser höchsten wissen-
die andere Hälfte geht an den britischen      für seine wegweisenden                        schaftlichen Auszeichnung: „Mit dem
Mathematiker und Physiker Roger Penrose       Erkenntnisse                                  Nobelpreis werden in diesem Jahr bahn-
für die Entdeckung, dass schwarze Löcher                                                    brechende Forschungsergebnisse im Be-
                                              gewürdigt wird.“
eine robuste Vorhersage der Allgemeinen                                                     reich der Experimentellen Astrophysik
                                                                     Gerald Haug ML
Relativitätstheorie sind.                                   Präsident der Leopoldina        gewürdigt. Dass ein Leopoldina-Mitglied
                                                                                            für seine wegweisenden wissenschaftli-
                                                                                            chen Erkenntnisse gewürdigt wird, freut

R
        einhard Genzel gilt als einer der   der Infrarot-, Submillimeter- und Milli-        uns umso mehr und zeigt, dass das Harn-
        weltweit führenden Forscher auf     meter-Astronomie entwickelt. So konnte          ack-Prinzip der Max-Planck-Gesellschaft
        dem Gebiet der Infrarot- und        Genzel durch 20 Jahre lange, vielfach           lebt.“ 			                        ■ JK, LQ
Submillimeter-Astronomie. Sein Inte-        preisgekrönte Beobachtung nachweisen,
resse gilt dem Entstehen, der Entwick-      dass im Zentrum unserer Milchstraße ein
lung und den Kernen von Galaxien sowie      Schwarzes Loch von 4,3 Millionen Son-                         Reinhard Genzel
der Entstehung und Entwicklung von          nenmassen existiert. Damit gelang ihm
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5/2020 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER                                                                                                                   5

Nobelpreis für Chemie geht an Leopoldina-
Mitglied Emmanuelle Charpentier
Mikrobiologin erhält die Auszeichnung gemeinsam mit der US-amerikanischen Biochemikerin Jennifer Doudna

                                                                                                 Fotos: Hallbauer&Fioretti, Leigh Prather | Adobe Stock

Emmanuelle Charpentier ML, Mitglied der           Nach dem Studium der Biochemie          Braunschweig. 2014 erhielt sie eine Ale-
Leopoldina seit 2015, wird mit dem Nobel-     und Mikrobiologie und Forschungsauf-        xander von Humboldt-Professur. 2015
preis für Chemie geehrt. Charpentier erhält   enthalten in den USA habilitierte Emma-     bis 2018 war sie Direktorin am Max-
die Auszeichnung für die Entwicklung einer    nuelle Charpentier sich an der Universi-    Planck-Institut für Infektionsbiologie in
Methode für die Genomeditierung. Sie          tät Wien (Österreich) und ging danach       Berlin. Seit 2018 ist Charpentier Grün-
wird gemeinsam mit der Biochemikerin                                                      dungs- und kommissarische Direktorin
und Molekularbiologin Jennifer Doudna                                                     der Max-Planck-Forschungsstelle für die
                                                „Ich freue mich, dass
(Berkeley/USA) gewürdigt.                                                                 Wissenschaft der Pathogene in Berlin.
                                                eine herausragende                            Für ihre wissenschaftlichen Leistun-
                                                Kollegin der Max-                         gen wurde sie mit zahlreichen Preisen

D
         er Präsident der Leopoldina Ge-        Planck-Gesellschaft                       geehrt, darunter die Carus-Medaille der
         rald Haug ML beglückwünscht                                                      Leopoldina 2015, der Leibniz-Preis 2016
                                                geehrt wird.“
         die Mikrobiologin und Bioche-                                                    und der Kavli Prize für Nanowissenschaf-
                                                                        Gerald Haug ML
mikerin zu dieser hohen Auszeichnung:                          Präsident der Leopoldina   ten 2018. Außerdem erhielt sie 2019 den
„Mit dem Nobelpreis werden in diesem                                                      Verdienstorden der Bundesrepublik
Jahr bahnbrechende Erkenntnisse im Be-                                                    Deutschland. Die Leopoldina hat mehr
reich der Genomforschung gewürdigt, mit       an die Umeå Universität (Schweden), wo      als 1.600 Mitglieder, darunter sind nun-
denen große Hoffnungen für die Anwen-         sie nach wie vor eine Gastprofessur inne    mehr 34 Nobelpreisträgerinnen und No-
dung in Medizin, Biotechnologie, Tier-        hat. 2013 bis 2015 war sie Professorin an   belpreisträger. 		               ■ LQ, JK
und Pflanzenzucht verbunden sind. Ich         der Medizinischen Hochschule Hanno-
freue mich, dass mit Emmanuelle Char-         ver und leitete die Abteilung Regulation
pentier eine herausragende Kollegin der       in der Infektionsbiologie am Helmholtz-            Emmanuelle Charpentier
Max-Planck-Gesellschaft geehrt wird.“         Zentrum für Infektionsforschung in
Leopoldina aktuell 5/2020
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Leopoldina appelliert an Bund und Länder:
„Wirksame Regeln für Herbst und Winter“
6. Ad-hoc-Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie verweist auf steigende Infektionszahlen

Die Zahl der Neuinfektionen mit dem
Coronavirus steigt auch in Deutschland
wieder an. Um einer abermals schwer kon-
trollierbaren Entwicklung der Pandemie zu
begegnen, fordert die Leopoldina in ihrer
sechsten Ad-hoc-Stellungnahme zur Coro-
navirus-Pandemie klare und einheitliche
Schutzmaßnahmen für Herbst und Winter.

D
         ie Autorinnen und Autoren wei-
         sen darauf hin, dass sich der An-
         stieg der Infektionen mit SARS-
CoV-2 in anderen europäischen Ländern
wie Frankreich, Spanien, Niederlande
und Österreich oder in Israel bereits
deutlicher zeigt als in Deutschland. Ein
Impfstoff gegen das Coronavirus werde              Das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes gehört zu den einfachen und wirksamen Maßnahmen,
selbst nach optimistischer Einschätzung            die in der Coronavirus-Pandemie weitere Infektionen verhindern können. Foto: snedorez | Adobe Stock
nicht vor dem Frühjahr 2021 in ausrei-
chender Menge verfügbar sein. Auch die
Wirksamkeit medikamentöser Therapien         einheitliche Regeln für die konsequente              greifen. Durch gezielte Testungen je nach
sei bisher begrenzt. Mit der beginnenden     Umsetzung der Schutzmaßnahmen so-                    Infektionsrisiko sowie die Bereitstellung
Erkältungs- und Influenzasaison steige       wie eine transparente Kommunikation                  von laborunabhängigen Testverfahren
zudem die Herausforderung, Erkran-           der Grundlagen, Abläufe und Ziele poli-              solle schneller zwischen einer SARS-
kungen mit ähnlicher Symptomatik von         tischer Entscheidungen“, erläutert Leo-              CoV-2-Infektion und symptomähnlichen
COVID-19 zu unterscheiden.                   poldina-Präsident und Mitautor Gerald                Erkrankungen wie Influenza unterschie-
                                             Haug ML das Anliegen der Ad-hoc-Stel-                den werden können. Labortests könnten
                                             lungnahme.                                           zudem zur Einschätzung der momen-
     „In den nächsten
                                                 Um die Zahl der Infizierten in den               tanen Infektiosität genutzt werden, um
     Wochen braucht es klare                 kommenden Monaten auf niedrigem                      negative Auswirkungen für Einzelne, Fa-
     und einheitliche Regeln                 Niveau zu halten, empfiehlt die Leopoldi-            milienangehörige sowie Wirtschaft und
     sowie eine transparente                 na vor allem die konsequente Einhaltung              Gesellschaft möglichst zu reduzieren.
                                             der Schutzmaßnahmen, schnelle und ge-                    Zudem wird in der Stellungnahme
     Kommunikation.“
                                             zielte Testungen sowie eine Verkürzung               darauf hingewiesen, dass die Bürgerin-
                          Gerald Haug ML
                 Präsident der Leopoldina
                                             der Quarantäne- und Isolationszeiten.                nen und Bürger adressatenspezifisch
                                                 Die Autorinnen und Autoren beto-                 aufbereitetes und barrierefrei zugäng-
                                             nen, dass die AHA-Regeln und ein regel-              liches Wissen benötigten, um sich ent-
    Vor diesem Hintergrund appelliert        mäßiger Luftaustausch in Räumen nach                 sprechend klarer Regeln verhalten zu
die Nationalakademie an die Verant-          wie vor die wichtigsten und wirksamsten              können.			                     ■ JK, DW
wortlichen in Bund und Ländern, sich         Mittel seien, um die Pandemie unter Kon-
rasch auf bundesweit verbindliche, wirk-     trolle zu halten. Mit Blick auf eine mög-
same und einheitliche Regeln für das         liche angespannte Situation im Herbst                          Ad-hoc-Stellungnahme
Inkrafttreten von Vorsorgemaßnahmen          und Winter sollten bundesweit einheit-
                                                                                                            „Coronavirus-Pandemie:
                                                                                                            Wirksame Regeln
zu einigen und letztere konsequenter als     liche Regeln und Eskalationsstufen für
                                                                                                            für Herbst und Winter
bisher um- und durchzusetzen. „In den        Schutzmaßnahmen definiert werden, die
                                                                                                            aufstellen“
nächsten Wochen braucht es klare und         je nach regionalem Infektionsgeschehen
Leopoldina aktuell 5/2020
5/2020 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER                                                                                                                   7

Leopoldina empfiehlt Maßnahmen
„Für ein krisenresistentes Bildungssystem“
5. Ad-hoc-Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie zu Anpassungen im Bildungssystem veröffentlicht

Die Coronavirus-Pandemie und die Maß-
nahmen zu ihrer Eindämmung hatten im
Frühjahr zu umfangreichen Schließungen
von Kindertagesstätten und Schulen ge-
führt. Über mehrere Wochen konnten die
Einrichtungen somit ihrem Bildungs- und
Erziehungsauftrag teils gar nicht oder
nur eingeschränkt nachkommen. Mit der
fünften Ad-hoc-Stellungnahme zur Corona-
virus-Pandemie hat die Leopoldina Anfang
August Empfehlungen „Für ein krisenresis-
tentes Bildungssystem“ vorgelegt.

D
         ie Autorinnen und Autoren der
         Stellungnahme halten ange-
         sichts der anhaltenden Pande-
mie weitere Anpassungen im Bildungs-
system für notwendig. Dabei sei es das             Unterricht in der Schule und Begegnungen untereinander sind für Kinder und Jugendliche auch
vorrangige Ziel, „einen Besuch von Kin-            in der Coronavirus-Pandemie wichtig.                                    Foto: pololia | Adobe Stock

dertageseinrichtungen und Schulen so
durchgängig wie möglich zu erlauben“.
Dafür müsse das Infektionsrisiko redu-       der Stellungnahme. Diese empfiehlt zu-               gung der Pandemie-Folgen in vergleichs-
ziert werden. Empfohlen werden Hygi-         dem Fortbildungen für das Lehrpersonal               weise geringem Umfang für Bildung und
ene- und Infektionsschutzmaßnahmen,          und die technische Unterstützung von                 Erziehung vorgesehen sind. „Es wird re-
systematische Tests auf das Coronavirus,     Schulen.                                             lativ wenig in das Humanvermögen der
die Etablierung fester epidemiologischer                                                          Generation investiert, die einen Teil der
Gruppen sowie die Berücksichtigung der                                                            aufgenommenen Schulden begleichen
besonderen Bedürfnisse von Risikogrup-
                                               „Es wird relativ wenig                             muss“, erläutert Regina T. Riphahn ML,
pen unter Kindern und pädagogischem            in das Humanver-                                   Vizepräsidentin der Leopoldina und
Personal.                                      mögen der Generation                               ebenfalls Mitautorin der Stellungnah-
    Zugleich sind – in Abhängigkeit            investiert, die einen Teil                         me. Aus Sicht der Ökonomin müssen die
vom lokalen Infektionsgeschehen –                                                                 Folgen von Schulschließungen für die
                                               der für die Bewältigung
auch künftig einzelne Schließungen von                                                            Bildungs- und Berufschancen von Kin-
Schulen zu erwarten bzw. mussten in-           der Coronavirus-Pan-                               dern und Jugendlichen untersucht und
zwischen vollzogen werden. Deswegen,           demie aufgenommenen                                Benachteiligungen für einzelne Gruppen
so die Autorinnen und Autoren, seien           Schulden begleichen                                vermieden werden.
Investitionen in ein verlässliches, daten-                                                            Die Stellungnahme richtet sich an
                                               muss.“       Regina T. Riphahn ML
schutzkonformes digitales System für                      Vizepräsidentin der Leopoldina          die verantwortlichen Akteurinnen und
Distanzunterricht als Ergänzung der                                                               Akteure des Bildungswesens, also Minis-
Präsenzlehre erforderlich. Als Beispiel                                                           terien, Landesinstitute, Bildungsträger
hierfür verweist Mitautor Olaf Köller auf        Zugleich macht die Ad-hoc-Stellung-              sowie Kitas und Schulen.        ■ DW, JK
Schul-Clouds mit standardisierter Soft-      nahme, an der Expertinnen und Experten
ware. „Das funktioniert aber nicht ohne      aus Erziehungswissenschaft, Bildungs-
                                                                                                            Ad-hoc-Stellungnahme
pädagogische Konzepte und vor allem          forschung, Fachdidaktik, Psychologie,                          „Coronavirus-Pandemie:
nicht ohne Lehrerinnen und Lehrer, die       Ökonomie, Soziologie, Theologie, Viro-                         Für ein krisenresistentes
auch online unterrichten können“, um-        logie und Medizin beteiligt sind, darauf                       Bildungssystem“
reißt der Bildungsforscher eine Aussage      aufmerksam, dass die Mittel zur Bewälti-
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8                                                                                                                        5/2020 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER

Neue Mitglieder ins Präsidium gewählt und
neue Sektion „Global Health“ gegründet
Senat der Leopoldina tagt turnusgemäß im September / Jahresversammlung auf 2021 verschoben

Traditionell kommt im Vorfeld der Jahres-
versammlung der Leopoldina der Senat zu-
sammen. Während die Jahresversammlung
2020 „Biodiversität und die Zukunft der
Vielfalt“ aufgrund der Corona-Situation auf
2021 verschoben werden musste, konnte
die Senatssitzung am 24. September
in hybrider Form – mit jeweils rund 30
Teilnehmenden vor Ort in Halle und per
Videokonferenz zugeschalteten Personen –
turnusgemäß durchgeführt werden.

D
             er Vorstand der Akademie in-
             formierte die Senatorinnen
             und Senatoren sowie die Gäste
in der Sitzung ausführlich über aktuelle                           Das Präsidium der Nationalen Akademie der Wissenschaften im September 2020 nach der
Entwicklungen in der Leopoldina sowie                              Senatssitzung an der Leopoldina in Halle.                              Foto: David Ausserhofer | Leopoldina

über wichtige Themen aus den Berei-
chen Politik- und Gesellschaftsberatung,
internationale Aktivitäten sowie Presse- Vizepräsidenten folgt Schlögl auf den Frank Rösler ML (Potsdam), der nach
und Öffentlichkeitsarbeit. Zudem wurde Physiker Gunnar Berg ML (Halle), der zwei Amtszeiten als Sekretar der Klasse
der Vorstand für das Haushaltsjahr 2019 nach zwei Amtszeiten nicht erneut ge- IV nicht wiedergewählt werden konnte.
entlastet. Ein Kernelement der diesjäh- wählt werden konnte.                                                                Für eine zweite Amtszeit wurden die
rigen Senatssitzung bildeten die Wahlen                         Ebenfalls neu in das Präsidium ge- Pflanzengenetikerin Ulla Bonas ML (Hal-
von neuen Präsidiumsmitgliedern und wählt wurde Ute Frevert ML (Berlin), le) zur Vizepräsidentin für den Bereich
Ad-personam-Senatorinnen und -Sena- die das Amt der Sekretarin der Klasse der Lebenswissenschaften und der In-
toren.                                                   IV – Geistes-, Sozial- und Verhaltens- formatiker Thomas Lengauer ML (Bonn)
       So wurde Robert Schlögl ML (Berlin) wissenschaften übernehmen wird. Die zum Präsidiumsmitglied gewählt.
zum neuen Vizepräsidenten der Leopol- Historikerin ist Mitglied der Sektion                                                 Ausgeschieden aus dem Präsidium
dina für den                                                                                      Kulturwissen- ist der Medizinhistoriker Heinz Schott
Bereich Mathe-                                                                                    schaften. Als ML (Bonn), der in den vergangenen zehn
matik, Natur-                                                                                     Direktorin des Jahren als Beauftragter des Präsidiums
und Technik-                                                                                      F o r s c h u n g s - für Archiv, Bibliothek und Langzeitvor-
wissenschaften                                                                                    bereichs „Ge- haben für die Leopoldina tätig war.
gewählt. Der                                                                                      schichte        der       Neben den von den Sektionen ge-
Chemiker ist                                                                                      Gefühle“        am wählten Senatorinnen und Senatoren er-
Mitglied          der                                                                             M a x - P l a n c k - weitert sich der Senat satzungsgemäß um
Sektion Che-                                                                                      Institut         für bis zu zehn Personen, die nicht Mitglied
mie und Di-                                                                                       B i l d u n g s - der Leopoldina sein müssen. Von diesen
                        Der Senat der Leopoldina hat Robert Schlögl zum neuen Vize-
rektor            am präsidenten und Ute Frevert zur neuen Sekretarin Klasse IV                   forschung in werden fünf ad personam gewählt. Bei
F r i t z - H a b e r - gewählt.                 Fotos: Markus Scholz | Leopoldina, Arne Sattler Berlin forscht        ihnen handelt es sich um Persönlichkei-
Institut          der                                                                             sie zur Sozial- ten, die Forschungsorganisationen und
Max-Planck-Gesellschaft               in    Berlin. und Kulturgeschichte der Moderne, zur andere wissenschaftliche Einrichtungen
Schwerpunkte seiner Forschung sind die Geschlechtergeschichte sowie zur Neu- in leitender Stellung vertreten.
heterogene Katalyse und Materialien für eren Politikgeschichte. Im Präsidium der                                            In den vergangenen vier Jahren
Energiespeicherkonzepte. Im Amt des Leopoldina folgt sie auf den Psychologen übernahmen Nikolaus von Bomhard
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5/2020 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER                                                                                                                  9

(München), Uta Frith ML (London/UK),                 EARLY CAREER AWARD FÜR BIODIVERSITÄTSFORSCHER
Ursula Gather (Essen), Renate Köcher
(Allensbach) und Birgitta Wolff (Frank-
furt (Main)) diese Funktion. Sie alle
konnten einmalig für weitere vier Jahre
in diese Position wiedergewählt werden.
Uta Frith verzichtete aus Altersgründen
auf eine erneute Kandidatur. Auf sie
folgt nun Georg Schütte (Hannover), seit
2020 Generalsekretär der Volkswagen-
Stiftung und zuvor von 2009 bis 2019
Staatssekretär im Bundesministerium
für Bildung und Forschung. Die weiteren
Ad-personam-Senatorinnen und -Sena-
toren wurden mit großer Mehrheit vom
                                                Patrick Weigelt untersucht die Pflanzenvielfalt auf Inseln – wie hier bei einer Exkursion mit
Senat wiedergewählt.
                                                Studierenden auf Teneriffa. Für seine Forschungen zur Biogeographie erhält er den diesjähri-
     Der Senat entschied auch darüber,          gen „Leopoldina Early Career Award“. Den Biodiversitätsforscher fasziniert, wie sich Inselflo-
die Regelung zur Nicht-Anrechnung von           ren im Laufe der Zeit verändern. Er möchte verstehen, wie der Mensch, etwa durch den Klima-
Wissenschaftlerinnen auf das Zuwahl-            wandel, dazu beiträgt, dass sich Pflanzen auch außerhalb ihrer Ursprungsgebiete verbreiten.
potenzial der Klassen bis 2025 zu verlän-       Zudem wird der Nachwuchswissenschaftler der Universität Göttingen für die Entwicklung
gern. Diese Vereinbarung wurde erstmals         von Datenbanken ausgezeichnet. Diese umfassen Angaben zur regionalen Flora, zu Pflanzen-
im Jahr 2005 für fünf Jahre vom Senat           eigenschaften sowie zu den Gegebenheiten vor Ort. Damit liefert er eine wertvolle Ressource
getroffen und bereits 2010 und 2015 um          für die Forschung auf diesem Gebiet. Die Auszeichnung wird von der Commerzbank-Stiftung
jeweils fünf Jahre verlängert. Das Vorge-       gefördert und ist mit 30.000 Euro dotiert. Der Preis wird 2021 zur Jahresversammlung der
hen wirkt sich positiv auf den Anteil von       Leopoldina „Biodiversität und die Zukunft der Vielfalt“ übergeben.        ■ VB/Foto: Holger Kreft
Wissenschaftlerinnen an der Mitglied-
schaft der Akademie aus und wurde aus
diesem Grund erneut befürwortet.
     Der Senat stimmte ebenso der Grün-
dung und Etablierung der neuen Leopol-       Neue Generalsekretärin
dina-Sektion „Global Health“ zu. Diese ist
der Klasse III – Medizin zugeordnet und
soll künftig Wissenschaftlerinnen und        Die Nationale Akademie der Wissenschaf-               Stationen gehören die Projektförderung
Wissenschaftler aus den Fachgebieten         ten hat eine neue Generalsekretärin. Die              beim Deutschen Zentrum für Luft- und
Public Health, Global Health, Gesund-        Wissenschaftsmanagerin Franziska Hornig               Raumfahrt in Bonn, das Grants Office am
heitsökonomie, Gesundheitsinformatik,        übernimmt die Position von Jutta Schnitzer-           Institut für Molekulare Biologie in Mainz,
Biomathematik, Biometrie, Umweltme-          Ungefug, die nach 20 Jahren an der Spitze             die Leitung der Forschungsförderung
dizin, Gesundheitspsychologie, Gesund-       der Geschäftsstelle in den Ruhestand geht.            an der Universitätsmedizin Mainz sowie
heitskommunikation, Medizinsoziologie,                                                             die Verwaltungsleitung am Max-Planck-
Ernährungsmedizin, Medizinethik sowie
aus weiteren thematisch relevanten Be-
reichen umfassen.
                                             F   ranziska
                                                 Hornig
                                             studierte Be-
                                                                                                   Institut für Polymerforschung in Mainz.
                                                                                                       Ihre Vorgängerin, die Neurobiologin
                                                                                                   Jutta Schnitzer-Ungefug, war seit 2000
     Abschließend informierte der Vor-       triebswirt-                                           Generalsekretärin der Leopoldina. Sie
stand der Leopoldina über den Stand der      schaftslehre                                          begleitete den Ausbau der Geschäftsstelle
Vorbereitungen für die Jahresversamm-        an der Hoch-                                          nach der Ernennung zur Nationalen Aka-
lung 2021, die vom 24. bis 25. September     schule Osna-                                          demie der Wissenschaften 2008. Ein gro-
2021 zum – ursprünglich für 2020 vorge-      brück sowie an                                        ßes Vorhaben war die Sanierung des his-
sehenen – Thema „Biodiversität und die       der Ajou Uni-                                         torischen Gebäudes auf dem Jägerberg
Zukunft der Vielfalt“ in Halle stattfinden   versität in Su-    Foto: Markus Scholz | Leopoldina   als neues Hauptgebäude in Halle.
wird.			                        ■ JB, ART    won/Südkorea.                                             Die Generalsekretärin unterstützt den
                                             Anschließend spezialisierte sie sich an               Vorstand bei den laufenden Geschäften,
                                             der Deutschen Universität für Verwal-                 ihr sind die Geschäftsstelle und die ad-
        Präsidium der Leopoldina             tungswissenschaften Speyer auf Wissen-                ministrativen Belange der Abteilungen
                                             schaftsmanagement. Zu ihren beruflichen               zugeordnet.		                    ■ JK, CW
Leopoldina aktuell 5/2020
10                                                                                                              5/2020 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER

„Die Alternsforschung braucht das
Miteinander vieler Disziplinen“
Leopoldina-Mitglied Ursula M. Staudinger über die Zukunft der Alterns- und Lebensverlaufsforschung

Lebenszeit und Lebensqualität eines jeden Menschen lassen sich beeinflussen. Welche Faktoren und Bedingungen dabei eine Rolle spielen, wie sich beispiels-
weise das Leben in einer Großstadt auswirkt, ist eines der Themen von Alterns- und Lebensverlaufsforschung.                     Foto: Franz Pfluegl | Adobe Stock

Am 24. November stellt die Leopoldina                  grundlegend Menschen ihr Leben mitge-                  aneinanderreihen und welche Auswir-
den Zukunftsreport „Forschung für die ge-              stalten, wie das Altern verläuft, und des-             kungen solche Verläufe haben. Aber auch,
wonnenen Jahre. Zukunft der Alterns- und               halb müssen wir mehr darüber wissen,                   wie wir dazu beitragen können, dass eine
Lebensverlaufsforschung in Deutschland“                wie sich gesellschaftlicher Wandel und                 erhöhte durchschnittliche Lebenserwar-
öffentlich vor. Ursula M. Staudinger ML,               Umweltveränderungen sowie Verände-                     tung nicht mehr Umweltressourcen ver-
eine der international führenden Forsche-              rungen im Erleben und Verhalten der                    braucht. Die Erkenntnisse betreffen also
rinnen auf dem Gebiet der Alternswissen-               Menschen auf den Lebensverlauf, das                    die Zukunft unseres Landes und die jeder
schaft, hatte die Federführung für dessen              Wohlbefinden und auf die Gesundheit                    Bürgerin und jedes Bürgers.
Erarbeitung inne.                                      der Menschen auswirken.
                                                                                                              Der Zukunftsreport „Forschung für die
                                                       Welche Fragen dieser Forschung betref-                 gewonnenen Jahre“ befasst sich damit,
Warum brauchen wir überhaupt die                       fen denn mich persönlich?                              wie es um diese Forschung in Deutsch-
Alterns- und Lebensverlaufsforschung?                  Staudinger: Die grundsätzliche Frage                   land steht. Wie lautet Ihr Fazit?
Ursula M. Staudinger: Weil mehr                        ist natürlich: Wie kann ich länger leben?              Staudinger: Der Hauptbefund ist, dass
Menschen älter als je zuvor werden und                 Und dann geht es darum: Wie kann ich                   die Forschung über die relevanten Dis-
das unser Leben tiefgreifend verändert.                länger gut leben? Wann müssen die Wei-                 ziplinen sehr ungleich gefördert wird.
Die durchschnittliche Lebenserwar-                     chen gestellt werden für ein erfolgreiches             Altern entsteht aus der Wechselwirkung
tung ist in den letzten 150 Jahren um                  Berufsleben oder für Gesundheit im Al-                 zwischen Biologie, Lebensstilen und so-
40 Jahre gestiegen. Dadurch wandeln                    ter? Kann ich mit 50 Jahren noch das Ru-               ziokulturellem Kontext. Um diesem Feld
sich Erwerbstätigkeit, Gesundheit, Bil-                der herumwerfen? Alterns- und Lebens-                  gerecht zu werden, braucht man eine
dung, Familienbeziehungen, aber auch                   verlaufsforschung untersucht auch, wie                 breit aufgestellte Interdisziplinarität,
Kultur und politisches Engagement.                     sich Bildung, Weiterbildung und berufli-               man muss Disziplinen zusammenführen
Die gewonnenen Jahre illustrieren, wie                 che Abschnitte in einem längeren Leben                 – und das wird bisher nicht genügend
5/2020 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER                                                                                                  11

unterstützt. Es gibt eine starke Förde-          gesellschaftlich Weichen gestellt werden      Gesundheitliche
rung der medizinischen Forschung und             können, um dazu beizutragen, dass mög-        Ungleichheit
der Forschung zu technologischen Assis-          lichst viele Menschen gesund, zufrieden
tenzsystemen für das Alter. Aber wichtige        und produktiv altern können.
                                                                                               17. Leopoldina-Lecture widmet sich
Felder wie soziologische Lebensverlaufs-
                                                                                               Ursachen und Prävention
forschung, sozialhistorische, ökonomi-           Der Report wurde von der Wissenschaft-

                                                                                               D
sche, politikwissenschaftliche Forschung         lichen Kommission „Demografischer                       ie zweite Herrenhausen-Lec-
oder auch Regionalforschung und Erfor-           Wandel“ erstellt. Warum ist gerade die                  ture der Leopoldina in die-
schung des Erlebens und Verhaltens wer-          Leopoldina prädestiniert, sich mit die-                 sem Jahr befasst sich mit
den vernachlässigt.                              sem Thema zu befassen?                        dem Thema „Verlorene Jahre – Hin-
                                                 Staudinger: Weil sie in einzigartiger         tergründe und Folgen gesundheit-
                                                 Weise alle Wissenschaftsfelder unter ei-      licher Ungleichheit“. Eröffnet wird
                                                 nem Dach vereint – und dabei die Besten       der Abend am 20. Oktober durch den
                                                 des jeweiligen Feldes bei sich versammelt     Generalsekretär der VolkswagenStif-
                                                 und zudem keine eigenen Interessen ver-       tung, Georg Schütte, und den Präsi-
                                                 treten muss. Diese Breite der Interdis-       denten der Leopoldina, Gerald Haug
                                                 ziplinarität gepaart mit Exzellenz und        ML. Im Mittelpunkt stehen Unter-
                                                 Neutralität finden Sie in keiner anderen      schiede in der Lebenserwartung, die
                                                 Wissenschaftsinstitution in Deutschland.      weder durch genetische noch durch
                                                 Für die Alternsforschung ist das eine idea-   biographische, sondern durch wirt-
                                                 le Voraussetzung, um Lösungsvorschläge        schaftliche und soziale Faktoren be-
                                                 für gesellschaftliche Fragen zu erarbeiten    dingt sind.
                                                 und wie im Falle des Zukunftsreports auch         Die Umweltmedizinerin Barbara
                                                 eine Bestandsaufnahme der Forschungs-         Hoffmann und der Medizinsoziologe
  Ursula M. Staudinger ML                        lage in Deutschland vorzunehmen. Der          Johannes Siegrist, beide lehren an der
  Rektorin der Technischen Universität           demografische Wandel ist eine der großen      Universität Düsseldorf, werfen mit
  Dresden und langjährige Sprecherin             gesellschaftlichen Herausforderungen der      ihren Beiträgen einen differenzierten
  der Wissenschaftlichen Kommission              nächsten Jahrzehnte, das ist eine Dauer-      Blick auf die Hintergründe gesund-
  „Demografischer Wandel“ an der Leo-            aufgabe für die Nationale Akademie.           heitlicher Ungleichheit in Deutsch-
  poldina. Ihre Forschung gilt der Ver-                          ■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE         land und diskutieren Möglichkeiten
  änderbarkeit des Alternsprozesses und                                 CHRISTINE WERNER       der Prävention.
  dessen Folgen für den demografischen                                                             In den vergangenen Jahrzehnten
  Wandel.                  Foto: Michael Frank                                                 ist die Lebenserwartung kontinuier-
                                                           PRÄSENTATION                        lich gestiegen. Gründe dafür sind un-
                                                          AM 24. NOVEMBER                      ter anderem sozial- und arbeitspoliti-
Also wird die gesamtgesellschaftliche                                                          sche Verbesserungen und der Zugang
Bedeutung dieser Forschung nicht ge-               Welche Forschung kann uns helfen, die       der Bevölkerung zu einem leistungs-
sehen?                                             Herausforderungen des längeren Lebens       fähigen Gesundheitssystem. Davon
Staudinger: Ja, leider. Die Forschungs-            und des demografischen Wandels zu be-       profitieren jedoch nicht alle Men-
                                                   wältigen? Wie steht Deutschland hier im
förderung richtet sich an einem primär                                                         schen gleichermaßen, die Differenz in
                                                   Vergleich zu anderen forschungsstarken
defizitorientierten Bild des Alterns aus.                                                      der Lebenserwartung zwischen armen
                                                   Ländern da? In einem multidisziplinären
Der Fokus liegt darauf, Krankheiten zu                                                         und reichen Menschen beträgt bis zu
                                                   Überblick zu Forschungsthemen und
heilen und durch technische Unterstüt-             -förderung beantwortet der Leopoldina-      zehn Jahre. Dabei ist die soziale und
zung Defizite auszugleichen. Darin wird            Zukunftsreport „Forschung für die ge-       wirtschaftliche Lage am stärksten mit
im Moment der gesellschaftliche Wert               wonnenen Jahre“ diese Fragen und gibt       den durchschnittlichen Unterschie-
der Alternsforschung gesehen. Aber                 Empfehlungen, wie die Förderung inno-       den in der Lebensdauer assoziiert.
nicht alles, was mit dem Altern passiert,          vativer und zukunftsweisender Alterns-          Moderiert wird der Abend von
ist Krankheit. Es gibt Veränderungen im            forschung in Deutschland weiterentwi-       Tobias Armbrüster, Journalist beim
Lebensverlauf im Denken, Fühlen, Wol-              ckelt werden kann. Vorgestellt wird der     Deutschlandfunk. Eine Anmeldung ist
len und Handeln, die wir untersuchen               Zukunftsreport im Rahmen einer Zoom-        erforderlich.		                  ■ LD
müssen, um die biopsychosozialen Ent-              Konferenz am 24. November.

stehungsbedingungen und die Konse-                          Information und
                                                                                                      Leopoldina-Lecture
quenzen zu kennen. Solches Wissen bil-                      Anmeldung
                                                                                                      „Verlorene Jahre“
det dann eine der Voraussetzungen, dass
12                                                                                                5/2020 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER

Stellungnahme für
G20-Gipfel vorgelegt
                                          Psychische Gesundheit
Potenziale der internationalen
Zusammenarbeit nutzen
                                          in Zeiten von COVID-19
                                          Virtuelle Gesprächsreihe „Leopoldina International“ fortgesetzt

D     ie Nati-
      onalen
Akademien
der Wissen-
schaften der
G20-Staaten
haben      am
26. Septem-
ber ihre ge-
meinsame Stellungnahme „Foresight:
Science for Navigating Critical Transi-
tions“ für den diesjährigen G20-Gipfel
vorgestellt und an die saudi-arabische
G20-Präsidentschaft übergeben.
    Die Akademien betonen die Her-               Weltweit leidet auch die psychische Gesundheit der Menschen unter den Belastungen der
ausforderungen für die globale wirt-             COVID-19-Pandemie.                                                         Foto: jiris | AdobeStock

schaftliche, ökologische und gesell-
schaftliche Stabilität, die sich durch
die Coronavirus-Pandemie noch ver-        Die virtuelle, englischsprachige Gesprächs-           demie zu den Hauptverursachern der
stärkt hätten. Wissenschaft könne         reihe „Leopoldina International“ greift               globalen Krankheitslast. „Da wesentliche
helfen, diese zu meistern und kritische   aktuelle Themen zur COVID-19-Pandemie                 Risikofaktoren für psychische Störungen
globale Übergänge besser zu bewälti-      auf. Nach der Premiere des neuen Formats              wie Angst, Stress und soziale Verwerfun-
gen. Besondere Priorität hätten in        zum Thema Kontaktverfolgung mit Apps                  gen durch die aktuelle Pandemie und die
diesem Zusammenhang Gesundheits-          im Juli fand im September die zweite Ver-             getroffenen Gegenmaßnahmen stark zu-
fragen, der nachhaltige Umgang mit        anstaltung statt, die sich der psychischen            nehmen, ist auch mit einer akuten und
der Umwelt sowie die Digitalisierung.     Gesundheit der Bevölkerung widmete.                   längerfristigen Zunahme psychischer
In diesen Kernbereichen gelte es, vor-                                                          Störungen zu rechnen“, erläuterte die
ausschauend zu handeln, um Risiken
frühzeitig zu erkennen, gegenzusteu-
ern und Potenziale durch internatio-
                                          W      eltweit konfrontiert die COVID-
                                                 19-Pandemie viele Menschen mit
                                          Ängsten, Sorgen und Unsicherheiten.
                                                                                                Psychiaterin. „Es muss uns deshalb allen
                                                                                                ein Anliegen sein, dem rechtzeitig und
                                                                                                gezielt entgegenzuwirken.“
nale Zusammenarbeit zu nutzen.            Dies kann die finanzielle Situation, sozia-               Die internationale Runde, an der
    Die wissenschaftsbasierte Be-         le Kontakte oder das körperliche Wohl-                Andreas Heinz ML als Vertreter der
ratung der G20-Staats- und Regie-         befinden betreffen – und ein Ende die-                Leopoldina teilnahm, unterstrich dieses
rungschefinnen und -chefs ist eine der    ser Ausnahmesituation ist konkret noch                Anliegen und sah weltweit einen ho-
strategischen Hauptaufgaben in der        nicht absehbar. Welche Auswirkungen                   hen Handlungsbedarf. Dass dieser nicht
internationalen Zusammenarbeit der        hat die Pandemie auf die psychische Ge-               leicht zu decken ist, zeigte die Diskussion
Leo­poldina. Der Science20-Prozess        sundheit von Menschen?                                zu Gesundheitssystemen. So übersteige
wurde 2017 im Rahmen der deutschen            Die Leopoldina und die Südafrikani-               der Bedarf an professioneller Beratung
G20-Präsidentschaft etabliert und         sche Akademie der Wissenschaften orga-                und Unterstützung das Angebot bei Wei-
erstmals von der Leopoldina feder-        nisierten am 28. September die virtuelle              tem. Das Panel befasste sich zudem mit
führend koordiniert. 2021 übernimmt       Podiumsdiskussion „The Hidden Crisis:                 medizinischen Aspekten der psychischen
Italien den Vorsitz der G20.    ■ CHW     Mental Health in Times of COVID-19“,                  Gesundheit, öffentlichen Schutzmaßnah-
                                          um diese Fragestellung mit Expertinnen                men, Handlungsoptionen sowie der Poli-
                                          und Experten aus Deutschland, Südafri-                tik- und Gesellschaftsberatung.       ■ JN
        G20-Stellungnahme 2020
                                          ka, Spanien und Nigeria zu diskutieren.
        „Foresight:
                                              Für Marcella Rietschel ML, Modera-
        Science for Navigating                                                                            Virtual Panel Discussion
        Critical Transitions“             torin des Panels, zählten psychische Stö-
                                                                                                          „The Hidden Crisis“
                                          rungen bereits vor der COVID-19-Pan-
5/2020 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER                                                                                                                            13

Bilaterale Kooperationen                                                                                       Die Internationale
                                                                                                               der Nationalisten?
mit Russland und Südkorea                                                                                      Europa-Debatte von Leopoldina und
                                                                                                               Institut für Wirtschaftsforschung Halle
Leopoldina unterstützt wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit

Die Basis für die bilaterale Kooperation               wirklichung dieses Vorhabens zur Nach-
in Wissenschaft und Forschung zwischen                 wuchsförderung zu ermöglichen. Ange-
Deutschland und seinen Partnerländern                  sichts der derzeit äußerst angespannten
bildet häufig ein zwischenstaatliches Ab-              politischen Situation sind die Heraus-
kommen zur wissenschaftlich-technologi-                forderungen hierbei nicht geringer ge-
schen Zusammenarbeit (WTZ). In diesem                  worden.
Sommer fanden WTZ-Sitzungen mit Russ-                                                           Ebenso
land und Südkorea statt, bei denen Ergeb-                                                   unter Einbin-
nisse der Zusammenarbeit sowie Pläne für                                                    dung der Leo-
deren Fortführung besprochen wurden. Die                                                    poldina fand
Leopoldina spielte bei beiden Treffen eine                                                  am 23. Juni
aktive Rolle.                                                                               die      sechste                      Illustration: Pixabay © Elionas2

                                                                                            WTZ-Sitzung

A    m       25.
                                                                                                               T
                                                                 Foto: Olkesii | AdobeStock mit Südkorea            rotz aller Erfolge ist die europäi-
          Juni                                                                              statt, aufgrund         sche Integration in weiten Teilen
fand die jähr-                                         der COVID-19-Pandemie als Videokon-                     der Gesellschaft nicht populär. Aktuel-
liche Sitzung                                          ferenz. Die Leopoldina stellte bei dieser               le populistische Strömungen plädieren
der Gemisch-                                           Gelegenheit ihre seit 2012 bestehende                   zumeist für eine Rückbesinnung auf
ten Deutsch-                                           strategische Partnerschaft mit der Ko-                  das Nationale und verstärken die Eu-
Russischen                                             reanischen Akademie der Wissenschaf-                    ropa-Skepsis. Vor diesem Hintergrund
WTZ-Kom-                  Foto: Olkesii | AdobeStock   ten (KAST) vor und berichtete von ge-                   veranstalten das Leibniz-Institut für
mission      mit                                       meinsamen Aktivitäten zur Förderung                     Wirtschaftsforschung Halle (IWH)
über 130 Teilnehmerinnen und Teilneh-                  des wissenschaftlichen Austauschs. Auch                 und die Leopoldina seit vorigem Jahr
mern virtuell statt. Die Diskussion folgte             wenn das für Februar 2020 in Seoul/Süd-                 gemeinsame „Europa-Debatten“. In
der „Deutsch-russischen Roadmap für                    korea geplante Symposium „Künstliche                    diesen setzen sich profilierte Persön-
die Zusammenarbeit in Bildung, Wissen-                 Intelligenz“ verschoben werden musste,                  lichkeiten aus Wissenschaft und Poli-
schaft, Forschung und Innovation“, die                 bestand in den vergangenen Monaten                      tik mit zentralen europapolitischen
Ende 2018 unterzeichnet worden war.                    ein intensiver Austausch mit der KAST                   Themen kontrovers auseinander.
     Die russische Seite betonte, die Zu-              zu medizinischen und gesellschaftlichen                     Am 15. Oktober steht die Fra-
sammenarbeit in Wissenschaft und Bil-                  Auswirkungen der Pandemie.                              ge „Populistische Strömungen – Wo
dung mit Deutschland intensivieren und                     Wesentliche Ziele der WTZ-Abkom-                    kommen sie her und wie kann ihnen
vertiefen zu wollen, auch während der                  men sind der Ausbau bilateraler Bezie-                  begegnet werden?“ im Mittelpunkt.
COVID-19-Pandemie. So wurden Vor-
­                                                      hungen, der Zugang zu interessanten                     Debattieren werden die Linguistin
schläge diskutiert, um die Schwerpunkte                Forschungsregionen und die Beteiligung                  Ruth Wodak, Lancaster University
der Roadmap zu erweitern. Hierbei stan-                an internationalen Forschungsprogram-                   (UK), und der Politikwissenschaftler
den insbesondere die Quanten-, Wasser-                 men. Deutschland unterhält solche Ab-                   Werner J. Patzelt, Technische Univer-
stoff-, Hirn-, Klima- und Künstliche-In-               kommen mit annähernd 50 Staaten,                        sität Dresden.
telligenz-Forschung im Fokus.                          darunter viele Länder mit strategischer                     Die Europa-Debatte wird im Live-
     Auch wurde die Gründung eines bi-                 Bedeutung für die Leopoldina.                           stream über den Youtube-Kanal der
lateralen Koordinierungsrates für jun-                                                           ■ LB, CHW     Leopoldina übertragen. Die persönli-
ge Menschen aus Wissenschaft und                                                                               che Teilnahme ist ausschließlich nach
Wirtschaft unter Federführung der                                                                              bestätigter Anmeldung möglich. ■ ART
Leopoldina als Teil der Roadmap er-
­                                                        Bilaterale Partnerschaft
örtert. Hier wurden deutlich die admi-
                                                                 Russland                                              Anmeldung
nistrativ-finanziellen Engpässe auf rus-
                                                                                                                       europa-debatte@
sischer Seite thematisiert und der Wille                         Südkorea                                              leopoldina.org
beider Seiten betont, eine zeitnahe Ver-
14                                                                                                    5/2020 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER

„Braincirculation ist die beste Lösung, um
Wissenschaftslücken in Europa zu schließen“
Leopoldina-Mitglied Ivan Đikić über Migration von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern

Das diesjährige EuroScience Open Forum
(ESOF) in Triest/Italien widmete sich auch
der Migration von hoch qualifizierten
Personen und dem Gleichgewicht zwischen
Braindrain und Braingain aus europäischer
und internationaler Sicht. Ivan Đikić ML,
der deutsche Vertreter in der gemeinsam
von der Leopoldina und Wissenschaftsaka-
demien aus Israel, Italien, Frankreich und
Polen organisierten Podiumsdiskussion,
spricht über die Debatte und seine eigenen
Erfahrungen.

Könnten Sie Ihre akademische Laufbahn
kurz zusammenfassen?
Ivan Đikić: Meine Laufbahn ist von Dy-
                                                    Leopoldina-Mitglied Ivan Đikić kennt die Vor- und Nachteile von Braincirculation aus eigener
namik und Migration geprägt. Ich habe               Erfahrung. Derzeit forscht der Biochemiker zu molekularen Ursachen von Krankheiten in
in Zagreb/Kroatien studiert, meine PhD-             Frankfurt (Main).					                                                Foto: LEAP Summit Croatia 2019

und Postdoc-Phase in New York/USA ab-
solviert, eine unabhängige Forschungs-
gruppe in Uppsala/Schweden gegründet         darauf ausrichten, abgewanderte Talente                rung von Braincirculation, aber wir benö-
und kam dann nach Frankfurt (Main),          zurückzuholen und somit neues Wissen                   tigen mehr effektive Maßnahmen.
um eine Professur an der Goethe-Uni-         und neue Technologien zu importieren.
versität anzutreten. Ich war außerdem in                                                            Wie kann die Lücke geschlossen werden?
Labor-Außenstellen in Split/Kroatien des     Braincirculation wird meist dreifach als               Đikić: Länder, die Diversität und kul-
Biotechnologieunternehmens Genentech         Gewinn gesehen: für die Migrantinnen                   turelle Unterschiede befürworten, in
San Francisco/USA und des Max-Planck-        und Migranten, für die Herkunftsländer                 Wissenschaft und Technologien investie-
Instituts für Biophysik in Frankfurt         und für die Zielländer. Was ist so attrak-             ren und in denen sich Menschen sicher
(Main) tätig.                                tiv an diesem Konzept?                                 fühlen, sind normalerweise besonders
                                             Đikić: Meiner Meinung nach ist Brain-                  attraktiv. Deshalb sind beispielswei-
Angesichts dieser vielen Stationen, wie      circulation die beste Lösung, um Wis-                  se Deutschland, Skandinavien oder das
schätzen Sie Braindrain ein?                 senschaftslücken in Europa zu schließen.               Vereinigte Königreich sehr beliebt. Ein
Đikić: Die Migration von hoch qualifi-       Das Konzept ist in der wissenschaftlichen              Netzwerk aus talentierten Menschen,
zierten Personen ist oft mit wirtschaftli-   Gemeinschaft tief verankert, die Koope-                die durch multinationale Projekte mitei-
chen Verlusten – bekannt als Braindrain      ration von Teams aus verschiedenen Län-                nander verbunden sind, wäre eine große
– für die Herkunftsländer verbunden. Wir     dern ist ein wesentlicher Bestandteil un-              Bereicherung für Europa. Alle Länder
müssen jedoch unterscheiden: Migration       serer Forschung. Häufig entscheiden sich               können solche Netzwerke oder Konsor-
und Internationalisierung sind wichti-       junge Wissenschaftlerinnen und Wissen-                 tien nutzen, um neue wissenschaftliche
ge Bestandteile einer Karriere. Denn so      schaftler, für ein paar Jahre in ein anderes           Brücken zu bauen. Sowohl die Länder
können Menschen ihr Wissen verbreiten,       Land zu ziehen, um sich weiterzuentwi-                 als auch die Wissenschaftlerinnen und
neue Fähigkeiten erlernen und von Erfah-     ckeln. Dabei haben die Herkunftsländer                 Wissenschaftler sollten erkennen, dass es
rungen anderer profitieren. Doch obwohl      zahlreiche Möglichkeiten, sie zurückzu-                sinnvoll ist, die durch Europa gebotenen
Braindrain derzeit ein sehr ernstes Pro-     holen und einen Technologietransfer zu                 Möglichkeiten voll auszuschöpfen und
blem für ost- und südeuropäische Länder      fördern. In Zeiten von COVID-19 zählen                 selbst neue Möglichkeiten zu schaffen.
ist, kann er zum Braingain werden. Um        dazu auch virtuelle Programme. Diese
das zu erreichen, müssen betroffene Län-     Menschen sind die Zukunft ihrer Länder.                                    ■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE
der ihre Investitionen und Programme         Es gibt bereits EU-Programme zur Förde-                                            LUCIAN BRUJAN
5/2020 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER                                                                                                                              15

SILBERSALZ-Konferenz zeigt                                                                                   In eigener Sache

                                                                                                             Auszeichnung für Presse-
„The Two Faces of Trust“                                                                                     und Öffentlichkeitsarbeit
Leopoldina ist Gastgeberin des Treffens von Wissenschaft und Medien

                                                                                                             Team der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
                                                                                                             Leopoldina.         Foto: Christof Rieken | Leopoldina

      Leopoldina-Mitglied Antje Boetius anlässlich der Vorstellung des SILBERSALZ-Festivals 2020. Zur
      Konferenz am 17. Oktober spricht sie über Methode und Kultur der Wissenschaft. Foto: Joachim Blobel
                                                                                                             D     ie Abteilung Presse- und Öffent-
                                                                                                                   lichkeitsarbeit der Leopoldina
                                                                                                             wird in diesem Jahr mit dem gemein-
                                                                                                             samen Kommunikatorenpreis des
Das internationale Wissenschafts- und Me-            für einen gerechten Klimawandel und die                 Blogs „Wissenschaft kommuniziert“
dienfestival SILBERSALZ in Halle findet in           Lehren aus der Coronavirus-Krise.                       ausgezeichnet. Mit der Wahl, zu der
diesem Jahr vom 14. bis 18. Oktober statt.               Der Vorsitzenden des elfköpfigen                    700 Wissenschafts- und Medizinjour-
Als Kooperationspartnerin des Festivals              Kuratoriums des SILBERSALZ-Festi-                       nalisten in Deutschland, Österreich
unterstützt die Leopoldina die wissen-               vals liegt es am Herzen, Methode und                    und der Schweiz aufgerufen waren,
schaftliche Konferenz am 17. Oktober.                Kultur der Wissenschaft zu kommuni-                     wird die Arbeit der Abteilung insbe-
Unter dem Motto „The Two Faces of Trust“             zieren. „Wie nähern wir uns Wirklichkeit                sondere in Zeiten der Coronavirus-
widmet sich diese der Rolle des öffent-              und Wahrheiten? Wie geht man mit Un-                    Pandemie gewürdigt.
lichen Vertrauens in die Wissenschaft und            sicherheiten um? Wie funktioniert Viel-                     Die Leopoldina hat sich früh und
in die Medien.                                       stimmigkeit in der Wissenschaft? Wie                    regelmäßig in Ad-hoc-Stellungnah-
                                                     wichtig ist es gerade in der Forschung,                 men zur Pandemie geäußert. Der Be-

I  n seiner Begrüßung wird Leopoldina-
   Präsident Gerald Haug ML auf den
Einfluss eingehen, den Institutionen wie
                                                     die ja dazu da ist, Neues zu finden und
                                                     zu denken, dass Erkenntnis nicht immer
                                                     Mehrheiten hat, sondern von einzelnen
                                                                                                             kanntheitsgrad der Akademie erhöhte
                                                                                                             sich damit schlagartig. Die Abteilung
                                                                                                             machte intensive Erfahrungen mit der
die Leopoldina auf das öffentliche Ver-              Stimmen vertreten wird, die gehört und                  Risiko- und Krisenkommunikation
trauen in die Wissenschaft haben. Neben              geprüft werden wollen?“, fragt Boetius.                 und mit der Dynamik der Sozialen Me-
Fachleuten aus der Medienwelt gehören                Zudem betont sie, dass die Konferenz                    dien. „Das war ein Gemeinschaftswerk
Jürgen Renn ML (Max-Planck-Institut                  vor allem „von der Interaktion zwischen                 und hat uns zusammengeschweißt“,
für Wissenschaftsgeschichte, Berlin) und             Wissenschaft und den Medien lebt, de-                   sagt Caroline Wichmann zu der Wahl.
Antje Boetius ML (Alfred-Wegener-Insti-              ren Kommunikation Vertrauensräume                       Caroline Wichmann ist diplomierte
tut, Bremerhaven) zu den Vortragenden                braucht, um der Gesellschaft und ihrer                  Verwaltungswirtin, Kulturmanagerin
aus der Wissenschaftswelt.                           Entwicklung zu dienen“.                                 und Politikwissenschaftlerin und ver-
    In seinem Vortrag setzt der Histori-                 Auf der Konferenz können nicht nur                  antwortet seit 2009 die Presse- und
ker Renn die Geschichte des Vertrauens               Wissenschaft und Medien ins Gespräch                    Öffentlichkeitsarbeit der Leopoldina.
in die Wissenschaft mit der Entwicklung              kommen. Ebenso sind alle Interessierten                     Es ist bereits das dritte Mal, dass
autonomer und effizienter Wissensöko-                angesprochen, sich über eine Online-                    Wichmann mit ihrem Team zur For-
nomien in Verbindung. Die Meeresbio-                 Plattform mit den Vortragenden auszu-                   schungssprecherin des Jahres in der
login Boetius spricht über die Zukunft               tauschen. 		                       ■ LQ                 Kategorie      „Forschungsorganisatio-
des menschlichen Lebens auf unserem                                                                          nen, -administration und Stiftungen“
Planeten und thematisiert die Debatten                         SILBERSALZ-Konferenz                          gewählt wurde. Die Auszeichnung
über die wissenschaftsbasierte Risikobe-                       „The Two Faces of Trust“                      wird jährlich in drei Kategorien ver-
wertung, die Kraft der Zusammenarbeit                                                                        geben.			                       ■ RED
16                                                                                                      5/2020 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER

         AUFRUF FÜR EINE
       EUROPÄISCHE STIFTUNG
                                                 Zwischen Papier
   Im Juni riefen 76 prominente Wissen-          und Bildschirm
   schaftlerinnen und Wissenschaftler, da-
   runter zehn Mitglieder der Leopoldina,
                                                 350 Jahre wissenschaftliches Publizieren an der Leopoldina
   aus 16 europäischen Ländern zur Grün-
   dung einer philanthropischen „Europäi-
   schen Stiftung“ (European Foundation
   for the Prevention of Environmental and
   Health Crises) auf.

         VON ULLA BONAS ML
        UND ROLAND LILL ML*

   Ziel dieser Stiftung ist eine regierungsun-
   abhängige und wissenschaftsgestützte
   Reaktion auf zentrale gesellschaftliche
   Herausforderungen wie die derzeitige
   Coronavirus-Pandemie, die Klimakrise,
   Welternährungsprobleme und Fragen
   der zukünftigen Energiepolitik. Die Euro-            Die Schriftenreihen der Leopoldina reichen von den „Miscellanea curiosa“ über die „Nova Acta“
   päische Stiftung soll politikunabhängig              und „Acta Historica Leopoldina“ bis zum Open-Access-Journal „NAL-live“.          Fotos: Leopoldina

   rationale Analysen der zukünftigen glo-
   balen    Herausforderungen     erarbeiten
   sowie wissenschaftsgetriebene Lösungs-        In diesem Jahr jährt sich zum 350. Mal                Band der „Miscellanea curiosa“ von 1670
   ansätze anbieten. Die Unterzeichnenden        die Gründung der ersten medizinisch-na-               begleitet eine Einladung zur Mitarbeit an
   des Aufrufs haben die „Bill-and-Melinda-      turwissenschaftlichen Zeitschrift der Welt            die Ärzte Europas – gewissermaßen die
   Gates Stiftung“ als Vorbild, streben ein      „Miscellanea curiosa“ durch den Breslauer             Geburtsurkunde der ersten medizinisch-
   Stiftungsvolumen von 20 Milliarden Euro       Arzt Sachs von Lewenhaimb. Das Jubiläum               naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift.
   an und weisen darauf hin, dass Europa         ist für die Leopoldina Anlass für Rückblick               Anders als heutige Wissenschafts-
   im Vergleich zu den USA nur circa ein         und Vorausschau zugleich.                             journale erschien die „Miscellanea“ bis
   Drittel an privatem Stiftungsaufkommen                                                              zum Ende des 18. Jahrhunderts nur ein-
   aufbringt. Die Partnerschaft zwischen
   europäischen Philanthropen und der
   unabhängigen Wissenschaft könnte, ge-
                                                 D     ie Gründer der „Academia Naturae
                                                       Curiosorum“ um Johann Lauren-
                                                 tius Bausch erwarteten 1652 eine Wei-
                                                                                                       mal jährlich in Latein. Später wurden
                                                                                                       längere Abhandlungen gedruckt, deren
                                                                                                       Publikation etwa wegen der Tabellen und
   rade in Zeiten größerer Rivalitäten zwi-      terentwicklung der Medizin aus der Na-                Abbildungen für Autoren und Verleger
   schen den kontinentalen Machtblöcken,         turforschung. Wollten die Naturforscher               ohne die Akademie zu aufwendig gewe-
   ohne bürokratische Hindernisse, allein        zunächst aus umfassenden Monografien                  sen wäre. In der zweiten Hälfte des 20.
   durch Entscheidung des Stiftungsrats,         eine Enzyklopädie der Heilmittel erstel-              Jahrhunderts kam dann die Dokumen-
   auf neue gesellschaftliche Herausforde-       len, so lieferte Sachs von Lewenhaimb                 tation der wissenschaftlichen Veranstal-
   rungen reagieren, um die Forschung zu         mit seiner „Ampelographia“ 1661 den                   tungen der Leopoldina hinzu.
   Gesundheit und Umwelt zu fördern und          ersten Band, der den Vorgaben der Aka-                    Die Akademieschriften wurden und
   innovative Unternehmen sozialverträg-         demie entsprach. In einer Zeit umfäng-                werden bis heute den wissenschaftlichen
   lich zu unterstützen. Ein Erfolg der Euro-    licher Gelehrtenbriefe und langwieriger               Entwicklungen angepasst. Aktuell be-
   päischen Stiftung wäre ein deutliches         Postwege ließ sich das Projekt in seiner              schreitet die Leopoldina, insbesondere
   Zeichen der Solidarität und gesellschaft-     Fülle jedoch kaum auf diese Weise um-                 mit dem Open-Access-Journal NAL-live,
   lichen Tatkraft zur Stärkung von Europa.      setzen.                                               neue Wege und beteiligt sich erneut an
   * Ulla Bonas, Vizepräsidentin der Leo-            Sachs plante daher regelmäßige                    der Modernisierung des wissenschaftli-
   poldina, und Roland Lill, Mitglied der        Schriften nach Vorbildern aus England                 chen Publikationswesens.           ■ RG
   Leopoldina, gehören zu den Unter-             und Frankreich. Diese Miscellaneen soll-
   zeichnenden des Aufrufs.                      ten auf Beiträge aus der Medizin und
                                                 verwandten Gebieten wie Botanik, Ana-                           Wissenschaftliche
           European Foundation                   tomie, Pathologie, Chirurgie, Zoologie                          Zeitschriften
                                                 und Chemie begrenzt werden. Den ersten
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