Ein Hauch von Den Haag - Haben zwei Ruander von Deutschland aus Massaker im Ost-Kongo gesteuert? Hoher Erwartungsdruck befrachtet das erste ...
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JEAN CHUNG / WPN / AEGENTUR FOCUS Vergewaltigungsopfer im Ost-Kongo: Einer der blutigsten Konflikte der Erde JUSTIZ Ein Hauch von Den Haag Haben zwei Ruander von Deutschland aus Massaker im Ost-Kongo gesteuert? Hoher Erwartungs- druck befrachtet das erste Verfahren nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch. Doch der Ehrgeiz der Bundesanwaltschaft ist bislang größer als die Qualität der Beweise. Von Beate Lakotta m Tag, als Dr. Ignace Murwana- Ost-Kongo gesteuert: Mord, Folter, Brand- scher Bedeutung, der erste nach dem deut- A shyaka in Stuttgart zum ersten Mal vor seine Richter tritt, trägt er ein fliederfarbenes Hemd, Jeans und stiftung, Massenvergewaltigung, Rekru- tierung von Kindersoldaten, alles per SMS, Telefon oder E-Mail. Ein monströ- schen Völkerstrafgesetzbuch, das 2002 in Kraft trat. Danach können hiesige Gerichte nach dem Weltrechtsprinzip Völkermörder eine Nickelbrille, die ihn aussehen lässt ser, rätselhafter Charakter und eine na- und Kriegsverbrecher verfolgen, egal wo wie einen Pennäler. Er hebt seine Hände hezu unglaubliche Geschichte über die sie ihre Taten begangen haben. Bislang in Handschellen lächelnd zum Gruß, hin- Kriegführung in einer vernetzten Welt. nahm Deutschland in der Geschichte des über zu den Zuschauern. Es ist ein staats- Es las sich wie ein Tatsachenbericht. modernen Völkerstrafrechts mit den Nürn- männisches Winken. Seit Jahren hatten Menschenrechtler und berger Prozessen ein frühes Kapitel ein, Murwanashyaka, 48, Präsident der Journalisten Indizien gegen die FDLR und allerdings auf der Anklagebank. „Demokratischen Kräfte zur Befreiung ihre Führer gesammelt, Murwanashyaka Nun betrete man juristisches Neuland, Ruandas“ (FDLR), schickt einen forschen- und seinen Mitangeklagten Straton Musoni, sagt Oberstaatsanwalt Christian Ritscher, den Blick ins Publikum. Es sind mehr den FDLR-Vizepräsidenten. Den deutschen es klingt beinahe feierlich – der Geist von Pressevertreter und Fotografen gekom- Behörden wurde vorgehalten, die Warlords Den Haag in Stuttgart. men als Landsleute. aus Baden-Württemberg unbehelligt zu las- Doch ausgerechnet in diesem Parade- Für die Abgesandten der Menschen- sen, obwohl sogar der Uno-Sicherheitsrat verfahren, das weiß Ritscher längst, ist die rechtsgruppen im Saal des Oberlandesge- in New York gemahnt hatte, die Hutu- Beweislage keineswegs so klar, wie es die richts zählt dieser 4. Mai 2011 schon jetzt Rebellenführer vor Gericht zu stellen. Ent- Weltöffentlichkeit gern hätte. Es geht um als guter Tag für die Weltgerechtigkeit. sprechendes Lob kam aus dem In- und Aus- Verbrechen, die rund 6000 Kilometer ent- In den Zeitungen war, so oder ähnlich, land, als sie im November 2009 verhaftet fernt begangen wurden, in einer fremden, zu lesen, Dr. Ignace Murwanashyaka aus wurden. Seither sitzen die beiden in Stutt- unverständlich brutalen Lebenswelt. An Ruanda, seit 22 Jahren wohnhaft in gart-Stammheim, Isolationshaft. verlässliche Informationen ist kaum zu ge- Deutschland, zuletzt in Mannheim, habe Das Interesse am Ausgang des Verfah- langen. Hier die Miliz aus dem afrikani- mit dem Fahrrad seinen Sohn in den Kin- rens ist groß, nicht nur in New York und schen Urwald, dort die deutsche Justiz – dergarten gebracht, zur heiligen Jungfrau Zentralafrika, sondern überall, wo Tribu- jeder spricht seinen Code; unmöglich, gebetet und anschließend aus seiner Woh- nale derzeit Kriegsgräuel aufarbeiten. Für auch nur sicher zu sein, ob immer das nung im Bahnhofsviertel Terrortrupps im Deutschland ist es ein Prozess von histori- Richtige verstanden und übersetzt wurde. 36 D E R S P I E G E L 3 5 / 2 0 1 1
Deutschland Kibua, Kipopo, Mianga, Butolonga, Bu- Kämpfern, Kindersoldaten, Überleben- surungi – als der Staatsanwalt am ersten den von Massakern. Laut den Statuten Verhandlungstag die Anklageschrift ver- der FDLR ist der Präsident nicht nur po- liest, wird es still im Saal. Es sind die Na- litischer Repräsentant, er ist auch der men der Dörfer, in denen die FDLR ge- Oberbefehlshaber des militärischen Arms wütet haben soll. Es geht um konkrete der FDLR – derzeit etwa 3000 Kämpfer. Vorfälle zwischen Januar 2008 und No- Aber waren die beiden wirklich die vember 2009, um Gerechtigkeit für 214 großen Befehlsgeber? Getötete, 15 Vergewaltigungsopfer und 6 Angeklagt jedenfalls sind sie nicht als Fälle von Kindersoldaten. Erschlagene, aktiv handelnde Täter, sondern als Vor- erschossene, mit Macheten zerhackte gesetzte. Sie hätten es als „militärische Dorfbewohner, Schwangere, denen der Befehlshaber unterlassen“, ihre Unterge- Bauch aufgeschlitzt wurde. benen an Kriegsverbrechen zu hindern. Die Opferzeugen, die im Kongo ver- Die Vorgesetztenverantwortlichkeit gilt nommen wurden, sind in der Anklage- im Völkerstrafrecht als eine Art Rettungs- schrift zu ihrem Schutz durchnummeriert, anker, wenn Beweise für eine direkte Tä- Z1 bis Z10. Zeugin Z6 stießen Kämpfer terschaft fehlen. Dafür sind die Anforde- ein Bajonett in den Oberschenkel. Dann rungen an einen Schuldspruch hoch. Es vergewaltigten sie die Frau und ihre 13- reicht nicht, formell der Militärchef zu jährige Tochter vor den Augen ihres ge- sein. Der Vorgesetzte muss auch die „tat- DANIEL MAURER / DDP IMAGES / DAPD fesselten Mannes und verschleppten die sächliche Führungsgewalt und die Kon- Familie in die Wildnis. Mann und Tochter trolle“ über seine Truppen haben. „Er sind seither verschwunden, Zeugin Z6 muss rechtzeitig um die konkreten Ver- wurde als Sexsklavin gehalten. brechen gewusst oder wenigstens eine Im Publikum fließen Tränen. Aber der grobe Vorstellung davon gehabt haben“, Präsident scheint all das kaum zu hören. sagt der Völkerstrafrechtler Thomas Wei- Er trägt einen Rosenkranz um den Hals, gend. „Und er musste die Möglichkeit ha- einen zweiten hält er in den Händen. ben, die Taten zu verhindern, notfalls ge- Während der Staatsanwalt die Anklage- Angeklagter Murwanashyaka gen den Willen seiner Kämpfer.“ schrift verliest, bewegt er stumm seine „Ich weiß ganz genau, was passiert“ Das muss ihm der Staatsanwalt nach- Lippen. Er betet nahezu ununterbrochen. weisen. In seiner roten Robe sprüht Rit- Eine halbe Stunde braucht Ritscher, um Schon einmal, 2007, musste die Bun- scher vor Willen und Ehrgeiz, aber nach alle Taten zu benennen: Kriegsverbre- desanwaltschaft die Ermittlungen gegen 23 Verhandlungstagen liefert die Beweis- chen in 39 Fällen, Verbrechen gegen die Murwanashyaka einstellen, aus Mangel aufnahme noch keine Kontur. Stattdes- Menschlichkeit in 26 Fällen und Mitglied- an Beweisen. Doch dann prahlte der Ru- sen illustriert das Verfahren das heikle schaft in einer ausländischen terroristi- ander 2008 in einem ARD-Interview: Verhältnis von Politik und Völkerstraf- schen Vereinigung lautet die Anklage. „Die FDLR ist eine Organisation, die recht. Höchststrafe: lebenslänglich. straff organisiert ist. Ich bin der Präsident Murwanashyakas Verteidigerin Ricarda Die vier Verteidiger des Präsidenten dieser Organisation. Ich weiß ganz genau, Lang sagt, ihr Mandant sei kein Rebell und seines Vize geben eine Erklärung ab: was passiert.“ oder Terrorist, er sehe sich als Staats- Es sei ein politischer Prozess, zustande- Auf dieses Interview stützt sich jetzt mann, quasi auf Augenhöhe mit dem gekommen auf internationalen Druck die Anklage, auf Berichte von Menschen- Bundespräsidenten. Murwanashyaka be- und ohne ausreichende Beweise, gewollt rechtsgruppen und Uno-Experten und auf zeichnet sich als Führer der ruandischen von der Bundesregierung und der Regie- eigene Nachforschungen. Ein Jahr lang Opposition. Seit 2001 ist er FDLR-Präsi- rung Ruandas. Sie fordern Freispruch. überwachte das Bundeskriminalamt (BKA) dent. Er fordert Demokratie und Rechts- Murwanashyaka kam 1989 nach den E-Mail-, SMS- und Telefonverkehr staatlichkeit und die Achtung der Men- Deutschland, studierte mit einem Stipen- der Verdächtigen. Mehrmals waren deut- schenrechte in Ruanda. Die FDLR führe dium der katholischen Kirche Volkswirt- sche Ermittler nach Ruanda und in den einen legitimen Befreiungskampf, ihre schaft, schrieb eine Doktorarbeit über Kongo gereist, auch Ritscher war zweimal Disziplinarordnung verbiete bei Strafe Währungsfragen. Den Völkermord in Ru- dort. Sie sprachen mit ehemaligen FDLR- Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung. anda 1994 erlebte er aus der Ferne. Große Sämtliche Vorwürfe gingen auf Propagan- Teile seiner Familie sollen dabei umge- da der Gegner zurück. kommen sein. Im Jahr 2000 wurde er als 5 Über Millionen Tote Der Präsident schrieb Briefe an George Asylberechtigter anerkannt. Er hat zwei forderte seit 1996 der W. Bush und Uno-Generalsekretär Ban Söhne von zwei deutschen Frauen. Sie Bürgerkrieg im Kongo. Ki Moon, er forderte eine politische Lö- leben getrennt, aber er verbringt viel Zeit sung des Kivu-Konfliktes. Nie erhielt er mit seinem zweiten Sohn. In seiner Kir- DEMOKRATISCHE eine Antwort. Auch an Horst Köhler chengemeinde ist er beliebt, begleitet schrieb er einen Brief. 2008 protestierte eine alte Dame zum Gottesdienst. In den Provinz er darin gegen die Einladung zum Staats- letzten Jahren lebt der Präsident von Nord- besuch an den „größten Verbrecher Afri- Hartz IV. Er ist zu sehr mit der FDLR be- REPUBLIK kas“, Ruandas Präsidenten Paul Kagame. Kivu UGA NDA schäftigt, um Geld zu verdienen. Bald darauf trat Kagame in Berlin mit Sein Mitangeklagter Straton Musoni Kibua der Kanzlerin vor die Presse. Angela Mer- galt als vorbildlich integriert. Verheiratet KON GO kel lobte die freundschaftlichen Bezie- RUA N DA mit einer Deutschen, zwei Kinder, gern- hungen, Kagame nutzte die Gelegenheit, gesehener Gast bei Grillfesten. Für ein Busurungi Kivu- um auf Maßnahmen gegen Murwanashya- TA NSA NIA Computerunternehmen wartete er zu- See ka zu pochen. letzt die PC des baden-württembergi- 100 km B URUNDI Die Ankläger sehen in den Kommuni- schen Justizministeriums. qués des Präsidenten pure Heuchelei. Die D E R S P I E G E L 3 5 / 2 0 1 1 37
Deutschland Verteidiger sprechen von „Siegerjustiz“. „einen entscheidenden Beitrag zur Stabi- Martin Ngoga einen Besuch abgestattet. Das Gericht hat für den Anfang einen lisierung des Ost-Kongo“. Aber ist das Ngoga half gern bei der Suche nach Zeu- Politikwissenschaftler aus Berlin geladen, die Aufgabe der deutschen Justiz? gen. Das war nicht selbstverständlich. er soll die Historie des ruandischen Kon- Staatsanwalt Ritscher sagt, dies sei nicht Denn zuvor hatte Ngoga von Deutsch- flikts erklären: Eine Landkarte hängt ne- die Frage. Es gehe nicht um Politik, son- land verlangt, Murwanashyaka nach Ru- ben dem Richtertisch, sie zeigt Ruanda, dern um Gerechtigkeit für die Zivilbevöl- anda auszuliefern. Doch das Oberlandes- Burundi und die Demokratische Republik kerung im Kongo. Doch die deutsche Jus- gericht Karlsruhe lehnte dies ab: Er könne Kongo. Gorillas, Gold, Diamanten und tiz greift – gewollt oder getrieben – in ei- dort nicht mit einem fairen Verfahren Erze birgt der Urwald um die Großen nen laufenden Bürgerkrieg ein, das ist ihr rechnen; Entlastungszeugen müssten Seen. Über eine Million ruandische Hutu, Dilemma. Die Verteidiger lassen keine Ge- „Einschüchterungen, Bedrohungen, Fol- darunter bewaffnete Milizionäre, flüch- legenheit aus, in dieser Wunde zu bohren: ter, Festnahme und Tötung“ fürchten. teten dorthin, nachdem 1994 in Ruanda „Die Bundesanwaltschaft macht sich zum Ritscher wiederum ist auf Zeugen aus erst ein Hutu-Mob in wenigen Tagen Hun- Handlanger des ruandischen Unrechts- Ruanda angewiesen. Aber wie glaub- derttausende Tutsi ermordete und an- regimes“, erklärt Ricarda Lang, „ich nen- würdig sind Zeugen, die die ruandische schließend die Tutsi-Armee Kagames ein ne das Aufstandsbekämpfung mit den Mit- Regierung aus Lagern und Gefängnissen Blutbad unter den Hutu anrichtete. Seit- teln des Strafrechts.“ Die Strafverfolger heranschafft, damit sie gegen den Staats- feind Nummer eins aussagen? Für die Verteidiger eine Grundsatzfra- ge – eine weitere, die in diesem Verfahren kaum zu lösen sein dürfte. Der Chef der Ermittlergruppe des BKA soll dazu eine Einschätzung geben. Kriminaloberkom- missar P., ein hagerer Mann, nervös, im beigen Sommeranzug, wirkt hilflos. Im Camp Mutobo, einer Art Umerziehungs- lager für ehemalige FDLR-Kämpfer, habe ihnen der Lagerleiter Gesprächspartner empfohlen. Die Zeugen hätten nicht ein- geschüchtert oder manipuliert gewirkt. Ansonsten hätten die Deutschen vorab eine Liste mit Wunschzeugen übermittelt. Diese hätten ihnen die ruandischen Stel- MARKUS SCHREIBER / AP len dann „zugeführt“. Wie sie denn die Identität der Zeugen vor Ort überprüft hätten, wollen die Verteidiger wissen. Man hätte ihnen ja irgendjemanden vorsetzen können. Das Präsident Kagame, Kanzlerin Merkel 2008: „Beitrag zur Stabilisierung des Ost-Kongo“ sei ein Problem gewesen, räumt der Be- amte ein. Viele hätten keine Papiere ge- her ist Kagame der vom Westen geschätz- bedienten sich bei ihren Ermittlungen der habt oder provisorische, ausgestellt von te Präsident in Ruanda, und die FDLR „Mithilfe eines Folterstaates“, ätzt Muso- den ruandischen Behörden. Ein weiteres hat sich mit den Hutu-Flüchtlingen auf nis Verteidiger Jan Bockemühl. Problem: Die Vernehmungen existieren Dauer im Ost-Kongo eingerichtet, auf ei- Mal gibt Ritscher rot vor Ärger zurück, fast alle nur noch in einer deutschen nem Gebiet, größer als Ruanda. die Verteidigung betreibe „Hutu-Propa- Übersetzung. Was tatsächlich gesprochen Dort wurde sie zum Akteur in einem ganda“, mal rollen die Bundesanwälte wurde, kann niemand mehr nachvoll- der blutigsten Konflikte der Erde mit bis- nur entnervt mit den Augen und tun so, ziehen. lang über fünf Millionen Toten. Er dreht als agiere die Weltjustiz im luftleeren „Warum haben Sie nicht alles auf Video sich um Macht und Rohstoffe, staatliche Raum und Ruanda sei ein Staat wie aufgezeichnet?“, will Verteidiger Bocke- Armeen, und Dutzende Milizen aller Frankreich oder Dänemark. mühl wissen. Nachbarländer sind in ihn verwickelt. Aber so ist es natürlich nicht, und das Der Beamte wirkt gequält: „Wir hatten Die mächtigsten Beteiligten haben sich macht ihnen die Beweisführung schwer. schon zu viel Gepäck, und man bekam jedoch auf die FDLR als Haupthindernis Die Verteidiger erheben den Vorwurf, dort keine Videokassetten.“ für den Frieden geeinigt; die Uno wirft die ruandische Regierung habe Zeugen „Videokassetten!“, schäumt Bockemühl. ihr vor, die Zivilbevölkerung zu terrori- manipuliert und sich eingemischt, indem „Hat das BKA keine Digitalkamera?“ sieren. Allerdings führen sich alle bewaff- sie regimetreue Dolmetscher auswählte. Eine Panne, peinlich, zumal nicht si- neten Kräfte dort, auch die staatlichen Ritscher hält das für paranoid: „Was Sie cher ist, ob auch nur ein Zeuge aus Afrika Armeen Kongos und Ruandas, wie Ter- reden, hört sich an wie ein Spionage- vor dem Oberlandesgericht erscheinen rororganisationen auf. Sie plündern Erz- roman.“ Aber auch er hat in der Zeitung wird. Nicht auszudenken, wenn etwa ein minen, morden, vergewaltigen, brennen gelesen, dass Kagame die letzten Wahlen Ex-Milizionär aus einem ruandischen Ge- Dörfer nieder. mit 93 Prozent der Stimmen gewonnen fängnis hier Asyl beantragen würde. Man Doch als sich die Präsidenten Ruandas hat. Es gibt in Ruanda sieben Prozent könnte ihn kaum zurückschicken. und Kongos 2009 zu einer Militäroffensi- Wirtschaftswachstum, befahrbare Straßen Ersatzweise könnte das Gericht nach ve gegen die FDLR verbünden, stellen ih- und eine neue Mittelschicht, aber regel- Ruanda reisen oder die Zeugen mittels nen die Vereinten Nationen eine Blau- mäßig verschwinden kritische Journalis- Video-Konferenz vernehmen, aber bis da- helmtruppe zur Unterstützung. ten und Oppositionelle im Gefängnis. hin wird es Herbst werden, mindestens. Für die Uno kam das Stuttgarter Ver- Amnesty International spricht von einem Noch arbeitet der Senat unter dem Vor- fahren gegen die FDLR-Führer zur rech- „Klima der Angst“. sitzenden Jürgen Hettich die Ergebnisse ten Zeit, ihr Generalsekretär Ban Ki Bei seiner ersten Reise hatte Ritscher der Telekommunikationsüberwachung Moon lobte Deutschland, es leiste damit dem ruandischen Generalstaatsanwalt ab, allein 38 Leitzordner. Es hieß, hier 38 D E R S P I E G E L 3 5 / 2 0 1 1
Deutschland Für diese Arbeit wurde der Journalist mit einem Menschenrechtspreis geehrt. Viele schrieben von ihm ab. Nur: War es wirklich so? In den Ermittlungsakten ist ein Treffen von Ritscher mit dem Chef der Uno-Ex- pertengruppe, Dinesh Mahtani, festgehal- ten. Auch er soll noch als Zeuge in Stutt- gart erscheinen. Der fragliche Befehl, er- klärte Mahtani, datiere vom März 2009. Erteilt habe ihn der Oberkommandieren- de der FDLR im Kongo, Generalmajor Mudacumura. Doch die Befehle, meint Mahtani, stammten oft aus Deutschland. „Können Sie uns sagen, von welchen Telefonanschlüssen Murwanashyaka mit ANDREW MCCONNELL / AGENTUR FOCUS Mudacumura in diesem Zusammenhang telefoniert hat?“, fragen die Ermittler. „Die Nummer lautet: 491 766 203 72 46.“ Der Anschluss wurde vom BKA abge- hört. Aber da ist nichts. Den Abhörprotokollen zufolge ist der Präsident in den Tagen von Busurungi mit dem Schreiben von Presseerklärun- FDLR-Kämpfer im Kongo: Leere Akkus gen beschäftigt. Er geht mit seinem Sohn zum Fußballspielen. Am Tag des Massa- halte die Anklage ihre stärksten Trümpfe metzeln mindestens 96 Zivilisten nieder, kers ruft er die beiden Mütter seiner Kin- in der Hand. Doch je mehr E-Mails verle- hacken einer Frau einen Arm ab, einer an- der an und grüßt sie zum Muttertag. Er sen und Telefonate mit der scharfen, ho- deren einen Teil der Brust. redet über Freizeitgestaltung, den Kauf hen Stimme des Präsidenten vorgespielt Luftbilder zeigen den Ort danach als eines Brotes, ein Sommerfest. werden, desto weniger mag man der Ein- Trümmerfeld – aus Sicht der Ankläger Tage später begrüßt ihn General Mu- schätzung folgen. das Ergebnis einer Strategie, zu der sys- dacumura am Telefon mit den Worten: Der Präsident sendet Gebetspläne und tematische Racheakte an der Zivilbevöl- „Wir haben lange nicht gesprochen.“ eine Osterbotschaft an die „Abacunguzi“, kerung gehören. Murwanashyaka müsse Einen Monat später berichtet der Ge- „Befreier“, wie sich die FDLR-Kämpfer sie zu verantworten haben. neral, Uno-Mitarbeiter wollten Nachfor- nennen: „Freunde, seid demütig. Sich be- Die Bundesanwaltschaft will dazu ei- schungen zu Busurungi anstellen. Da er- reichern soll nicht eure Eigenschaft sein, nen Journalisten als Zeugen laden: Mar- wägen die beiden, den Uno-Leuten einen sondern die Liebe zum Nächsten.“ Der kus Frenzel. Er hatte das TV-Interview als Bauern verkleideten FDLR-Kommis- mutmaßliche Menschheitsverbrecher – geführt und mit seinen Berichten die Er- sar als Zeugen zu präsentieren. ein Moralapostel? Oder steckt ein gehei- mittler elektrisiert: „Präsident Murwana- Eine vorherige Kenntnis der Angriffs- mer Code dahinter? shyaka gibt detaillierte Befehle für grau- pläne durch Dr. Murwanashyaka sei je- „Man muss immer wieder den Abacun- same Verbrechen“, dies hätten die Ver- doch nicht zu belegen, bewerten BKA- guzi sagen, dass sie Disziplin haben sol- einten Nationen herausgefunden, textete Beamte das Überwachungsergebnis. Aus len. Sie sollen nicht die Bevölkerung quä- er. „Im Mai 2009“, so Frenzel später, dem Kongo habe er „geschönte“ Berichte len“, weist er einen Kommandeur an. „schickt er einen klaren Befehl an seinen erhalten, in denen Angriffe auf zivile Op- „Keine minderjährigen Soldaten“, fordert General im Kongo: ,Richte eine humani- fer nicht vorkamen. Im gesamten Zeit- er, „keine Vergewaltigungen, keine Miss- täre Katastrophe unter der Zivilbevölke- raum seien keine direkten militärischen bräuche“, sonst gelte man in den Medien rung an.‘“ Bald darauf sei Busurungi in Anweisungen von den Beschuldigten an als „Krimineller höchster Ebene“. Flammen aufgegangen. die FDLR gegangen. Das „Management des Krieges“, Im November 2009 durchsuchen Poli- schreibt er einmal, nehme ihm „viel Zeit“. zisten in der Hoffnung auf einen Durch- Kaum ist der Satz vorgetragen, gibt es bruch Murwanashyakas kleine Wohnung. Streit um die Übersetzung: Heißt es Auf die Beamten macht sie einen „ärmli- „Krieg“, „Kampf“ oder „unsere Sache“? chen und verwohnten Eindruck“, bis auf Kinyaruanda ist eine Sprache, in der jedes einen Altar, den der Präsident mit fri- Wort viele Bedeutungen hat, jeder im schen Blumen schmückt. Sie finden die Saal interpretiert nach seinem Weltbild. drei abgehörten Handys, drei Laptops Von zentraler Bedeutung für die Ankla- und vier Satellitentelefone, deren Num- ge ist der Angriff auf Busurungi, denn er mern das BKA nicht dechiffrieren und lässt sich der FDLR klar zuordnen. Das ist deshalb nicht abhören konnte – Lücken nicht oft so, denn die vielen Milizen tragen in der Überwachung. Die Beamten mut- keine einheitlichen Uniformen. Hier aber maßen, auf diesem Wege könnten Befeh- DANIEL MAURER / DAPD belegen mehrere Quellen den Vorfall nach le erteilt worden sein. Aber eine Lücke dem typischen Muster dieses Krieges: Zu- ist kein Beweis. vor hatte die kongolesische Armee ein Religiöse Schriften liegen herum, Bitt- Massaker in einem FDLR-nahen Dorf an- briefe, Fotos, auf denen der Präsident zu gerichtet. Am 10. Mai um zwei Uhr mor- sehen ist, wie er im roten T-Shirt seine gens übt die FDLR in Busurungi Vergel- Oberstaatsanwalt Ritscher Einheiten abschreitet. Mehrmals besuchte tung. Sie setzen über 700 Häuser in Brand, „Wir betreten juristisches Neuland“ er seine Truppen im Kongo. Tagelang 40 D E R S P I E G E L 3 5 / 2 0 1 1
musste er dafür durch den Urwald mar- schieren. Seine Leute empfingen ihn mit militärischen Ehren, Kinder sangen, er hielt seine Reden, die vom baldigen Sieg und der Jungfrau Maria handelten. Nichts, was reichen würde, um den Prä- sidenten als Kriegsverbrecher zu überfüh- ren. Denn dazu braucht die Bundesan- waltschaft Beweise für seine „unum- schränkte Autorität“ über seine Truppen. Diejenigen, die das bezeugen könnten, sind die ehemaligen FDLR-Milizionäre, denen Ritscher und die BKA-Leute in Ruanda schon einmal gegenübersaßen. Doch folgt man den Protokollen aus der Ermittlungsakte, hielten viele die Autori- tät des Präsidenten für Fassade. Der oberste Führer der FDLR? Ja, be- stätigen alle einhellig, das sei Murwana- shyaka, der Präsident. Ob er denn Befehle habe geben kön- nen, wollten die Deutschen wissen. „Ja, das ist doch logisch. Wenn er der Präsi- CHRISTIAN THIEL / DER SPIEGEL dent ist, ist er die Nummer eins“, antwor- tet ein einfacher Fußsoldat. Wie denn seine Befehle gelautet hät- ten? „Zum Beispiel hat er gesagt, die Leu- te sollten für den Krieg beten.“ Doch je höher die militärischen Dienst- grade der Zeugen, desto weniger Macht FDP-Landtagskandidat Bohl: Zauber der Demokratie schreiben sie den fernen Zivilisten an der Spitze zu: „Er ist doch nur ein Politiker. bern ein paar Fragen, auch Bohl wird an KARRI EREN Er hat von den schlimmen Sachen nicht einen der weißen Plastikstehtische geru- alles gehört.“ Der Präsident sei als intel- lektuelles Aushängeschild auserwählt worden, sagt ein ehemaliger Brigadekom- Übungen in fen. Er kandidiert im Wahlkreis Nordwest- mecklenburg II. Er sagt, dass er Landwirt sei und dass in einem agrarisch geprägten mandeur, „er hat keine militärische Macht“. Operationen wie die von Busu- rungi, so Zeugen, seien teils ohne Befehl von oben durchgeführt worden, schon Vergeblichkeit Land wie Mecklenburg-Vorpommern ein aktiver Landwirt im Parlament sitzen soll- te. Dann setzt er sich wieder. Die Geschichte Daniel Bohls ist die ei- Der FDP-Politiker Daniel Bohl weil die Befehlskette oft tagelang durch nes Politikers, wie er in den Medien sel- leere Handyakkus unterbrochen war. führt einen redlichen Wahlkampf ten vorkommt. Sie spielt in muffigen Und Straton Musoni, der mitangeklag- in Mecklenburg-Vorpommern. Gaststätten vor wenigen Zuhörern. In ihr te Vizepräsident? Hatte wohl mehr mit Aber er hat keine Chance. Weil gibt es keine flammenden Reden, es wird seinem Computergeschäft und Ehepro- Politik so ist, wie sie ist. nicht die Welt gerettet, auch nicht der blemen zu tun als mit der FDLR. Die Euro. Es geht um Ausgleichszahlungen meisten haben seinen Namen nie gehört. Falls Daniel Bohl sich noch Illusionen für Landwirte, um Schulen, die zu wenig Der Präsident und sein Stellvertreter gemacht hat, dann hat er sie an diesem Geld haben, und um Menschen, die von sind klein von Statur. Die Aktenberge Tag in Neubrandenburg endgültig verlo- ihrem Einkommen nicht leben können. auf den Tischen ihrer Verteidiger überra- ren. Bohl steht in einem in die Jahre ge- Die Geschichte handelt vom mühsa- gen sie. Gern wüsste man, was sie denken kommenen Hotel für Handelsvertreter, men Alltag der Demokratie, von Men- über ihre moralische und politische Mit- er guckt noch einmal auf seinen Notiz- schen, die sich engagieren, weil sie Dinge verantwortung für das, was geschah. zettel, gleich muss er sich vorstellen. Die verändern wollen. So gesehen, ist es eine In einer Vernehmung im ersten Ermitt- FDP eröffnet den Landtagswahlkampf. optimistische Geschichte. Sie handelt lungsverfahren, 2006, hatte der Präsident 25 Leute sind gekommen, darunter aber auch vom Scheitern, von der Ver- gesagt, er bedauere, wenn Mitglieder der zehn Landtagskandidaten, zwei Mitarbei- geblichkeit des politischen Engagements FDLR Verbrechen begangen hätten. Er ter von Partei und Fraktion und zwei und davon, dass sich am Ende oft die Fal- hätte diese jedoch nicht angeordnet, wisse Journalisten. Vorn steht ein Moderator, schen durchsetzen. nichts davon und hätte auch keine Mittel der mit den Kandidaten ein lockeres Ge- Bohl sitzt in einer Gaststätte vor einem gehabt, sie zu verhindern. spräch führen soll. Der Duft von Würz- Bier, ein freundlicher Mann von 39 Jah- Gelingt es den Anklägern diesmal, ihm fleisch und Soljanka hängt in der Luft. ren in Filzjacke und Cordhosen. Der das Gegenteil zu beweisen, könnte der Man wolle moderne Wahlkampfformen Wahlkampfauftakt liegt einige Wochen Präsident für viele Jahre ins Gefängnis ausprobieren, sagt ein Mann von der FDP. zurück, Bohl hat eine Reihe von Auftrit- gehen, theoretisch lebenslänglich. Der Als Erstes versucht er, die neue Internet- ten hinter sich und erzählt davon. Präsident jedoch, heißt es, sei zuversicht- seite an die Wand zu projizieren, das Vor ein paar Tagen war er beim Stadt- lich, dass man ihn freisprechen werde. klappt zunächst nicht, der Computer fest in Schönberg, es gab einen FDP- Aber wie würde Deutschland dann da- macht Zicken. „Die Seite wird ohnehin Stand, aber kaum jemand hat sich dafür stehen vor der Welt, vor den Vereinten erst in ein paar Tagen freigeschaltet“, sagt interessiert. Die Städte im Wahlkreis sind Nationen, vor den Augen der Opfer? der Moderator. Dann stellt er den Bewer- zu klein für solche Aktionen. Der Wahl- 42 D E R S P I E G E L 3 5 / 2 0 1 1
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