Einsatz standardisierter Patienten im Psychologiestudium: Von der Forschung in die Praxis

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                                                                                    DOI:10.1159/000510049

                                                   Für die Praxis / For the Practitioner

                                                   Verhaltenstherapie 2021;31:152–160                                   Received: April 8, 2020
                                                                                                                        Accepted: June 6, 2020
                                                   DOI: 10.1159/000509249                                               Published online: 21. September 2020

Einsatz standardisierter Patienten im
Psychologiestudium: Von der Forschung
in die Praxis
Franziska Kühne Ulrike Maaß Florian Weck
Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität Potsdam, Potsdam, Deutschland

Schlüsselwörter                                                          ren Standorten zu unterstützen, werden Beispielmaterialien
Training · Ausbildung · Psychotherapie · Evidenzbasierte                 (z.B. Rollenanleitung) in den elektronischen Supplementen
Versorgung                                                               (siehe www.karger.com/doi/10.1159/000509249 für alle Sup-
                                                                         plemente) zum Artikel zur Verfügung gestellt.
                                                                                                                                   © 2020 S. Karger AG, Basel
Zusammenfassung
Hintergrund: Im Rahmen des reformierten Psychothera-
peutengesetzes wird eine stärkere Praxisorientierung in der
klinisch-psychologischen Lehre und in der Prüfung psycho-                 Standardized Patients in Clinical Psychology: From
therapeutischer Kompetenzen verankert. Hierbei sollen Stu-                Research to Practice
dierende durch die Interaktion mit standardisierten
Patient*innen (SP) therapeutische Kompetenzen erwerben
und demonstrieren. Fragestellung: Das Ziel des vorlie-                    Keywords
genden Beitrags ist es, eine evidenzbasierte Umsetzung die-               Training · Education · Psychotherapy · Evidence-based
ser neuen Lehr- und Prüfungsformate zu unterstützen, in-                  care
dem bisherige Forschungsbefunde zum Einsatz von SP dar-
gestellt und Bereiche, in denen weitere Forschung notwendig
ist, aufgezeigt werden. Ergebnisse: Empirische Befunde zei-               Abstract
gen, dass SP psychische Störungen authentisch darstellen                  Background: Within the pending reformation of the Ger-
können. Voraussetzung dafür sind beispielsweise die Aus-                  man law of psychotherapy training, education in clinical
wahl geeigneter SP, detaillierte Rollenanleitungen, spezi-                psychology and the examination of psychotherapeutic
fisches Training, Feedback und Nachschulungen. Auch wenn                  competencies are established as more practice oriented.
einige Forschungsfragen, wie zur vergleichenden Wirksam-                  Students will acquire and demonstrate therapeutic skills
keit des Einsatzes von SP, noch unbeantwortet sind, lassen                through interactions with standardized patients (SPs).
sich praktische Implikationen für SP-Programme in Lehre,                  The aim of the current paper is to enhance evidence-
Prüfung und Forschung ableiten, die in einem Ablaufschema                 based implementation of these new methods of educa-
dargestellt werden. Schlussfolgerungen: Der Einsatz von SP                tion and examination by presenting the current evidence
bietet großes Potenzial für die klinisch-psychologische Lehre             regarding the use of SPs and by pointing out areas for
und Ausbildungsforschung. Um den Einsatz von SP an ande-                  further research. Results: Results of recent studies dem-

karger@karger.com     © 2020 S. Karger AG, Basel                         Franziska Kühne
www.karger.com/ver                                                       Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität Potsdam
                                                                         Karl-Liebknecht-Strasse 24–25
                                                                         DE–14476 Potsdam (Germany)
                                                                         dr.franziska.kuehne @ uni-potsdam.de
onstrate that SPs are able to present mental disorders au-              Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, empirische
 thentically. Prerequisites are, among others, the selection          Befunde zusammenzutragen, die eine evidenzbasierte
 of suitable SPs, detailed role scripts, specific training,           Etablierung der neuen Lehr- und Prüfungsformate ge-
 feedback, and corrective training. Although some re-                 währleisten. Neben Empfehlungen zur praktischen Im-
 search questions, including the comparative effective-               plikation werden offene Fragen aufgezeigt, zu denen noch
 ness of SPs, remain unanswered, practice implications for            Forschungsbedarf besteht.
 using SPs in education, examination, and research can be
 drawn. These implications are illustrated schematically.
 Conclusions: The use of SPs has large potential for educa-              2. Simulationspatient*innen in der medizinischen
 tion in clinical psychology and for research on psycho-                 Ausbildung
 therapy training. With a view to encouraging the wide-
 spread use of SPs, we provide exemplary materials (e.g.,                 Bereits seit den 1960er Jahren werden simulierte Rol-
 role script) within the online supplements (see www.­                lenspiele in der medizinischen Ausbildung eingesetzt
 karger.com/doi/10.1159/000509249 for all online suppl.               [Barrows et al., 1993]. Dabei werden Begriffe unterschied-
 material).                              © 2020 S. Karger AG, Basel   lich verwendet: “Simulationspatient*innen” sind (meist
                                                                      trainierte) Laien, die ein Beschwerdebild zu Lehr- oder
                                                                      Prüfungszwecken präsentieren [Adamo, 2003; Sheen et
                                                                      al., 2015; Pheister et al., 2017]. Bei “standardisierten
   1. Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes                    Patient*innen” setzt man voraus, dass sie ein Beschwer-
                                                                      debild wiederholt und konsistent darbieten [Barrows,
    Mit dem Gesetz zur Reform der Psychotherapeuten-                  1993; Adamo, 2003] und Lerner*innen bei Bedarf Feed-
ausbildung [Gesetz zur Reform der Psychotherapeuten-                  back geben können [Pheister et al., 2017]. Werden
ausbildung (PsychThG), 2019] ist nun auch in Deutsch-                 Berufsschauspieler*innen eingesetzt, nutzt man mitunter
land eine stärkere Praxisorientierung in der klinisch-psy-            den Begriff “Schauspielpatient*innen” [Partschefeld et
chologischen Lehre und in der Prüfung therapeutischer                 al., 2020]. Die oben genannten Bezeichnungen werden
Kompetenzen verbunden. In der aktuellen Approbati-                    allerdings uneinheitlich und oft auch synonym verwen-
onsordnung für Psychotherapeutinnen und Psychothe-                    det. Da unser Fokus darauf liegt, die wiederholte und
rapeuten [Approbationsordnung für Psychotherapeu-                     konsistente Falldarstellung durch trainierte Laien zu be-
tinnen und Psychotherapeuten (PsychThApprO), 2020]                    schreiben, nutzen wir den Begriff “standardisierte
ist verankert, dass die Approbationsprüfung zum Ab-                   Patient*innen” (SP).
schluss des Masterstudiums Psychotherapie aus einer                       Der Einsatz von SP bringt zahlreiche Vorteile mit sich.
mündlich-praktischen Fallprüfung und einer anwen-                     Allen voran ist zu nennen, dass nicht nur Faktenwissen
dungsorientierten Parcoursprüfung in fünf Kompetenz-                  (z.B. über Störungsbilder und deren Behandlung), son-
bereichen bestehen wird. Als Kompetenzbereiche wur-                   dern vor allem Handlungskompetenzen (“Zeigen, wie es
den die Themen Patientensicherheit, therapeutische Be-                geht”) in kontrollierten Situationen trainiert und geprüft
ziehungsgestaltung, Diagnostik, Patienteninformation                  werden können [Weck et al., 2019]. Dadurch werden
und -aufklärung sowie leitlinienorientierte Behandlungs-              nachfolgende Interaktionen mit realen Patient*innen in
empfehlungen vorgeschlagen [PsychThApprO, 2020]. In                   einer sicheren Lernumgebung vorbereitet [Barrows,
jedem Themenfeld sollen “Simulationspatient*innen”                    1993; Weck et al., 2019]. Der Einsatz von SP ist ethisch
eingesetzt und Prüflinge hinsichtlich ihrer Leistungen bei            weniger bedenklich und leichter organisierbar als der
der Durchführung bewertet werden. Das Institut für me-                Einbezug von realen Patient*innen [Voderholzer, 2007;
dizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP)                  Imel et al., 2014; Pheister et al., 2017]. Lerner*innen er-
könnte beauftragt werden, Prüfungsaufgaben für die                    halten handlungsbezogenes Feedback schon im Studium
Themenbereiche zu entwickeln, Bewertungsschlüssel                     und nicht erst, wenn Fehler oder Schwierigkeiten im The-
und Musterlösungen vorzuschlagen und die Prüfungen                    rapieprozess auftreten [Hodges et al., 2002].
auszuwerten [Deutsche Gesellschaft für Psychologie                        Im Gegensatz zur Variabilität, die Patientenfällen ei-
(DGPs), 2020]. Außerdem könnte das IMPP sowohl                        gen ist, ermöglichen SP eine stringentere Ausrichtung
Simulationspatient*innen als auch Prüfer*innen, die auf               an Gütekriterien, d.h. reliablere, validere und fairere
Vorschlag der Universitäten bestellt werden, trainieren.              Kompetenzprüfungen [Yudkowsky, 2002]. Es können
Es wird also zu einer Reihe von Veränderungen kommen,                 gezielt repräsentative Symptome oder zentrale Interven-
wobei Ausbildungs- und Prüfungsformen stärker an die                  tionen ausgewählt werden, die jeder Prüfling in gleicher
medizinische Ausbildung angepasst werden und einen                    Weise im Rollenspiel bearbeitet [Barrows, 1993; Fair-
deutlicheren Handlungsbezug aufweisen sollen [Willutz-                burn und Cooper, 2011; Pheister et al., 2017]. SP können
ki et al., 2015].                                                     zudem wiederholt Interaktionen mit einer Person, aber

Einsatz standardisierter Patienten im                                 Verhaltenstherapie 2021;31:152–160                     153
Psychologiestudium                                                    DOI: 10.1159/000509249
auch mit einer großen Anzahl von Lerner*innen, spie-           mutlich wandeln, wodurch der Einsatz von SP in Ausbil-
len und sie können die Schwere ihrer Darstellung je            dung und Forschung stärker in den Vordergrund rücken
nach Aufgabenstellung gezielt variieren [Barrows, 1993;        wird (Abb. 1).
Fairburn und Cooper, 2011]. Auf SP wird insbesondere
dann zurückgegriffen, wenn diagnostische und Ge-
sprächsführungskompetenzen trainiert oder der Um-                 3. Simulationspatient*innen in Psychologiestudium
gang mit seltenen, mit emotional oder therapeutisch               und Psychotherapieausbildung
schwierigen oder mit ethisch sensiblen Situationen er-
probt werden soll [Barrows, 1993; Eagles et al., 2007; für         Um erfahrungsbasierte und praxisorientierte Lern­
eine Übersicht siehe Eckel et al., 2014]. Zukünftige For-      umgebungen zu schaffen und Lehre und Prüfungen kom-
schung könnte dazu beitragen darzulegen, in welchen            petenzbasiert zu gestalten, ist der Einbezug von SP auch
Themenbereichen der Einsatz von SP besonders bzw.              in der Ausbildung von Psychotherapeut*innen lohnens-
weniger hilfreich ist.                                         wert [Ehrenthal et al., 2019]. Im Vergleich zur breiteren
    In der medizinischen Ausbildung werden SP vielfach         Literaturbasis zur Gestaltung von SP-Programmen in
auch zur Beurteilung klinischer Kompetenzen in soge-           Lehre und Forschung fällt die Anzahl methodisch hoch-
nannten Parcoursprüfungen herangezogen [Barrows,               wertiger empirischer Studien zur Effektivität dieser Pro-
1993]. Eine Parcoursprüfung ist ein spezielles Prüfungs-       gramme ab. Im nächsten Absatz werden beispielhaft ei-
format, in dem Prüflinge verschiedene Stationen durch-         nige wichtige Studien zu Effekten von SP vorgestellt. In
laufen, die realen klinischen Situationen nachempfunden        den darauffolgenden Abschnitten (3.1. bis 3.8.) werden
sind [Sheen et al., 2015]. Durch die Aneinanderreihung         den einzelnen Schritten beim Aufbau von SP-Program-
von bezüglich Inhalt und Schwere standardisierten Prü-         men entsprechend spezifischere empirische Ergebnisse
fungsstationen wird eine reliablere Kompetenzeinschät-         beleuchtet.
zung als bei der Beobachtung einer Einzelsituation ange-           Sheen et al. [2015] und Yap et al. [2012] berichten, dass
strebt [Barrows, 1993; Hodges et al., 2002; Yudkowsky,         Psychologiestudent*innen in einem Master- und einem
2002; Adamo, 2003; Imel et al., 2014]. Auch für die Par-       Doktorandenprogramm Parcoursprüfungen subjektiv
coursprüfung werden unterschiedliche Termini genutzt           als Stress und Angst auslösend, aber auch als realistische
(Objective Structured Clinical Examination [OSCE], cli-        Annäherungen an die klinische Praxis und als positive
nical skills examination, performance-based assessment         Lerngelegenheiten erlebten. Schließlich kommen Eckel et
etc.), da der Grad der Strukturierung der Aufgabenstel-        al. [2014] in ihrer Übersichtsarbeit zum Einsatz von SP in
lungen, die Dauer pro Station (wenige Minuten bis zu           psychosozialen Studienfächern zu dem Schluss, dass
über eine Stunde) und die Anzahl der zu bewertenden            Student*innen SP-Interaktionen ganz überwiegend als
Fertigkeiten stark variieren. Beispielsituationen sind da-     authentisch und positiv erleben und einen subjektiven
bei:                                                           Lernzuwachs wahrnehmen.
− die Behandlung eines Behandlungsfalls von der Ein-               Entsprechend profitierten Ausbildungskandidat*innen
    gangsdiagnostik bis zum Abschlussgespräch an auf­          (n = 20) mit Vertiefungsrichtung Tiefenpsychologie sowohl
    einander folgenden Stationen oder über mehrere Ter-        subjektiv als auch aus Sicht trainierter Urteiler*innen von
    mine hinweg,                                               Rollenspielen mit SP [Nikendei et al., 2019]. Allerdings
− das Anwenden unterschiedlicher diagnostischer und            wurden in dieser Studie unterschiedliche Trainingsaspekte
    therapeutischer Inhalte an verschiedenen Stationen,        kombiniert, sodass der Rückschluss auf den Einsatz von SP
− die Interaktion mit SP an einigen Stationen, während         nicht eindeutig möglich ist. Einer weiteren Untersuchung
    an anderen Stationen Prüfungen ohne SP stattfinden,        zufolge hatten 29 Ausbildungskandidat*innen der Kinder-
    oder                                                       und Jugendpsychotherapie nach einem 16 Unterrichts-
− das Stellen von Prüfungsfragen im Anschluss an ein           stunden umfassenden Training mit SP aus Sicht dieser SP
    Rollenspiel mit SP [Barrows, 1993; Coyle et al., 1998;     und aus Perspektive zweier Fremdurteiler*innen signifi-
    Hodges et al., 2002; Yudkowsky, 2002; Adamo, 2003].        kant ausgeprägtere therapeutische Fertigkeiten und zeigten
    Trainings und Parcoursprüfungen mit SP sind auf-           mehr Empathie als davor [Partschefeld et al., 2013]. Eine
grund ihrer Vorteile bereits jetzt ein wichtiger Bestandteil   Limitation dieser Studie war jedoch, dass kein Vergleich
der medizinischen Ausbildung, auch in den Fächern              mit einer Kontrollgruppe stattfand.
Neurologie und Psychiatrie [Barrows, 1993; Yudkowsky,              Um evidenzbasierte Empfehlungen zur Gestaltung
2002; Eagles et al., 2007; Wündrich et al., 2017]. Wurde       von klinisch-psychologischer Lehre geben zu können,
in der klinisch-psychologischen Ausbildung und For-            ist es unerlässlich, dass sich die Ausbildungsforschung
schung bis dato seltener auf SP zurückgegriffen [Sheen et      zukünftig noch gezielter mit den Effekten von SP-Pro-
al., 2015; Edwards et al., 2016; Kühne et al., 2018], wird     grammen beschäftigt. Nichtsdestotrotz lassen sich
sich dies mit der beschlossenen Gesetzesänderung ver-          Empfehlungen für den Einsatz von SP aus der aktuellen

154                  Verhaltenstherapie 2021;31:152–160                             Kühne/Maaß/Weck
                     DOI: 10.1159/000509249
Sollen therapeutische Handlungskompetenzen getestet werden?                Andere Formate
                                                                                                                (z.B. schri�liche Fallvigne�en)
              Z IEL K L Ä R U N G

                                                    Ist eine Standardisierung notwendig?                       Rollenspiel mit Peer oder
                                                                                                               Lehrperson,
                                                                                                               Schauspielpa�ent*innen mit
                                                    Wofür sollen SP eingesetzt werden?                         Kurzinstruk�on

                                             Training              Prüfung              Forschung

                                           Operationalisierung des Zielverhaltens der Lerner*innen

                                                                                                                                                  – Räume
                                                                                                                                                  – Technik
                                                                                                                                                  – Zeit
                                                                                                                                                  – Klinische Exper�se
                                                                                                                                                  – Personal
                                                                                                                                                  – Kompensa�on für SP
                                                                                                                                                  – Finanzierung
                                                                                                                                                  zur Verfügung?
                                                                                                                                                  Stehen ausreichende Ressourcen
                                                           Definition des Szenarios
            PLA N UN G

                                              Erstellen ausführlicher Rollenanleitungen
                                              – Person und Diagnose
                                              – Behandlungsgeschichte                                          Klinische Exper�se und
                                              – Soziale Aspekte                                                echte Pa�entenfälle
                                              – Behandlungseinstellung und persönliche Agenda
                                              – Beispielfragen und -antworten der „Therapeut*innen“

                                               Wurde die Rollenanleitung erfolgreich pilotiert?

                                              Rekrutierung von Interessent*innen hinsichtlich

                                                                                                                                                             – Gemeinsame Nutzung und
                                                                                                                                                             möglich?
                                                                                                                                                             Ist eine übergreifende Nutzung
                                              – Demografischer Passung zur Rolle

                                                                                                                                                                                                RESSOURCENKLÄRUNG
                                                                                                                                                                Medizin)
                                                                                                                                                                mit anderen Abteilungen (z.B.
                                                                                                                                                                Verwaltung von Ressourcen
                                              – Psychischer und körperlicher Gesundheit
                                              – Zeitlicher Flexibilität, Zuverlässigkeit, Reflexionsfähigkeit
           A USW A H L

                                              – Freude an „Schauspielerei“

                                              Sind Interessent*innen als SP geeignet?                          Laien, Schaupieler*innen,
                                              – Empathie und ak�ves Zuhören in                                 Berater*innen,
                                                Feedbackproben testen                                          Psychotherapeut*innen (in
                                                                                                               Ausbildung)

                                              Erarbeitung der Rolle mit SP

                                                                                                                                                               – Wiederverwendung von
                                                                                                                                                               genutzt werden?
                                                                                                                                                               Können vorhandene Materialien
                                              – Reflexion über das Szenario
                                                                                                                                                                 Personal
                                                                                                                                                                 Anleitungen, Szenarien und
                                              – Videos von / Gespräche mit Pa�ent*innen
                                              – Schauspielübungen
         T R A IN IN G

                                             Probedurchlauf mit Videofeedback an SP                            Zusatz
                                                                                                               – Ablaufplan (Prüfung)
                                              Ist die Darstellung authentisch?                                 – Feedback geben (Training)
                                              – Angemessen realis�sch und komplex?                             – Training in Anwendung von
                                              – Angemessener Schwierigkeitsgrad?                                 Ra�ngskalen (Forschung)
                                              – Weder übertrieben noch untertrieben?
                                              – Angemessen flexibel und passend zum Gespräch?

                                              Adhärente und konsistente Darstellung                            Emo�onale Unterstützung
                                                                                                               der SP durch Distanzierungs-
              D A R S T EL L U N G

                                                                                                               strategien, Nachbesprechung,
                                                                                                               wechselnde Rollen, Pausen
                                              Werden die Gütekriterien erfüllt?
                                              – Kon�nuierliche Qualitätsüberprüfung                            Unabhängige, trainierte
                                              – Authen�zität (z.B. APD)                                        Urteiler*innen
                                              – Adhärenz (z.B. Checkliste)
                B EW ER T U N G

                                             Einschätzung der Lerner*innen
                                             – Zielverhalten, Prüfungsnote                                     Lehrpersonen, Prüfer*innen,
                                             – Therapeu�sche Kompetenz (z.B. SEKG)                             Forscher*innen
                                             – Empathie, therapeu�sche Beziehungsgestaltung

Abb. 1. Zentrale Schritte beim Einbezug von SP in Lehre und Forschung [siehe auch Kühne et al., 2018].

Einsatz standardisierter Patienten im                                                                          Verhaltenstherapie 2021;31:152–160                                                                   155
Psychologiestudium                                                                                             DOI: 10.1159/000509249
Literatur ableiten, die wir im Folgenden anhand der           wicklung von Rollenanleitungen für SP und von Instruk-
Schritte zum Aufbau eines SP-Programms zusammen-              tionen für Lerner*innen. Obwohl einige Autor*innen
fassen.                                                       freiere Rollenspiele bevorzugen, um spontane Interakti-
                                                              onen zu unterstützen, sprechen sich andere für das Erstel-
   3.1. Welche Ziele hat der Einsatz von SP?                  len detaillierter Szenarios aus [Kühne et al., 2018]. Auch
   Bevor ein SP-Programm gestaltet werden kann, sollte        von zu strengen Szenarien wird abgeraten, da nicht alle
spezifiziert werden, warum in ein solches investiert wer-     Antworten der Lerner*innen im Vorhinein bekannt seien
den soll, und welcher Vorteil gegenüber anderen For-          [Pheister et al., 2017]. Wir empfehlen das Erstellen aus-
maten wie der schriftlichen Bearbeitung von Fallvignet-       führlicher Rollenanleitungen, wie beispielsweise eine Un-
ten oder dem Üben in Peer-Rollenspielen erwartet wird         tersuchung unserer Arbeitsgruppe zu dieser Frage zeigt:
[Kühne et al., 2018]. Da das Ziel eines SP-Programms          Personen, die vor dem Rollenspiel eine ausführliche Rol-
zwangsläufig dessen konkrete Ausgestaltung bestimmt,          lenanleitung gelesen hatten, wurden sowohl aus Perspek-
sollte zunächst spezifiziert werden, wofür SP eingesetzt      tive einer approbierten Therapeutin als auch aus Sicht
werden sollen: für die Lehre (formative Evaluation), zur      zweier trainierter Urteiler*innen als authentischer be-
Leistungsprüfung (summative Evaluation) oder in der           wertet als SP, die nur eine sehr basale Beschreibung er-
Forschung. In der Lehre kann es wichtiger sein, dass SP       hielten [Ay et al., 2020a].
den Teilnehmer*innen Feedback geben, während dieser              Um Realitätsnähe herzustellen, können Rollenanlei-
Aspekt in einer Prüfung unter Umständen wegfallen             tungen ausgehend von echten Patientenfällen entwickelt
kann. Dagegen ist es bei einer Prüfung oder in der For-       werden [Pheister et al., 2017]. Parallel dazu sollten die
schung wichtig, dass SP ihre Rollen möglichst adhärent        Lern- und Prüfungsziele [Voderholzer, 2007] bzw. die
und konsistent darstellen, um Vergleichbarkeit zu ge-         von den Prüflingen erwarteten Verhaltensweisen opera-
währleisten.                                                  tionalisiert werden [z.B. “Fragt nach Alkoholkonsum”;
                                                              Hodges et al., 2002]. Es wird empfohlen, SP detaillierte
   3.2. Welche Ressourcen stehen zur Verfügung?               Angaben zur Person, Diagnose, Behandlungsgeschichte,
   Der gewissenhafte Einsatz von SP ist zeit- und kosten-     zu sozialen Aspekten, der Einstellung des zu spielenden
intensiv [Pheister et al., 2017]. So werden entsprechend      Charakters zur Behandlung, zu seiner Agenda (z.B.
viele Räume, aber auch Vollzeit-Personal benötigt, das        Wunsch nach Medikation) sowie Beispielfragen und
beispielsweise SP rekrutiert, trainiert, Einsätze plant und   -antworten von Lerner*innen zur Verfügung zu stellen
überwacht, Videoaufnahmen gewährleistet, Materialien          [Voderholzer, 2007; Pheister et al., 2017]. Trotzdem ist es
zur Verfügung stellt, Daten sichert, Feedback gibt,           wichtig, das Szenario allgemeinverständlich und an den
Urteiler*innen und Prüfer*innen trainiert und begleitet       Lehr- und Prüfungszielen orientiert zu formulieren, um
und Ergebnisse auswertet [Adamo, 2003]. Die Einfüh-           unnötige Details zu vermeiden [Voderholzer, 2007]. In
rung eines SP-Programms kann daher auf Seiten der Or-         die Entwicklung der Rollenanleitungen sollten
ganisation und des Personals auf Widerstände stoßen,          Fachexpert*innen einbezogen werden, es können aber
weshalb Vor- und Nachteile des Einsatzes von SP und die       auch SP und reale Patient*innen mitwirken [Kühne et al.,
erforderlichen Ressourcen frühzeitig kommuniziert wer-        2018]. Ein Beispiel einer Rollenanleitung für eine depres-
den sollten [Voderholzer, 2007]. Beispiele für Kostenka-      sive Störung findet sich im Online-Supplement 1.
tegorien und Argumente, um die Finanzierung zu si-
chern, führen Hodges et al. [2002] auf. Die Analogie zu           3.4. Wie wählt man geeignete SP aus?
anderen Fachgebieten, wie der Luft- und Raumfahrt oder            Die umsichtige Auswahl von SP ist besonders für deren
zu Großschadensfällen, bei denen simulationsbasierte          Einsatz in Prüfungen entscheidend [Hodges et al., 2002],
Trainings weithin akzeptiert sind [Adamo, 2003], könnte       da mit vertraulichen Daten, wie den Prüfungsergebnissen
ebenfalls zur Akzeptanzförderung genutzt werden. Für          und dem Verhalten der Prüflinge, umgegangen werden
einen ressourcensparenden Einsatz kann über einen ge-         muss [Voderholzer, 2007]. SP werden zunächst aufgrund
meinsamen SP-Pool, ein gemeinsames Training, geteilte         ihrer Passung zur geplanten Rolle beispielsweise auf Basis
Materialien oder ein gesamtes SP-Programm über Abtei-         demografischer Merkmale, ihrer Vorbildung oder Schau-
lungen oder Einheiten hinweg nachgedacht werden [Ea-          spielerfahrung ausgewählt [Adamo, 2003]. Neben Laien
gles et al., 2007].                                           können auch Schauspieler*innen [Adamo, 2003], erfah-
                                                              rene Berater*innen und Psychotherapeut*innen [Coyle et
  3.3. Wie können Rollenanleitungen entwickelt                al., 1998], Kandidat*innen in fortgeschrittener Ausbil-
  werden?                                                     dung [Pheister et al., 2017] oder Mitarbeiter*innen [Ho-
  Wurde das Ziel des SP-Programms festgelegt und ste-         dges et al., 2002] als SP einbezogen werden. Nehmen SP
hen genügend Ressourcen für die Implementierung zur           nicht als Freiwillige gegen eine Teilnahmevergütung, son-
Verfügung, besteht einer der ersten Schritte in der Ent-      dern als Angestellte teil, so kann von ihnen noch stärker

156                 Verhaltenstherapie 2021;31:152–160                            Kühne/Maaß/Weck
                    DOI: 10.1159/000509249
eingefordert werden, dass sie alle Qualitätsstandards ge-     scheiden zu dürfen, welche Rolle gespielt wird, kann hel-
wissenhaft einhalten [Adamo, 2003], allerdings ist ihre       fen, dass sich SP in die Symptomatik hineinversetzen
Teilnahme nicht zwangsläufig ressourcensparender [Ho-         können [Kühne et al., 2018]. Forschungsbedarf besteht
dges et al., 2002].                                           hinsichtlich der Frage, welche Trainingsbestandteile es-
    Uneinigkeit besteht darüber, ob SP auch auf eigene Er-    sentiell und welche vernachlässigbar sind.
krankungserfahrungen zurückgreifen sollten, und wenn             Das Hauptziel des Trainings ist die valide Präsentation
ja, in welchem Ausmaß [Barrows, 1993; Adamo, 2003;            des Beschwerdebilds [Adamo, 2003]. SP sollten Symptome
Pheister et al., 2017]. Aus unserer Sicht ist der Bezug auf   nicht zu übertrieben oder zu stark auf eigenen Erlebnissen
eigene Erkrankungserfahrungen bei körperlichen Er-            beruhend präsentieren, Fälle nicht zu geradlinig oder lehr-
krankungen eher denkbar, zumal, wenn tatsächliche Vor-        buchartigen darstellen, Symptomatik und Gestik sollten
befunde oder Behandlungsfolgen, wie beispielsweise            zur Situation passen, und sie sollten die Rollenspiele nicht
Narben, in die Rollendarstellung einbezogen werden sol-       zu leicht oder schwer für die Lerner*innen gestalten [Eagles
len [Barrows, 1993; Voderholzer, 2007]. Schwerwiegende        et al., 2007; Wuendrich et al., 2012]. Um die Darstellung
aktuelle Beschwerden sollten dennoch vorab ausgeschlos-       dementsprechend zu präzisieren, sind Proberollenspiele mit
sen werden [beispielsweise anhand eines Anamnesebo-           Videofeedback ein gutes Mittel. Außerdem ist es hilfreich,
gens; Voderholzer, 2007].                                     wenn SP nicht nur die Szenarios, sondern auch begleitende
    Bei der Darstellung psychischer Störungen können ei-      Informationen, beispielsweise zum Feedback geben (siehe
gene Erkrankungserfahrungen dagegen zu einer zu               3.7), zur Vorbereitung auf die Rolle oder zum Ablauf des
starken Vermischung von Rolle und eigenem Erleben             Prüfungstages in Form eines Handbuchs erhalten [UKE,
und zu einer Belastung der SP führen [Kühne et al., 2018].    2020]. Zur Vorbereitung gehört auch, Lehrpersonal für die
Damit SP geschützt werden und nicht mit Lerner*innen          Arbeit mit SP zu schulen [Hodges et al., 2002; Kienle und
in Interessenskonflikte geraten, sind unsere SP körperlich    Peters, 2016], damit sie SP begleiten und bei Problemen
und psychisch gesunde Studierende, die zumeist nicht          frühzeitig intervenieren können.
Psychologie studieren. Außerdem haben wir bei der Aus-
wahl auf Empathie und Reflexionsfähigkeit, Freude an             3.6. Was ist bei der Darstellung psychischer
schauspielerischer Tätigkeit und wissenschaftlicher Ar-          Erkrankungen zu beachten?
beit, zeitliche Flexibilität und auf Zuverlässigkeit geach-      Das Ziel des SP-Programms bestimmt konsequenter-
tet. Voderholzer [2007] weist darauf hin, dass auch die       weise auch, ob die Darstellung eher improvisiert (gegebe-
Einsicht in eigene Verhaltensweisen gegeben sein sollte.      nenfalls in der Lehre) oder eher standardisiert sein soll
Adamo [2003] empfiehlt darauf zu achten, dass SP sich         (zu Prüfungs- und Forschungszwecken [Kühne et al.,
auf unterschiedliche Lerner*innen einstellen, die Darstel-    2018]). Das Szenario bietet zwar den Rahmen, aber das
lung emotional bewältigen, ihr Verhalten anhand von           Training sollte SP darauf vorbereitet haben, dass ein ge-
Rückmeldungen der Lehrpersonen anpassen, aktiv zuhö-          wisser Grad an Improvisation unumgänglich ist, um auf
ren und sich vom Training ausgehend auf unterschied-          das Verhalten der Lerner*innen angemessen reagieren zu
liche Anwendungsbereiche einstellen können. Rollen-           können [Pheister et al., 2017].
spiel- und Feedbackproben während des Auswahlpro-                Psychische Erkrankungen zu simulieren kann heraus-
zesses sind Mittel, um die Eignung von SP verhaltensnah       fordernd für SP sein [Yudkowsky, 2002; Eagles et al., 2007;
zu beurteilen [Voderholzer, 2007]. Die Forschung könnte       Voderholzer, 2007]. Es ist wichtig, mit SP darüber zu spre-
der Frage nachgehen, welche Grenzen es bei der Simula-        chen und vorab Strategien zu ihrer Entlastung zusammen-
tion welcher psychischen Störungen gibt.                      zutragen [Hodges et al., 2002]. Probedurchläufe, Beratung
                                                              und Supervision für SP, wechselnde Rollen, regelmäßige
    3.5. Wie trainiert man SP?                                Pausen oder feste Nachbesprechungen können entlasten
    Dem Training von SP wird übereinstimmend eine             [Kühne et al., 2018]. Außerdem sollte besprochen werden,
zentrale Rolle zugeschrieben [Hodges et al., 2002; Ada-       wie viele Interaktionen pro Tag nacheinander zu bewälti-
mo, 2003; Voderholzer, 2007; Kühne et al., 2018]. Da          gen sind. All dies ist entscheidend, da die Art der Darstel-
Ziele und Ressourcen von SP-Programmen variieren,             lung der SP mitbestimmt, wie sich Lerner*innen in die Si-
existiert kein etablierter und übergreifender Standard,       tuation einfühlen können, wie Gütekriterien ausfallen und
wieviel Training notwendig ist [Adamo, 2003]. Hodges et       damit auch, wie das Lern- oder Prüfungsergebnis sein wird
al. [2002] empfehlen pro SP ein 4- bis 6-stündiges Trai-      [Wuendrich et al., 2012; Kühne et al., 2018].
ning. Dieses solle die Reflexion über das Szenario, Videos
von oder Gespräche mit Patient*innen, Schauspiel­                3.6.1. Wie können Fälle authentisch dargestellt
übungen und Probedurchläufe enthalten [Hodges et al.,            werden?
2002; Yudkowsky, 2002]. Der Bezug zu eigenen Gefühlen            Limitationen des Einsatzes von SP im Rahmen der
und Lebenserfahrungen und die Möglichkeit, mitent-            Psychotherapieausbildung werden mitunter darin gese-

Einsatz standardisierter Patienten im                         Verhaltenstherapie 2021;31:152–160                      157
Psychologiestudium                                            DOI: 10.1159/000509249
hen, dass das “einzigartige interpersonelle Geschehen”             zu prüfen, kann beispielsweise kontrolliert werden, ob SP
nicht simuliert werden könne [Brenner, 2009] oder dass             die im Szenario beschriebenen Verhaltensweisen umset-
Falldarstellungen zu vereinfachend und wenig repräsen-             zen bzw. ob sie Verhaltensweisen zeigen, die nicht im Sze-
tativ für die klinische Praxis seien [Muse und McManus,            nario vorgesehen sind [Waltz et al., 1993; Edwards et al.,
2013]. Mehrere Untersuchungen gingen daher der Frage               2016]. SP sollten den Charakter wie vorgesehen darstel-
der Authentizität – d.h. der Unmöglichkeit SP und                  len, sich z.B. angemessen kooperativ zeigen und im Rol-
reale Patient*innen zu unterscheiden [Wuendrich et al.,            lenspiel Informationen in passendem Umfang preisge-
2012] – nach.                                                      ben [Edwards et al., 2016]. Anhand von Videoaufnahmen
   Werden SP als unauthentisch erlebt, so liegt dies meist         werden Gütekriterien (z.B. Inhaltsvalidität und Inter-Ra-
an einer vereinfachten oder übertriebenen Symptomdar-              ter-Reliabilität) geprüft und gegebenenfalls Abwei-
stellung, an einer wenig überzeugend dargebotenen Le-              chungen sichtbar, worauf Nachschulungen initiiert wer-
bensgeschichte oder an Problemen, sich auf begleitende             den sollten [Edwards et al., 2016; Pheister et al., 2017].
technische Unterstützung wie Videoaufnahmen einzu-                 Beispielitems zur Adhärenzprüfung sind Online-Supple-
stellen [Eckel et al., 2014]. Je öfter SP einen Fall darstellen,   ment 2 zu entnehmen.
desto eher kann es dazu kommen, dass sie eine Lehrposi-
tion einnehmen, Lerner*innen Hinweise geben und ihre                   3.7. Was ist beim Feedbackgeben zu beachten?
Rolle verlassen [Adamo, 2003]. Dies sollte gemeinsam re-               Neben Lehrpersonen oder anderen Trainings­
flektiert und nach Lösungen gesucht werden. Wichtig ist            teilnehmer*innen können auch SP den Lerner*innen
auch, dass fortlaufend geprüft wird, ob SP ihre Rollen             Feedback geben [z.B. “Als Ihr Patient fühlte ich mich um-
noch authentisch spielen und gegebenenfalls nachzu-                sorgt, aber ich hatte Probleme, Sie zu verstehen, weil Sie
schulen.                                                           zu viele Fachworte benutzt haben […]”; Pheister et al.,
   Die Mehrzahl der bisherigen Befunde zeigt entgegen              2017, S. 115, Übers. d. Autoren]. Diese Form der Rück-
mancher Vermutung, dass mit adäquatem Training eine                meldung, die von realen Patient*innen nicht im selben
authentische Falldarstellung gelingen kann [Yudkowsky,             Ausmaß erwartet werden kann, bietet Lerner*innen eine
2002; Eckel et al., 2014]. In einer Videostudie wurden SP          besondere Lerngelegenheit, vorausgesetzt das Feedback
von erfahrenen Psychiater*innen in 61% der Fälle als re-           wird angemessen und wertschätzend gegeben [Coyle et
ale Patient*innen (!) identifiziert; reale Patient*innen           al., 1998].
wurden in 94% der Fälle als solche erkannt [Wuendrich                  Obwohl es sein kann, dass sich die Rückmeldungen
et al., 2012]. Patient*innen wurden als authentischer              von SP und echten Patient*innen unterscheiden, wird an-
wahrgenommen, SP-Fälle dagegen als typischer und ein-              genommen, dass dieses Feedback neben der Verbesse-
prägsamer, was dem Ziel, fokussierte Lerngelegenheiten             rung von technischen Fertigkeiten zum Aufbau von Em-
zu schaffen, genau entspricht.                                     pathie und dem Verbessern der Beziehungsgestaltung
   Zur Einschätzung der Authentizität von Patientendar-            beiträgt [Pheister et al., 2017]. Außerdem wird davon
stellungen haben wir ein Kurzinstrument entwickelt [Ay-            ausgegangen, dass Personalressourcen gespart werden
Bryson et al., 2020; erhältlich auf Anfrage von der Korre-         können, wenn SP Lerner*innen klar umgrenztes Feed-
spondenzautorin]. In der Instruktion wird nicht offenge-           back im Anschluss an jede Interaktion geben [Voderhol-
legt, ob SP oder reale Patient*innen eingeschätzt werden           zer, 2007]. Aus unserer Perspektive sollten Rückmel-
sollen; Beispielitems lauten: “Die Person beschreibt ihre          dungen zur therapeutischen Kompetenz nicht von SP ge-
Erkrankung insgesamt überzeugend” oder “Das Verhal-                geben werden, sondern dem Lehrpersonal vorbehalten
ten der Person ist dem Erkrankungsbild angemessen”. In             bleiben.
einer zugehörigen Studie wurden Psychotherapeut*innen                  In jedem Fall sollten SP ein spezielles Training dazu
in Ausbildung sechs Videos präsentiert, wobei sie SP und           erhalten, wie ein konstruktives Feedback aussieht [Ada-
reale Patient*innen nicht signifikant voneinander unter-           mo, 2003; UKE, 2020]. Feedback kann verbal oder schrift-
scheiden konnten [Ay et al., 2020b]. Hierzu besteht aller-         lich, frei oder anhand einer Checkliste, direkt im An-
dings weiterer Forschungsbedarf unter Einbezug größe-              schluss oder anhand einer Audio- oder Videoaufnahme
rer Stichproben und in Ausweitung auf unterschiedliche             gegeben werden [Adamo, 2003; Pheister et al., 2017]. Ins-
Störungsbilder.                                                    gesamt ist es hilfreich, wenn Feedback-Protokolle genutzt
                                                                   werden und Feedbacks beispielsweise von einer Lehrper-
   3.6.2. Wie gelingt eine adhärente Falldarstellung?              son fortlaufend geprüft werden, um auch hier gegebenen-
   Adäquates Training und die fortlaufende Prüfung der             falls nachschulen zu können [Kühne et al., 2018].
Fallpräsentation sind nicht nur für eine authentische Fall-
darstellung nötig, sondern auch dafür, dass die Darstel-             3.8. Wie kann man Kompetenzen erfassen?
lung dauerhaft in gleicher Weise (d.h. konsistent adhä-              Kompetenzen können nur dann reliabel geprüft wer-
rent) dargestellt wird. Um die Adhärenz der Darstellung            den, wenn Prüflinge in Studium und Weiterbildung Ge-

158                   Verhaltenstherapie 2021;31:152–160                               Kühne/Maaß/Weck
                      DOI: 10.1159/000509249
legenheit hatten, Interaktionen mit SP zu üben und wenn       SP genutzt werden, um Weiterbildungskandidat*innen
sie Strategien kennen, um sich adäquat auf diese Prü-         kompetenzbasiert zu supervidieren. Die Supervisionen
fungssituation vorzubereiten [Sheen et al., 2015]. In den     anschließend zu evaluieren wäre insofern lohnenswert,
medizinischen Fächern werden die Leistungen jedes             als dass die Effektivität von Supervision im naturalisti-
Prüflings an jeder Station einer Parcoursprüfung anhand       schen Setting schwer überprüfbar ist [Willutzki et al.,
individueller Leistungsrückmeldungen [Pheister et al.,        2015]. Neben dieser eher praxisorientierten Forschung
2017], mithilfe von Checklisten mit dichotomem Ant-           können SP weiterhin für einen experimentellen Ver-
wortformat oder anhand von globalen Ratingskalen ein-         gleich verschiedener Trainings- und Supervisionsme-
geschätzt [Hodges et al., 2002; Yudkowsky, 2002]. Für die     thoden eingesetzt werden [Kühne et al., 2020b]. Schließ-
klinische Psychologie wird der Einsatz etablierter Skalen     lich können SP auch in Telefoninterviews im Anschluss
empfohlen [beispielsweise der Cognitive Therapy Scale         an ein Onlinetraining genutzt werden, beispielsweise
oder der Motivational Interviewing Supervision and            um zu erfassen, ob Teilnehmer*innen online vermit-
Training Scale; Edwards et al., 2016]. Da diese Instru-       telte Fertigkeiten (beispielsweise der Motivierenden
mente sehr umfangreich sind und ein detailliertes             Gesprächsführung) anwenden können [Edwards et al.,
Urteiler*innentraining erfordern, haben wir die Skala zur     2016].
Einschätzung Klinischer Gesprächsführung (SEKG) ent-             Auch wenn aktuelle Diskussionen nahelegen, dass die
wickelt, um Basisfertigkeiten der Gesprächsführung (z.B.      Durchführung der Approbationsprüfung an das IMPP
“Nutzt zur Situation passende Mimik und Gestik”) und          delegiert werden könnte, wird es für die Universitäten re-
der therapeutischen Tätigkeit (z.B. “Erarbeitet Inhalte ge-   levant sein, die Student*innen bereits während des zur
meinsam mit dem Patienten”) einfach bewerten zu kön-          Approbation führenden Masterstudiengangs Psychothe-
nen [Kühne et al., 2020a; erhältlich auf Anfrage von der      rapie auf das neue Prüfungsformat vorzubereiten. Eine
Korrespondenzautorin].                                        Möglichkeit wäre es, bereits den Abschluss einzelner Mo-
   Weiterhin ist zu bedenken, dass auch für Leistungsbe-      dule, wie zur Vertieften Psychologischen Diagnostik und
urteilungen von Prüfer*innen Gütekriterien berichtet          Begutachtung oder zur Angewandten Psychotherapie
werden sollten, da sie deutlich voneinander abweichen         vorgeschlagen [PsychThApprO, 2020], mittels praxis-
können: so bedarf es mehrerer trainierter Prüfer*innen,       naher Formate und des Einsatzes von SP zu prüfen.
um zu einer reliablen Kompetenzeinschätzung eines                Zusammenfassend bietet der Einsatz von SP aus un-
Prüflings zu kommen [Yudkowsky, 2002]. Bezüglich der          serer Sicht großes Potenzial für die zukünftige klinisch-
Anzahl der nötigen Beobachtungen aus SP-Interaktionen         psychologische Ausbildung und Forschung. Dabei sollten
pro Prüfling berechneten Imel et al. [2014], dass ca. sechs   Gütekriterien (Reliabilität, Validität) durchgängig be-
Beobachtungen notwendig waren, um in ihrem Fall die           rücksichtigt und die Effektivität von SP im Vergleich zu
Adhärenz der Lerner*innen reliabel zu schätzen. Für Sit-      anderen aktiven Trainingsbedingungen weiter geprüft
zungen mit realen Patient*innen waren jedoch deutlich         werden.
mehr Beobachtungen nötig [Imel et al., 2014]. In einer
narrativen Übersichtsarbeit wird von zehn bis vierzehn            3.10. Empfehlenswerte Literatur
Rollenspielen mit SP pro Prüfling ausgegangen, um zu              Hilfreich für die Gestaltung eigener SP-Programme
einer reliablen Aussage über das Bestehen einer Prüfung       sind u.a. die Lehrbücher von Voderholzer [2007], in dem
kommen zu können [Yudkowsky, 2002]. Parcoursprü-              auch Beispiele von Fallvignetten abgedruckt sind, und
fungen sollten also mit einer ausreichenden Anzahl von        von Peters und Thrien [2018], in dem praktische Hinwei-
Stationen zur Kompetenzprüfung geplant werden.                se für die Arbeit mit SP in verschiedenen Gesundheitsbe-
                                                              rufen gegeben werden, sowie der Überblicksartikel von
   3.9. Fazit und Ausblick                                    Hodges et al. [2002], der nicht nur Materialien, sondern
   Mit dem Gesetz zur Reform der Psychotherapeuten-           auch wichtige Erfahrungswerte aufführt.
ausbildung [2019] werden sich Lehr- und Prüfungsfor-
mate in der klinischen Psychologie und Psychotherapie
hin zu einer stärkeren Praxisorientierung verändern. SP          Statement of Ethics
bieten ein flexibel einsetzbares Instrument für die Lehre
und eine Möglichkeit zur reliablen und validen Kompe-            Da es sich um eine Übersichtsarbeit handelt, treffen ethische
                                                              Richtlinien zur Studiendurchführung nicht zu.
tenzbewertung klinischer Handlungskompetenzen [Ho-
dges et al., 2002; Edwards et al., 2016].
   Neben den bereits beschriebenen Anwendungsbe-                 Conflict of Interest Statement
reichen sind aber auch weitere Einsatzbereiche und
Forschungsthemen möglich. Auf die Zielgruppe ange-               Die Autoren geben an, dass keine Interessenskonflikte beste-
passt [Hodges et al., 2002] könnten Interaktionen mit         hen.

Einsatz standardisierter Patienten im                         Verhaltenstherapie 2021;31:152–160                          159
Psychologiestudium                                            DOI: 10.1159/000509249
Funding Sources                                                                  Author Contributions

   Keine externe Förderung.                                                        Alle Autor*innen haben maßgeblich zur Konzeption der Ar-
                                                                                beit und zur Ausarbeitung des Manuskripts beigetragen. Alle
                                                                                Autor*innen stimmen der Veröffentlichung zu und sind einver-
                                                                                standen, Verantwortung für alle Aspekte der Arbeit zu überneh-
                                                                                men und sicherzustellen, dass Fragen bezüglich der Richtigkeit
                                                                                und Vollständigkeit sämtlicher Teile des Manuskripts angemessen
                                                                                berücksichtigt werden.
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