BERGFOKUS - ÖSTERREICHISCHER ALPENVEREIN
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
BergFokus Alpines Eis als vom Aussterben bedrohte Spezies? Immer mehr Gletscher- Skigebiete versuchen, den Abschmelzprozess des Eises mithilfe von Abdeckfolien hinauszuzögern. Zu stoppen ist er nicht. Betrachten wir im Folgenden das Thema Eis im Gebirge in all seinen faszinierenden Facetten, schwingt so auch immer ein „so lange wir es noch haben“ mit. © J. Winkler 60 | BergWelten BergWelten | 61
Das Eis und die Berge Wasser – Schnee – Eis Wasser ist als lebensnotwendige Substanz für uns alle Teil alltagsweltlicher Handlungen, und die meisten erinnern sich auch noch an die Schulzeit: Die vielfältige Welt des Eises Leserinnen und Lesern dieses Buches sind höchst- wahrscheinlich die unterschiedlichen Arten des Schnees (z. B. Pulver, Harsch) und der Form der und warum sie untrennbar zusammengehören Wasser ist ein chemischer Stoff mit der einfachen Schneedecken-Oberfläche (z. B. Wechte, Wind- >> Gerhard Karl Lieb und Andreas Kellerer-Pirklbauer Formel H2O. Er kommt unter den Bedingungen, gangl) bekannt. Genauso vielseitig sind auch an- wie sie in der Atmosphäre der Erde herrschen, in dere Formen des Eises – sie alle systematisch dar- Eis tritt in vielen Erscheinungsformen auf und wird stets als etwas Besonderes wahrgenommen. allen drei Aggregratzuständen (flüssig, fest, gas- zustellen würde den Rahmen dieses Beitrages förmig) nicht selten auch zur selben Zeit am sel- sprengen, weshalb wir exemplarisch vorgehen: Es Je höher man ins Gebirge steigt, desto präsenter wird es – rein visuell, als Gestalter der Landschaft, ben Ort vor. Bei den Phasenübergängen zwischen werden fünf für Hochgebirge typische Erschei- als Ökofaktor oder als alpinistische Herausforderung, denn Eis lässt niemanden kalt. den Aggregatzuständen kommt es zu bedeuten- nungsformen von Eis knapp charakterisiert. Den den Energieumsätzen. Das Wasser hat auch eine Schnee lassen wir weg, weil er gewissermaßen Reihe besonderer Eigenschaften, die meist als eine eigene Welt der Vielfalt eröffnet – wir werden „Anomalien“ beschrieben werden, zum Beispiel jedoch später auf ihn zurückkommen. dass es bei einer Temperatur von 4°C seine maxi- ! Raureif und -eis: Wenn Wolken, die bekanntlich male Dichte erreicht. aus feinen Wassertröpfchen oder Eiskristallen be- Eis kann durch Gefrieren aus flüssigem oder stehen, mit hohen Geschwindigkeiten über den Gletscher sind der Inbegriff durch Resublimieren aus gasförmigem Wasser Untergrund jagen, dann frieren die Tröpfchen an von Eis im Hochgebirge: Blick über das Venediger- entstehen. Das Gefrieren der Flüssigkeit Wasser ist Hindernissen aller Art an. Mit der Zeit wächst die und Sulzbacherkees zum uns aus der Alltagserfahrung bestens bekannt, solcherart entstehende Eisschicht dem Wind ent- Großen Geiger (Venediger- aber auch die Resublimation: Nach klaren Näch- gegen und kann an Hindernissen pittoreske Eis- gruppe). ten in der kalten Jahreszeit, in denen die Luft stark gebilde schaffen, die die mehrfache Größe des Raureif auf dem Zirbitzko- auskühlt, heißt es am nächsten Morgen Eiskratzen ursprünglichen Hindernisses erreichen können. gel (Seetaler Alpen). Eisbildungen wie diese sind an der Autoscheibe! Abgekratzt wird Reif, der un- Raureif und -eis sind vor allem auf freistehenden vor allem auf Bergen am ter der Lupe betrachtet aus feinen Eiskristallen und daher besonders windreichen Bergen der Rand der Alpen und auf frei besteht. Die meist hexagonale Kristallstruktur Randalpen selbst bei relativ niederen Gipfelhö- stehenden Gipfeln häufig. hängt mit der Anordnung der Wassermoleküle zu- hen ein „großes“ Thema. Groß insofern, als solche Eislauf-Vergnügen auf dem sammen. Spielen sich vergleichbare Prozesse in Eisbildungen nach Schätzungen des Lawinen- Weißensee, Kärnten. Zumindest der seichtere hohen Schichten der Atmosphäre ab, so bilden warndienstes Steiermark in dessen Wirkungsbe- Westteil dieses in 929 sich dort Schneekristalle, die zu Schneeflocken reich an bis zu einem Viertel aller Tage des Jahres Meter Seehöhe gelegenen verbunden als Schneefall zu Boden sinken kön- vorkommen können und das Gewicht der Eiskör- Sees friert im Winter regelmäßig zu. nen. Bei ausreichend tiefen Temperaturen ent- per auch für Schäden an den Infrastrukturen (z. B. © G. K. Lieb (linke Seite und steht dort eine Schneedecke. Messstationen) führen kann. links); tinefoto.com 62 | BergFokus BergFokus | 63
Orographisch linker ! Eiswasserfälle: Dass Fließgewässer durchfrie- destens einjähriger Schnee) in Gletschereis, das Mengen vorhanden. So etwa kann die Schneebe- sind, gibt es am Ende des Sommers nur mehr in Ufermoränen des Schwar- Eisrand der Pasterze ren, kommt nur bei sehr geringer Wasserfüh- eine körnige Struktur aufweist und wasserun- deckung zum Höhepunkt des Nordwinters, wenn den höchsten Lagen des Gebirges oder in beson- zenbergferners (Stubaier (Glocknergruppe) 2016. Alpen). Die neuzeitlichen Spalten, Eisstürze und aus rung, nach lang anhaltenden Kälteperioden so- durchlässig ist. So wie Wasser im Allgemeinen sowohl das Packeis über dem Arktischen Ozean deren Positionen (z. B. schattseitige Wandfußla- Maximalausdehnungen der den zerrissenen Eismassen wie in geländeklimatisch sehr kalten Lagen vor. hat auch Eis im Besonderen spezielle Eigen- als auch die Festlandflächen der Nordhalbkugel gen) Reste von Schnee. Der jährliche Zyklus der Gletscher sind an solchen hervorquellendes Wasser Eiswasserfälle wurden in der Nachkriegszeit suk- schaften, etwa dass es auf Zug spröde und auf äquatorwärts bis etwa zum 40. Breitengrad mit Schnee- und Eisverbreitung hat dann ein Mini- Moränenwällen erkennbar. dürften schon früh die Nach dem letzten Glet- Fantasie der Menschen zessive als „Sportgerät“ entdeckt und viele der langanhaltenden Druck plastisch reagiert. Der Schnee bedeckt sind, fast ein Viertel der gesamten mum erreicht – in grober Vereinfachung sieht scherhochstand werden sie angeregt haben. dafür geeigneten Stellen oder Gebiete entspre- letztgenannte Aspekt lässt Gletschereis bergab Erdoberfläche betragen. Dies hat einen signifikant man jetzt nur mehr die Gletscher, die in den Alpen als „1850er Moränen“ © A. Kellerer-Pirklbauer, chend erschlossen. Es handelt sich hierbei also in Gebiete „fließen“, in denen es hierfür eigent- kühlenden Effekt auf die Atmosphäre, weil Schnee aktuell – laut dem World Glacier Monitoring Ser- bezeichnet. G. K. Lieb um Eisgebilde, die alpinistisch interessant sind. lich zu warm ist. Gerade die großen Eismassen in ein hohes Reflexionsvermögen (Albedo) besitzt vice (WGMS) – eine Gesamtfläche von 1750 km2 Gletschertisch auf der Rechts: Wegen ihrer ! See-Eis: Das Zufrieren stehender Gewässer ist sommerlich warmer Umgebung haben früh Auf- und einen großen Anteil der Strahlung in den (in Österreich rund 350 km2) bedecken. Das unter- Zunge der Pasterze bizarren Eisgebilde sind (Glocknergruppe, Kärnten). die Eishöhlen der im Hochwinter selbst in Tallagen noch „normal“. merksamkeit erregt, weshalb sich schon in der Weltraum zurückwirft, ohne dass diese tempera- irdische Eis, das im Permafrost den Sommer über- Große Blöcke auf der Kalkalpen beliebte Die sich über Seen bildenden Eisschichten ha- Aufklärung die gesellschaftliche Bildungselite turwirksam werden könnte. dauert hat, bleibt allerdings dem Auge verborgen Oberfläche von Gletschern Tourismusziele – in diesem ben eine eher säulige Eisstruktur, bleiben dünn fragte, wie so etwas möglich sein kann. Nimmt man die globalen Wasserreserven in und kann nur durch numerische Modelle, gestützt veranschaulichen deren Fall die Dachstein-Riesen- Transportvermögen. Sie eishöhle, in der seit 1912 (in den Alpen je nach Seehöhe bis zu etwa ! Höhleneis: Nicht nur an der Erdoberfläche gibt den Blick, so nimmt das Wasser in festem Zustand auf aufwändigen Feldmessungen, in seiner Ver- schützen das darunterlie- Führungen für Gäste 1–2 m) und spielen seit jeher in kulturlandschaft- es Eis, sondern auch im Untergrund. Wasser ist sogar eine dominante Rolle ein: Rund 70 Prozent breitung – für Österreich rund 1600 km², für die gende Eis vor der Ab- angeboten werden. lichen Bezügen eine große Rolle. Denn die ebe- überall unter unseren Füßen – auch im scheinbar des globalen Süßwassers sind in Eis und Schnee Alpen rund 6200 km² – abgeschätzt werden. schmelzung, während die © C. Bauer umliegende Eisoberfläche nen Eisoberflächen lassen sich einfach begehen trockenen Fels einer Südwand – vorhanden. Bei gebunden, vor allem in den großen Eisschilden sich erniedrigt – solche oder zur Sportausübung nutzen. Ein bekanntes entsprechender Temperatur wird dieses Wasser der Antarktis und von Grönland. Aus dem Klima- Eis und Zeit Gebilde werden als Beispiel hierfür ist die Austragung der „Alterna zu Eis, wobei es wiederum viele Formen anneh- wandel-Diskurs ist wohl allgemein bekannt, dass Eis kommt in allen zeitlichen Maßstäben vor: Die Gletschertische bezeichnet. © G. K. Lieb tiven Holländischen Elfstädtetour“ im Eisschnell- men kann – von dünnen Eishäuten auf Boden- das theoretische Abschmelzen dieses Eises in ei- Palette reicht vom Blitzeis – in Österreich besser lauf am Kärntner Weißensee, vor Ort das große und Gesteinspartikeln über die vollständige Er- nen Anstieg des Meeresspiegels umgerechnet bekannt als Glatteis in Folge von Eisregen – oder winterliche Event. Während des Winters gefrore- füllung der Poren zwischen diesen bis hin zu Eis- werden kann (in Summe nahe 70 m). Zusammen- vom Morgenfrost mit Reifbildung auf der Wiese, ne Wasseroberflächen sind auch in globaler Be- bildungen in großen unterirdischen Hohlräumen. gefasst nimmt Eis im globalen Natursystem also beide nur wenige Stunden andauernd, bis zum Eis trachtung bedeutend, insbesondere nehmen Letztere sind vor allem für hoch gelegene Höhlen eine bedeutende Rolle ein, weshalb man ihm in der Antarktis, das in der Tiefe mehrere hundert- die Meereisflächen sehr große Areale ein, worauf der Kalkalpen typisch. Zum vollständigen Abtau- den Naturwissenschaften eine eigene Sphäre, die tausend Jahre alt ist und dadurch Einblicke in das noch zurückzukommen sein wird. en des im Winter durch die eintropfenden Wässer Kryosphäre (griech. kryos = Frost), neben anderen Klima der Vergangenheit gewährt, wie wir aus der ! Gletscher: Diese sind seit rund einem halben aus den Gesteinsklüften gebildeten Eises ist der wie etwa Litho-, Hydro-, Atmo- oder Biosphäre zu- Analyse von Eisbohrkernen wissen (siehe Beitrag Jahrhundert so prominent im Klimawandeldis- Sommer in solchen Eishöhlen zu kurz. weist. Seite 94). Bei der zeitlichen Andauer ist zwischen kurs verankert, dass viele Menschen sie als Erstes Die Existenz von Schnee und Eis ist, wie im dem Bildungszeitraum und der Verweilzeit des mit dem Wort „Eis“ assoziieren. Gletscher entste- Eis und Raum – die Kryosphäre nächsten Abschnitt noch gezeigt wird, zeitlich betreffenden Eis-Phänomens zu unterscheiden. hen aus Schneemassen durch deren allmähliche In globaler Perspektive ist Wasser in fester Form sehr variabel. Während, wenn wir auf die Alpen So etwa bildet sich Reif auf einer kalten Schneede- Umwandlung (Metamorphose) über Firn (min- weit verbreitet und in außerordentlich großen blicken, diese im Winter weithin schneebedeckt cke in jeder klaren Nacht, also in einigen Stunden. 64 | BergFokus BergFokus | 65
Sie können auch lesen