EKLIGE WURST Immer wieder Lebens-mittelskandale - SAUBERES KLIMA

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EKLIGE WURST Immer wieder Lebens-mittelskandale - SAUBERES KLIMA
Dezember 2019
                                  DIE NACHRICHTEN FÜR MITGLIEDER
Foto: © foodwatch / Laura Knauf

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                                             EKLIGE                 SAUBERES             REINES
                                             WURST                  KLIMA                GEWISSEN
                                             Immer wieder Lebens-   Dafür protestieren   Was kann der
                                             mittelskandale         wir                  Einzelne tun?
EKLIGE WURST Immer wieder Lebens-mittelskandale - SAUBERES KLIMA
2          DEZEMBER 2019

                                                                                                      ES GEHT UM DIE WURST –
                                                                                                         ABER NICHT NUR…
                                                                                         Warum es immer wieder zu Lebensmittelskandalen kommt

                                                                                         Mindestens drei Menschen starben, mehrere         rants von Ikea. Viele Fakten wurden erst durch
                                                                                         Dutzend erkrankten: Der Skandal um mit Lis-       Recherchen von foodwatch bekannt. Erst fünf
                                                                                         terien belastete Wurst der Firma Wilke schreck-   Tage nach dem Rückruf veröffentlichten die hes-
Liebe Unterstützerin,                                                                    te im Oktober die Menschen auf. Während die       sischen Behörden eine Produktliste mit mehr
lieber Unterstützer,                                                                     Behörden nur scheibchenweise informierten,        als 1.100 Einträgen. War nun alles geklärt? Ganz
                                                                                         hakte foodwatch nach – und deckte das mise-       und gar nicht. Die hessische Verbraucher-
im September protestierten weltweit Millionen                                            rable Krisenmanagement von Hersteller und         schutzministerin Priska Hinz räumte am 16. Ok-
von Menschen für mehr Klimaschutz. Auch wir                                              Behörden auf. Das Schlimme ist: Ob Dioxin,        tober ein: „Wir können schlicht nicht nachvoll-
von foodwatch waren in Berlin auf der Straße.                                            Pferdefleisch oder Fipronil – es sind immer       ziehen, in welchem Supermarkt und in wel-
Warum? Springt foodwatch jetzt plötzlich auch
                                                                                                               wieder die gleichen Pro-    cher Kantine die Wilke-Wurst verkauft wurde.“
auf den Klimazug auf? Nein. Bereits 2008
                                                                                                                     bleme, die Lebens-    Und das, obwohl das europäische Lebensmittel-
hatte foodwatch in einem umfassenden
Report die Bedeutung der Landwirtschaft
                                                                                                                       mittelskandale      recht die lückenlose Rückverfolgbarkeit von Le-
für den Klimaschutz thematisiert. Auch in                                                                              möglich machen:     bensmitteln entlang der Lieferkette vorschreibt.
unserer neuen Studie zu den Umwelt- und                                                                                                    Auch bei früheren Lebensmittelskandalen wie
Klimaschäden der Landwirtschaft (siehe                                                                              1) LIEFERKETTEN        dem Pferdefleisch-Betrug oder mit Fipronil belas-
S. 6) fordern wir: Die Agrarpolitik muss end-                                                                       KÖNNEN NICHT           teten Eiern tappten die Behörden im Dunkeln
lich Teil der Klimapolitik werden! Denn was                                                                        RÜCKVERFOLGT            – die Verbraucherinnen und Verbraucher erfuh-

                                                                                                                                                                                                Fotos: Waldeckische Landeszeitung/privat
Flugreisen und SUV-Geländewagen für den                                                                            WERDEN                  ren viel zu spät, nur unvollständig oder gar nicht
Verkehr darstellen, sind die Massenproduk-                                                                         Zum Start des Rück-     von den betroffenen Produkten. foodwatch for-
tion von Fleisch und die Überdüngung der
                                                                                                                   rufs warnte die zu-     dert: Die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln
Äcker für die Landwirtschaft. Und das Schlim-
                                                                                                                   ständige Lebensmit-     muss endlich durchgesetzt werden.
me ist: Mit Milliarden Euro Agrar-Subventio-
nen fördert die Politik die klimaschädlichen
                                                                                                                   telbehörde lediglich
Effekte auch noch. foodwatch setzt sich da-                                                                        vor „Wilke“-Produk-     2) ERGEBNISSE VON HYGIENE-
für ein, dass sich das ändert. Vielen Dank,                                                                        ten. Dabei wurden          KONTROLLEN BLEIBEN GEHEIM
                                                                                                                   Waren des Wursther-     Verschimmelte Waren und völlig verdreckte
                                            Foto: ©picture alliance / Uwe Zucchi / dpa

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                                                                                                                   stellers auch unter     Produktionsstätten: Offenbar herrschten in der
Ihr                                                                                                                anderem Namen ver-      Wurstfirma Wilke schon lange ekelerregende
                                                                                                                   kauft, zum Beispiel     Zustände. Lange erfuhr die Öffentlichkeit da-
                                                                                                                   als Eigenmarke von      von nichts – und der Betrieb arbeitete weiter.
                                                                                                                   Metro. Und als lose     foodwatch fordert seit Jahren: Lebensmittelbe-
Andreas Winkler
                                                                                                                   Ware ausgegeben, et-    hörden müssen per Gesetz verpflichtet werden,
Leiter Pressearbeit foodwatch
Deutschland
                                                                                                                   wa in Krankenhäu-       über alle Kontrollergebnisse und Laborbefunde
                                                                                                                   sern oder in Restau-    zu informieren. Länder wie Dänemark machen
EKLIGE WURST Immer wieder Lebens-mittelskandale - SAUBERES KLIMA
DEZEMBER 2019                3

es längst vor: Die konsequente Veröffentlichung   werden – und dort in eine unabhängige, keinen
aller amtlichen Kontrollergebnisse sorgt dort     politischen Weisungen unterworfene Behörde.
nachweislich für bessere Hygiene in Lebensmit-
                                                                                                        DIE CHRONIK DES
telbetrieben.                                                                                           WILKE-SKANDALS

3) AUF KOMMUNALER EBENE BESTEHEN                                                                     > 2018/2019: Bundesbehörden unter-
                                                                                                       suchen einen Listeriose-Ausbruch mit
   INTERESSENKONFLIKTE
                                                                                                       mehreren Erkrankten und mindestens
Aktuell liegt die Zuständigkeit für die Überwa-
                                                                                                       drei Toten.
chung von Lebensmittelbetrieben meist bei den
Kommunen. Diese Nähe kann zu Interessen-                                                             > Seit Mai 2018 kommt es bei Eigenunter-
konflikten führen zwischen einerseits Arbeits-                                                         suchungen des Unternehmens und bei
                                                                                                       amtlichen Proben immer wieder zum
plätzen und Steuereinnahmen und andererseits
                                                                                                       Nachweis von Listerien auf Wilke-Pro-
dem Verbraucherschutz. Das zeigte auch der Fall
                                                                                                       dukten. Öffentliche Rückrufe bleiben je-
Wilke: Der zuständige Dezernent war gleich-                                                            weils aus.
zeitig sowohl für „Verbraucherschutz“ als auch    Verschimmelte Salami
                                                                                                     > Am 12. August 2019 wird das hessische
für „Direktvermarktung“ im Landkreis zustän-
                                                                                                       Verbraucherministerium von Bundesbe-
dig. In einem Interview mit dem hessischen        4) HANDELSKETTEN UND RESTAURANTS
                                                                                                       hörden informiert, dass Wilke-Wurstpro-
Fernsehen erweckte er den Eindruck, als liege        MÜSSEN RÜCKRUFE NICHT ÖFFENT-
                                                                                                       dukte im Verdacht stehen, Ursache
                                                     LICH MACHEN                                       des Listeriose-Ausbruchs zu sein.
                                                  Bei einem Rückruf ist vor allem der Hersteller
                                                                                                     > Erst acht Tage später, am 20. August,
                                                  in der Pflicht. Supermärkte, Kantinen oder Re-
                                                                                                       leitet das Ministerium den Listerien-
                                                  staurants, die die betroffenen Produkte abgege-
                                                                                                       Verdacht an den für die Kontrollen bei
                                                  ben haben, müssen ihre Kundschaft dagegen            Wilke zuständigen Landkreis weiter.
                                                  überhaupt nicht informieren – dabei haben die-
                                                                                                     > Weitere acht Tage später, am 28. August,
                                                  se Unternehmen den direkten Kundenkontakt.
                                                                                                       kontrolliert die Landkreisbehörde die
                                                  Im Fall Wilke hat zum Beispiel Ikea erst dann
                                                                                                       Wurstfabrik und stellt „nicht unerheb-
                                                  aktiv über den Rückruf berichtet, als foodwatch
                                                                                                       liche hygienische Mängel“ fest.
                                                  diese Tatsache bereits öffentlich gemacht hat-
                                                  te. Händler und andere Abgabestellen müssen        > Am 16. September steht für die Bundes-
                                                                                                       behörden mit an Sicherheit grenzender
                                                  daher gesetzlich verpflichtet werden, ihre Kun-
                                                                                                       Wahrscheinlichkeit fest: Wilke-Produkte
                                                  dinnen und Kunden vor bedenklichen Lebens-
                                                                                                       waren für den Listeriose-Ausbruch ver-
                                                  mitteln zu warnen – direkt mit einem Aushang         antwortlich.
                                                  im Laden oder Lokal, aber auch über Newslet-
                                                  ter oder Social-Media-Kanäle.                      > Erst am 2. Oktober wird der Betrieb ge-
Verdreckte Rauchkammer bei Wilke
                                                                                                       schlossen und Wilke-Erzeugnisse öffent-
                                                                                                       lich zurückgerufen.
das größte Problem beim Wilke-Skandal in der          Wenn wir nicht endlich die Lehren aus Fällen
Schließung eines Unternehmens, in dem „Freun-     wie Wilke ziehen, ist der nächste Lebensmittel-    > Bis Redaktionsschluss der foodwatch-
                                                                                                       Nachrichten legen die Behörden ihr
de und Bekannte arbeiten“ – und nicht in den      skandal nur eine Frage der Zeit. Bundesernäh-
                                                                                                       Wissen über betroffene Produkte und
Todes- und Krankheitsfällen. foodwatch fordert:   rungsministerin Julia Klöckner muss die längst
                                                                                                       Verkaufsstellen nicht vollständig offen.
Die Lebensmittelüberwachung muss von der          bekannten Schwachstellen und Gesetzeslücken
kommunalen auf die Länderebene verlagert          beseitigen. foodwatch bleibt dran!
EKLIGE WURST Immer wieder Lebens-mittelskandale - SAUBERES KLIMA
4             DEZEMBER 2019

                                                                                                             2019 – Das hat uns bei
Foto: © BMEL/Janine Schmitz/photothek.net

                                                                                                                KEIN STEUERGELD MEHR FÜR
                                                                                                                ZUCKRIGE SCHULMILCH

                                                                                                                                                                                 Foto: © foodwatch / picture alliance / Mika Volkmann
                                                 DIE NUTRI-SCORE-AMPEL
                                                 KOMMT – ENDLICH!

                                                Ärzteverbände, Krankenkassen und Verbraucherorgani-
                                                sationen wie foodwatch haben lange dafür gekämpft –
                                                und Ende September hat Ernährungsministerin Julia
                                                Klöckner endlich ihren Widerstand aufgegeben: Auch in
                                                Deutschland soll es eine Ampelkennzeichnung für Lebens-
                                                                                                             Die staatliche Förderung gezuckerter Schulmilch gehört bundesweit
                                                mittel geben! Ganz ehrlich: Wir haben bei dieser Nach-
                                                                                                             der Geschichte an. Nach Hessen, Berlin und Brandenburg beendete
                                                richt die Sektkorken knallen lassen. Denn seit über zehn
                                                                                                             auch Nordrhein-Westfalen als letztes Bundesland die Subvention
                                                Jahren engagieren wir uns für eine verbraucherfreund-
                                                                                                             für gesüßten Kakao zum Ende des ersten Schulhalbjahres. Damit
                                                liche Kennzeichnung von Nährwerten wie Zucker, Salz
                                                                                                             fördern alle Bundesländer nur noch ungesüßte Milchprodukte im
                                                und Fett. Doch so groß unsere Freude auch war, unsere
                                                                                                             Rahmen des Schulmilchprogramms. Im Einklang mit Kinder- und
                                                Arbeit ist noch nicht beendet: Denn der Nutri-Score ist
                                                                                                             Zahnärzten, Diabetologen und Ernährungswissenschaftlern hatte
                                                bisher nur ein freiwilliges Modell. Die Bundesregierung
                                                                                                             foodwatch genau dies gefordert.
                                                will ihn zwar rechtlich bei der EU anmelden. Ob ihn die
                                                Hersteller von Lebensmitteln aber auch auf ihre Packung
                                                drucken, bleibt einzig und allein ihnen selbst überlassen.
                                                Einzelne Unternehmen wie Iglo, Bofrost und Nestlé
                                                wollen dies tun – doch die Zuckerindustrie läuft Sturm
                                                gegen die Kennzeichnung. Der Nutri-Score wird uns
                                                deshalb wohl auch noch 2020 begleiten: Wir wollen so
                                                viele Unternehmen wie möglich dazu bringen, ihre Pro-
                                                dukte mit der Ampel zu versehen. Und Druck auf Frau
                                                Klöckner ausüben: Die Ministerin muss sich in Brüssel
                                                dafür einsetzen, dass der Nutri-Score verbindlich in der
                                                Europäischen Union eingeführt wird.
EKLIGE WURST Immer wieder Lebens-mittelskandale - SAUBERES KLIMA
DEZEMBER 2019              5

foodwatch bewegt                                                                                        SÄUGLINGSMILCH MIT
                                                                                                        MINERALÖL BELASTET

                                                                                                       Milchpulver für Babys von Nestlé und Novalac ist mit
                                                                                                       gesundheitsgefährdendem Mineralöl belastet. Das be-
                                                                                                       legen unabhängige Laboranalysen, die foodwatch im
                                                                                                       Oktober veröffentlicht hat. Von vier in Deutschland
                                                                                                       eingekauften Produkten waren drei mit krebsverdäch-
               ... BRINGT LICHT INS DUNKEL                                                             tigen aromatischen Mineralölbestandteilen (MOAH)
                                                                                                       verunreinigt. Diese könnten von den als Verpackung
                                                                                                       verwendeten Weißblechdosen auf die Produkte über-
 Im Januar hat foodwatch gemeinsam mit der Transparenzinitiative FragDenStaat                          gegangen sein. foodwatch riet Eltern daher, ihren Kin-
 das Verbraucherportal Topf Secret gestartet – seitdem ist eine Menge passiert:                        dern vorsorglich keine Säuglingsmilch aus Weißblech-
 Mehr als 21.000 Bürgerinnen und Bürger wollten wissen, wie es um die Hygiene                          dosen mehr zu füttern, bis die Hersteller belegen
 beim Bäcker nebenan oder in der Kantine bestellt ist und haben bei den zuständi-                      können, dass ihre Produkte unbelastet sind. foodwatch
 gen Behörden die Hygiene-Berichte von rund 38.000 Lebensmittelbetrieben be-                           forderte Verbraucherschutzministerin Julia Klöckner
 antragt. Das hat es zuvor noch nie gegeben! Hunderte Betriebe zogen dagegen                           auf, endlich vorzuschreiben, dass Lebensmittel nicht
 mit Klagen vor Gericht – offenbar soll niemand von den festgestellten Hygiene-                        mit aromatischen Mineralölen belastet sein dürfen.
 mängeln erfahren. Doch die Gastro-Lobby kommt damit nicht durch – dafür sorgte
 foodwatch mit Hilfe fachkundiger Anwältinnen und Anwälte in mehreren entschei-
 denden Gerichtsverfahren. In Ländern wie Dänemark ist man schon viel weiter: Hier
 veröffentlichen die Behörden automatisch die Ergebnisse der Hygienekontrollen.
 Topf Secret zeigt deutlich: Auch in Deutschland wünschen sich viele Menschen ein
 solches Transparenz-System. foodwatch wird weiter hartnäckig dafür kämpfen.

                                                                                                       Diese Produkte waren betroffen: „Beba Optipro Pre“ und
                                                                                                       „Beba Optipro 1“ von Nestlé sowie die in Apotheken erhält-
  DR. OETKER:                                                                                          liche „Novalac Säuglingsmilchnahrung Pre“.

  KUCHENDEKO OHNE TITANDIOXID

 Zuckerguss, bunte Streusel, Backmischung – zahlreiche Produkte des Nahrungsmittelkonzerns Dr. Oetker enthalten den Zusatz-
 stoff Titandioxid (E171). Der weiße Farbstoff steht unter Verdacht, in Form allerkleinster Nanopartikel Krebs auszulösen. In Frank-
 reich darf Titandioxid daher ab 2020 in Lebensmitteln vorerst nicht mehr verwendet werden. Auch Dr. Oetker muss aussteigen
 – das forderten mehr als 40.000 Menschen über eine Online-Protestaktion von foodwatch. Mit Erfolg: Der Lebensmittelkonzern
 will ab dem ersten Quartal 2020 auf den umstrittenen Stoff verzichten.
EKLIGE WURST Immer wieder Lebens-mittelskandale - SAUBERES KLIMA
6                DEZEMBER 2019

ALLE REDEN ÜBER DAS KLIMA – ABER NIEMAND
ÜBER DIE LANDWIRTSCHAFT
foodwatch-Studie zeigt Umweltschäden der Agrarindustrie

Die Landwirtschaft in der Europäischen Union                              Aber vor allem die Klimakosten
verursacht gewaltige Klima- und Umweltschä-                          sind gewaltig: Allein durch die kli-
den. Das zeigt eine im Auftrag von foodwatch                         maschädlichen Emissionen der EU-
durchgeführte Übersichtsstudie. Doch diese                           Landwirtschaft ergeben sich externe
Umweltkosten spielen in der Agrarpolitik bis-                        Kosten in Höhe von umgerechnet cir-
her kaum eine Rolle. foodwatch fordert seit                          ca 77 Milliarden Euro pro Jahr, wenn
Jahren: Das muss sich endlich ändern!                                man den vom Umweltbundesamt vor-
                                                                     geschlagenen CO2-Preis von 180 Euro
Während weltweit Menschen für mehr Klima-                            pro Tonne zugrunde legt. Hauptverur-
schutz auf die Straße gehen, die Politik über den                    sacher der Umweltkosten sind Betriebe
Kohle-Ausstieg diskutiert und das Wort „Flug-                        der hochintensiven konventionellen Land-
scham“ fast in aller Munde ist, wird über ein                        wirtschaft, insbesondere im Bereich Tierhal-
Thema im Zusammenhang mit dem Klimawan-                              tung. Hier sind zum Beispiel der energieinten-
del noch immer erstaunlich wenig gesprochen:                         sive Futtermittelanbau und die Betreibung von
die Rolle der Landwirtschaft. Dabei ist die Art                      Ställen und Belüftungssystemen ein Problem.
und Weise, wie wir heutzutage unsere Lebens-
mittel produzieren, ein wesentlicher Klimatreiber.                       foodwatch fordert konkrete und strenge CO2-
                                                                     Einsparvorgaben für die Landwirtschaft. Um An-
     Eine Auswertung zahlreicher wissenschaft-                       reize zu schaffen, möglichst klimafreundlich
licher Studien im Auftrag von foodwatch ver-                         zu produzieren, muss zudem das Verursacher-
deutlicht: Die sogenannten „negativen exter-                         prinzip angewendet werden: Die Landwirtschaft
nen Effekte“ der Landwirtschaft – also Umwelt-                       muss für die von ihr verursachten Klima- und
kosten, die durch landwirtschaftliche Produk-                        Umweltschäden aufkommen. So würden umwelt-
tion entstehen – sind enorm. So werden zum                           freundlich erzeugte Produkte günstiger – und
Beispiel das Grundwasser oder Flüsse und Seen                        umweltschädliche teurer. Das wäre umwelt-
durch Pestizide und Gülle belastet. Wasserbe-                        freundlichere Landwirtschaft. Dafür kämpft              > foodwatch-
trieben und Kläranlagen entstehen dadurch ho-                        foodwatch seit vielen Jahren. Und dafür wer-                 Studie:
he Mehrkosten.                                                       den wir uns auch weiterhin einsetzen.                    t1p.de/atro

IMPRESSUM ––––––––– Herausgeber Dr. Thilo Bode, Martin Rücker ∙ foodwatch e. V. · Anschrift Brunnenstr. 181 ∙ 10119 Berlin
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EKLIGE WURST Immer wieder Lebens-mittelskandale - SAUBERES KLIMA
DEZEMBER 2019                  7

ERNÄHRUNGSFRAGE: „IST HEFEEXTRAKT UNGESUND?“

„Ohne Hefeextrakt“ – damit wird vor allem auf     eine der fünf grundlegenden Geschmacksrich-         Fleisch herzustellen. Gleichzeitig wirkt Glutamin-
Gemüsebrühen geworben. Sollte man darauf          tungen, die die Geschmacksknospen unserer           säure appetitanregend. Sie regt den Speichelfluss
achten, Produkte mit Hefeextrakt zu meiden?       Zunge unterscheiden können.                         und die Bildung der Magensäfte an. Evolutionär
                                                                                                      macht diese Reaktion durchaus Sinn: Denn Le-
Ernährungsexpertin Alice Luttropp antwortet:      Hefeextrakt ersetzt „echte“ Zutaten                 bensmittel, die umami schmecken (etwa Fleisch),
Hefeextrakt wird bereits seit längerer Zeit als        Grundsätzlich ist Hefeextrakt nicht unge-      decken in der Regel gut den Proteinbedarf. Hatte
Würzmittel verwendet. In Großbritannien er-       sund. Das „China-Restaurant-Syndrom“ ist wis-       man ein Tier erlegt, tat man gut daran, viel da-
freut sich etwa der vegetarische Brotaufstrich    senschaftlich nicht belegt – damit wird um-         von zu essen, schließlich war nie sicher, wann es
Marmite seit 1902 einiger Beliebtheit — er be-    gangssprachlich das Unwohlsein nach dem Ver-        das nächste Festmahl geben würde. Heutzutage
steht zum großen Teil aus Hefeextrakt. Da Glu-    zehr von Glutamat bezeichnet. Allerdings scheint    in unserer Überflusswelt sieht das anders aus:
tamat als Geschmacksverstärker zunehmend          es Personen zu geben, die empfindlich auf Glu-      Wenn gerade Fertiggerichte, die viel Fett oder
ein schlechtes Image bekam, setzte die Lebens-    taminsäure reagieren. Hefeextrakt enthält deut-     Zucker enthalten, umami schmecken und un-
mittelindustrie Hefeextrakt auch als Glutamat-    lich geringere Mengen an Glutaminsäure als          seren Appetit anregen, kann dies möglicherwei-
Alternative ein, etwa in Gemüsebrühe. Mittler-    Glutamat – und zusätzlich auch wertgebende In-      se zur Bildung von Übergewicht beitragen.
weile sind jedoch viele Menschen skeptisch ge-    haltstoffe wie B-Vitamine.
genüber Hefeextrakt. Denn genauso wie Gluta-           Hefeextrakt ab und zu als Würzmittel zu nut-
mat enthält Hefeextrakt Glutaminsäure. Diese      zen, ist völlig unproblematisch, sofern man es       Der exklusive Service für foodwatch-Mitglie-
Säure kommt zwar auch natürlicherweise in To-     gut verträgt. Das Problematische an der Verwen-      der: Senden Sie Ihre Ernährungsfrage per
maten, Pilzen oder Parmesan vor – darin jedoch    dung von Hefeextrakt durch die Lebensmittel-         Mail an ernaehrung@foodwatch.de oder
in deutlich geringeren Mengen. Glutaminsäure      industrie ist sein Einsatz als Geschmacksverstär-    hinterlassen Sie Ihre Nummer unter 030 /
zeichnet sich durch einen würzigen, herzhaften    ker. Denn Hefeextrakt oder Glutamat ermögli-         28 44 52 95 auf dem Anrufbeantworter.
                                                                                                       Bitte geben Sie dabei Ihre Mitgliedsnum-
Geschmack aus, auch als „umami“ bezeichnet.       chen es, herzhafte Produkte mit minimalem Ein-
                                                                                                       mer an. Unsere Ernährungswissenschaft-
Umami ist neben süß, sauer, salzig und bitter     satz „echter“ Zutaten wie Suppengemüse oder
                                                                                                       lerin ruft Sie zurück.

                                                                                       Wir danken Ihnen sehr herzlich
                                                                                        für Ihre treue Unterstützung
                                                                                               von foodwatch.

                                                                                          IHR BEITRAG ERMÖGLICHT ES UNS, POLITISCH
                                                                                        UND FINANZIELL UNABHÄNGIG FÜR VERBRAUCHER-
                                                                                                   INTERESSEN ZU STREITEN!
EKLIGE WURST Immer wieder Lebens-mittelskandale - SAUBERES KLIMA
8            DEZEMBER 2019

Die Macht des Einzelnen?
Der Klimawandel ist eines der drängendsten          anderen ist er die Voraussetzung dafür, dass die    etwas bewirken: Ein aktuelles Beispiel ist die
Probleme der Gegenwart. Viele Menschen fra-         notwendigen Veränderungen durch den Staat           Aktion „Rettet die Bienen“ in Bayern. Die Bür-
gen sich: Was kann ich als Einzelner tun? Bio-      möglichst große Akzeptanz finden.                   gerinitiative initiierte das bisher größte Volks-
Lebensmittel kaufen, Ökostrom beziehen, mit                                                             begehren, das jemals in Bayern stattfand. Fast
der Bahn statt dem Flugzeug in den Urlaub fa-       Und der Aufruf zu klimabewusstem Konsum             1,8 Millionen Menschen haben mit ihrer Un-
hren – das hört sich gut an. Doch bringt es was?    ist doch besser als nichts, oder?                   terschrift die bayerische Staatsregierung dazu
foodwatch-Gründer Thilo Bode ist skeptisch.         Da bin ich mir nicht so sicher. Ich sehe die Ge-    gebracht, den Text des Referendums unverän-
                                                    fahr, dass den Leuten vorgegaukelt wird, dass sie   dert als Gesetz zu übernehmen. Und auch im
Haben wir Verbraucherinnen und Verbraucher          durch Kaufentscheidungen die Welt verändern         Kleinen, auf lokaler Ebene, kann ich etwas be-
es in der Hand, die Welt zu retten?                 können. Das spielt gerade auch den Konzernen        wegen: Menschen können sich zusammen-
Ja. Aber mit Sicherheit nicht, indem wir im Su-     in die Hände, die natürlich überhaupt kein Inte-    schließen, um beispielsweise in ihrer Gemein-
permarkt die vermeintlich richtigen Produkte        resse daran haben, dass die Politik ihnen stren-    de ein traditionelles Wirtshaus oder einen tra-
kaufen. Denn die Auswirkungen auf den Klima-        gere Regeln auferlegt. Die Tatsache, dass Ver-      ditionellen Bäcker zu erhalten. Damit löse ich
schutz sind verschwindend gering – selbst wenn      braucherinnen und Verbraucher nur Produkte          natürlich noch nicht das Klimaproblem, aber
tatsächlich eine große Anzahl von Menschen          nachfragen und kaufen können, aber keine In-        ich verbessere mein Lebensumfeld und zeige,
ihr Verhalten ändern würde, was höchst un-          frastruktur, fällt bei diesen Äußerungen unter      dass eine andere Welt möglich wäre. Aber ganz
wahrscheinlich ist. Nehmen wir an, in Deutsch-      den Tisch. Beispiel Autoverkehr: Die Nachfra-       klar: Wenn es um die großen Herausforderun-
land würden 10 Millionen Menschen von heute         ge nach spritsparenden Automobilen schafft          gen wie den Klimawandel geht, ist die Interven-
auf morgen von konventioneller Ernährung auf        noch keine menschengerechten Innenstädte.           tion des Staates gefragt.
vegane Ernährung umsteigen, aufs Fliegen ver-       Die Politik müsste das Verkehrssystem neu ge-

                                                                                                                                                            Foto: © foodwatch / Christian Plambeck
zichten und öffentliche Verkehrsmittel nutzen,      stalten, also Radwege und Fußgängerzonen
und auch ihren sonstigen Konsum stark ein-          bauen, Tempolimits einführen, Gewicht und
schränken. Zusammengenommen ließen sich so          Größe von Autos regulieren, den öffentlichen
etwa 30 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Klingt      Nahverkehr verbessern.
gigantisch – macht aber nur etwa 3 Prozent des
jährlichen Gesamtausstoßes Deutschlands aus.        Ich kann als Einzelner also gar nichts tun?
Das Abschalten eines einzigen großen Braun-         Wenn ich mich einzig und alleine als Konsument
kohlekraftwerks brächte genauso viel!               verstehe, sind mir tatsächlich die Hände gebun-
                                                    den. Aber nicht als Verbraucheraktivist oder
Es ist also egal, ob ich SUV fahre, häufig fliege   kritischer Bürger! Es gibt zahlreiche Möglich-
und jeden Tag Fleisch esse?                         keiten, sich einzubringen: Ich kann wählen ge-
Im Hinblick darauf, ob meine Verhaltensände-        hen, meinen Bundestagsabgeordneten in der
rung spürbar zur Minderung der globalen Er-         Sprechstunde besuchen, mich in Bürgerinitia-
wärmung beiträgt: Ja. Das heißt aber nicht, dass    tiven engagieren, auf Demonstrationen gehen,
gedankenloser Konsum in Ordnung ist. Ethisch        kritische Organisationen unterstützen. Das ist
verantwortlicher Konsum hat zum einen eine          sicher unbequemer, als im Supermarkt zu den              Thilo Bode ist Gründer und
Vorbildfunktion, gerade auch für Kinder. Zum        „korrekten“ Produkten zu greifen. Aber es kann           Internationaler Direktor von foodwatch.
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