EKLIGE WURST Immer wieder Lebens-mittelskandale - SAUBERES KLIMA
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Dezember 2019 DIE NACHRICHTEN FÜR MITGLIEDER Foto: © foodwatch / Laura Knauf Seite 2 Seite 6 Seite 8 EKLIGE SAUBERES REINES WURST KLIMA GEWISSEN Immer wieder Lebens- Dafür protestieren Was kann der mittelskandale wir Einzelne tun?
2 DEZEMBER 2019 ES GEHT UM DIE WURST – ABER NICHT NUR… Warum es immer wieder zu Lebensmittelskandalen kommt Mindestens drei Menschen starben, mehrere rants von Ikea. Viele Fakten wurden erst durch Dutzend erkrankten: Der Skandal um mit Lis- Recherchen von foodwatch bekannt. Erst fünf terien belastete Wurst der Firma Wilke schreck- Tage nach dem Rückruf veröffentlichten die hes- Liebe Unterstützerin, te im Oktober die Menschen auf. Während die sischen Behörden eine Produktliste mit mehr lieber Unterstützer, Behörden nur scheibchenweise informierten, als 1.100 Einträgen. War nun alles geklärt? Ganz hakte foodwatch nach – und deckte das mise- und gar nicht. Die hessische Verbraucher- im September protestierten weltweit Millionen rable Krisenmanagement von Hersteller und schutzministerin Priska Hinz räumte am 16. Ok- von Menschen für mehr Klimaschutz. Auch wir Behörden auf. Das Schlimme ist: Ob Dioxin, tober ein: „Wir können schlicht nicht nachvoll- von foodwatch waren in Berlin auf der Straße. Pferdefleisch oder Fipronil – es sind immer ziehen, in welchem Supermarkt und in wel- Warum? Springt foodwatch jetzt plötzlich auch wieder die gleichen Pro- cher Kantine die Wilke-Wurst verkauft wurde.“ auf den Klimazug auf? Nein. Bereits 2008 bleme, die Lebens- Und das, obwohl das europäische Lebensmittel- hatte foodwatch in einem umfassenden Report die Bedeutung der Landwirtschaft mittelskandale recht die lückenlose Rückverfolgbarkeit von Le- für den Klimaschutz thematisiert. Auch in möglich machen: bensmitteln entlang der Lieferkette vorschreibt. unserer neuen Studie zu den Umwelt- und Auch bei früheren Lebensmittelskandalen wie Klimaschäden der Landwirtschaft (siehe 1) LIEFERKETTEN dem Pferdefleisch-Betrug oder mit Fipronil belas- S. 6) fordern wir: Die Agrarpolitik muss end- KÖNNEN NICHT teten Eiern tappten die Behörden im Dunkeln lich Teil der Klimapolitik werden! Denn was RÜCKVERFOLGT – die Verbraucherinnen und Verbraucher erfuh- Fotos: Waldeckische Landeszeitung/privat Flugreisen und SUV-Geländewagen für den WERDEN ren viel zu spät, nur unvollständig oder gar nicht Verkehr darstellen, sind die Massenproduk- Zum Start des Rück- von den betroffenen Produkten. foodwatch for- tion von Fleisch und die Überdüngung der rufs warnte die zu- dert: Die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln Äcker für die Landwirtschaft. Und das Schlim- ständige Lebensmit- muss endlich durchgesetzt werden. me ist: Mit Milliarden Euro Agrar-Subventio- nen fördert die Politik die klimaschädlichen telbehörde lediglich Effekte auch noch. foodwatch setzt sich da- vor „Wilke“-Produk- 2) ERGEBNISSE VON HYGIENE- für ein, dass sich das ändert. Vielen Dank, ten. Dabei wurden KONTROLLEN BLEIBEN GEHEIM Waren des Wursther- Verschimmelte Waren und völlig verdreckte Foto: ©picture alliance / Uwe Zucchi / dpa dass Sie uns dabei unterstützen! stellers auch unter Produktionsstätten: Offenbar herrschten in der Ihr anderem Namen ver- Wurstfirma Wilke schon lange ekelerregende kauft, zum Beispiel Zustände. Lange erfuhr die Öffentlichkeit da- als Eigenmarke von von nichts – und der Betrieb arbeitete weiter. Metro. Und als lose foodwatch fordert seit Jahren: Lebensmittelbe- Andreas Winkler Ware ausgegeben, et- hörden müssen per Gesetz verpflichtet werden, Leiter Pressearbeit foodwatch Deutschland wa in Krankenhäu- über alle Kontrollergebnisse und Laborbefunde sern oder in Restau- zu informieren. Länder wie Dänemark machen
DEZEMBER 2019 3 es längst vor: Die konsequente Veröffentlichung werden – und dort in eine unabhängige, keinen aller amtlichen Kontrollergebnisse sorgt dort politischen Weisungen unterworfene Behörde. nachweislich für bessere Hygiene in Lebensmit- DIE CHRONIK DES telbetrieben. WILKE-SKANDALS 3) AUF KOMMUNALER EBENE BESTEHEN > 2018/2019: Bundesbehörden unter- suchen einen Listeriose-Ausbruch mit INTERESSENKONFLIKTE mehreren Erkrankten und mindestens Aktuell liegt die Zuständigkeit für die Überwa- drei Toten. chung von Lebensmittelbetrieben meist bei den Kommunen. Diese Nähe kann zu Interessen- > Seit Mai 2018 kommt es bei Eigenunter- konflikten führen zwischen einerseits Arbeits- suchungen des Unternehmens und bei amtlichen Proben immer wieder zum plätzen und Steuereinnahmen und andererseits Nachweis von Listerien auf Wilke-Pro- dem Verbraucherschutz. Das zeigte auch der Fall dukten. Öffentliche Rückrufe bleiben je- Wilke: Der zuständige Dezernent war gleich- weils aus. zeitig sowohl für „Verbraucherschutz“ als auch Verschimmelte Salami > Am 12. August 2019 wird das hessische für „Direktvermarktung“ im Landkreis zustän- Verbraucherministerium von Bundesbe- dig. In einem Interview mit dem hessischen 4) HANDELSKETTEN UND RESTAURANTS hörden informiert, dass Wilke-Wurstpro- Fernsehen erweckte er den Eindruck, als liege MÜSSEN RÜCKRUFE NICHT ÖFFENT- dukte im Verdacht stehen, Ursache LICH MACHEN des Listeriose-Ausbruchs zu sein. Bei einem Rückruf ist vor allem der Hersteller > Erst acht Tage später, am 20. August, in der Pflicht. Supermärkte, Kantinen oder Re- leitet das Ministerium den Listerien- staurants, die die betroffenen Produkte abgege- Verdacht an den für die Kontrollen bei ben haben, müssen ihre Kundschaft dagegen Wilke zuständigen Landkreis weiter. überhaupt nicht informieren – dabei haben die- > Weitere acht Tage später, am 28. August, se Unternehmen den direkten Kundenkontakt. kontrolliert die Landkreisbehörde die Im Fall Wilke hat zum Beispiel Ikea erst dann Wurstfabrik und stellt „nicht unerheb- aktiv über den Rückruf berichtet, als foodwatch liche hygienische Mängel“ fest. diese Tatsache bereits öffentlich gemacht hat- te. Händler und andere Abgabestellen müssen > Am 16. September steht für die Bundes- behörden mit an Sicherheit grenzender daher gesetzlich verpflichtet werden, ihre Kun- Wahrscheinlichkeit fest: Wilke-Produkte dinnen und Kunden vor bedenklichen Lebens- waren für den Listeriose-Ausbruch ver- mitteln zu warnen – direkt mit einem Aushang antwortlich. im Laden oder Lokal, aber auch über Newslet- ter oder Social-Media-Kanäle. > Erst am 2. Oktober wird der Betrieb ge- Verdreckte Rauchkammer bei Wilke schlossen und Wilke-Erzeugnisse öffent- lich zurückgerufen. das größte Problem beim Wilke-Skandal in der Wenn wir nicht endlich die Lehren aus Fällen Schließung eines Unternehmens, in dem „Freun- wie Wilke ziehen, ist der nächste Lebensmittel- > Bis Redaktionsschluss der foodwatch- Nachrichten legen die Behörden ihr de und Bekannte arbeiten“ – und nicht in den skandal nur eine Frage der Zeit. Bundesernäh- Wissen über betroffene Produkte und Todes- und Krankheitsfällen. foodwatch fordert: rungsministerin Julia Klöckner muss die längst Verkaufsstellen nicht vollständig offen. Die Lebensmittelüberwachung muss von der bekannten Schwachstellen und Gesetzeslücken kommunalen auf die Länderebene verlagert beseitigen. foodwatch bleibt dran!
4 DEZEMBER 2019 2019 – Das hat uns bei Foto: © BMEL/Janine Schmitz/photothek.net KEIN STEUERGELD MEHR FÜR ZUCKRIGE SCHULMILCH Foto: © foodwatch / picture alliance / Mika Volkmann DIE NUTRI-SCORE-AMPEL KOMMT – ENDLICH! Ärzteverbände, Krankenkassen und Verbraucherorgani- sationen wie foodwatch haben lange dafür gekämpft – und Ende September hat Ernährungsministerin Julia Klöckner endlich ihren Widerstand aufgegeben: Auch in Deutschland soll es eine Ampelkennzeichnung für Lebens- Die staatliche Förderung gezuckerter Schulmilch gehört bundesweit mittel geben! Ganz ehrlich: Wir haben bei dieser Nach- der Geschichte an. Nach Hessen, Berlin und Brandenburg beendete richt die Sektkorken knallen lassen. Denn seit über zehn auch Nordrhein-Westfalen als letztes Bundesland die Subvention Jahren engagieren wir uns für eine verbraucherfreund- für gesüßten Kakao zum Ende des ersten Schulhalbjahres. Damit liche Kennzeichnung von Nährwerten wie Zucker, Salz fördern alle Bundesländer nur noch ungesüßte Milchprodukte im und Fett. Doch so groß unsere Freude auch war, unsere Rahmen des Schulmilchprogramms. Im Einklang mit Kinder- und Arbeit ist noch nicht beendet: Denn der Nutri-Score ist Zahnärzten, Diabetologen und Ernährungswissenschaftlern hatte bisher nur ein freiwilliges Modell. Die Bundesregierung foodwatch genau dies gefordert. will ihn zwar rechtlich bei der EU anmelden. Ob ihn die Hersteller von Lebensmitteln aber auch auf ihre Packung drucken, bleibt einzig und allein ihnen selbst überlassen. Einzelne Unternehmen wie Iglo, Bofrost und Nestlé wollen dies tun – doch die Zuckerindustrie läuft Sturm gegen die Kennzeichnung. Der Nutri-Score wird uns deshalb wohl auch noch 2020 begleiten: Wir wollen so viele Unternehmen wie möglich dazu bringen, ihre Pro- dukte mit der Ampel zu versehen. Und Druck auf Frau Klöckner ausüben: Die Ministerin muss sich in Brüssel dafür einsetzen, dass der Nutri-Score verbindlich in der Europäischen Union eingeführt wird.
DEZEMBER 2019 5 foodwatch bewegt SÄUGLINGSMILCH MIT MINERALÖL BELASTET Milchpulver für Babys von Nestlé und Novalac ist mit gesundheitsgefährdendem Mineralöl belastet. Das be- legen unabhängige Laboranalysen, die foodwatch im Oktober veröffentlicht hat. Von vier in Deutschland eingekauften Produkten waren drei mit krebsverdäch- ... BRINGT LICHT INS DUNKEL tigen aromatischen Mineralölbestandteilen (MOAH) verunreinigt. Diese könnten von den als Verpackung verwendeten Weißblechdosen auf die Produkte über- Im Januar hat foodwatch gemeinsam mit der Transparenzinitiative FragDenStaat gegangen sein. foodwatch riet Eltern daher, ihren Kin- das Verbraucherportal Topf Secret gestartet – seitdem ist eine Menge passiert: dern vorsorglich keine Säuglingsmilch aus Weißblech- Mehr als 21.000 Bürgerinnen und Bürger wollten wissen, wie es um die Hygiene dosen mehr zu füttern, bis die Hersteller belegen beim Bäcker nebenan oder in der Kantine bestellt ist und haben bei den zuständi- können, dass ihre Produkte unbelastet sind. foodwatch gen Behörden die Hygiene-Berichte von rund 38.000 Lebensmittelbetrieben be- forderte Verbraucherschutzministerin Julia Klöckner antragt. Das hat es zuvor noch nie gegeben! Hunderte Betriebe zogen dagegen auf, endlich vorzuschreiben, dass Lebensmittel nicht mit Klagen vor Gericht – offenbar soll niemand von den festgestellten Hygiene- mit aromatischen Mineralölen belastet sein dürfen. mängeln erfahren. Doch die Gastro-Lobby kommt damit nicht durch – dafür sorgte foodwatch mit Hilfe fachkundiger Anwältinnen und Anwälte in mehreren entschei- denden Gerichtsverfahren. In Ländern wie Dänemark ist man schon viel weiter: Hier veröffentlichen die Behörden automatisch die Ergebnisse der Hygienekontrollen. Topf Secret zeigt deutlich: Auch in Deutschland wünschen sich viele Menschen ein solches Transparenz-System. foodwatch wird weiter hartnäckig dafür kämpfen. Diese Produkte waren betroffen: „Beba Optipro Pre“ und „Beba Optipro 1“ von Nestlé sowie die in Apotheken erhält- DR. OETKER: liche „Novalac Säuglingsmilchnahrung Pre“. KUCHENDEKO OHNE TITANDIOXID Zuckerguss, bunte Streusel, Backmischung – zahlreiche Produkte des Nahrungsmittelkonzerns Dr. Oetker enthalten den Zusatz- stoff Titandioxid (E171). Der weiße Farbstoff steht unter Verdacht, in Form allerkleinster Nanopartikel Krebs auszulösen. In Frank- reich darf Titandioxid daher ab 2020 in Lebensmitteln vorerst nicht mehr verwendet werden. Auch Dr. Oetker muss aussteigen – das forderten mehr als 40.000 Menschen über eine Online-Protestaktion von foodwatch. Mit Erfolg: Der Lebensmittelkonzern will ab dem ersten Quartal 2020 auf den umstrittenen Stoff verzichten.
6 DEZEMBER 2019 ALLE REDEN ÜBER DAS KLIMA – ABER NIEMAND ÜBER DIE LANDWIRTSCHAFT foodwatch-Studie zeigt Umweltschäden der Agrarindustrie Die Landwirtschaft in der Europäischen Union Aber vor allem die Klimakosten verursacht gewaltige Klima- und Umweltschä- sind gewaltig: Allein durch die kli- den. Das zeigt eine im Auftrag von foodwatch maschädlichen Emissionen der EU- durchgeführte Übersichtsstudie. Doch diese Landwirtschaft ergeben sich externe Umweltkosten spielen in der Agrarpolitik bis- Kosten in Höhe von umgerechnet cir- her kaum eine Rolle. foodwatch fordert seit ca 77 Milliarden Euro pro Jahr, wenn Jahren: Das muss sich endlich ändern! man den vom Umweltbundesamt vor- geschlagenen CO2-Preis von 180 Euro Während weltweit Menschen für mehr Klima- pro Tonne zugrunde legt. Hauptverur- schutz auf die Straße gehen, die Politik über den sacher der Umweltkosten sind Betriebe Kohle-Ausstieg diskutiert und das Wort „Flug- der hochintensiven konventionellen Land- scham“ fast in aller Munde ist, wird über ein wirtschaft, insbesondere im Bereich Tierhal- Thema im Zusammenhang mit dem Klimawan- tung. Hier sind zum Beispiel der energieinten- del noch immer erstaunlich wenig gesprochen: sive Futtermittelanbau und die Betreibung von die Rolle der Landwirtschaft. Dabei ist die Art Ställen und Belüftungssystemen ein Problem. und Weise, wie wir heutzutage unsere Lebens- mittel produzieren, ein wesentlicher Klimatreiber. foodwatch fordert konkrete und strenge CO2- Einsparvorgaben für die Landwirtschaft. Um An- Eine Auswertung zahlreicher wissenschaft- reize zu schaffen, möglichst klimafreundlich licher Studien im Auftrag von foodwatch ver- zu produzieren, muss zudem das Verursacher- deutlicht: Die sogenannten „negativen exter- prinzip angewendet werden: Die Landwirtschaft nen Effekte“ der Landwirtschaft – also Umwelt- muss für die von ihr verursachten Klima- und kosten, die durch landwirtschaftliche Produk- Umweltschäden aufkommen. So würden umwelt- tion entstehen – sind enorm. So werden zum freundlich erzeugte Produkte günstiger – und Beispiel das Grundwasser oder Flüsse und Seen umweltschädliche teurer. Das wäre umwelt- durch Pestizide und Gülle belastet. Wasserbe- freundlichere Landwirtschaft. Dafür kämpft > foodwatch- trieben und Kläranlagen entstehen dadurch ho- foodwatch seit vielen Jahren. Und dafür wer- Studie: he Mehrkosten. den wir uns auch weiterhin einsetzen. t1p.de/atro IMPRESSUM ––––––––– Herausgeber Dr. Thilo Bode, Martin Rücker ∙ foodwatch e. V. · Anschrift Brunnenstr. 181 ∙ 10119 Berlin Telefon 030 / 28 44 52 96 · Fax 030 / 24 04 76 26 E-Mail service@foodwatch.de · Internet www.foodwatch.de Redaktion Sarah Häuser, Andreas Winkler (V.i.S.d.P.) · Gestaltung Annette Klusmann. puredesign Spendenkonto foodwatch e. V. ∙ IBAN DE 5043 0609 6701 0424 6400 · BIC GENO DEM 1 GLS Gedruckt mit mineralölfreier Farbe auf 100 Prozent chlorfrei gebleichtem Recyclingpapier. Die foodwatch-Nachrichten erscheinen zweimal jährlich und werden per Post an alle Förderinnen und Förderer geschickt.
DEZEMBER 2019 7 ERNÄHRUNGSFRAGE: „IST HEFEEXTRAKT UNGESUND?“ „Ohne Hefeextrakt“ – damit wird vor allem auf eine der fünf grundlegenden Geschmacksrich- Fleisch herzustellen. Gleichzeitig wirkt Glutamin- Gemüsebrühen geworben. Sollte man darauf tungen, die die Geschmacksknospen unserer säure appetitanregend. Sie regt den Speichelfluss achten, Produkte mit Hefeextrakt zu meiden? Zunge unterscheiden können. und die Bildung der Magensäfte an. Evolutionär macht diese Reaktion durchaus Sinn: Denn Le- Ernährungsexpertin Alice Luttropp antwortet: Hefeextrakt ersetzt „echte“ Zutaten bensmittel, die umami schmecken (etwa Fleisch), Hefeextrakt wird bereits seit längerer Zeit als Grundsätzlich ist Hefeextrakt nicht unge- decken in der Regel gut den Proteinbedarf. Hatte Würzmittel verwendet. In Großbritannien er- sund. Das „China-Restaurant-Syndrom“ ist wis- man ein Tier erlegt, tat man gut daran, viel da- freut sich etwa der vegetarische Brotaufstrich senschaftlich nicht belegt – damit wird um- von zu essen, schließlich war nie sicher, wann es Marmite seit 1902 einiger Beliebtheit — er be- gangssprachlich das Unwohlsein nach dem Ver- das nächste Festmahl geben würde. Heutzutage steht zum großen Teil aus Hefeextrakt. Da Glu- zehr von Glutamat bezeichnet. Allerdings scheint in unserer Überflusswelt sieht das anders aus: tamat als Geschmacksverstärker zunehmend es Personen zu geben, die empfindlich auf Glu- Wenn gerade Fertiggerichte, die viel Fett oder ein schlechtes Image bekam, setzte die Lebens- taminsäure reagieren. Hefeextrakt enthält deut- Zucker enthalten, umami schmecken und un- mittelindustrie Hefeextrakt auch als Glutamat- lich geringere Mengen an Glutaminsäure als seren Appetit anregen, kann dies möglicherwei- Alternative ein, etwa in Gemüsebrühe. Mittler- Glutamat – und zusätzlich auch wertgebende In- se zur Bildung von Übergewicht beitragen. weile sind jedoch viele Menschen skeptisch ge- haltstoffe wie B-Vitamine. genüber Hefeextrakt. Denn genauso wie Gluta- Hefeextrakt ab und zu als Würzmittel zu nut- mat enthält Hefeextrakt Glutaminsäure. Diese zen, ist völlig unproblematisch, sofern man es Der exklusive Service für foodwatch-Mitglie- Säure kommt zwar auch natürlicherweise in To- gut verträgt. Das Problematische an der Verwen- der: Senden Sie Ihre Ernährungsfrage per maten, Pilzen oder Parmesan vor – darin jedoch dung von Hefeextrakt durch die Lebensmittel- Mail an ernaehrung@foodwatch.de oder in deutlich geringeren Mengen. Glutaminsäure industrie ist sein Einsatz als Geschmacksverstär- hinterlassen Sie Ihre Nummer unter 030 / zeichnet sich durch einen würzigen, herzhaften ker. Denn Hefeextrakt oder Glutamat ermögli- 28 44 52 95 auf dem Anrufbeantworter. Bitte geben Sie dabei Ihre Mitgliedsnum- Geschmack aus, auch als „umami“ bezeichnet. chen es, herzhafte Produkte mit minimalem Ein- mer an. Unsere Ernährungswissenschaft- Umami ist neben süß, sauer, salzig und bitter satz „echter“ Zutaten wie Suppengemüse oder lerin ruft Sie zurück. Wir danken Ihnen sehr herzlich für Ihre treue Unterstützung von foodwatch. IHR BEITRAG ERMÖGLICHT ES UNS, POLITISCH UND FINANZIELL UNABHÄNGIG FÜR VERBRAUCHER- INTERESSEN ZU STREITEN!
8 DEZEMBER 2019 Die Macht des Einzelnen? Der Klimawandel ist eines der drängendsten anderen ist er die Voraussetzung dafür, dass die etwas bewirken: Ein aktuelles Beispiel ist die Probleme der Gegenwart. Viele Menschen fra- notwendigen Veränderungen durch den Staat Aktion „Rettet die Bienen“ in Bayern. Die Bür- gen sich: Was kann ich als Einzelner tun? Bio- möglichst große Akzeptanz finden. gerinitiative initiierte das bisher größte Volks- Lebensmittel kaufen, Ökostrom beziehen, mit begehren, das jemals in Bayern stattfand. Fast der Bahn statt dem Flugzeug in den Urlaub fa- Und der Aufruf zu klimabewusstem Konsum 1,8 Millionen Menschen haben mit ihrer Un- hren – das hört sich gut an. Doch bringt es was? ist doch besser als nichts, oder? terschrift die bayerische Staatsregierung dazu foodwatch-Gründer Thilo Bode ist skeptisch. Da bin ich mir nicht so sicher. Ich sehe die Ge- gebracht, den Text des Referendums unverän- fahr, dass den Leuten vorgegaukelt wird, dass sie dert als Gesetz zu übernehmen. Und auch im Haben wir Verbraucherinnen und Verbraucher durch Kaufentscheidungen die Welt verändern Kleinen, auf lokaler Ebene, kann ich etwas be- es in der Hand, die Welt zu retten? können. Das spielt gerade auch den Konzernen wegen: Menschen können sich zusammen- Ja. Aber mit Sicherheit nicht, indem wir im Su- in die Hände, die natürlich überhaupt kein Inte- schließen, um beispielsweise in ihrer Gemein- permarkt die vermeintlich richtigen Produkte resse daran haben, dass die Politik ihnen stren- de ein traditionelles Wirtshaus oder einen tra- kaufen. Denn die Auswirkungen auf den Klima- gere Regeln auferlegt. Die Tatsache, dass Ver- ditionellen Bäcker zu erhalten. Damit löse ich schutz sind verschwindend gering – selbst wenn braucherinnen und Verbraucher nur Produkte natürlich noch nicht das Klimaproblem, aber tatsächlich eine große Anzahl von Menschen nachfragen und kaufen können, aber keine In- ich verbessere mein Lebensumfeld und zeige, ihr Verhalten ändern würde, was höchst un- frastruktur, fällt bei diesen Äußerungen unter dass eine andere Welt möglich wäre. Aber ganz wahrscheinlich ist. Nehmen wir an, in Deutsch- den Tisch. Beispiel Autoverkehr: Die Nachfra- klar: Wenn es um die großen Herausforderun- land würden 10 Millionen Menschen von heute ge nach spritsparenden Automobilen schafft gen wie den Klimawandel geht, ist die Interven- auf morgen von konventioneller Ernährung auf noch keine menschengerechten Innenstädte. tion des Staates gefragt. vegane Ernährung umsteigen, aufs Fliegen ver- Die Politik müsste das Verkehrssystem neu ge- Foto: © foodwatch / Christian Plambeck zichten und öffentliche Verkehrsmittel nutzen, stalten, also Radwege und Fußgängerzonen und auch ihren sonstigen Konsum stark ein- bauen, Tempolimits einführen, Gewicht und schränken. Zusammengenommen ließen sich so Größe von Autos regulieren, den öffentlichen etwa 30 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Klingt Nahverkehr verbessern. gigantisch – macht aber nur etwa 3 Prozent des jährlichen Gesamtausstoßes Deutschlands aus. Ich kann als Einzelner also gar nichts tun? Das Abschalten eines einzigen großen Braun- Wenn ich mich einzig und alleine als Konsument kohlekraftwerks brächte genauso viel! verstehe, sind mir tatsächlich die Hände gebun- den. Aber nicht als Verbraucheraktivist oder Es ist also egal, ob ich SUV fahre, häufig fliege kritischer Bürger! Es gibt zahlreiche Möglich- und jeden Tag Fleisch esse? keiten, sich einzubringen: Ich kann wählen ge- Im Hinblick darauf, ob meine Verhaltensände- hen, meinen Bundestagsabgeordneten in der rung spürbar zur Minderung der globalen Er- Sprechstunde besuchen, mich in Bürgerinitia- wärmung beiträgt: Ja. Das heißt aber nicht, dass tiven engagieren, auf Demonstrationen gehen, gedankenloser Konsum in Ordnung ist. Ethisch kritische Organisationen unterstützen. Das ist verantwortlicher Konsum hat zum einen eine sicher unbequemer, als im Supermarkt zu den Thilo Bode ist Gründer und Vorbildfunktion, gerade auch für Kinder. Zum „korrekten“ Produkten zu greifen. Aber es kann Internationaler Direktor von foodwatch.
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