Auf dem Weg zur nächsten Klimakonferenz: Europa ist weiterhin gefordert - Stiftung Wissenschaft ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
NR. 81 DEZEMBER 2021 Einleitung Auf dem Weg zur nächsten Klimakonfe- renz: Europa ist weiterhin gefordert Susanne Dröge / Oliver Geden Die Klimaverhandlungen in Glasgow verliefen überraschend produktiv. Mit den Be- schlüssen des »Glasgow Climate Pact« stehen die Europäische Union und ihre Mitglied- staaten nun vor weiteren Aufgaben. Bis zur nächsten Vertragsstaatenkonferenz in Ägypten Ende 2022 (COP27) gilt es, das Ziel der langfristigen Begrenzung des Tempera- turanstiegs auf 1,5 Grad noch stärker in den Mittelpunkt zu rücken und dafür Zusagen und Maßnahmen großer Verschmutzerländer einzufordern. Die Finanzierung der Kli- mapolitik ist zudem noch nicht in einer Weise gesichert, die wieder mehr Vertrauen auf Seiten der Entwicklungsländer schafft. Um die Klimakooperation international zu beschleunigen, wird es 2022 in besonderem Maße auf Deutschlands G7-Vorsitz an- kommen. Dabei muss die Bundesregierung auch die G20-Staaten in den Blick nehmen und in der Europäischen Union die Verabschiedung des Fit-for-55-Pakets vorantreiben. Bei der 26. Vertragsstaatenkonferenz rung (Glasgow Climate Pact) wurden erstmals (COP26) der VN-Klimarahmenkonvention in einer Abschlusserklärung zentrale Trei- (UNFCCC) in Glasgow wurde einmal mehr ber des Klimawandels explizit beim Namen deutlich, dass die Umsetzung des 2015 ver- genannt, nämlich der Kohleverbrauch im abschiedeten Pariser Klimaabkommens kein Stromsektor und die Subventionierung selbsttragender Prozess ist. Stattdessen ist fossiler Energieträger. die internationale Klimapolitik auf das kon- tinuierliche Engagement von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren angewiesen, Schwierige Ausgangslage damit neben der Erfüllung der primär pro- zeduralen Verpflichtungen weitergehende Die Voraussetzungen für ein Gelingen der Impulse gesetzt werden. In Glasgow ging es COP26 waren denkbar ungünstig. Wegen erneut um fehlende Klimaschutzambitio- der Corona-Pandemie musste die Konferenz nen und um die wichtigsten Ursachen des um ein Jahr verschoben werden, und die anhaltenden Anstiegs der Treibhausgas- COP25 in Madrid hatte 2019 kaum Fort- emissionen. In einer gemeinsamen Erklä- schritte bei kritischen Themen hervor-
gebracht, insbesondere keine Verständi- UNFCCC-Arbeitsstränge und eine Abschluss- gung über die letzten offenen Punkte beim erklärung, der alle 197 Vertragsparteien zu- »Pariser Regelbuch«. Dieses enthält konkre- gestimmt haben. Zum anderen wurden te Umsetzungsvorgaben für die Parteien des diverse Initiativen angekündigt, die nicht Pariser Abkommens. Die USA waren 2017 Teil der offiziellen UNFCCC-Verhandlungs- aus dem internationalen Prozess ausgestie- agenda sind, aber von einzelnen Ländern gen und kamen erst Anfang 2021 an den und Ländergruppen unterstützt werden. Verhandlungstisch zurück (vgl. SWP-Aktuell Die Abschlusserklärung von Glasgow 13/2021). Zudem wurde die Kritik an den enthält den Beschluss, den Zielfokus der Treffen auf VN-Ebene immer lauter, vor internationalen Klimapolitik noch stärker allem aus der Zivilgesellschaft: die Klima- auf die 1,5-Grad-Marke auszurichten. Das konferenzen, so der Vorwurf, lieferten zu Pariser Abkommen von 2015 stellt die Be- wenig Konkretes, es werde letztlich nur grenzung des Temperaturanstiegs auf »deut- geredet statt gehandelt. lich unter 2 °C« in den Mittelpunkt und pos- Die Ansprüche der britischen COP-Aus- tuliert lediglich, »dass Anstrengungen unter- richter waren daher bis kurz vor Beginn der nommen werden, um den Temperatur- Verhandlungen moderat, obwohl die Vor- anstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen bereitungen 2021 einen insgesamt guten Niveau zu begrenzen«. Mit der Veröffent- Verlauf genommen hatten. Denn die neue lichung des 1,5-Grad-Sonderberichts des US-Regierung hatte nach ihrem Wieder- Weltklimarats (IPCC) im Jahr 2018 hat sich eintritt in das Pariser Abkommen dem der Fokus verändert, nicht zuletzt aufgrund internationalen Prozess unmittelbar mehr einer veränderten Risikowahrnehmung. Gewicht verliehen und auf wichtige Staaten Die 1,5-Grad-kompatible Menge an CO2- diplomatisch eingewirkt. Auch die G7 und Emissionen (remaining carbon budget) wird die G20 hatten unter dem Vorsitz Großbri- Ende 2021 bei nur noch 320–420 Gigaton- tanniens bzw. Italiens wichtige Wegmarken nen liegen, bei derzeit jährlichen globalen für einen Erfolg der COP26 gesetzt, beispiels- Emissionen von knapp über 40 Gigatonnen. weise die Beendigung der internationalen Das Mantra der britischen COP-Präsident- Kohlefinanzierung. schaft, man müsse die 1,5 Grad »in Reich- Nicht ganz so erfolgreich war das Be- weite halten«, lässt sich vor diesem Hinter- mühen, die Regierungen dazu zu bewegen, grund eher auch als Eingeständnis ver- die im Pariser Klimaabkommen vereinbar- stehen, dass sich ein zumindest zeitweiliges ten nationalen Beiträge (Nationally Deter- Überschreiten (overshoot) dieser Temperatur- mined Contributions, NDCs) rechtzeitig zu schwelle ab Mitte der 2030er Jahre nicht aktualisieren und die Ziele für das Jahr mehr vermeiden lassen wird. Um die Tem- 2030 zu erhöhen. Eine Aktualisierung war peratur anschließend wieder auf den an- für den Abstand von fünf Jahren verabredet gezielten Wert absinken zu lassen, müsste worden und 2020 fällig. Auch fehlte es im der Atmosphäre ab Mitte des Jahrhunderts Vorfeld noch an einer Vielzahl von natio- mehr CO2 entzogen werden als dann noch nalen Langfristplänen, in deren Rahmen ausgestoßen wird (netto negative Emissio- die Regierungen meist Zieljahre für das nen). Dieser Umstand wird auch in der »Zu- Erreichen von Emissions-»Neutralität« sammenfassung für Entscheidungsträger« kommunizieren. des jüngsten IPCC-Berichts vom August 2021 entsprechend formuliert, im Rahmen der UNFCCC bislang aber nicht deutlich »Keeping 1.5°C alive« – die kommuniziert. Ergebnisse der Konferenz Ein zentraler Erfolg der COP26 war, dass das Pariser Regelbuch fertig verhandelt Die Konferenzergebnisse in Glasgow lassen wurde. Bis zuletzt hakte es vor allem bei sich in zwei Kategorien unterteilen: Da sind den Regeln für den internationalen Handel zum einen die Ergebnisse der offiziellen mit Emissionszertifikaten (Artikel 6). Auch SWP-Aktuell 81 Dezember 2021 2
wurden für den NDC-Prozess gemeinsame als sie ihr Reduktionsziel für 2030 von 40 Zeitrahmen geschaffen. Die Zieljahre auf 55 Prozent (Basisjahr 1990) verschärfte. und -perioden sind nun für alle Vertrags- Andere G20-Mitglieder wie die USA, die parteien gleich, so dass regelmäßige Updates Türkei und Südafrika zogen erst 2021 nach. leichter vergleichbar und die Emissions- China und Indien beließen es bei münd- effekte aus den nationalen Klimaschutz- lichen Ankündigungen und einige Länder vorhaben einfacher zu ermitteln sind. Dies lieferten nur ihre alten Zahlen ab. Vor die- erhöht die Transparenz der internationalen sem Hintergrund rufen die Unterzeichner Klimapolitik und erlaubt genauere Abschät- des Glasgow Climate Pact dazu auf, 2022 an- zungen darüber, mit welchem globalen spruchsvollere nationale Ziele für 2030 zu Emissionspfad mittelfristig zu rechnen ist. formulieren. Dies nimmt vor allem jene Staaten in die Pflicht, die bislang noch kein Trotz besserer Zielkorridore noch Update vorgelegt haben. Es ist jedoch offen, keine Erfolge ob die großen Emittenten wie Russland, China, Indien und Brasilien der nicht bin- Die in der öffentlichen Kommunikation denden Aufforderung tatsächlich folgen inzwischen dominierenden Kalkulationen werden. Die Regierungen Australiens und für die Erderwärmung am Ende des Jahr- Neuseelands verkündeten direkt im An- hunderts –während der COP26 vorgestellte schluss an die COP26, ihre Ziele für 2030 Studien weisen eine Schwankungsbreite nicht erhöhen zu wollen. von 1,8 bis 2,7 °C auf – sind in dreierlei Für die EU hat die Kommission bereits Hinsicht problematisch. Zunächst gehen sie klargestellt, 2022 keinen neuen NDC mit überwiegend davon aus, dass die von den gesteigerten Ambitionen vorzulegen. Auch Regierungen gemachten Ankündigungen der nach Glasgow vorgestellte Koalitions- auch eingehalten werden. Sodann schrei- vertrag der neuen Bunderegierung geht ben sie nationale Emissionspfade bis zum nicht über das bisher schon gültige Klima- Ende des Jahrhunderts fort, obwohl die schutzziel für 2030 hinaus. Innerhalb der meisten Regierungen ihre Ziele nur für EU überwiegt die Ansicht, dass die Priorität 2030 und mitunter auch für die Jahrhun- darauf liegen müsse, die eigenen Ankündi- dertmitte formuliert haben. Und darüber gungen auch tatsächlich umzusetzen. hinaus erweckt der Vergleich der entspre- chenden Berechnungen über die vergange- Weitere COP26-Initiativen zum nen Jahre den Eindruck, die Klimapolitik Klimaschutz mache dramatische Fortschritte. Doch die- ser Effekt ist im Wesentlichen auf ehrgeizi- Gastgeber Großbritannien hatte vier zusätz- gere Ankündigungen zurückzuführen, zum liche Vorhaben angekündigt und für diese Teil auch auf eine Ausweitung der verblei- schon im Vorlauf der zweiwöchigen COP benden globalen CO2-Budgets in den jüngs- Mitstreiter gesucht. Es ging um den Kohle- ten IPCC-Berichten. Die jährlichen Emissio- ausstieg, das Ende des Verbrennungsmotors, nen jedenfalls sind seit der Einigung auf Finanzhilfen und Aufforstung (»coal, cars, das Pariser Klimaabkommen zwar lang- cash and trees«). Rund um das Thema Kohle samer, aber doch weiter gestiegen. 2021 gibt es verschiedene Ankündigungen und werden sie fast annähernd wieder das Vor- Initiativen, die bereits zuvor auf den Weg ge- Corona-Niveau erreichen. bracht wurden: seien es die von den G7 und Nicht zuletzt deshalb nehmen kurz- bis G20 angestrebte Einstellung der Kohlefinan- mittelfristige Erhöhungen der Ambitionen zierung in Drittstaaten, die Ausrichtung auf einen zentralen Stellenwert in den UNFCCC- »saubere« Kohle (also mit Abscheidung des Verhandlungen ein. Schon lange vor Glas- CO2 und dessen anschließender Weiter- gow waren die Vertragsstaaten aufgefordert, verwendung oder unterirdischer Speiche- ehrgeizigere NDCs einzureichen. Die EU ist rung ) oder die finanzielle Unterstützung dem im Dezember 2020 nachgekommen, von Ländern bei einem sozialverträglichen SWP-Aktuell 81 Dezember 2021 3
Kohleausstieg, wie etwa in der mit Süd- Zwischen COP26 und COP27 afrika vereinbarten Energiewendepartner- schaft. Hierfür hatte sich eine Gruppe von Die Ergebnisse der Verhandlungen in Glas- Gebern –Deutschland, Frankreich, die EU gow werden nicht von allen Ländern als Er- und die USA – zusammengefunden und folg wahrgenommen und viele zivilgesell- mit der südafrikanischen Regierung ein schaftliche Akteure bleiben skeptisch. Dies 8,5 Milliarden Dollar umfassendes Pro- liegt unter anderem an dem Eindruck, dass gramm ausgehandelt. Der »Südafrika-Deal« die mächtigsten Vertragsstaaten einen schon ist Teil eines Portfolios von Finanzierungs- erzielten Konsens noch in letzter Minute vereinbarungen zum Kohleausstieg, die verändern können, wie es China und Indien auch mit asiatischen Ländern geschlossen bei der Formulierung zur Kohleverstromung wurden, und dieses wird ergänzt durch gelang, während kleineren Staaten solche neue Geldgeber. Interventionen verwehrt wurden. Eine weitere Initiative ist die von Däne- Die vielen vulnerablen Länder sind zu- mark und Costa Rica lancierte »Beyond Oil dem weiterhin unzufrieden mit den Fort- and Gas Alliance« (BOGA), unter deren Dach schritten der Verhandlungen über Maßnah- sich eine Reihe von Staaten, Bundesstaaten men zur Anpassung an den Klimawandel und Regionen versammelt haben. Ziel ist und kritisieren die mangelnde Einhaltung die wirtschaftliche Loslösung von Öl und finanzieller Zusagen. Sie fordern, dass Klima- Gas bei gleichzeitiger Vermeidung sozialer anpassung als globale und nicht allein Härten (just transition). nationale oder regionale Herausforderung Die Senkung der Methanemissionen anerkannt wird. Es gelang den ärmeren stand im Vorfeld der COP26 ebenfalls im Ländern, den Industriestaaten in Glasgow Zentrum der Bemühungen. US-Präsident abzuringen, dass die Finanzmittel für die Biden und EU-Kommissionspräsidentin von Klimaanpassung für die Periode 2019–2025 der Leyen starteten die Initiative »Global gesteigert werden. Die Geberländer sagten Methane Pledge«, die zum Ziel hat, die eine Verdopplung dieser Mittel zu. Damit Methanemissionen zwischen 2020 und soll eine Schieflage korrigiert werden, denn 2030 um 30 Prozent zu reduzieren und die die Klimafinanzen werden bisher über- Emissionen mit Hilfe der neuesten Technik wiegend für die Reduktion von Emissionen zu messen. Bisher beteiligen sich 105 Staa- eingesetzt. Auch wurden die Mittel für den ten an dem Pakt. Zusammen mit China relativ kleinen Anpassungsfonds verdoppelt, präsentierten die USA eine gemeinsame und Umsätze aus dem internationalen Erklärung, in der Methanreduktionen eben- Emissionshandel sollen künftig mit einer falls ein wichtiges Ziel sind. Abgabe belegt werden, um Anpassungs- Die Liste neuer Kooperationen zur Sen- maßnahmen zu finanzieren. In der Summe kung von Emissionen fossiler Energieträger reichen diese Absprachen aber nicht an die war noch nie so umfangreich. Teilweise erstmals bei der COP15 in Kopenhagen for- macht der Katalog aber deutlich, dass sich mulierte Ankündigung der Industrieländer Partnerländer und Themen häufiger über- heran, jährlich 100 Milliarden US-Dollar schneiden. Auch bestehen ähnliche Initia- aus öffentlichen und privaten Quellen für tiven bereits länger, so dass es notwendig die Unterstützung der Entwicklungsländer erscheint, dass die beteiligten Akteure das bereitzustellen. Zusammenspiel der verschiedenen Energie- Auch beim Thema »Verluste und Schä- wende-, Finanzierungs- und Technologie- den« (Loss and Damage), die durch den Klima- vorhaben einmal systematisch klären. Auch wandel hervorgerufen werden, sind die ist offen, ob die neu verkündeten Initiati- vulnerablen Länder weiterhin unzufrieden ven die beteiligten Länder dabei unterstüt- mit dem geringen Engagement der reichen zen sollen, ihre NDC-Ziele zu erreichen, Staaten. Eine Haftung und Verpflichtung oder ihnen ermöglichen sollen, die bisheri- zur Entschädigung für Folgen des Klima- gen Ambitionen zu steigern. wandels wird zwar in den Verhandlungen SWP-Aktuell 81 Dezember 2021 4
schon lange gefordert. Entsprechende Vor- 1,5-Grad-Ziel ausgerichtet haben, so müssen stöße scheiterten aber bisher vor allem sie gleichwohl weiterhin selbst in Vorlage wiederholt am Veto der US-Regierung, die gehen, wenn es um die Bewältigung der zu hohe finanzielle Ansprüche befürchtet (vgl. erwartenden globalen Zielüberschreitung SWP-Studie 5/2020). Die schottische Premier- geht. Ein solches Engagement könnte dazu ministerin brach in dieser Hinsicht mit beitragen, die anderen großen Emittenten einem Tabu: Ihre Regierung stellt eine Mil- für verbesserte NDCs zu gewinnen. In der lion britische Pfund bereit für Verluste und EU-Strategie zur Wiederherstellung nach- Schäden, die durch den Klimawandel ver- haltiger Kohlenstoffkreisläufe, die die Kom- ursacht wurden. Wenn man die Vertrau- mission im Dezember 2021 vorgestellt hat, enslücke schließen will, die sich bei dieser wird erstmals konkret dargelegt, wie die EU Frage aufgetan hat, muss die Aushandlung Methoden, mit denen sich CO2 wieder aus weiterer Finanzzusagen somit ein zentrales der Atmosphäre entfernen lässt, fördern Element der Vorbereitungen für die COP27 und regulieren könnte. Diese nun in den in Sharm al-Sheikh sein. EU-Institutionen beginnende Debatte zeigt, dass die in den Klimaschutzgesetzen der EU und einiger ihrer Mitgliedstaaten (z. B. Finn- Europa ist weiterhin gefordert land, Schweden und Deutschland) formu- lierte Vision, langfristig netto negative Emis- Während Großbritannien die Übergabe der sionen zu erreichen, zunehmend ernster COP-Präsidentschaft an Kairo begleitet, wird genommen wird. Angesichts der laut IPCC sich die EU 2022 um eine zügige legislative wahrscheinlich nicht mehr vermeidbaren Umsetzung des Fit-for-55-Pakets bemühen, Überschreitung der globalen 1,5-Grad- das weit mehr als ein Dutzend Vorhaben Schwelle im nächsten Jahrzehnt, dürfte der umfasst. Denn mit diesem Maßnahmen- vielbeschworene 1,5-Grad-»Pfad« so zu ver- programm kann sie international demons- stehen sein, dass die europäische Klimapoli- trieren, wie die Erfüllung klimapolitischer tik langfristig zu einer Wiederannäherung Ziele konkret organisiert werden kann, und der Welt an die 1,5-Grad-Schwelle von oben gleichzeitig jene Staaten unter Zugzwang beitragen will. Dies wird nur möglich sein, setzen, die hinterherhinken, sowohl bei der wenn im globalen Maßstab netto negative Implementierung als auch bei den NDC- CO2-Emissionen erreicht werden, mit der Ambitionen. Eine weitere Steigerung der EU und ihren Mitgliedstaaten als naheliegen- EU-Klimaziele als Beitrag zum Upgrade den Vorreitern (vgl. SWP-Studie 10/2020). 2022, den die Konferenz in Glasgow be- Neue mittelfristige Anreize will die Kom- schlossen hat, wird es hingegen nicht mission mit der »Global-Gateway-Strategie« geben. Die EU hat ihre Möglichkeiten bei schaffen, eine auf den G7-Beschlüssen von den Ambitionen bereits zuvor ausgereizt 2021 beruhende Partnerschaftsinitiative, und damit ihre Vorreiterrolle bei der Ein- die mit finanzieller Unterstützung unter haltung der internationalen Regeln in den anderem Klima- und Energieprojekte im letzten Jahren gestärkt. Sie wird nun unter Ausland fördern soll. Die Organe und Mit- Beweis stellen müssen, dass es ihr gelingt, gliedstaaten der EU wollen für Infrastruk- die Lasten bei der Implementierung des turinvestitionen in dem genannten Bereich Reduktionsziels von 55 Prozent zwischen und in weiteren Politikfeldern (u. a. Digi- den Mitgliedstaaten und zwischen den Wirt- tales, Bildung, Gesundheit) bis 2027 bis zu schaftssektoren fair zu teilen, ein Unter- 300 Milliarden Euro mobilisieren. fangen, dessen Konfliktpotential angesichts Mit Blick auf zögerliche Staaten wird von zuletzt deutlich gestiegenen Energie- international die Gangart andererseits wohl preisen noch einmal zugenommen hat. weiter verschärft werden müssen. Schon Auch wenn die EU und die Regierungen 2021 wurde im Rahmen der G7 und G20 der Mitgliedstaaten darauf hinweisen, dass viel Druck auf China, Indien und Russland sie ihre eigenen Klimaschutzpläne auf das ausgeübt. Der Instrumentenkasten der EU SWP-Aktuell 81 Dezember 2021 5
ist jedoch begrenzt. Gespräche mit wich- Europas mit steigender Intensität. Die inter- tigen Handelspartnern über den CO2-Grenz- nationale Klimadiplomatie steht bereits seit ausgleich (CBAM; vgl. SWP-Studie 9/2021) Jahren vor der Herausforderung, diese Pro- könnten als Hebel dienen; der CBAM soll zesse fortlaufend gestalten zu müssen, um nach Ablauf einer Einführungsphase aus- substantielle Fortschritte im VN-Gefüge auf ländische Produkte wichtiger Sektoren in den Weg zu bringen. der EU ab 2026 mit einer CO2-Abgabe ver- Umso mehr wird es daher auf die neue sehen und diese somit verteuern. Darüber Bundesregierung ankommen und darauf, hinaus wird es schwierig werden, neue wie sie die globale Klimakooperation mit- Lock- oder Druckmittel aufzubieten, um gestalten kann – auch mit Blick auf die © Stiftung Wissenschaft Ägypten bei den Vorbereitungen der COP27 stärkere Rolle, die das Auswärtige Amt da- und Politik, 2021 zu unterstützen. bei übernehmen soll. 2022 hat Deutschland Alle Rechte vorbehalten Entscheidend für die Produktivität der zudem den Vorsitz der G7 inne und kann internationalen Zusammenarbeit ist nach diesen »Klimaclub« vertiefen und für die Das Aktuell gibt die Auf- wie vor die Klimafinanzierung. Diese sollte internationale Kooperation nutzen. Alle fassung der Autorin und des Autors wieder. durch gezielte Investitionsprogramme zur G7-Staaten sind derzeit klimapolitisch Dekarbonisierung ergänzt werden, wofür engagiert, inklusive der USA, die 2022 ihre In der Online-Version dieser der »Südafrika-Deal« eine gute Vorlage bie- Klimadiplomatie vorantreiben werden. Die Publikation sind Verweise tet. Dafür müssten auch die USA mit ins G7-Staaten sollten noch stärker als bisher auf SWP-Schriften und Boot kommen, die bislang auf internatio- auf die klimapolitisch zögerlichen G20-Staa- wichtige Quellen anklickbar. naler Bühne nur Zusagen gemacht, aber ten einwirken, welche 2022 von Indonesien SWP-Aktuells werden intern keine nationalen Beschlüsse zur Aufsto- geleitet werden. Jakarta wird Unterstützung einem Begutachtungsverfah- ckung von Finanzhilfen getroffen haben. benötigen in dem Bestreben, auch die wich- ren, einem Faktencheck und Es wird 2022 zudem auf das individuelle tigen G20-Mitglieder China und Indien ein- einem Lektorat unterzogen. Engagement der europäischen Staats- und zubinden. Einzelne Klimaschutzallianzen Weitere Informationen Regierungschefs ankommen. Die Erwartun- und konkrete sektorale Vorhaben der zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP- gen an die französische Ratspräsidentschaft COP26 können die Ambitionsbemühungen Website unter https://www. in der ersten Jahreshälfte 2022 sind dahin- im Kreis der G20 voranbringen. Gleichzeitig swp-berlin.org/ueber-uns/ gehend hoch. Sie werden aber gebremst von wird die indonesische Regierung ihr Engage- qualitaetssicherung/ der Aussicht auf die französischen Präsident- ment für die Belange der Entwicklungs- schaftswahlen im April. Denn der Wahl- länder deutlich machen. Das heißt, dass die SWP Stiftung Wissenschaft und kampf wird den Spielraum des amtierenden für den VN-Prozess drängenden Fragen der Politik Präsidenten Macron für ein Agieren im Klimaanpassung, der Verluste und Schäden Deutsches Institut für Dienste der europäischen Politikprojekte sowie der Klimafinanzierung also auch im Internationale Politik und stark einengen. In der zweiten Jahreshälfte, G20-Rahmen auf der Tagesordnung stehen Sicherheit in der sich die Vorbereitungen für die COP27 werden. intensivieren werden, hat dann mit Tsche- Ludwigkirchplatz 3–4 10719 Berlin chien ein vergleichsweise kleiner EU-Mit- Telefon +49 30 880 07-0 gliedstaat den Ratsvorsitz inne, was die Fax +49 30 880 07-100 Kapazitäten für die Bearbeitung wichtiger www.swp-berlin.org internationaler EU-Vorhaben limitieren swp@swp-berlin.org wird. Auch fehlt es dem Europäischen Aus- ISSN (Print) 1611-6364 wärtigen Dienst seit Jahren an einer hin- ISSN (Online) 2747-5018 reichenden personellen Ausstattung, um doi: 10.18449/2021A81 die klimapolitische Agenda der EU inter- national zu forcieren. Die jährlichen COPs beanspruchen die klimapolitischen Akteure Dr. Susanne Dröge ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Dr. Oliver Geden ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa und Leitautor für den 6. Sachstandsbericht des IPCC. SWP-Aktuell 81 Dezember 2021 6
Sie können auch lesen