Auf dem Weg zur nächsten Klimakonferenz: Europa ist weiterhin gefordert - Stiftung Wissenschaft ...

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Auf dem Weg zur nächsten Klimakonferenz: Europa ist weiterhin gefordert - Stiftung Wissenschaft ...
NR. 81 DEZEMBER 2021                      Einleitung

Auf dem Weg zur nächsten Klimakonfe-
renz: Europa ist weiterhin gefordert
Susanne Dröge / Oliver Geden

Die Klimaverhandlungen in Glasgow verliefen überraschend produktiv. Mit den Be-
schlüssen des »Glasgow Climate Pact« stehen die Europäische Union und ihre Mitglied-
staaten nun vor weiteren Aufgaben. Bis zur nächsten Vertragsstaatenkonferenz in
Ägypten Ende 2022 (COP27) gilt es, das Ziel der langfristigen Begrenzung des Tempera-
turanstiegs auf 1,5 Grad noch stärker in den Mittelpunkt zu rücken und dafür Zusagen
und Maßnahmen großer Verschmutzerländer einzufordern. Die Finanzierung der Kli-
mapolitik ist zudem noch nicht in einer Weise gesichert, die wieder mehr Vertrauen
auf Seiten der Entwicklungsländer schafft. Um die Klimakooperation international
zu beschleunigen, wird es 2022 in besonderem Maße auf Deutschlands G7-Vorsitz an-
kommen. Dabei muss die Bundesregierung auch die G20-Staaten in den Blick nehmen
und in der Europäischen Union die Verabschiedung des Fit-for-55-Pakets vorantreiben.

Bei der 26. Vertragsstaatenkonferenz           rung (Glasgow Climate Pact) wurden erstmals
(COP26) der VN-Klimarahmenkonvention           in einer Abschlusserklärung zentrale Trei-
(UNFCCC) in Glasgow wurde einmal mehr          ber des Klimawandels explizit beim Namen
deutlich, dass die Umsetzung des 2015 ver-     genannt, nämlich der Kohleverbrauch im
abschiedeten Pariser Klimaabkommens kein       Stromsektor und die Subventionierung
selbsttragender Prozess ist. Stattdessen ist   fossiler Energieträger.
die internationale Klimapolitik auf das kon-
tinuierliche Engagement von staatlichen
und nichtstaatlichen Akteuren angewiesen,      Schwierige Ausgangslage
damit neben der Erfüllung der primär pro-
zeduralen Verpflichtungen weitergehende        Die Voraussetzungen für ein Gelingen der
Impulse gesetzt werden. In Glasgow ging es     COP26 waren denkbar ungünstig. Wegen
erneut um fehlende Klimaschutzambitio-         der Corona-Pandemie musste die Konferenz
nen und um die wichtigsten Ursachen des        um ein Jahr verschoben werden, und die
anhaltenden Anstiegs der Treibhausgas-         COP25 in Madrid hatte 2019 kaum Fort-
emissionen. In einer gemeinsamen Erklä-        schritte bei kritischen Themen hervor-
gebracht, insbesondere keine Verständi-          UNFCCC-Arbeitsstränge und eine Abschluss-
                 gung über die letzten offenen Punkte beim        erklärung, der alle 197 Vertragsparteien zu-
                 »Pariser Regelbuch«. Dieses enthält konkre-      gestimmt haben. Zum anderen wurden
                 te Umsetzungsvorgaben für die Parteien des       diverse Initiativen angekündigt, die nicht
                 Pariser Abkommens. Die USA waren 2017            Teil der offiziellen UNFCCC-Verhandlungs-
                 aus dem internationalen Prozess ausgestie-       agenda sind, aber von einzelnen Ländern
                 gen und kamen erst Anfang 2021 an den            und Ländergruppen unterstützt werden.
                 Verhandlungstisch zurück (vgl. SWP-Aktuell          Die Abschlusserklärung von Glasgow
                 13/2021). Zudem wurde die Kritik an den          enthält den Beschluss, den Zielfokus der
                 Treffen auf VN-Ebene immer lauter, vor           internationalen Klimapolitik noch stärker
                 allem aus der Zivilgesellschaft: die Klima-      auf die 1,5-Grad-Marke auszurichten. Das
                 konferenzen, so der Vorwurf, lieferten zu        Pariser Abkommen von 2015 stellt die Be-
                 wenig Konkretes, es werde letztlich nur          grenzung des Temperaturanstiegs auf »deut-
                 geredet statt gehandelt.                         lich unter 2 °C« in den Mittelpunkt und pos-
                    Die Ansprüche der britischen COP-Aus-         tuliert lediglich, »dass Anstrengungen unter-
                 richter waren daher bis kurz vor Beginn der      nommen werden, um den Temperatur-
                 Verhandlungen moderat, obwohl die Vor-           anstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen
                 bereitungen 2021 einen insgesamt guten           Niveau zu begrenzen«. Mit der Veröffent-
                 Verlauf genommen hatten. Denn die neue           lichung des 1,5-Grad-Sonderberichts des
                 US-Regierung hatte nach ihrem Wieder-            Weltklimarats (IPCC) im Jahr 2018 hat sich
                 eintritt in das Pariser Abkommen dem             der Fokus verändert, nicht zuletzt aufgrund
                 internationalen Prozess unmittelbar mehr         einer veränderten Risikowahrnehmung.
                 Gewicht verliehen und auf wichtige Staaten          Die 1,5-Grad-kompatible Menge an CO2-
                 diplomatisch eingewirkt. Auch die G7 und         Emissionen (remaining carbon budget) wird
                 die G20 hatten unter dem Vorsitz Großbri-        Ende 2021 bei nur noch 320–420 Gigaton-
                 tanniens bzw. Italiens wichtige Wegmarken        nen liegen, bei derzeit jährlichen globalen
                 für einen Erfolg der COP26 gesetzt, beispiels-   Emissionen von knapp über 40 Gigatonnen.
                 weise die Beendigung der internationalen         Das Mantra der britischen COP-Präsident-
                 Kohlefinanzierung.                               schaft, man müsse die 1,5 Grad »in Reich-
                    Nicht ganz so erfolgreich war das Be-         weite halten«, lässt sich vor diesem Hinter-
                 mühen, die Regierungen dazu zu bewegen,          grund eher auch als Eingeständnis ver-
                 die im Pariser Klimaabkommen vereinbar-          stehen, dass sich ein zumindest zeitweiliges
                 ten nationalen Beiträge (Nationally Deter-       Überschreiten (overshoot) dieser Temperatur-
                 mined Contributions, NDCs) rechtzeitig zu        schwelle ab Mitte der 2030er Jahre nicht
                 aktualisieren und die Ziele für das Jahr         mehr vermeiden lassen wird. Um die Tem-
                 2030 zu erhöhen. Eine Aktualisierung war         peratur anschließend wieder auf den an-
                 für den Abstand von fünf Jahren verabredet       gezielten Wert absinken zu lassen, müsste
                 worden und 2020 fällig. Auch fehlte es im        der Atmosphäre ab Mitte des Jahrhunderts
                 Vorfeld noch an einer Vielzahl von natio-        mehr CO2 entzogen werden als dann noch
                 nalen Langfristplänen, in deren Rahmen           ausgestoßen wird (netto negative Emissio-
                 die Regierungen meist Zieljahre für das          nen). Dieser Umstand wird auch in der »Zu-
                 Erreichen von Emissions-»Neutralität«            sammenfassung für Entscheidungsträger«
                 kommunizieren.                                   des jüngsten IPCC-Berichts vom August
                                                                  2021 entsprechend formuliert, im Rahmen
                                                                  der UNFCCC bislang aber nicht deutlich
                 »Keeping 1.5°C alive« – die                      kommuniziert.
                 Ergebnisse der Konferenz                            Ein zentraler Erfolg der COP26 war, dass
                                                                  das Pariser Regelbuch fertig verhandelt
                 Die Konferenzergebnisse in Glasgow lassen        wurde. Bis zuletzt hakte es vor allem bei
                 sich in zwei Kategorien unterteilen: Da sind     den Regeln für den internationalen Handel
                 zum einen die Ergebnisse der offiziellen         mit Emissionszertifikaten (Artikel 6). Auch

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wurden für den NDC-Prozess gemeinsame          als sie ihr Reduktionsziel für 2030 von 40
Zeitrahmen geschaffen. Die Zieljahre           auf 55 Prozent (Basisjahr 1990) verschärfte.
und -perioden sind nun für alle Vertrags-      Andere G20-Mitglieder wie die USA, die
parteien gleich, so dass regelmäßige Updates   Türkei und Südafrika zogen erst 2021 nach.
leichter vergleichbar und die Emissions-       China und Indien beließen es bei münd-
effekte aus den nationalen Klimaschutz-        lichen Ankündigungen und einige Länder
vorhaben einfacher zu ermitteln sind. Dies     lieferten nur ihre alten Zahlen ab. Vor die-
erhöht die Transparenz der internationalen     sem Hintergrund rufen die Unterzeichner
Klimapolitik und erlaubt genauere Abschät-     des Glasgow Climate Pact dazu auf, 2022 an-
zungen darüber, mit welchem globalen           spruchsvollere nationale Ziele für 2030 zu
Emissionspfad mittelfristig zu rechnen ist.    formulieren. Dies nimmt vor allem jene
                                               Staaten in die Pflicht, die bislang noch kein
Trotz besserer Zielkorridore noch              Update vorgelegt haben. Es ist jedoch offen,
keine Erfolge                                  ob die großen Emittenten wie Russland,
                                               China, Indien und Brasilien der nicht bin-
Die in der öffentlichen Kommunikation          denden Aufforderung tatsächlich folgen
inzwischen dominierenden Kalkulationen         werden. Die Regierungen Australiens und
für die Erderwärmung am Ende des Jahr-         Neuseelands verkündeten direkt im An-
hunderts –während der COP26 vorgestellte       schluss an die COP26, ihre Ziele für 2030
Studien weisen eine Schwankungsbreite          nicht erhöhen zu wollen.
von 1,8 bis 2,7 °C auf – sind in dreierlei        Für die EU hat die Kommission bereits
Hinsicht problematisch. Zunächst gehen sie     klargestellt, 2022 keinen neuen NDC mit
überwiegend davon aus, dass die von den        gesteigerten Ambitionen vorzulegen. Auch
Regierungen gemachten Ankündigungen            der nach Glasgow vorgestellte Koalitions-
auch eingehalten werden. Sodann schrei-        vertrag der neuen Bunderegierung geht
ben sie nationale Emissionspfade bis zum       nicht über das bisher schon gültige Klima-
Ende des Jahrhunderts fort, obwohl die         schutzziel für 2030 hinaus. Innerhalb der
meisten Regierungen ihre Ziele nur für         EU überwiegt die Ansicht, dass die Priorität
2030 und mitunter auch für die Jahrhun-        darauf liegen müsse, die eigenen Ankündi-
dertmitte formuliert haben. Und darüber        gungen auch tatsächlich umzusetzen.
hinaus erweckt der Vergleich der entspre-
chenden Berechnungen über die vergange-        Weitere COP26-Initiativen zum
nen Jahre den Eindruck, die Klimapolitik       Klimaschutz
mache dramatische Fortschritte. Doch die-
ser Effekt ist im Wesentlichen auf ehrgeizi-   Gastgeber Großbritannien hatte vier zusätz-
gere Ankündigungen zurückzuführen, zum         liche Vorhaben angekündigt und für diese
Teil auch auf eine Ausweitung der verblei-     schon im Vorlauf der zweiwöchigen COP
benden globalen CO2-Budgets in den jüngs-      Mitstreiter gesucht. Es ging um den Kohle-
ten IPCC-Berichten. Die jährlichen Emissio-    ausstieg, das Ende des Verbrennungsmotors,
nen jedenfalls sind seit der Einigung auf      Finanzhilfen und Aufforstung (»coal, cars,
das Pariser Klimaabkommen zwar lang-           cash and trees«). Rund um das Thema Kohle
samer, aber doch weiter gestiegen. 2021        gibt es verschiedene Ankündigungen und
werden sie fast annähernd wieder das Vor-      Initiativen, die bereits zuvor auf den Weg ge-
Corona-Niveau erreichen.                       bracht wurden: seien es die von den G7 und
   Nicht zuletzt deshalb nehmen kurz- bis      G20 angestrebte Einstellung der Kohlefinan-
mittelfristige Erhöhungen der Ambitionen       zierung in Drittstaaten, die Ausrichtung auf
einen zentralen Stellenwert in den UNFCCC-     »saubere« Kohle (also mit Abscheidung des
Verhandlungen ein. Schon lange vor Glas-       CO2 und dessen anschließender Weiter-
gow waren die Vertragsstaaten aufgefordert,    verwendung oder unterirdischer Speiche-
ehrgeizigere NDCs einzureichen. Die EU ist     rung ) oder die finanzielle Unterstützung
dem im Dezember 2020 nachgekommen,             von Ländern bei einem sozialverträglichen

                                                                                                SWP-Aktuell 81
                                                                                                Dezember 2021

                                                                                                            3
Kohleausstieg, wie etwa in der mit Süd-         Zwischen COP26 und COP27
                 afrika vereinbarten Energiewendepartner-
                 schaft. Hierfür hatte sich eine Gruppe von      Die Ergebnisse der Verhandlungen in Glas-
                 Gebern –Deutschland, Frankreich, die EU         gow werden nicht von allen Ländern als Er-
                 und die USA – zusammengefunden und              folg wahrgenommen und viele zivilgesell-
                 mit der südafrikanischen Regierung ein          schaftliche Akteure bleiben skeptisch. Dies
                 8,5 Milliarden Dollar umfassendes Pro-          liegt unter anderem an dem Eindruck, dass
                 gramm ausgehandelt. Der »Südafrika-Deal«        die mächtigsten Vertragsstaaten einen schon
                 ist Teil eines Portfolios von Finanzierungs-    erzielten Konsens noch in letzter Minute
                 vereinbarungen zum Kohleausstieg, die           verändern können, wie es China und Indien
                 auch mit asiatischen Ländern geschlossen        bei der Formulierung zur Kohleverstromung
                 wurden, und dieses wird ergänzt durch           gelang, während kleineren Staaten solche
                 neue Geldgeber.                                 Interventionen verwehrt wurden.
                     Eine weitere Initiative ist die von Däne-      Die vielen vulnerablen Länder sind zu-
                 mark und Costa Rica lancierte »Beyond Oil       dem weiterhin unzufrieden mit den Fort-
                 and Gas Alliance« (BOGA), unter deren Dach      schritten der Verhandlungen über Maßnah-
                 sich eine Reihe von Staaten, Bundesstaaten      men zur Anpassung an den Klimawandel
                 und Regionen versammelt haben. Ziel ist         und kritisieren die mangelnde Einhaltung
                 die wirtschaftliche Loslösung von Öl und        finanzieller Zusagen. Sie fordern, dass Klima-
                 Gas bei gleichzeitiger Vermeidung sozialer      anpassung als globale und nicht allein
                 Härten (just transition).                       nationale oder regionale Herausforderung
                     Die Senkung der Methanemissionen            anerkannt wird. Es gelang den ärmeren
                 stand im Vorfeld der COP26 ebenfalls im         Ländern, den Industriestaaten in Glasgow
                 Zentrum der Bemühungen. US-Präsident            abzuringen, dass die Finanzmittel für die
                 Biden und EU-Kommissionspräsidentin von         Klimaanpassung für die Periode 2019–2025
                 der Leyen starteten die Initiative »Global      gesteigert werden. Die Geberländer sagten
                 Methane Pledge«, die zum Ziel hat, die          eine Verdopplung dieser Mittel zu. Damit
                 Methanemissionen zwischen 2020 und              soll eine Schieflage korrigiert werden, denn
                 2030 um 30 Prozent zu reduzieren und die        die Klimafinanzen werden bisher über-
                 Emissionen mit Hilfe der neuesten Technik       wiegend für die Reduktion von Emissionen
                 zu messen. Bisher beteiligen sich 105 Staa-     eingesetzt. Auch wurden die Mittel für den
                 ten an dem Pakt. Zusammen mit China             relativ kleinen Anpassungsfonds verdoppelt,
                 präsentierten die USA eine gemeinsame           und Umsätze aus dem internationalen
                 Erklärung, in der Methanreduktionen eben-       Emissionshandel sollen künftig mit einer
                 falls ein wichtiges Ziel sind.                  Abgabe belegt werden, um Anpassungs-
                     Die Liste neuer Kooperationen zur Sen-      maßnahmen zu finanzieren. In der Summe
                 kung von Emissionen fossiler Energieträger      reichen diese Absprachen aber nicht an die
                 war noch nie so umfangreich. Teilweise          erstmals bei der COP15 in Kopenhagen for-
                 macht der Katalog aber deutlich, dass sich      mulierte Ankündigung der Industrieländer
                 Partnerländer und Themen häufiger über-         heran, jährlich 100 Milliarden US-Dollar
                 schneiden. Auch bestehen ähnliche Initia-       aus öffentlichen und privaten Quellen für
                 tiven bereits länger, so dass es notwendig      die Unterstützung der Entwicklungsländer
                 erscheint, dass die beteiligten Akteure das     bereitzustellen.
                 Zusammenspiel der verschiedenen Energie-           Auch beim Thema »Verluste und Schä-
                 wende-, Finanzierungs- und Technologie-         den« (Loss and Damage), die durch den Klima-
                 vorhaben einmal systematisch klären. Auch       wandel hervorgerufen werden, sind die
                 ist offen, ob die neu verkündeten Initiati-     vulnerablen Länder weiterhin unzufrieden
                 ven die beteiligten Länder dabei unterstüt-     mit dem geringen Engagement der reichen
                 zen sollen, ihre NDC-Ziele zu erreichen,        Staaten. Eine Haftung und Verpflichtung
                 oder ihnen ermöglichen sollen, die bisheri-     zur Entschädigung für Folgen des Klima-
                 gen Ambitionen zu steigern.                     wandels wird zwar in den Verhandlungen

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schon lange gefordert. Entsprechende Vor-      1,5-Grad-Ziel ausgerichtet haben, so müssen
stöße scheiterten aber bisher vor allem        sie gleichwohl weiterhin selbst in Vorlage
wiederholt am Veto der US-Regierung, die       gehen, wenn es um die Bewältigung der zu
hohe finanzielle Ansprüche befürchtet (vgl.    erwartenden globalen Zielüberschreitung
SWP-Studie 5/2020). Die schottische Premier-   geht. Ein solches Engagement könnte dazu
ministerin brach in dieser Hinsicht mit        beitragen, die anderen großen Emittenten
einem Tabu: Ihre Regierung stellt eine Mil-    für verbesserte NDCs zu gewinnen. In der
lion britische Pfund bereit für Verluste und   EU-Strategie zur Wiederherstellung nach-
Schäden, die durch den Klimawandel ver-        haltiger Kohlenstoffkreisläufe, die die Kom-
ursacht wurden. Wenn man die Vertrau-          mission im Dezember 2021 vorgestellt hat,
enslücke schließen will, die sich bei dieser   wird erstmals konkret dargelegt, wie die EU
Frage aufgetan hat, muss die Aushandlung       Methoden, mit denen sich CO2 wieder aus
weiterer Finanzzusagen somit ein zentrales     der Atmosphäre entfernen lässt, fördern
Element der Vorbereitungen für die COP27       und regulieren könnte. Diese nun in den
in Sharm al-Sheikh sein.                       EU-Institutionen beginnende Debatte zeigt,
                                               dass die in den Klimaschutzgesetzen der EU
                                               und einiger ihrer Mitgliedstaaten (z. B. Finn-
Europa ist weiterhin gefordert                 land, Schweden und Deutschland) formu-
                                               lierte Vision, langfristig netto negative Emis-
Während Großbritannien die Übergabe der        sionen zu erreichen, zunehmend ernster
COP-Präsidentschaft an Kairo begleitet, wird   genommen wird. Angesichts der laut IPCC
sich die EU 2022 um eine zügige legislative    wahrscheinlich nicht mehr vermeidbaren
Umsetzung des Fit-for-55-Pakets bemühen,       Überschreitung der globalen 1,5-Grad-
das weit mehr als ein Dutzend Vorhaben         Schwelle im nächsten Jahrzehnt, dürfte der
umfasst. Denn mit diesem Maßnahmen-            vielbeschworene 1,5-Grad-»Pfad« so zu ver-
programm kann sie international demons-        stehen sein, dass die europäische Klimapoli-
trieren, wie die Erfüllung klimapolitischer    tik langfristig zu einer Wiederannäherung
Ziele konkret organisiert werden kann, und     der Welt an die 1,5-Grad-Schwelle von oben
gleichzeitig jene Staaten unter Zugzwang       beitragen will. Dies wird nur möglich sein,
setzen, die hinterherhinken, sowohl bei der    wenn im globalen Maßstab netto negative
Implementierung als auch bei den NDC-          CO2-Emissionen erreicht werden, mit der
Ambitionen. Eine weitere Steigerung der        EU und ihren Mitgliedstaaten als naheliegen-
EU-Klimaziele als Beitrag zum Upgrade          den Vorreitern (vgl. SWP-Studie 10/2020).
2022, den die Konferenz in Glasgow be-            Neue mittelfristige Anreize will die Kom-
schlossen hat, wird es hingegen nicht          mission mit der »Global-Gateway-Strategie«
geben. Die EU hat ihre Möglichkeiten bei       schaffen, eine auf den G7-Beschlüssen von
den Ambitionen bereits zuvor ausgereizt        2021 beruhende Partnerschaftsinitiative,
und damit ihre Vorreiterrolle bei der Ein-     die mit finanzieller Unterstützung unter
haltung der internationalen Regeln in den      anderem Klima- und Energieprojekte im
letzten Jahren gestärkt. Sie wird nun unter    Ausland fördern soll. Die Organe und Mit-
Beweis stellen müssen, dass es ihr gelingt,    gliedstaaten der EU wollen für Infrastruk-
die Lasten bei der Implementierung des         turinvestitionen in dem genannten Bereich
Reduktionsziels von 55 Prozent zwischen        und in weiteren Politikfeldern (u. a. Digi-
den Mitgliedstaaten und zwischen den Wirt-     tales, Bildung, Gesundheit) bis 2027 bis zu
schaftssektoren fair zu teilen, ein Unter-     300 Milliarden Euro mobilisieren.
fangen, dessen Konfliktpotential angesichts       Mit Blick auf zögerliche Staaten wird
von zuletzt deutlich gestiegenen Energie-      international die Gangart andererseits wohl
preisen noch einmal zugenommen hat.            weiter verschärft werden müssen. Schon
   Auch wenn die EU und die Regierungen        2021 wurde im Rahmen der G7 und G20
der Mitgliedstaaten darauf hinweisen, dass     viel Druck auf China, Indien und Russland
sie ihre eigenen Klimaschutzpläne auf das      ausgeübt. Der Instrumentenkasten der EU

                                                                                                 SWP-Aktuell 81
                                                                                                 Dezember 2021

                                                                                                             5
ist jedoch begrenzt. Gespräche mit wich-                       Europas mit steigender Intensität. Die inter-
                               tigen Handelspartnern über den CO2-Grenz-                      nationale Klimadiplomatie steht bereits seit
                               ausgleich (CBAM; vgl. SWP-Studie 9/2021)                       Jahren vor der Herausforderung, diese Pro-
                               könnten als Hebel dienen; der CBAM soll                        zesse fortlaufend gestalten zu müssen, um
                               nach Ablauf einer Einführungsphase aus-                        substantielle Fortschritte im VN-Gefüge auf
                               ländische Produkte wichtiger Sektoren in                       den Weg zu bringen.
                               der EU ab 2026 mit einer CO2-Abgabe ver-                          Umso mehr wird es daher auf die neue
                               sehen und diese somit verteuern. Darüber                       Bundesregierung ankommen und darauf,
                               hinaus wird es schwierig werden, neue                          wie sie die globale Klimakooperation mit-
                               Lock- oder Druckmittel aufzubieten, um                         gestalten kann – auch mit Blick auf die
© Stiftung Wissenschaft        Ägypten bei den Vorbereitungen der COP27                       stärkere Rolle, die das Auswärtige Amt da-
und Politik, 2021              zu unterstützen.                                               bei übernehmen soll. 2022 hat Deutschland
Alle Rechte vorbehalten            Entscheidend für die Produktivität der                     zudem den Vorsitz der G7 inne und kann
                               internationalen Zusammenarbeit ist nach                        diesen »Klimaclub« vertiefen und für die
Das Aktuell gibt die Auf-
                               wie vor die Klimafinanzierung. Diese sollte                    internationale Kooperation nutzen. Alle
fassung der Autorin und des
Autors wieder.                 durch gezielte Investitionsprogramme zur                       G7-Staaten sind derzeit klimapolitisch
                               Dekarbonisierung ergänzt werden, wofür                         engagiert, inklusive der USA, die 2022 ihre
In der Online-Version dieser   der »Südafrika-Deal« eine gute Vorlage bie-                    Klimadiplomatie vorantreiben werden. Die
Publikation sind Verweise      tet. Dafür müssten auch die USA mit ins                        G7-Staaten sollten noch stärker als bisher
auf SWP-Schriften und
                               Boot kommen, die bislang auf internatio-                       auf die klimapolitisch zögerlichen G20-Staa-
wichtige Quellen anklickbar.
                               naler Bühne nur Zusagen gemacht, aber                          ten einwirken, welche 2022 von Indonesien
SWP-Aktuells werden intern     keine nationalen Beschlüsse zur Aufsto-                        geleitet werden. Jakarta wird Unterstützung
einem Begutachtungsverfah-     ckung von Finanzhilfen getroffen haben.                        benötigen in dem Bestreben, auch die wich-
ren, einem Faktencheck und         Es wird 2022 zudem auf das individuelle                    tigen G20-Mitglieder China und Indien ein-
einem Lektorat unterzogen.     Engagement der europäischen Staats- und                        zubinden. Einzelne Klimaschutzallianzen
Weitere Informationen
                               Regierungschefs ankommen. Die Erwartun-                        und konkrete sektorale Vorhaben der
zur Qualitätssicherung der
SWP finden Sie auf der SWP-    gen an die französische Ratspräsidentschaft                    COP26 können die Ambitionsbemühungen
Website unter https://www.     in der ersten Jahreshälfte 2022 sind dahin-                    im Kreis der G20 voranbringen. Gleichzeitig
swp-berlin.org/ueber-uns/      gehend hoch. Sie werden aber gebremst von                      wird die indonesische Regierung ihr Engage-
qualitaetssicherung/           der Aussicht auf die französischen Präsident-                  ment für die Belange der Entwicklungs-
                               schaftswahlen im April. Denn der Wahl-                         länder deutlich machen. Das heißt, dass die
SWP
Stiftung Wissenschaft und
                               kampf wird den Spielraum des amtierenden                       für den VN-Prozess drängenden Fragen der
Politik                        Präsidenten Macron für ein Agieren im                          Klimaanpassung, der Verluste und Schäden
Deutsches Institut für         Dienste der europäischen Politikprojekte                       sowie der Klimafinanzierung also auch im
Internationale Politik und     stark einengen. In der zweiten Jahreshälfte,                   G20-Rahmen auf der Tagesordnung stehen
Sicherheit                     in der sich die Vorbereitungen für die COP27                   werden.
                               intensivieren werden, hat dann mit Tsche-
Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin                   chien ein vergleichsweise kleiner EU-Mit-
Telefon +49 30 880 07-0        gliedstaat den Ratsvorsitz inne, was die
Fax +49 30 880 07-100          Kapazitäten für die Bearbeitung wichtiger
www.swp-berlin.org             internationaler EU-Vorhaben limitieren
swp@swp-berlin.org
                               wird. Auch fehlt es dem Europäischen Aus-
ISSN (Print) 1611-6364
                               wärtigen Dienst seit Jahren an einer hin-
ISSN (Online) 2747-5018        reichenden personellen Ausstattung, um
doi: 10.18449/2021A81          die klimapolitische Agenda der EU inter-
                               national zu forcieren. Die jährlichen COPs
                               beanspruchen die klimapolitischen Akteure

                               Dr. Susanne Dröge ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen.
                               Dr. Oliver Geden ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa und Leitautor für den 6. Sachstandsbericht des
                               IPCC.

      SWP-Aktuell 81
      Dezember 2021

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