Empfehlungen für die Prävention, Diagnostik und Therapie der Ab hängigkeitserkrankungen im Alter
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Originalartikel 79 Empfehlungen für die Prävention, Diagnostik und Therapie der https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1661-8157/a003609 - Tuesday, February 02, 2021 11:02:10 PM - UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich IP Address:130.60.206.74 Abhängigkeitserkrankungen im Alter Recommendations for the Prevention, Diagnostics and Therapy of Addiction Disorders in the Elderly Egemen Savaskan1,4, Andreas Fuchs5, Ulrich Hemmeter1,5, Bernd Ibach6, Esther Indermaur2,7, 14, Stefan Klöppel1,8, Sabrina Laimbacher2,13, 14, Thomas Leyhe1,9, Claudia Lötscher2,10,14, Julius Popp4, Tilo Stauch8, Gerhard Wiesbeck3,10, Alexander Wopfner3,11 und Daniele Zullino3,12 1 Schweizerische Gesellschaft für Alterspsychiatrie und -psychotherapie (SGAP), Bern 2 Schweizer Berufsverband für Pflegefachpersonal (SBK), Bern 3 Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin (SSAM), Bern 4 Klinik für Alterspsychiatrie, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich 5 Psychiatrie St. Gallen Nord, St. Gallen 6 Zentrum für Alterspsychiatrie und Privé, Clienia Littenheid AG, Littenheid 7 Spitex Zürich Limmat AG, Zürich 8 Universitätsklinik für Alterspsychiatrie und Psychotherapie, Universitäre Psychiatrische Dienste Bern 9 Zentrum für Alterspsychiatrie, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel und Alterspsychiatrie, Universitäre Altersmedizin, Felix Platter, Basel 10 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel 11 Klinik Südhang, Kirchlindach 12 Service d'addictologie, Hôpitaux Universitaires de Genève, Genf 13 Berner Fachhochschule, Angewandte Forschung und Entwicklung Pflege 14 Akademische Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege und Gerontologie Zusammenfassung: Obwohl der chronische Konsum einzelner Substanzen wie z.B. Alkohol und Sedativa, sowie zunehmend auch Opioide, im Alter ein grosses Problem mit erheblichen Folgeschäden für die Betroffenen darstellt, ist den entsprechen- den Störungsbildern bisher wenig Beachtung geschenkt worden. Die vorliegenden Empfehlungen sind unter der Federführung der Schweizerischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie- und Psychotherapie (SGAP) in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Berufsverband für Pflegefachpersonal (SBK) und der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin (SSAM) entstanden, mit dem Ziel, den aktuellen Stand des Wissens über die Abhängigkeitserkrankungen im Alter sowie über die Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie zusammenzufassen und den interprofessionellen, klinischen Teams zur Verfügung zu stellen. Sie sollen helfen, die Prävention und Frühdiagnostik zu stärken, und stellen bewusst die Psychotherapie und pflegerischen Inter- ventionsmöglichkeiten in den Vordergrund. Schlüsselwörter: Abhängigkeitserkrankung, Alter, Sucht, Alkohol, Benzodiazepine, Opioide Abstract: Although the chronic consumption of alcohol and sedatives, and increasingly opioids, represents a major problem in old age with consequential damage for those affected, little attention has been paid to the substance abuse disorders in old age. The aim of the present recommendations, a collaboration work of the Swiss Society for Geriatric Psychiatry and Psycho- therapy (SGAP), Swiss Nurses Association (SBK) and Swiss Society of Addiction Medicine (SSAM), is to summarize the current state of knowledge in prevention, diagnostics and therapy of substance abuse disorders in old age for an interprofessional clinical team. They are intended to help strengthen prevention and early diagnosis, and consciously emphasize psychotherapy and nursing intervention options. Keywords: Addiction, age, alcohol, benzodiazepines, opioids © 2021 Hogrefe Praxis 2021; 110 (2): 79–93 https://doi.org/10.1024/1661-8157/a003609
80Originalartikel Résumé: La consommation chronique à l'âge avancé de substances comme l'alcool et les sédativfs, et plus récemment d'opioïdes, représente un important problème avec des conséquences à court et à long terme. Malgré cela, peu d'attention a été accordée aux troubles associés à la consommation de ces produits. Les présentes recommandations ont été formulées par la Société Suisse de Psychiatrie et Psychothérapie de la Personne Agée (SPPA) en collaboration avec l’Association suisse des infirmières et infirmiers (ASI) et la Société Suisse de Médedine de l'Addicition (SSMA). Elles ont comme objectif de mettre à la https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1661-8157/a003609 - Tuesday, February 02, 2021 11:02:10 PM - UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich IP Address:130.60.206.74 disposition des intervenants des connaissances au sujet des troubles addictifs à l'âge avancé et les options préventives, dia- gnostiques et thérapeutiques. Elles sont sensées renforcer la prévention et le dépistage précoce et mettent en avant les inter- ventions psychothérapeutiques et les soins. Mots-clés: Dépendance, alcool, benzodiazépines, opioïdes, âge Abhängigkeitserkrankungen bei älteren Personen sind bis ren diese dopaminergen Neuronen ins ventrale Striatum her ein wenig beachtetes Gebiet der Altersmedizin, obwohl (Nucleus accumbens) und in den präfrontalen Kortex. Do diese im Kontext der demographischen Alterung und dem pamin-Ausschüttung scheint dabei für die Kodierung ver medizintechnischen Fortschritt eine stetig wachsende antwortlich zu sein. Andere Neurotransmitter, wie z.B. Gruppe darstellen. Es gibt Menschen, die mit einer subs GABA, und andere Hirnareale wie Hippocampus und tanzgebundenen Abhängigkeit altern (early onset oder Amygdala, tragen ebenfalls zur Entstehung der Abhängig Früheinsteiger) und Menschen, die im Alter eine Substanz keitserkrankung bei. Die Toleranzentwicklung für einzel abhängigkeit entwickeln (late onset oder Späteinsteiger). ne Substanzen ist primär auf Veränderungen der GABA Substanzkonsum und Abhängigkeitserkrankungen im Al ergen und glutamatergen Systeme zurückzuführen. Die ter sind mit verschiedenen Risiken und Herausforderun stressregulierende Wirkung einzelner Substanzen ent gen verbunden, dies auch vor dem Hintergrund häufiger steht über GABAerge und serotonerge Projektionen, und Komorbiditäten. Diese Ausgangslage erfordert eine multi Störungen dieser Neurotransmitter sind verantwortlich professionelle Zusammenarbeit. Dennoch wird das Stö für die Entstehung affektiver Symptome. rungsbild von Fachpersonen – aber auch von den Betroffe nen selbst – oftmals unterschätzt, nicht erkannt oder falsch interpretiert. Auch wenn der Konsum von illegalen Drogen momentan in dieser Altersgruppe nicht im Vordergrund steht, stellt der chronische Konsum von Alkohol und Seda Abhängigkeitserkrankungen tiva, sowie zunehmend auch von Opioiden, ein grosses ge und Komorbidität sundheitliches Problem mit schwerwiegenden Folgen in dieser vulnerablen Patientengruppe dar. Die Empfehlun Abhängigkeitserkrankungen können unmittelbare Fol gen liegen als umfassendes Manual vor; die vorliegende gen der akuten Intoxikation wie Atemstillstand, mittel Version ist eine Zusammenfassung. Da für die meisten In bare Folgen wie Unfälle unter Substanzeinwirkung oder terventionsmöglichkeiten in dieser Altersgruppe die kont Leberzirrhose infolge des Alkoholkonsums, und indirek rollierten Studien oft fehlen, wird neben der aktuellen te Folgen wie Depression haben. Somatische Komorbidi Evidenzlage die klinische Erfahrung der Experten mitbe täten, gerade bei einem chronischen Konsum, sind häu rücksichtigt. Das Ziel der Empfehlungen ist es, die Präven fig, so etwa dermatologisch Hautabszesse, kardiovaskulär tion und Frühdiagnostik dieser Erkrankungen zu stärken, essenzielle Hypertension, Angina, Myokardinfarkte, und für die Bedürfnisse älterer Menschen angemessene Herzinsuffizienz, Arrhythmien, infektiöse Endokarditis Therapieoptionen in den Vordergrund zu stellen. und Kardiomyopathien, respiratorisch Septum-Perforati on der Nase, COPD, Asthma, gastrointestinal virale He patitis, Hepatokarzinom, peptisches Ulkus, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Pankreatitis, Gastritis, Zirrhose, zirrhotische Varizen, hämatologisch Anämie, Neurobiologische Grundlagen Thrombozytopenie und Koagulopathien, neurologisch der Abhängigkeitserkrankungen Schlaganfall, Enzephalopathie, traumatische Hirnverlet zung, Epilepsie, epidurale Abszesse, periphere Neuropa Abhängigkeitserkrankungen entstehen durch regelmäs thien und Wernicke-Korsakoff-Syndrom, endokrinolo siges Suchtverhalten, welches über das mesolimbische gisch Hypo-/Hyperthyroidismus, Typ-2-Diabetes Verstärkungs- und Belohnungssystem zu belohnungsasso mellitus und Hypogonadismus, immunologisch HIV, Im ziiertem Lernen und Gedächtnisbildung führt [1]. Das zu munsupression auf der Basis von opportunistischen In nächst willentlich gesteuerte Verhalten geht dabei mit der fektionen und nekrotisierende Vaskulitis sowie metabo Zeit in automatisierte und schliesslich zwanghafte Sche lisch Elektrolytstörungen, Hypoxie und Dehydratation mata über. Auch wenn die einzelnen Substanzen unter [3]. Spezifische Folgeschäden werden unten separat bei schiedliche Wirkungsmechanismen haben, spielt das me der jeweiligen Substanz besprochen. solimbische dopaminerge System eine entscheidende Als komorbide psychiatrische Erkrankungen treten am Rolle [2]. Ausgehend vom ventralen Tegmentum projizie häufigsten Depression und Angststörungen auf, vor allem Praxis 2021; 110 (2): 79–93 © 2021 Hogrefe
Originalartikel81 keit infolge von Vermeidungsverhalten und zu Gesund Im Artikel verwendete Abkürzungen: AUDIT-C Alcohol Use Disorders Identification heitsproblemen kommen, weil die Betroffenen oft nicht Test-Consumption rechtzeitig medizinische Hilfe suchen. Motive für den AWMF Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Substanzkonsum und gleichzeitig unmittelbare Folgen ei Medizinischen Fachgesellschaften e.V. ner Substanzstörung können Trennungen, Versagen im https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1661-8157/a003609 - Tuesday, February 02, 2021 11:02:10 PM - UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich IP Address:130.60.206.74 BAG Bundesamt für Gesundheit CAM Confusion Assessment Method Beruf oder Privatleben, Arbeitslosigkeit, finanzielle Eng CANE Camberwell Assessment of Need for pässe, Schulden, strafrechtliche Komplikationen sowie the Elderly Wohnungsverlust und Obdachlosigkeit sein. Vor allem COPD Chronic obstructive pulmonary disease/ der Alkoholkonsum kann das Risiko für Depressionen chronische obstruktive Lungenerkrankung DBT Dialektisch-Behaviorale Therapien und Suizidalität erhöhen. Delir, Stürze, kognitive Störun DOS Delirium Observation Screening Scale gen, eine paranoide Entwicklung, Rückzugsverhalten, epaPsyC Ergebnisorientiertes Pflege Assessment Selbstvernachlässigung und Konflikte mit dem Umfeld für das psychiatrische Setting können die Abwärtsspirale der Abhängigkeitserkrankung GABA Gamma-Aminobutyric acid oder γ-Aminobuttersäure verstärken und einen Ausstieg vom Substanzkonsum er GAST-Fragebogen Geriatrischer Alkoholabhängigkeits- schweren. Gesundheitliche und soziale Risiken wie Infek und Missbrauch-Screening Test tionskrankheiten, Mangelernährung, Überdosen, erhöhte HIV Humanes Immundefizienz-Virus Mortalität, Kriminalität und Prostitution können die Le MBS Marchiafava-Bignami-Syndrom MI Motivational Interview; die motivierende bensführung der Betroffenen erschweren. Gesprächsführung NOSGER Nurses Observation Scale for Geriatric Patients Prävention SBK Schweizerischer Berufsverband der Pflege- fachfrauen und Pflegefachmänner SMAST-G Short Michigan Alcoholism Screening Präventionsmassnahmen können auf verschiedenen Ebe Instrument – Geriatric Version nen eingesetzt werden: Während universelle Massnah TTM Das Transtheoretische Modell men ganze Populationen oder besondere Bevölkerungs WE Wernicke-Enzephalopathie WKS Wernicke-Korsakoff-Syndrom gruppen wie z.B. ältere Personen im Fokus haben können, geht eine selektive Prävention auf die Bedürfnisse von Be troffenen mit erhöhtem Risiko ein. Eine Prävention kann in Zusammenhang mit Alkoholabhängigkeit [4]. Majore auch indiziert sein, wenn Individuen mit bestehendem, Depressionen, bipolare Störungen, kognitive Störungen schädlichem Konsum gezielt angegangen werden sollen. und Demenz sind die häufigsten komorbiden psychiatri Wesentliche Massnahmen im Bereich der Abhängigkeits schen Störungsbilder, die bei Betroffenen mit einer Ab erkrankungen wären Früherkennung und -interventionen hängigkeitserkrankung beobachtet werden. Sehr häufig mit Beratungs- und therapeutischen Massnahmen. Diese sind auch Psychosen, Schlafstörungen, sexuelle Dysfunk können in verschiedenen Settings wie Notaufnahmen, tion, Delir, Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstö Arztpraxen, Alters- und Pflegeheimen, Gemeinde, Fami rung, Traumafolgestörungen sowie Belastungs- und Per lie, Freizeit und im öffentlichen Raum eingesetzt werden. sönlichkeitsstörungen. In diesem Zusammenhang besonders zu erwähnen ist die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) und Partnern aus dem Suchtbereich 2018 ausgearbeitete «Nationale Strate gie Sucht», die zu den Bereichen Gesundheitsförderung, Die psychosozialen Folgen Prävention, Früherkennung, Therapie, Beratung, Scha der Abhängigkeitserkrankung denminderung, Risikominimierung, Regulierung und Vollzug Stellung nimmt und Massnahmen vorschlägt. Folgen chronischen Substanzkonsums können gravieren der sein, wenn eine Abhängigkeit in jüngeren Jahren be ginnt und sich im späten Alter fortsetzt, im Unterschied zu Alkoholabhängigkeit einer Erkrankung, die erst spät im Alter beginnt [5]. Kon sumenten, die erst spät eine Abhängigkeitserkrankung Screening-Instrumente können die Früherkennung und entwickeln, sind in der Regel eher stabil, sozial integriert Prävention bei älteren Personen deutlich verbessern, aber und zeigen eine bessere Behandlungsbereitschaft. Die so nur wenige dieser Verfahren sind in dieser Altersgruppe ziale Vulnerabilität erhöht sich im Alter, und Verlusterleb bisher evaluiert und validiert worden. Als geeignete Inst nisse sowie Einschränkungen durch Krankheiten können rumente sind CAGE, AUDIT-C (Alcohol Use Disorders zum erhöhten Substanzkonsum führen. Substanzen wie Identification Test-Consumption) und SMAST-G (Short Alkohol werden oft auch zur Linderung von Angst und Michigan Alcoholism Screening Instrument – Geriatric Schmerzen eingesetzt. Version) empfohlen worden [7]. Nach der Identifikation Die Angst vor Stigmatisierung führt oft zur Verdrän der Risikopatientinnen und -patienten kann eine «Kurzin gung der Problematik und zu Schamgefühl [6]. Deswegen tervention» als wirksames Mittel zur Konsumreduktion kann es zur Selbstvernachlässigung mit sozialer Einsam eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um eine kurze © 2021 HogrefePraxis 2021; 110 (2): 79–93
82Originalartikel Frühintervention, die psychoedukative mit motivierenden lich nur bei Schmerzen infolge von Tumorerkrankun Elementen in einem strukturierten Gespräch verbindet gen indiziert. [8]. Diese Intervention kann 15 bis 60 Minuten dauern. yy Opiate sind bei primären Kopfschmerzen, funktionel Anschliessend kann der Betroffene für die weiterführende len Störungen als Hauptursachen von Schmerzsyndro Abklärung, Behandlung und Beratung zu einem Spezialis men, Fibromyalgiesyndrom, Schmerzen infolge von https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1661-8157/a003609 - Tuesday, February 02, 2021 11:02:10 PM - UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich IP Address:130.60.206.74 ten überwiesen werden. psychiatrischen Erkrankungen, affektiven Störungen/ Suizidalität, chronisch entzündlichen Darmerkrankun gen und Pankreatitis nicht indiziert. Benzodiazepinabhängigkeit yy Bei missbräuchlichem Konsum oder Abhängigkeitser krankungen in der Vorgeschichte ist die Behandlung Zur Vorbeugung werden folgende Massnahmen empfohlen: mit Opiaten kontraindiziert. yy Benzodiazepine sollen grundsätzlich nicht als Schlaf medikation eingesetzt werden. Wenn Opiate verschrieben werden gilt Folgendes: yy Bei missbräuchlichem Konsum oder Abhängigkeitser yy Der Einsatz sollte nach sorgfältiger Indikationsstellung krankung in der Vorgeschichte ist von der Behandlung und als Teil eines Behandlungsplans erfolgen. Die Pa mit Benzodiazepinen abzusehen. tientinnen und Patienten müssen über das Abhängigkeits yy Bei bekannter zerebraler Vorschädigung, bei leichten potenzial und die weiteren möglichen Nebenwirkungen kognitiven Störungen und Demenzen sowie bei hohem sowie über alternative Behandlungsmöglichkeiten aufge Delir-Risiko sollten Benzodiazepine und Analoga nicht klärt werden. eingesetzt werden. yy Die Dosis soll dem Schweregrad der Symptome ange passt und möglichst niedrig gehalten werden. Wenn Benzodiazepine oder Analoga verschrieben wer yy Präparate mit retardierter Galenik bzw. langer Wirk den, gilt Folgendes: dauer sollen eingesetzt werden yy Der Einsatz sollte nach sorgfältiger Indikationsstellung yy Eine Tagesdosis von 120 mg Morphinäquivalent soll und als Teil eines Behandlungsplans erfolgen. Die Pa nur in Ausnahmefällen überschritten werden. tientinnen und Patienten müssen über das Abhängigkeits yy Eine Behandlung länger als drei Monate kann bei Thera potenzial und die weiteren möglichen Nebenwirkungen pierespondern durchgeführt werden. Nach sechs Mona sowie über alternative Behandlungsmöglichkeiten aufge ten soll mit der Patientin/dem Patienten die Möglichkeit klärt werden. einer Dosisreduktion und eines Auslassversuches be yy Substanzen mit kurzer Halbwertzeit (Lorazepam, Oxa sprochen werden. zepam, bei Insomnien Zolpidem oder Zopiclon) sind zu yy Die Indikation soll regelmässig unter Einbezug eines bevorzugen. Fachspezialisten überprüft werden. Bei fehlender oder yy Die Dosis soll dem Schweregrad der Symptome ange fraglicher Indikation sind Absetzversuche vorzunehmen. passt und möglichst niedrig gehalten werden. yy Eine Dosis von über 120 mg Morphinäquivalent soll nur yy Die regelmässige Einnahme sollte drei bis vier Wochen in Ausnahmefällen überschritten werden. nicht überschreiten. yy Die Indikation soll regelmässig überprüft werden. Bei fehlender oder fraglicher Indikation sind Absetzver Andere Substanzen suche vorzunehmen. yy Pflegefachpersonen kommt beim Thema Medikamen In der Prävention und zur Vermeidung der Folgeschäden ten-Langzeitgebrauch im Alter eine zentrale Rolle zu. der Nikotinabhängigkeit ist ein Rauchstopp auch bei älte Am Anfang stehen dabei die sorgfältige Krankenbeob ren Personen wirksam. Hier kann auch die «Kurzinterven achtung und die Zuordnung unterschiedlicher Auffäl tion» wie oben beschrieben eingesetzt werden. Bei Medi ligkeiten zum Störungsbild sowie die Weiterleitung die kamentenabhängigkeit können die Screening-Instrumente, ser Beobachtungen an den behandelnden Arzt. die bei Alkoholstörungen eingesetzt werden, hilfreich sein yy In regelmässigen (Psychotherapie-)Gesprächen sollen und die Überführung zur Psychotherapie erleichtern. Ob die Erwartungen und Symptome der Patientinnen und wohl illegale Drogen aktuell in der älteren Bevölkerung Patienten überprüft, alternative Therapiemöglichkei keine grosse Rolle spielen, ist mit steigender Akzeptanz ten besprochen und möglichst zur Reduktion oder zum dieser Substanzen mit einer Zunahme des Konsums zu Absetzen ermutigt werden. rechnen. Rechtzeitig eingesetzte Aufklärung über die Fol gen dieser Substanzen und Beratungsangebote können den Anstieg vermindern helfen. Opiate Generell wird empfohlen: Alkohol yy Nicht-Opioid-Therapie und nicht-pharmakologische Ansätze sind bei chronischen Schmerzen die bevorzug Alkohol gehört neben Sedativa zu den am meisten konsu te Behandlung. Der Einsatz von Opiaten ist grundsätz mierten Substanzen in der Schweiz [9, 10]. Der Konsum Praxis 2021; 110 (2): 79–93 © 2021 Hogrefe
Originalartikel83 nimmt mit zunehmendem Alter zu, auf bis zu 26,2 % Anteil bogen, der AUDIT und der SMAST-G. Die Kurzform des bei den über 75-Jährigen. Der Pro-Kopf-Konsum hat zwar et AUDIT kann bei älteren Personen gut eingesetzt wer was abgenommen, aber der chronisch risikoreiche Konsum den, im deutschsprachigen Raum kommt oft der GAST- stellt bei über 65-Jährigen ein grosses Problem dar. Vor allem Fragebogen zum Einsatz. sind Männer betroffen, physiologische Veränderungen und https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1661-8157/a003609 - Tuesday, February 02, 2021 11:02:10 PM - UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich IP Address:130.60.206.74 Multimorbidität führen zu einer Abnahme der Toleranz im Alter [5, 11]. Hohe Konsummenge, kritische Lebensereignis Therapie se, soziodemografische Variablen (männlich, allein lebend), komorbide psychische Störungen (Angst, Depression, Per In der Therapie sollen die komorbiden Begleiterkrank sönlichkeitsstörung) und andere Suchterkrankungen sind ungen und die sozialen Ressourcen der Betroffenen be allgemeine Risikofaktoren für Alkoholabhängigkeit [12]. rücksichtigt werden. Oft ist eine völlige Abstinenz als The rapieziel nicht realistisch, und niederschwellige Angebote mit fliessenden Übergängen zwischen stationärem, teil Klinik stationärem und ambulantem Setting sind zu empfehlen. Angehörige sollen wenn immer möglich miteinbezogen Klinische Zeichen wie Alkoholgeruch, gerötete Konjunkti werden. Wenn schwere Entzugssymptome erwartet wer ven, Tremor, Hautveränderungen wie z.B. Gefässspinnen den, ist die Therapie unbedingt stationär durchzuführen. und Palmarerythem, Schweissneigung, Gangunsicherheit, Ko-Konsum von anderen Substanzen, Delir in der Vorge Stürze, Schlafstörungen, Magen-Darm-Störungen, Kon schichte, Folgekrankheiten des Alkoholkonsums, kognitive zentrationsstörung, Vergesslichkeit, reduzierter Allge Störungen und die Dauer des Konsums sind Risikofaktoren meinzustand, Mangelernährung, Störungen der Potenz, für einen schweren Entzug. In der Alkoholentzugsbehand Inkontinenz, Bluthochdruck, instabiler Diabetes mellitus, lung braucht es neben der Überwachung der Vitalparame sozialer Rückzug, Vernachlässigung der Körperhygiene ter und Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr beim Vorliegen und emotionale Veränderungen wie Angst und Depression von kognitiven Störungen eine Substitutionsbehandlung können auf eine Alkohol-bedingte Störung hinweisen [11, mit Thiamin. Magnesium, zusätzliche B- und C-Vitamine 13]. Beim plötzlichen Absetzen des Konsums kann es zu sowie Folsäure sollten bei Mangelernährung hinzugefügt einer zentralnervösen Erregung kommen, weil die hem werden. Um eine Sedierung zu erreichen und epileptischen mende Wirkung des Alkohols über die GABA-Rezeptoren Anfällen vorzubeugen, werden Entzugsbehandlungen in ausbleibt [11]. Typische Entzugssymptome sind gastroin der Regel mit Benzodiazepinen durchgeführt. Um Kumu testinale Beschwerden wie Nausea, Erbrechen, Diarrhö, lation zu vermeiden, werden Lorazepam und Oxazepam Anorexie und Magenschmerzen, Herz-Kreislauf-Prob empfohlen, die eine kürzere bis mittlere Halbwertzeit ha leme wie Tachykardie, Hypertonie und orthostatische ben. Beim Vorliegen von psychotischen Symptomen kön Hypotension, vegetative Symptome wie Schwitzen, Mund nen auch Antipsychotika eingesetzt werden. Carbamaze trockenheit, Mydriasis, Gesichtsrötung, Tremor, Juckreiz, pin und Valproat zur Anfallsprophylaxe werden aufgrund Koordinations- und Sehstörungen, Schlafstörungen, Kopf- ihres Nebenwirkungspotenzials bei älteren Personen eher und Muskelschmerzen und Schwäche sowie psychische nicht empfohlen. Sympathikolytische Substanzen wie Störungen wie Reizbarkeit, Unruhe, Angst, Depression, β-Blocker und α2-Antagonisten können zur Linderung der Konzentrations-, Gedächtnis- und Wahrnehmungsstörun Entzugssymptome eingesetzt werden. gen und Halluzinationen. Schwere Alkoholentzüge kön Die weitere Therapie nach dem Entzug soll psychothe nen mit Delir und epileptischen Anfällen einhergehen. rapeutisch begleitet werden. Die Interventionsmöglich Deswegen wird generell empfohlen, Entzugsbehandlun keiten werden in einem anderen Kapitel diskutiert. Eine gen bei älteren Personen stationär durchzuführen. sichere Umgebung bei möglicher Selbst- und Fremdge fährdung, Orientierungshilfen, sichere Umgebung und Vermeidung von Reizüberflutung sind zusätzliche unter Diagnostik stützende Massnahmen der Therapie. In der Postakut behandlung können als Rückfallprophylaxe Naltrexon Eine ausführliche Anamneseerhebung einschliesslich und Acamprosat eingesetzt werden. Disulfiram wird bei der Fremdanamnese, eine klinische Untersuchung mit älteren Betroffenen nicht empfohlen. Bei komorbiden Neurostatus, Labor und die Untersuchung der kogniti psychiatrischen Erkrankungen wie Depression soll der ven Leistungsfähigkeit sind die Basis der Diagnostik. Einsatz eines Antidepressivums erwogen und die Psycho Labor-Befunde wie γ-Glutamyltransferase, Lebertrans therapie entsprechend angepasst werden. aminasen, mittleres Erythrozytenvolumen, Carbohydrat- defizientes Transferrin und der Ethanolmetabolit Ethyl glukoronid können Hinweise über das Konsumverhalten Folgeschäden und Folgeschäden geben [5, 11]. Eine ausführliche neuro psychologische Testung wird oft notwendig. Wichtige Verletzungen, Unfälle, Leberzirrhose und Krebserkran Assessment-Instrumente, die auch bei Älteren für Scree kungen sind die häufigsten Folgen einer Alkoholabhängig nings eingesetzt werden können, sind der CAGE-Frage keit mit erhöhter Mortalität [10]. Das Störungsbild ist © 2021 HogrefePraxis 2021; 110 (2): 79–93
84Originalartikel ebenfalls mit hoher Suizidalität assoziiert. Gastrointesti thie, Affektverflachung, Depression, Konzentrations- nale Störungen wie Gastritis und Magenulzera, akute und und Aufmerksamkeitsstörungen, kognitive Beeinträchti chronisch progressive Pankreatitis, alkoholische Kardio gungen, Muskelschwäche, Ataxie, Koordinations- und myopathie, Thrombozytendepression und megaloblasti Gangstörungen, Delir, Stürze und Atemdepression zu sche Anämie, Karzinome, Kleinhirnatrophie, Ataxie, Poly erwarten. Das Entzugssyndrom nach plötzlichem Ab https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1661-8157/a003609 - Tuesday, February 02, 2021 11:02:10 PM - UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich IP Address:130.60.206.74 neuropathien und extrapyramidale Symptome sind häufig. setzen verläuft mit Agitation, Angst, Schlaf-Wach- Aufgrund des Thiaminmangels kann das Wernicke-Korsa Rhythmus-Störungen und vegetativen Symptomen wie koff-Syndrom auftreten und bleibende kognitive Schäden Palpitation und Schwitzen [5, 15]. Zusätzlich können können entstehen. Eine Alkoholdemenz tritt in der Regel Muskelverspannungen, Kopfschmerzen, Appetitlosig bei chronisch schädlichem Konsum in jüngeren Jahren auf keit, Depression, Koordinations- und Konzentrations als die Alzheimer-Demenz und äussert sich mit exekutiver störungen, Tinnitus und Parästhesien auftreten. Schwere Dysfunktion, Orientierungsstörungen, Enthemmung, Af Entzugssyndrome können von einem Delir, psycho fektstörungen, Persönlichkeitsveränderungen, Gereizt tischen Symptomen, Myoklonien und epileptischen An heit, Depression und Verwahrlosung. fällen geprägt sein. Sedativa Diagnostik Unter Sedativa versteht man eine Reihe von Substanzen, Eine ausführliche Anamnese und klinische Untersuchung die angstlösende, sedierende und Schlaf anstossende unter Berücksichtigung einer Abhängigkeitserkrankung, der Wirkungen haben. In diesem Text sind mit Sedativa Ben Symptome einer Intoxikation und eines Entzugs, sind die zodiazepine und Benzodiazepin-Analoga wie Zopiclon, Basis der Diagnostik. Bei jeder stationären Aufnahme soll an Zaleplon und Zolpidem gemeint. Diese wirken auf die einen chronischen Konsum gedacht werden, auch, um zu post-synaptischen GABA-Rezeptoren und verstärken die vermeiden, durch plötzliches Absetzen der Substanz ein De hemmende Wirkung des Neurotransmitters [15]. Laut lir zu verursachen. In der Regel können einzelne Substanzen Suchtmonitoring Schweiz beträgt der Anteil der Personen und deren Metaboliten im Urin nachgewiesen werden. mit problematischer Einnahme dieser Substanzen 18,4 % Benzodiazepine Dependence Questionnaire-BDEPQ , Ben bei den über 75-Jährigen [10]. Hauptsächlich sind Frauen zodiazepine Dependence Self Report Questionnaire-Ben betroffen. Diese Medikamente werden hauptsächlich bei dep-SRQ , Benzodiazepine Withdrawal Symptom Question Schlaf- und Angststörungen eingesetzt. Der chronische naire-BWSQ , Benzodiazepine Craving Questionnaire-BCQ , Einsatz dieser Substanzen als Schlafmittel ist unverhält The Severity of Dependence Scale-SDS, Physician Withdra nismässig und soll vermieden werden. wal Checklist-PWC, Clinical Institute Withdrawal Assess Weibliches Geschlecht, chronische Schmerzen, Zu ment-Benzodiazepines-CIWA-B, Lippstädter BenzoCheck, gang zur unkontrollierten Verschreibung, Polypharmazie, Hamburger Benzodiazepin-Entzugs-Skala und Benzodiaze Immobilität, sozialer Rückzug, Suizidalität, schwere pin-Entzugsskala sind gängige Assessment-Instrumente, die Krankheiten und Multimorbidität sind Risikofaktoren für eingesetzt werden können [5]. den Missbrauch von Sedativa. Prädiktive Faktoren für die Entwicklung einer Abhängigkeit sind hohe durchschnitt liche Dosis (>15 mg Diazepam-Äquivalent), Einnahme Therapie dauer (länger als drei Monate), abhängige Persönlichkeits struktur, anamnestisch vorhandene Substanzabhängigkeit Eine Dosisreduktion und eine Umstellung auf eine geeigne und Toleranzenzwicklung [5]. Deswegen sollen, wenn der tere Substanz sind in dieser Altersgruppe ein Behandlungs Einsatz dieser Medikamente notwendig ist, in erster Linie erfolg; das Ziel einer völligen Abstinenz ist oft unrealistisch. Substanzen wie Lorezepam und Oxazepam mit kürzerer Der Erfolg einer Entzugsbehandlung ist abhängig von der Halbwertzeit, zeitlich beschränkt und nicht als regelmä Adhärenz des Betroffenen, seinen sozialen Ressourcen und ssige Einnahme, sondern als Bedarfsmedikation verord dem Fehlen einer komorbiden psychiatrischen Erkrankung. net werden. Eine ausführliche Information ist notwendig, um Krank heitsverständnis und Motivation zu verbessern. Die Entzugs behandlung wird mit Benzodiazepinen mittlerer Halbwert Klinik zeit (Oxazepam, Lorazepam) durchgeführt. Dabei kann eine semilogarithmische oder lineare Reduktion im Tages- oder Nach dem Absetzen von Sedativa können Rückfallsymp Wochenrhythmus durchgeführt werden. Zur Reduktion der tome wie Angst, Unruhe und Schlafstörungen auftreten, Entzugssymptome und bei affektiver Verschlechterung kön für deren Behandlung die Substanz ursprünglich einge nen Serotonin-Wiederhaufnahme-Hemmer, Trazodon, Val setzt wurde. Diese können nach Beendigung der Einnah proat, Carbamazepin und Pregabalin eingesetzt werden. Mit me als Reboundsymptome sogar noch verstärkt werden. Hilfe der «Benzodiazepin-Entzugsskala» können Betroffene Bei der Intoxikation mit diesen Medikamenten sind den Verlauf der Entzugsbehandlung selbst verfolgen, wo Symptome wie Benommenheit, Tagesmüdigkeit, Apa durch das Coping verbessert wird [16]. Psychotherapeutische Praxis 2021; 110 (2): 79–93 © 2021 Hogrefe
Originalartikel85 Interventionen mit Fokus auf die begleitenden psychiatri Hohes Alter ist grundsätzlich kein Risikofaktor, aber die schen Symptome erhöhen die Erfolgschancen und werden Multimorbidität älterer Personen mit daraus resultieren ausführlich unten beschrieben. der Polypharmazie sowie die altersbedingten Stoffwech selveränderungen erhöhen das Risiko für Medikamenten interaktionen und Nebenwirkungen. Opioide sollen bei https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1661-8157/a003609 - Tuesday, February 02, 2021 11:02:10 PM - UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich IP Address:130.60.206.74 Folgeschäden älteren Personen in deutlich geringerer Dosis als bei jün geren Erwachsenen eingesetzt und die Dosiserhöhung Sedation, Stürze (mit Knochenbrüchen) und Delir können muss sehr langsam vorgenommen werden. bei älteren Personen schon bei kurzfristiger Einnahme auftreten. Die Mortalität ist bei chronischem Konsum deutlich erhöht. Benzodiazepine können kognitive Stö Klinik rungen verursachen, und es sind Hinweise vorhanden, dass sie die Entwicklung einer Demenz fördern können. Bei einer Abhängigkeitserkrankung zeigen die Betroffe Die Schlafarchitektur wird ungünstig beeinflusst, und das nen sozialen Rückzug, Craving, Depression, Angst, Apa Immunsystem kann bei chronischer Einnahme beein thie, Aufmerksamkeits-, Orientierungs- und Konzentrati trächtigt werden. onsstörungen und Störungen der exekutiven Funktionen. Bei der Intoxikation mit diesen Substanzen kann initiale Euphorie gefolgt von Apathie, Dysphorie, psychomoto Opiate und Opioide rischer Unruhe oder Verlangsamung, sowie Beeinträchti gungen der Urteilsfähigkeit und der Alltagsfunktionen Als Opiate werden Substanzen bezeichnet, die aus Opium auftreten. Die Trias Koma, Miosis und Ateminsuffizienz ist gewonnen werden und zentrale euphorisierende, tranquil lebensgefährlich und kann die Gabe eines Opiatantagonis lisierende und analgetische Wirkungen aufweisen. Unter ten wie Naloxon notwendig machen [18]. diesem Kapitel werden nicht illegale Opium-Derivate wie Nach Absetzen der Opiate kann es schon nach wenigen Heroin besprochen, sondern Opiate und Opioide, die als Stunden zu Entzugssymptomen wie Muskelschmerzen, Schmerzmittel eingesetzt werden, wie z.B. Tramadol, Co Bauchkrämpfen, Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, verstärk dein, Buprenorphin, Fentanyl, Morphin und Oxycodon. Sie ter Atmung, Tachykardie, Blutdruck- und Temperaturer gehören zu den am meisten verordneten Medikamenten. höhung und Dehydratation kommen. Depression, Angst, Laut Suchtmonitoring Schweiz nehmen 9,5 % der über Unruhe und Dysphorie sind häufig. Niesen, Tränen, Gäh 65-Jährigen regelmässig und fast die Hälfte (49 %) dieser nen, Schwitzen und akute Rhinitis können auftreten [19]. Personen täglich diese Medikamente ein [10]. Vor allem Auch wenn die Akutbeschwerden innerhalb von 5–10 Ta Frauen sind betroffen. Insgesamt nimmt der Konsum die gen abklingen, können Dysphorie und Schlafstörungen ser Substanzen in den westlichen Ländern kontinuierlich monatelang bestehen bleiben. Bei kardiovaskulären Vor zu. Opiate sind bei primären Kopfschmerzen, funktionel erkrankungen und Epilepsie kann der Entzug schwer len Störungen als Hauptursachen von Schmerzsyndromen, wiegender verlaufen. Fibromyalgiesyndrom, Schmerzen infolge von psychiatri schen Erkrankungen, affektiven Störungen/Suizidalität, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und Pankre Diagnostik atitis nicht indiziert. Die wichtigste Indikation für den Ein satz von Opiaten sind tumorbedingte Schmerzen. Indika Grundsätzlich soll eine Opiatbehandlung alle drei Monate tionsfremde Verschreibungen sollen vermieden werden. hinsichtlich Therapieziele, Nebenwirkungen und Fehl Opiate haben eine Reihe von Nebenwirkungen wie Se gebrauch überprüft, bei fehlender Indikation eine Dosisre dation, Atemdepression, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, duktion und Absetzversuche vorgenommen werden. Die Wahrnehmungsstörungen, Euphorie, Dysphorie, Appetit Anamnese soll neben allgemeinen Aspekten sucht- und losigkeit, Juckreiz, Harnverhalten, orthostatische Störun schmerzbezogene sowie psychosoziale Faktoren berück gen, Obstipation und Ileus, die die Lebensführung der sichtigen. Für die Instrumente COMM (Current Opioid Betroffenen schwer beeinträchtigen können [17]. Bei Misuse Measure) und SOAPP-R (Screener and Opioid As Langzeitanwendung kann es zur Hyperalgesie kommen. sessment for Patients with Pain – revised) wurde eine mo Frakturen, Immunsuppression, Neuropathien und kogni derate positive und negative Voraussagekraft gezeigt [20]. tive Beeinträchtigungen können weitere Folgen des chro Diese Screeningtests sind für den deutschsprachigen Raum nischen Konsums sein. nicht validiert. Die DIRE-Skala wird als nützlicher Leit Komorbide Suchterkrankungen, Depression, Angst, faden zur strukturierten Anamneseerhebung empfohlen [5]. Persönlichkeitsstörungen, somatoforme Schmerzstörun gen, Psychosen und psychosozialer Stress sind die wich tigsten Risikofaktoren für eine Opioid-Abhängigkeit. Das Therapie Risiko für eine Abhängigkeit steigt, wenn die Substanz kurzwirksam ist, länger als 30 Tage verordnet wird und die Opiatkarenz ist zwar das langfristige Ziel einer Therapie, tägliche Dosis 120 mg Morphinäquivalente übersteigt. aber der Schwerpunkt liegt bei der Vermeidung und Re © 2021 HogrefePraxis 2021; 110 (2): 79–93
86Originalartikel duktion der Folgeschäden [19]. Es lohnt sich, klare Regeln zentrationsstörungen, Angst, Schlafstörungen, Appetitstei für die weitere Behandlung festzulegen: Es muss ein orga gerung und Depression mit Suizidalität. nisches Schmerzsyndrom vorliegen, Opiatbezug gibt es nur von einem Arzt, reguläre Einnahme und keine andere Abhängigkeit. Die strukturierte Behandlung umfasst dann Diagnostik https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1661-8157/a003609 - Tuesday, February 02, 2021 11:02:10 PM - UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich IP Address:130.60.206.74 ein schrittweises Abdosieren, kurze Ausgabenintervalle, regelmässiges Urin-Drogenscreening (1–4×/Monat), Kon In der Anamnese sollen das Rauchverhalten (Beginn, trolle der Tablettenzahl, retardierte Präparate (ggf. mit tägliche Menge, Frequenz und Art des Rauchens, Ent Naloxon kombiniert), Einbezug des sozialen Umfelds und zugssymptome, Passivrauchen), andere Suchtmittel, Mo psychosoziale Betreuungsangebote. tivation für das Absetzen und Symptome möglicher Fol Für gesunde Personen stellt ein Entzugssyndrom geerkrankungen erfasst werden [22]. In der klinischen grundsätzlich kein Problem dar, aber die Symptome sind Untersuchung sind Symptome wie Husten, Auswurf, belastend. Bei älteren Personen soll von einem plötzlichen Dyspnoe, Keuchen, Brustschmerzen, Palpitationen, Absetzen abgesehen werden. Für den Entzug wird die ein Schwindel, aktuell konsumierte Medikamente, Komorbi genommene Substanz durch ein retardiertes Präparat (z.B. ditäten, Allergien und Familiengeschichte zu erfassen. retardiertes Morphin) ersetzt und schrittweise abgebaut. Nikotin kann im Urin, Speichel und Serum nachgewiesen Psychotherapie soll begleitend angeboten werden. Cloni werden. Zur Erfassung des Schweregrads der Abhängig din und Doxepin (inzwischen vom Markt genommen) kön keit wird der Fagerström-Test empfohlen, oder dessen nen bei schweren Symptomen eingesetzt werden. Eine Kurzform «Heaviness Smoking Index». Substitutionsbehandlung kann nach Scheitern der struktu rierten Therapie in Erwägung gezogen werden. Methadon und Buprenorphin reduzieren Craving, erhöhen die The Therapie rapieadhärenz und können als Rückfallprophylaxe und zur Unterstützung der Genesung einen Beitrag leisten. Eine Die psychotherapeutischen Interventionen sollen darauf multimodale Therapie beinhaltet zusätzliche psychosozia abzielen, die Betroffenen und deren Angehörige zu infor le Betreuung (Drogenberatung, Selbsthilfegruppen) und mieren, die Motivation aufzubauen und zu stärken, Bewäl allgemeine Massnahmen der Schmerztherapie wie Phy tigungsressourcen zu aktivieren, Problemlösekompeten sio- und Ergotherapie und Sport. zen zu stärken und die Selbststeuerung zu verbessern. In der Pharmakotherapie können Nikotinersatztherapie, Va reniclin oder Bupropion angeboten werden [21, 22]. Nikotin Folgeschäden In der Schweiz rauchen ca. 18 % der Bevölkerung täglich [10]. Auch wenn das Rauchen primär ein Problem der jünge Die wichtigsten Folgeschäden mit hohem Mortalitätsrisi ren Erwachsenen ist, treten die Folgeerkrankungen im spä ko sind Lungenkrebs, chronisch-obstruktive Lungen ten Alter auf. Der Tabakkonsum ist die wichtigste vermeid krankheit und koronare Herzkrankheiten. Glaukom, bare Todesursache. Nikotin ist im Tabak die wichtigste Katarakt, Makuladegeneration, Typ-2-Diabetes, Athero Substanz, die durch Rauchen über die Alveolen aufgenom sklerose, rheumatoide Arthritis, Asthma, Krampanfälle, men wird und zur Abhängigkeit führt [21]. Nikotin wirkt auf Psoriasis, Impotenz, entzündliche Darmerkrankungen, die präsynaptischen nikotinergen Acetylcholin-Rezeptoren Magengeschwüre, Beeinträchtigung des Immunsystems und hat dosisabhängig sedierende, anxiolytische, Kognition und Karies können durch Tabakrauchen gefördert werden fördernde und antidepressive sowie eine Reihe von physio [21]. Es sind Hinweise vorhanden, dass starker Nikotin- logischen Effekten. Das Zusammenleben mit einer rauchen Konsum das Risiko für Alzheimer-Demenz, M. Parkinson den Person, Alkoholabhängigkeit, Arbeitslosigkeit, man und Multiple Sklerose erhöht. gelnde Beschäftigung, wenige soziale Beziehungen und schlechte Lebensqualität gelten als Risikofaktoren [22]. Cannabis Klinik In der Schweiz und in anderen westlichen Ländern ist der Häufige Nebenwirkungen des Nikotins sind Kopfschmer chronische Konsum von Cannabis vorwiegend ein Phäno zen, Schwindel und Übelkeit. Bei einer Überdosierung men der Jugend [10]. Die 30-Tage- und 12-Monatspräva können zusätzlich Tachykardie und Kreislaufregulations lenzen sinken bei über 65-Jährigen auf ≤0,5 % und errei störungen auftreten [21]. Eine Intoxikation kann zu Atemin chen bei den über 75-Jährigen 0 %. Cannabis ist die am suffizienz, epileptischen Anfällen, bradykarder Arrhythmie, häufigsten konsumierte illegale erste Droge. Die Canna Koma und Herz-Kreislaufversagen führen. Entzugssympto bis-Pflanze enthält über 480 Wirkstoffe, in erster Linie me umfassen Reizbarkeit, Unruhe, starkes Verlangen, Kon Cannabinoide, Terpene und Terpenoide [23]. Trans-Δ9- Praxis 2021; 110 (2): 79–93 © 2021 Hogrefe
Originalartikel87 Tetrahydrocannabinol (THC) ist die hauptsächliche psy pressiva notwendig. Bis zu mittelschweren Störungen choaktive Substanz. Die psychoaktiven Wirkungen sind: kann die Therapie ambulant angeboten werden. Es gibt gesteigertes Wohlbefinden, erhöhte Sensibilität, Eupho bisher keine wirksame medikamentöse Therapie. Psycho rie, Entspannung und Veränderungen bei Emotionen, therapeutische Verfahren sind wirksam in der Behandlung Zeitempfinden und Wahrnehmungen. Halluzinationen der Abhängigkeitserkrankung. https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1661-8157/a003609 - Tuesday, February 02, 2021 11:02:10 PM - UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich IP Address:130.60.206.74 können auftreten. Wegen ihrer analgetischen, entzün dungshemmenden, antioxidativen und antitumoralen Ei genschaften werden Cannabis-haltige Medikamente bei Stimulanzien chronischen Schmerzen, als Antiemetika bei Chemothera pie und bei Spastizität eingesetzt. Amphetamin und seine Derivate Methamphetamin und Bei der Cannabis-Intoxikation können Tachykardie, 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin (Ecstasy) wirken erhöhte Herzrate, Mundtrockenheit, konjunktivale Injek über die Freisetzung von Katecholaminen und die Steige tionen und Angina pectoris auftreten. Typische Sympto rung der Serotoninproduktion. Schlaf, Müdigkeit, Hunger me eines Entzugs sind Schlafstörungen, Albträume, Reiz und Durst werden unterdrückt und die Leistungsfähigkeit barkeit, Aggressivität, Depression, Craving, Schmerzen, steigt. Blutdruck und Herzfrequenz werden erhöht. Nach Konzentrationsstörungen, Schwitzen, Tremor, Kälte Abklingen der Wirkung können Angst, Depression und Te gefühl und Appetitstörungen [23]. Bei chronischem tanie auftreten. Beim chronischen Konsum kann es zu Man K onsum können kognitive Störungen bei Gedächtnis, gelernährung, Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Aufmerksamkeit und Verarbeitungsgeschwindigkeit auf kognitiven Störungen, Krampfanfällen, Hyperthermie und treten, die Schwierigkeiten beim Lernen und bei sozialen kardialen Störungen kommen. In der Therapie wird wie bei Interaktionen zur Folge haben. Verminderung des IQ , der Kokainabhängigkeit vorgegangen. Schulabbruch und Arbeitslosigkeit sind mögliche Folge erscheinungen. Das Risiko für Herzinfarkte, Bronchi tiden, Pneumonien und schizophrene Erkrankungen ist Halluzinogene erhöht. Ambulante psychosoziale Interventionen sind gefragt. Das CANDIS-Programm mit psychoedukativen D-Lysergsäurediethylamid (LSD), Meskalin, Ketamin, Psi und motivationalen Ansätzen ist für die Psychotherapie locybin und Psilocin gehören zu den Halluzinogenen, die geeignet [24]. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer oder zu Veränderungen in der sensorischen und zeitlich-räumli dual wirksame Antidepressiva oder Anxyolitika können chen Wahrnehmung und im Bewusstsein führen [5, 26]. bei entsprechender Symptomatik eingesetzt werden. Psychotische Symptome sowie beim Abklingen der Wir kung Verwirrtheit, Angst und Panik können auftreten. Beim Konsum von Pilzen mit halluzinogenen Substanzen treten Entspannungsgefühl, Euphorie, Schwindel und Illu Illegale Drogen sionen auf. Ketamin wirkt halluzinogen und dissoziativ mit veränderter Körperwahrnehmung und motorischen Koor Kokain dinationsstörungen. Die Lebenszeitprävalenz für diese Substanzen beträgt bei 65–74-Jährigen 1,1 % [10]. Eine In der Schweiz liegt die Lebenszeitprävalenz für Kokain Psychotherapie wird empfohlen. konsum bei den 65–74-Jährigen bei 0,6 % [10]. Kokain hemmt den Rücktransport von Dopamin, Noradrenalin und Serotonin und hat eine anregende Wirkung, die zur Euphorie, Tachykardie, Bluthochdruck und Appetitminde Nicht-substanzgebundene rung führt [5, 25]. Ein Gefühl von gesteigerter Leistungsfä Abhängigkeitserkrankungen higkeit und Glück wird hervorgerufen. Aktivitäts- und Re dedrang sowie die Risikobereitschaft nehmen zu. Schon Das pathologische Spielen (Spielsucht), das exzessive Kau ein einmaliger Konsum kann problematisch sein, weil Ri fen (Kaufsucht), die Internetabhängigkeit (Computer siken wie Reizbarkeit, gewalttätiges Verhalten, Angst, Pa sucht) und das exzessive sexuelle Verhalten (Sexsucht) nikattacken und Wahn bei jedem Konsum auftreten kön zählen zu den sogenannten Verhaltenssüchten [27]. Diese nen. Die aktivierende Wirkung lässt schnell nach, und in Störungsbilder treten in der Regel im frühen und mittleren der zweiten Phase können Dysphorie, Angst, Misstrauen, Lebensalter auf, und die Prävalenz nimmt mit zunehmen Wahn und Halluzinationen auftreten. In der dritten Phase dem Alter ab. Bei älteren Menschen ist das pathologische der Wirkung kommt es dann zur Erschöpfung bis hin zur Spielen am häufigsten, gefolgt von exzessivem Kaufen bei Depression. Die Anfälligkeit für Angst, Depression und Frauen und exzessivem sexuellem Verhalten bei Män Psychosen nimmt insgesamt zu. nern. Wenn eine nicht-substanzgebundene Abhängigkeit Kokainintoxikationen verlaufen mit Erregung, Panikat im fortgestrittenen Alter auftritt, soll immer ein sympto tacken und Psychosen mit Eigen- und Fremdgefährdung. matisches Geschehen, also eine sekundäre Erkrankung, Hier müssen oft Benzodiazepine und Antipsychotika ein ausgeschlossen werden, weil neurologische und medika gesetzt werden. Bei anhaltender Depression sind Antide mentöse Faktoren bei der Entstehung eine Rolle spielen © 2021 HogrefePraxis 2021; 110 (2): 79–93
88Originalartikel können. Vor allem das exzessive sexuelle Verhalten kann fohlen. Grundsätzlich wird ein nicht-bewertender Therapie bei neurologischen Erkrankungen wie z.B. Tourette-Syn stil im multiprofessionellen Team als wirksamer erachtet. drom, Kleine-Levin-Syndrom, Temporallappenepilepsien, Folgende Modalitäten und Faktoren sollen berücksich Chorea Huntington, degenerativen Veränderungen und tigt werden [30]: Präferenz altersbezogener Settings und vaskulären Ereignissen im Frontalhirnbereich auftreten dyadischer Beziehungskonstellationen, empathisch-emo https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1661-8157/a003609 - Tuesday, February 02, 2021 11:02:10 PM - UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich IP Address:130.60.206.74 [28]. Bei Morbus Parkinson kann dieses Verhalten ein tionale, supportive Grundhaltung, Förderung von sozialen Symptom der Erkrankung sein oder aber auch eine ent Kompetenzen und Autonomie, Mitbehandlung kognitiver hemmende Nebenwirkung der Dopaminagonisten-Thera Defizite und somatischer Erkrankungen, Alltagsstruktu pie. Impulskontrollstörungen sind eine häufig beobachtete rierung; Zugang zu den Leistungen des Gesundheits Nebenwirkung bei der Morbus-Parkinson-Therapie. Auch wesens gewährleisten, Übernahme von neuen Rollen. Un zwanghaftes Glückspiel und exzessives Ess- oder Kauf bewältigte negative Lebensübergänge sollen bei den verhalten können bei Morbus Parkinson auftreten. therapeutischen Interventionen im Fokus stehen: Verlust Die Abnahme der körperlichen Aktivität verbunden mit von Bezugspersonen, Einsamkeit, begrenzte Lebenser dem Verlust der sozialen Bindungen können im Alter zu wartung, schwere körperliche Erkrankungen, Berentung, Sedentarität führen, welches als Risikofaktor Verhaltens akute und länger zurückliegende traumatische Erlebnisse süchte verursachen kann. Vor allem die zunehmende Inter kombiniert mit Scham. netabhängigkeit wird in diesem Zusammenhang gesehen. Die nicht-substanzgebundenen Abhängigkeitserkrankun gen treten auch häufig als komorbide Störungsbilder bei Alkoholabhängigkeit Angst, affektiven Erkrankungen, Persönlichkeitsstörun gen, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom und Folgende Empfehlungen sind für ältere Menschen geeig anderen Substanzabhängigkeiten, vor allem Alkohol, Ni net [30, 31]: empirisch begründete Interventionen, die bei kotin, Cannabis und Kokain, auf. jüngeren Erwachsenen wirksam sind, sollen grundsätzlich Die motivierende Gesprächsführung (MI: Motivational auch bei älteren Personen angeboten werden; auch in Interview) [29] auf der Basis des transtheoretischen Mo Langzeitinstitutionen sollen störungsspezifische Interven dells ist bei der Therapie der Verhaltenssüchte sehr hilf tionen angeboten werden, die altersgerecht sind und Ko reich, um die intrinsische Motivation zur Verhaltensände morbiditäten beachten; Trainingsverfahren zur Verbesse rung aufzubauen. Substanzen wie Naltrexon, Nalmefen, rung der Bewältigung von kritischen Ereignissen und Bupropion, Escitalopram und Topimarat wurden beim pa Aktivitäten des täglichen Lebens; Angebote zur Entwöh thologischen Spielen off label eingesetzt. Es gibt Therapie- nung und Postakutbehandlung in Kombination mit Psy Versuche mit Citalopram und Bupropion bei exzessivem chotherapie; altersadaptierte medikamentöse Therapien Sexualverhalten und mit Escitalopram bei der Internetab in der Entwöhnung; niederschwellige stationäre Behand hängigkeit. Für die Kaufsucht kann keine medikamentöse lungsangebote und primärärztliche Versorgung. Therapie empfohlen werden. Abhängigkeitserkrankungen aufgrund von Benzodiazepinen und analogen Substanzen Psychotherapie der Abhängig keitserkrankungen bei Älteren Folgende Interventionen sollen in der Therapie angeboten werden [30]: primärärztliche Versorgung soll gewährleis tet sein; kombinierter Konsum von Alkohol und Benzodia Psychotherapeutische Interventionen sind bei älteren Men zepinen soll kombiniert angegangen werden; Überprü schen in jedem Stadium der Abhängigkeitserkrankung ein fung der aktuellen Medikation; Beratung; Ausarbeitung fester Bestandteil der Therapie [30]. Die aktuellen S3-Leit und Supervision eines Entzugsplans; Edukation; Augmen linien der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaft tation mit Psychotherapie; störungsspezifische Angebote lichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.) empfehlen auch in den Langzeitinstitutionen; begleitende Psychothe folgende psychotherapeutischen Interventionsverfahren rapie; Trainingsverfahren zur Verbesserung der Bewälti mit hohem Evidenzgrad, die auch bei jüngeren Erwachse gung von kritischen Ereignissen und Aktivitäten des tägli nen zum Einsatz kommen [31]: motivationale Interventio chen Lebens; Behandlung somatischer und psychiatrischer nen [29] zur Förderung von Krankheitseinsicht und Behand Komorbiditäten; Interventionen durch Versenden eines lungsmotivation, kognitive Verhaltenstherapie, Verhaltens psychoedukativen Informationsbriefs und das Angebot therapie, Kontingenzmanagement, Paartherapie und Ange einer niederschwelligen stationären Entzugsbehandlung. hörigenarbeit. Für die psychodynamische Kurztherapie, angeleitete Patientengruppen und neurokognitives Training werden moderate Empfehlungen abgegeben. Selbstma Tabakbezogene Störungen nagement, soziales Kompetenztraining, Klienten-zentrierte Gesprächspsychotherapie, Arbeitstherapie, Ergotherapie, Spezifische Beratung, verhaltenstherapeutisch orientierte Soziotherapie und Körpertherapie werden ebenfalls emp Entwöhnungsverfahren und Kurzinterventionen werden Praxis 2021; 110 (2): 79–93 © 2021 Hogrefe
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