Weiblich, männlich oder ? - das magazin vom m|c - Eine Einladung zum "Queerdenken" - Martinsclub Bremen
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m unterwegs Foto: Gabriele Becker m-Redakteurin Gabriele Becker hat das Foto in Chicago gemacht. Es ist in einem Stadtteil entstanden, der inoffiziell „Boystown“ heißt. Hier lebt eine der größten LGBTQ* Gemeinschaften der USA. Der Bezirk ist für seine freundlichen Menschen bekannt. Kein Wunder, das hier die Zebrastreifen aussehen wie Regenbögen.
m, guten Tag! Liebe Leserinnen, liebe Leser, mit dieser Ausgabe liegt ein besonderes m vor Ihnen. Unser Titel beschäftigt sich dieses Mal mit sexueller Identität. Dieses Thema hat die ganze Redaktion begeistert. Fast alle konnten Erfahrungen aus ihrem persönlichen Umfeld berichten. Doch dann wurde es knifflig: Wie drücken wir uns richtig aus? Welche Worte und Begrif- fe dürfen wir verwenden? Werden Menschen mit uns über dieses sensible Thema sprechen? Wir haben viel diskutiert und versucht, es so gut wie möglich zu machen. Und so verständlich wie möglich aufzuschreiben. Deshalb beginnt das Titelthema dieses Mal auch mit einem A bis Z. Hier werden die wichtigsten Begriffe verständlich erklärt. Sollten wir etwas vergessen haben. Oder sollte sich jemand verletzt fühlen, bitten wir um Verzeihung. Ausgrenzung hat in diesem Magazin keinen Platz! Wir begrüßen zudem 2 neue Rubriken im Magazin: Künftig bietet das m kleine Alltagshilfen, sogenannte „Lifehacks“. Und unter der Überschrift „Entschlüsselt“ lüften wir das Geheimnis um rätselhafte Orte in Bremen. Darüber hinaus ist auch das letzte m des Jahres voll mit besonderen Geschichten und Anlässen zum Feiern. „Ja, ich will“ haben Kirsten und Ralph Siebert aus dem ambulant-betreuten Wohnen in Katten- turm gesagt. Wir haben mit dem Hochzeitspaar gesprochen. Ein- weihung wurde zudem in der Überseestadt gefeiert. Die erste De- menz-WG vom Martinsclub ist ins BlauHaus eingezogen. Wir stellen Ihnen die Menschen und das neue Wohnkonzept vor. durchblicker Olaf Schneider träumt sich zurück in die wärmere Jahreszeit. Sein Reisebericht erzählt von sonnigen Bergtouren und Badelatschen. Warum also nicht von Sonne und Wärme träumen. Im Bremer Schmuddelwetter ist alles erlaubt, was gut für die Stim- mung ist. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen entspannte Tage, Zeit zum Schmökern und Naschen. Und selbstverständlich einen guten Start ins neue Jahr. Liebe Grüße Ihre m-Redaktion 1
In dieser Ausgabe 4 Versteckt ... … halten noch immer zu viele Menschen ihr Geschlecht. Nämlich dann, wenn es 16 Verschlüsselt ... … und mysteriös scheinen uns manche Orte in Bremen. Unsere neue Serie führt nicht in die Kategorien weiblich und Sie hin und entschlüsselt das Geheimnis. männlich passt. Oder wenn es nicht mit Zum Auftakt haben die durchblicker ge- ihrem Äußeren übereinstimmt. Im Titel- meinsam mit Marco Bianchi eine ganz be- thema dreht sich alles um sexuelle Identi- sondere Tür im Findorff-Tunnel geöffnet. tät und den langen Weg zu einer bunten, Was sie dahinter gefunden haben? Lassen diversen Gesellschaft. Sie sich überraschen! Titelthema Immer im m 4 LGBATIQQUP*: 16 Entschlüsselt: A bis Z zum Thema Geschlecht und die durchblicker und Marco Bianchi lüften Sexualität ein Geheimnis im Findorff-Tunnel 8 Weiblich, männlich oder …? 23 Kunstwerk! Eine Einladung zum „Queerdenken“ Alles unter einem Dach: durchblicker Frank-Daniel Nickolaus über 14 Sexabled: das Künstlerhaus Ausspann Christian Kiermeier spricht im Interview über seine Motivation, einen Blog zum Thema 47 Zum Schluss: Sexualität zu schreiben Regina Dietzold „Trau keinem über 30!“ 28 Sein dürfen wer man ist: 48 Autoren der Ausgabe die durchblicker haben Iwan Schmidt vom Verein „Trans*Recht“ interviewt 2
20 Verliebt ... … verlobt, verheiratet! Kirsten und Ralph Siebert haben sich das Ja-Wort gegeben. 34 Vergessen ... … haben die Bewohnerinnen der neuen Demenz-WG schon mal die Namen der Die beiden wohnen in Kattenturm und Pflegefachkräfte. Aber ihren jüngsten werden dort vom Martinsclub betreut. Mitarbeiter – den Jagdhund Ben – können Seit den 1980er-Jahren kennt sich das sie immer richtig rufen. In dem Projekt Paar schon. Nun haben sie mit der Hoch- stehen selbstständiges und familiäres zeit ihre Liebe noch einmal besiegelt. Leben im Mittelpunkt. Das m hat die WG Und das Beste: Das m war eingeladen! im Blauhaus zum Frühstück besucht. Menschen & Meinungen News & Tipps 20 Gemeinsam selbstbestimmt durchs Leben: 26 Inklusion mit einfachen Worten: Kirsten und Ralph Siebert haben geheiratet Martinsclub gründet die Agentur „selbstverständlich GmbH“ 32 Wie viel wollen wir wissen? Die Berliner Journalistin und Autorin 34 Jeden Tag Premieren: Mareice Kaiser über pränatale Diagnostik Zu Besuch in der neuen Demenz-WG des Martinsclub Machen Sie mit! 42 Wandern in Garmisch-Partenkirchen: Ein Reise-Tipp von durchblicker 37 „Teile dein Wissen“: Olaf Schneider Maren Bolte und Iris Onken machen eine Ausbildung zur Schwimmtrainerin 40 m|colleg: Fortbildungen 44 Lifehacks: 3 Tipps, die das Leben einfacher machen 3
Titelthema Text: Gabriele Becker Weiblich Aromantisch Männlich Asexuell Bisexuell Hetero Genderfluid Lesbisch Schwul Intersexuell Nicht binär Transgender Nicht binär Bi+sexuell Pansexuell Trans Die LGBT-Flagge auch Regen- Ein Gender-Symbol ist bogenflagge genannt, entstand ein Symbol, mit dem das 1978 in San Francisco als biologische Geschlecht positives Symbol für die queere eines Lebewesens oder Gemeinschaft. das soziale Geschlecht Jede Farbe hat eine Bedeutung: eines Menschen gekenn- Rot = Leben, Orange = Heilung, zeichnet wird. Gelb = Sonne, Grün = Natur, Blau = Harmonie und Lila = Asexuell LGBT Spiritualität. 4
t u n d Sexua lität c h le c h hema Ges A bis Z zum T LGBAT I Q Q U P * Keine Ahnung, was LGBATIQQUP* heißt? Kein Problem! Hier kommt das A bis Z. Es soll zum besseren Verständnis unseres Titelthemas beitragen. Und auch im Alltag kann es nicht schaden! *Gendersternchen Bisexualität Das Gendersternchen sieht so aus: *. Es steht in Bisexuelle sind Menschen, die sich sowohl zu der deutschen Sprache für Männer, Frauen und Männern als auch zu Frauen sexuell hingezogen weitere Geschlechter. Welche weiteren Ge- fühlen. Sie können intime Beziehungen zu Män- schlechter es gibt, wird in diesem Text erklärt. nern und Frauen haben. Aktuell wird der Begriff Das Sternchen stammt aus der Computerspra- aber stark diskutiert. Es entsteht die Bezeich- che. Dort ist es Platzhalter für eine beliebige nung „Bi+sexualität“. Das Pluszeichen unter- Zahl von Buchstaben. streicht dabei die sexuelle Ausrichtung. „Bi+se- xuelle“ Menschen fühlen sich zu mehr als einem Aromantisch (ARO) Geschlecht sexuell hingezogen. Es gibt Menschen, die sich als „aromantisch“ bezeichnen. Sie verspüren keinerlei romanti- Binäre Geschlechter sche Gefühle. Sie können andere Menschen Dieser Begriff ist für das Verständnis sehr wich- auch nicht lieben. Aromantisch ist aber nicht tig! Unsere Gesellschaft kennt im Allgemeinen gleichzusetzen mit asexuell. Denn sie können nur 2Geschlechter. Andere Geschlechter gehören Sex haben, ohne Liebe oder Zuneigung zu ver- im „binären“ System nicht zur Normalität. In die- spüren. sem 2-teiligen System gibt es klare Geschlecht- errollen. Es gibt besondere Erwartungen an Asexuell Frauen und an Männer. Zum Beispiel: Männer So werden Menschen bezeichnet, die keine Lust fahren gut Auto. Frauen sind gefühlvoller. ¢ auf Sex mit anderen haben. Sexuelles Verlangen können diese Menschen aber trotzdem besitzen. Sie befriedigen sich dann auch selbst. 5
Titelthema Text: Gabriele Becker L G BAT ¢ Butch & Femme Drag-Queen Butch ist englisch und bedeutet übersetzt männ- Als Drag-Queens bezeichnen sich Personen mit lich. Die Bezeichnung wird häufig für lesbische männlicher Identität, wenn sie weibliche Klei- Personen benutzt, die eher maskulin auftreten. dung anziehen. Drag-Queens fallen auf. Sie tra- Also von Frauen, die Frauen mögen und dabei gen bunte Perücken, glitzernde Kleider und männlich auftreten. Femme spricht sich hochhackige Schuhe. Früher wurde auch der „Famm“. Es ist französisch und bedeutet Frau. Begriff Transvestit gebraucht. Das lesbische Lesbische Personen, die sich weiblich präsen- Pendant sind Drag-Kings. Also Menschen mit tieren, bezeichnen sich häufig als Femme. weiblicher Identität, die sich auffallend männ- lich kleiden. Cis oder Cis-gender Cis-Männer und Cis-Frauen leben im Einklang „Dritte Option“ oder „divers“ mit ihrem offiziellen Geschlecht. Das ist das Ge- Seit 2018 gibt es die Möglichkeit, das Geschlecht schlecht, das in ihrer Geburtsurkunde steht. Die als divers eintragen zu lassen. Das hat das Bun- Bestimmung des Geschlechts erfolgt bei einem desverfassungsgericht so entschieden. Diese Neugeborenen anhand der Geschlechtsteile. In sogenannte „dritte Option“ kann ausschließlich unserer Gesellschaft wird cis-gender als Nor- von intergeschlechtlichen Personen in Anspruch malität angesehen. Alle anderen Geschlechter genommen werden. Zuvor müssen sie sich einer gelten als nicht normal. Es gibt zum Beispiel medizinischen Begutachtung unterziehen. Bei noch „trans“ und „inter“. Beide Begriffe werden intergeschlechtlichen Personen sind die äußer- weiter hinten erklärt. lichen Geschlechtsteile nicht eindeutig männ- lich oder weiblich. Die genaue Beschreibung Coming-out folgt auf Seite 7. Viele Personen haben eine sexuelle Orientie- rung, die sich von der Mehrheit unterscheidet. Genderfluid Wenn sie diese Orientierung öffentlich machen, „Gender“ bedeutet Geschlecht und „fluid“ be- nennt man dies „Coming-out“. Man sagt auch, deutet fließen. So bezeichnen sich Personen, die diese Personen „outen“ sich. Der Begriff kommt ein sogenanntes „fließendes“ Geschlecht haben. aus dem Englischen und bedeutet Herauskom- Die Geschlechtsidentität kann sich mit der Zeit men. Er spricht sich „Kamming Aut“. Ein Coming- oder bezogen auf bestimmte Situationen ändern. out ist häufig mit Angst vor gesellschaftlichen Nachteilen verbunden. Heterosexualität und Homosexualität Die meisten Menschen in der Gesellschaft sind „heterosexuell“. Das bedeutet, dass Männer und Frauen sich anziehend finden. Wenn Männer auf Männer und Frauen auf Frauen stehen, spricht man von Homosexualität. Hier unterscheidet man zwischen schwul, wenn Männer sich lieben und lesbisch, wenn Frauen sich lieben. 6
IQQUP* Queer Transgender Ist englisch und wird „kwier“ ausgesprochen. Es Trans ist das lateinische Wort für „jenseits“ oder bedeutet komisch oder seltsam. Einst war das „darüber hinaus“. Gender ist englisch und be- Wort ein Schimpfwort für Homosexuelle. Seit zeichnet das „soziale Geschlecht“. Transgender den 1990er-Jahren wird der Begriff von den be- ist der Obergriff für Menschen, die die ihnen zu- treffenden Menschen selbst genutzt. Lesben, gewiesene Geschlechterrolle ablehnen. Schwule und Bisexuelle bezeichnen sich seit- dem als „queer“. Transsexualität oder Transidentität Ein Mensch ist zum Beispiel mit weiblichen Ge- Intersexualität schlechtsmerkmalen geboren. Nun besteht Intersexuelle Menschen haben angeborene Ge- aber der Wunsch, als Mann zu leben. Dann ist schlechtsmerkmale, die aus üblicher Sicht nicht diese Person transsexuell. Sie möchte eine an- eindeutig sind. Die Unterschiede können im Erb- dere geschlechtliche Identität. In diesem Fall, gut, der Hormonproduktion oder bei den Genita- die eines Mannes. Bei vielen besteht dann der lien liegen. Über die Zahl der Intersexuellen gibt Wunsch, den eigenen Körper zu verändern. Das es unterschiedliche Schätzungen. Demnach gibt geht mit Hilfe einer Hormonbehandlung. Oder es in Deutschland rund 100.000 Intersexuelle. In die Menschen können sich operieren lassen, um diesem Kreis gebe es aber 4.000 körperliche ihr Geschlecht anzupassen. Ziel ist in beiden Varianten. Also 4.000 Möglichkeiten der unter- Fällen, Identität und Geschlecht in Übereinstim- schiedlichen Darstellung der Geschlechtsorga- mung zu bringen. Manche Transsexuelle lassen ne. Wobei einige mehr männlich, andere mehr nur teilweise Angleichungen vornehmen. Ande- weiblich ausgeprägt sind. Oder ein Mensch hat re verzichten ganz darauf. Manche Personen beide Geschlechter. Das gibt es auch. Viele Men- lehnen es ab, wenn Eingriffe als „Geschlechts- schen bemerken ihre Intersexualität erst in der umwandlung“ bezeichnet werden. Wie bei je- Pubertät. dem Menschen steht ihre geschlechtliche Iden- tität ja fest. Deshalb sprechen sie lieber von Pansexualität „Geschlechtsanpassung“. Für pansexuelle Menschen spielt das Geschlecht einer Person keine Rolle. Sie können ihre sexu- Übrigens! LGBATIQQUP* steht für: lesbisch, elle Orientierung mit jedem Menschen unab- schwul (gay), bisexuell, asexuell, transgender, hängig vom Geschlecht leben. intergeschlechtlich, queer (keine Schublade), questioning (fragend) und pansexuell. Das Sternchen soll zudem alle Menschen einschlie- ßen, die sich keiner Gruppe zugehörig fühlen, aber nicht cis-gender sind. J 7
Titelthema Text: Gabriele Becker | Fotos: AdobeStock©, 100 Prozent Mensch as ilte System? D er ni ch t in di eses zweigete de n B ei nen. h? U nd w an n passt f un d ni ch t zwischen h oder weibl ic K op ensch männlic hlen. Also im Wann ist ein M h du rc h se in Denken und Fü ic ch ausschließl entscheidet si 8
ä n n l i ch o d e r … ? Weiblich, m ken“ n g z u m „ Q u e erden Eine Einladu Glückwunsch, es ist ein ...! Ein Mensch wird ge- Wörter, die das beschreiben konnten. Im Kinder- boren, ein schneller Blick genügt. Das Kind ist garten. In der Schule. Die Geschlechterrollen entweder männlich oder weiblich. So einfach waren in Jonas Umfeld früher sehr festgelegt. schien die Welt noch bis vor Kurzem. Doch die- Es gab keine Zweifel an den Verhaltensweisen se Zeiten sind vorbei. Immer mehr Menschen und Äußerlichkeiten. Bestimmte Dinge wurden zeigen, dass sie nicht in eine dieser Kategorien einfach von Frauen oder Männern erwartet. gehören. Lange versuchte Jona, sich in diesem 2-geteil- ten System irgendwo einzusortieren. Jona (Name v.d.Red. geändert) ist 33. Den Vorna- men hat Jona sich vor 15 Jahren selbst ausge- Eine Regel war zum Beispiel, nicht aufzufallen. sucht. So können Männer und auch Frauen hei- Welcher Gang passt, welches Lachen, welche ßen. Das ist Jona wichtig. „Mit meinem Outing Frisur? „Ich war auch unsicher, wen ich sexuell habe ich auch einen geschlechts-neutralen Na- anziehend finde. Erst als ich Kontakt zu Men- men angenommen. Leider kann ich meinen Per- schen bekam, die auch nicht den klassischen sonalausweis nicht ändern. Aber es gibt einen Rollen entsprachen, passte plötzlich jedes Teil offiziellen Zusatzausweis. Ich bin weiblich, männ- an seinen Platz. Wie in einem Puzzle. Seitdem lich, etwas dazwischen oder auch etwas darüber kann ich meine Identität mit Worten beschrei- hinaus“, lacht Jona. Der richtige Begriff dafür ben.“ Dann kam der Moment, als Jona dieses lautet „nicht-binär“. Früher fühlte sich Jona oft auch im eigenen Umfeld mitteilte. Die Familie ausgeschlossen. Damals gab es noch keine reagierte verständnisvoll. ¢ 9
Titelthema Text: Gabriele Becker | Fotos: 100 Prozent Mensch ¢ Es fühlte sich an wie eine Befreiung. Jona hatte Divers. Die 3. Option Phasen, in denen alles ausprobiert werden Etwa 100.000 Menschen in Deutschland sind musste. Wie wird man als Mann in der Öffent- weder männlich noch weiblich. Sie sind inter- lichkeit wahrgenommen? Wie reagieren andere, sexuell. Statistisch ist das jedes 500. Neugebo- wenn Jona als Frau auf die Straße tritt? „Beson- rene. Ihre Geschlechtsmerkmale können biolo- ders schwierig scheint es, wenn Menschen nicht gisch nicht eindeutig zugeordnet werden. Ärzte genau sagen können, ob ich Mann oder Frau bin. und Eltern entschieden sich bisher oft für eine Dann werde ich direkt angestarrt. Es ist wichtig, Operation. Jährlich gibt es 1.700 Operationen dass die Themen ,Trans‘ und ,Intersex‘ jetzt mehr an Kindern. Den Kindern wird so ein eindeuti- diskutiert werden. Vor allem finde ich es gut, ges Genital zugewiesen. Unter Umständen dass geschlechter-neutrale Sprache häufiger stimmt dieses nicht mit dem sich entwickeln- benutzt wird. Aber gleichzeitig steigen auch die den Geschlechtsbewusstsein überein. Seit 2019 Anfeindungen in der Öffentlichkeit. Schade, dass können Menschen ihr Geschlecht als „divers“ das in den Schulen in Sexualkunde noch selten eintragen lassen. Vorher müssen sie sich jedoch ein Thema ist!“ untersuchen lassen. Doch das Gesetz hat eine Lücke. Das Gesetz umfasst keine nicht-binären Jona hat gute Erfahrungen damit gemacht, sich oder trans* Menschen mit eindeutigen Genitalien. zu öffnen. Arbeitgeber, Kolleginnen und Kolle- Diese haben nicht die Möglichkeit, ihr Geschlecht gen, Freunde und Familie reagieren zumeist mit als „divers“ einzutragen. Verständnis. Jona wird so akzeptiert wie Jona ist. Manchmal fragen Menschen, welches Geschlecht in Jonas Ausweis steht. Dann wird deutlich, wie wenig über die Gesetzeslage bekannt ist. Und über die Begriffe, die mit dem Thema zusam- menhängen. Die wichtigsten Begriffe stehen in unserem „A bis Z“ auf Seite 5. ht sitzt „Das Geschlec Ohren zwischen den chen und nicht zwis den Beinen.“ er Holger Edmai Mensch“. aier, Projekt „100 Prozent k und Holger Edm Bettina Schrec 10
hubladen“ die nicht in „klassische Sc it über Menschen auf, en sc h“ kl är t seit 2014 Se 00 Prozent M n dazu. Das Projekt „1 d ei ne A us st ellung gehöre Infotische un passen. Flyer, Wo das Geschlecht sitzt tauschen können. Diese Begriffe beinhalten je Wann ist ein Mensch männlich oder weiblich? nach Kultur und Gesellschaft unterschiedliche Und wann passt er nicht in dieses 2-geteilte Sys- Werte wie sich Männer oder Frauen verhalten tem? Das entscheidet sich ausschließlich durch sollen.“ sein Denken und Fühlen. Äußerliche Merkmale wie Geschlechtsorgane sollten auf die Wahrneh- Liebe unterm Regenbogen mung keinen Einfluss haben. „Das Geschlecht Wer wir sind hat nichts damit zu tun, wen wir lie- sitzt zwischen den Ohren und nicht zwischen ben. Fühlen wir uns sexuell zu Männern, Frauen den Beinen“, sagt Holger Edmaier. Er meint da- oder beiden hingezogen? Liebe und Zuneigung, mit: Das Geschlecht wird im Kopf bestimmt und Sexualität und Beziehung haben heute viele Ge- im Fühlen. Edmaier ist von dem Projekt „100 sichter. Manche wissen sofort, dass sie auf das Prozent Mensch“. „Männlich, weiblich, oder eigene oder ein anderes Geschlecht stehen. Oder nicht-binär: Das instinktive Wissen um das eige- sie mögen unterschiedliche Geschlechter. Ande- ne Geschlecht ist keine Entscheidung. Es ent- re wissen erst später, zu wem sie sich hingezo- scheidet sich in unserem Kopf und lässt sich im gen fühlen. Eine Frage, mit der wir uns fast alle Laufe des Lebens nicht ändern. Anders ist es bei beschäftigen, lautet: Mit wem möchte man zu- den Rollen, die wir spielen. Mann und Frau sind sammenleben? Selbst Familien bestehen heute Rollen, die wir unterschiedlich leben und auch nicht mehr nur aus Vater, Mutter und Kindern. ¢ 11
Titelthema Text: Gabriele Becker | Foto: Rat&Tat-Zentrum ¢ Auf das Wie kommt es an – nicht darauf, mit Auch Eltern und Angehörige lassen sich beraten. wem. Dennoch werden viele Menschen ausge- Etwa 800 Beratungsanfragen bearbeitet sie mit grenzt oder diskriminiert. Das betrifft meistens ihren Kolleginnen und Kollegen im Jahr. diejenigen, die nicht in einer klassischen Mann- Frau-Beziehung leben. So wird es für sie schwer, Bremen ist auf dem Weg ihre eigene Sexualität zu akzeptieren. Sie können Etwa jeder zehnte Mensch in Bremen passt nicht nicht so leicht offen leben. Ganz zu schweigen in die klassischen Kategorien. Viele werden dis- von der Möglichkeit, als Familie auch Kinder ge- kriminiert. Manche müssen die Schule oder den meinsam zu haben. Arbeitsplatz wechseln. Andere brechen eine Ausbildung ab. In Bremen gibt es einen Plan, der Das hat auch Annette Mattfeldt vom Bremer für mehr Aufklärung sorgen soll. Er sieht unter „Rat&Tat-Zentrum“ erfahren. Zusammen mit ih- anderem vor, bereits in den Schulen stärker zu rer Kollegin Caro Schulze hat sie eine Infobro- informieren. Auch die Gewerkschaft für Erzie- schüre herausgegeben. Sie richtet sich an Re- hung und Wissenschaft hat sich damit beschäf- genbogenfamilien. Das sind Familien, die eben tigt. Sie untersuchte im Jahr 2011 Schulbücher nicht der klassischen Aufteilung entsprechen. in mehreren Fächern. Ihre Frage: Wie wird sexu- Sie können 2 Mütter haben oder 2 Väter. Oder elle Vielfalt in Englisch, Geschichte oder Biologie auch ganz anders. „Bremen hat als offene Stadt dargestellt? Die Ergebnisse waren vernichtend. einen Aktionsplan gegen Homo-, Trans- und In- In Schulbüchern gibt es fast nur Menschen, die terphobie verabschiedet“, so Annette Mattfeldt. in die klassischen Kategorien passen. Andere „Da musste dringend etwas getan werden, denn Menschen und ihre Situation werden in den leider nimmt die Diskriminierung zu. Das betrifft Schulmedien nicht berücksichtigt. Andererseits besonders queere Geflüchtete und Menschen sind die Worte „schwul“, „Schwuchtel“ oder mit Beeinträchtigung.“ Im „Rat&Tat-Zentrum“ „lesbisch“ Schimpfwörter auf dem Schulhof. berät sie alle Menschen zu diesem Thema. Es kommen Menschen mit diversen Geschlechtern. a t a ls o ffe n e Stadt einen „Bremen h o-, Trans- n g e g e n H o m Aktionspla In te r p h o b ie verabschiedet. un d r in g e n d e tw as getan Da musste d rd e n , d e n n le ider nimmt die we ng zu. “ Diskriminieru Zentrum eldt, Rat&Tat- Annette Mattf i allen Fragen m is t A nlaufstelle be t. at&Tat-Ze nt ru g und -Identitä Das Bremer R hlec ht lic he n Orientierun und gesc zur sexuellen 12
Besonders schwierig ist es für Menschen mit allein 304 Straftaten in Deutschland. Sie richte- Beeinträchtigung. Sie haben nur eingeschränkte ten sich gegen queere Menschen. Möglichkeiten, ihr Leben selbst zu gestalten. Dies gilt besonders bei der Frage nach Ge- Projekt „100 Prozent Mensch“ fragt außerdem: schlecht und Sexualität. So steht es auch in ei- Wie sind eigentlich Behindertenwerkstätten oder nem Leitfaden der Bremer Behörden. Auch die Pflegeheime vorbereitet? Wie wird dort mit Men- Politiker in Bremen haben das Problem erkannt. schen umgegangen, die anders sind als die Mehr- So haben SPD, Grüne und Linke verabredet, die heit? „Da ist noch so viel zu tun“, sagt Holger Situation zu verbessern. Dabei sprechen sie alle Edmaier. Er wünscht sich von der Politik mehr Un- Lebensbereiche an. Diskriminierung soll abge- terstützung. Die Arbeit von Organisationen, die baut werden. Ausdrücklich erwähnt werden bei- sich um queere Themen kümmern, sollte finanzi- spielsweise lesbische Frauen in Altersheimen. ell stärker vom Staat unterstützt werden, findet er. Ein weiterer Ort ist der Kindergarten. Kinder, die weder Junge noch Mädchen sind, sollen es hier Es gibt eine große Dunkelziffer. Niemand weiß ge- leichter haben. In der Bremer Regierung soll nau, wie groß die Gruppe der queeren Personen sich eine Stelle um dieses Thema kümmern. ist. Es sollen mindestens 10 Prozent der Bevölke- rung sein. Vermutlich kennt jeder mindestens ei- Es ist noch viel zu tun nen Menschen, der nicht „der Norm“ entspricht. Viele andere Gemeinden und Städte sollten dem Zum Beispiel in der Familie, bei der Arbeit oder Bremer Modell folgen. Seit 2014 setzt sich Hol- im Freundeskreis. Dennoch spielt sich ihr Leben ger Edmaier für Menschen ein, die nicht in klas- „vor allem am Rand“ der Gesellschaft ab. Abseits, sische Schubladen passen. Das macht er ehren- eher unbemerkt. Aber es gibt eine Entwicklung. amtlich in seiner Freizeit. Inzwischen arbeiten Immer mehr Menschen wollen sich nicht anpas- 20 bis 30 Freiwillige für „100 Prozent Mensch“. sen. Jona ist ein Beispiel dafür. Diesen Menschen Wesentlichen verfolgen sie 4 Ziele: muss mit Akzeptanz und Offenheit begegnet wer- den. Das ist ein guter Schritt. Er wird aber nur • Aufklärung Wirkung zeigen, wenn Staat und Gesellschaft • Bildung konsequent Gewalt gegen Andersdenkende und • Sichtbarkeit erhöhen Andersliebende verurteilen. Ein bisschen mehr • Einen Kulturwandel einleiten, der alle „Queerdenken“ ist von allen gefragt. J Menschen in ihrer Vielfalt wahrnimmt und akzeptiert – unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Fähigkeiten, Geschlecht, Genital und sexueller Orientierung Mehr zum Thema Für diese Ziele haben sie Infoblätter und eine Ausstellung erstellt. Außerdem informieren sie Infoflyer und Material: in ganz Deutschland bei Veranstaltungen. Die www.100mensch.de Nachfrage ist groß. „Dennoch ist das Thema Beratung für Intersexuelle Menschen: „Queer“ in den Lehrplänen noch viel zu selten www.im-ev.de vertreten. Wir wollen auch der Politik Druck Transidentität: machen. Gesetzestexte müssen angepasst wer- www.dgti.org den. Und das Arbeitsrecht gehört reformiert“, In Bremen: sagt Bettina Schreck. Queer ist dabei ein Begriff www.ratundtat-bremen.de aus der Szene. Er fasst alle Lebens- und Liebes- www.queerserver.de einstellungen zusammen, die nicht der klassi- Bücher und Filme: schen Norm entsprechen. Ferner warnt sie, www.queerfilm.de dass die Gewalt zunimmt. Im Jahr 2017 gab es www.queerbuch.wordpress.com 13
Titelthema Text: Gabriele Becker | Fotos: Christian Kiermeier bt er den Blog . Seit einem Jahr schrei t- bi nä r un d ist pansexuell sich als nich eier definiert hr offen um. Christian Kierm er Sexu al ität geht er se it se in „Sexabled“. M 14
Sexabled sein h e iß t n ic h t unfähig, Behindert zu l ic h f ä h ig z u sein. rschied sondern unte Christian Kiermeier lebt in München. Er ist Film- „Zeigen und nicht sprechen!“) Ich finde es richtig liebhaber und begeistert sich unter anderem für und wichtig, Bilder sprechen zu lassen. Bislang gute Fotos. Seit einem Jahr schreibt er im Inter- waren die Reaktionen positiv. net über sein Sexualleben. Im Gespräch erzählt er warum. Sexualität und Beeinträchtigung ist für viele Menschen ein Tabu-Thema. Wie sind Ihre Was hat Sie veranlasst, so offen mit Ihrer Erfahrungen? sexuellen Identität umzugehen? Ja, Menschen mit Behinderung wird das sexuelle Ich definiere mich als nicht-binär und bin pan- Bedürfnis häufig abgesprochen. Ich will Mut ma- sexuell. Das bedeutet, ich treffe keine Vorauswahl chen. Man muss sich weder für seinen Körper nach Geschlecht beziehungsweise Geschlechts- noch für seine Gefühle und Bedürfnisse schä- identität. Auch das Alter oder das Aussehen einer men. Mit den Fotos auf meinem Blog möchte ich Person ist für mich kein ausschlaggebender das veranschaulichen. Ich selbst kann im Großen Punkt. Wichtig ist, wie gut ein Mensch zu mir und Ganzen alles leben, was ich möchte. In mei- passt. Im August 2019 habe ich mich geoutet. Da nem Umfeld gibt es viel Verständnis. Damit bin gab es viele Fragen. Mit meinem Blog möchte ich sehr glücklich. Dessen bin ich mir bewusst. J ich informieren und auf das Thema Sexualität und Behinderung aufmerksam machen. www.sexabled.de Sie schreiben offen über Ihre sexuellen Vorlie- ben. Welche Reaktionen ruft das hervor? Ich habe eine sexuelle Vorliebe für Praktiken, die mit Machtausüben zu tun haben. Dazu gehört unter anderem fesseln oder auch dominieren. In Fachkreisen heißt die Bezeichnung BDSM. Ich bin ein Switch, soll heißen, ich kann sowohl die dominante als auch die devote Seite einnehmen. Ich lebe das offen. Die Fotos auf meinem Blog zeigen das auch deutlich. Als Filmbegeisterter ist mein Motto: „Show, don‘t tell!“ (englisch für: 15
Entschlüsselt Die rätselhafte Tür im Findorff-Tunnel Die durchblicker auf Entdeckungstour Im m wollen wir ab jetzt ganz besonderen Orten in Bremen nachgehen. Viel- leicht haben Sie bei einem Gebäude auch schon einmal gerätselt. Was ist das eigentlich für ein Haus? Oder: Was findet man wohl hinter dieser Tür? 16
Text: durchblicker Frank-Daniel Nickolaus, Marco Bianchi | Fotos: Frank Pusch Michael Peuser schließt die Tür auf, die Spannung steigt … Matthias Meyer ist neugierig, was sich hinter der geheinnisvollen Tür verbirgt. Um genau so eine geheimnisvolle Tür geht birgt sich hinter dieser Tür? Marco hat den es auch in dieser Ausgabe. Die dunkle Tür im Schlüssel. Er überreicht ihn Michael. Dieser Findorff-Tunnel wirft Fragen auf. Wo führt schließt die Tür auf. Unser erster Eindruck ist sie hin? Verbirgt sie ein dunkles Geheimnis? eine beklemmende, enge, steilgeschwunge- Zufällig hat ein Mitarbeiter des Martinsclub ne Treppe. Sie führt nach oben. Wir folgen einen Schlüssel dafür. die durchblicker ha- ihrem Verlauf. ¢ ben sich mit Marco Bianchi im Tunnel verab- redet. Sie wollen der Sache auf den Grund gehen. Hier ist ihr Bericht. Ein Tunnel. 2 Fahrbahnstreifen in der Mitte. Getrennt durch 2 Absperrungen links und rechts. Dahinter jeweils ein Fahrrad- und ein Gehweg. So finden wir den Findorff-Tunnel vor. Er ist dunkel und stark befahren. Wir tref- fen uns auf der Mitte des rechten Gehweg-Ab- schnitts. Und plötzlich stehen wir vor einer verschlossenen Tür aus Metall. Wir, das sind Marco Bianchi und die durchblicker. Mit da- bei ist natürlich auch unser Fotograf Frank Pusch. Wir sind voller Spannung. Was ver- 17
Entschlüsselt Text: durchblicker Frank-Daniel Nickolaus, Marco Bianchi | Fotos: Frank Pusch Marco Bianchi (rechts) zeigt den durchblickern, wo es hingeht. ¢ Die Stufen führen uns nach oben zurück ins Freie. Hufeisenförmig umgeben uns hier die Gebäude. Es sind alte Lagerhallen. In ihnen Noch ein paar dunkle Treppenstufen hinunter … wurden früher Güter verladen. Heute sind hier Künstler und Veranstalter zugange. Vor uns liegt ein kleines Blumenbeet mit Sträu- chern und Kräutern. Ein Hobbygärtner ist Verwaltungsgebäude des alten Bremer Gü- fleißig. Auf der Rückseite befindet sich das terbahnhofs. Wir gehen eine Treppe tiefer zu Künstlerhaus Güterbahnhof erzählt Marco einem weiteren schmalen Gang. Hier ist es Bianchi. Es ist aus den 1960er-Jahren. Par- sehr finster. Links und rechts reihen sich kende Autos reihen sich hintereinander, 2 schmale Türen. Dahinter befinden sich einige Gleise schlängeln sich über den Asphalt. Proberäume für Bremer Bands. Marco führt uns weiter ins Gebäude des Künstlerhauses. Eine der Türen schließt Marco uns auf. Uns schlägt ziemlich modriger Geruch entgegen. Der Eingangsbereich des Gebäudes ist ein Wir stehen in einem großen Raum mit 2 Instru- weiter hoher Raum mit Aufzug. Der Anmelde- menten-Gruppen. Hier probt Marco jeden bereich ist verlassen. Es ist das ehemalige Freitag mit seiner Band „Sorrowfield“. Wir 18
Sie kennen einen geheimnisvollen Ort und wollen hinter die Tür schauen? Schreiben Sie uns! … dann sind wir im Probenraum von Wir finden heraus, was sich Sorrowfield, der Band von Marco Bianchi. dahinter verbirgt! die durchblicker freuen sich schon auf die nächste Entdeckungstour. fragen Marco, welche Musikrichtung seine Band spielt. „Vorwiegend Heavy Metal“, sagt er und berichtet uns von seinen Konzerten. Dabei zeigt er die neueste CD der Band. Viel- leicht werden wir ja Fans? Damit wir einen die durchblicker … Eindruck bekommen können, schenkt Marco uns eine CD. Und wir bekommen zum Schluss … sind ein bunter Haufen Redakteure noch eine kleine Hörprobe vom Band. Man mit Beeinträchtigung. Wir schreiben hat das Gefühl, fast direkt bei der Probe dabei zu Themen, die uns interessieren und zu sein. die auch für andere spannend sein können. In der inklusiven m-Redaktion Dann geht es wieder nach draußen in den tauschen wir uns regelmäßig aus. Haben Gang. Wir kommen erneut in einen engen Sie Ideen für Geschichten oder kennen dunklen Tunnel mit Stufen. Er führt uns zu- Sie interessante Personen, rück in den Findorfftunnel. Auf jeden Fall hat die wir mal besuchen sollen? Dann sich der Ausflug gelohnt. Es gibt wohl eine nehmen Sie Kontakt auf: Menge besonderer Orte in Bremen. Für uns durchblicker war es der erste … J m@martinsclub.de 19
Menschen & Meinungen Text: Ludwig Lagershausen | Fotos: Frank Scheffka Gemeinsam selbstbestimmt durchs Leben Kirsten und Ralph Siebert haben sich einen großen Wunsch erfüllt. Sie haben geheiratet. „Ja, ich will.“ Mit diesen Worten wird bei einer Hochzeit die Ehe geschlossen. Auch Kirsten und Ralph Siebert haben sich das Ja-Wort ge- geben. Die beiden wohnen in Kattenturm und werden dort vom Martinsclub betreut. Heiraten mit einer geistigen Beeinträchtigung geht das überhaupt? „Na, klar, das ist doch völlig nor- mal. Wir haben geheiratet. Das machen andere Leute doch auch“, sagen sie voller Überzeu- gung. Recht haben sie! In den 1980ern kennengelernt „Wir kennen uns wirklich schon ewig“, kann sich Ralph erinnern. Anfang der 1980er Jahre arbei- teten beide in der Werkstatt Bremen. Dort be- gann es vor fast 40 Jahren mit einem losen Kon- takt. „Da hieß es zuerst immer nur ,Hallo‘ und ,Tschüss‘. Und dann wurde es irgendwann immer mehr. Man muss sich ja auch erstmal richtig kennenlernen“, findet er. Nach und nach wurde der Kontakt dann immer intensiver. Und schließ- lich verliebten sie sich ineinander und wurden ein Paar. Lange lebten beide in getrennten Woh- nungen. Kirstens Zuhause war am Werdersee in Huckelriede, Ralphs in Woltmershausen. Erst 2017 bezogen die beiden ihre erste gemeinsame Wohnung in Kattenturm. Endlich zusammenle- ben und das Leben miteinander teilen. Das war für Kirsten und Ralph ein tolles Gefühl. 20
Kirsten und Ralf Siebert bei der Trauung mit Pastor Burghard Ahlers. Erst das Ehe- Gelöbnis, dann die Ringe und dann der Hochzeitskuss. Hilfe von „oben“ Dann entstand der Wunsch, zu heiraten. Sie wollten nach all den Jahren den nächsten Schritt wagen. „Eines Abends hatten wir die Idee dazu. Das haben wir besprochen und es uns gut über- legt. So ein Schritt muss ja sorgsam geplant sein. Am Ende haben wir uns aber dazu ent- schieden. Wir wollten es durchziehen“, erzählen sie strahlend. Wichtig war ihnen dabei auch der kirchliche Segen. „Wir sind Mitglieder in der Kir- che. Unsere ist die evangelische Hohentorsge- meinde. Dort sind wir sehr aktiv. Regelmäßig gehen wir zum Gottesdienst und jeden Mittwoch zur Teestunde.“, erinnert sich Kirsten. Der Pas- tor, Burghard Ahlers, willigte selbstverständlich ein, die Trauung zu vollziehen. Nicht ganz so einfach … Schwieriger war es mit der standesamtlichen Hochzeit. Sie ist wichtig, damit die Ehe auch vor dem Gesetz gültig ist. Burkhard Lemke und An- gelika Lenser sind die Betreuer von Kirsten und Ralph. Sie haben die beiden unterstützt. Lemke musste sich erkundigen und viele Gesetzestexte lesen. „Das hat alles sehr viel Zeit gekostet. Da gab es einige Formalitäten, die zu klären waren. Letztlich hat aber alles geklappt“, erinnert er sich. Im Bremer Standesamt gab es zunächst Be- denken. Denn eine Hochzeit von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ist nicht alltäglich. Das Gesetz gab Kirsten und Ralph jedoch Recht. So stand der Hochzeit nun nichts mehr im Wege. ¢ 21
Menschen & Meinungen Text: Ludwig Lagershausen | Fotos: Frank Scheffka ¢ Es gab viel zu tun So eine Hochzeit macht natürlich eine Menge Arbeit. Die Familien packten fleißig mit an. Ins- besondere Kirstens Schwester Ingrid, die alle Termine organisierte. Am 20. September war es dann endlich so weit. Kirsten und Ralph sagten „ja“ zueinander. Der Höhepunkt der Feier fand im Restaurant Rotheo statt. Etwa 25 Gäste ka- men, um mit dem Brautpaar anzustoßen. Kirs- tens Schwester Ingrid hielt eine gefühlvolle Rede mit sehr persönlichen Worten. Hier floss die eine oder andere Freudenträne. „Das war so wunderschön“, findet Kirsten, die immer noch ganz gerührt ist. Zum Abschluss wurde das junge Ehepaar mit einer riesengroßen Hochzeitstorte überrascht. „Wir waren total überwältigt. Und Gelungene Inklusion hinterher haben wir uns einen ruhigen Abend gegönnt. Nach all dem Trubel war das genau Die Geschichte des Ehepaares Siebert ist richtig“, sagt Ralph. eine von unzähligen. Seit vielen Jahren begleitet der Martinsclub Menschen mit Ehepaar „trotz“ Beeinträchtigung Beeinträchtigungen. Das Ziel: Ein selbst- Was hat sich geändert für die beiden? „Eigent- bestimmtes Leben. lich nicht so viel. Wir sind jetzt Mann und Frau. Und das ist gut so“, finden sie. Auf jeden Fall ha- Unterstützen Sie uns und schreiben Sie ben sie sich einen großen Wunsch erfüllt. Auch, neue Geschichten. In allen Lebensbereichen wenn es für einige Menschen ungewohnt ist – und Lebensphasen können Menschen mit Ralph und Kirsten haben geheiratet. Ihre Beein- Beeinträchtigung im Martinsclub Neues trächtigung hat sie nicht davon abgehalten. Sie lernen, Kontakte knüpfen und einfach mit- sind ihren Weg gegangen – und gehen ihn nun machen. als Ehepaar weiter. J Spenden und helfen Sie! Spendenkonto: Martinsclub Bremen e. V. Sparkasse Bremen IBAN: DE72 290 501 01 00 1068 4553 BIC: SBREDE22XXX Verwendungszweck: „Spenden und Helfen“ Werden Sie Mitglied! Mit einer Mitgliedschaft im Martinsclub unterstützen Sie uns regelmäßig. Mit einem kleinen Jahresbeitrag machen Sie Inklusion möglich. Interessiert? Wenden Sie sich an: j.renke@martinsclub.de, 0421 – 53 747 799 22
Text: durchblicker Frank-Daniel Nickolaus | Fotos: Frank Scheffka Kunstwerk! Alles unter einem Dach durchblicker Frank-Daniel Nickolaus hat sich im Künstlerhaus Ausspann umgeschaut Es ist Spätsommer im Schnoorviertel. Bei einem Spa- ein Heuboden. Dieser erinnert nun an einen orientali- ziergang bleiben wir vor dem Schnoor Haus 1-2 ste- schen Sitzbereich. Er lädt zum Entspannen und Spielen hen. Das Gebäude ist das drittälteste Speichergebäu- ein. Leider ist der silberne Samowar – das Glanzstück de Deutschlands. Es steht hier seit dem Jahr 1562. Vor der Einrichtung – gerade in Reparatur. Diese Art der über 350 Jahren wurden hier Pferde und Warenfuhr- Teemaschine gibt es seit dem 18. Jahrhundert. Sie werke ausgespannt. Heute befindet sich hier ein Ort wurde in vielen Ländern benutzt, um Tee zu kochen. für Kunst und Entspannung. Nur der Name erinnert noch an früher: Das Ausspann. Vom Heuboden aus gibt es eine uralte geschwungene Holztreppe. Sie führt in das offene Atelier. Man findet Uns begrüßt Ronald Philipps. Er ist der Projektleiter für hier Farben, Stifte, Papier, Pinsel, eine Staffelei sowie Kunst und Eingliederung. In einem der größten Räume eine lange Tafel. In diesem Raum darf man sich künst- im Erdgeschoss befindet sich sein eigenes Atelier. Herr lerisch ausleben. Im oberen Teil befindet sich die Bre- Philipps ist Bildhauer. mer Stube. Sie kann für Seminare genutzt werden. Auch das riesige Hochzeitszimmer ist dort. Hier sind wech- Ein paar Stufen hoch geht es zur Teestube. Die Treppe selnde Ausstellungen zu sehen. ¢ ist eng und die Stufen knarren. Die Teestube war mal Ronald Phillips bereitet eine Ausstellung im Ausspann vor. 23
Kunstwerk! Text: durchblicker Frank-Daniel Nickolaus | Fotos: Frank Scheffka ¢ ¢ Das Ausspann funktioniert nach dem Motto: Alles ohne Grenzen. Nahezu jede und jeder darf die Räume nut- zen. Ob man nun arbeiten, essen, trinken, entspannen oder gesellig beisammen sein möchte. Ein großes Ziel ist es, Eingliederung gemeinsam zu gestalten, berich- tet Ronald Phillips. So finden im Ausspann regelmäßig Treffen und Angebote mit und für Geflüchtete statt. In den letzten Jahren nahmen über 400 Personen an den Angeboten teil. Das waren Menschen mit und ohne Fluchterfahrung. Besonders stolz ist Philipps zudem auf die vielen ehrenamtlichen Helfer. Ohne diese würde das Ausspann nicht funktionieren. J www.ausspann-bremen.de 24
Im Ausspann im Schnoor kann man viel entdecken. Ob Kunst, Kultur oder Kulinarisches, für alle ist etwas dabei. 25
News & Tipps Text: Ludwig Lagershausen | Fotos: Frank Pusch, Marta Urbanelis Inklusion mit einfachen Worten „selbstverständlich“: Martinsclub gründet Agentur für barrierefreie Kommunikation Lesen und Schreiben sind grundlegende Vor- Sprachformen Informationen häufig verfälschen“, aussetzungen zur Teilnahme am öffentlichen so Bretschneider weiter. Um dies zu ändern, hat Leben. Sowohl privat als auch im Job. Jeder der Martinsclub eine Agentur gegründet. Mensch setzt sich täglich mit geschriebener Sprache auseinander. Das ist zwangsläufig so. Die „selbstverständlich GmbH“ soll barrierefreie Selbst der Einkauf im Supermarkt erfordert Kommunikation für alle Menschen machen. das Lesen von Texten. Dabei liegt der Fokus neben leichten Texten auf Grafik, Marketing und redaktionellen Inhalten. Wichtige Alltagstexte sind allerdings häufig zu kompliziert und umständlich. Das wird spätes- Verständliche Sprache auf wissenschaftlicher tens beim Gang zu einer Behörde deutlich. Wo Basis Beamtendeutsch dominiert, verschwinden wich- „Verso“ ist bei „selbstverständlich“ stets der tige Kernaussagen in verschachtelten Sätzen. Grundstein der Kommunikation. Dabei handelt Komplizierte Sätze verhindern, dass alle Men- es sich um eine Form der einfachen Sprache. schen sie verstehen können. „In Deutschland „Verso“ wurde vom Martinsclub gemeinsam mit können gut 10 Millionen Erwerbsfähige nicht Der TU Dresden entwickelt. Wissenschaftliche richtig lesen und schreiben. Das besagt die Leo- Erkenntnisse bilden die Basis für die barriere- Studie der Universität Hamburg. Kommunikation freien Texte. Die Universität hat gemeinsam mit grenzt zu oft aus. Das betrifft Menschen mit ei- dem Martinsclub eine Studie mit verschiedenen ner geistigen Beeinträchtigung, Migranten und Zielgruppen durchgeführt. Dabei fanden alle Menschen mit geringen Deutschkenntnissen. Berücksichtigung, denen ein Bedarf an einfa- Auch Menschen mit einer Lese- und Recht- cher Sprache zugesprochen wird. „Uns war es schreibschwäche haben das Nachsehen. Das wichtig, Inklusion ganzheitlich zu denken. Wir Problem zieht sich durch alle Gesellschafts- wollen mit ,Verso‘ eine Sprache für alle anbie- schichten“, weiß Thomas Bretschneider, Vor- ten“, erklärt Benedikt Heche, Geschäftsführer stand des Martinsclub Bremen e. V.. Seit vielen der „selbstverständlich GmbH“. Jahren beschäftigt sich der Martinsclub mit In- klusion im Kommunikationsbereich. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass andere leichte „Wir arbeiten daran, in Zukunft alle Informationen verständlich nach außen zu tragen.“ Thomas Bretschneider, Vorstand Martinsclub 26
Bunt und barrierefrei: Mit der Agentur „selbstverständlich“ betritt der Martinsclub neue Wege. Das Team von links: Ines Herrmann, Steven Lackmann, Ludwig Lagershausen, Benedikt Heche, Amon Moghib und Sven Kuhnen. „Verso“ ist leicht verständlich und gleichzeitig Eben alle, die mit Kunden, Geschäftspartnern abwechslungsreich. Das ist das Besondere an oder Bürgern möglichst verständlich kommuni- dieser Textform. „Die Anwendung stellt konkre- zieren möchten. Zum Portfolio gehören auch te Tipps und Empfehlungen zur Verfügung, um Dienstleistungen aus den Bereichen Grafik, Lay- sprachliche Hürden abzubauen. Umständliches out, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Kun- kann durch leichte Satzumbauten einfach for- den können „Verso“ auch selbst erlernen. Hier- muliert werden. Aussagen und Inhalte bleiben für bietet die Agentur Schulungsmaßnahmen aber dieselben. Der Sinn des Textes wird weder an. Der Martinsclub ist alleiniger Gesellschafter verändert noch verfälscht. Das ist unser primä- der „selbstverständlich GmbH“. Etwaige Gewin- res Ziel“, so Heche. Damit eignet sich „Verso“ ne fließen deshalb in den Verein. Sie kommen für die unterschiedlichsten Texte. Für journalis- dort wieder inklusiven Projekten zu Gute. J tische Veröffentlichungen genauso, wie etwa für behördliche Schreiben. Selbst Verträge wurden bereits in dieser leichten Sprachform erstellt. Gemeinnützige Agentur treibt Inklusion voran Mit der Agentur „selbstverständlich“ möchte der Martinsclub barrierefreie Kommunikation gesellschaftlich etablieren. Dabei wird der Be- Haben Sie Interresse an einfacher hindertenhilfeträger selbst als Vorbild vorange- Sprache? Möchten Sie eine Beratung? hen: „Wir arbeiten daran, in Zukunft alle Infor- Dann nehmen Sie Kontakt auf: mationen verständlich nach außen zu tragen“, kündigt Bretschneider an. Die Leistungen von selbstverständlich GmbH „selbstverständlich“ richten sich an unter- Telefon: 0421-53 747 687 schiedlichste Kunden. Profitieren sollen alle E-Mail: kontakt@sv-ag.de staatlichen oder privatwirtschaftlichen Stellen. www.selbstverständlich-agentur.de 27
Titelthema Text: die durchblicker, Nina Marquardt | Fotos: Ludwig Lagershausen r f e n , we r m a n i s t ! S e i n d ü t n ic h t g le ic h trans… Trans is Iwan Schmidt ist 22 Jahre alt und „trans“. Er hilft Können Sie uns ein bisschen aufklären? Menschen, die ebenfalls trans sind. In seiner Trans ist einfach ein Wort, das alle Menschen Freizeit arbeitet Schmidt dafür im Vorstand des beschreibt, die sich nicht oder nur teilweise mit Vereins „Trans*Recht“. die durchblicker haben dem Geschlecht identifizieren, das sie nach der ihn zum Gespräch getroffen. Sie wollten wissen, Geburt zugewiesen bekommen haben. In unse- welche Hilfe er bietet. Wie können alle Men- rer Gesellschaft läuft das ja so: ein Kind wird ge- schen so sein, wie sie sich im Inneren fühlen? boren und die Ärzte schauen es an, vor allem was es zwischen den Beinen hat. Dann sagen sie In der Vorbereitung auf das Interview waren wir „das ist ein Mädchen“ oder „das ist ein Junge“. oft verwirrt. Es gibt so viele verschiedene Be- Viele Menschen, denen man das sagt, die fühlen griffe im Zusammenhang mit „trans“. Was ist sich auch genauso und wollen auch nichts daran ein „trans-Mensch“, was ist „nicht-binär“, was ändern. Das nennt man dann „cis“. Das Gegen- bedeutet „transsexuell“? Was ist ein Transves- teil von cis, also wenn man nicht oder nur teil- tit, queer… und was soll das mit dem *? weise so ist, wie bei der Geburt festgestellt, das nennt man dann „trans“. Sie sind selbst ein „trans-Mann“ und früher eine Frau gewesen? Mir ist das weibliche Geschlecht nach der Ge- burt zugeordnet worden. Ich habe gemerkt, dass das nicht so richtig zu mir passt, sondern dass ich trans bin und männlich. Trans ist einfach eine Beschreibung, so wie es blonde Menschen gibt oder kleine oder braunäugige Menschen. Deshalb wird das oft getrennt und klein ge- schrieben, um zu zeigen dass es wie ein Adjektiv verwendet wird. Hinter das Wort trans kann man auch noch ein Sternchen* setzen. Das Stern- chen soll anzeigen, dass trans-Sein ganz ver- schieden aussehen kann. Was bedeutet dann der Begriff Zwitter? Das Wort Zwitter ist ein schwieriges Wort. Es wird als Beleidigung aufgefasst. Daher sollte s man das möglichst nicht benutzen, wenn man eg vor sich, bi ha be n of t ei nen langen W ei he lfen das nicht selbst ist. Der richtige Begriff dafür Trans*Person en n. Dab w ie si e es sich wünsche ht e. V. wäre „inter“. Das heißt, dass Menschen mit nn en s*Rec sie so leben kö m Verein Tran sc he n w ie Iw an Schmidt vo Merkmalen geboren werden, die Ärzte nach der Men 28
ker beim die durchblic links: Interview, von er, Ellen Matthias Mey hmidt und Stolte, Iwan Sc Nickolaus Frank-Daniel Geburt nicht eindeutig zuordnen können. Das Die Tochter von Brad Pitt hat für sich auch können körperliche Merkmale sein, das können etwas früh gemerkt. Sie fühlt, dass sie eigent- Chromosomen sein, das kann mit Hormonen zu lich ein Junge ist. Vielleicht wird sie sich ja tun haben. Das ist total verschieden. Das ist auch zum Mann operieren lassen. noch ein bisschen was anderes als trans. Aber Es gibt ganz oft diese Formulierung „sie wird es gibt Menschen, die sind auch beides, inter dann ein Mann“ oder „er wird eine Frau“. Diese und trans. Formulierung benutzen wir aber nicht gern. Wir benutzen für eine Person immer das Pronomen Der Begriff „transsexuell“ ist auch ein schwieriger und das Geschlecht, das die Person auch ver- Begriff. Es gibt einige trans-Personen, die den Be- wendet, um zu sagen, wer sie ist. Viele denken griff benutzen und damit auch okay sind. Es gibt auch immer sofort an eine Operation, bei der der aber auch Personen, die das nicht mögen. Für sie Körper verändert wird. Natürlich ist das für viele klingt der Wortteil „sexuell“ so, als wäre es eine trans-Personen auch etwas, das sie machen um sexuelle Orientierung. Man sagt ja zum Beispiel sich wohler zu fühlen. Es ist aber nicht das ein- homosexuell, wenn man sich nur zu Menschen zige, was passieren kann. Es gibt trans-Perso- des gleichen Geschlechts hingezogen fühlt. nen, die zum Beispiel Hormone nehmen, damit sich der Körper verändert. Was man macht, ist Wie merkt eine Person, dass sie trans ist? immer sehr unterschiedlich. Nur weil eine Per- Es gibt trans-Personen, die merken das schon son trans ist, heißt das nicht, dass sie sich auch als kleines Kind. Sie merken, dass das Ge- operieren lassen muss oder will. schlecht, mit dem sie angesprochen werden – Junge oder Mädchen – sich irgendwie nicht rich- Das Thema rund um Körper und Operation ist tig anfühlt. Manche Leute merken es im übrigens auch etwas sehr Intimes. Das sollte Jugendalter, wenn sie in die Pubertät kommen. man eine Person nicht direkt fragen. Wenn man Manche Leute merken es erst als Erwachsene, sich erst seit Kurzem kennt, fragt man den an- mit 50, 60 Jahren. Es ist sehr unterschiedlich deren nicht einfach, wie sein Geschlechtsteil und jede trans-Person hat eine eigene Geschich- aussieht oder wie er Sex hat. Tatsächlich werden te. Es ist etwas, das nicht von einem Tag auf den trans-Personen das aber sehr oft gefragt, weil anderen passiert, sondern es ist ein Prozess, bei Leute sofort an diese Operationen denken. ¢ dem man es nach und nach merkt. 29
Titelthema Text: die durchblicker, Nina Marquardt S e i n d ü r f e n , ¢ Was macht der Verein Trans*Recht e.V. genau? Welche Vorurteile begegnen trans Menschen? Wobei helfen Sie und wer kann sich an Sie Welche Probleme gibt es im Alltag? wenden? Das fängt an bei den unangenehmen, sehr per- Wir bieten in Bremen Beratungen für Menschen sönlichen Fragen. Es gibt auch extreme Formen an, die trans sind. Menschen können zu uns von Gewalt. Es gibt Menschen auf der Welt, die kommen und sich in rechtlichen Fragen beraten wegen ihres trans-Seins ermordet wurden. lassen. Aber auch bei privaten oder persönli- Manche Jugendliche, die sich ihren Eltern ge- chen Fragen bieten wir Hilfe an. Zum Beispiel genüber outen, fliegen zu Hause raus. Die sind bei sozialen oder familiären Problemen. Wir ver- dann erstmal obdachlos. Oft begegnen einem suchen dann, zu vermitteln. Vorurteile, die aushaltbar sind, aber furchtbar nerven, weil sie im Alltag immer wieder passie- Gegründet wurde der Verein 2012. Verschiedene ren. Ganz oft wird man einfach nicht ernstgenom- Personen, die alle trans sind, haben gemerkt, dass men. Die Leute sagen dann: „Das ist bestimmt so etwas in Bremen fehlt. Sie haben den Verein nur eine Phase, du willst nur Aufmerksamkeit gegründet, um Menschen auch finanziell unter- haben.“ stützen zu können, zum Beispiel bei einem Ge- richtsprozess. Wir haben ein kleines professionel- Ein weiteres Problem ist, dass teilweise andere les Beratungsteam. In Deutschland gibt es nämlich Menschen über das Leben von trans-Personen die Möglichkeit, seinen Geschlechtseintrag und entscheiden. Wenn sie zum Beispiel Hormone seinen Vornamen ändern zu lassen. Dazu muss nehmen möchten, dann muss das ein Arzt ver- man aber einen Weg über das Gericht nehmen. Es schreiben. Wenn Ärzte einem dann nicht glauben, ist oftmals so, dass Leute Beratung und Hilfe be- bekommt man die Hormone nicht. In Deutsch- nötigen, wenn so ein Antrag abgelehnt wird. land muss man als trans-Person eine Therapie machen. Bei der Therapie soll es darum gehen, Genauso kann man Hilfe benötigen, wenn Kran- festzustellen, dass die Person wirklich trans ist kenkassen Behandlungen nicht zahlen möch- und dass sich das nicht mehr ändert. Wenn man ten, die sie eigentlich bezahlen müssen. Dann Leistungen von der Krankenkasse haben möchte, haben wir noch 2 Leute, die selber auch trans müssen Fachpersonen ein Gutachten erstellen. sind und die Erfahrungen gemacht haben, wie Es gibt Ärzte, die diese Machtposition ausnutzen. es ist, sich zu outen. Sie sind ausgebildet, um Zum Beispiel bei trans-Personen, die nicht he- Beratungen durchführen zu können. Das ist not- terosexuell sind. Manche trans-Personen müs- wendig, um Menschen gut aufzufangen, weil sen sich dann überlegen, bei bestimmten Ärzten diese oft mit großen Problemen zu uns kommen. Informationen bewusst wegzulassen. Das ist oft eine ganz schwierige Situation. Es gibt aber noch andere Probleme im Alltag. In Themen-Tipp! vielen Bereichen kann das trans-Sein Leute ver- wirren. Zum Beispiel, wenn man in ein anderes Sie sind Fachkraft im Bereich Pflege und Land reist und man hat seine Dokumente noch möchten erfahren, wie Sie Ihre Arbeit trans*- nicht geändert. Oder man kann sie nicht ändern sensibel gestalten können? Im Fortbildungs- lassen, denn nicht in jedem Land ist es möglich, institut m|colleg haben Sie dazu Gelegenheit: dies zu tun. Und dann hat man vielleicht einen Trans* und Pflege – Trans*sensible Pflege Ausweis mit einem Namen und einem Foto, das Termin: Mittwoch, 17.6.20, 12:30 – 15:45 Uhr gar nicht mehr so aussieht, wie man selber in Infos und Anmeldung über www.mcolleg.de der Zwischenzeit wahrgenommen wird. 30
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