Die Akte Rosenburg Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit - MINISTERIUM UND GESCHICHTE - BMJV
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Vorwort Die Nazi-Diktatur hat unvorstellbare erstmals vollständigen Einblick in Verbrechen begangen und größtes sämtliche Akten gewährt. Mein großer Leid über Deutschland und die Welt Dank für ihre engagierte Arbeit gilt gebracht. Die Mitwirkung von Justiz und den beiden Leitern der Kommission, Juristen daran ist mittlerweile wissen- Professor Manfred Görtemaker und schaftlich gut untersucht. Ein offenes Professor Christoph Safferling, sowie Geheimnis war aber bisher, dass viele ihrem gesamten Team. Juristen, die Schuld auf sich geladen hatten, nach der Gründung der Bundes- Die Ergebnisse sind bedrückend: Von republik 1949 wieder in den west- den 170 Juristen, die von 1949 bis 1973 deutschen Staatsdienst zurückkehrten. in Leitungspositionen des Ministeriums tätig waren, hatten 90 der NSDAP und Die Unabhängige Wissenschaftliche 34 der SA angehört. Mehr als 15 Prozent Kommission beim Bundesministerium waren vor 1945 sogar im Reichsjustiz- der Justiz zur Aufarbeitung der NS- ministerium der Nazis tätig. Diese Vergangenheit, das „Rosenburg-Projekt“, Zahlen machen deutlich, warum die hat diese personelle Kontinuität und Strafverfolgung der Nazi-Verbrechen ihre Folgen intensiv untersucht. Unser so lange hintertrieben, das Leid der Ministerium hat dafür den Forschern Opfer viel zu lange ignoriert und viele
5 Opfergruppen – etwa Homosexuelle wünsche ich dem Abschlussbericht oder Sinti und Roma – in der Bundes- des Rosenburg-Projekts und dieser republik erneut diskriminiert wurden. Broschüre eine weite Verbreitung. Jeder deutsche Jurist, jede deutsche Juristin Die Perversion des Rechts während der sollte um die Schattenseiten der Vergan Nazi-Zeit und das Versagen der jungen genheit ihrer Berufsgruppe wissen, um Bundesrepublik bei deren Aufarbeitung zu erkennen, welch hohe Verantwortung machen eines ganz deutlich: Juristinnen sie für die Gegenwart und Zukunft und Juristen müssen heute mehr sein tragen. als bloße Techniker des Rechts, die jede beliebige politische Idee in Paragraphen gießen und sie vollstrecken. Es kommt stattdessen darauf an, die Werte unseres Grundgesetzes – Menschenwürde, Freiheit und Vielfalt – zu verinnerlichen und zu leben. Das Wissen um die Geschichte macht uns sensibel dafür, Christine Lambrecht, MdB wenn Menschenrechte und Rechtsstaat- Bundesministerin lichkeit heute verletzt werden. Deshalb der Justiz und für Verbraucherschutz
Das Buch Die vorliegende Broschüre fasst die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit der ‚Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission‘ (UWK) beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zusammen. Die Langfassung der Arbeitsergebnisse ist als Buch „Die Akte Rosenburg“ im Verlag C.H.BECK erschienen. Manfred Görtemaker / Christoph Safferling Die Akte Rosenburg Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit 2016. Ca. 600 Seiten mit ca. 30 Abbildungen. Gebunden € 29,95 (D) ISBN 978-3-406-69768-5
Die Autoren Prof. Dr. Christoph Safferling Prof. Dr. Manfred Görtemaker Christoph Safferling ist Professor für Manfred Görtemaker ist Professor Strafrecht, Strafprozessrecht, Inter- für Neuere Geschichte an der Universität nationales Strafrecht und Völkerrecht an Potsdam. Bei C.H.BECK ist von ihm der Friedrich-Alexander-Universität u. a. erschienen: Geschichte der Bundes Erlangen-Nürnberg. Er hat Publikatio- republik Deutschland. Von der nen u. a. zur Völkerstrafrechtspolitik und Gründung bis zur Gegenwart (1999); zum Internationalen Strafrecht Kleine Geschichte der Bundesrepublik vorgelegt. Deutschland (2002). Beide Autoren sind Leitende Mitglieder der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit.
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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Das Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Die Akte Rosenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1. Untersuchungsgegenstände und Arbeitsweise der Kommission . . . . . 12 2. Die Rolle der Justiz in der NS-Zeit und in der Bundesrepublik . . . . . . . 14 3. Das Bundesministerium der J ustiz und seine NS-Belastung . . . . . . . . 21 4. Amnestie und Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 5. Die Taten und ihre Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 6. Probleme der Transformation nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 7. Die Personalentwicklung im BMJ von 1949 bis 1973 . . . . . . . . . . . . 28 NS-Mitgliedschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Übernahme aus den Zonenverwaltungen und „131er“ . . . . . . . . . . . . . . . 36 8. Das BMJ und die Verfolgung von NS-Straftätern . . . . . . . . . . . . . . 38 Endnoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
Manfred Görtemaker / Christoph Safferling Die Akte Rosenburg Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit Einleitung dem Band Die Akte Rosenburg, der im Oktober 2016 im C. H. BECK Verlag Die sogenannte „Rosenburg“ am Venus- München erschien, legte die Kommis- berg in Bonn-Kessenich – ein Landhaus sion jetzt ihren Bericht vor1. im neoromanischen Stil, das sich der Bonner Professor Georg August Goldfuß Forschungsgegenstand der Kommission 1831 hatte errichten lassen – war von war nicht primär die Justiz im „Dritten 1950 bis 1973 der Hauptsitz des Bundes- Reich“, sondern die Frage, wie man im ministeriums der Justiz (BMJ). Dies ist in Bundesministerium der Justiz nach 1949 etwa auch der Zeitraum, auf den sich die mit der NS-Vergangenheit im eigenen Tätigkeit der „Unabhängigen Wissen- Haus umging: Welche personellen und schaftlichen Kommission beim Bundes- institutionellen Kontinuitäten gab es? ministerium der Justiz zur Aufarbeitung Wie tief war der Bruch 1945/49 wirk- der NS-Vergangenheit“ bezog, die im lich? Und wie sah es mit den inhalt- Januar 2012 von der damaligen Bundes- lichen Aspekten der Politik aus? Wurden justizministerin Sabine Leutheusser- auch diese, wenn man unterstellt, dass Schnarrenberger eingesetzt wurde. Mit viele der handelnden Personen schon
11 vor 1945 aktiv gewesen waren, vom Vorbereitung: zum Bundesnachrichten- Gedankengut des Nationalsozialismus dienst, zum Bundesministerium der beeinflusst? Und wenn ja, auf welche Finanzen, zum Bundesministerium für Weise? Um diese Fragen möglichst Wirtschaft und Technologie, zum umfassend sowohl aus historischer als Bundesministerium für Arbeit und auch aus juristischer Sicht beantworten Soziales sowie zum Bundesministerium zu können, war die Kommission inter- des Innern.5 disziplinär besetzt – mit einer größten- teils juristischen Arbeitsgruppe an der Das Bundesministerium der Justiz und Philipps-Universität Marburg und einer für Verbraucherschutz (BMJV), wie es seit wesentlich aus Historikern bestehenden 2013 heißt, fügt sich in diese Reihe ein. Gruppe an der Universität Potsdam. Es ist also Teil eines inzwischen sehr Für ihre Forschungen erhielt die Kom- weitreichenden Bemühens, die mög- mission unbeschränkten Zugang zu lichen NS-Belastungen zentraler Insti- den Akten des Ministeriums. Nicht tutionen in der Nachkriegszeit der zuletzt galt dies auch für die besonders Bundesrepublik zu erforschen. In die sensiblen Personalakten, soweit diese Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/ den Untersuchungszeitraum betrafen. CSU und SPD wurde 2013 eigens ein Satz eingefügt, in dem mit Blick auf die Zum Auswärtigen Amt liegt seit 2010 politischen Absichten der zu bildenden eine entsprechende Untersuchung vor.2 Bundesregierung erklärt wird: Gleiches gilt für das Bundeskriminal- amt, über das 2011 eine Studie erschien.3 Auch das Bundesamt für Verfassungs- „Die Koalition wird die Aufarbeitung der schutz beauftragte am 1. November NS-Vergangenheit von Ministerien und 2011 auf Initiative des damaligen BfV- Bundesbehörden vorantreiben.“6 Präsidenten Heinz Fromm eine Forschergruppe, die „Organisations- geschichte des BfV 1950 bis 1975 unter Zwar förderte das BMJ bereits in den besonderer Berücksichtigung der 1980er Jahren unter Minister Hans A. NS-Bezüge früherer Mitarbeiter in der Engelhard einzelne Studien, die sich mit Gründungsphase“ zu untersuchen; möglichen personellen und sachlichen deren Ergebnisse wurden 2015 präsen- Kontinuitäten zwischen der NS-Zeit tiert4. Weitere Studien zu Ministerien und der Bundesrepublik befassten.7 und anderen Institutionen sind in Es blieben jedoch große Forschungs-
12 lücken, die erst jetzt mit dem Rosen- erforscht, wie groß der Personenkreis burg-Projekt geschlossen werden war, der sich in der NS-Zeit bereits aktiv sollten. Dabei kam die Initiative aus gezeigt hatte und nach 1949 in den dem Ministerium selbst. Ähnlich wie Dienst des BMJ übernommen wurde, im Auswärtigen Amt, in dem Bundes- und welche Kriterien und Maßstäbe bei außenminister Joschka Fischer der Einstellung sowie bei Beförderungen 2005 eine „Unabhängige Historiker- galten. Ein Ausgangspunkt der Unter- kommission zur Aufarbeitung der suchung bildete dabei der im Nürnber- Geschichte des Auswärtigen Amtes in ger Juristenprozess 1947 entwickelte der Zeit des Nationalsozialismus und strafrechtliche Maßstab für das Ver- in der Bundesrepublik“ berufen hatte, halten von Ministerialbeamten, Rich- war inzwischen im BMJ die Über- tern und Staatsanwälten. Dabei ging es zeugung gewachsen, dass der Justiz- nicht nur um die Übernahme von bereich in der frühen Bundesrepublik Juristen in den Dienst des BMJ, sondern ebenfalls eine nähere Untersuchung auch um die inhaltliche Auseinander- erfordere. Die Hausleitung unter setzung mit dem Unrecht der NS-Justiz, Bundesjustizministerin Leutheusser- die Bereinigung der Gesetze von Schnarrenberger und nach 2013 unter nationalsozialistischer Ideologie und die Bundesjustizminister Heiko Maas Strafverfolgung von NS-Tätern durch unterstützten das Projekt nachhaltig die Justiz der Bundesrepublik.8 und trugen so dazu bei, dem Vorhaben zu größtmöglicher öffentlicher Reso- Untersucht wurde ebenfalls die Rolle des nanz zu verhelfen. BMJ bei der Amnestierung von NS-Tätern und ihrer vorzeitigen Haftentlassung, durch die bis 1958 fast alle Verurteilten 1. Untersuchungsgegenstände und freikamen, sowie bei der Erarbeitung Arbeitsweise der Kommission des Einführungsgesetzes zum Ordnungs widrigkeitengesetz vom 24. Mai 1968, Untersuchungsgegenstand der Kommis- durch das die Beihilfestrafbarkeit in sion war in erster Linie der Umgang bestimmten Fallkonstellationen herab- des Bundesministeriums der Justiz gesetzt wurde, was im Zusammenspiel und seines Zuständigkeitsbereichs mit mit der sogenannten Gehilfenrecht- den persönlichen und politischen sprechung zur rückwirkenden Verjährung Belastungen, die sich aus dem „Dritten zahlloser nationalsozialistischer Reich“ ergaben. Hierbei wurde zunächst Gewaltverbrechen mit Ablauf des
13 8. Mai 1960 führte. Ferner wurde der war, ehe sie in den Verantwortungs- Frage nachgegangen, inwieweit das BMJ bereich des Auswärtigen Amtes über- bei der verschleppten Rehabilitierung ging. Denn die ZRS diente nicht nur der der Opfer der NS-Justiz mitwirkte – Hilfe für Kriegsgefangene und dem etwa bei strafgerichtlichen Entschei rechtlichen Beistand von Deutschen, die dungen, bei Erbgesundheitsurteilen oder sich vor Gerichten im Ausland ver- in der Militärjustiz −, so dass die Urteile antworten mussten, sondern betätigte des „Volksgerichtshofs“ und der Stand- sich bis zu ihrer Auflösung 1968 auch als gerichte erst am 28. Mai 1998 bzw. Instrument zur Warnung deutscher 17. Mai 2002 durch Bundesgesetz pau- Kriegsverbrecher und erschwerte damit schal aufgehoben wurden, Kriegsverrats- die 1958 eingerichtete Arbeit der fälle sogar erst im September 2009. Ludwigsburger Zentralstelle zur Auf- klärung von NS-Verbrechen.9 „Die Unabhängige Kommission stellte Es war also ein sehr umfangreicher ihre Ergebnisse […] in Symposien und Themenkatalog, der die Arbeit der Tagungen vor, um einen kritischen Kommission bestimmte. Dabei betrieb Diskurs zu ermöglichen.“ sie ihre Forschung nicht in der stillen Stube des Gelehrten, sondern beschritt von Anfang an den Weg der public Wichtige Untersuchungsfelder waren history. Die Arbeiten und die daraus darüber hinaus die Haltung des BMJ resultierenden Erkenntnisse wurden zum Alliierten Kontrollrat, etwa zum in Symposien und Tagungen zur Dis- Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. Septem- kussion gestellt, um die einzelnen ber 1945 über die Aufhebung von ins- Schritte transparent zu machen und gesamt 24 Gesetzen, Verordnungen und bereits zu einem möglichst frühen Erlassen aus der Zeit des „Dritten Rei- Zeitpunkt zu einem kritischen Diskurs ches“, sowie zu den Nürnberger Prozes- beizutragen – weit über den begrenzten sen der Alliierten nach 1945 und ihren Kreis der Wissenschaft hinaus. Nicht Urteilen, die in der Bundesrepublik zufällig stand daher am Beginn der bekanntlich weithin umstritten waren. Arbeit, am 26. April 2012, ein Sympo- Untersucht wurde schließlich auch die sium in jenem Saal des Berliner Haltung des Ministeriums zur Zentralen Kammergerichts, in dem 1944 Roland Rechtsschutzstelle (ZRS), die bis 1953 Freislers „Volksgerichtshof“ tagte und im Geschäftsbereich des BMJ angesiedelt in dem sich 1945 das Internationale
14 Militärtribunal konstituierte, das dann Bach als Richter am Obersten Gericht in Nürnberg den Prozess gegen die Israels und stellvertretender Ankläger Hauptkriegsverbrecher des „Dritten im Prozess gegen Adolf Eichmann 1961 Reiches“ durchführte. Dort wurde eine in Jerusalem, Düx als Untersuchungs- erste Bestandsaufnahme vorgenommen, richter beim Landgericht Frankfurt am deren Ergebnisse in einem Sammelband Main, wo er von 1960 bis 1963 mit den nachzulesen sind.10 Im Februar 2013 Auschwitz- und Euthanasieverfahren folgte ein Symposium über die Verant befasst war. Weitere Veranstaltungen wortung von Juristen im Schwur- fanden am Institut für Zeitgeschichte in gerichtssaal des Landgerichts Nürnberg- München, im Haus der Geschichte in Fürth – also im historischen Saal 600, wo Bonn, am Bundesgerichtshof in Karls- 1945/46 der Prozess gegen die Haupt- ruhe, im Haus der Wannsee-Konferenz kriegsverbrecher des Nazi-Regimes in Berlin und in den USA statt: am stattfand und danach auch der soge Deutschen Historischen Institut in nannte Juristenprozess, in dem sich von Washington und am Leo Baeck Institute Februar bis Dezember 1947 vornehmlich in New York, wo besonders das Gespräch Beamte des Reichsjustizministeriums mit den jüdischen Verbänden gesucht und Justizjuristen vor einem amerikani- wurde. schen Militärgericht verantworten mussten. In diesem Prozess wurde zum ersten Mal die Mitwirkung der Juristen 2. Die Rolle der Justiz in der NS-Zeit in Gesetzgebung, Verwaltung und und in der Bundesrepublik Rechtsprechung am nationalsozialis tischen Justizterror zum Gegenstand Die Rolle der Justiz in der NS-Zeit wurde eines Strafverfahrens gemacht. „Der bereits vielfach erforscht. Sowohl über Dolch des Mörders war unter der Robe die Ära von Reichsjustizminister Franz der Juristen verborgen“ – dieser Aus- Gürtner als auch über die Zeit seines spruch aus dem Nürnberger Juristen- Nachfolgers Otto Georg Thierack liegen urteil verdeutlicht die Verantwortung umfangreiche Untersuchungen vor.11 der Juristen an dem erschreckenden Zahlreiche wissenschaftliche Studien Ergebnis der Nazi-Diktatur: vieltausend- beschäftigen sich zudem mit einzelnen facher Mord. Referenten bei dem Sym- Regionen oder Gerichten und deren posium in Nürnberg waren unter Rechtsprechung während der NS-Zeit. anderem Gabriel Bach und Heinz Düx, Das BMJ beteiligte sich an dieser Auf- die über ihre Erfahrungen berichteten: arbeitung mit der Ausstellung „Im
15 Namen des Deutschen Volkes – Justiz Vergangenheit unserer Justiz hingewiesen und Nationalsozialismus“, die sich in und aufgezeigt, wie tief Juristen in die drei Abschnitten mit der Justiz im Verbrechen und den Massenmord des Nationalsozialismus, ihrer Vorgeschichte NS-Regimes verstrickt gewesen waren in der Weimarer Republik und der und welche personellen und sachlichen Frage, wie die bundesdeutsche Justiz Kontinuitäten über die Zäsur von mit dieser Vergangenheit umging, 1945 hinweg bestanden.13 Inzwischen befasste. Rund 2 000 Dokumente und sind die anfänglich umstrittenen Bilder sowie Begleittexte zu den einzel- Aussagen Müllers weithin unstrittig nen Themenkreisen machten wichtige und durch zahlreiche Studien belegt. Aspekte der historischen und ideo- Hervorzuheben ist besonders der 1996 logischen Grundlagen der Justiz, der erstmals erschienene, vieldiskutierte Einflussnahme der Partei auf die Justiz Band Vergangenheitspolitik. Die und der Zusammenarbeit zwischen Anfänge der Bundesrepublik und die Justiz, NSDAP und SS deutlich. Die NS-Vergangenheit von Norbert Frei, Ausstellung wurde 1989 in der Staats- der sich, ausgehend von grundlegenden bibliothek Berlin an der Potsdamer Weichenstellungen in Parlament Straße eröffnet, ging dann für zwei und Regierung, mit der mangelnden Jahrzehnte auf Wanderschaft durch alle „Vergangenheitsbewältigung“ in der Bundesländer und war in 43 Städten zu Bundesrepublik in den frühen 1950er sehen, meist in Gerichten und Justiz- Jahren beschäftigt und dabei vor allem gebäuden, bevor sie im Juni 2008 einen auch dem Justizbereich umfangreiche dauerhaften Platz im Oberverwaltungs- Passagen widmet.14 Marc von Miquel gericht Berlin-Brandenburg in der setzte diese Überlegungen 2004 für Berliner Hardenbergstraße 31 am die 1960er Jahre fort und kam zu ähn- Bahnhof Zoo fand.12 lichen Ergebnissen.15 Die Ausstellung zeigt, wie verhängnisvoll die Rolle der Justiz nicht nur im „Dritten „Die unbewältigte Vergangenheit in Reich“ gewesen war, sondern welche der bundesdeutschen Justiz wurde Verbindungen es auch zur bundes- durch das Aufzeigen der personellen und deutschen Justiz der Nachkriegszeit gab. sachlichen Kontinuitäten deutlich.“ Ingo Müller hatte darauf bereits 1987 in seiner rechtshistorischen Dissertation Furchtbare Juristen. Die unbewältigte
16 Zu erwähnen ist in diesem Zusammen- mehr oder weniger nahtlos hatten hang aber auch der Publizist Jörg fortsetzen können.17 Friedrich, der in seinen Büchern Frei- spruch für die Nazi-Justiz und Die kalte Tatsächlich hat sich die deutsche Justiz Amnestie – NS-Täter in der Bundes- in der Nachkriegszeit – mit Ausnahme republik schon zwanzig Jahre zuvor trotz des Nürnberger Juristenprozesses, der eines noch sehr begrenzten Material unter alliierter Federführung stattfand – zugangs auf skandalöses Verhalten von der eigenen Strafverfolgung nahezu Richtern und Staatsanwälten, frag völlig entzogen. Dabei hatten Tausende würdige Urteile und eine kalkulierte von Richtern und Staatsanwälten in Schlussstrich-Mentalität der Politik ordentlichen Gerichten, Sonder- hingewiesen hatte. Bei aller material- gerichten, Standgerichten oder am bedingten Vorläufigkeit seiner Erkennt- berüchtigten „Volksgerichtshof“ bei der nisse ließen die publizistisch Durchsetzung der nationalsozialis zugespitzten Ausführungen Friedrichs tischen Ideologie geholfen und sich, immerhin erahnen, welche Problematik direkt oder indirekt, an den Verbrechen hier noch immer der näheren Unter- des NS-Regimes beteiligt. Das methodi- suchung harrte.16 Der Berliner Rechts- sche Handwerkszeug dafür war ihnen soziologe Hubert Rottleuthner schließ- von zahlreichen Hochschullehrern und lich, der nach der Jahrtausendwende der am 26. Juni 1933 in München anhand der Daten von über 34 000 gegründeten „Akademie für Deutsches Personen, die zwischen 1933 und 1964 Recht“ unter ihren Präsidenten Hans im höheren Justizdienst tätig gewesen Frank (bis 1942) und Otto Georg Thie- waren, die „Karrieren und Kontinui rack (bis 1944) geliefert worden, die als täten deutscher Justizjuristen vor und wissenschaftliche Zentralstelle für nach 1945“ analysierte, vermochte die Umgestaltung des deutschen Rechts dann auch flächendeckend zu beweisen, im Sinne der nationalsozialistischen was inzwischen kaum noch ein Weltanschauung und als Instrument Geheimnis war: dass Brüche in den der rechtswissenschaftlichen Gleich- Karrieren deutscher Juristen nach dem schaltung fungierte. Gesetze und Ver- Ende des Nationalsozialismus eine ordnungen hatte das Reichsjustiz- Ausnahme darstellten und dass die ministerium vorbereitet, das darüber meisten Juristen, auch wenn sie poli- hinaus akribisch die Einhaltung der tisch belastet waren, ihre Laufbahn neuen Ideologie durch die Justiz über- nach Gründung der Bundesrepublik wachte. Fast eine ganze Generation von
17 Juristen hatte sich nach Beendigung der staatlichen und gesellschaftlichen Ausbildung und dem Eintritt ins Berufs- Positionen Einfluss aus und schützten leben in den 1930er Jahren in diesen sich immer wieder gegenseitig vor dem Rahmen eingefügt und sich teils aus Zugriff der rechtsstaatlichen Justiz. Überzeugung, teils aus opportunisti- schem Karrierestreben der NSDAP und dem „Führer“ verschrieben. „Zahllose Richter konnten ihre Karriere in der Bundesrepublik Dennoch gab es kaum Richter und nahtlos fortsetzen.“ Staatsanwälte, die in der Bundesrepublik nach 1949 wegen Unrechtsurteilen im „Dritten Reich“ zur Rechenschaft Für die Schwierigkeiten, die die west- gezogen wurden. Während man in der deutsche Rechtsprechung im Umgang SBZ/DDR immerhin versuchte, belastete mit NS-Justiztätern hatte, bieten der Staatsanwälte auszutauschen und SS-Richter Dr. Otto Thorbeck, der von ehemalige Richter durch kurzfristig 1941 bis 1945 die Chefrichterstelle beim ausgebildete sogenannte „Volksrichter“ SS- und Polizeigericht in München zu ersetzen – allerdings um den hohen innegehabt hatte und nach dem Krieg Preis der Verlustes der politischen als Rechtsanwalt in Nürnberg arbeitete, Unabhängigkeit und der juristischen und der SS-Standartenführer Walter Fachkunde –, kehrten in der Bundes- Huppenkothen, zuletzt Abteilungsleiter republik zahllose Juristen, die das im Reichssicherheitshauptamt, anschau- NS-Regime mitgetragen hatten, weit- liche Beispiele. Beide wurden 1955 vom gehend unbehelligt an ihre Schreib- Landgericht Augsburg wegen Beihilfe tische und auf ihre Richterstühle zurück zum Mord zu mehrjährigen Zuchthaus- und reihten sich stillschweigend in die strafen verurteilt. Aber der Bundes- neue rechtsstaatliche Ordnung ein, gerichtshof sprach in einem Revisions- getragen oftmals von dem Willen, einen verfahren am 19. Juni 1956 Thorbeck Schleier des Schweigens über das Ver- frei. Für Huppenkothen blieb es bei gangene zu legen und das unbegreifliche einer Zuchthausstrafe von sechs Jahren, Ausmaß der Verbrechen vergessen zu von denen er jedoch nur drei Jahre machen. Auch wenn dadurch die Demo- verbüßen musste. Anlass des Augs- kratie der Bundesrepublik nicht ernst- burger Schwurgerichtsurteils, über das haft gefährdet war, übten NS-belastete der Bundesgerichtshof zu befinden Juristen so weiterhin in wichtigen gehabt hatte, war das SS-Standgerichts-
18 verfahren, das am 8. April 1945 im KZ Das Schwurgericht in Augsburg hatte Flossenbürg gegen Generaladmiral demzufolge argumentiert, das Stand- Wilhelm Canaris, Generalmajor Hans gerichtsverfahren sei nicht angeordnet Oster, Pastor Dietrich Bonhoeffer, worden, um die Wahrheit zu erforschen Reichsgerichtsrat Hans von Dohnanyi, und Recht und Gerechtigkeit walten zu den Heereschefrichter Dr. Karl Sack und lassen, sondern allein zu dem Zweck, den Verbindungsoffizier im Wehrkreis „unbequem gewordene Häftlinge unter IV, Hauptmann Ludwig Gehre, geführt dem Schein eines gerichtlichen Ver- worden war. Thorbeck hatte den Pro- fahrens beseitigen zu können“. Folge- zess als Richter geleitet, Huppenkothen richtig hatte das Gericht auch den die Anklage vertreten. Der Prozess verantwortlichen Richter Dr. Thorbeck endete mit Todesurteilen für alle wegen Beihilfe zum Mord zu vier Angeklagten, denen ihre Beteiligung an Jahren Zuchthaus verurteilt. Der BGH der Verschwörung des 20. Juli 1944 erklärte demgegenüber in seinem vorgeworfen wurde. Aber es war ein Revisionsurteil 1956, Ausgangspunkt bei Scheingericht ohne jeglichen recht- der Feststellung der strafrechtlichen lichen Mindeststandard gewesen, ohne Schuld müsse „das Recht des Staates Protokollführer und ohne Verteidiger, auf Selbstbehauptung“ sein. Im „Kampf in dem die Urteile von vornherein um Sein oder Nichtsein“ seien „bei festgestanden hatten. Zudem hätte der allen Völkern von jeher strenge Gesetze Prozess so gar nicht stattfinden dürfen, zum Staatsschutze erlassen worden“. denn die Angeklagten waren nicht Auch dem nationalsozialistischen Staat Mitglieder der SS und hätten sich daher könne man „nicht ohne weiteres das nach der Kriegsstrafverfahrensordnung Recht absprechen, dass er solche Gesetze (KStVO) nicht vor einem SS-Stand- erlassen“ habe, auch wenn diese „in gericht, sondern vor einem ordentlichen immer zunehmendem Maße zugleich Feldkriegsgericht verantworten müssen. der Aufrechterhaltung der Gewalt herrschaft der nationalsozialistischen Machthaber“ gedient hätten. Nicht „SS-Richter Thorbeck wurde […] nur die Widerstandskämpfer hätten vom BGH seriöses juristisches Handeln sich dabei in einer „schicksalhaften […] attestiert, während die Akteure Verflechtung“ befunden. Auch einem des Widerstandes nachträglich […] Richter, „der damals einen Widerstands- zu Verbrechern erklärt wurden.“ kämpfer […] abzuurteilen hatte und ihn in einem einwandfreien Verfahren für
19 überführt erachtete“, könne „heute in Dr. Sack und Gehre vor ihrer Vollstre strafrechtlicher Hinsicht kein Vorwurf ckung die Bestätigung der Todesurteile gemacht werden, wenn er angesichts durch den Gerichtsherrn einzuholen, seiner Unterworfenheit unter die wie es die Kriegsstrafverfahrensordnung damaligen Gesetze“ geglaubt habe, verlangte. Die sich allein daraus „ihn des Hoch- oder Landesverrats bzw. ergebende Widerrechtlichkeit der des Kriegsverrats (§ 57 MStGB) schuldig Tötungen finde ihre Bestätigung in der erkennen und deswegen zum Tode Art und Weise der Vollstreckung, näm- verurteilen zu müssen“.18 SS-Richter lich durch „Erhängung in völlig ent- Thorbeck wurde damit vom BGH kleidetem Zustand“, was die Menschen- seriöses juristisches Handeln im Rah- würde missachte, wobei aber gleich der men einer als gerecht erachteten Justiz Hinweis folgt, dass dies „den Gepflogen- attestiert, während die Akteure des heiten in den Konzentrationslagern“ Widerstandes nachträglich ein weiteres entsprochen habe.19 Mal zu Verbrechern erklärt wurden. Die Urteile des BGH und deren Die Verurteilung des SS-Standarten- Begründungen sprechen für sich. Dabei führers Huppenkothen, der in dem war Huppenkothen der einzige Staats- Verfahren gegen die Verschwörer des anwalt überhaupt, der von der west- 20. Juli als Ankläger fungiert hatte, deutschen Justiz für seine Taten im wurde hingegen auch vom BGH „Dritten Reich“ zu einer Haftstrafe zumindest teilweise aufrechterhalten. verurteilt wurde und diese auch tatsäch- Im Ergebnis war er allerdings nicht lich antreten musste. Das Versagen der wegen seiner Teilnahme am Verfahren Justiz in der Bundesrepublik im verurteilt worden, oder weil er als Umgang mit dem NS-Erbe ist somit Mitarbeiter des SD und der Gestapo und offenkundig. Der deutsch-jüdische Angehöriger der Einsatzgruppe I in Publizist Ralph Giordano sprach deshalb Polen von Herbst 1939 bis Frühjahr 1940 schon 1987 von einer „zweiten Schuld“ an der Ermordung von mindestens der Deutschen.20 Diese Schuld wog umso 60 000 Menschen beteiligt gewesen war, schwerer, als sie vor allem auch die sondern lediglich wegen Beihilfe zum Berufsgruppe der Juristen selbst betraf, Mord durch seine Mitwirkung an der die im Hinblick auf die Wahrung des Vollstreckung. Huppenkothen habe es Rechts einer besonderen Verantwortung nämlich versäumt, im Prozess gegen unterliegt. Auch wer behauptet, dass die Canaris, Oster, Bonhoeffer, Dohnanyi, bewusste Missachtung des Gerechtig-
20 keitsanspruchs unter dem NS-Regime Recht‘“, sondern dann entbehre es in der totalitären Natur des National- „überhaupt der Rechtsnatur“.22 sozialismus begründet gelegen habe, wird nicht umhinkönnen, die justiziellen Diese Überlegung, wonach legalistisches Versäumnisse in der Zeit nach 1949 Unrecht nicht nur keine Anwendung einzuräumen, als die Aufarbeitung der finden darf, sondern seine Setzung und Vergangenheit ohne persönliches Risiko Anwendung – etwa als Verbrechen gegen oder jedenfalls ohne Gefahr für das die Menschlichkeit – sogar strafbewehrt eigene Leben möglich gewesen wäre. sein können, trat nach 1945 insbesondere im Nürnberger Juristenprozess hervor. Dabei lagen rechtliche Maßstäbe für In der Bundesrepublik nach 1949 wurde die Beurteilung von Justizverbrechen dieser Gedanke jedoch bald wieder spätestens seit 1946 vor, als der ehe- vergessen bzw. verdrängt. Man zog sich malige Reichsjustizminister und Rechts- vielmehr auf eine Gesetzesauslegung philosoph Gustav Radbruch, der nach zurück, die es ermöglichte, dass Straf- der Machtübernahme der NSDAP am täter, die unter dem Deckmantel des 30. Januar 1933 als erster deutscher Gesetzes schwerste Verbrechen Professor aus dem Staatsdienst entlassen begangen hatten, straffrei ausgingen, worden war, seine inzwischen berühmte weil ihr Unrecht legalistisch gedeckt „Formel“ entwickelt hatte, wonach im gewesen war. Im Nürnberger Juristen- Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und prozess, in dem nicht weniger als neun der Rechtssicherheit eine Situation der 16 Angeklagten im Reichsjustiz- eintreten könne, in der „der Widerspruch ministerium eine leitende Funktion des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit innegehabt hatten, attestierte das ein so unerträgliches Maß erreicht, Gericht den Angeklagten deshalb in dass das Gesetz als ‚unrichtiges Recht‘ seinem Urteil, sie hätten sich bewusst der Gerechtigkeit zu weichen hat“.21 „an einem über das ganze Land ver- In Situationen, in denen „Gerechtigkeit breiteten und von der Regierung organi- nicht einmal erstrebt“ werde, wie es sierten System der Grausamkeit und offenbar im Nationalsozialismus der Ungerechtigkeit“ beteiligt und „im Fall gewesen war, wenn also „die Gleich- Namen des Rechts unter der Autorität heit, die den Kern der Gerechtigkeit des Justizministeriums mit Hilfe der ausmacht, bei der Setzung positiven Gerichte“ nicht nur Kriegsgesetze, Rechts bewusst verleugnet“ werde, sei sondern auch die Gesetze der Mensch- „das Gesetz nicht etwa nur ‚unrichtiges lichkeit verletzt.23
21 3. Das Bundesministerium der ° Josef Schafheutle, vor 1945 im Reichs- Justiz und seine NS-Belastung ministerium der Justiz zuständig für politisches Strafrecht, und nach Im Bundesministerium der Justiz 1949 Ministerialdirektor und Leiter wiesen in den 1950er und 1960er Jahren der Leiter der Abteilung II (Strafrecht) die meisten Abteilungsleiter und im BMJ; Unterabteilungsleiter sowie zahlreiche Referatsleiter eine einschlägige ° Walter Roemer, vor 1945 Erster NS-Vergangenheit auf. Unter ihnen Staatsanwalt am Landgericht waren einige spektakuläre Fälle, wie München I, nach 1949 Ministerial- etwa: direktor und Leiter der für Grund- und Menschenrechte zuständigen ° Franz Maßfeller, vor 1945 im Abteilung Öffentliches Recht im BMJ; Reichsjustizministerium für Familien- und Rasserecht ° Hans Gawlik, vor 1945 Staatsanwalt zuständig, Teilnehmer an den am Sondergericht Breslau, Beteiligter Folgebesprechungen zur Wannsee- an zahlreichen Todesurteilen, nach Konferenz und Kommentator 1945 zunächst Verteidiger des SD des Blutschutzgesetzes und nach und einiger Einsatzgruppenführer dem Zweiten Weltkrieg bis in den Nürnberger Prozessen und 1960 Ministerialrat im BMJ und nach 1949 Leiter der Zentralen Referatsleiter Familienrecht; Rechtsschutzstelle im BMJ; ° Eduard Dreher, vor 1945 Erster Staats ° Max Merten, von 1942 bis 1944 Kriegs- anwalt am Sondergericht Innsbruck, verwaltungsrat beim Befehlshaber Mitwirkender an zahlreichen der Wehrmacht in Thessaloniki, wo Todesurteilen wegen Nichtigkeiten er als Leiter der Abteilung „Verwal und dann von 1951 bis 1969 im BMJ, tung und Wirtschaft“ einer der zuletzt als Ministerialdirigent; Organisatoren der Ausplünderung und Deportation von mehr als ° Ernst Kanter, der vor 1945 als 50 000 Juden war – also einer der „Generalrichter“ im besetzten Däne- größten deutschen Kriegsverbrecher mark an 103 Todesurteilen mitwirkte und 1952 einige Monate lang Leiter und dann bis 1958, wie Dreher, als des Referats „Zwangsvollstreckung“ Ministerialdirigent im BMJ tätig war; im Bundesjustizministerium in Bonn.
22 Letztlich galt die Weiterbeschäftigung 4. Amnestie und Verjährung ehemaliger Nationalsozialisten jedoch für den gesamten Öffentlichen Dienst. Das Bemühen um Integration und Der Parlamentarische Rat hatte sogar Aussöhnung, wenn nicht sogar um eigens den Artikel 131 in das Grund- Vergebung und Vergessen, zeigte sich gesetz eingefügt, der den künftigen ebenfalls in den Fragen von Amnestie Gesetzgeber verpflichtete, die Wieder- und Verjährung. So setzten sich bereits einstellung früherer Angehöriger des kurz nach dem Ende der Nürnberger Öffentlichen Dienstes zu regeln. Der Prozesse politische, kirchliche und Bundestag kam dieser Aufforderung andere gesellschaftliche Kreise für eine 1950 mit einem Gesetz nach, das mit umfassende Amnestierung verurteilter allen Stimmen des Parlaments – bei nur NS-Täter ein. Damit sollte das als zu hart zwei Enthaltungen – verabschiedet und einseitig empfundene Vorgehen der wurde und allen öffentlich Bediensteten Alliierten gegen breite Bevölkerungs- aus der Zeit vor 1945 grundsätzlich die schichten in Deutschland ausgeglichen Eingliederung in den Öffentlichen werden. Zu denjenigen, die für eine Dienst der Bundesrepublik ermöglichte. schrittweise Amnestierung votierten, Die Nutzung der Funktionseliten, auch zählte nicht zuletzt der erste Bundes- wenn sie einen hohen Belastungsgrad justizminister Thomas Dehler (FDP). Bis aufwiesen, war also politisch gewollt, 1958 wurden daher fast alle Verurteilten, weil von ihnen, wie man meinte, nicht denen NS-Verbrechen zur Last gelegt nur das Funktionieren des neuen Staates wurden, begnadigt und freigelassen. abhing, sondern weil man davon auch eine Integrationswirkung erwartete, Auch die Möglichkeit der Verjährung die, anders als in der Weimarer Repub- wurde frühzeitig diskutiert, wobei die lik, wesentlich zur inneren Stabilität der Verjährungsdebatte aber teilweise durch Bundesrepublik beitragen sollte. die sogenannte „kalte Verjährung“ unterlaufen wurde, bei der die Ver- jährung eintrat, noch ehe es, wie im „Die Nutzung der Funktionseliten war Verfahren gegen das Personal des politisch gewollt.“ Reichssicherheitshauptamtes 1968/69, zum Prozess kam. Von Bedeutung war hier insbesondere das schon erwähnte Einführungsgesetz zum Ordnungs widrigkeitengesetz vom 24. Mai 1968,
23 durch das im Ergebnis zahllose Beihilfe- Rechtsstaat auf der Grundlage des taten rückwirkend verjährt waren. Grundgesetzes trotz der Einbindung Tausende von Tätern, gegen die bereits alter Eliten in der Bundesrepublik Strafverfahren eingeleitet waren oder gelungen ist und dass der Übergang gegen die Verfahren hätten eröffnet vom nationalsozialistischen Unrechts- werden müssen, gingen damit straffrei regime zu einer freien und offenen aus. Im Gegensatz dazu erfolgte die Gesellschaft sich offenbar rasch und Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen scheinbar mühelos vollzog. nicht pauschal und einheitlich, weil Bundesjustizminister Dehler, aber auch Eine Erklärung dafür ist die Tatsache, die meisten seiner Nachfolger und weite dass Justiz, Justizverwaltung und Teile des Justizapparates hier eine Einzel- Ministerialbürokratie nach 1949 an fallentscheidung für erforderlich hielten, Traditionen anknüpfen konnten, die zwar um, wie sie erklärten, die „Rechtssicher- vorübergehend massiv außer Kraft heit“ zu wahren, die allerdings bei den gesetzt, aber keineswegs völlig verschüttet Fragen von Amnestie und Verjährung waren. Dabei spielte nicht zuletzt das kein entscheidendes Argument gewesen Bundesverfassungsgericht eine Rolle, das war. Viele Opfer des NS-Unrechts- sich als geeigneter Hüter der Verfassung regimes wurden daher nur zögerlich erwies. Eine Verbindung zur positiven rehabilitiert und entschädigt. Für nicht Tradition der deutschen Rechts- und wenige kam die Rehabilitierung zu spät; Justizgeschichte stellte auch der ameri- sie waren bereits verstorben. kanische Hauptankläger im Nürnberger Juristenprozess, Telford Taylor, her, der in Allerdings muss auch gefragt werden, seiner Eröffnungserklärung am 5. März warum die Bundesrepublik trotz aller 1947 zwar den Angeklagten vorwarf, sie Belastungen, die es im Justizbereich wie hätten den „deutschen Tempel des in vielen anderen Sektoren von Politik, Rechts“ entweiht und Deutschland der Wirtschaft und Gesellschaft gab, einen Diktatur ausgeliefert, „mit all ihren bemerkenswerten Grad an innerer Methoden des Terrors und ihrer zyni- Stabilität und demokratischer Substanz schen und offenen Verweigerung der erlangte – anders als die Weimarer Herrschaft des Rechts“, der aber anderer- Republik, deren Justiz ebenfalls dafür seits den historischen Leistungen bekannt war, „auf dem rechten Auge der deutschen Justiz Respekt zollte und blind“ zu sein. Fest steht jedenfalls, dass forderte, dieser „Tempel des Rechts“ der Umbau zu einem demokratischen müsse „wieder geweiht werden“.24
24 5. Die Taten und ihre Täter Wie ist ein Berufsstand wie derjenige des Juristen zu bewerten, der hauptsäch- Die Forderung Taylors wurde bekannt- lich vom Schreibtisch aus tätig wurde lich erfüllt. Doch der gelungene Neu- und dabei hinter der Maske vermeint- beginn nach 1949 kann nicht darüber lich loyaler Gesetzesanwendung agierte? hinwegtäuschen, dass die großzügige Und was ist dann unter „NS-Belastung“ Wiedereingliederung belasteter Juristen zu verstehen? in die deutsche Justiz und Justiz verwaltung auch zu einer Verhinderung Die sogenannte „Täterforschung“ hat der Aufarbeitung des justiziellen NS- sich mit diesen Fragen bereits ausgiebig Terrors führte. Das plastisch als beschäftigt und drei Phasen in der „Krähenjustiz“ umschriebene Vorgehen Betrachtung der Täter unterschieden: der Juristen, sich untereinander kein In der unmittelbaren Nachkriegszeit Auge auszuhacken, war nur durch die und in den 1950er Jahren galten prak- vorgeschobene Selbstrechtfertigung tisch nur die SA sowie Gestapo und SS möglich, dass man vor 1945 „anständig“ als Haupttätergruppen, deren Schläger geblieben sei und seine juristischen und Mörder als „blutrünstige Exzess- Fähigkeiten eingesetzt habe, um täter“ mit niederen Instinkten und „Schlimmeres“ zu verhindern. Bei Unterschichtenhintergrund diabolisiert nüchterner Betrachtung ist zwar schwer und aus der Gesellschaft ausgegrenzt vorstellbar, wie es noch schlimmer hätte wurden.25 kommen können – was also genau von den „anständig Gebliebenen“ verhindert Nach dem Prozess gegen Adolf Eichmann wurde. Dennoch setzte sich der Mythos 1961 in Jerusalem änderte sich diese vom Handeln nach bestem Wissen Sichtweise. So erschienen Hitlers „Todes- und Gewissen und der untergeordneten fabriken“ und der Holocaust seit den Rolle der Juristen als bloße „Gehilfen“ 1960er Jahren zunehmend als gesichts- im Räderwerk des NS-Regimes schon loser, industrialisierter Massenmord, bald nach 1945 durch und wirkte noch initiiert und befördert von abstrakten in der Rechtsprechung der 1960er Jahre Institutionen und Strukturen, hinter beharrlich fort. denen die Persönlichkeiten der Mörder kaum noch erkennbar waren.26 Erst in Doch wer waren überhaupt die „Täter“ der dritten Phase, die in den 1990er und welche Schuld lässt sich dem Einzel- Jahren mit Christopher Brownings nen bei den jeweiligen Taten zumessen? grundlegender Studie Ganz normale
25 Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 an den Mordaktionen im Osten beteiligt und die „Endlösung“ in Polen sowie mit gewesen waren.29 Die Debatte, die sich der Debatte über Daniel Goldhagens darüber entspann, war insofern hilf- Buch Hitlers willige Vollstrecker begann27, reich, als sie einer breiten Öffentlichkeit wurde gefragt, welche Akteure sich die Augen dafür öffnete, wie unmöglich eigentlich hinter den Verbrechen ver- es war, den Täterkreis auf eine schmale bargen: „Ganz normale Männer“, wie Schicht fanatischer Nationalsozialisten Browning meinte, ein ganzes Volk als zu begrenzen. Täterkollektiv mit einem spezifisch deutschen Antisemitismus, wie Gold Alles in allem lassen sich die Ergebnisse hagen behauptete, oder, wie Karin Orth, der Täterforschung dahingehend Michael Wildt und Klaus-Michael zusammenfassen, dass diejenigen, die Mallmann erklärten, neben den „Welt- NS-Verbrechen begingen, keineswegs nur anschauungseliten“ aus den Reihen der „gehorsame und willenlose Exekutoren Nationalsozialisten auch das „Fußvolk einer Weltanschauung“ und „gefühllose der Endlösung“: die zahllosen Vertreter Befehlsautomaten“ waren, sondern ziviler Verwaltungen und einheimischen Personen, die aus der Mitte der Gesell- Kollaborateure, die gemeinsam die schaft kamen: aus allen Bevölkerungs- Mordmaschinerie bedienten.28 schichten und oft mit überdurchschnitt- lichem Bildungshintergrund. Und sie Einen wichtigen Beitrag zu dieser waren keineswegs nur männlichen Erforschung der Täterfrage leisteten Geschlechts.30 Natürlich gab es unter auch zwei Wanderausstellungen des ihnen unterschiedliche Typen: Weltan- Hamburger Instituts für Sozialforschung schauungstäter, Exzesstäter, utilitaris- 1995 bis 1999 und 2001 bis 2004, in tisch motivierte Täter, Schreibtischtäter, denen die Verbrechen der Wehrmacht, traditionelle Befehlstäter. Aber, so das vor allem im Krieg gegen die Sowjet- Fazit von Gerhard Paul, union, thematisiert wurden. Nachdem die Wehrmacht bisher, wie das Aus- wärtige Amt, zumeist als ein Hort der „keine Alterskohorte, kein soziales und „unpolitischen Neutralität“ geschildert ethnisches Herkunftsmilieu, keine worden war, der mit den Untaten der Konfession, keine Bildungsschicht erwies Nationalsozialisten angeblich nichts zu sich gegenüber der terroristischen tun gehabt hatte, wurde hier nun auf- Versuchung als resistent“.31 gezeigt, dass auch die einfachen Soldaten
26 Eine besondere Rolle spielten indessen Eine weitgehende Segmentierung die „Funktionseliten“, zu denen ebenfalls der Verantwortlichkeiten, routinierte die Juristen zählten und die in ihrer Verwaltungsabläufe – selbst beim großen Mehrheit die Verbrechen des „Verwaltungsmassenmord“ (Hannah NS-Regimes nicht nur deckten und Arendt) an den Juden oder an den Sinti billigten, sondern die an ihnen auch und Roma – und der Rückzug auf einen „auf die eine oder andere Weise“ vermeintlich moralfreien „Effektivi beteiligt gewesen waren.32 Ihr professio- tätsstandpunkt“ (Eberhard Kolb) nelles „Mittun“ und „häufig von Nütz- erleichterten ihnen ihr Verhalten. lichkeitserwägungen und Zweck- Vielfach kamen auch Antisemitismus, orientierungen bestimmtes Verhalten“ Autoritätsgläubigkeit und Gruppen- sei indessen, so Gerhard Hirschfeld, druck oder, dies vor allem, Karriere- durchaus ambivalent gewesen: Wäh- absichten hinzu. All dies relativiert rend viele von ihnen im privaten nicht die Schuld der Funktionseliten, Umgang eine „persönliche Distanz zum trägt aber zur Erklärung bei, warum die NS-Regime und seinen Protagonisten, Täter sich später von ihren Taten insbesondere gegenüber der Person scheinbar mühelos zu distanzieren Hitlers“ erkennen ließen, hätten sie vermochten. gleichwohl „keinen oder nur einen geringen Widerspruch“ darin gesehen, Wenn es also um das Kriterium der „durch ihr Engagement und die „NS-Belastung“ geht, die nach 1949 bei schiere Professionalität ihres Handelns der Wiederverwendung ehemaliger das Regime und seine verbrecherische Funktionseliten in der Bundesrepublik Politik zu stützen – oder sogar zu zu bewerten ist, darf nicht nur die befördern“.33 Sie waren, wie die Mehr- Zugehörigkeit zu einer nazistischen zahl der NS-Funktionäre, weder ideo- Organisation eine Rolle spielen, die für logisierte Exzesstäter noch skrupellose sich genommen noch nicht allzu viel Massenmörder, „gelegentliche Zweifel besagt. Vielmehr muss das konkrete an ihrem Tun und mitunter sogar der Verhalten während des „Dritten Reiches“ partielle Dissens zur Staatsführung“ betrachtet werden, das Aufschluss waren ihnen keineswegs fremd.34 Und darüber geben kann, wie sich ein ganzer dennoch taten sie, was sie taten, und Berufsstand vor den Karren eines hatten damit großen Anteil an den verbrecherischen Regimes spannen Verbrechen des Regimes, das ohne sie ließ, und das Max Frisch schon 1948 gar nicht handlungsfähig gewesen wäre. ratlos fragen ließ:
27 6. Probleme der Transformation „Wenn Menschen, die eine gleiche nach 1945 Erziehung genossen haben wie ich, die gleiche Worte sprechen wie ich und Der Übergang vom „Dritten Reich“ zur gleiche Bücher, gleiche Musik, gleiche Bundesrepublik war eine Zeit des Gemälde lieben wie ich – wenn diese Neubeginns, aber auch der Kontinuität. Menschen keineswegs gesichert sind Der Bereich der Justiz bildete hierbei, vor der Möglichkeit, Unmenschen wie schon gesagt, keine Ausnahme. Dies zu werden und Dinge zu tun, die wir den galt für die Staatsanwaltschaften und Menschen unsrer Zeit, ausgenommen Gerichte ebenso wie für die akademi- die pathologischen Einzelfälle, vorher sche Ausbildung des juristischen Nach- nicht hätten zutrauen können, woher wuchses an den Universitäten und nicht nehme ich die Zuversicht, dass ich davor zuletzt für das Bundesministerium der gesichert sei?“35 Justiz selbst. Am Beispiel des BMJ lässt sich die Doppelgesichtigkeit sogar besonders gut beobachten: Die Minister, Die vielleicht einzig mögliche Antwort Staatssekretäre und Ministerialbeamten auf diese selbstzweifelnde Frage hat wirkten am Aufbau der freiheitlich- vermutlich die Journalistin und Autorin demokratischen Ordnung der Bundes- Inge Deutschkron in einer Feierstunde republik und an der Entwicklung des des Deutschen Bundestages gegeben, neuen Rechtsstaates mit. Aber ihre als sie am 30. Januar 2013 zur Erinnerung Tätigkeit war in vielerlei Hinsicht mit an den Holocaust erklärte, es gelte, der Hypothek der nationalsozialis tischen Unrechtsjustiz belastet. Die Aufbauphase nach 1949 war deshalb in „die Wahrheit zu wissen, die ganze Wahr- der Erinnerung der Mitarbeiter auf heit. Denn solange die Frage Rätsel der Rosenburg eine zwar arbeitsreiche, aufgibt, wie konnte das Fürchterliche aber auch erfolgreiche Zeit, in der sie geschehen, ist die Gefahr nicht gebannt, mit großem persönlichen Einsatz und dass Verbrechen ähnlicher Art die unermüdlichem Engagement an der Menschheit erneut heimsuchen.“36 Formulierung der Gesetze – teilweise auch an deren kommentierender Aus- legung – und damit an der inneren Ausgestaltung der neuen Demokratie mitwirkten. Von außen betrachtet,
28 besaß „die Rosenburg“ ebenfalls einen 7. Die Personalentwicklung im BMJ guten Ruf: Der ministerielle Apparat von 1949 bis 1973 galt als kenntnisreich und erfahren. Die Beamten waren Spitzenkräfte ihres Mit 67 planmäßigen Beamtenstellen Faches mit großem Renommee. Sie war das Bundesministerium der Justiz berieten die Politik und trugen mit bei seiner Errichtung 1949 das kleinste ihren technisch meist grundsoliden Bundesministerium. Am Ende des Gesetzentwürfen maßgeblich dazu bei, Untersuchungszeitraums 1973 waren es den politischen Willen in abstrakte zwar schon 250 Stellen, aber damit war Rechtssätze zu gießen und ihn damit es immer noch ein sehr kleines Haus.37 im parlamentarischen Verfahren durch- Die Unabhängige Kommission, die 2012 setzbar zu machen. mit der Untersuchung der NS-Belastung beauftragt wurde, konzentrierte sich Aber diese vordergründige Erfolgs- in ihren Forschungen hingegen auf das geschichte hatte auch eine Kehrseite: Als Leitungspersonal: Abteilungsleiter, Bundesjustizminister Thomas Dehler und Unterabteilungsleiter und Referatsleiter Staatssekretär Walter Strauß das neue (seinerzeit hießen sie noch Referenten), Bundesjustizministerium 1949 sachlich während bei den damals sogenannten und personell aufbauten, taten sie dies Hilfsreferenten (heute Referenten) ein in Anlehnung an Strukturen des früheren häufiger Wechsel stattfand, da es sich in Reichsjustizministeriums. Zugleich der Mehrzahl um Personen handelte, übernahmen sie zahlreiche Mitarbeiter, die nur für einen Zeitraum von zwei bis die teilweise schon vor 1933 im Justiz- vier Jahren aus den Ländern abgeordnet dienst tätig gewesen waren, vielfach aber waren; diese Gruppe wurde deshalb erst im „Dritten Reich“ ihre Karriere nicht in die Untersuchung einbezogen. gemacht hatten. Das Bundesministerium der Justiz war deshalb von vornherein in Insgesamt wurden 258 Personalakten personeller Hinsicht belastet. Der Grad eingesehen, wobei sich die Auswertung der Belastung nahm in den führenden auf die bis 1927 geborenen Mitarbeiter – Positionen der Abteilungen und Referate rund 170 – konzentrierte, die bei Kriegs- aufgrund von Beförderungen bis in ende 1945 mindestens 18 Jahre alt waren, die späten 1950er Jahre hinein sogar ihre Schulzeit im nationalsozialistischen noch zu und wurde erst seit den 1960er Deutschland absolviert hatten, in Jahren allmählich geringer, wie sich an NS-Jugendorganisationen aktiv gewesen der Personalentwicklung ablesen lässt. sein konnten und in der Regel beim
29 Arbeitsdienst und bei der Wehrmacht und Kriegsdienst einschließlich der gewesen waren. Das Hauptinteresse galt Rekrutierungsdaten und militärischen aber denjenigen Personen, die bereits Auszeichnungen und gegebenenfalls das im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts Datum der Rückkehr aus der Kriegs- geboren waren. Sie hatten ihre juristische gefangenschaft verzeichnet. Schließlich Ausbildung vor dem Krieg abgeschlossen machen die Personalakten ebenfalls und waren schon im Nationalsozialis- Angaben zur Entnazifizierung und zu mus als Juristen tätig, bevor sie nach den Spruchkammerverfahren sowie zu 1945 in die Landesjustizverwaltungen der Kategorie, in welche die Betroffenen oder die alliierten Zonenverwaltungen eingeordnet wurden. Diese Angaben und schließlich in das Bundesminis lassen Rückschlüsse sowohl auf die terium der Justiz gelangten. Qualifikation der Mitarbeiter als auch auf ihre NS-Belastung im formellen Aus den Personalakten ergeben sich Sinne einer Mitgliedschaft und im jeweils die Prüfungsleistungen im Sinne von Aktivitäten innerhalb der ersten und zweiten juristischen Staats- NS-Organisationen zu. Auch eine examen sowie das Datum und die Note frühere juristische Tätigkeit der unter- einer möglichen Promotion. Auf- suchten Personen, vor allem eine Tätig- gelistet sind der berufliche Werdegang keit im Reichsjustizministerium (RJM), vor Eintritt in das Bundesjustiz- kann für die Bewertung relevant sein. ministerium und Beförderungen im Für die Rekrutierungspolitik des frü- Haus oder außerhalb des Hauses, etwa hen Bundesjustizministeriums ist zum Bundesrichter am Bundesgerichts- außerdem von Belang, wie der Wieder- hof (BGH). Von besonderem Interesse einstieg in die Justiz zwischen 1945 und war die Nennung von Mitgliedschaften 1949 gelang. in der NSDAP, ihren Gliederungen oder angeschlossenen Verbänden wie Wenn Minister Dehler und Staats- SA, Nationalsozialistisches Kraftfahr- sekretär Strauß behaupteten, die fach- korps (NSKK), Nationalsozialistisches liche Qualifikation sei für die Aufnahme Fliegerkorps (NSFK) oder, für Juristen in den ministeriellen Dienst das aus- besonders relevant, im National- schlaggebende Kriterium gewesen, so sozialistischen Rechtswahrerbund wird dies durch die Akten belegt. (NSRB). Neben diesen Mitgliedschaften Von den 170 Personen, die für diese sind aber auch Ämter, etwa dasjenige Untersuchung näher betrachtet wurden, eines Blockleiters, sowie Arbeits-, Wehr- waren 155 Volljuristen, von denen
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