Ende der Gewissheiten - Das transatlantische Bündnis steht vor großen Herausforderungen - Konrad-Adenauer-Stiftung

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Ende der Gewissheiten - Das transatlantische Bündnis steht vor großen Herausforderungen - Konrad-Adenauer-Stiftung
Quelle: © Ints Kalnins, Reuters.
                             Multilateralismus

      Ende der Gewissheiten
     Das transatlantische Bündnis steht vor großen Herausforderungen

                              Philipp Dienstbier

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Ende der Gewissheiten - Das transatlantische Bündnis steht vor großen Herausforderungen - Konrad-Adenauer-Stiftung
Die N
    ­ ATO trägt den Multilateralismus in ihrer D
                                               ­ NA. Gerade dessen
Prinzipien stehen jedoch gegenwärtig unter Druck. In diesem
schwierigen Umfeld muss die Allianz eine Reihe interner und exter-
ner Herausforderungen bewältigen, angefangen von einer faireren
Lastenverteilung über die Stärkung ihres europäischen Pfeilers bis
hin zu einer effektiveren Bündnisverteidigung.

Die internationale Gemeinschaft erlebt seit eini-         Um diesen Wandel zu meistern, muss die N  ­ ATO
 gen Jahren das Ende multilateraler Gewissheiten,         eine Reihe von Herausforderungen ins Auge
 gerade auch in Bezug auf die transatlantische            fassen. Deutschland und die europäischen Ver-
 Sicherheitsarchitektur. Seit über 70 Jahren bildet       bündeten sollten ihre Verteidigungsausgaben
 die N­ ATO das Rückgrat der Friedensordnung              erhöhen und die gegenseitige Ergänzung von
 in Europa und Nordamerika. Dabei baut sie auf           ­NATO- und EU-Fähigkeiten fördern, um die
 festen multilateralen Prinzipien auf, welche nun         europäische Komponente im Bündnis zu stärken.
 vermehrt unter Druck geraten – ausgerechnet von          Die Allianz als Ganzes muss den Aufstieg rivali-
 Seiten der U­ SA, welche die Nordatlantikallianz         sierender Großmächte, insbesondere Russlands,
 zu Anfang des Kalten Krieges maßgeblich aus              konterkarieren, indem es Schlüsselfähigkeiten
 der Taufe gehoben hatten. Die Äußerungen des             zur Bündnisverteidigung, einschließlich der
 amerikanischen Präsidenten Donald Trump stel-            nuklearen Abschreckung, festigt und gleichzei-
 len dabei grundlegende multilaterale Prinzipien          tig Dialogangebote an Moskau aufrechterhält.
 des Bündnisses infrage. So sät er beispielsweise        Außerdem muss sich das Bündnis seine Wand-
 Zweifel an der Unteilbarkeit der Sicherheit der          lungsfähigkeit erhalten, indem es auch zukünftige
­NATO-Mitgliedstaaten und legt das Prinzip der            unkonventionelle Sicherheitsbedrohungen, wie
 Reziprozität zwischen Verbündeten fälschlicher-          die Auswirkungen von Pandemien, durch gezielte
 weise als transaktionale Kompensation aus. Mit           Unterstützung der Mitgliedstaaten meistert.
 dieser Rhetorik erschütterte Trump das Bündnis
 und löste eine politische Debatte über die Zukunft      Die N
                                                             ­ ATO als Paradebeispiel für
 der ­NATO aus.                                          multilaterale Kooperation

Jedoch ist Trump weniger Ursache als Sym-                Die ­NATO verkörpert die Grundwerte des Multi-
 bol für eine grundlegende Umorientierung                lateralismus wie wenige andere Organisationen.
 der Vereinigten Staaten, welche bereits jetzt           Eine multilaterale Organisation ist die N  ­ ATO
weitreichende Konsequenzen für die Allianz               insbesondere, da sie auf gemeinsame Verein-
 hat und sich unabhängig von Trump fortset-              barungen sowie definierte Regeln aufbaut, wel-
 zen wird. Angesichts der stärkeren amerikani-           che von den qualitativen Wertvorstellungen des
 schen Fokussierung auf den indopazifischen              Multilateralismus, insbesondere den Prinzipien
Raum und der sich zuspitzenden Konkurrenz                der Unteilbarkeit sowie der Reziprozität, geleitet
 zwischen den U ­ SA und China verringern die            werden.1
Vereinigten Staaten ihr Engagement in der euro-
 päischen Arena und erwarten daher größere               Das Prinzip der Unteilbarkeit als Grundlage des
Beiträge durch europäische ­NATO-Mitglieder              Multilateralismus sieht eine inklusive Ordnung
 zur Sicherung des Friedens in Europa und in             für die betreffenden Staaten vor, in der Akteure
 seiner Nachbarschaft. Die Auswirkungen der              gleichrangig behandelt werden. Einem System
­COVID-19-Pandemie werden diese grundsätz-               kollektiver Verteidigung wie der ­NATO ist die-
 liche Verschiebung innerhalb der N­ ATO wahr-           ser Grundwert in die ­DNA geschrieben. Arti-
 scheinlich noch weiter beschleunigen.                   kel 5 des Washingtoner Vertrages, in dem die

Multilateralismus – Steht die internationale Ordnung vor der Zerreißprobe?                              45
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Vertragsparteien einen Angriff auf eines oder meh-      Dennoch existieren multilaterale Organisati-
rere Mitglieder als Angriff auf alle werten, stellt     onen wie die ­NATO nicht als Selbstzweck. Sie
in diesem Sinne heraus, dass die N ­ ATO Frieden        sind dort sinnvoll, wo sie effektiver globale
und Sicherheit in Europa und Nordamerika als            oder regionale Gemeinschaftsgüter bereitstel-
unteilbar betrachtet – kein Mitgliedstaat kann im       len, als dies ein einzelner Staat könnte. Dies
Frieden sein, wenn sich andere im Krieg befinden.2      ist oft davon bestimmt, dass die Antworten auf
                                                        Herausforderungen von globalem Ausmaß nur
                                                        durch internationale Zusammenarbeit gefunden
     Das Prinzip der Reziprozität                       werden können. Das trifft in besonderem Maße
     schafft in der NATO einen                          auf das durch die ­NATO erbrachte Gemein-
                                                        schaftsgut – Frieden und Sicherheit – zu, wel-
     Mehrwert, der allen Mit­
                                                        ches gerade kleinere oder mittelgroße Länder
     gliedern zugutekommt.                              wie Deutschland unilateral kaum im gleichen
                                                        Maße bereitstellen könnten. Erst durch Koope-
                                                        ration mit gleich­gesinnten Nachbarstaaten wird
Die Allianz ist auch auf dem Prinzip der Rezi-          dies möglich.6
  prozität aufgebaut, welches multilateralen
Kooperationsmechanismen zugrunde liegt.                 Die rhetorische Abkehr Trumps
­NATO-Mitgliedstaaten sichern anderen Alliierten        von der ­NATO
  ihre Unterstützung zu und profitieren im Gegenzug
  von deren Beistand. Dabei ist die Beistandsver-       Die ­NATO und ihr Auftrag stehen daher in
  pflichtung aus Artikel 5 nicht an ein Quidproquo,     besonderem Maße für die Prinzipien des Mul-
  also nicht an transaktionale Gegenleistungen,         tilateralismus. Ihre gegenwärtige Krise und die
  geknüpft. Vielmehr ist die Idee kollektiver Vertei-   elementaren Herausforderungen, denen sich das
  digung von der Überzeugung geleitet, dass sich        Bündnis heute ausgesetzt sieht, sind zu einem
  über einen längeren Zeitraum ein gleichwertiger       gewissen Grad auch Zweifeln an diesen Wertvor-
 Nutzen für alle Beteiligten einstellt. Dieser wird     stellungen geschuldet. Diese werden gegenwär-
  nicht etwa an einer direkten Kompensierung für        tig insbesondere von Seiten des US-Präsidenten
  die Verteidigung von Alliierten gemessen. Statt-      mit konfrontativer Rhetorik infrage gestellt.
  dessen schafft das Prinzip der Reziprozität in der
 ­NATO einen generellen Mehrwert, der letztend-         Beispielhaft für die Zweifel an Bedeutung und
  lich allen Mitgliedern des Systems kollektiver Ver-    Mehrwert des Bündnisses stehen dabei die Kom-
  teidigung zugutekommt.                                 mentare Präsident Trumps aus dem Wahlkampf
                                                        2016 und den ersten Jahren seiner Präsidentschaft.
Zudem ist die ­   NATO keine isolierte, zufäl-          Vor dem Hintergrund seiner früheren Äußerun-
lige Ansammlung von Mitgliedern. Sie bleibt –            gen, die N­ ATO sei „obsolet“, rief er besondere
zumindest mehrheitlich – ein Bündnis aus freien,         Sorgen hervor, als er während seines ersten
demokratischen Staaten mit eindeutigem Werte-           ­NATO-Gipfels in Brüssel 2017 eine erwartete
kompass,3 die sich in dem N  ­ ATO-Vertragswerk          Bekräftigung der Beistandsverpflichtung aus
der Demokratie, der individuellen Freiheit und          Artikel 5 in seiner Rede ausließ.7 Das damalige
der Rechtsstaatlichkeit verschrieben haben. Die         Auslassen säte somit Zweifel am oben genannten
Allianz ist zudem fest eingebettet in die internatio­    Grundprinzip der Unteilbarkeit, welches zur mul-
nale, regelbasierte Ordnung. So bekräftigen die          tilateralen ­DNA der Allianz zählt. Es schien, als
Vertragsparteien in der Präambel des Washing­            wollte der US-Präsident nicht mehr anerkennen,
toner Vertrages „ihren Glauben an die Ziele und          dass ein Angriff auf ein ­NATO-Mitglied ein Angriff
Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen“.4          auf alle und die Sicherheit des Bündnis­gebietes
Insgesamt wird in den lediglich 14 Artikeln des          somit unteilbar sei. Stattdessen versuchte er, die
Vertrages ganze sechs Mal auf die VN Bezug               Sicherheit der Vereinigten Staaten von derjenigen
genommen.5                                               Europas und Kanadas abzugrenzen.

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Gemeinsame Übungen: Ein Angriff auf einen oder mehrere Mitgliedstaaten der NATO wird als Angriff auf alle
gewertet. Quelle: © Stoyan Nenov, Reuters.

Weiterhin kritisierte der US-Präsident immer              Teilen abgemildert. So zog er beispielsweise
wieder die Kosten, welche den U   ­ SA durch die          seine anfängliche Aussage, die ­NATO sei „obso-
Verteidigung von ­NATO-Alliierten entstünden.8            let“, zurück und bekannte sich später zur ameri-
So forderte er 2017, „die Vereinigten Staaten             kanischen Beistandsverpflichtung unter Artikel
müssen mehr für die mächtige und sehr teure               5. Dennoch hat der US-Präsident nach Aussa-
Verteidigung, die sie für Deutschland bereit-             gen seines Umfelds seine grundlegende Skepsis
stellen, bezahlt werden“.9 Auch andere Mit-               gegenüber der Allianz mitnichten abgelegt, son-
gliedstaaten wurden wiederholt von Trump                  dern immer wieder im Privaten den Willen geäu-
dahingehend kritisiert, wenngleich der US-Prä-            ßert, aus der ­NATO aussteigen zu wollen, da er
sident aus handelspolitischen Gründen einen               keinen Sinn und Zweck im Bündnis erkenne, son-
besonderen Fokus auf Deutschland legt. Dabei              dern dieses als Belastung für die ­USA betrachte.11
offenbart sich Trumps transaktionales Verständ-
nis von Allianzen, indem er ein direktes Quidpro-         Amerikanische Beiträge zur
quo, einen unmittelbaren Gegenwert, einfordert.           Nordatlantikallianz
Dies widerspricht jedoch grundlegend dem
zuvor erläuterten Prinzip der Reziprozität, wie           Die Zweifel des US-Präsidenten am Mehrwert
es Bestandteil multilateraler Kooperationen ist.10        der N
                                                              ­ ATO schlagen sich bisher eher in seiner
                                                          Rhetorik denn in konkreter amerikanischer
Zwar hat Trump – nicht zuletzt auf Betreiben              Politik nieder. Dies liegt daran, dass unabhän-
einflussreicher Beraterinnen und Berater – diese          gig von Trump in Washington D. C. ein breiter
kritische Rhetorik im Laufe seiner Amtszeit in            außen­politischer Konsens besteht, der von der

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Wertigkeit der ­NATO überzeugt ist und das aktive       insgesamt drei Gesetze eingebracht, die einen
Mitwirken der Vereinigten Staaten im Bünd-              Austritt der ­USA aus der Nordatlantikallianz ver-
nis fortsetzen will. Dieser Konsens wird vom            hindern oder erschweren sollen.14
Verteidigungs- sowie Außenministerium und
von der präsidentiellen Bürokratie im Weißen            Dennoch kommt dem US-Präsidenten eine
Haus, insbesondere dem Sicherheitsrat, getra-           gewichtige Rolle bei der Gestaltung der amerika-
gen. Außerdem spiegeln dies die wichtigsten             nischen Außen- und Sicherheitspolitik zu. Seine
amerikanischen Strategiedokumente wie die               grundlegende Skepsis an dem Vorteil internati-
Nationale Sicherheitsstrategie von 2017 sowie           onaler Verträge hat bereits zu dem (angekün-
die Nationale Verteidigungsstrategie und die            digten) Austritt der ­USA aus verschiedenen
Nuklear­strategie von 2018 wider.12                     sicherheitspolitischen Abkommen, wie dem
                                                        Joint Comprehensive Plan of Action (­JCPOA),
                                                        dem ­INF-Vertrag und dem Vertrag über die
     Mittelfristig ist damit zu rechnen,                offenen Himmel, geführt.15 Dass die fortbe-
     dass die US-Regierung von                          stehenden Zweifel an der N  ­ ATO früher oder
                                                        später reale politische Konsequenzen haben,
     Europa eine größere Über­
                                                        bleibt weiterhin ein ernstzunehmendes Risiko.
     nahme von Verantwortung                            Das erratische Verhalten des Präsidenten macht
     erwarten wird.                                     den Zeitpunkt, an dem die Rhetorik irreversible
                                                        Konsequenzen haben könnte, zusätzlich schwer
                                                        vorhersehbar.

Dies erklärt auch, dass die finanziellen und            Insgesamt sind Trumps geringere Bereitschaft zur
  militärischen Leistungen der ­USA zur Rückver­        Lastenübernahme innerhalb der N   ­ ATO und seine
  sicherung der europäischen N­ ATO-Partnerländer       Weigerung, eine Führungsrolle im Bündnis anzu-
  auch nach der Wahl Trumps lange konstant blie-         nehmen, ohnehin keine neuen Phänomene. Zwar
  ben oder sogar anstiegen. So wurden die zur            ist beispiellos, dass mit Trump ein US-Präsident
Rückversicherung und Verteidigung europäischer           erstmalig die Forderung nach einer ausgegliche-
Partner aufgewandten Mittel in den letzten fünf          nen Kostenteilung mit der Sicherheitszusage der
Jahren von unter einer Milliarde (2015) auf ca.         ­USA an andere N    ­ ATO-Staaten verknüpft. Die
  5,9 Milliarden US-Dollar (2020) stark erhöht.         Äußerungen müssen aber im Kontext eines teil-
Die entsendeten und stationierten amerikani-             weisen Zurücktretens der Vereinigten Staaten
  sche Streitkräfte in Europa wurden weitgehend         von ihrer Rolle als uneingeschränkter Garant für
  konstant gehalten (70.200 Soldaten in 2013;            Sicherheit in Europa, der bereits unter Ex-Prä-
73.000 in 2018). Die im Juni 2020 angekündigte           sident Barack Obama angestoßenen Orientie-
Heimbringung von 6.400 US-Soldaten im Zuge               rung hin zum pazifischen Raum sowie dem sich
  des Abzugs aus Deutschland wird im Gegen-             verstärkenden geopolitischen Wettbewerb mit
  zug durch die Entsendung von rotierenden               China gesehen werden. Trotz der bisher größten-
 US-Truppen nach Europa zumindest teilweise              teils konstanten Beiträge der U
                                                                                       ­ SA ist mittelfristig
  wieder ausgeglichen. Außerdem führen die ­USA          damit zu rechnen, dass die US-­Regierung – egal
  eine der vier multinationalen Kampfgruppen             ob unter Trump oder einem möglichen demokra-
  an der Ostflanke des Bündnisses und nehmen             tischen Präsident Joe Biden – von ihren europä­
  aktiv an ­NATO-Übungen teil.13 Auch eine über-         ischen Verbündeten eine größere Übernahme von
  parteiliche Mehrheit im Kongress trägt diesen         Verantwortung erwarten wird.
Konsens mit und versucht, die Anbindung der
 ­USA an die ­NATO zu erhalten. So wurde die            Dass die Ausbreitung der C
                                                                                 ­ OVID-19-Pandemie
­NATO-Beobachtergruppe des Senats, die als Bin-         die Vereinigten Staaten weltweit am stärksten
  deglied zur Allianz dienen soll, reaktiviert. Beide   getroffen hat und neben immensen menschli-
 Kammern des Kongresses haben außerdem                  chen Kosten auch gravierende wirtschaftliche

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Auswirkungen nach sich zieht, wird diesen                absehbar begrenzt bleiben. Europa bleibt bei
Trend weiter verstärken. Zwar sind US-Verteidi-          einer Reihe konventioneller militärischer Fähig-
gungsausgaben aufgrund des hohen Stellenwer-             keiten hochgradig abhängig von Amerika. Dies
tes, welcher in der amerikanischen Politik der           gilt insbesondere für Kernbereiche der Luft-
verteidigungspolitischen Handlungsfähigkeit              kampfführung, bei der die Vereinigten Staa-
beigemessen wird, traditionell weniger stark kon-        ten als einziges Bündnismitglied mit der F-22
junkturellen Fluktuationen unterworfen. Den-             und F-35 eigene moderne Kampf     ­fl ugzeuge der
noch werden die wirtschaftlichen Auswirkungen            fünften Generation entwickelt haben, sowie bei
der Pandemie den US-Haushalt zukünftig noch              essenziellen maritimen Fähigkeiten – wie dem
stärker unter Druck setzen und damit zusätzliche         Anti-U-Boot-Kampf – oder auch der Raketenab-
Argumente für eine vermehrte Abgabe der bisher           wehr.19
von Amerika geschulterten Last an die europä­
ischen ­NATO-Verbündeten liefern.                        Noch stärker gilt dies im Bereich der nuklearen
                                                         Abschreckung. Hier sind es allein die ­USA, die
Den europäischen Pfeiler der N
                             ­ ATO stärken                mit ihrer Zusage einer erweiterten Abschreckung
                                                          durch ihre Nuklearwaffen das gesamte Bündnis-
 Schlussendlich bedeutet dies für die europä­             gebiet zu sichern vermögen. Zwar betont auch
 ischen Mitgliedstaaten der Allianz, dass sie zwar       Frankreich die „europäische Dimension“ seiner
 transatlantisch bleiben, jedoch den europäischen         nuklearen Abschreckung. Einem auf ganz Europa
Pfeiler der ­NATO stärken müssen. Diese Realität          erweiterten französischen Nuklearschirm man-
 wird von einigen europäischen Staatsoberhäup-            gelt es jedoch an Glaubwürdigkeit, da es Frank-
 tern und Regierungschefs sicherlich anerkannt.           reich an den vielfältigen Nuklearoptionen der
Aus den viel beachteten Worten von Bundeskanz-           ­USA fehlt und es bisher lediglich eine Doktrin
 lerin Angela Merkel, dass „die Zeiten, in denen          der Minimalabschreckung verfolgt hat.20
 wir uns auf andere völlig verlassen konnten, […]
 ein Stück vorbei“ sind, sprach 2017 zwar in ers-
 ter Linie die Frustration über die Rhetorik des            Die europäischen Alliierten
 US-Präsidenten.16 Dennoch bekennen sich deut-              nehmen selbst stark diver­
 sche Spitzenpolitiker bereits seit der Münchner
                                                            gierende Positionen
 Sicherheitskonferenz 2014 immer wieder dazu,
 dass sich Deutschland „früher, entschiedener
                                                            im Bündnis ein.
 und substanzieller“ international engagieren
 sollte und dabei auch eine stärkere Rolle in der
­NATO übernehmen muss.17                                 Eine Stärkung des europäischen Pfeilers der
                                                         ­NATO wird ebenfalls dadurch verkompliziert,
Auch der französische Präsident Emmanuel                  dass die europäischen Alliierten selbst stark
Macron vertritt immer wieder die Position,                divergierende Positionen im Bündnis einneh-
Europa müsse seine strategische Autonomie                 men und teils sogar uneinig darüber sind, ob
ausbauen. Dass er jedoch im Zuge seiner Kritik            eine stärkere Autonomie überhaupt wünschens-
an mangelnder Abstimmung und Koordination                 wert ist. Grundlegende Unterschiede in der
innerhalb der N­ ATO – eher unglücklich – von             Bedrohungsperzeption zeigen sich einerseits
dem „Hirntod“ der Allianz sprach, verdeutlicht            an der Frage, ob das Augenmerk der Allianz
die weiterhin eher zurückhaltende französische            stärker der direkten Bündnisverteidigung oder
Position zum Bündnis.18                                   der Entsendung militärischer Kräfte in Krisen-
                                                          gebiete gelten sollte. So drängen die osteuropä-
Auch wenn europäische Entscheidungsträger                 ischen Mitgliedstaaten mit Blick auf Russland
offensichtlich die Verschiebungen im trans­               stärker auf Anstrengungen zur Festigung der
atlantischen Gefüge anerkennen, wird der Grad             Bündnisverteidigung, während Frankreich oder
europäischer militärischer Eigenständigkeit               die Türkei mit Fokus auf den Nahen Osten und

Multilateralismus – Steht die internationale Ordnung vor der Zerreißprobe?                             49
Nordafrika stärker auf Krisenmanagement, Sta-      Um mit Blick auf diese Komplikationen trotz-
bilisierung und die Bekämpfung von Terroris-       dem die europäische Komponente in der ­NATO
mus bedacht sind.                                  zu stärken, sollte zunächst die Verzahnung
                                                   zwischen N ­ ATO-Bündnisstrukturen und euro-
Diese divergierenden Prioritäten haben zur         päischen Institutionen pragmatisch gestärkt
Folge, dass Polen, die baltischen Staaten und      werden, ohne dabei Grundsatzentscheidungen
Rumänien sogar eine noch stärkere Anbindung        zu erzwingen. Der Maxime folgend, dass EU-In-
an die ­USA suchen.21 Hinzu kommt, dass mit        itiativen nicht in Konkurrenz zur N­ ATO stehen,
dem Austritt Großbritanniens aus der EU einer      sondern diese ergänzen sollen, könnten Fähig-
der wichtigsten ­NATO-Bündnispartner einen         keiten zum Lufttransport oder im ­ISR-Bereich
Sonderweg beschreitet, dessen Verhältnis mit       (Intelligence, Surveillance, Reconnaissance), wel-
dem Rest Europas noch ungeklärt ist und der        che von EU und NATO gleichermaßen benötigt
ebenfalls ein Interesse daran haben dürfte, eine   werden, noch stärker gegenseitig zur Verfügung
enge Anbindung an die ­USA zu erhalten.            stehen. Auch verfügt die N    ­ ATO bereits jetzt

50                                                                     Auslandsinformationen 3|2020
über exzellente Verwaltungs- und Kommando-               sollten dabei um die oben genannten Bereiche
strukturen, welche dort, wo möglich, auch der            ergänzt werden.
EU zugänglich gemacht werden könnten, um
den Aufbau doppelter Strukturen zu vermeiden.            Eine fairere Lastenverteilung im Bündnis

Solch eine flexiblere Verzahnung von ­NATO und           Um die oben beschriebene militärische Fähigkeits-
EU wäre wichtig, um den europäischen Pfeiler im          lücke Europas zumindest graduell zu schließen, ist
Bündnis zu stärken. Gleichzeitig sollte der Ansatz       außerdem eine Anhebung der vergleichsweise
Mitgliedstaaten erlauben, ihr Mitwirken daran            geringen Verteidigungsausgaben europäischer
gemäß eigenen nationalen Präferenzen selbst              Mitgliedstaaten, gerade auch derjenigen Deutsch-
festzulegen.22 Die in der gemeinsamen Erklärung          lands, nötig. Diese sollten Investitionen in den
zwischen ­NATO und EU von 2018 festgelegten              Aufbau eigener militärischer Fähigkeiten finan-
Felder der Zusammenarbeit, wie etwa militäri-            zieren, um die faktische Abhängigkeit von Kern-
sche Mobilität oder Terrorismusbekämpfung,               kompetenzen der amerikanischen Streitkräfte
                                                         zumindest teilweise zu verringern.

                                                         Auf dem N  ­ ATO-Gipfeltreffen in Wales 2014
                                                          hatten die Verbündeten in ihrer gemeinsamen
                                                         Abschlusserklärung zugesagt, sich innerhalb eines
                                                         Jahrzehnts auf Verteidigungsausgaben von zwei
                                                         Prozent des B­ IP hinzubewegen und im gleichen
                                                          Zeitraum den Anteil ihres Etats, der für bedeu-
                                                          tende Ausrüstungsprojekte sowie Forschung und
                                                         Entwicklung veranschlagt ist, auf 20 Prozent
                                                          anzuheben.23 Im Jahr 2019 erreichten neben den
                                                         ­USA jedoch nur weitere acht ­NATO-Alliierte das
                                                          Zwei-Prozent-Ziel. Mit Deutschland, Frankreich,
                                                         Italien, Kanada, Spanien und der Türkei ver-
                                                          fehlten praktisch alle größeren Mitgliedstaaten
                                                          mit Ausnahme von Polen die Marke. Mit 15
                                                         Alliierten (ausgenommen der ­USA), die 2019
                                                          über dem Zwanzig-Prozent-Ziel lagen, erfüllte
                                                          zumindest in diesem Punkt bereits eine knappe
                                                         Mehrheit der Mitglieder die Vorgaben der Wales-­
                                                         Erklärung.24

                                                         Zwar muss den ­NATO-Verbündeten zugutege-
                                                         halten werden, dass alle Länder ihre nominellen
                                                         Verteidigungsbudgets in den vergangenen fünf
                                                         Jahren erhöht haben. Dabei fällt die gesamte Stei-
                                                         gerung von 130 Milliarden US-Dollar an zusätz-
                                                         lichen Verteidigungsausgaben (2014 bis 2019)
                                                         sogar beachtlich aus.25 Große Mitgliedstaaten
                                                         wie Deutschland haben ihren Anteil dabei weiter

                                                     Zeit zum Handeln: Deutschland und seine europäischen
                                                     Partner haben in den vergangenen 70 Jahren maßgeblich
                                                     von dem durch die NATO gesicherten Frieden profitiert.
                                                     Quelle: © Johanna Geron, Reuters.

Multilateralismus – Steht die internationale Ordnung vor der Zerreißprobe?                                    51
gesteigert. Aufgrund der rechnerischen Effekte       multilateraler Verpflichtungen auf lange Sicht
des ­BIP-Rückgangs infolge der ­COVID-19-Krise       einen allgemeinen Mehrwert schafft.
soll der deutsche Wert für 2020 sogar sprunghaft
auf 1,58 Prozent ansteigen, nachdem er 2019          Deutschland und seine europäischen Partner
noch bei 1,36 Prozent lag.26                         haben maßgeblich von dem durch die N      ­ ATO
                                                     gesicherten Frieden in Europa und der Stabilität
Dennoch werden die vereinbarten Ziele weiterhin      der vergangenen 70 Jahre profitiert. Diese schu-
nicht vollständig erfüllt. Die Gründe dafür sind     fen einen „Seelenfrieden, der es Mitgliedstaaten
vielfältig. Insgesamt hat sich die politische Kul-   erlaubte, sich nicht länger ums Überleben zu
tur in vielen der „alten“ N
                          ­ ATO-Mitgliedstaaten      sorgen und zu prosperieren“, wie Verteidigungs­
in Westeuropa daran gewöhnt, nach 1990 eine          ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer es kürz­-
Friedensdividende in Form reduzierter Verteidi-      lich in einem Meinungsbeitrag formulierte und
gungsausgaben einzustreichen, während gleich-        darauf verwies, dass erst diese Sicherheitsgaran-
zeitig das unmittelbare Bedrohungsgefühl in          tie das deutsche Wirtschaftswunder ermöglicht
diesen Ländern durch die Erweiterung der N ­ ATO     habe.27 Vor dem Hintergrund dieser immensen
nach Osten abgenommen hat. Die schleppende           Vorteile sollte Deutschland daher auch bereit
Umsetzung begründet sich aber auch in büro-          sein, größere Kosten zu übernehmen. Eine
kratischen Flaschenhälsen in der militärischen       Einhaltung von Bündnisversprechen kann letzt-
Verwaltung und stockenden Anschaffungspro-           endlich nur verlangen, wer selbst auch bereit ist,
zessen – teils aufgrund von mangelhafter Bereit-     diesen nachzukommen.
stellung von Material durch die europäische
Verteidigungsindustrie. Auch wird in Politik und     Sicherlich ist es absehbar, dass die Haushaltssitu-
in Fachkreisen die Sinnhaftigkeit einer Koppe-       ation in Deutschland infolge des wirtschaftlichen
lung der Ausgabenmarke an das ­BIP, welches          Einbruchs im Zuge der C    ­ OVID-19-Pandemie
konjunkturellen Schwankungen unterworfen ist,        künftig angespannter sein wird als zuvor. Damit
immer wieder in Frage gestellt.                      sind auch steigende Verteidigungsausgaben
                                                     einem nachvollziehbaren Rechtfertigungsdruck
                                                     ausgesetzt. Jedoch sollte beachtet werden, dass
     Die Verteidigungsausgaben                       Deutschland – bislang – weit glimpflicher durch
     sind ein Gradmesser dafür,                      die Krise gekommen zu sein scheint als viele
                                                     seiner europäischen Bündnispartner – und auch
     inwieweit Mitgliedstaaten
                                                     als die Vereinigten Staaten. Vor diesem Hinter-
     multilaterale Prinzipien                        grund wäre es Verbündeten nur schwer zu ver-
     auch dann befolgen, wenn                        mitteln, warum Deutschland seinen Zusagen
     es unbequem ist.                                nicht nachkommen kann und infolgedessen die
                                                     Lastenübernahme anderen (von ­COVID-19 stär-
                                                     ker betroffenen) Alliierten überlässt.

Eine erfolgreiche Umsetzung ist aber nach wie        Die ­NATO und effektiver Multilateralismus
vor alternativlos – nicht nur als Ausdruck des
europäischen Pfeilers der ­NATO, sondern auch        Neben den dargestellten Schwierigkeiten, wel-
als Gradmesser dafür, inwieweit Deutschland           che die Abstimmung und Lastenverteilung
und seine europäischen Verbündeten multila-           innerhalb des Bündnisses betreffen, steht die
terale Prinzipien auch dann befolgen, wenn es        ­NATO fortwährend vor der Aufgabe, ihre Wirk-
unbequem ist. Im Sinne des eingangs darge-            samkeit bei der Bewältigung externer Heraus-
stellten Prinzips der Reziprozität sollen Regeln      forderungen sicherzustellen. Wie eingangs
schließlich nicht nur dann eingehalten werden,        erwähnt, gilt Multilateralismus nicht als Selbst-
wenn es von unmittelbarem Vorteil ist, sondern        zweck, sondern muss sich an seiner Effektivität
stets in Überzeugung daran, dass die Erfüllung        bei der Lösung konkreter Probleme messen

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lassen. Dabei wird die ­NATO zukünftig auf eine          Vorteil. Militärexperten warnen jedoch davor,
Reihe globaler Herausforderungen Antworten                 dass Russland in einem Regionalkonflikt mit der
finden müssen, um als effektives Bündnis seine           ­NATO im Nordosten Europas überlegen wäre.
Relevanz zu erhalten.                                     Dies liegt vor allem an der konzentrierten Stati-
                                                           onierung von russischen Truppen, Material und
Die größte Herausforderung ist dabei der Auf-              Gerät sowie militärischer Infrastruktur in der
stieg rivalisierender Großmächte, welche sich in           Ostsee, der russischen Exklave Kaliningrad und
einem Systemwettbewerb zu den demokratischen               dem westlichem Militärbezirk Russlands, welche
Rechtsstaaten des Westens wähnen und daher die            ­NATO-Truppen und Material in angrenzenden
multilaterale, liberale Weltordnung und deren              Staaten quantitativ übertreffen.
Normen zu schwächen oder zu unterwandern
versuchen. Zwar muss die ­NATO, nicht zuletzt auf
Druck der ­USA, künftig auch ihre Rolle gegenüber           Die NATO-Staaten müssen
China definieren und eine Antwort auf die chine-            die Einsatzfähigkeit ihrer
sische Einflussnahme in Europa und in dessen
                                                            Streitkräfte ausbauen.
unmittelbarer Nachbarschaft finden. Mindestens
bis Mitte dieses Jahrzehnts wird das Hauptaugen-
merk des Bündnisses aber zunächst weiterhin auf
Russland liegen.                                         Qualitativ ergibt sich außerdem ein Vorteil für
                                                         Russland aus dessen ausgeprägten Fähigkei-
Die revisionistische Politik Russlands markierte         ten zum Anti-Access/Area-Denial (A2/AD), also
2014 mit der Annexion der Krim eine Zäsur in             der Verhinderung des Zugangs von ­         NATO-
der europäischen Friedensordnung. Der ­NATO              Streitkräften zu den exponierten baltischen Staa-
verlangte dieser Umbruch eine strategische               ten, insbesondere aufgrund moderner russischer
Kehrtwende ab, infolgedessen sich das Bündnis            Luft- und Raketenabwehrsysteme. Um diesen regi-
nach Jahren der Entsendung von Kräften in Kri-           onalen Vorteil auszugleichen, müsste die ­NATO
sengebiete (out of area-Einsätze) wieder stärker         insbesondere ihre Fähigkeiten zur Überwindung
der Bündnisverteidigung zuwandte. Die Bewäl-             gegnerischer Luftverteidigung und ihre Kapazitä-
tigung dieser Aufgabe ist gegenwärtig die größte         ten zur schnellen Mobilisierung von Verstärkungen
externe Herausforderung für die N ­ ATO.                 ausbauen.29

Die grundlegende Schwierigkeit liegt dabei darin,        Erstere Fähigkeit wird mit der bereits ange-
dass die ­NATO durch fünf Runden der Osterwei-           laufenen schrittweisen Auslieferung des F-35
terung seit 1999 ihr Bündnisgebiet zwar deutlich         Kampfflugzeugs an europäische N ­ ATO-Staaten,
vergrößert hat, hierbei jedoch eine Ausdünnung           dem durch seine Tarnkappen- und Elektronik-
ihrer konventionellen Fähigkeiten in Kauf neh-           fähigkeiten die Überwindung der russischen
men musste, da die NATO-Russland-Grund-                  Flugabwehr zugetraut wird, nun sukzessive her-
akte von 1997 keine dauerhafte Stationierung             gestellt. Zusätzlich dazu planen auch die U
                                                                                                   ­ SA
substanzieller Kampftruppen in den neuen                 eine Verlegung von F-35 nach Europa ab dem
Mitgliedstaaten erlaubt.28 Des Weiteren ist der          Jahr 2021.30
waffentechnische Vorsprung der Allianz, insbe-
sondere der des amerikanischen Militärs, nach            Die Verbesserung der Fähigkeiten des Bündnis-
signifikanten Investitionen Russlands in die tech-       ses zur schnellen Bereitstellung und Verlegung
nische Modernisierung und in neue Fähigkeiten            von Verbänden und Großverbänden bleibt aber
seiner Streitkräfte nicht mehr so deutlich, wie es       eine immense Herausforderung. Bereits beim
noch in den 2000er Jahren der Fall war.                  Gipfeltreffen in Wales 2014 hat die Allianz die
                                                         Einrichtung der N
                                                                         ­ ATO-„Speerspitze“ (Very High
Somit besitzt das Bündnis zwar insgesamt einen,          Readiness Joint Task Force, ­VJTF) beschlos-
wenn auch schrumpfenden, konventionellen                 sen, mit der 5.000 Soldatinnen und Soldaten in

Multilateralismus – Steht die internationale Ordnung vor der Zerreißprobe?                             53
Blick nach Osten: Militärexperten warnen davor, dass Russland in einem Regionalkonflikt mit der NATO im Nordosten
Europas überlegen wäre. Quelle: © Alexander Demianchuk, Reuters.

höchster Bereitschaft zur Verfügung stehen.31             zur schnellen Mobilisierung und Verlegung weiter
Darüber hinaus wurde auf Betreiben der ­USA zum           festigen. So wurde Anfang 2020 bekannt, dass das
Jahr 2020 zusätzlich eine NATO Readiness Initia-          von Deutschland für die N
                                                                                  ­ RI gemeldete Kontingent
tive (­NRI) eingerichtet, welche innerhalb von 30         aus 7.000 Soldatinnen und Soldaten, 50 Luftfahr-
Tagen 30 Heeresbataillone, 30 Fliegerstaffeln und         zeugen sowie drei Schiffen zu diesem Zeitpunkt
30 Kampfschiffe mobilisieren können soll.                 überwiegend noch nicht voll ausgestattet und ein-
                                                          satzbereit war.32 Um eine adäquate Bündnisvertei-
Trotz dieser eingeleiteten Schritte müssen die            digung sicherzustellen, müssen daher die Beiträge
­NATO-Staaten jedoch ihre tatsächliche Fähigkeit          der Mitgliedstaaten auch operativ einsatzfähig sein.

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Um ihrer Aufgabe der Einhegung Russlands                des New-START-Vertrages. Im Bereich der Mit-
 nachzukommen, muss die ­NATO ebenfalls ihre             tel- und Kurzstreckensysteme besteht hingegen
 nukleare Abschreckungsfähigkeit sicherstellen.          ein Ungleichgewicht zugunsten Russlands, das
 Im strategischen Konzept des Bündnisses von             in den vergangenen Jahren stark in Raketen in
2010 hebt dieses explizit hervor, dass es sich als       diesem Bereich investiert hat.35
„nukleare Allianz“ begreift.33 Im interkontinen-
 talen Bereich ist das Nukleardispositiv34 der ­USA      Daher ist auch eine fortgesetzte, gefestigte nuk-
 im Gleichgewicht zu dem Russlands, auch auf-            leare Abschreckung seitens der ­NATO weiter-
 grund der noch bis 2021 gültigen Obergrenzen            hin notwendig.36 Deutschland und vier weitere

Multilateralismus – Steht die internationale Ordnung vor der Zerreißprobe?                             55
europäische ­NATO-Verbündete37 sollten zur             Terrorismus unterbinden kann. Auch in anderen
Festigung dieser nuklearen Abschreckung in             Krisenländern der südlichen Nachbarschaft spielt
erster Linie ihren Verpflichtungen aus der nuk-        die Allianz inzwischen eine eher untergeordnete
learen Teilhabe nachkommen. Im Rahmen der              Rolle. Stattdessen bestimmen nationale Allein-
nuklearen Teilhabe lagern die U­ SA 100 bis 150        gänge von N­ ATO-Mitgliedern, wie jene der Türkei
Schwerkraftbomben der Typen B61-3 und B61-4            in Syrien, die von Frankreich dominierten Anti­
in Europa, die mit Flugzeugen der Alliierten,          terroroperationen in der Sahelzone oder VN- und
in Deutschland bisher durch den Tornado und            EU-Missionen die Region. Die Herausbildung
zukünftig wohl von der F-18, ins Ziel gebracht         einer besser abgestimmten ­NATO-Strategie im
werden.38 Im Kriegsfall würde deren Einsatz von        Umgang mit den Krisen im Nahen Osten und
den ­USA freigegeben werden und die Stationie-         Nordafrika ist daher vonnöten.
rungsländer müssten der Verbringung zustimmen.
                                                       Die ­COVID-19-Pandemie hat darüber hinaus
Der operative Nutzen nuklearer Fallbomben ist           gezeigt, dass auch unkonventionelle, nicht­
 nicht unumstritten – Kritikerinnen und Kritiker        militärische Herausforderungen die Aufmerk-
 führen an, dass luftgestützte Marschflugkör-           samkeit des Bündnisses verlangen. Dabei kann
 per aus Gründen der besseren Überwindungs­             die N
                                                            ­ ATO einen konkreten Mehrwert, wie bei-
 fähigkeit von Luftabwehr eine glaubwürdigere           spielsweise ihre Logistik- und Lufttransport­
Abschreckung gegenüber Russland darstellen.             fähigkeiten im Rahmen des S    ­ ALIS-Programms
Trotz dieser militärischen Erwägungen bleibt die       (Strategic Airlift International Solutions) und des
 nukleare Teilhabe aber ein wichtiger politischer      ­NATO-Krisenzentrums Euro-Atlantic Disaster Res­
Ausdruck von Solidarität und Zusammenarbeit             ponse Coordination Centre zur Unterstützung von
 innerhalb der ­NATO. Ein Rückzug aus der in der        Hilfsmaßnahmen der Mitgliedstaaten einbrin-
 Öffentlichkeit unpopulären Teilhabe, wie er in         gen.40 Aber auch die Abwehr von Versuchen zur
Deutschland jüngst von Teilen der Politik wohl          Destabilisierung demokratischer Gesellschaften
 mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 angeregt         mittels der Beeinflussung der öffentlichen Mei-
 wurde, würde einen Ausstieg aus der nuklearen          nung durch Desinformation und Propaganda hat
Risikoteilung bedeuten und von Deutschlands             im Zuge der C ­ OVID-19-Krise weiter an Bedeu-
­NATO-Verbündeten wohl als eine Abschwächung            tung gewonnen, wie Falschnachrichten über die
 der deutschen Bündnissolidarität verstanden wer-       Herkunft des Virus und Kampagnen zur Unter-
 den.39 Daher sollte die nukleare Teilhabe weiter-      minierung des euro­päischen Zusammenhalts zei-
 hin fortgeführt werden.                                gen. Auch hier hat die ­NATO Strukturen, wie die
                                                        Counter-Hybrid Support Teams und eine Hy­brid
Herausforderungen am Horizont                          Analysis Branch, welche zur Unterstützung der
                                                        Mitgliedstaaten bei der Abwehr von hybriden
Neben der zentralen Aufgabe, die Bündnisver-            Bedrohungen und dem Aufbau von Resilienz heran­
 teidigung zu sichern, wird sich die ­NATO in den       gezogen werden können.41
 kommenden Jahren auch einer Reihe weiterer
Herausforderungen stellen müssen. Dazu zählt           Fazit
 einerseits die Entwicklung der von zerfallender
 Staatlichkeit, Konflikten und Terrorismus gezeich-    Die N­ ATO ist weder „obsolet“ noch „hirntot“ –
 neten europäischen Nachbarschaft. Andererseits        wohl aber einer Vielzahl an Herausforderungen
 geht in Afghanistan absehbar die bedeutendste         von Innen und Außen ausgesetzt. Dies betrifft
­NATO-Mission der vergangenen Jahrzehnte zu            nicht nur die vom US-Präsident ausgehenden
 Ende. Neben der geordneten Organisation des           Zweifel an den multilateralen Prinzipien, welche
Truppenabzugs stellt sich für die Allianz damit die    die ­DNA der Allianz bis heute maßgeblich prägen.
 Frage, inwiefern sie eine Rolle bei der zukünftigen   Um sich als effektive multilaterale Organisation zu
 Stabilisierung des nach wie vor volatilen Landes      behaupten, muss die N ­ ATO auch auf eine Vielzahl
 übernehmen und die Gefahr eines aufkeimenden          externer Probleme adäquate Antworten finden.

56                                                                          Auslandsinformationen 3|2020
Die Herausforderungen der ­NATO sind damit zu            1  Scott, James 2015: Multilateralism, Encyclopædia
einem gewissen Grad Ausdruck der Schwierigkei-              Britannica, in: https://bit.ly/2ZYpIMa [18.08.2020].
                                                         2 NATO 1949: The North Atlantic Treaty, 04.04.1949,
ten, vor denen die gesamte multi­laterale, interna-
                                                            in: https://bit.ly/2Mi9XaP [18.08.2020].
tionale Ordnung gegenwärtig steht.                       3 Beobachterinnen und Beobachter geben zu beden-
                                                            ken, dass der Durchschnittswert der N   ­ ATO-Länder
 Gleichzeitig werden die verschiedenen Probleme             auf der Freedom House Skala (bzgl. politischer
                                                            Rechte und bürger­licher Freiheiten) seit einigen
  maßgeblich von einer strategischen Neuorientie-
                                                            Jahren stark gesunken ist und sich auf dem nied-
  rung der ­USA, welche sich in den nächsten Jahren         rigsten Stand seit dem Kalten Krieg befindet. Lute,
 verstärken dürfte, geprägt. Diese erfordert eine           Douglas / Burn, Nicholas 2019: N   ­ ATO at Seventy –
  Stärkung des europäischen Pfeilers der N  ­ ATO,          An Alliance in Crisis, Harvard Kennedy School,
                                                            Belfer Center for Science and International Affairs,
  ohne dabei die transatlantische Bindung aufzu-
                                                            02/2019, in: https://bit.ly/2ZYozUv [18.08.2020].
  geben. Die europäische Komponente der Allianz          4 NATO 1949, N. 2.
 wird künftig damit eine größere Rolle bei der           5 Gottemoeller, Rose 2017: Effective multilateralism:
Hauptaufgabe des Bündnisses, der kollektiven                how ­NATO adapts to meet changing security chal-
                                                            lenges, NATO, 09.03.2017, in: https://bit.ly/2Xl4gPp
Verteidigung, übernehmen müssen. Das bedeu-
                                                            [18.08.2020].
  tet insbesondere für Deutschland, dass es mehr         6 Fischer-Bollin, Peter 2020: Globale Herausfor-
  tun muss, um seine Bündniszusagen bei den                 derungen global angehen. Den Multilateralismus
Verteidigungsausgaben, bei der Ausstattung und              richtig verstehen, C­ IVIS mit Sonde, 1/2020, S. 85 ff.,
                                                            in: https://bit.ly/3lc1gPf [24.08.2020].
Bereitstellung von schnellen Einsatztruppen für
                                                         7 Gray, Rosie 2017: Trump Declines to Affirm N    ­ ATO’s
­NATO-Eingreifverbände und der Fortführung der              Article 5, The Atlantic, 25.05.2017, in: https://bit.ly/
  nuklearen Teilhabe zu erfüllen. Gleichzeitig wird         3dmNdlT [18.08.2020].
  sich die N
           ­ ATO auch weiteren Herausforderungen         8 Dass sich durchaus konkrete Beispiele für den
                                                            Mehrwert der ­NATO-Mitgliedschaft für die U    ­ SA
 wie dem Krisenmanagement und den Folgen der
                                                            finden lassen, steht außer Frage. Insbesondere der
 ­COVID-19-Pandemie stellen müssen.                         Beistand der Verbündeten in Afghanistan nach den
                                                            Terroranschlägen des 11. September 2001 ist hier
                                                            zu nennen, als Artikel 5 des Washingtoner Vertra-
                                                            ges zum ersten und bisher einzigen Mal aufgerufen
Philipp Dienstbier ist Referent für Transatlantische
                                                            wurde, was mit erheblichen Kosten für die ameri­
Beziehungen der Konrad-Adenauer-Stiftung.
                                                            kanischen Alliierten verbunden war, wie deren über
                                                            1.000 getötete Streitkräfte zeigen. iCasualties 2020:
                                                            Afghanistan Fatalities, in: https://bit.ly/2XnrhS3
                                                            [18.08.2020].
                                                         9 Deutsche Welle 2017: Germany owes ‚vast‘ sums
                                                            of money for N ­ ATO, claims US President Donald
                                                            Trump, 18.03.2017, in: https://p.dw.com/p/2ZTiI
                                                            [18.08.2020].
                                                         10 Ford, Lindsey / Goldgeier, James 2019: Who are
                                                            America’s allies and are they paying their fair share
                                                            of defense?, Brookings Institution, 17.12.2019, in:
                                                            https://brook.gs/36Se9Hw [18.08.2020].
                                                         11 Barnes, Julian / Cooper, Helen 2019: Trump
                                                            Discussed Pulling U.S. From N   ­ ATO, Aides Say
                                                            Amid New Concerns Over Russia, The New York
                                                            Times, 14.01.2019, in: https://nyti.ms/3gHFyAz
                                                            [18.08.2020].
                                                         12 President of the United States 2017: National
                                                            Security Strategy of the United States of America,
                                                            12/2017, in: https://bit.ly/2XSkmz0 [18.08.2020];
                                                            Department of Defense 2018: Nuclear Posture
                                                            Review, 02/2018, in: https://bit.ly/2ZUW0r4
                                                            [18.08.2020]; Department of Defense 2018:
                                                            Summary of the National Defense Strategy of the
                                                            United States of America, in: https://bit.ly/2XQa1Un
                                                            [18.08.2020].

Multilateralismus – Steht die internationale Ordnung vor der Zerreißprobe?                                      57
13 Overhaus, Marco 2019: Eine Frage der Glaubwür-            21 Wintour, Patrick 2019: Nato to launch fundamental
   digkeit – Konventionelle und nukleare Sicher-                 review of its future direction, The Guardian,
   heitszusagen der ­USA in Europa, SWP-Studie 15,              04.12.2019, in: https://bit.ly/2XNLVtA [18.08.2020].
   Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), 06/2019,         22 Lute / Burn 2019, N. 3.
   in: https://bit.ly/2Yvzu6H [18.08.2020].                  23 NATO 2014: Wales Summit Declaration, 05.09.2014,
14 Library of Congress 2017: S. Res. 54 – A resolution           in: https://bit.ly/2MhFOIm [18.08.2020].
   expressing the unwavering commitment of the               24 NATO 2019: Defence Expenditure of N     ­ ATO Countries
   United States to the North Atlantic Treaty Orga-             (2013 – 2019), 29.11.2019, in: https://bit.ly/2XSmc3d
   nization, 07.02.2017, in: https://bit.ly/2XSEnFV             [18.08.2020].
   [18.08.2020]; Library of Congress 2017: –                 25 Dempsey, Judy 2019: The Three Unresolved
   H. Res. 256 – Expressing support for the North                Issues of ­NATO, Carnegie Europe, 05.12.2019, in:
   Atlantic Treaty Organization and the countries of             https://bit.ly/3cnJjrw [18.08.2020]. Außerdem hob
   Central and Eastern Europe, 06.04.2017, in:                   Deutschland seine Beiträge zu den Verwaltungskos-
   https://bit.ly/3gEjW8a [18.08.2020]; Library of               ten der ­NATO auf 16 Prozent an. Erlanger, Steven
   Congress 2019: H. R. 676 – N  ­ ATO Support Act,             2019: NATO Offers Trump a Budget Bonbon as
   17.01.2019, in: https://bit.ly/2AqJrsY [18.08.2020].          Summit Nears, The New York Times, 28.11.2019,
15 Der ­JCPOA sollte eine nukleare Bewaffnung Irans              in: https://nyti.ms/2FFNGnx [18.09.2020].
   verhindern, während er gleichzeitig eine friedliche       26 Tagesschau: Militärausgaben – Deutschland kommt
   nukleare Nutzung gewähren sollte. Der I­ NF-Vertrag           Zwei-Prozent-Ziel näher, 27.05.2020, in:
   untersagte Russland und den U    ­ SA den Einsatz land-       https://bit.ly/2XnbsuE [18.08.2020].
   gestützter Mittelstreckenraketen. Der Vertrag über        27 Kramp-Karrenbauer, Annegret 2020: How to keep
   die offenen Himmel erlaubte Russland, den U    ­ SA          Nato fit for purpose in years to come, Financial
   und 33 weiteren Unterzeichnerstaaten gegenseitige            Times, 10.05.2020, in: https://on.ft.com/3diXvDr
   Überflüge zur Beobachtung von Streitkräften und              [18.08.2020].
   militärischer Infrastruktur. Trotz individueller          28 NATO 1997: Summary – Founding Act on Mutual
   Mängel – so verhinderte der I­ NF-Vertrag beispiels-          Relations, Cooperation and Security between
   weise nicht, dass Russland im Verstoß dagegen                ­NATO and the Russian Federation, 27.05.1997, in:
   einen landgestützten Marschflugkörper statio-                 https://bit.ly/3dnFpQL [18.08.2020].
   nierte – trugen diese Vertragswerke zur Nichtver-         29 Vershbow, Alexander / Breedlove, Philip 2019:
   breitung von (nuklearen) Waffensystemen sowie zu              Permanent deterrence. Enhancements to the US
   Transparenz und Vertrauensbildung bei. Mit ihrem              military presence in North Central Europe, Atlantic
   Ende steigt die Wahrscheinlichkeit einer nuklearen            Council, 07.02.2019, in: https://bit.ly/3ckRkNJ
   Proliferation sowie das Risiko für Fehlkalkulationen         [18.08.2020].
   und folgenschwere Missverständnisse.                      30 Overhaus 2019, N. 13.
16 Soboczynski, Adam 2017: „Die Zeiten, in denen wir         31 Bundeministerium der Verteidigung: V      ­ JTF –
   uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind             Speerspitze der N ­ ATO, in: https://bit.ly/2ZYGj2e
   ein Stück vorbei“, Zeit Online, 31.05.2017, in:              [18.08.2020].
   https://bit.ly/2TZkeg4 [18.08.2020].                      32 Jungholt, Thorsten 2020: Deutschland meldet
17 Gauck, Joachim 2014: „Deutschlands Rolle in der               der Nato Fantasietruppen und Papiertiger, Die
   Welt: Anmerkungen zu Verantwortung, Normen,                  Welt, 22.01.2020, in: https://welt.de/205218481
   Bündnissen“(Rede), Bundespräsidialamt, 31.01.2014,           [18.08.2020].
   in: https://bit.ly/2PYnqpV [18.08.2020].                  33 Die ­NATO verfügt heute, anders als zu Zeiten des
18 The Economist 2019: Emmanuel Macron in his own                Kalten Krieges, jedoch nicht mehr über eine öffent-
   words (English), 07.11.2019, in: https://econ.st/             lich erkennbare Nuklearstrategie. Zwar erlaubt dies
   3dzrGGo [18.08.2020]. Frankreich, das sich von                ein höheres Maß an Flexibilität, zur Sicherung des
   1966 bis 2009 zwischenzeitlich aus den militäri-              strategischen Gleichgewichts könnte sich die Trans-
   schen NATO-Strukturen zurückgezogen hatte, ist                parenz, welche eine deklarierte Strategie bietet, je-
   traditionell stärker auf seine Souveränität und Un-           doch stabilisierend auswirken und Missverständnis-
   abhängigkeit von der N ­ ATO bedacht und präferiert           sen und Fehlkalkulationen entgegenwirken. NATO
   eine stärkere sicherheitspolitische Rolle der EU,            2010: Active Engagement, Modern Defence – Stra-
   in welcher der französische militärische Einfluss             tegic Concept for the Defence and Security of the
   größer ist.                                                   Members of the North Atlantic Treaty Organization,
19 Overhaus 2019, N. 13.                                        11/2010, in: https://bit.ly/3dqYwcw [18.08.2020].
20 Zwar bekennt sich das Bündnis zur nuklearen Rüs-          34 Das Dispositiv ist die Anzahl und Sprengkraft von
   tungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung,               nuklearen Gefechtsköpfen sowie die Anzahl und
   besteht aber darauf, dass, solange Atomwaffen                 Stationierung ihrer Trägersysteme.
   weltweit existieren, nukleare Abschreckung weiter­
   hin eine Komponente der Bündnisverteidigung
   bleiben muss.

58                                                                                   Auslandsinformationen 3|2020
35 Dazu zählen insbesondere die Iskander-Raketen,
   welche bereits 2016 in Kaliningrad stationiert
   wurden, und die Kalibr-Marschflugkörper, mit
   denen zumindest die russische Marine, inzwischen
   wahrscheinlich aber auch russische Landeinheiten,
   ausgestatten wurden. Beide Raketen können
   sowohl konventionell als auch nuklear bestückt
   werden. Kristensen, Hans / Korda, Matt 2020:
   Russian nuclear forces, 2020, Bulletin of the
   Atomic Scientist, 76: 2, 09.03.2020, S. 102 – 117 in:
   https://bit.ly/3iXlCd4 [19.08.2020].
36 Von amerikanischer Seite wird vor diesem Hinter-
   grund eine Flexibilisierung ihrer nuklearen Wirk-
   möglichkeiten angestrebt und die Entwicklung von
   Nuklearwaffen mit geringer Sprengkraft (low yield)
   vorangetrieben. Der Mehrwert dieser Waffentypen
   und ihre Auswirkung auf das strategische Gleichge-
   wicht sind jedoch nicht unumstritten.
37 Die übrigen Länder sind Belgien, Italien und die
   Niederlande. Die Türkei partizipiert zwar offiziell
   an der nuklearen Teilhabe, verfügt inzwischen aber
   nicht mehr über einen eigenen zertifizierten Flug-
   zeugtyp. Rudolf, Peter 2020: Deutschland, die Nato
   und die nukleare Abschreckung, SWP-Studie 11, SWP,
   05/2020, in: https://bit.ly/3j7Nco5 [18.08.2020].
38 Kristensen, Hans M. / Korda, Matt 2020: United
   States nuclear forces, 2020, Bulletin of the Atomic
   Scientist, 76: 1, 13.01.2020, S. 46 – 60 in: https://bit.ly/
   2EnDrn3 [24.08.2020].
39 Rudolf 2020, N. 37.
40 Gebauer, Matthias / Müller, Peter 2020: Corona­
   krise – Das Virus erfasst die Nato, 01.04.2020,
   Der Spiegel, in: https://bit.ly/36OfgIi [18.08.2020].
41 NATO 2019: ­NATO’s response to hybrid threats,
   08.08.2019, in: https://bit.ly/3eE2rTx [18.08.2020].

Multilateralismus – Steht die internationale Ordnung vor der Zerreißprobe?   59
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