FRANKENSTEIN - Schauspielhaus Zürich AG Zeltweg 5 8032 Zürich - Schauspielhaus Zürich

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FRANKENSTEIN - Schauspielhaus Zürich AG Zeltweg 5 8032 Zürich - Schauspielhaus Zürich
Infomappe für Lehrpersonen

                      FRANKENSTEIN
                           von Dietmar Dath, inspiriert von Mary Shelley
                                                   Regie Stefan Pucher

                                          Uraufführung 10. Januar 2019
                                         Schauspielhaus Zürich, Pfauen

Schauspielhaus Zürich AG
Zeltweg 5                   Tel +41 44 258 70 70
8032 Zürich                 www.schauspielhaus.ch
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Liebe Lehrerinnen und Lehrer

Wie entsteht Leben, Sprache und Bewusstsein?
Wohin führt es, wenn der Mensch mit den heutigen Errungenschaften der For-
schung und den technischen Möglichkeiten in die göttliche Schöpfung eingreift?
An welchen ethischen und moralischen Werten soll sich die Forschung in Zukunft
orientieren?

Die Frankenstein-Adaption am Schauspielhaus Zürich von Dietmar Dath und Stefan
Pucher ist inspiriert von Mary Shelleys Roman aus den Anfängen des 19. Jahrhun-
derts und wirft – ausgehend vom heutigen Entwicklungsstand der Forschung – ei-
nen anregenden Ausblick auf die Zukunft.

Diese Infomappe enthält eine Schwerpunktsetzung der Inszenierungsthemen, die
sich für die Vertiefung im Unterricht als Einstimmung oder Nachbereitung anbieten.
Sie finden darin auch eine Auswahl an Zugängen zum digitalen Netzwerk des Wis-
sens.

Als Lehrpersonen können Sie zu ermässigtem Ticketpreis von 15 CHF die Vorstel-
lung visionieren. Dieses Angebot können Sie ausschliesslich bei vorheriger Anmel-
dung unter junges@schauspielhaus.ch beanspruchen.

Ich wünsche Ihnen anregende Entdeckungen in Frankensteins Labor.
Katrin Sauter

Stückinformationen:
https://www.schauspielhaus.ch/de/play/1041-Frankenstein
Pressebilder Download:
https://www.schauspielhaus.ch/uploads/media/default/0001/08/Frankenstein_Pr
essebilder.zip
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BESETZUNG

Viktor Frankenstein                                          Edmund Telgenkämper
Geschöpf                                                     Robert Hunger-Bühler
Totoschka, Viktors Gehilfe, Programmierer                    Fritz Fenne
Prof. Anna Waldman,                                          Inga Busch
Viktors ehemalige Forschungspartnerin
Elisabeth Lavenza, Physikerin                                Lena Schwarz
Robert Walton                                                Julia Kreusch
Echos (Video- und Gameanimationen):
Kalte Frau, Kalter Mann, Viktors Vater, Mädchen, Junge
Erwähnte Personen:
William und Ernest (Viktors kleine Brüder), Patienten, Prometheus

Regie                                                        Stefan Pucher
Bühne                                                        Barbara Ehnes
Kostüme                                                      Annabelle Witt
Video                                                        Chris Kondek
Mitarbeit Video                                              Ruth Stofer
Gamedesign                                                   Victor Morales
Musik                                                        Christopher Uhe
Dramaturgie                                                  Andreas Karlaganis
Licht                                                        Frank Bittermann
Regieassistenz                                               Maximilian Enderle
Bühnenbildassistenz                                          Marie Hartung
Kostümassistenz                                              Annina Gull
Inspizienz                                                   Michael Durrer
Soufflage                                                    János Stefan Buchwardt
Theaterpädagogik                                             Katrin Sauter
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INSZENIERUNG VON STEFAN PUCHER

Der Regisseur Stefan Pucher hat mit Dietmar Dath am Schauspielhaus Zürich be-
reits Henrik Ibsens „Ein Volksfeind“ aufsehenerregend aktualisiert. Nun erarbeitet
er mit seinem Team zum 200-jährigen Geburtstag des Romans „Frankenstein oder
Der moderne Prometheus“ Daths Bühnenadaption. Sie nähern sich dem romanti-
schen Stoff vor dem heutigen Hintergrund des Wissensstands über die Erzeugung
von künstlichem Leben und der Entstehung von Bewusstsein. Zusammen erschaf-
fen sie eine futuristische Apokalypse, in welcher Realität, Fiktion und Erinnerungen
in einem bildgewaltigen Vexierspiel sich überlagern und verschmelzen.
Die Bühnenbildnerin Barbara Ehnes und der Videodesigner Chris Kondek haben
sich für die Szenenbilder und Projektionen u.a. von (Zell-)Strukturen der Natur, Ap-
paraturen aus der Forschung und Technik, Laborgebäuden und Beschreibungen
aus Mary Shelleys Roman inspirieren lassen.
In der Zusammenarbeit mit dem New Yorker Gamedesigner Victor Morales ist eine
eigene Bildästhetik entwickelt worden. Zudem lotet das Team die digitalen Gestal-
tungsmöglichkeiten fürs Theater aus.
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LABOR . FRAGEN ANS LEBEN

Die nachstehende Sammlung von FRAGEN ANS LEBEN greift die Themenkomplexe
der Frankenstein-Adaption im Schauspielhaus auf. Diese eignen sich auch für die
Auseinandersetzung im Unterricht.
*      besonders geeignet für die Einstimmung
**     besonders geeignet für die Nachbereitung
(**)   Empfehlung zur Weiterführung nach dem Vorstellungsbesuch
***    eignet sich sowohl als auch

Präsentationsform en von Projektarbeiten in Bezug zur Inszenierung und
dem Theater * (**)
In der Arbeit mit jungen Menschen bewährt sich, sie bei der konkreten Auswahl
aus der Fülle an Zugängen zu beteiligen, z.B. dass sie in Gruppen je ein Thema
oder eine Fragenstellung vertiefen und ihre Ergebnisse den Kolleg/innen präsentie-
ren. Die Vorschläge für Präsentationsformen stehen in Bezug zur Frankenstein-
Produktion und des Theaters.
Bericht für die Schulzeitung oder    Arbeit der Dramaturgie, der Autor/innen, Jour-
den Schulblog                        nalismus, Marketing: Welche Inhalte sollen
                                     vermittelt werden?
Briefwechsel                         Literarische Form, die im Roman enthalten ist
Radiobeitrag einer Wissen-           Einsatz von Sprachaufnahmen in der Inszenie-
schafts-, Forschungs- oder Kul-      rung, Sprachgestus einer Figur
tursendung
Interview mit einer Figur oder       Schauspiel: Sich als andere Figur ausgeben
Persönlichkeit, schriftlich oder
als Hörinstallation
Filmreportage, Erklärvideo einer     Einsatz von Filmeinspielungen und Wissens-
Wissenschafts-, Forschungs-          vermittlung in der Inszenierung
oder Kultursendung
Kurzfilm-Story, die die Thematik     Film und Storytelling als erzählerisches Mittel,
aufgreift                            Bildsprache, Blickwinkel in die Szene, Kostüm-
                                     wahl, Ortswahl, Sprachgestus der Figur, Mu-
                                     sikeinsatz
Fotoreportage, analog als gros-      Fotos als visualisierendes Mittel, Romanvorlage
ses Buch zum Blättern oder digi-
tal
Foto-Story, die die Thematik         Fotos als erzählerisches Mittel, Bildsprache,
aufgreift, analog als grosses        Romanvorlage
Buch zum Blättern oder digital
Installative Ausstellung im          Kommunikation: Welche Bild- und Textart wird
Schulhaus mit Bildern, Texten,       gewählt?
Objekten
(Projekt-)Tagebuch                   Persönliche Reflexion und Beschreibungen, Be-
                                     zug zur Romanform
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LABOR I . ENTSTEHUNG DES LEBENS ***

WALDMAN:       (zum Geschöpf) ... Wir alle, die dabei waren, wir spielen Erinnerun-
               gen, wir spielen die Zeit in Ingolstadt, als Viktor dich aufgeweckt hat,
               als seine Braut und er ständig über Wissenschaft und Ethik diskutiert
               haben, wir sind in einer Schleife, nicht Pausentaste, nicht Stoptaste.
               Wiederholung. ...
               Echos. Nachspiele. Wir spielen alles immer wieder nach, bis du es
               beendest.
      Wie entsteht Leben?
      Auf welchem Stand war die Wissenschaft bei der Erforschung des Lebens zu
      Mary Shelleys Zeit um 1800 rum in den Bereichen der Alchimie, Physik, Bio-
      logie, Chemie und Medizin?
      Welche Bedeutung messen heute Wissenschaftler den Mikrosphären bei der
      Evolution des Lebens bei?
      Welches sind bedeutende Errungenschaften in den Forschungsbereichen der
      Neurowissenschaft/Hirnforschung, Genetik/Eugenik, Biotechnologie, Nano-
      technologie, Kryonik, Informatik und Robotik, die für lebensverlängernde
      Massnahmen und die Erschaffung des „perfekten“ Menschen zum Einsatz
      kommen können?
      Welche Macht soll der Mensch zukünftig bei der Entwicklung des Lebens
      haben?

LABOR II . SCHÖPFUNGEN * / **

                                                          Robert Hunger-Bühler – Geschöpf
Mary Shelley hat auch die Sage von Prometheus
in ihren Roman aufgenommen. Im Anhang befin-
det sich eine Kurzversion.
      Welche Schöpfungsgeschichten in verschie-
      denen Kulturkreisen gibt es?
      Was ist das Gemeinsame daran?
      Inwiefern ist Frankenstein eine moderne
      Schöpfungsgeschichte?
      Wo taucht auch bei Dietmar Daths Adaption
      die Prometheus-Sage auf?

Im Roman stehen die Männerfiguren im Zentrum.
Dietmar Dath übernimmt lediglich Elisabeth La-
venza und transformiert zwei Figuren (Walton und
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Waldman) zu Frauenpersönlichkeiten. Am Anfang dieser Mappe befindet sich die
Besetzungsliste, mit welcher sich Vergleiche zum Roman herstellen lassen.
      Warum hat Dath sich auf diese sechs Figuren fokussiert?
      In welche Realität setzt Dath die Figuren?
      Welche Ziele verfolgen die Figuren? Welche Strategien wenden sie dazu an?
      Wo verlieren sie die Kontrolle und läuft ihnen ihr Werk aus dem Ruder?

LABOR III . ANFÄNGE *

Mary Shelleys Roman beginnt mit Robert Waltons Briefen an seine Schwester
Margarete Saville und berichtet von den Reisevorbereitungen für seine Entde-
ckungsreise zum Nordpol. Dietmar Daths erste Szene spielt in einer „Kältehalle“.
      Welche Parallelen bezüglich Ort, Temperatur, Atmosphäre, Grundsituation,
      auftretenden Figuren lassen sich erkennen?

Rom ananfang
Auf Gutenberg Online befindet sich die Fassung
von 1831 in einer Übersetzung von Heinz Widt-
mann:
http://gutenberg.spiegel.de/buch/frankenstein-
oder-der-moderne-prometheus-5870/1.

Stückbeginn
Szene I. Küss die kalte, blasse, zyanotische Haut
(Kältehalle)
(Walton, dann Waldman, auf dem Tisch das Ge-
schöpf, später Viktor dazu)
WALTON:        Hier! Professor Waldman? Ich bin
               hier drüben!                               Julia Kreusch – Robert Walton

WALDMAN:       Ah. Komplizierter Bau hier. Die vie-
               len Türen und Passwörter.
WALTON:        Sie haben hergefunden, das ist die Hauptsache. Die Anlage hat ihre
               Tücken. Wir mussten evakuieren. Ich hätte Ihnen geholfen, wenn der
               Kontrollraum nicht versperrt wäre. Da sind die Bildschirme, Sprech-
               anlagen, Herr Frankenstein hat… Ich habe nur das Signal gehört, als
               Sie ins Gebäude kamen. Dann hat es so lange gedauert, bis Sie hier
               waren, ich habe schon befürchtet…
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WALDMAN:       Ich bin zuerst in andere Räume am Korridor. Da liegen Menschen...
WALTON:        Ich kann nicht wissen, was er noch anrichtet. Ärztliches Personal,
               Pflege… ich bin für die Sicherheit der Leute verantwortlich, der Kapi-
               tän verlässt das Schiff zuletzt. Die Patientinnen und Patienten konnte
               ich nicht wegschicken. Wir versetzen Sie hier in Starre, Kälte, um
               ihnen zu helfen. Er hat sie in der Hand. Gut, Sie sind jetzt da. Er wird
               auf Sie hören. Er sagt, er hat bei Ihnen alles gelernt.
WALDMAN:       Schreckliche Sache. Er ist sehr begabt. Ist das die Leiche?
WALTON:        Den Mann hat er mitgebracht. Sein Geschöpf, sagt er. Eine wirre
               Geschichte. Frankenstein behauptet, er habe den da, der tot gewe-
               sen sein soll, lebendig gemacht, aber anders, als wir hier die schla-
               fenden Leute aus der Kälte zurückholen. Dann, sagt er, hat dieser
               angeblich Auferweckte Franken-
               steins kleinen Bruder getötet, und
               Frankensteins Braut Elisabeth. Da
               hat er den Auferweckten gejagt, ge-
               fangen, und dann hat er… na, er
               sagt: die Pausentaste gedrückt. Er
               sagt, töten konnte er ihn nicht, das
               künstliche Leben sei zu stark. Auf
               mich wirkt er tot, der angebliche
               Mörder. Keine Vitalzeichen, aber
               auch keine Verfallszeichen. Fran-
               kenstein hat ihn hergebracht, damit
               wir mit unseren Mitteln der Ge-
               schichte ein Ende machen – er
               sucht einen zweiten Tod für diese
               Leiche. Stoptaste, sagt er, statt nur
               Pausentaste.                                 Inga Busch – Anna Waldman

LABOR IV . ENTSTEHUNG VON SPRACHE UND BEW USSTSEIN * (**)

      Wie erlernt ein Kind Sprache?
      Wie entsteht eine neue Sprache, z.B. unter Jugendlichen?
      Woran lässt sich erkennen, dass jemand bewusst etwas wahrnimmt oder ei-
      gene Gedanken formuliert?
      Was braucht es, um eigene Entscheidungen fällen zu können?

In letzter Zeit beschäftigen sich Forscher insbesondere in den Disziplinen der Bio-
logie, Anthropologie, der Psychologie, Linguistik und Philosophie intensiviert mit
der Frage, wie die menschliche Sprache entsteht und sich weiterentwickelt. Luc
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Steels, Dr. Professor der Informatik und einer der Pioniere der KI-Forschung, legt
seinen Experimenten zwei Hypothesen zugrunde: 1. Sprache ist ein „lebendes",
komplexes und anpassungsfähiges System, das durch einen Prozess kultureller
Evolution entsteht und sich entwickelt. 2. Dieser kulturelle Evolutionsprozess ist
zyklisch und endlos.
Über „Die Ursprünge von Sprache und Bedeutung“ von Luc Steels:
https://www.wiko-berlin.de/fellows/fellowfinder/detail/2008-steels-luc/
Das Talking-Head-Experiment von Luc Steels erklärt der Autor Dietmar Dath an-
schaulich in seinem Gespräch mit dem Dramaturg Andreas Karlaganis. Der Text ist
im Anhang zu finden oder als Download erhältlich: „Wissen – Können – Dürfen“,
erschienen im Schauspielhaus-Journal Januar 2019.

Aus dem Experimentfeld der KI-Forschung der grossen Tech-Giganten (zu denen
u.a. das Militär gehört) sind regelmässig auch nachdenklich stimmende Ergebnisse
zu vernehmen:
Das Chatbot-Experiment von Facebook: https://www.berliner-
zeitung.de/digital/facebook-experiment-computer-entwickeln-eigene-sprache-
28101812,
https://www.zeit.de/digital/internet/2017-
08/kuenstliche-intelligenz-sprache-lernen-
facebook-chatbot/komplettansicht
Das Chatbot-Experiment von Microsoft:
https://de.wikipedia.org/wiki/Tay_(Bot)

Die Digitalisierung beeinflusst unseren Sprachge-
brauch, sobald wir mit Maschinen und KIs kom-
munizieren. Den Wandel unseres Sprachgebrau-
ches verfolgt Prof. Henning Lobin von der Justus-
Liebig-Universität Giessen. Thomas Westphal fasst
diese Beobachtungen in verständlicher Sprache
zusammen: http://blog.wirtschaftsfoerderung-
dortmund.de/2018-06/talking-heads-0                              Edmund Telgenkämper
                                                                   – Viktor Frankenstein

LABOR V . KÜNSTLICHE INTELLIGENZ * (**)

      Was macht einen Menschen und seine Intelligenz aus? Wie unterscheidet er
      sich von intelligenter, autonomer Technik, einer „Maschine“?
      Was ist Künstliche Intelligenz? Wie funktioniert maschinelles Lernen (Deep
      Learning)?
      Kann KI ein Bewusstsein haben?
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      Kann man Ethik programmieren?
      Welche Bedeutung haben Daten für die KI?
      Wie beeinflussen KIs unser Verhalten, unsere Sprache?
      Was erhoffen sich Enthusiasten und Optimisten von KI? Was wird an KI kriti-
      siert – und ist Angst vor KI berechtigt?
      Wie autonom dürfen künstliche Intelligenzen sein?
      Was machen wir mit unserem Leben, wenn KIs all unsere Arbeiten und Ent-
      scheidungen übernommen haben?

Einfache und verständliche Zugänge finden sich hier:
https://www.kas.de/kuenstliche-intelligenz-und-robotik,
http://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/kuenstliche-intelligenz-turing-test-
chatbots-neuronale-netzwerke-a-1126718.html#sponfakt=1
Künstliche Intelligenz in 5 Minuten erklärt:
https://www.youtube.com/watch?v=3RsmRMqX2IY
Künstliche Intelligenz – Sind die Maschinen bald schlauer als wir? ARTE:
https://www.youtube.com/watch?v=_oHl906WypE
Künstliche Intelligenz – unsere letzte Erfindung? NuoStory:
https://www.youtube.com/watch?v=0Xbpb-AvISc
Wie gefährlich ist künstliche Intelligenz? ARD Tagesschau:
https://www.youtube.com/watch?v=i5D1jHQ-vNk
Was macht uns künftig noch einzigartig? Antworten von sieben Experten in DIE
ZEIT: https://www.zeit.de/2018/14/kuenstliche-intelligenz-menschen-maschine-
verhaeltnis

LABOR VI . PRÄGUNG UND INSPIRATIONSQUELLEN ***

      Welche Umstände prägen einen Menschen? Was prägt den Unhold, das Ge-
      schöpf?
      Welche moralischen und ethischen Werte werden in (d)einer Familie gelebt?
      In welchem Umfeld wachsen Mary Shelley und Dietmar Dath auf? Wie sieht
      die Welt aus, in der die Autoren leben? Wer und was beeinflusst, prägt, in-
      spiriert sie?
      Für welche Themen interessieren sie sich?
      Wie beeinflusst dies Mary Shelleys und Dietmar Daths Blick in die Zukunft
      und die Geschichten, die daraus entstehen?
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Im Anhang befindet sich je ein kurzer Text „Inspirationsquellen“ zu den beiden Au-
toren. Darin werden ein paar Aspekte aus deren Leben aufgegriffen, die in ihren
literarischen Texten wiederzufinden sind.

LABOR VII . M ENSCH ODER M ASCHINE ***

      Wie lässt sich erkennen, ob das Gegenüber ein Mensch oder eine Maschine
      ist?
      Mit welchen Fähigkeiten ist der Mensch der Maschine überlegen?
      Was passiert, wenn Maschinen die menschlichen Vorteile auch beherr-
      schen?

Turing-Test
Alan Turing entwickelte 1950 den nach ihm benannten Turing-Test, um herauszu-
finden, ob die Intelligenz eines Systems mit der eines Menschen zu vergleichen
ist. https://jaai.de/mensch-oder-maschine-der-turing-test-einfach-erklaert-1385/,
https://de.wikipedia.org/wiki/Turing-Test

                                                               Fritz Fenne – Totoschka

Lovelace-Test
Der Lovelace-Test erfordert, dass eine künstliche
Intelligenz Kreativität beweist und originäre Leis-
tungen erbringt, zu denen sie nicht programmiert
wurde. http://kryten.mm.rpi.edu/lovelace.pdf
Die britische Mathematikerin Ada Lovelace habe –
so einige Historiker – mit ihren Notizen zu Charles
Babbages Analytic Engine die Grundstrukturen für
heutige Computerprogramme (Algorithmen) ange-
legt. Sie wird deshalb als erste Programmiererin
angesehen. Nach ihr ist die Programmiersprache
Ada benannt.

M etzinger-Test
Zum Bestehen muss eine künstliche Intelligenz proaktiv in einer Diskussion um
künstliches Bewusstsein agieren und überzeugend für ihre eigene Theorie von Be-
wusstsein argumentieren. http://www.philosophie.uni-
mainz.de/metzinger/publikationen/Postbiotisches_Bewusstsein.pdf
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LABOR VIII . ÜBERW INDUNG DES TODES – M ENSCH UND M ASCHINE
***

      Welche Ziele verfolgen die Transhumanisten?
      Was erträumen sich die Transhumanisten von den Errungenschaften und
      Möglichkeiten der Digitalisierung, Technologisierung, künstlichen Intelligenz
      und genetischen Optimierung?
      An welcher ethischen Grundlage orientieren sie sich?
      Soll heute alles Machbare realisiert werden oder gibt es (noch) Grenzen?
      Worin bestehen die Vor- und Nachteile (Risiken) für die Gesellschaft?

Die Digitalisierung stellt uns mit ihrer Entwicklung autonomer Systeme auch vor
Herausforderungen anthropologischer Natur. Die transhumanistische Idee der Ver-
schmelzung von Mensch und Maschine, die über den Ansatz der Künstlichen Intel-
ligenz hinausgeht, hat Folgen für die Bestimmung dessen, was als Menschsein
wahrgenommen wird.
Die wichtigsten Technologien des Transhumanismus sind:
1.) Gentechnik, Stammzellentherapie
2.) Prothetik (Robotik)
3.) Neuronale Implantate, künstliche Intelligenz (Neurobiologie, Nanotechnologie,
    Computertechnologie)
4.) Upload (Computertechnologie)
5.) Kryonik

Zugänge:
https://transhumanismus.wordpress.com/auf-dem-weg-zum-transhumanismus/
https://www.sueddeutsche.de/wissen/2.220/verbesserte-menschen-die-vielleicht-
gefaehrlichste-idee-der-welt-1.1691220
https://www.heise.de/tp/features/Cyborgs-Katastrophen-und-Visionen-
3441983.html?view=print
http://www.spiegel.tv/videos/145714-der-mensch-20
http://www.spektrum.de/alias/pdf/sdw-06-01-s101-pdf/833247?file
https://de.wikipedia.org/wiki/Kryonik
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LABOR IX . ETHISCHE UND M ORALISCHE ARGUM ENTATIONEN – W ER-
TE UND VERANTW ORTUNG IM W AN DEL ***

GESCHÖPF:       Ich war gütig und gut. Nur das Elend liess mich böse werden.
                Ich war gutartig. Mein Herz glühte vor Liebe und Menschlichkeit.
                Aber bin ich nicht einsam, entsetzlich einsam?
      Welche Werte sind dir persönlich wichtig?
      Welche Lebensumstände lassen Menschen moralisch verwerflich handeln?
      Warum verlieren moralische Werte heute ihre Bedeutung?

In unserer Welt des wissenschaftlichen Auf-
schwungs, des Machbarkeitsglaubens und des Op-
timierungsstrebens durchlaufen die Bedeutungen             Lena Schwarz – Elisabeth Lavenza
von Gottesfurcht, moralischen und ethischen Wer-
ten einen Wandel und müssen neu überdacht wer-
den.
„Kennzeichen von Ethik ist es, sich in Verantwor-
tung verschiedenen Instanzen gegenüber verpflich-
tet zu wissen, den Instanzen des Selbst, der Welt
sowie den Voraussetzungen von Selbst und Welt.
Zu dieser Verantwortung des Menschen gehört auch
die Technik. ... Sie kann ein sinnvolles Hilfsmittel
sein, sie kann aber auch missbraucht werden. ...
Indem ethische Gestaltung selbst nur noch nach
technischen Massstäben erfolgt, ohne den Blick auf
die Dienlichkeit des Lebens aufrecht zu erhalten,
hat sie ihr Eigenrecht verspielt. ... Jetzt steht Auto-
nomie nicht mehr für Selbstgesetzgebung, sondern
allein für die Steuerung eines Prinzips der Machbar-
keit.“1
      Was verstehst du unter gut und böse?
      Welche Gefahren zeigen sich, wenn der Mensch in die göttliche Schöpfung
      eingreift?
      Welches sind die schlimmsten Befürchtungen, wenn der Mensch seine
      Schöpfungen nicht mehr unter Kontrolle hat?
      Was passiert, wenn ohne vorausschauendes Denken (Prometheus bedeutet
      „der Vorausdenkende") gehandelt wird?

1
  Quelle: Ethische Überlegungen zum Begriff der Autonomie angesichts der Entwicklung
autonomer Systeme: https://www.kas.de/analysen-und-argumente/detail/-
/content/zwischen-system-und-verantwortung
14
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      Was passiert, wenn unreflektierter Wissensdrang ohne moralische Bedenken
      einfach ausgelebt wird?
      Welche Verantwortung geben wir Menschen in Zukunft den Maschinen ab?
      Was soll in der Forschung in Zukunft erlaubt sein? Welche moralischen und
      ethischen Werte sollen berücksichtigt werden?
      Welche ethischen Regeln werden diskutiert, um Richtlinien für die Weiter-
      entwicklung von KIs und Transhumanen Wesen zu entwickeln?

Zugänge:
Brauchen wir eine gesellschaftliche Ethik-Debatte?:
https://www.kas.de/kurzum/detail/-/content/kunstliche-intelligenz
Robotergesetze: https://de.wikipedia.org/wiki/Robotergesetze
Roboterethik: https://de.wikipedia.org/wiki/Roboterethik

LABOR X . W IEDERHOLUNGEN UND ÜBERLAGERUNGEN **

Im Theaterstück werden einige Schlüsselszenen des Romans aufgegriffen, u.a.
auch die Begegnung zwischen Frankenstein und dem Geschöpf/Unhold im Gebir-
ge.
      Welche Kernaussagen behalten auch in Dietmar Daths Adaption ihre Bedeu-
      tung vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstandes?
      Welche neuen Deutungen macht Dath mit seinem Blick in die Zukunft?
      Wie überlagern sich Roman- und Theatertext?
      Mit welchen Mitteln inszeniert Stefan Pucher die Thematik von sich wieder-
      holenden und überlagernden Erinnerungen und Erfahrungen?

LABOR XI . GENRE DES SCIENCE-FICTION ***

Mary Shelley erfindet im «Jahr ohne Sommer»2 am Genfersee die Geschichte von
Dr. Frankenstein und seinem namenlosen Geschöpf – und begründet damit das
Genre des Science-Fiction.

2
  1816 ist das „Jahr ohne Sommer“. Die Natur ist nach dem Ausbruch des Vulkans Tambo-
ra in Indonesien ein Jahr zuvor völlig aus den Fugen. Das durch die Eruption ausgeworfene
Material bewirkt globale Klimaveränderungen. Es kommt zu schweren Unwettern und in
15
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„Science-Fiction ... – wenn sie gelungen ist – ... fördert Strukturen unserer Gegen-
wart zutage, indem sie das Jetzt ins Morgen oder in eine andere Welt hinüberzieht.
... Das Interessante ist immer: Was passiert eigentlich mit unserer Form des Zu-
sammenlebens – Science-Fiction ist eine Gesellschaftsgattung – wenn eine funda-
mentale Neuerung eintrifft? Wie formiert sich dann Gesellschaft neu, wie definiert
sie ihre Ethik neu, wie definiert sie ihr Wirtschaftsleben? Wie geht sie um mit Un-
gleichheit in gesellschaftlichen, politischen Konstellationen? Was verändert sich da
überhaupt? ... Science-Fiction hat durchaus ein Erkenntnisinteresse.“3
Die Phantastik, zu der Science-Fiction als Subgenre gehört, wird nicht zu den drei
Gattungen der Literatur – der Epik, der Dramatik und der Lyrik – gezählt. Sie steht
als schwer zu definierendes Genre etwas abseits, obwohl die Regallaufmeter in
Buchläden permanent wachsen. Sie gilt in dem Zusammenhang als Oberbegriff für
alles, was abgehoben, unrealistisch, unglaublich, versponnen, grotesk, absurd,
unheimlich und wunderbar ist.
Der Science-Fiction-Autor Dietmar Dath sagt über seine Texte: „Ich schreibe Texte,
die nicht davon handeln, wie es ist, sondern davon, wie es sein sollte, wie es hof-
fentlich nicht sein wird oder wie es ganz neutral sein könnte. Und das sind nun mal
spekulative oder phantastische Texte.“
       Welches sind die Merkmale der Phantastik-Subgenres der Mythologie (Sa-
       gen, Märchen), Schauer- (Gothic Novels, Gothic Fiction), Fantasy-, Horror-
       und Science-Fiction-Literatur?
       Wodurch grenzen sich die Genres voneinander ab?
       Welches sind gemeinsame Merkmale dieser Genres?
       Warum haben diese literarischen Genres einen schweren Stand neben den
       drei Gattungen der Literatur?

Zugänge:
https://de.wikipedia.org/wiki/Phantastik,
https://de.wikipedia.org/wiki/Portal:Phantastik
https://de.wikipedia.org/wiki/Schauerliteratur
https://de.wikipedia.org/wiki/Horrorliteratur
https://de.wikipedia.org/wiki/Fantasy
https://de.wikipedia.org/wiki/Science-Fiction
https://by-arp.de/liste-aller-genres-und-subgenres/

Folge von niedrigen Temperaturen zu katastrophalen Missernten, die schliesslich zur
schlimmsten Hungersnot des 19. Jahrhunderts führt.
https://www.nzz.ch/schweiz/frankenstein-und-vampir-ausgeburten-eines-klimawandels-
ld.87113
3
  Zitat von Philipp Theisohn, Professor für deutsche Literaturwissenschaft, Universität Zü-
rich. Aus dem Interview-Transkript, August 2018, Strauhof.
16
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ANHÄNGE

Adaption von Dietmar Dath, mit fachspezifischem Vokabular aus dem Stück
Dietmar Dath, Inspirationsquelle

Romanvorlage von Mary Shelley
Mary Shelley, Kurzbiografie und Inspirationsquelle

Literatur
Filme

Wollen – Können – Dürfen: Andreas Karlaganis im Gespräch mit Dietmar Dath,
SHZ-Journal Januar 2019, mit Kurzbiografie

Erklär-Leporello zu Frankenstein, SHZ
17
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ADAPTION VON DIETMAR DATH

In seiner „Überschreibung“ von Mary Shelleys Roman geht der Science-Fiction-
Autor Dietmar Dath vom aktuellen Stand der Forschung und deren möglichen Ent-
wicklung aus. Sein „Frankenstein“ in zehn Szenen beschäftigt sich u.a. mit Fragen
nach der Entstehung des Lebens, von Sprache und Bewusstsein, der Reproduktion
des Menschen und der Überwindung des Todes sowie ethischen und moralischen
Argumentationen, an welchen sich die Forschung in Zukunft orientieren könnte.
Der Literaturprofessor Philipp Theisohn hat Dietmar Dath in der Frankenstein-
Ausstellung im Strauhof Zürich gefragt, was das Besondere an seiner Fassung ist.
Seine Antworten kurz vor der Premiere:
https://www.instagram.com/p/BsTK6vWinrc/

FACHSPEZIFISCHES VOKABULAR AUS DEM STÜCK *

Dietmar Daths Stück enthält eine Vielzahl von Fachbegriffen, die den Schüler/innen
allenfalls nicht geläufig sind. Als Vorbereitung eignet sich die Beschäftigung damit.
      Was bedeuten die Wörter?
      Aus welchem Forschungsbereich stammen sie?

Chromatograph
Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats
Elution
Endozytose
Hirnparenchymsonden
hydrophil, hydrophob
Hypothermie
Intersubjektiv
Genom
Mikrosphären, Mikrosphärenarchitektur, Mikrosphärenschwarm, thermoresponsive Mik-
rosphären, magnetische Polymermikrosphären
Nekrose
Organophosphor
Oxyhämoglobingehalt
Peptidsample
Perfluorcarbon
Polymerschale
Pulmonalarterie
Rastertunnelmikroskop
Spiegelfechterei
Spinales Trauma
Subarachnoidalblutung
Subroutine
Tympanon
Ventrikeldrainage
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DIETMAR DATH

KURZBIOGRAFIE
Eine Kurzbiografie ist im Anhang SHZ-Journal Januar 2019 zu finden.

Zugänge:
https://de.wikipedia.org/wiki/Dietmar_Dath
https://www.faz.net/redaktion/dietmar-dath-12931511.html

INSPIRATIONSQUELLEN
Dietmar Dath hat Physik und Literaturwissenschaften studiert.
Als freier Autor verfasst Dietmar Dath Romane und Theaterstücke, die von „Dar-
win, Marx, Fantasy, Heavy Metal, Zombies und Gentechnik“ handeln, sowie Es-
says und Sachbücher, die sich mit Wissenschaft, neuen Technologien, Politik, So-
ziologie und Sozialismus befassen.
In Bezug zur Frankenstein-Adaption sei hier der Roman „Die Abschaffung der Ar-
ten“ erwähnt, der 2008 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreis war. Er spielt in
einer Welt, in der das transhumanistische Projekt verwirklicht wurde, indem ein
Teil der Menschheit sich durch gesteuerte Evolution in die „Gente“ verwandelt hat.
Sie sind eine Art umfassendes, auf den heute bekannten Tieren beruhendes Ge-
schlecht, welches zur Informationsübermittlung auf ein Duftstoffnetz zurückgreift.
Im Gespräch4 mit dem Dramaturgen Andreas Karlaganis unterhält sich Dath über
Science-Fiction, künstliche Intelligenz und wichtige Aspekte seiner Adaption. Darin
zeigt sich auch seine kommunistisch-marxistische Haltung: Er steht ein für die
„Beseitigung des kapitalistischen Systems“ und erhofft sich danach „ein System
der gemeinschaftlichen, arbeitsteiligen, demokratischen Produktion auf dem Stand
der höchstentwickelten Technik“. Dath vertritt zudem die These, dass sozialer
Fortschritt von der Beseitigung von Herrschaft abhänge.

4
    Siehe Anhang, Gespräch veröffentlicht im SHZ-Journal Januar 2019.
19
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ROMANVORLAGE VON MARY SHELLEY

„If I cannot inspire love, I will cause fear“, ruft das gedemütigte namenlose Mon-
ster in Mary Shelleys „gothic novel“. Die 1818 erst 19-jährige Autorin findet in
„Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ kraftvolle Bilder für den grössten
menschlichen Tabubruch: Der Naturwissenschaftler Victor Frankenstein verschiebt
eigenmächtig die Grenze zwischen Leben und Tod, indem er aus Leichenteilen ein
neuartiges Wesen montiert und mit einem Stromstoss zum Leben erweckt. Er will
ein „Licht über die finstere Welt giessen“, dem Menschen einen guten Gefährten
schaffen und die Sterblichkeit überlisten. Die Kreatur soll lernen, lesen, sogar lie-
ben. Doch die Schöpfung misslingt und wird zur Bedrohung für ihren Schöpfer.
Frankenstein kann seiner Kreatur weder entfliehen, noch sich vor ihren Ansprü-
chen schützen, denn das Wesen lernt tatsächlich blitzschnell. Es will geliebt wer-
den und fordert ein weibliches Pendant. Auf die Ablehnung seiner Person und sei-
ner Wünsche reagiert es bösartig und begeht einen ersten Mord. Frankensteins
Bruder, seine Braut, sein bester Freund, sein Vater, alle kommen schliesslich
durch die Gewalt des Monsters ums Leben. Viel zu spät geht Victor Frankenstein
auf die Jagd und verfolgt sein Geschöpf bis zum Nordpol – wo es in der eisigen
Nacht verschwindet.5

5

https://www.schauspielhaus.ch/uploads/media/default/0001/07/SHZ_Saison_2018_19.pdf
20
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MARY SHELLEY

KURZBIOGRAFIE
Mary Shelley, 1797 in London geboren, stammt aus einer Familie streitbarer Ge-
nies: Ihre Mutter Mary Wollstonecraft ist eine bekannte Frauenrechtlerin, ihr Vater
William Godwin ein einflussreicher Autor, ein von den Ideen der französischen Re-
volution inspirierter Gesellschaftskritiker.
Mit zehn Jahren schreibt Mary ihre ersten Geschichten. Mit 16 brennt sie mit dem
Genie-Dichter Percy Shelley durch und begibt sich mit ihm auf eine Reise durch
Europa. Bei ihrer Rückkehr bekommt sie mit 17 ihr erstes Kind, eine Frühgeburt,
es stirbt nach wenigen Wochen. Während der ersten zwei Jahre ist das unverheira-
tete Paar wegen seiner damals unkonventionellen Lebensweise, heute vergleichbar
mit Patchwork-Familien, einer gesellschaftlichen Ächtung ausgesetzt. Ihr zweites
Kind William kommt im Januar 1816 zur Welt.
Schliesslich heiratet sie 1816 Percy Shelley, nachdem seine erste Frau Harriet
Selbstmord beging. Das junge Paar reist an den Genfersee, um dort den Dichter
Lord Byron6, Byrons Leibarzt John Polidori7 und Marys Stiefschwester Claire Clair-
mont zu treffen, alles Geistesgrössen ihrer Zeit.
Mary Shelley beschreibt im Roman-Vorwort den Sommer 1816 («Jahr ohne Som-
mer») so: „Ein feuchter, unfreundlicher Sommer fesselte uns viel ans Haus. Da
fielen uns gelegentlich einige Bände deutscher Gespenstergeschichten in die Hän-
de. «Wir wollen alle eine Gespenstergeschichte schreiben« schlug da Lord Byron
vor, und alle stimmten wir diesem Vorschlage bei. (...) Ich selbst gab mir Mühe,
eine Geschichte zu erdenken, die es mit den von uns gelesenen aufnehmen könne.
Eine Geschichte, die das tiefste Entsetzen im Leser hervorrufen, das Blut stocken
und das Herz heftiger klopfen lassen sollte. (...) Oft und lange diskutierten Lord
Byron und Percy Shelley, während ich als bescheidene aber aufmerksame Zuhöre-
rin dabeisass. Eine der philosophischen Hauptfragen, die diskutiert wurden, war
die nach dem Ursprünge des Lebens und ob es je möglich sei, ihm auf den Grund
zu kommen.“
Im Ersterscheinungsjahr 1818 ihres Romanes lässt sich das junge Ehepaar für län-
gere Zeit in Italien nieder und Mary bringt ihre Tochter Clara zur Welt. Sie verliert
jedoch ihre beiden ersten Kinder kurz nacheinander und versinkt darauf in einer
Depression. Mit 22 bringt sie den Sohn Percy William zur Welt. Mit 24 ertrinkt ihr
Mann Percy Shelley während einer Segeltour im Golf von La Spezia. Ein Jahr spä-
ter kehrt Mary Shelley mit ihrem dritten und einzigen überlebenden Kind Florence
nach England zurück, wo sie erfolgreich ihre Karriere als Schriftstellerin fortsetzt.

6
 Anm.: Lord Byron ist der Vater von Ada Lovelace. Siehe Lovelace-Test im Labor VII –
Mensch oder Maschine.
7
 Anm.: John Polidori gilt als Erfinder des modernen Vampirromans. Sein Roman „The
Vampyre“ wird erstmals 1819 als Lord Byrons Werk veröffentlicht. Polidori begeht 25-jährig
Suizid.
21
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Mary Shelleys letztes Lebensjahrzehnt ist von Krankheiten gezeichnet. Sie stirbt
1851 im Alter von 53 Jahren vermutlich an einem Gehirntumor.8

INSPIRATIONSQUELLEN
Beeinflusst durch ihre familiäre Herkunft vertritt Mary Shelley bis an ihr Lebens-
ende radikale politische Ideen und setzt sich für die Gleichberechtigung der Frau-
en ein. In ihren Arbeiten findet sich häufig die Ansicht, dass eine gesellschaftli-
che Reform durch ein kooperatives und verständnisvolles Verhalten seitens der
Frauen angestossen werden könne.
In ihrem Leben ist sie immer wieder direkt mit dem Tod konfrontiert: Familienan-
gehörige, Freund/innen und Bekannte begehen Selbstmord, verunfallen tödlich
oder scheiden viel zu früh aus dem Leben. Die Auseinandersetzung mit dem Tod
und im Gegensatz dazu der Beginn des Lebens prägt bereits ihren ersten Roman.
In einer belesenen Familie aufgewachsen, war sie auch vertraut mit der griechi-
schen Mythologie. Für Frankenstein hat sie die Sage von Prometheus aufgegriffen.
Marys Ehemann Percy Shelley ist als Schüler häufig beim schottischen Arzt James
Lind, der sich im Gefolge von Luigi Galvani mit „Froschschenkel-Experimenten“
beschäftigt – wie auch viele andere Anfangs des 19. Jahrhunderts. Vorausgegan-
gen ist bereits im Jahr 1800 die Erfindung der weltweit ersten elektrischen Batte-
rie, das Zeitalter der Elektrizität hat begonnen. Mit der Apparatur des italienischen
Physikers Alessandro Voltas, die etwa einen halben Meter hoch ist, können Span-
nungen bis zu 100 Volt erzeugt werden, was völlig ausreicht, um damit an toten
Tierkörpern ebenso wie an menschlichen Leichen Muskelbewegungen auszulösen.
Mary ist ebenso fasziniert von der Naturphilosophie, von Erasmus Darwin9, der
angeblich mit toter Materie experimentiert, von Elektrizität und Galvanismus und
der Möglichkeit, künstliches Leben zu erschaffen. Die Elektrizität spielt angesichts
ihrer Entdeckung zu Anfang des 19. Jahrhunderts schliesslich eine zentrale Rolle
im Marys Roman, wo sie als Instrument der Wiederbelebung genutzt wird.
Inspiriert durch den aufklärerischen Forschungsdrang ihrer Zeit (sie stellt den
Menschen als das dar, was er sein kann, wenn er keinen Gott mehr hat) und Blit-
zen als schöpferische wie zerstörerische Energie setzt sich Shelley mit ihrer Zeit
auseinander, die sich im wissenschaftlichen Umbruch befindet und deren Konflikte
bis in die Gegenwart strahlen: der unreflektierte Fortschrittsglaube, die Entfrem-
dung zwischen Mensch und Kreatur und die Überwindung des Todes. Sie lässt all
diese Themen in ihre Gruselgeschichte einfliessen. Nachdem die Sommer-
Gesellschaft am Genfersee dem schlechten Wetter entflieht und auseinander geht,
formt sie ihre Ideen zum Roman über „Frankenstein“, den sie schliesslich 1818
herausgibt, zuerst allerdings anonym. 1831 erscheint eine überarbeitete Fassung.

8
 Quellen: https://www.nzz.ch/articleENOGA-1.77674,
https://de.wikipedia.org/wiki/Frankenstein_(Roman),
https://de.wikipedia.org/wiki/Mary_Shelley
9
    Anm.: Charles Darwins Grossvater
22
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PROMETHEUS

Prometheús (griechisch) bedeutet „der Vorausdenkende“,
„der Vorbedenker“ und ist eine Gestalt der griechischen
Mythologie. Die Prometheussage gehört zu den bekann-
testen literarischen Stoffen.
Prometheus gehört dem Göttergeschlecht der Titanen an.
Wie alle Wesen ist er der Herrschaft des Göttervaters
Zeus unterworfen. Bei einem Tieropfer greift er zu einer
List, um Zeus zu täuschen; er überlässt ihm nur die wertlosen Teile des Opfertiers
und behält das geniessbare Fleisch für die Menschen, da sie seine Schützlinge
sind. Zur Strafe dafür verweigert der erzürnte Zeus den Sterblichen den Besitz des
Feuers. Darauf entwendet Prometheus den Göttern das Feuer und bringt es den
Menschen. Deswegen wird er auf Befehl des Göttervaters gefesselt und in der
Einöde des Kaukasusgebirges festgeschmiedet. Dort sucht ihn regelmässig ein
Adler auf und frisst von seiner Leber, die sich danach stets erneuert. Erst nach
langer Zeit erlöst der Held Herakles den Titanen von dieser Qual, indem er den
Adler mit einem Pfeil erlegt. Schliesslich wird Prometheus von Zeus begnadigt und
erlangt seine Freiheit zurück.
Als Feuerbringer und Lehrmeister ist Prometheus der Urheber der menschlichen
Zivilisation. Einer Variante des Mythos zufolge hat er als Demiurg die ersten Men-
schen aus Lehm gestaltet und mit Eigenschaften ausgestattet. Dabei kam es aller-
dings zu Fehlern, deren Folgen Unzulänglichkeiten sind, unter denen die Mensch-
heit seither leidet. Für diese Mängel wird in der mythischen Überlieferung auch ein
am Schöpfungswerk beteiligter Bruder des Prometheus, der unkluge „Nachherbe-
denker“ Epimetheus, verantwortlich gemacht. Grosses Unheil verursacht Epime-
theus, indem er sich gegen den Rat seines voraussichtigen Bruders auf die von
Zeus entsandte Verführerin Pandora einlässt.
In der ältesten antiken Überlieferung bei Hesiod ist Prometheus ein listiger und
hochmütiger Betrüger, der zu Recht für seinen Frevel bestraft wird. Ein sehr vor-
teilhaftes Bild des Titanen zeichnet hingegen die dem Dichter Aischylos zuge-
schriebene Tragödie „Der gefesselte Prometheus“. Der Dramatiker verherrlicht
Prometheus als Wohltäter der Menschheit und Gegenspieler des tyrannischen
Zeus.
Aus religionskritischer Sicht ist Prometheus das Urbild des mutigen Rebellen, der
die Befreiung von Unwissenheit und religiös fundierter Unterdrückung einleitet. In
der Moderne steht er als Symbolfigur für den wissenschaftlichen und technischen
Fortschritt und die zunehmende Herrschaft des Menschen über die Natur. Daher
wird er je nach geschichtsphilosophischem Standort unterschiedlich beurteilt: Für
Fortschrittsoptimisten stellt er eine Allegorie der sich emanzipierenden Menschheit
dar; Zivilisationskritiker hingegen halten den „prometheischen“ Impuls für zwiespäl-
tig oder fragwürdig und problematisieren den Drang des Menschen zu möglichst
schrankenloser, gottähnlicher Macht.10

10
     Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Prometheus
23
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LITERATUR

Mary Wollstonecraft Shelley: Frankenstein oder Der moderne Prometheus.
Fassung von 1831, übersetzt von Heinz Widtmann, Fischer Taschenbuch, Frankfurt
am Main 2009, ISBN 978-3-596-90187-6. Oder auf
http://gutenberg.spiegel.de/buch/frankenstein-oder-der-moderne-prometheus-
5870/1.
Urfassung von 1818, übersetzt und in neuer Überarbeitung herausgegeben von
Alexander Pechmann, mit einem Nachwort von Georg Klein, Manesse Verlag,
München 2017, ISBN 978-3-7175-2370-3.
Ungekürzte originalsprachliche (englische) Ausgabe von 1831 mit Nachwort des
Herausgebers Andreas Gaile. Reclam Verlag, Ditzingen 2013, ISBN 978-3-15-
019838-4.

Barbara Sichtermann: Mary Shelley. Leben und Leidenschaften der Schöpferin des
Frankenstein. Romanbiografie, Herder Verlag, 2017, ISBN-10: 345180879X, ISBN-
13: 9783451808791.
Alexander Pechmann: Mary Shelley - Leben und Werk, Biographie. Patmos Verlag,
Artemis & Winkler, Düsseldorf 2006, ISBN 3-538-07239-6.

Yuval Noah Harari: Homo Deus, Eine Geschichte von Morgen. C. H. Beck Verlag,
München 2018, ISBN 978-3-406-72786-3.
Stephen Cave: Unsterblich. Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben als Triebkraft
unserer Zivilisation. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012, ISBN 978-3-10-
010235-5.

FILME

Frankenstein: Erste Stummfilmadaption, Regie James Searle Dawley, 1910, 13
Min.
Frankenstein: Erste Tonverfilmung, Regie James Whale, 1931, 71 Min, FSK 16.

Ex Machina: Spielfilm, Regie Alex Garland, 2015, 108 Min, FSK 12.
Westworld: Spielfilm, Regie Michael Crichton, 1973, 89 Min. Science-Fiction-Serie,
Produzenten: Athena Wickham, Bryan Burk und Jerry Weintraub, aktuell 2 Staffeln
seit 2016. FSK 16.
Mary Shelley, 1831
Artist: Stump, Samuel John (1778–1863). (Photo by Fine Art Images/Heritage Images/Getty Images)

Wissen – Können – Dürfen
Mit ihrer aufsehenerregenden Aktualisierung von Ibsens „Ein Volksfeind“ wurden Stefan
Pucher und Dietmar Dath zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Zum 200-jährigen
Geburtstag des Romans „Frankenstein“ erarbeitet das Team eine Bühnenadaption dieses
romantischen Stoffs. Ein Gespräch des Dramaturgen Andreas Karlaganis mit dem Autor
und Journalisten Dietmar Dath über Science Fiction, künstliche Intelligenz und darüber,
wie alles mit Mary Shelleys „Frankenstein“ begann.

14
„Nature, to be
                                         commanded,
                                         must be obeyed.“
                                                                                 Francis Bacon

Andreas Karlaganis: Mary Shelley        Shelley uns gibt, finde ich nicht so       komischen Vorstellung der „Herr-
verfasste „Frankenstein“ im Alter von   wichtig wie die Frage, die sie auf-        schaft über die Natur“. Und die ist
19 Jahren am Genfersee. Du deutest      wirft, weil sich die Frage als vitaler     eigentlich falsch. Wenn jemand
den Roman als Gründungstext der         erwiesen hat als die Antwort.              sagt: „Hol mir das und das“, ist das
Science-Fiction-Literatur. Warum?       Antworten gibt es in der Science           Herrschaft. Ein Wille wird einem
Dietmar Dath: Shelley erfand die        Fiction verschiedene. Huxley sagt:         anderen Willen aufgezwungen. Aber
moderne Fantastik. Im Vorwort zur       zu viel Technik macht den Tod              wenn ich eine Mühle baue, die
überarbeiteten Ausgabe von 1831         kaputt und der ist doch so wertvoll.       mit Wasser läuft, zwinge ich das
erklärt sie, dass es weder eine         Umgekehrt gibt es technokratische          Rad nicht, sich zu drehen, oder das
Gespenstergeschichte noch ein           Geschichten, zum Beispiel viele von        Wasser, darüberzulaufen. Das
Märchen ist. Man redet heute von        H. G. Wells. An dem Buch von               geschieht, weil die Naturgesetze so
drei Genres in der modernen             Shelley ist toll, dass die Frage des       sind. Die Vorstellung, „Ich habe
Fantastik: Science Fiction, Fantasy     Verhältnisses von Wissen, Können           Herrschaft über die Natur, indem ich
und übernatürlicher Horror. Wenn        und Dürfen noch roh drinsteht. Und         eine Mühle baue“, ist eigentlich
Shelley sagt, es ist kein übernatür-    dass ich sie auf die Gegenwart             Quatsch. Im Stück geht es mir um
licher Horror (keine Gespenster-        übertrage, heisst nur, man kann sie        die Zweideutigkeit des emanzipa-
geschichte) und keine Fantasy (kein     mit unserem heutigen Apparat               torischen Verhältnisses von Wissen-
Märchen), ist es Science Fiction.       genauso „red in tooth and claw“, so        schaft und Technik gegenüber dem
Zur Zeit Shelleys hatten die Kunst-     blutig, wie man sie damals gestellt        Sozialen. Francis Bacon sagte:
schaffenden die alten Kunstzwecke       hat, noch mal stellen.                     „Nature, to be commanded, must be
verloren: Kunst verherrlichte bis                                                  obeyed.“ Das Geschöpf, das im
zur Revolution der BürgerInnen          AK: Wie geht der Wissenschaftler           Stück durch die Wissenschaft
entweder das Herrscherhaus oder         Frankenstein bei dir konkret vor?          entsteht, ist eigentlich nicht dem
die Religion – also die Stände-         DD: Er arbeitet an einem Geschöpf,         Menschen untergeordnet. Doktor
ordnung oder Gott. Auf einmal           indem er Denkspuren, Sprache               Frankenstein merkt, dass etwas
malten KünstlerInnen nicht mehr         von zwei Leuten ins Hirn des toten         nicht stimmt. Doch er kann sich
für den Abt das Gemälde mit Jesu        Wesens, bei dem das Selbst-                nicht anders ausdrücken, weil er die
Grablegung und auch nicht mehr          gespräch aufgehört hat, einspeist.         Sozialverhältnisse nur als Über- und
das Porträt für den König – sondern     Am Leben interessiert mich das             Unterordnung kennt. Der Begriff der
alles für den Markt. Die Kunst stand    Bewusstsein; Frankenstein hat ja           Herrschaft greift nicht. Was dann?
vor der Frage, wozu sie gut ist.        keinen Frosch elektrisiert, er wollte      Der Begriff, der sich an dessen
Eine Möglichkeit war, sich mit dem      etwas, das weiss, dass es lebt.            Stelle setzt, ist der des Stoff-
Verhältnis von Wissen, Können und       Dieses Wissen ist nur als Gespalten-       wechsels oder Austauschs mit der
Dürfen auseinanderzusetzen. So          sein zu haben, als Dialog.                 Natur. Wenn wir einen Sonnen-
entstand die Science Fiction. Die                                                  kollektor bauen, bedeutet das nicht,
Wörter Utopie und Dystopie mag ich      AK: Die Idee von Frankenstein ist, das     dass wir die Sonne beherrschen,
in diesem Zusammenhang nicht,           Gott-Mensch-Verhältnis abzuschaffen.       sondern wir machen einen Aus-
weil sie Science Fiction auf Angst-     Dennoch steht er in einem hierarchi-       tausch von Energieformen. Das
affekte und Hoffnungen reduzieren.      schen Verhältnis zu seinem Geschöpf.       Stück beschreibt Technik als ein
Es geht weniger darum, gleich eine      DD: Unser Eingreifen in die Natur          Kommunikationsmittel für den
Antwort zu erhalten, sondern die        durch Wissenschaft und Technik             Austausch und nicht als reines Herr-
Frage, wie sich Wissen, Können und      entstand im Absolutismus mit               schaftsinstrument über die Natur.
Dürfen zueinander verhalten, ist an     Galileo Galilei und anderen. Wir           Die Diskussion über Gentechnik,
sich interessant. Die Antwort, die      agieren bis heute mit dieser               Informationsgesellschaft und Klima-

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Dietmar Dath studierte Literaturwissenschaft
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                                                                                   des Magazins spex und schreibt im Feuilleton
                                                                                   der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zuletzt
                                                                                   erschienen die 100-Seiten-Essays „Karl Marx“
                                                                                   und „Superhelden“ beim Reclam Verlag sowie
                                                                                   zahlreiche Science-Fiction-Romane, zuletzt
                                                                                   „Der Schnitt durch die Sonne“ (Suhrkamp).
                                                                                   Foto: Hanke Wilsmann

wandel, die wir heute führen,          Behauptung, die ich darin mit ver-          und die Konstellation zwischen den
steckt da drin. Frankenstein ist       stecke, ist die, dass Bewusstsein           beiden in sich aufnimmt – und
der Bürger, der die Wissenschaft       für eine künstliche Intelligenz, wenn       dadurch wird er erst wirklich der
entdeckt. Die bürgerliche Klasse       es jemals dazu kommen sollte,               Rechner A, weil er dann erst
ist nicht weit genug gegangen.         schneller zum Problem wird als für          kapiert, wo er, wo der andere und
Sie bleibt im Herrschaftsbild.         einen Menschen. Das ist auch in             wo die Aussenwelt ist. Genauso
                                       allen Geschichten, die wir darüber          macht es der Rechner B. Und jetzt
AK: Bei Shelley besteht das Geschöpf   erzählen, so. Wir können offenbar           kannst du einen Rechner C haben,
aus vielen Leichenteilen.              keine KI-Geschichte erzählen, in der        der dann wieder die beiden nimmt
DD: Es wird zu einer Persönlichkeit,   das Geschöpf oder der Roboter               und so weiter. Die These ist: der
lebend in einem Körper aus vielen      nicht fragt: Wer bin ich? Was wollt         Schöpfungsakt hört nicht auf. Wann
Stücken. Bei mir ist das Geschöpf      ihr von mir? Hast du mich gemacht?          ist die russische Revolution? Nicht
ein Hybrid, zusammengesetzt aus                                                    beim Sturm auf den Winterpalast,
vielen Persönlichkeiten, lebend in     AK: Du greifst in deiner Bearbeitung        sondern diese Revolution dauert bis
einem unversehrten Körper.             Luc Steels’ Methode zur Entwicklung         1989. Alles ist russische Revolution
                                       von künstlicher Intelligenz von             bis zur Konterrevolution. Und wir
AK: Warum hat Frankenstein ein         Robotern auf, die in der Interaktion        hier leben eigentlich noch in der
Problem mit seinem Geschöpf?           eine eigene Sprache ausbilden.              französischen Revolution. Man kann
DD: Es ist der Selbsthass Franken-     DD: Ich will auf eine Kettenreaktion        den Stopp-Punkt nicht benennen.
steins. Man findet bei Shelley das     hinaus. Der Trick von Luc Steels ist,       Man kann nur sagen, wo es anfängt.
Thema der Gottesebenbildlichkeit.      dass der Rechner A den Rechner B
Was wäre, wenn der Gott sich
selbst nicht leiden kann? Franken-
stein rechtfertigt den Hass auf das
Geschöpf mit dem Mord des
                                                               Frankenstein
Geschöpfs an seinen Familien-
                                                               von Dietmar Dath, inspiriert von Mary Shelley / Regie Stefan Pucher
mitgliedern. Ich wollte aber zeigen,                           Uraufführung
dass Frankenstein das Geschöpf                                 Mit Inga Busch, Fritz Fenne, Robert Hunger-Bühler, Julia Kreusch,
sofort als hässlich beschreibt,                                Lena Schwarz, Edmund Telgenkämper
obwohl es noch gar nichts getan hat.                           Premiere 10. Januar, Pfauen

AK: Wie entwickelt das Geschöpf
menschliche Züge?                                              Backstage-Pass für Studios und ProjektleiterInnen aus den Bereichen
DD: Es hat Identitäten in sich, die                            Gamedesign, virtuelle Realität und digitale Stadtentwicklung
                                                               14. Januar, 18:00, Pfauen
zusammen ein Bewusstsein ergeben.
                                                               Theater im Gespräch zu „Frankenstein“ & „44 Harmonies from
Doch zum Bewusstsein gehört
                                                               Apartment House 1776“
immer ein Bruch. Zwei widerstrei-                              18. Januar, 19:00–20:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer
tende Motive sind in mir, dann                                 Early Birds „Schöpfung II – Frankensteins Schöpfung“
muss ich darüber nachdenken. Die                               22. Februar, 9:00–11:00, Treffpunkt Schiffbau/Foyer

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