Europa - eine Liebe, die vielleicht nicht größer, aber tiefer wird - Konrad-Adenauer-Stiftung

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Europa - eine Liebe, die vielleicht nicht größer, aber tiefer wird - Konrad-Adenauer-Stiftung
17. Juli 2019

Europabüro Brüssel

Europa - eine Liebe, die vielleicht nicht
größer, aber tiefer wird.

Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin gewählt

Dr. Hardy Ostry & Johanna Fleger

Nein, es ging nicht um die alte             Frederiksen. Aus der Geduldsprobe war
Dichotomie zwischen Erweiterung und         im Parlament in Straßburg nunmehr eine
Vertiefung, sondern ganz einfach,           Zitter-Partie geworden, die Ursula von
menschlich und nahbar um das Gefühl         der Leyen jedoch für sich entscheiden
für die Idee Europa, als die Kandidatin     konnte.
zum Spitzenamt der
                                            Die vergangenen dreizehn Tage nutzte die
Kommissionspräsidentin an ihren Vater,
                                            zu diesem Zeitpunkt designierte
Ernst Albrecht erinnerte: Der habe
                                            Kommissionspräsidentin bereits für
Europa mit einer Ehe verglichen, wo
                                            zahlreiche Gespräche, um am Ende die
zwischen den Partnern die „Liebe
                                            Stimmen der Mehrheit der Parlamentarier
vielleicht nicht größer, aber
                                            zu gewinnen. Zunächst hinter
tiefer“ würde. Ursula von der Leyen
                                            verschlossenen Türen, um sich ihr eigenes
wirkte engagiert und überzeugend, als
                                            Bild von den drängenden Fragen der
sie am Morgen des 16. Juli bei ihrer
                                            Europäischen Union (EU) zu machen, dann
Bewerbungsrede im Straßburger
                                            auch öffentlich, als sie im Europaparlament
Parlament für sich, letztlich jedoch für
                                            bei den unterschiedlichen Fraktionen
Europa warb. Wenige Stunden später
                                            vorsprach. Anschließend trug die ehemalige
wurde es dann amtlich: Die ehemalige
                                            Verteidigungsministerin ihre
Verteidigungsministerin darf ihre
                                            europapolitischen Ideen vor, äußerte sich
Ambitionen in den kommenden fünf
                                            unter anderem zur Klimapolitik, zu
Jahren unter Beweis stellen. Bis zu jener
                                            Migration und zur Reform des
finalen Abstimmung, durch die von der
                                            Spitzenkandidatensystems, betonte mit Blick
Leyen mit insgesamt 383 Stimmen
                                            auf Fragen der Rechtsstaatlichkeit die
bestätigt wurde, war es ein langer Weg.
                                            Fundamente Europas und skizzierte ihre
Bereits während des Sondergipfels der
                                            Vision einer Sozialen Marktwirtschaft. Die
Europäischen Staats- und
                                            inhaltlich breite Themenstellung der Rede
Regierungschefs Ende Juni appellierten
                                            war offensichtlich darauf angelegt, möglichst
die Vertreter der Staaten in Brüssel
                                            viele der vielleicht noch unsicheren
mehrfach an die Geduld der Bürger: „Ich
                                            Parlamentarier mit ins Boot zu holen.
hoffe, dass sie geduldig sein werden“, so
                                            Insofern gab es neben viel Lob und
die Dänische Premierminister, Mette
                                            Anerkennung gemäß des politischen Spiels
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                           Juli 2019   2

jedoch auch Kritik, auf die sie vorbereitet    gemeinsamen, europäischen Asylsystems.
war.                                           Das Spitzenkandidatensystem müsse
                                               überarbeitet werden, so von der Leyen, und
Die 60-jährige war erst Anfang Juli
                                               auch für das Initiativrecht des Europäischen
überraschend Teil des Personalpakets der
                                               Parlaments würde sie sich einsetzen. Starke
EU geworden, nachdem der Europäische Rat
                                               Worte, die mit einem starken Applaus der
lange um die Nominierung eines der zuvor
                                               Abgeordneten belohnt wurden. Jedoch
bestimmten Spitzenkandidaten gerungen
                                               hielten sich die kritischen Stimmen auch
hatte. Neben von der Leyen sollten der
belgische Premierminister Charles Michel als   nach ihrer Rede hartnäckig, sodass der

künftiger Ratspräsident, der spanische         Ausgang der finalen Abstimmung bis zuletzt
Außenminister Josep Borrell als Hoher          ungewiss blieb. Hinzu kommt, dass die
Vertreter der EU für Außen- und                Abgeordneten im Europaparlament nicht
Sicherheitspolitik und die Französin           durch einen Fraktionszwang gebunden sind
Christine Lagarde als Chefin der               und ihre Stimme somit ohne weiteres vom
Europäischen Zentralbank (EZB), die            Rest der Gruppe abweichen kann. Während
führenden EU-Positionen einnehmen.             einige, wie die ehemals als
                                               Kommissionspräsidentin angetretene
Von der Leyen begab sich während der Zeit
                                               Vestager, der Präsident der Liberalen,
bis zur finalen Abstimmung über ihre Person
                                               Dacian Ciolos, und der Sozialdemokrat Frans
auf die Suche nach ihrem „Europäischen
                                               Timmermans, von der Leyens Rede als
Weg“, stets mit dem Ziel vor Augen, eine
                                               „stark, warm und ausbalanciert“ lobten und
Mehrheit von mindestens 374
                                               zu ihrer Wahl aufriefen, zeigten sich andere
Parlamentariern hinter sich zu vereinen.
                                               weiterhin skeptisch. So bezeichnete der Ko-
Genau dreizehn Tage nach dem Beginn ihrer
                                               Vorsitzende der Grünen, Philippe Lamberts,
„Zuhör-Tour“ präsentierte die Kandidatin
                                               von der Leyens Agenda als „zu vage“ und
aus Deutschland ihre politischen Leitlinien
                                               auch die konservative Fraktion übte starke
als künftige Kommissionspräsidentin vor
                                               Kritik.
dem gesamten Plenum in Straßburg. Sie
zeigte sich einmal mehr als starke             Nach der Wahl ist vor der Wahl oder,
Europäerin und betonte, dass allein „ein       wie alles begann
Europäischer Weg“ die Lösung für die
disruptiven Entwicklungen unserer Zeit sei.    In den langwierigen und schwierigen

Darunter fielen unter anderem der              Verhandlungen zur Besetzung der EU-

Klimawandel, die Globalisierung und die        Spitzenämter ging es vor allem um

Digitalisierung. Insbesondere im Klima-        Kompromissbereitschaft. Das Verfahren

Bereich steckte von der Leyen das              sieht vor, dass dem Europäischen Parlament

ehrgeizige Ziel eines klimaneutralen           am Ende ein Vorschlag für den Posten des

Kontinents bis 2050. Zudem setze sie           Kommissionspräsidenten vorgelegt wird,

Prioritäten im Hinblick auf eine soziale       der von einer qualifizierten Mehrheit im Rat,

Wirtschaft, die Geschlechter-Balance der       bestehend aus 16 der 28 Mitgliedsstaaten,

Kommission und eine Reform des                 die mindestens 65 Prozent der EU-
                                               Bevölkerung repräsentieren, unterstützt
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                          Juli 2019   3

wird. Der aus dem Amt scheidende               „Osaka-Paket“ auch gescheitert war,
Ratspräsident Donald Tusk musste als           kursierten neue Namen im Rennen um die
Verhandlungsführer dabei auf der               Nachfolge des Luxemburgers. Mehrfach
Grundlage von Personalpaketen eruieren,        wurde Michel Barnier, Chefunterhändler der
ob diese Vielfalt der EU im Hinblick auf       EU- Kommission, genannt, und auch der
Geografie, Parteizugehörigkeit und             Name der liberalen Dänin Margrethe
Geschlecht widerspiegelten. Sobald eine        Vestager fiel im Rahmen der Konsultationen
dieser Personenkonstellationen aufgrund        mehrfach. Als der Sondergipfel am Morgen
von Uneinigkeit zwischen den Staats- und       des nächsten Tages „mit neuer Kreativität“,
Regierungschefs platzte, begannen die          um es in den Worten Merkels auszudrücken,
Konsultationen von neuem. Bereits am           in die Verlängerung ging, war die
ersten Abend des Sondergipfels Ende Juni       Personallage somit nicht weniger komplex.
stand ein Vorschlag zur Debatte, der am        Den Beratungen in großer Runde ging
Rande des G-20 Gipfels in Osaka                erneut eine umfangreiche Phase bilateraler
ausgehandelt wurde. EVP-Kandidat Manfred       und multilateraler Gespräche voraus, und
Weber war zu diesem Zeitpunkt aufgrund         der niederländische Ministerpräsident Mark
der unnachgiebigen Haltung Macrons             Rutte betonte, dass „alle möglichen Kollegen
bereits aus dem Rennen um Junckers             alle möglichen Positionen“ vertreten
Nachfolge ausgeschieden. Ein neuer             würden. Auch Xavier Bettel, Premierminister
Vorschlagl stand kurze Zeit später zur         Luxemburgs, plädierte deutlich für einen
Debatte, der den niederländischen              Kandidaten mit dem größtmöglichen
Sozialdemokraten Frans Timmermans als          Rückhalt unter den Mitgliedsstaaten. Dem
Kommissionspräsidenten, Weber als              Druck des Europäischen Parlaments
Parlamentspräsidenten, die Weltbank-           ausgesetzt, , warfen die Ratsmitglieder dann
Generaldirektorin Kristalina Georgiewa         einen weiteren Namen in den Ring. Mit
(EVP) als Tusks Nachfolgerin und den           einem Kompromiss-Paket rundum die
belgischen Premierminister Charles Michel      deutsche Verteidigungsministerin Ursula
der Liberalen als neuen EU-                    von der Leyen als künftiger
Außenbeauftragten vorsah. Doch auch            Kommissionspräsidentin wurde eine
Timmermans stellte sich nicht als              gänzlich neue Konstellation ins Spiel
„Kompromisskandidat“ für die EU-28 heraus.     gebracht. Gemeinsam mit der CDU-
Dem Sozialdemokraten mangelte es an            Politikerin waren eine weitere Frau, die
Unterstützung der östlichen Visegrád-          Französin und gelernte Juristin Christine
Staaten und Italien, die ihn aufgrund seiner   Lagarde, als Chefin der EZB, der
Unterstützung des Rechtsstaatsverfahrens       krisenerprobte belgische Premier Charles
gegen Polen und seiner Ungarn-Kritik           Michel als potentieller Ratspräsident und
ablehnten. Der ungarische                      der spanische Außenminister Josep Borrell
Ministerpräsident Viktor Orbán richtete        Teil der nunmehr avisierten Lösung.
sogar eine schriftliche Warnung vor einer      Darüber hinaus wurde besprochen, dass ein
Nominierung Timmermans an den EVP-             Sozialist für zweieinhalb Jahre das Amt des
Präsidenten Joseph Daul. Kurz nachdem das      Präsidenten des Parlaments übernehmen
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                            Juli 2019   4

und für die zweite Hälfte der Amtszeit von     neu zusammengesetzte Europaparlament in
einem EVP- Kandidaten abgelöst werden          Straßburg einen neuen Präsidenten gewählt.
könnte.                                        Im zweiten Wahlgang wurde der Italiener
                                               David-Maria Sassoli mit 345 Stimmen zum
Das Personentableau steht                      Nachfolger des ebenfalls italienischen
                                               Antonio Tajani bestimmt. Sassoli soll das
Mit dem Ausscheiden aller zuvor
                                               Amt für zweieinhalb Jahre übernehmen, um
nominierten Spitzenkandidaten blieb am
                                               es anschließend für die zweite Hälfte an
Ende das von der deutschen
                                               einen EVP-Kandidaten zu übergeben. Der
Verteidigungsministerin Ursula von der
                                               tschechische Abgeordnete Jan Zahradil
Leyen angeführte „Überraschungspaket“. Sie
                                               landete im Rennen um den Posten des
ist das Gesicht jener
                                               Parlamentspräsidenten mit 160 Stimmen
Personalentscheidungen, um die die
                                               auf Platz zwei, und für Ska Keller, die
Ratsmitglieder lange gerungen haben.
                                               deutsche Kandidatin der Grünen, votierten
Unterstützt wurde von der Leyen als
                                               119 Abgeordnete. Der neue
Kandidatin insbesondere von den Baltischen
                                               Parlamentspräsident der italienischen
Staaten und Polen, sowie Spanien,
                                               Partito Democratico stand in seiner ersten
Frankreich und den Visegrád Vier. Kritisiert
                                               Amtszeit in Brüssel ab 2009 der
wurde die Entscheidung unter anderem in
                                               italienischen, sozialdemokratische Fraktion
Deutschland, wo Grüne und
                                               vor und war von 2014 bis 2019 einer der 14
Sozialdemokraten die Kandidatin ablehnten.
                                               Vizepräsidenten des EU-Parlaments. Im
Ohne die Unterstützung des
                                               Rahmen seiner ersten Pressekonferenz als
Koalitionspartners SPD musste sich Merkel,
                                               neu gewählter Parlamentspräsident betonte
sowie zuvor innenpolitisch festgelegt, auf
                                               der ehemalige Fernsehjournalist: „Die
dem EU-Sondergipfel als einzige Vertreterin
                                               Wahlen haben gezeigt, dass die Bürger an
der Abstimmung über die Nominierung
                                               die Europäische Union, an die Demokratie
enthalten. Annegret Kramp-Karrenbauer,
                                               glauben. Dies ist nicht belanglos wenn man
jetzige Nachfolgerin von der Leyens als
                                               bedenkt, wie viele Kräfte die Union während
Verteidigungsministerin und
                                               der letzten Wochen schwächen wollten“. Die
Bundesvorsitzende der CDU, lobte die
                                               Entscheidung für Sassoli komplettiert das
Ernennung ihrer Vorgängerin als „gutes
                                               übergreifende Personalpaket, das von der
Signal für die Handlungsfähigkeit von
                                               Leyen an der Spitze der Europäischen
Europa“. Auch David McAllister, Mitglied des
                                               Kommission vorsieht.
Europäischen Parlaments, appellierte an
seine Amtskollegen, der langjährigen
                                               Eine Analyse
Ministerin und „überzeugten
Europäerin“ eine Chance zu geben.              In den vergangenen Wochen befanden sich
                                               Europas Bürger in einer Warteschleife, die
Auch das Parlament hat gewählt                 zu keiner schnellen Entscheidung über die
                                               Vergabe der Top-Ämter in der EU zu führen
Kurz nach der Einigung der Staats- und
                                               schien. Die Institutionen wiesen sich
Regierungschefs in Brüssel hatte auch das
                                               gegenseitig die Schuld für die Uneinigkeit
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                         Juli 2019   5

über die Nominierung konkreter Kandidaten          Kandidaten. Ein Konsens, der die
beziehungsweise deren Blockade zu. Die             geographischen, kulturellen, politischen
Fraktionen im Europäischen Parlament               und wirtschaftlichen Unterschiede der
hatten es zunächst verpasst, sich rechtzeitig      EU-Mitglieder widerspiegelt. Nur wenn
hinter einen der vorab ausgewählten                dies gegeben ist, und der Kandidat
Spitzenkandidaten zu stellen. Dies                 seine legitimierte Handlungsfähigkeit
beförderte den Ball in das Feld des Rates,         durch die Institutionen erhält, kann
der das alleinige Vorschlagsrecht für die          dieser glaubwürdig an der Spitze der
Wahl des Kommissionspräsidenten besitzt.           Kommission stehen.
Unmut über die Entscheidungsfindung und
                                                2. Die Reaktionen auf die Entscheidungen
die Abkehr von den Spitzenkandidaten
                                                   des Sondergipfels haben ebenfalls
blieben jedoch vor allem im Parlament
                                                   gezeigt, dass die Verbindung zwischen
bestehen, das es ebenso verfehlte, sich
                                                   „der Basis“, Europas Bürgern, und ihren
geschlossen hinter einer Person zu
                                                   politischen Vertretern auf europäischer
versammeln. Rückblickend lassen sich aus
                                                   Ebene durchaus stark und nicht zu
dem langen Prozess einige
                                                   unterschätzen ist. Für viele Europäer ist
Schlussfolgerungen über die aktuelle
                                                   die Verbindung zwischen ihrer
Dynamik zwischen den Mitgliedsstaaten und
                                                   Entscheidung bei der Europawahl und
den Institutionen ziehen, sowie über die
                                                   der anschließenden Nominierung der
zukünftige Handhabung des
                                                   Topposten eine direkte. Auch die
Spitzenkandidatensystems:
                                                   Wahlkämpfe in vielen Ländern haben
 1. Es existiert noch kein geeignetes              diese Annahme mitgetragen, ohne dass
     Nominierungsverfahren für die                 die rechtliche Situation eindeutig bzw.
     Besetzung der EU-Institutionen,               die politische (Mehrheitsbildung) dem
     insbesondere wenn sich Europäisches           entsprach. Da die EU jedoch kein Staat
     Parlament und Europäischer Rat in             ist, sondern ein Staatenverbund gilt es,
     einer konfliktiven Zuständigkeit              ehrlicherweise auch der komplexen
     befinden. Ob sich Amtsanwärter in             Struktur desselben Rechnung zu tragen:
     Zukunft weiterhin im Wahlkampf als            Auch der Europäische Rat hat seine
     Spitzenkandidaten präsentieren oder           institutionelle und demokratische
     ob die Personensuche ausschließlich           Legitimation, und deren
     dem Rat überlassen wird, sollte bis zur       Mitgliedsstaaten haben eigene
     nächsten Europawahl überdacht und             Interessen, unabhängig davon, ob man
     das System entsprechend reformiert            sie teilt oder nicht. Insofern waren die
     werden. Hier könnte der Vorschlag der         während der letzten Wochen oftmals
     bisher umstrittenen transnationalen           bemühten Begrifflichkeiten
     Listen als Alternative oder Ergänzung         „Hinterzimmerdeals“ oder „Verrat am
     zum aktuellen Verfahren eine Rolle            Wählerwille“ weder hilfreich noch in der
     spielen. An erster Stelle steht in jedem      Sache berechtigt ist, wenngleich einer
     Fall die Konsensfähigkeit des
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                         Juli 2019   6

     nachvollziehbaren Enttäuschung               Vergleich zwei Gegenstimmen von
     entsprungen.                                 Großbritannien und Ungarn. Zudem ist
                                                  von der Leyen nun die erste Frau an der
 3. Es ist nicht von der Hand zu weisen,
                                                  Spitze der Kommission und hat durch
     dass es Spannungen zwischen
                                                  ihre Wahl Europa-Themen zurück in
     einzelnen Staaten und Ländergruppen
                                                  den öffentlichen Diskurs der Bürger
     innerhalb der Union gibt. Auch bei der
                                                  gebracht.
     Entscheidung über das EU-
     Personentableau kamen diese zum          Zahlreiche Medien sprachen nach Abschluss
     Vorschein, bis hin zur Blockade          des Sondergipfels und der Abstimmung in
     konkreter Lösungsansätze. In einem       Straßburg von Gewinnern und Verlierern
     Zusammenschluss aus zahlreichen          des Verfahrens. Dabei scheint außer Acht,
     Mitgliedsstaaten gehört dies jedoch      dass es vorrangig um das Wohl der EU in
     zum politischen Geschäft und könnte      den kommenden fünf Jahren und nicht um
     bereits ein Vorgeschmack auf die         den Siegeszug Einzelner geht.
     kommende Legislaturperiode sein. Die     Verhandlungen, gerade in Personalfragen,
     Überbrückung von Uneinigkeiten,          gehen stets mit Kompromissen einher.
     Berücksichtigung der Interessen aller    Unter Berücksichtigung der Anliegen von 28
     und eine stete Kompromisssuche           Mitgliedsstaaten und zwei Institutionen, war
     stellen einige der Herausforderung der   dies im Falle der Nominierung der
     EU-Führungsspitzen dar. Um das           Kandidaten für die EU-Ämter keine einfache
     Gemeinwohl Europas langfristig stärker   Aufgabe. Tusk vermittelte zwischen
     in den Vordergrund zu stellen, könnte    Parteienfamilien, nationalen Regierungen
     eine Stärkung des Parlaments, das für    und Europapolitikern gleichzeitig. Solange
     gesamteuropäische Interessen steht,      alle Staats- und Regierungschefs „die Kraft
     erwogen werden. Durch die                der Einigkeit wirklich verstehen“, so der
     Übertragung des Initiativrechts an das   scheidende Ratspräsident in seinem Bericht
     Parlament bestünde eine höhere           an das Parlament, können sogar in
     Wahrscheinlichkeit, dass nationale       schwierigen Situationen gemeinsame
     Partikularinteressen und die Suche       Lösungen gefunden werden. Mit der Wahl
     nach dem kleinsten gemeinsamen           von der Leyens als erster Frau an der Spitze
     Nenner zukünftige Entscheidungen wie     der EU-Kommission, geht die Suche nach
     bisher dominieren.                       Kompromissen weiter. Ihre ehrgeizigen Ziele
                                              für Europa hat die ehemalige Ministerin
 4. Es sollte hervorgehoben werden, dass
                                              bereits aufgezeigt, jedoch dürfen die
     trotz der mehrfachen Kritik an der
                                              komplexen, institutionellen Strukturen der
     Verfahrensfrage die Staats- und
                                              EU nicht außer Acht gelassen werden. Mit
     Regierungschefs eine Personallösung
                                              ihrer Rede hat von der Leyen jedoch bereits
     gefunden haben, die zunächst für alle
                                              deutlich gemacht, alle, die guten Willens
     Mitgliedsstaaten tragbar ist. Von der
                                              sind, mitnehmen zu wollen. Und dies wird
     Leyen wurde nahezu einstimmig, mit
                                              nur mit Kompromissen gehen.
     nur einer Enthaltung Deutschlands
     nominiert. Juncker erhielt 2014 im
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.

Dr. Hardy Ostry
Leiter des Europabüros Brüssel
Konrad-Adenauer-Stiftung
www.kas.de/bruessel/

johanna.fleger@kas.de

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