F&E Task Force Kirschessigfliege - Agroscope

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F&E Task Force Kirschessigfliege - Agroscope
F&E Task Force Kirschessigfliege
Schlussbericht

Dominique Mazzi, Patrik Kehrli, Barbara Egger, Bastien Christ,
Jana Collatz (alle Agroscope) und Claudia Daniel (FiBL)
F&E Task Force Kirschessigfliege - Agroscope
Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis
1       Ausgangslage und Organisation ..................................................................................................... 3
2       Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse .............................................................................. 4
2.1     Modul Beeren ..................................................................................................................................... 4
2.1.1   Monitoring und Populationsdynamik ................................................................................................... 4
2.1.2   Bekämpfungsstrategien ....................................................................................................................... 6
2.1.3   Schlussfolgerungen für Beerenkulturen ............................................................................................ 10
2.2     Modul Steinobst .............................................................................................................................. 11
2.2.1   Monitoring .......................................................................................................................................... 11
2.2.2   Insektenschutznetze .......................................................................................................................... 12
2.2.3   Schutz vor Eiablagen durch Gesteinsmehl ....................................................................................... 13
2.2.4   Direkte Bekämpfung durch Pflanzenschutzmittel.............................................................................. 14
2.2.5   Nach der Ernte .................................................................................................................................. 14
2.2.6   Schlussfolgerungen für den Steinobst-Anbau ................................................................................... 15
2.3     Modul Trauben ................................................................................................................................. 16
2.3.1   Monitoring .......................................................................................................................................... 16
2.3.2   Sortenanfälligkeit ............................................................................................................................... 17
2.3.3   Befallsbegünstigende Faktoren ......................................................................................................... 17
2.3.4   Boniturmethode und Befallsvorhersage ............................................................................................ 18
2.3.5   Schutz der Reben .............................................................................................................................. 19
2.3.6   Schlussfolgerungen für den Rebbau ................................................................................................. 21
2.4     Modul Bio-Anbau ............................................................................................................................. 22
2.4.1   Biologie und Vorbeugung .................................................................................................................. 22
2.4.2   Prüfung von Fallenfarben und Lockstoffen und Monitoring der Kirschessigfliege ............................ 24
2.4.3   Direkte Bekämpfung: Labor- und Feldversuche zur Prüfung von Bio-Insektiziden .......................... 25
2.4.4   Weitere Versuchsansätze ................................................................................................................. 25
2.5     Modul Grundlagen ........................................................................................................................... 26
2.5.1   Bewegung der Kirschessigfliege in der Landschaft .......................................................................... 26
2.5.2   Vorkommen und Bekämpfungspotential von Prädatoren ................................................................. 28
2.5.3   Vorkommen und Bekämpfungspotential von Parasitoiden ............................................................... 29
2.5.4   Parasitoide in der Interaktion mit Früchten ....................................................................................... 30
2.5.5   Kältetoleranz von Parasitoiden.......................................................................................................... 31
2.5.6   Schlussfolgerungen Grundlagen ....................................................................................................... 32
3       Projekte von Drittpartnern .............................................................................................................. 33
4       Wissenstransfer .............................................................................................................................. 34
4.1     Merkblätter und Newsletter ............................................................................................................... 34
4.2     Webseite, Medienpräsenz und Fachpublikationen ........................................................................... 34
4.3     Nationale Tagung Kirschessigfliege .................................................................................................. 35
4.4     Politikberatung und Vollzugsunterstützung ....................................................................................... 35
5       Schlussfolgerungen und Ausblick ................................................................................................ 36
6       Veröffentlichungen .......................................................................................................................... 37
6.1     Referierte wissenschaftliche Publikationen ....................................................................................... 37
6.2     Nicht-referierte wissenschaftlich-technische Publikationen .............................................................. 38
6.3     Merkblätter......................................................................................................................................... 40

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F&E Task Force Kirschessigfliege - Agroscope
Ausgangslage und Organisation

1       Ausgangslage und Organisation
Die aus Südostasien stammende und in der Schweiz erstmals 2011 nachgewiesene Kirschessigfliege, Dro-
sophila suzukii, befällt bei vielen Wirtspflanzen heranreifende oder reife, intakte Früchte. Die befallenen
Früchte sind nicht länger vermarktungsfähig. Der Befall sorgte im Jahr 2014 lokal für beträchtliche Ernteaus-
fälle. Grosse Mehrkosten entstanden daneben durch die Umsetzung von vorbeugenden Massnahmen und
die Nachsortierung des Ernteguts.
Mit der von Nationalrat Bruno Pezzatti eingereichten Motion «Forschung im Bereich der Kirschessigfliege»
wurde der Bundesrat aufgefordert, die Forschung und Beratung im Bereich der Kirschessigfliege deutlich
auszubauen, nachhaltige Schutzstrategien zu entwickeln und diese in der Praxis zu verankern. In der Folge
etablierten Agroscope und das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) die Task Force Kirsches-
sigfliege, um gemeinsam mit Partnern aus der Forschung, Beratung, Praxis und dem Vollzug die Entwicklung
und Umsetzung von schadensmindernden Lösungen voranzutreiben. Das Ziel der Projektaktivitäten der Task
Force Kirschessigfliege war eine wirtschaftlich vertretbare, nachhaltige Koexistenz mit der Kirschessigfliege
unter Berücksichtigung der steigenden Qualitätsanforderungen von Handel und Konsum zu ermöglichen. Der
Bundesrat empfahl die Unterstützung der Motion. Der Nationalrat stimmte bereits in der Wintersession 2014
der Motion zu; der Ständerat hiess sie im Juni 2015 definitiv gut. Für die Intensivierung der Forschung im
Bereich der Kirschessigfliege wurden darauffolgend insgesamt CHF 2.5 Mio., verteilt auf fünf Jahre, zuge-
sprochen.
Die Task Force Kirschessigfliege war ab Februar 2015 1 unter
der wissenschaftlichen Projektleitung von Dominique Mazzi
(Agroscope) operativ. Sie umfasste die Module Beeren (Lei-
tung: Catherine Baroffio, ab 2018 Bastien Christ, Agroscope),
Steinobst (Leitung: Stefan Kuske, ab 2017 Barbara Egger,
Agroscope), Trauben (Leitung: Patrik Kehrli, Agroscope),
Bio-Anbau (Leitung: Claudia Daniel, FiBL) und Grundlagen
(Leitung: Dominique Mazzi und Jana Collatz, Agroscope). Als
sich im zweiten Projektjahr die Aprikosen ebenfalls als attrak-
tive Wirtsfrüchte für die Kirschessigfliege erwiesen, wurden
die Aktivitäten der Task Force auf diese Kultur erweitert. Aus
                                                                           Abbildung 1: Jährlich trafen sich die Mitarbeiten-
logistischen Gründen wurde die Verantwortung für die Ent-                  den von Agroscope und FiBL zum Besuch eines
wicklung von Schutzstrategien für den Aprikosenanbau von                   Praxisbetriebs und zum Erfahrungsaustausch;
den im Wallis tätigen und ebenfalls für den Beerenanbau zu-                hier im Juni 2019 am Agroscope-Standort Zürich-
                                                                           Reckenholz.
ständigen Mitarbeitenden in Zusammenarbeit mit der For-
schungsgruppe Obstkulturen im Alpenraum übernommen.
Die Projektarbeit wurde begleitet, unterstützt und überwacht durch eine Projektoberleitung aus Vertreten-
den von Agroscope (Robert Baur, ab 2017 Alain Gaume) und FiBL (Lucius Tamm), dem Bundesamt für
Landwirtschaft (BLW, Olivier Félix), dem Schweizer Obstverband (SOV, Georg Bregy, ab 2017 Hubert Zuf-
ferey) sowie der kantonalen Beratung (Luigi Colombi, ab 2017 Cristina Marazzi, Kt. Tessin und Markus
Leumann, Kt. Schaffhausen).
Sektorspezifische Begleitgruppen aus Vertretenden von praxisnahen Kreisen unterstützten die anwen-
dungsorientierteren Module bei der Prüfung der Bekämpfungsverfahren in den verschiedenen gefährdeten
Kulturen und Anbauregionen, nahmen Einfluss auf die Priorisierung der Forschungsausrichtung und pflegten
den Wissensaustausch zwischen Forschung, Beratung und Branchenorganisationen.

1Die Vereinbarung mit dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) betrifft den Zeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2020. Alle
Arbeiten vor 2016 wurden von Agroscope und FiBL selbst finanziert.

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F&E Task Force Kirschessigfliege - Agroscope
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

2              Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse
2.1              Modul Beeren
Beeren – insbesondere Himbeeren, Brombeeren und Heidelbeeren – sind für D. suzukii sehr attraktiv und
dieser Schädling verursacht oft hohe Schäden bei diesen Kulturen, die beträchtliche wirtschaftliche Einbus-
sen zur Folge haben. Die von der Task Force Kirschessigfliege aktuell empfohlenen Bekämpfungsstrategien
beruhen auf einem regelmässigen Monitoring, einer Kombination aus Fernhaltungs- und Präventionsmass-
nahmen und einer konsequenten Aufrechterhaltung der Kühlkette nach der Ernte. Die aktuellen Systeme zur
Beerenproduktion erfordern regelmässige Ernten, die über einen langen Zeitraum von März bis November
verteilt sind. Die Beobachtungen seit 2012 zeigen jedoch, dass vor allem die Herbstkulturen betroffen sind,
bei denen trotz strikter Präventionsmassnahmen (regelmässige Ernteintervalle, Hygienemassnahmen und
Anwendung von Löschkalk) die Befallsraten bis zu 100% erreichen können.

Die Forschung im Rahmen der Tätigkeit der Task Force Kirschessigfliege konzentrierte sich auf das Monito-
ring, Massnahmen zur Fernhaltung und Präventionsmassnahmen mittels folgender Studien: Vergleich und
Entwicklung von Fallenmaterial, Analysen des gesamtschweizerischen Monitorings und vertiefte Untersu-
chung des Tageszyklus, Vergleich verschiedener Bekämpfungsstrategien, Suche nach neuen Repellentien
und Optimierung des Einsatzes von Löschkalk (Formulierungen, Anwendungstechnik und Evaluation der
Wirksamkeit auf gesamtschweizerischer Ebene).

2.1.1 Monitoring und Populationsdynamik
Vergleich und Entwicklung von Fallenmaterial
Wir haben verschiedene Arten von Fallen (Form, Farbe) und Lockstoffen über mehrere Vegetationsperioden
getestet und verglichen, um das wirksamste Material zu identifizieren (Abbildung 2). Nach mehreren Jahren
Entwicklung erwies sich die Kombination der Falle Profatec mit dem Lockstoff Riga als wirksamste Variante
bei Berücksichtigung der Wirkungsdauer. Das Produkt behält seine Wirksamkeit über mehr als drei Wochen,
im Gegensatz zu zwar wirksameren Produkten, die aber häufiger ausgetauscht werden müssen und deshalb
für die Praxis weniger geeignet sind.

                                50
    verschiedenen Lockstoffen

                                                                                 a
     Kirschessigfliegen nach

                                                         a
                                40
        Anzahl gefangene

                                                                                            a
                                30
                                            a                                                            a

                                20                                        b
                                      b            b
                                                                                      b
                                10                                                                 b

                                0
                                     25.09.2017   02.10.2017          10.10.2017     16.10.2017   24.10.2017

                                                             Bioiberica       Riga

Abbildung 2: Anzahl gefangene Individuen von Drosophila suzukii pro Woche und pro Falle mit dem Lockstoff «Bio-
iberica» bzw. «Riga» in einer Himbeerkultur in Chamoson (VS). Mittelwert und Standardabweichung von sieben Fallen
pro Variante. Die Buchstaben bei den einzelnen Werten weisen auf statistisch signifikante Unterschiede. Wenn keine
gemeinsamen Buchstaben bestehen, ist der Unterschied der betreffenden Werte statistisch signifikant.

                                                                                                                     4
F&E Task Force Kirschessigfliege - Agroscope
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

Gesamtschweizerisches Monitoring
Unsere Beobachtungen in den Beerenkulturen zeigen, dass die Fänge und Schäden ab Juli zu steigen
beginnen, ihren Höhepunkt im September erreichen und ab Oktober wieder kontinuierlich sinken (Abbildung
3). Im Gegensatz zu den natürlichen Lebensräumen werden in den Beerenkulturen zwischen November und
Juni kaum Kirschessigfliegen gefangen. Dies lässt sich damit erklären, dass in den Wintermonaten keine
Früchte in den Kulturen vorhanden sind. Dagegen bleiben die Fangzahlen im Mai und Juni gering, obwohl
die Kulturen bereits voll produzieren.

Abbildung 3: Dynamik der Populationen von Drosophila suzukii auf gesamtschweizerischer Ebene, Reifungszeiträume
verschiedener Beerenkulturen und anderer Wirtspflanzen.

Schwache Korrelation zwischen den Fangzahlen und der Befallsrate der Beeren
Unsere Beobachtungen bestätigen, dass ein Monitoring der Populationen auf der Ebene der Parzellen
erfolgen muss, da die Entwicklung der Populationen auf regionaler Ebene sehr heterogen sein kann und
stark von lokalen Faktoren abhängt (Kultur, Produktionssystem und Umgebung der Parzelle). Durch ein
Monitoring der Parzellen kann ein gezielter Einsatz verschiedener Bekämpfungsmassnahmen erfolgen. Es
ist allerdings bei der Interpretation der Fangergebnisse Vorsicht geboten, da wir in den meisten zwischen
2015 und 2020 durchgeführten Versuchen keine Korrelation zwischen der Anzahl gefangener
Kirschessigfliegen und der Befallsrate feststellten. Wir empfehlen deshalb, das Monitoring mit Fallen durch
eine Kontrolle des Befalls der Früchte zu ergänzen, wenn sich eine Population von D. suzukii in der Parzelle
etabliert hat.

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Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

Verfeinertes Monitoring
Wir haben vertiefte Studien zum Verhalten von D. suzukii in den Beerenkulturen über den Tagesverlauf
während drei aufeinander folgenden Saisons durchgeführt, mit dem vorrangigen Ziel, den optimalen
Zeitpunkt für die Anwendung eines Insektizids zu bestimmen. Durch die Analyse der gesammelten Daten
konnten wir folgende Eigenheiten des Verhaltens der Kirschessigfliege identifizieren:

-     In den heissesten Zeiträumen des Jahres (Sommer) ist D. suzukii eher am Morgen und Abend aktiv. Sie
      versteckt sich während des Tages, wenn die Temperaturen zu hoch sind.
-     In den kühleren Zeiträumen des Jahres (Herbst) ist D. suzukii während des Tages aktiv und am Morgen
      und Abend inaktiv.
-     Wenn die Temperaturen im von D. suzukii bevorzugten Bereich liegen (~5-26°C) , begünstigt eine hohe
      Feuchtigkeit die Aktivität der Kirschessigfliege (während kälteren oder heisseren Phasen ist die
      Feuchtigkeit weniger wichtig, da die Temperatur für die Aktivität begrenzend ist).
-     D. suzukii ist kaum oder nicht aktiv während der Nacht.
-     Wir empfehlen deshalb, ein Insektizid am Morgen oder Abend anzuwenden, wenn die
      Tageshöchsttemperatur in der Kultur 25°C überschreitet. Bei tieferen Temperaturen wird eine
      Behandlung während des Tages empfohlen.

2.1.2 Bekämpfungsstrategien
In Abbildung 4 sind die Strategien zusammengefasst, die von der Task Force Kirschessigfliege nach fünf
Jahren Versuchen und Beobachtungen im Feld empfohlen werden. Eine erfolgreiche Bekämpfung von D.
suzukii erfordert von den Produzenten der Beerenkulturen unabhängig von der gewählten Strategie viel
Engagement und Sorgfalt. Eine gut abgewogene Kombination gezielter Massnahmen ist für eine maximale
Begrenzung der Schäden auch bei einem geringen Schädlingsdruck unerlässlich und umso wichtiger bei
Kulturen, bei denen sich die Reifung der Früchte über einen langen Zeitraum erstreckt.

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Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

Abbildung 4: Überblick über die von der Task Force Kirschessigfliege empfohlenen Bekämpfungsstrategien. Es ist die
Anfälligkeit der einzelnen Kulturen angegeben.

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Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

Massnahmen zur Fernhaltung
Unsere Versuche haben gezeigt, dass mit einer Totaleinnetzung der Befall mit der Kirschessigfliege wirksam
reduziert werden kann und weitere Massnahmen unterstützt werden (Abbildung 5A).

Abbildung 5: A) Auswirkung der Totaleinnetzung auf die Befallsraten und Temperatur in einer Heidelbeerkultur in Dür-
renroth (BE) im Jahr 2015; B) Anbaumassnahmen, durch die ein für die Kirschessigfliege ungünstiges Klima in den
Beerenkulturen geschaffen wird.

Anbaumassnahmen, Ernteintervalle und Umgang mit Ernterückständen
Für Beerenkulturen empfehlen wir bestimmte Anbaumassnahmen, mit denen für die Kirschessigfliegen
ungünstige Bedingungen geschaffen werden können (Abbildung 5B). Dabei wird in erster Linie das
Blattvolumen niedrig gehalten (Grösse, Auslichten, Entlauben), abgestimmt auf die Art und die Führung der
Kultur, um das Eindringen des Lichts zu begünstigen (Verminderung der Feuchtigkeit und Anstieg der
Temperatur). Ein geringeres Blattvolumen ermöglicht ausserdem eine homogenere Anwendung von
Pflanzenschutzmitteln und erleichtert den Unterhalt der Bereiche zwischen den Reihen (regelmässiger
Schnitt der Bodenbedeckung und Unkrautentfernung). Auch durch die Beseitigung der Ursachen von
stehendem Wasser in den Kulturen (Tröpfchenbewässerungssystem) können die Kirschessigfliegen-
populationen begrenzt werden. Die Zeiträume zwischen den Ernten sollten so kurz wie möglich sein. Unsere
Versuche haben gezeigt, dass durch die Reduktion der Ernteintervalle von 3 auf 2 Tage die Befallsrate um
bis zu 75% gesenkt werden kann. Die Beseitigung der Ernteabfälle ist ebenfalls eine Schlüsselmassnahme
bei der Bekämpfung der Kirschessigfliege, weil dadurch die vorhandenen Eier und Larven entfernt werden
und die Entwicklung der Populationen begrenzt wird.

Anwendung von Löschkalk und Repellentien auf der Basis von Pflanzenextrakten
Durch die zahlreichen Versuche, die von der Task Force Kirschessigfliege zwischen 2015 und 2020 mit
Löschkalk (Ca(OH)2) durchgeführt wurden, konnten eine geeignete Formulierung und eine
Anwendungstechnik gefunden werden, mit denen eine Teilwirkung erreicht wird und Flecken auf den
Früchten vermieden werden. In Versuchen, die wir 2019 in Zusammenarbeit mit zehn Himbeerproduzenten
durchführten, konnten wir zeigen, dass mit einer wöchentlichen Kalkbehandlung die durchschnittliche Zahl
der Larven pro Frucht und die Befallsrate bei geringem bis mittlerem Schädlingsdruck um bis zu 40%
reduziert werden konnte (Abbildung 6).

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Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

       Wirksamkeit von Kalk (%)

                                  Befallsrate von Früchten ohne Kalkbehandlung (Wahrscheinlichkeit)

Abbildung 6: Wirkung der Anwendung von Löschkalk im Jahr 2019 in Himbeerkulturen von 10 Produzenten, je nach
Schädlingsdruck durch Drosophila suzukii. Das zur Kombination aller Daten verwendete statistische Modell zeigt, dass
die Wirksamkeit abnimmt (vertikale Achse), wenn der Schädlingsdruck durch D. suzukii steigt (horizontale Achse: Wahr-
scheinlichkeit, dass eine Frucht in einer nicht mit Kalk behandelten Kultur befallen ist (0 ≈ Befallsrate 0%; 1 ≈ Befallsrate
100%)).

In jüngerer Zeit erhielt ein weiteres Produkt mit vergrämender Wirkung vermehrt Aufmerksamkeit: Action R,
ein Blattdünger mit Knoblauch- und Zitronengrasextrakten. Wir testeten das Produkt in mehreren
Feldversuchen, um die Wirksamkeit in Himbeerkulturen zu untersuchen (Abbildung 7). Die Wirkung dieses
Repellens liegt zwar deutlich unter der Wirkung von Kalk, ermöglicht aber eine Reduktion der
durchschnittlichen Anzahl Larven pro Frucht um 30% im Vergleich zu einem Kontrollblock. Dagegen scheint
die Kombination von Action R mit Kalk trotz eines signifikanten Unterschieds im Vergleich zu einem
Kontrollblock nicht interessant zu sein, da die beobachtete Wirkung für die Praxis nicht ausreicht, wenn der

Abbildung 7: Durchschnittliche Anzahl Larven pro Frucht in Himbeerkulturen, die wöchentlich mit Löschkalk, Action R
oder einer Kombination dieser beiden Mittel behandelt wurden (Mittelwert über 6 Wochen mit Standardabweichung). Die
Buchstaben bei den einzelnen Werten weisen auf statistisch signifikante Unterschiede. Wenn keine gemeinsamen Buch-
staben bestehen, ist der Unterschied der betreffenden Werte statistisch signifikant.

                                                                                                                                9
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Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

Schädlingsdruck hoch ist. Die Produkte sind jedoch für eine regelmässige präventive Anwendung
interessant.

Direkte Bekämpfung
Durch die Anwendung von Insektiziden können die von Kirschessigfliegen verursachten Schäden
vorübergehend gesenkt werden, sie sollten aber nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Für jede Indikation
ist eine maximale Zahl von Anwendungen sowie eine Wartefrist festgelegt. Die wiederholte Anwendung eines
Wirkstoffs erhöht das Risiko der Entwicklung von Resistenzen beim Schädling. Es ist ausserdem wichtig zu
beachten, dass die Anwendung eines Kontaktinsektizids nur gegen die adulten Insekten wirkt, da sich Eier
und Larven im Inneren der Früchte entwickeln.

Massnahmen nach der Ernte
Wir stellten fest, dass durch eine systematische Beachtung der guten Praxis nach der Ernte von Beeren
(schnelle Kühlung, Aufrechterhaltung der Kühlkette, schneller Verkauf) die durch Kirschessigfliegen
verursachten Schäden bei der Lagerung begrenzt werden können. Vor dem Transport müssen die Beeren
nach der Ernte im Schatten kühl zwischengelagert und so schnell wie möglich zum Kühllager gebracht
werden, idealerweise mit einem Kühlwagen. Die Kühlkette muss bis in die Verkaufsregale konsequent
aufrecht erhalten werden und es ist auf einen raschen Verkauf des Produkts zu achten. Wir haben im Übrigen
festgestellt, dass durch eine Lagerung von Heidelbeeren bei 1°C während drei Tagen die Eier von D. suzukii
abgetötet werden können.

2.1.3 Schlussfolgerungen für Beerenkulturen
Die Tätigkeit der Task Force Kirschessigfliege ermöglichte es, ein besseres Verständnis zur Entwicklung der
Schädlingspopulationen zu gewinnen, verschiedene Bekämpfungsmassnahmen zu testen und auf die
einzelnen Kulturen und Produktionssysteme abgestimmte Schutzstrategien festzulegen. Wie bei den
anderen Kulturen erfordert die Bekämpfung der Kirschessigfliege die Umsetzung verschiedener
Fernhaltungs- und Präventionsmassnahmen, damit die Schäden bei minimaler direkter Bekämpfung durch
Insektizide möglichst gering gehalten werden können. Eine konsequente Einhaltung der Kühlkette ist
ebenfalls entscheidend, um Schäden bei der Lagerung zu minimieren. Die Suche nach neuen Lösungen zum
Schutz von Beerenkulturen gegen die Kirschessigfliege ist in den kommenden Jahren fortzusetzen,
insbesondere im Hinblick auf wirksamere Repellentien und deren optimale Anwendung.

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Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

2.2    Modul Steinobst

Die Steinobstkulturen Kirsche, Zwetschge und Aprikose sind aufgrund ihrer dünnen Schale, Fruchtfestigkeit,
Farbe, spezifischer Duftstoffe und Zuckergehalts sehr attraktiv für die Kirschessigfliege. Weibliche Fliegen
können durch ihren gezähnten Eiablageapparat ihre Eier in intakte Früchte ablegen. Die sich in den Früchten
entwickelnden Larven verursachen den Schaden: die Früchte sind als Tafelobst nicht verkäuflich, bei starkem
Befall kann die sich sekundär bildende Essigfäule auch zu Fehlnoten in der Produktion von Destillaten führen.
Seit 2014 war das Schadensausmass nicht jedes Jahr vergleichbar hoch. Abhängig von Temperatur und
Feuchtigkeit konnte sich eine Kirschessigfliegen-Population oft sehr schnell aufbauen und innerhalb kurzer
Zeit sehr grossen wirtschaftlichen Schaden anrichten. Die Kirschessigfliege hat den Steinobstanbau verän-
dert. Zahlreiche vorbeugende Massnahmen müssen ergriffen werden, um einen Aufbau der Schädlingspo-
pulation zu verhindern: Monitoring der Kirschessigfliege, Kulturmassnahmen zur guten Durchlüftung des Kro-
nenbereichs, Einnetzung und Feldhygiene. Sollte es trotzdem zum Aufbau einer Population innerhalb der
Kultur kommen, muss es schnell gehen: Die Ernte sollte, wenn möglich, vorgezogen werden, befallenes Obst
aus der Anlage gebracht werden und die Früchte müssen rasch gekühlt werden. All diese Empfehlungen
wurden in den vergangenen Jahren intensiver Beobachtung und Forschungstätigkeit erarbeitet. Die folgen-
den Seiten rekapitulieren den Weg vom ersten Einflug der Kirschessigfliege in den Schweizer Steinobstan-
bau bis zur Strategieempfehlung zum Schutz der Kulturen.

2.2.1 Monitoring
Zur Überwachung der Kirschessigfliege in Steinobstanlagen wurden Monitoringmethoden entwickelt. Die
Wirksamkeit verschiedener Köderflüssigkeiten und Fallentypen zum Fang der Fliegen wurden im Labor und
im Feld geprüft. Seit 2016 werden schweizweit Fallenfänge durch kantonale Fachstellen und Agroscope aus-
gewertet und in der Online-Datenbank Agrometeo gesammelt und dargestellt (Abbildung 8). Für eine Befalls-
prognose auf Parzellenebene sind solche Fallen nicht geeignet, da reifende Früchte attraktiver sind als die
Köderflüssigkeit. Zur Überwachung des Befalls in einer Obstanlage müssen deshalb Früchte auf Eiablagen
kontrolliert werden.
a)                          b)                                    8000
                                       wöchentliche Fänge/Falle

                                                                  7000                         2016
                                                                                               2017
                                                                  6000
                                                                                               2018
                                                                  5000                         2019
                                                                  4000                         2020

                                                                  3000
                                                                  2000
                                                                  1000
                                                                     0
                                                                         1   4   7   10   13    16    19   22   25   28   31   34   37   40   43   46   49   52
                                                                                                           Kalenderwoche
Abbildung 8: a) Becherfalle mit Lockstoff (Wein, Essig, Wasser); b) Anzahl gefangener Kirschessigfliegen pro Falle und
Woche in Wädenswil 2016-2020.

                                                                                                                                                                  11
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

2.2.2 Insektenschutznetze
Die Kirschessigfliege überwintert überwiegend ausserhalb von Obstparzellen, zum Beispiel in umliegenden
Wäldern oder Hecken. Erst wenn die Früchte in Steinobst-Anlagen in die Reifephase kommen, wandern die
Fliegen in die Parzellen ein und legen ihre Eier in die Früchte. In einer Reihe von Versuchen wurde die
Volleinnetzung (Abbildung 9) von Kirschenparzellen mit Netzen verschiedener Maschenweiten geprüft (Ab-
bildung 10). Um den Einflug der Kirschessigfliege in Obstanlagen zu verhindern, sind Insektenschutznetze
mit einer Maschenweite ≤1.3 mm sehr gut geeignet (Abbildung 11). Versuche in Zwetschgen- bzw. Apriko-
senanlagen haben gezeigt, dass die ausschliessliche seitliche Einnetzung nicht ausreichend wirksam ist.
Beim Öffnen der Einnetzung für Arbeiten oder durch schadhafte Stellen im Netz können Kirschessigfliegen
in eine Obstanlage gelangen. In diesem Fall ist der Einsatz von wirksamen Pflanzenschutzmitteln notwendig
um den Aufbau einer Fliegenpopulation zu unterbinden und den Schaden an den Früchten zu begrenzen.

  a)                                                                             b)

Abbildung 9: Eingenetzte Kirschenparzellen mit a) dichtem Bodenabschluss und b) Traufenabschluss.

                          1600
                                                                                             100
                          1400                                                               90
                                                                                             80
 Larven pro 100 Früchte

                          1200
                                                                                             70
                                                                            % Fruchtbefall

                          1000
                                                                                             60
                          800                                                                50
                          600                                                                40
                                                                                             30
                          400
                                                                                             20
                          200                                                                10
                                         2.5       1       0.5      25
                             0                                                                0
                                 Ohne    0.8 x    0.8 x    1.2 x    1.4 x                          Kontrolle   Netz früh   Netz spät   Insektizid
                                 Netz   0.8mm    1.4mm    1.2mm    1.7mm

 Abbildung 10: Anzahl Kirschessigfliegen-Larven in 100 Kir-                                  Abbildung 11: Anteil befallener Kirschen pro 100
 schen zur Ernte. Ohne Netz, Netz 0.8 x 0.8 mm, Netz 0.8 x                                   Früchte zur Ernte, Sorte Regina. Kontrolle: unbehan-
 1.4 mm, Netz 1.2 x 1.2 mm, Netz 1.4 x 1.7 mm. Alle Varian-                                  delt, Netz früh, 1.2 x 1.2 mm: Schliessung Netz Kalen-
 ten wurden 2x mit Spinosad behandelt (Audienz, 0.02%).                                      derwoche (KW) 21, Netz spät, 1.2 x 1.2 mm: Schlies-
                                                                                             sung Netz KW 24, Insektizid: Gazelle (Acetamiprid)
                                                                                             0.02% KW 25, Audienz (Spinosad) 0.02% KW 26 und
                                                                                             KW 27.

                                                                                                                                                      12
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

2.2.3 Schutz vor Eiablagen durch Gesteinsmehl
Die Kirschessigfliege wird in Obstanlagen unter anderem durch die Farbe von reifenden Früchten angelockt.
Durch die Applikation von Gesteinsmehl (Kaolin, 2%) oder Löschkalk (0.75%) wird ein weisser Belag auf den
Früchten erzeugt (Abbildung 12). Der Belag bewirkt, dass die Kirschessigfliegen-Weibchen ihre Eier nicht in
die Kirschen ablegen. Um eine gute Wirkung zu gewährleisten, muss der Belag nach Starkregenereignissen
erneuert werden. Ergebnisse aus neun Versuchen von FiBL und Agroscope in biologisch bzw. integriert be-
wirtschafteten Feldobst-Kirschenanlagen haben 2019 eine gute Wirksamkeit von Kaolin-Behandlungen ge-
zeigt (Abbildung 13a). Die Behandlungen haben keine Auswirkungen auf den Zuckergehalt und das Gewicht
der Kirschen (Abbildung 13b-c). Der weisse Belag auf den Früchten ist auch bei der Ernte noch sichtbar,
deshalb ist die Methode nur für Kirschen geeignet, die für die Brennerei bestimmt sind. Auf den Gärprozess
und den Brennvorgang haben die Kaolin-Behandlungen keinen nennenswerten Einfluss. Einen negativen
Einfluss haben die Behandlungen hingegen auf die Anzahl von Raubmilben auf den Blättern, denn kurz nach
den Behandlungen sinkt die Anzahl der Nützlinge, die Populationen können sich aber im Laufe des Jahres
wieder erholen.
Ebenfalls als Mittel mit repellenter Wirkung wurde Löschkalk (0.75%) auf Kirschen geprüft. Der Wirkungsgrad
ist mit jenem von Kaolin nicht vergleichbar und für den Kirschenanbau nicht zufriedenstellend (Abbildung
13a).

 a)                                                b)

Abbildung 12: a) Hochstamm-Kirschen mit Kaolin behandelt (links im Bild); b) Kirschen nach der Applikation von Kaolin
(2%).

a)                                    b)                                      c)

Abbildung 13: Auswertung von Kirschen zur Ernte aus neun (Kaolin) bzw. drei (Löschkalk) Hochstamm-Anlagen nach
zwei bis drei Behandlungen mit Kaolin (2%) bzw. Löschkalk (0.75%). a) Anteil Kirschen mit Eiablagen, b) Zuckergehalt
(Brix) von 50 Früchten und c) Fruchtgewicht (g) von 50 Kirschen.

                                                                                                                        13
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

2.2.4 Direkte Bekämpfung durch Pflanzenschutzmittel
Zum Zeitpunkt der Berichterstattung sind in der Schweiz für den Obstbau keine Pflanzenschutzmittel or-
dentlich gegen die Kirschessigfliege zugelassen. Es gibt wirksame Pflanzenschutzmittel zur Bekämpfung der
Kirschessigfliege, über die jeweils aktuelle Zulassungssituation wird im BLW-Pflanzenschutzmittelverzeich-
nis informiert.

Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sollte nach allen vorbeugenden als letzte der Massnahmen vor der
Ernte zur Bekämpfung der Kirschessigfliege in Steinobstanlagen ergriffen werden. Vorbeugende Applikatio-
nen sind aufgrund der Wirkungsdauer und -mechanismen der verfügbaren Pflanzenschutzmittel nicht sinn-
voll. Beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sollte wegen des kurzen Zeitabstandes zwischen dem Befalls-
beginn und der Steinobsternte den vorgeschriebenen Wartefristen besondere Beachtung geschenkt werden.
Der Befall von Früchten kann unter Umständen nicht gänzlich verhindert werden, weil eine Applikation von
Pflanzenschutzmitteln unmittelbar vor der Ernte nicht mehr möglich ist.
2.2.5 Nach der Ernte
Die möglichst rasche Kühlung von Früchten nach der Ernte unterbindet das Schlüpfen von Fliegenlarven aus
schon abgelegten Eiern. Der Larvenschlupf wurde in verschiedenen Versuchen unter verschiedenen Lager-
bedingungen geprüft. Eier von Kirschessigfliegen wurden in Nährmedium, Zwetschgen und Aprikosen ge-
zählt, anschliessend wurden das Nährmedium bzw. die Früchte mit den Eiern bei verschiedenen Tempera-
turen unterschiedlich lang gelagert. Nach der Lagerung wurden die geschlüpften Larven gezählt und die
Schlupfrate berechnet (Abbildung 14). Eine 24-stündige Kühlzeit bei 3°C reduziert den Larvenschlupf signi-
fikant. Je länger die Kühlzeit und geringer die Lagertemperatur, desto geringer die Schlupfrate. Da die Kühl-
lagerung negative Effekte auf die Fruchtqualität haben kann, müssen die Bedingungen den gelagerten Sorten
angepasst werden. Bei Aprikosen zum Beispiel geht die Kühllagerung sehr schnell auf Kosten der Frucht-
qualität und ist deshalb nur bedingt umsetzbar.

                                                                          1
            1                                                                                                          1
                1                                                        0.8
        0.8                                                                                                           0.8
                                                           Schlupfrate
  Schlupfrate

           0.8
                                                                                                        Schlupfrate

                                                                         0.6
 Schlupfrate

        0.6                                       1°C                                                                 0.6
           0.6                                     1°C                                                                                  1°C
                                                                         0.4                     1°C
        0.4                                       3°C                                                                 0.4
           0.4                                     3°C                                           10°C
                                                  21° C                  0.2                                                            21° C
        0.2                                        21° C                                                              0.2
           0.2
            0 0                                                           0                                            0
                    24h        72h        168h                                 4 Tage   8 Tage                               5 Tage
                      24h       72h        168h
                            Lagerzeit                                             Lagerzeit                                 Lagerzeit
                              Lagerzeit

Abbildung 14: Schlupfrate von Kirschessigfliegen nach Lagerung bei verschiedenen Temperaturen. a) Nährmedium nach
24, 72 bzw. 168 Stunden bei 1°C, 3°C bzw. 21°C; b) Zwetschgen nach 4 bzw. 8 Tagen bei 1°C bzw. 10°C; c) Aprikosen
nach 5 Tagen bei 1°C bzw. 21°C.

                                                                                                                                                14
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

2.2.6 Schlussfolgerungen für den Steinobst-Anbau
Die Kirschessigfliege ist eine grosse Herausforderung für den Steinobst-Anbau, denn die Kulturen sind sehr
attraktiv für diesen invasiven Schädling. Er kann sich bei günstigen Bedingungen rasch vermehren und richtet
den Schaden unmittelbar vor der Ernte an. Durch die erarbeiteten Massnahmen können Steinobstanlagen
vor grossen Ernteausfällen geschützt werden. Dort, wo nicht alle Massnahmen umsetzbar sind, werden in
Jahren mit starkem Schädlingsaufkommen erhebliche Ernteausfälle verzeichnet.

Während der letzten Jahre intensiver Forschung wurde eine Vielzahl an Lösungsansätzen verfolgt. Manche
davon wurden fallengelassen, weil sie nicht erfolgversprechend oder praxistauglich waren. Andere wurden
weiterentwickelt und abschliessend in eine Bekämpfungsstrategie gegen die Kirschessigfliege integriert.
Nicht in allen Kulturen sind dieselben Massnahmen wirksam. Durch die gemeinsame Forschung über Kultu-
ren und Institutionen hinweg ist ein konstanter Informationsaustausch möglich, verschiedene Ansätze können
koordiniert umgesetzt werden.
Den ProduzentInnen stehen heute Werkzeuge zur Verfügung, mit deren Hilfe sie trotz der Kirschessigfliege
qualitativ hochwertiges Steinobst produzieren können.

                                                                                                               15
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

2.3    Modul Trauben

Eiablagen führen zu kleinen Einstichen in gesunden Traubenbeeren. In der Folge bilden sich häufig kleine
Safttropfen auf den Früchten. Diese Verletzungen schaffen Eintrittspforten für Hefen und Bakterien sowie
einheimische Essigfliegen. Dieser Komplex von Essigfliegen und Mikroorganismen begünstigt die Bildung
und das Auftreten von Essigfäule im Rebberg. Nichtsdestotrotz konnte bis anhin kein eindeutiger Zusam-
menhang zwischen Fallenfängen von D. suzukii, der Zahl der Eiablagen und dem Auftreten der Essigfäule
belegt werden. Die genaue Rolle von D. suzukii in der Entwicklung der Essigfäule ist daher nur teilweise
verstanden und wird zurzeit in einer vom Projekt teilweise finanzierten Dissertation weiter untersucht.

Trotz alledem wurden seit 2014 wertvolle Erkenntnisse für den Schweizer Rebbau gewonnen und die Angst
der Winzer vor diesem neuen Schädling hat sich weitgehend gelegt. Die Kirschessigfliege wird heute als ein
wichtiger Rebbauschädling wahrgenommen, der in gewissen Jahren und Situationen erhebliche Ernteaus-
fälle mitverursachen kann. Drosophila suzukii löst jedoch heute, auch dank der Task Force Kirschessigfliege,
nicht mehr dieselben Ängste bei den Winzern aus wie noch Ende 2014. Auf den nachfolgenden Seiten wer-
den die wichtigsten Erkenntnisse im Rebbau, die im Rahmen des Projekts gewonnen wurden, zusammen-
gefasst.

2.3.1 Monitoring
Seit 2015 wird im Schweizer Rebberg koordiniert durch Agroscope
und mit Hilfe der Kantone ein jährliches nationales Eiablagemoni-
toring durchgeführt. Dabei wurden anfangs mehr als 100'000 Bee-
ren in mehr als 500 Parzellen kontrolliert, heute konzentriert sich
das kantonale Monitoring überwiegend auf sensible Rebsorten an
kritischen Lagen. Dank des Projekts kann der ermittelte Befallsver-
lauf im Schweizer Rebberg seit 2017 auf Agrometeo grafisch mit-
verfolgt werden (Abbildung 15).

Abbildung 15: Grafische Darstellung der Drosophila suzukii Eiablage im
Schweizer Rebberg am 15.9.2019.

                                                                                                               16
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

2.3.2 Sortenanfälligkeit
Die Beobachtungen im Monitoring zeigen, dass neben einigen seltenen Sorten (Bondoletta, Chasselas rose,
Kimisch Lutshitsi etc.) im Schweizer Rebbau insbesondere die dunklen Rebsorten Cabernet Dorsa, Cornalin,
Divico, Dornfelder, Dunkelfelder, Galotta, Garanoir, Humagne rouge, Mara, Regent und Syrah das höchste
Befallsrisiko aufweisen (Abbildung 16). Je nach Jahr und Lage können durch unterschiedliche Witterung und
Umgebung aber auch die Hauptsorten Gamay, Pinot Noir und Merlot in grösserem Masse befallen werden.

Abbildung 16: Prozentualer Anteil der kontrollierten Beeren mit Drosophila suzukii Eiablage nach Rebsorte im Schweizer
Weinbau zwischen 2015 und 2017 (Ø ± Standardabweichung). Weisse Rebsorten in GROSSBUCHSTABEN; Zahlen
über den Balken = Anzahl untersuchte Parzellen.

2.3.3 Befallsbegünstigende Faktoren
Über die Dauer des Projekts hat sich gezeigt, dass verschiedene Faktoren den Kirschessigfliegen-Befall im
Rebberg begünstigen oder reduzieren (Tabelle 1).

           Tabelle 1: Äussere Faktoren, welche einen Einfluss auf den D. suzukii Befall im Rebberg haben.

                           Günstige Faktoren +                               Weniger günstige Faktoren -

            Risiko ab Farbumschlag                                 Kein Risiko vor dem Farbumschlag

            Rote und rötliche Traubensorten                        Weisse Rebsorten

            Dünne Beerenhaut                                       Dicke Beerenhaut

            Kompakte Trauben                                       Lockerbeerige Trauben

                                                                   Sonnige, trockene, warme und durchlüftete Laub-
            Schattige, feuchte, kühle und dichte Laubwand, dich-
                                                                   wand, ausgelaubte Traubenzone, lockerer Trauben-
            ter Traubenbehang, starkwüchsige Reben
                                                                   behang, normaler Wuchs der Reben

            Hoher Unterwuchs bis in die Traubenzone                Niedriger Unterwuchs

            Nähe zu Wald, Hecken, feuchte Habitate, Stein-
                                                                   Grosse, zusammenhängende Rebfläche
            obst, Beeren, heterogene Umgebung

                                                                                                                         17
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

Zum Ersten steigt das Befallsrisiko mit dem Reifegrad der Trauben, d.h. vor Farbumschlag kommt es nur
äusserst selten zu Eiablagen und die Beeren sind am attraktivsten kurz vor der Lese. Ausserdem werden
weisse Traubensorten generell weniger stark befallen als rote oder rötliche, ebenso wie lockerbeerige Trau-
ben gegenüber von kompakten. Daneben nimmt das Befallsrisiko mit der Festigkeit der Beerenhaut ab (Ab-
bildung 17). Ausserdem hat sich gezeigt, dass der Schädling gut besonnte Trauben meidet. In der Parzelle
bietet ein hoher Unterwuchs dem Schädling ein schattiges und feuchtes Rückzugshabitat. Ausserhalb der
Parzelle fördern Hecken, Wälder und alternative Wirtspflanzen das Vorkommen der Kirschessigfliege und
erhöhen dadurch den Schädlingsdruck im angrenzenden Rebberg.

                                                                Abbildung 17: Zusammenhang zwischen dem
                                                                Penetrationswiderstand der Traubenhaut und
                                                                dem prozentualen Anteil kontrollierter Parzellen
                                                                mit Drosophila suzukii Eiablagen im Herbst
                                                                2015 in der Schweiz.

2.3.4 Boniturmethode und Befallsvorhersage
Im Verlaufe des Projekts hat sich auch gezeigt, dass die anfangs verwendete Boniturmethode den Befall
leicht unterschätzte. In einer mehrjährigen Studie wurde die Boniturmethode daher verfeinert und 2019 wurde
die herkömmliche Beerenmethode durch die sensiblere Traubenmethode ersetzt (Abbildung 18). Die neue
Traubenmethode besteht darin, dass fünf Trauben repräsentativ für die Parzelle eingesammelt werden. Aus
jeder Traube werden fünf Beeren aus dem Traubeninnern und dem -äussern kontrolliert. Sind mehr als 4%
der Beeren mit Eiern befallen (= Schadschwelle), kann je nach Zustand der Trauben und Erntetermin eine
Behandlung der Parzelle in Betracht gezogen werden.

                                                                Abbildung 18: Vergleich der beiden untersuch-
                                                                ten Boniturmethoden im 2018.

                                                                                                                   18
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

In einer Masterarbeit wurde 2017 ebenfalls untersucht, ob chemische und physikalische Eigenschaften der
Trauben in direktem Zusammenhang mit D. suzukii Befall stehen. Dabei hat sich gezeigt, dass Eiablagen mit
der Reife und insbesondere dem Penetrationswiderstand, Zucker- und Säuregehalt korreliert werden können,
dass für die einzelnen Eigenschaften jedoch kein eigentlicher Schwellenwert existiert, ab welchem es zu
Befall kommen kann (Abbildung 19). Des Weiteren variierten die gemessenen Eigenschaften stark über die
verschiedenen Standorte. Dies bedeutet, dass es mittels der chemischen und physikalischen Traubeneigen-
schaften nur schwer möglich sein wird, einen effektiven Beerenbefall vorherzusagen oder gar zu modellieren.
Externe Faktoren wie Witterung, Umland und Zufall scheinen einen mindestens ebenso bedeutenden Ein-
fluss zu haben.
%befallene Beeren

                                                                                     Abbildung 19: Eiablage von Drosophila suzukii
                                                                                     in Abhängigkeit des Penetrationswiderstandes
                                                                                     auf verschiedenen Rebsorten in Pully im 2017.

                         Penetrationswiderstand (cN)

2.3.5 Schutz der Reben
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass ein effektiver Pflanzenschutz als erstes auf einer konsequenten
Umsetzung aller vorbeugenden Methoden basiert, insbesondere auf einer angepassten Entlaubung der Trau-
benzone (Abbildung 20), einer Ertragsregulierung vor Farbumschlag und einer niedrigen Begrünung ab Far-
bumschlag.
                                                                              80
                    a)                                                                                                       b)
                                                                                   Nicht ausgelaubt
                                                         % befallene Beeren

                                                                                   Ausgelaubt
                                                                              60

                                                                              40

                                                                              20

                                                                               0
                                                                                   21.09.             28.9.          5.10.

Abbildung 20: Einfluss einer a) angepassten Entlaubung auf b) die Entwicklung des Drosophila suzukii Befalles in einer
Mara Parzelle in Echichens (VD) im 2016.

                                                                                                                                     19
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

Eine vorbeugende Bekämpfung mit engmaschigen Netzen bietet ebenfalls einen sehr guten Schutz gegen
die Kirschessigfliege. Gemeinsam mit den kantonalen Fachstellen durchgeführte Versuche im 2016 zeigten,
dass insbesondere Insektenschutznetze und engmaschige Netze gegen Wespen und Vögel den Befall stark
reduzieren (Abbildung 21). Hagelnetze stellten sich hingegen als ungenügend heraus. Ökonomische Analy-
sen ergaben, dass sich Netze insbesondere bei anfälligen Rebsorten von hoher Wertschöpfung rechtfertigen
sowie in Parzellen, die einen zusätzlichen Schutz gegen Vögel und Wespen verlangen.

a)                                                   b)                                       c)

Abbildung 21: Foto a) eines engmaschigen Anti-Wespen/Anti-Vögel sowie b) eines Anti-Insekten Netzes. Grafik zur c)
prozentualen Reduktion der Eiablage von Drosophila suzukii unter verschiedenen Netzen bei der Ernte.

Falls die vorbeugenden Massnahmen nicht ausreichen, bevorzugen die Winzer, wie von Agroscope seit 2015
empfohlen, als zusätzliches Mittel den Einsatz von Kaolin. Kaolin ist ein inertes weisses Gesteinsmehl auf
der Basis von Aluminiumsilikat, das auch im Biolandbau angewendet werden darf und dessen Nebenwirkun-
gen auf Nützlinge vernachlässigbar sind. Kaolinpartikel haften an der Oberfläche von Trauben (Abbildung
22a) und bilden dadurch eine physikalische Barriere, welche die Eiablage der Kirschessigfliege verringert. In
23 Wirkungsversuchen hat sich gezeigt, dass Kaolin eine durchschnittliche Wirksamkeit von 56% besitzt
(Abbildung 22b). Zudem beeinflussten Kaolinbehandlungen in einem kontrollierten Vinifikationsversuch we-
der die Fermentation noch den Weingeschmack (Abbildung 22c) und die gemessene Aluminiumkonzentra-
tion in den behandelten Weinen verblieb weit unter dem tolerierten Maximalwert. Es ist empfohlen, die ande-
ren zugelassenen Insektizide nur als letztes Mittel einzusetzen. Einbezogen werden muss dabei der voraus-
sichtliche Erntetermin, die Wartefrist, die kurze Wirkungsdauer und die limitierte Anzahl bewilligter Applikati-
onen. Neben der Rückstands- und Resistenzproblematik birgt der Einsatz von herkömmlichen Insektiziden
auch Gefahren für Nützlinge und er kann die öffentliche Wahrnehmung des Schweizer Weinbaus negativ
beeinflussen.

                                                                                                                                         Gesamteindruck
a)                     b) 100                                                                       c)                                      (P=0.74)
                                                                                                                             Struktur                     Farbintensität
                                                                                                                            (P=0.98)                        (P=0.99)

                                             80
                        % Abnahme Eiablage

                                                                                                               Bitterkeit                                           Fruchtig
                                                                                                               (P=0.95)                                             (P=0.26)

                                             60
                                                                                                   Trockenheit/Herbe                                                        Würzig
                                                                                                       (P=0.60)                                                            (P=0.86)

                                             40
                                                                                                          Tanninqualität                                             Finesse
                                                                                                            (P=0.75)                                                (P=0.59)

                                             20
                                                                                                                  Tanninintensität                        Geschmeidigkeit
                                                                                                                     (P=0.69)                                (P=0.82)
                                                                                                                                             Säure
                                             0                                                                                              (P=0.99)

                                                  Kaolin 1%   Kaolin 1% Kaolin 2% Kaolin 2%
                                                                                                                 Kontrolle              3mal Kaolin 1%        3mal Kaolin 2%
                                                  präventiv    kurativ  präventiv  kurativ

Abbildung 22: Einfluss von Kaolin auf a) das Erscheinungsbild der Trauben, b) die Abnahme der Eiablagen in 23 Wir-
kungsversuchen 2016 und c) die sensorischen Eigenschaften der vinifizierten Mara-Weine 2015.

                                                                                                                                                                                      20
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

2.3.6 Schlussfolgerungen für den Rebbau
Die Kirschessigfliege bevorzugt dunkle, weiche und dünnhäutige Früchte wie Kirschen, Himbeeren, Brom-
beeren, Heidelbeeren oder Holunder und die Rebe ist weitgehend eine sekundäre Wirtspflanze. Der Befall
im Rebberg ist zudem stark abhängig von der D. suzukii Populationsentwicklung über die Saison, der unmit-
telbaren Umgebung, der Witterung nach dem Farbumschlag, der Rebsorte sowie des Gesundheitszustandes
der Trauben. Ausserdem steuern Temperatur und Feuchtigkeit, ob sich abgelegte Eier in den Beeren entwi-
ckeln können und ob die Bildung von Essigfäule durch Mikroorganismen begünstigt wird. Diese Komplexität
verunmöglicht es, einfache und allgemeingültige Aussagen für den Schweizer Rebbau zu machen. Vielmehr
muss eine angepasste Pflanzenschutzstrategie situativ und in Abhängigkeit des Jahres getroffen werden.
Trotz alledem basiert der Schutz der Kulturen vor der Kirschessigfliege in erster Linie auf der konsequenten
Umsetzung aller vorbeugenden Massnahmen und einer regelmässigen Kontrolle des Gesundheitszustandes
der Trauben. In gefährdeten Reblagen kann zudem eine präventive Bekämpfung mit engmaschigen Netzen
oder der Applikation von Gesteinsmehlen einen zusätzlichen Schutz bieten. Bei starkem Befall empfiehlt es
sich hingegen, den Lesetermin kurzfristig vorzuziehen und langfristig weniger anfällige Sorten in gefährdeten
Lagen anzupflanzen.

                                                                                                                21
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

2.4    Modul Bio-Anbau
Wie bei anderen Schädlingen im Bioanbau, ist auch bei der Kirschessigfliege die Befallsprävention entschei-
dend. Zur Erarbeitung einer Strategie mussten zahlreiche Fragen zur Biologie, Ausbreitung und Vermehrung
geklärt werden. Für die Bekämpfung wurden Fallen und Lockstoffe, Repellentien und Bio-Insektizide geprüft.

2.4.1 Biologie und Vorbeugung
Das FiBL untersuchte die folgenden Schwerpunkte:
(1) Anfälligkeit der verschiedenen Kulturen und Sorten
(2) Temperaturabhängige Eiablage der verschiedenen Kirschessigfliegenmorphen
(3) Einfluss natürlicher Habitate in der umgebenden Landschaft

(1) Anfälligkeit der verschiedenen Kulturen und Sorten: Hierfür wurden zahlreiche Studien zur Anfälligkeit
verschiedener Sorten im Labor durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass z.B. alle Kirschsorten eine hohe Anfäl-
ligkeit aufweisen, während es bei Reben starke Sortenunterschiede gibt (Abbildung 23). Helle Rebsorten sind
bis zur Ernte wenig anfällig und bei den dunklen Sorten gibt es bereits während der Reifung starke Sorten-
unterschiede. Generell ist der Penetrationswiderstand der Fruchthaut massgeblich dafür verantwortlich, ob
eine Eiablage möglich ist (Abbildung 24). Die Inhaltsstoffe in der Beere bestimmen, ob sich die Larven ent-
wickeln können und somit tatsächlich ein Schaden (und eine Folgegeneration) entsteht.
Weiterführende Informationen: orgprints.org/32318/; orgprints.org/32319/; orgprints.org/32052/

 Abbildung 23: Verschiedene Fruchtcharakteristika, wie Penetrationswiderstand, Farbe und Fruchtzucker, ändern sich
 mit fortlaufendem Reifestatus. Dies – und die Traubensorte – haben Einfluss auf die Eiablage (Grafiken: Eiablage in
 zehn verschiedene Sorten in Abhängigkeit vom Erntezeitpunkt).

                                                                                         Abbildung 24: Die Eiab-
                                                                                         lage ist vom Penetrations-
                                                                                         widerstand (gemessen mit
                                                                                         einer stumpfen Nadel,
                                                                                         Corex®, No. 3.) abhängig
                                                                                         (linke Grafik). Die Überle-
                                                                                         benswahrscheinlichkeit
                                                                                         der Larven in den Beeren
                                                                                         ist von den Inhaltsstoffen –
                                                                                         u.a. dem Zuckergehalt –
                                                                                         abhängig (rechte Grafik).

                                                                                                                        22
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

(2) Temperaturabhängige Eiablage der verschiedenen Kirschessigfliegenmorphen: Laborversuche
zeigten, dass sich die dunkleren und grösseren Wintermorphen entwickeln, wenn die Temperatur während
der zweiten Hälfte der Puppenphase 15°C beträgt. Bei Kälteimpulsen zu früheren Zeitpunkten entwickelten
sich die helleren Sommermorphen oder Mischformen. Die unterschiedlichen Morphen, die an die Jahreszei-
ten angepasst sind, reagieren unterschiedlich auf Temperatur und andere Faktoren (Abbildung 25). Dies
muss für Prognosemodelle beachtet werden. Die gemessene Eiablagerate hängt vom Eiablagemedium, der
Sommer- oder Winterform und von der Temperatur ab.

                                                                               Abbildung 25: Die Eiablage der
                                                                               Sommermorphen in künstli-
                                                                               ches Medium (ohne Frucht-
                                                                               haut) steigt mit zunehmender
                                                                               Temperatur an. Bei der Eiab-
                                                                               lage in Pflaumen stellt die dicke
                                                                               Fruchthaut einen Widerstand
                                                                               dar: Die Eiablage steigt mit zu-
                                                                               nehmender Temperatur nicht
                                                                               an.

                15 ºC    23 ºC     30 ºC    15 ºC    23 ºC    30 ºC

                                                                               Bei 15°C hemmt ein steigender
                                                                               Penetrationswiderstand die Ei-
                                                                               ablage von Sommermorphen,
                                                                               nicht aber von Wintermorphen
                                                                               (Grafik links). Bei höheren
                                                                               Temperaturen (23°C) aber ha-
                                                                               ben Wintermorphen mit stei-
                                                                               gendem      Penetrationswider-
                                                                               stand Mühe (Grafik rechts).

                                                                               Bei 15°C ist die Eiablage von
                                                                               Sommermorphen (SM) auf
                                                                               dickschaligen Pflaumen redu-
                                                                               ziert, während es bei dünn-
                                                                               schaligen Heidelbeeren keine
                                                                               Unterschiede zwischen der Ei-
                                                                               ablage der Sommer- und Win-
                                                                               termorphen (WM) gibt. Bei
                                                                               23°C unterscheidet sich die Ei-
                                                                               ablageleistung zwischen Som-
                                                                               mer- und Wintermorphen nicht.

(3) Einfluss natürlicher Habitate in der umgebenden Landschaft: Das Monitoring der Kirschessigfliege
auf Landschaftsebene zeigte, dass sich die Fliegen vor allem an Wildstandorten vermehren und von dort in
die Kulturen einfliegen. Insbesondere wilde Brombeerhecken bieten fast ganzjährig optimale Bedingungen
(Schatten, hohe Luftfeuchte, Windstille, geeignete Früchte) für die Kirschessigfliege. Zur Überwinterung wer-
den auch immergrüne Pflanzen (Koniferen, Hecken, Wälder) genutzt, da sie Schutz, ausreichende Feuchte
und Nahrung bieten. Generell erwiesen sich artenreiche Hecken nicht als Treiber des Befalls, sondern kön-
nen im Gegenteil durch die Förderung von Antagonisten sogar die Regulierungsmassnahmen unterstützen.

                                                                                                                   23
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse

Beim Einflug in die Kulturen zeigte sich, dass der Abstand zwischen Wald und Kultur entscheidend für den
Einflugbeginn ist: d.h.in waldnäheren Kirschanlagen wurden während der Fruchtreife mehr Fliegen gefangen.
Zur Ernte hin glich sich der Unterschied aber wieder aus. Insgesamt – in allen Versuchen – hatte die Umge-
bungsvegetation weniger Einfluss auf den Befallsverlauf als die jährlich und saisonal schwankenden Witte-
rungsbedingungen. Die Untersuchungen in Kirschanlagen zeigten ausserdem, dass das Mikroklima (insbe-
sondere Feuchtigkeitsunterschiede) einen Einfluss auf die Aktivität und Eiablage der Kirschessigfliege hat.
Weiterführende Informationen: orgprints.org/33703/
In der Summe zeigen die Ergebnisse, dass die Kirschessigfliege unter verschiedenen Bedingungen sehr
variabel reagiert. Die Populationsentwicklung und damit der Befallsdruck ist abhängig vom Klima (Tempera-
tur, Luftfeuchte), von der zeitlichen Verfügbarkeit von Wirtsfrüchten, sowie der Eignung von Wirtsfrüchten
(Fruchtqualität) und dem Vorhandensein von Rückzugshabitaten (zur Überwinterung; und feuchte Orte zur
«Übersommerung»). Aus diesen Versuchen resultieren Empfehlungen für befallsvorbeugende Massnahmen
in verschiedenen Kulturen. Daneben wurden die Informationen über die Verbreitung und Biologie der Kirsch-
essigfliege als Grundlage für die Modellierung der Populationsbiologie in einem zusätzlichen Projekt genutzt:
Das Entscheidungshilfesystem SIMKEF (SIMulation KirschEssigFliege), welches in Zusammenarbeit mit
deutschen, französischen und Schweizer Projektpartnern im Interreg-Projekt ‘InvaProtect’ entwickelt wurde,
simuliert aufgrund der Populationsbiologie die Eiablagewahrscheinlichkeit der Kirschessigfliege. Das Modell
wird weiter validiert und verbessert und soll ab 2021 auf isip.de und bioaktuell.ch zur Verfügung stehen.
Empfehlungen: (1) Nicht alle Kulturen und Sorten sind gleich anfällig. Im Rebbau werden vor allem dunkle,
dünnschalige Sorten mit kompakter Traubenstruktur stark befallen. Diese Sorten sollten langfristig ersetzt
werden. Bei anderen Sorten kann in Jahren mit heissem, trockenem Sommer auf eine Kirschessigfliegenbe-
kämpfung verzichtet werden. Bei Zwetschgen/Aprikosen gibt es auch Sortenunterschiede, während bei Kir-
schen und Beeren praktisch alle Sorten befallen werden und bei feuchter, milder Witterung entsprechend
geschützt werden müssen. (2) Die Larven sind empfindlich auf kühle Temperaturen: Erntegut sofort kühlen
(optimal: 0-3°C) und Kühlkette bis zum Konsumenten halten. (3) Die Kirschessigfliegen bevorzugen feuchte
Standorte. Alle Massnahmen, die zu einem trockenen Bestandesklima führen haben präventive Wirkung und
sollten konsequent umgesetzt werden (Schnittsystem anpassen; Unterwuchs mulchen; Bewässerung anpas-
sen; Rebbau: Traubenzone entlauben).
2.4.2 Prüfung von Fallenfarben und Lockstoffen und Monitoring der Kirschessigfliege
In den ersten beiden Versuchsjahren war die Prüfung verschiedener
Fallentypen und verschiedener Köderflüssigkeiten ein Schwerpunkt
(Abbildung 26). Ziel war es, den Produzenten möglichst rasch Empfeh-
lungen für ein geeignetes Monitoringsystem machen zu können. Frucht-
saftbasierte Köder (z.B. der Firma Riga) zeigten eine gute Fängigkeit.
Die grosse Hoffnung, die Attraktivität der fruchtsaftbasierten Köder
durch Zusatzstoffe so weit zu erhöhen, dass ein Massenfang der Kir-
schessigfliege möglich wird, erfüllte sich leider nicht. Zahlreiche Stoffe
(z.B. Acetone) zeigten zwar im Labor eine gute Lockwirkung, waren
aber im Freiland in Konkurrenz mit den reifenden Früchten zu wenig
wirksam (bzw. zu teuer).
Weiterführende        Informationen:       orgprints.org/29698/;      org-   Abbildung 26: Am attraktivsten für
                                                                             die Kirschessigfliegen waren rote
prints.org/29866/
                                                                             oder schwarze Fallen. Zusätzliche
Empfehlungen: Die Fallen (am besten: Profatec‐Falle mit dem Lock-            Muster konnten die Fängigkeit
                                                                             nicht erhöhen.
stoff Riga) sollten an schattigen, geschützten Stellen und an den Par-
zellenrändern montiert werden und während der Flugsaison von April
bis Oktober bzw. ab Reifebeginn bis zur vollständigen Ernte der Kultur
wöchentlich kontrolliert werden. Massenfang kann nur für wenig attrak-
tive Kulturen unter Netzabdeckung empfohlen werden.

                                                                                                                  24
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