F&E Task Force Kirschessigfliege - Agroscope
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F&E Task Force Kirschessigfliege Schlussbericht Dominique Mazzi, Patrik Kehrli, Barbara Egger, Bastien Christ, Jana Collatz (alle Agroscope) und Claudia Daniel (FiBL)
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 1 Ausgangslage und Organisation ..................................................................................................... 3 2 Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse .............................................................................. 4 2.1 Modul Beeren ..................................................................................................................................... 4 2.1.1 Monitoring und Populationsdynamik ................................................................................................... 4 2.1.2 Bekämpfungsstrategien ....................................................................................................................... 6 2.1.3 Schlussfolgerungen für Beerenkulturen ............................................................................................ 10 2.2 Modul Steinobst .............................................................................................................................. 11 2.2.1 Monitoring .......................................................................................................................................... 11 2.2.2 Insektenschutznetze .......................................................................................................................... 12 2.2.3 Schutz vor Eiablagen durch Gesteinsmehl ....................................................................................... 13 2.2.4 Direkte Bekämpfung durch Pflanzenschutzmittel.............................................................................. 14 2.2.5 Nach der Ernte .................................................................................................................................. 14 2.2.6 Schlussfolgerungen für den Steinobst-Anbau ................................................................................... 15 2.3 Modul Trauben ................................................................................................................................. 16 2.3.1 Monitoring .......................................................................................................................................... 16 2.3.2 Sortenanfälligkeit ............................................................................................................................... 17 2.3.3 Befallsbegünstigende Faktoren ......................................................................................................... 17 2.3.4 Boniturmethode und Befallsvorhersage ............................................................................................ 18 2.3.5 Schutz der Reben .............................................................................................................................. 19 2.3.6 Schlussfolgerungen für den Rebbau ................................................................................................. 21 2.4 Modul Bio-Anbau ............................................................................................................................. 22 2.4.1 Biologie und Vorbeugung .................................................................................................................. 22 2.4.2 Prüfung von Fallenfarben und Lockstoffen und Monitoring der Kirschessigfliege ............................ 24 2.4.3 Direkte Bekämpfung: Labor- und Feldversuche zur Prüfung von Bio-Insektiziden .......................... 25 2.4.4 Weitere Versuchsansätze ................................................................................................................. 25 2.5 Modul Grundlagen ........................................................................................................................... 26 2.5.1 Bewegung der Kirschessigfliege in der Landschaft .......................................................................... 26 2.5.2 Vorkommen und Bekämpfungspotential von Prädatoren ................................................................. 28 2.5.3 Vorkommen und Bekämpfungspotential von Parasitoiden ............................................................... 29 2.5.4 Parasitoide in der Interaktion mit Früchten ....................................................................................... 30 2.5.5 Kältetoleranz von Parasitoiden.......................................................................................................... 31 2.5.6 Schlussfolgerungen Grundlagen ....................................................................................................... 32 3 Projekte von Drittpartnern .............................................................................................................. 33 4 Wissenstransfer .............................................................................................................................. 34 4.1 Merkblätter und Newsletter ............................................................................................................... 34 4.2 Webseite, Medienpräsenz und Fachpublikationen ........................................................................... 34 4.3 Nationale Tagung Kirschessigfliege .................................................................................................. 35 4.4 Politikberatung und Vollzugsunterstützung ....................................................................................... 35 5 Schlussfolgerungen und Ausblick ................................................................................................ 36 6 Veröffentlichungen .......................................................................................................................... 37 6.1 Referierte wissenschaftliche Publikationen ....................................................................................... 37 6.2 Nicht-referierte wissenschaftlich-technische Publikationen .............................................................. 38 6.3 Merkblätter......................................................................................................................................... 40 2
Ausgangslage und Organisation 1 Ausgangslage und Organisation Die aus Südostasien stammende und in der Schweiz erstmals 2011 nachgewiesene Kirschessigfliege, Dro- sophila suzukii, befällt bei vielen Wirtspflanzen heranreifende oder reife, intakte Früchte. Die befallenen Früchte sind nicht länger vermarktungsfähig. Der Befall sorgte im Jahr 2014 lokal für beträchtliche Ernteaus- fälle. Grosse Mehrkosten entstanden daneben durch die Umsetzung von vorbeugenden Massnahmen und die Nachsortierung des Ernteguts. Mit der von Nationalrat Bruno Pezzatti eingereichten Motion «Forschung im Bereich der Kirschessigfliege» wurde der Bundesrat aufgefordert, die Forschung und Beratung im Bereich der Kirschessigfliege deutlich auszubauen, nachhaltige Schutzstrategien zu entwickeln und diese in der Praxis zu verankern. In der Folge etablierten Agroscope und das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) die Task Force Kirsches- sigfliege, um gemeinsam mit Partnern aus der Forschung, Beratung, Praxis und dem Vollzug die Entwicklung und Umsetzung von schadensmindernden Lösungen voranzutreiben. Das Ziel der Projektaktivitäten der Task Force Kirschessigfliege war eine wirtschaftlich vertretbare, nachhaltige Koexistenz mit der Kirschessigfliege unter Berücksichtigung der steigenden Qualitätsanforderungen von Handel und Konsum zu ermöglichen. Der Bundesrat empfahl die Unterstützung der Motion. Der Nationalrat stimmte bereits in der Wintersession 2014 der Motion zu; der Ständerat hiess sie im Juni 2015 definitiv gut. Für die Intensivierung der Forschung im Bereich der Kirschessigfliege wurden darauffolgend insgesamt CHF 2.5 Mio., verteilt auf fünf Jahre, zuge- sprochen. Die Task Force Kirschessigfliege war ab Februar 2015 1 unter der wissenschaftlichen Projektleitung von Dominique Mazzi (Agroscope) operativ. Sie umfasste die Module Beeren (Lei- tung: Catherine Baroffio, ab 2018 Bastien Christ, Agroscope), Steinobst (Leitung: Stefan Kuske, ab 2017 Barbara Egger, Agroscope), Trauben (Leitung: Patrik Kehrli, Agroscope), Bio-Anbau (Leitung: Claudia Daniel, FiBL) und Grundlagen (Leitung: Dominique Mazzi und Jana Collatz, Agroscope). Als sich im zweiten Projektjahr die Aprikosen ebenfalls als attrak- tive Wirtsfrüchte für die Kirschessigfliege erwiesen, wurden die Aktivitäten der Task Force auf diese Kultur erweitert. Aus Abbildung 1: Jährlich trafen sich die Mitarbeiten- logistischen Gründen wurde die Verantwortung für die Ent- den von Agroscope und FiBL zum Besuch eines wicklung von Schutzstrategien für den Aprikosenanbau von Praxisbetriebs und zum Erfahrungsaustausch; den im Wallis tätigen und ebenfalls für den Beerenanbau zu- hier im Juni 2019 am Agroscope-Standort Zürich- Reckenholz. ständigen Mitarbeitenden in Zusammenarbeit mit der For- schungsgruppe Obstkulturen im Alpenraum übernommen. Die Projektarbeit wurde begleitet, unterstützt und überwacht durch eine Projektoberleitung aus Vertreten- den von Agroscope (Robert Baur, ab 2017 Alain Gaume) und FiBL (Lucius Tamm), dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW, Olivier Félix), dem Schweizer Obstverband (SOV, Georg Bregy, ab 2017 Hubert Zuf- ferey) sowie der kantonalen Beratung (Luigi Colombi, ab 2017 Cristina Marazzi, Kt. Tessin und Markus Leumann, Kt. Schaffhausen). Sektorspezifische Begleitgruppen aus Vertretenden von praxisnahen Kreisen unterstützten die anwen- dungsorientierteren Module bei der Prüfung der Bekämpfungsverfahren in den verschiedenen gefährdeten Kulturen und Anbauregionen, nahmen Einfluss auf die Priorisierung der Forschungsausrichtung und pflegten den Wissensaustausch zwischen Forschung, Beratung und Branchenorganisationen. 1Die Vereinbarung mit dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) betrifft den Zeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2020. Alle Arbeiten vor 2016 wurden von Agroscope und FiBL selbst finanziert. 3
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse 2 Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse 2.1 Modul Beeren Beeren – insbesondere Himbeeren, Brombeeren und Heidelbeeren – sind für D. suzukii sehr attraktiv und dieser Schädling verursacht oft hohe Schäden bei diesen Kulturen, die beträchtliche wirtschaftliche Einbus- sen zur Folge haben. Die von der Task Force Kirschessigfliege aktuell empfohlenen Bekämpfungsstrategien beruhen auf einem regelmässigen Monitoring, einer Kombination aus Fernhaltungs- und Präventionsmass- nahmen und einer konsequenten Aufrechterhaltung der Kühlkette nach der Ernte. Die aktuellen Systeme zur Beerenproduktion erfordern regelmässige Ernten, die über einen langen Zeitraum von März bis November verteilt sind. Die Beobachtungen seit 2012 zeigen jedoch, dass vor allem die Herbstkulturen betroffen sind, bei denen trotz strikter Präventionsmassnahmen (regelmässige Ernteintervalle, Hygienemassnahmen und Anwendung von Löschkalk) die Befallsraten bis zu 100% erreichen können. Die Forschung im Rahmen der Tätigkeit der Task Force Kirschessigfliege konzentrierte sich auf das Monito- ring, Massnahmen zur Fernhaltung und Präventionsmassnahmen mittels folgender Studien: Vergleich und Entwicklung von Fallenmaterial, Analysen des gesamtschweizerischen Monitorings und vertiefte Untersu- chung des Tageszyklus, Vergleich verschiedener Bekämpfungsstrategien, Suche nach neuen Repellentien und Optimierung des Einsatzes von Löschkalk (Formulierungen, Anwendungstechnik und Evaluation der Wirksamkeit auf gesamtschweizerischer Ebene). 2.1.1 Monitoring und Populationsdynamik Vergleich und Entwicklung von Fallenmaterial Wir haben verschiedene Arten von Fallen (Form, Farbe) und Lockstoffen über mehrere Vegetationsperioden getestet und verglichen, um das wirksamste Material zu identifizieren (Abbildung 2). Nach mehreren Jahren Entwicklung erwies sich die Kombination der Falle Profatec mit dem Lockstoff Riga als wirksamste Variante bei Berücksichtigung der Wirkungsdauer. Das Produkt behält seine Wirksamkeit über mehr als drei Wochen, im Gegensatz zu zwar wirksameren Produkten, die aber häufiger ausgetauscht werden müssen und deshalb für die Praxis weniger geeignet sind. 50 verschiedenen Lockstoffen a Kirschessigfliegen nach a 40 Anzahl gefangene a 30 a a 20 b b b b 10 b 0 25.09.2017 02.10.2017 10.10.2017 16.10.2017 24.10.2017 Bioiberica Riga Abbildung 2: Anzahl gefangene Individuen von Drosophila suzukii pro Woche und pro Falle mit dem Lockstoff «Bio- iberica» bzw. «Riga» in einer Himbeerkultur in Chamoson (VS). Mittelwert und Standardabweichung von sieben Fallen pro Variante. Die Buchstaben bei den einzelnen Werten weisen auf statistisch signifikante Unterschiede. Wenn keine gemeinsamen Buchstaben bestehen, ist der Unterschied der betreffenden Werte statistisch signifikant. 4
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse Gesamtschweizerisches Monitoring Unsere Beobachtungen in den Beerenkulturen zeigen, dass die Fänge und Schäden ab Juli zu steigen beginnen, ihren Höhepunkt im September erreichen und ab Oktober wieder kontinuierlich sinken (Abbildung 3). Im Gegensatz zu den natürlichen Lebensräumen werden in den Beerenkulturen zwischen November und Juni kaum Kirschessigfliegen gefangen. Dies lässt sich damit erklären, dass in den Wintermonaten keine Früchte in den Kulturen vorhanden sind. Dagegen bleiben die Fangzahlen im Mai und Juni gering, obwohl die Kulturen bereits voll produzieren. Abbildung 3: Dynamik der Populationen von Drosophila suzukii auf gesamtschweizerischer Ebene, Reifungszeiträume verschiedener Beerenkulturen und anderer Wirtspflanzen. Schwache Korrelation zwischen den Fangzahlen und der Befallsrate der Beeren Unsere Beobachtungen bestätigen, dass ein Monitoring der Populationen auf der Ebene der Parzellen erfolgen muss, da die Entwicklung der Populationen auf regionaler Ebene sehr heterogen sein kann und stark von lokalen Faktoren abhängt (Kultur, Produktionssystem und Umgebung der Parzelle). Durch ein Monitoring der Parzellen kann ein gezielter Einsatz verschiedener Bekämpfungsmassnahmen erfolgen. Es ist allerdings bei der Interpretation der Fangergebnisse Vorsicht geboten, da wir in den meisten zwischen 2015 und 2020 durchgeführten Versuchen keine Korrelation zwischen der Anzahl gefangener Kirschessigfliegen und der Befallsrate feststellten. Wir empfehlen deshalb, das Monitoring mit Fallen durch eine Kontrolle des Befalls der Früchte zu ergänzen, wenn sich eine Population von D. suzukii in der Parzelle etabliert hat. 5
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse Verfeinertes Monitoring Wir haben vertiefte Studien zum Verhalten von D. suzukii in den Beerenkulturen über den Tagesverlauf während drei aufeinander folgenden Saisons durchgeführt, mit dem vorrangigen Ziel, den optimalen Zeitpunkt für die Anwendung eines Insektizids zu bestimmen. Durch die Analyse der gesammelten Daten konnten wir folgende Eigenheiten des Verhaltens der Kirschessigfliege identifizieren: - In den heissesten Zeiträumen des Jahres (Sommer) ist D. suzukii eher am Morgen und Abend aktiv. Sie versteckt sich während des Tages, wenn die Temperaturen zu hoch sind. - In den kühleren Zeiträumen des Jahres (Herbst) ist D. suzukii während des Tages aktiv und am Morgen und Abend inaktiv. - Wenn die Temperaturen im von D. suzukii bevorzugten Bereich liegen (~5-26°C) , begünstigt eine hohe Feuchtigkeit die Aktivität der Kirschessigfliege (während kälteren oder heisseren Phasen ist die Feuchtigkeit weniger wichtig, da die Temperatur für die Aktivität begrenzend ist). - D. suzukii ist kaum oder nicht aktiv während der Nacht. - Wir empfehlen deshalb, ein Insektizid am Morgen oder Abend anzuwenden, wenn die Tageshöchsttemperatur in der Kultur 25°C überschreitet. Bei tieferen Temperaturen wird eine Behandlung während des Tages empfohlen. 2.1.2 Bekämpfungsstrategien In Abbildung 4 sind die Strategien zusammengefasst, die von der Task Force Kirschessigfliege nach fünf Jahren Versuchen und Beobachtungen im Feld empfohlen werden. Eine erfolgreiche Bekämpfung von D. suzukii erfordert von den Produzenten der Beerenkulturen unabhängig von der gewählten Strategie viel Engagement und Sorgfalt. Eine gut abgewogene Kombination gezielter Massnahmen ist für eine maximale Begrenzung der Schäden auch bei einem geringen Schädlingsdruck unerlässlich und umso wichtiger bei Kulturen, bei denen sich die Reifung der Früchte über einen langen Zeitraum erstreckt. 6
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse Abbildung 4: Überblick über die von der Task Force Kirschessigfliege empfohlenen Bekämpfungsstrategien. Es ist die Anfälligkeit der einzelnen Kulturen angegeben. 7
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse Massnahmen zur Fernhaltung Unsere Versuche haben gezeigt, dass mit einer Totaleinnetzung der Befall mit der Kirschessigfliege wirksam reduziert werden kann und weitere Massnahmen unterstützt werden (Abbildung 5A). Abbildung 5: A) Auswirkung der Totaleinnetzung auf die Befallsraten und Temperatur in einer Heidelbeerkultur in Dür- renroth (BE) im Jahr 2015; B) Anbaumassnahmen, durch die ein für die Kirschessigfliege ungünstiges Klima in den Beerenkulturen geschaffen wird. Anbaumassnahmen, Ernteintervalle und Umgang mit Ernterückständen Für Beerenkulturen empfehlen wir bestimmte Anbaumassnahmen, mit denen für die Kirschessigfliegen ungünstige Bedingungen geschaffen werden können (Abbildung 5B). Dabei wird in erster Linie das Blattvolumen niedrig gehalten (Grösse, Auslichten, Entlauben), abgestimmt auf die Art und die Führung der Kultur, um das Eindringen des Lichts zu begünstigen (Verminderung der Feuchtigkeit und Anstieg der Temperatur). Ein geringeres Blattvolumen ermöglicht ausserdem eine homogenere Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und erleichtert den Unterhalt der Bereiche zwischen den Reihen (regelmässiger Schnitt der Bodenbedeckung und Unkrautentfernung). Auch durch die Beseitigung der Ursachen von stehendem Wasser in den Kulturen (Tröpfchenbewässerungssystem) können die Kirschessigfliegen- populationen begrenzt werden. Die Zeiträume zwischen den Ernten sollten so kurz wie möglich sein. Unsere Versuche haben gezeigt, dass durch die Reduktion der Ernteintervalle von 3 auf 2 Tage die Befallsrate um bis zu 75% gesenkt werden kann. Die Beseitigung der Ernteabfälle ist ebenfalls eine Schlüsselmassnahme bei der Bekämpfung der Kirschessigfliege, weil dadurch die vorhandenen Eier und Larven entfernt werden und die Entwicklung der Populationen begrenzt wird. Anwendung von Löschkalk und Repellentien auf der Basis von Pflanzenextrakten Durch die zahlreichen Versuche, die von der Task Force Kirschessigfliege zwischen 2015 und 2020 mit Löschkalk (Ca(OH)2) durchgeführt wurden, konnten eine geeignete Formulierung und eine Anwendungstechnik gefunden werden, mit denen eine Teilwirkung erreicht wird und Flecken auf den Früchten vermieden werden. In Versuchen, die wir 2019 in Zusammenarbeit mit zehn Himbeerproduzenten durchführten, konnten wir zeigen, dass mit einer wöchentlichen Kalkbehandlung die durchschnittliche Zahl der Larven pro Frucht und die Befallsrate bei geringem bis mittlerem Schädlingsdruck um bis zu 40% reduziert werden konnte (Abbildung 6). 8
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse Wirksamkeit von Kalk (%) Befallsrate von Früchten ohne Kalkbehandlung (Wahrscheinlichkeit) Abbildung 6: Wirkung der Anwendung von Löschkalk im Jahr 2019 in Himbeerkulturen von 10 Produzenten, je nach Schädlingsdruck durch Drosophila suzukii. Das zur Kombination aller Daten verwendete statistische Modell zeigt, dass die Wirksamkeit abnimmt (vertikale Achse), wenn der Schädlingsdruck durch D. suzukii steigt (horizontale Achse: Wahr- scheinlichkeit, dass eine Frucht in einer nicht mit Kalk behandelten Kultur befallen ist (0 ≈ Befallsrate 0%; 1 ≈ Befallsrate 100%)). In jüngerer Zeit erhielt ein weiteres Produkt mit vergrämender Wirkung vermehrt Aufmerksamkeit: Action R, ein Blattdünger mit Knoblauch- und Zitronengrasextrakten. Wir testeten das Produkt in mehreren Feldversuchen, um die Wirksamkeit in Himbeerkulturen zu untersuchen (Abbildung 7). Die Wirkung dieses Repellens liegt zwar deutlich unter der Wirkung von Kalk, ermöglicht aber eine Reduktion der durchschnittlichen Anzahl Larven pro Frucht um 30% im Vergleich zu einem Kontrollblock. Dagegen scheint die Kombination von Action R mit Kalk trotz eines signifikanten Unterschieds im Vergleich zu einem Kontrollblock nicht interessant zu sein, da die beobachtete Wirkung für die Praxis nicht ausreicht, wenn der Abbildung 7: Durchschnittliche Anzahl Larven pro Frucht in Himbeerkulturen, die wöchentlich mit Löschkalk, Action R oder einer Kombination dieser beiden Mittel behandelt wurden (Mittelwert über 6 Wochen mit Standardabweichung). Die Buchstaben bei den einzelnen Werten weisen auf statistisch signifikante Unterschiede. Wenn keine gemeinsamen Buch- staben bestehen, ist der Unterschied der betreffenden Werte statistisch signifikant. 9
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse Schädlingsdruck hoch ist. Die Produkte sind jedoch für eine regelmässige präventive Anwendung interessant. Direkte Bekämpfung Durch die Anwendung von Insektiziden können die von Kirschessigfliegen verursachten Schäden vorübergehend gesenkt werden, sie sollten aber nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Für jede Indikation ist eine maximale Zahl von Anwendungen sowie eine Wartefrist festgelegt. Die wiederholte Anwendung eines Wirkstoffs erhöht das Risiko der Entwicklung von Resistenzen beim Schädling. Es ist ausserdem wichtig zu beachten, dass die Anwendung eines Kontaktinsektizids nur gegen die adulten Insekten wirkt, da sich Eier und Larven im Inneren der Früchte entwickeln. Massnahmen nach der Ernte Wir stellten fest, dass durch eine systematische Beachtung der guten Praxis nach der Ernte von Beeren (schnelle Kühlung, Aufrechterhaltung der Kühlkette, schneller Verkauf) die durch Kirschessigfliegen verursachten Schäden bei der Lagerung begrenzt werden können. Vor dem Transport müssen die Beeren nach der Ernte im Schatten kühl zwischengelagert und so schnell wie möglich zum Kühllager gebracht werden, idealerweise mit einem Kühlwagen. Die Kühlkette muss bis in die Verkaufsregale konsequent aufrecht erhalten werden und es ist auf einen raschen Verkauf des Produkts zu achten. Wir haben im Übrigen festgestellt, dass durch eine Lagerung von Heidelbeeren bei 1°C während drei Tagen die Eier von D. suzukii abgetötet werden können. 2.1.3 Schlussfolgerungen für Beerenkulturen Die Tätigkeit der Task Force Kirschessigfliege ermöglichte es, ein besseres Verständnis zur Entwicklung der Schädlingspopulationen zu gewinnen, verschiedene Bekämpfungsmassnahmen zu testen und auf die einzelnen Kulturen und Produktionssysteme abgestimmte Schutzstrategien festzulegen. Wie bei den anderen Kulturen erfordert die Bekämpfung der Kirschessigfliege die Umsetzung verschiedener Fernhaltungs- und Präventionsmassnahmen, damit die Schäden bei minimaler direkter Bekämpfung durch Insektizide möglichst gering gehalten werden können. Eine konsequente Einhaltung der Kühlkette ist ebenfalls entscheidend, um Schäden bei der Lagerung zu minimieren. Die Suche nach neuen Lösungen zum Schutz von Beerenkulturen gegen die Kirschessigfliege ist in den kommenden Jahren fortzusetzen, insbesondere im Hinblick auf wirksamere Repellentien und deren optimale Anwendung. 10
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse 2.2 Modul Steinobst Die Steinobstkulturen Kirsche, Zwetschge und Aprikose sind aufgrund ihrer dünnen Schale, Fruchtfestigkeit, Farbe, spezifischer Duftstoffe und Zuckergehalts sehr attraktiv für die Kirschessigfliege. Weibliche Fliegen können durch ihren gezähnten Eiablageapparat ihre Eier in intakte Früchte ablegen. Die sich in den Früchten entwickelnden Larven verursachen den Schaden: die Früchte sind als Tafelobst nicht verkäuflich, bei starkem Befall kann die sich sekundär bildende Essigfäule auch zu Fehlnoten in der Produktion von Destillaten führen. Seit 2014 war das Schadensausmass nicht jedes Jahr vergleichbar hoch. Abhängig von Temperatur und Feuchtigkeit konnte sich eine Kirschessigfliegen-Population oft sehr schnell aufbauen und innerhalb kurzer Zeit sehr grossen wirtschaftlichen Schaden anrichten. Die Kirschessigfliege hat den Steinobstanbau verän- dert. Zahlreiche vorbeugende Massnahmen müssen ergriffen werden, um einen Aufbau der Schädlingspo- pulation zu verhindern: Monitoring der Kirschessigfliege, Kulturmassnahmen zur guten Durchlüftung des Kro- nenbereichs, Einnetzung und Feldhygiene. Sollte es trotzdem zum Aufbau einer Population innerhalb der Kultur kommen, muss es schnell gehen: Die Ernte sollte, wenn möglich, vorgezogen werden, befallenes Obst aus der Anlage gebracht werden und die Früchte müssen rasch gekühlt werden. All diese Empfehlungen wurden in den vergangenen Jahren intensiver Beobachtung und Forschungstätigkeit erarbeitet. Die folgen- den Seiten rekapitulieren den Weg vom ersten Einflug der Kirschessigfliege in den Schweizer Steinobstan- bau bis zur Strategieempfehlung zum Schutz der Kulturen. 2.2.1 Monitoring Zur Überwachung der Kirschessigfliege in Steinobstanlagen wurden Monitoringmethoden entwickelt. Die Wirksamkeit verschiedener Köderflüssigkeiten und Fallentypen zum Fang der Fliegen wurden im Labor und im Feld geprüft. Seit 2016 werden schweizweit Fallenfänge durch kantonale Fachstellen und Agroscope aus- gewertet und in der Online-Datenbank Agrometeo gesammelt und dargestellt (Abbildung 8). Für eine Befalls- prognose auf Parzellenebene sind solche Fallen nicht geeignet, da reifende Früchte attraktiver sind als die Köderflüssigkeit. Zur Überwachung des Befalls in einer Obstanlage müssen deshalb Früchte auf Eiablagen kontrolliert werden. a) b) 8000 wöchentliche Fänge/Falle 7000 2016 2017 6000 2018 5000 2019 4000 2020 3000 2000 1000 0 1 4 7 10 13 16 19 22 25 28 31 34 37 40 43 46 49 52 Kalenderwoche Abbildung 8: a) Becherfalle mit Lockstoff (Wein, Essig, Wasser); b) Anzahl gefangener Kirschessigfliegen pro Falle und Woche in Wädenswil 2016-2020. 11
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse 2.2.2 Insektenschutznetze Die Kirschessigfliege überwintert überwiegend ausserhalb von Obstparzellen, zum Beispiel in umliegenden Wäldern oder Hecken. Erst wenn die Früchte in Steinobst-Anlagen in die Reifephase kommen, wandern die Fliegen in die Parzellen ein und legen ihre Eier in die Früchte. In einer Reihe von Versuchen wurde die Volleinnetzung (Abbildung 9) von Kirschenparzellen mit Netzen verschiedener Maschenweiten geprüft (Ab- bildung 10). Um den Einflug der Kirschessigfliege in Obstanlagen zu verhindern, sind Insektenschutznetze mit einer Maschenweite ≤1.3 mm sehr gut geeignet (Abbildung 11). Versuche in Zwetschgen- bzw. Apriko- senanlagen haben gezeigt, dass die ausschliessliche seitliche Einnetzung nicht ausreichend wirksam ist. Beim Öffnen der Einnetzung für Arbeiten oder durch schadhafte Stellen im Netz können Kirschessigfliegen in eine Obstanlage gelangen. In diesem Fall ist der Einsatz von wirksamen Pflanzenschutzmitteln notwendig um den Aufbau einer Fliegenpopulation zu unterbinden und den Schaden an den Früchten zu begrenzen. a) b) Abbildung 9: Eingenetzte Kirschenparzellen mit a) dichtem Bodenabschluss und b) Traufenabschluss. 1600 100 1400 90 80 Larven pro 100 Früchte 1200 70 % Fruchtbefall 1000 60 800 50 600 40 30 400 20 200 10 2.5 1 0.5 25 0 0 Ohne 0.8 x 0.8 x 1.2 x 1.4 x Kontrolle Netz früh Netz spät Insektizid Netz 0.8mm 1.4mm 1.2mm 1.7mm Abbildung 10: Anzahl Kirschessigfliegen-Larven in 100 Kir- Abbildung 11: Anteil befallener Kirschen pro 100 schen zur Ernte. Ohne Netz, Netz 0.8 x 0.8 mm, Netz 0.8 x Früchte zur Ernte, Sorte Regina. Kontrolle: unbehan- 1.4 mm, Netz 1.2 x 1.2 mm, Netz 1.4 x 1.7 mm. Alle Varian- delt, Netz früh, 1.2 x 1.2 mm: Schliessung Netz Kalen- ten wurden 2x mit Spinosad behandelt (Audienz, 0.02%). derwoche (KW) 21, Netz spät, 1.2 x 1.2 mm: Schlies- sung Netz KW 24, Insektizid: Gazelle (Acetamiprid) 0.02% KW 25, Audienz (Spinosad) 0.02% KW 26 und KW 27. 12
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse 2.2.3 Schutz vor Eiablagen durch Gesteinsmehl Die Kirschessigfliege wird in Obstanlagen unter anderem durch die Farbe von reifenden Früchten angelockt. Durch die Applikation von Gesteinsmehl (Kaolin, 2%) oder Löschkalk (0.75%) wird ein weisser Belag auf den Früchten erzeugt (Abbildung 12). Der Belag bewirkt, dass die Kirschessigfliegen-Weibchen ihre Eier nicht in die Kirschen ablegen. Um eine gute Wirkung zu gewährleisten, muss der Belag nach Starkregenereignissen erneuert werden. Ergebnisse aus neun Versuchen von FiBL und Agroscope in biologisch bzw. integriert be- wirtschafteten Feldobst-Kirschenanlagen haben 2019 eine gute Wirksamkeit von Kaolin-Behandlungen ge- zeigt (Abbildung 13a). Die Behandlungen haben keine Auswirkungen auf den Zuckergehalt und das Gewicht der Kirschen (Abbildung 13b-c). Der weisse Belag auf den Früchten ist auch bei der Ernte noch sichtbar, deshalb ist die Methode nur für Kirschen geeignet, die für die Brennerei bestimmt sind. Auf den Gärprozess und den Brennvorgang haben die Kaolin-Behandlungen keinen nennenswerten Einfluss. Einen negativen Einfluss haben die Behandlungen hingegen auf die Anzahl von Raubmilben auf den Blättern, denn kurz nach den Behandlungen sinkt die Anzahl der Nützlinge, die Populationen können sich aber im Laufe des Jahres wieder erholen. Ebenfalls als Mittel mit repellenter Wirkung wurde Löschkalk (0.75%) auf Kirschen geprüft. Der Wirkungsgrad ist mit jenem von Kaolin nicht vergleichbar und für den Kirschenanbau nicht zufriedenstellend (Abbildung 13a). a) b) Abbildung 12: a) Hochstamm-Kirschen mit Kaolin behandelt (links im Bild); b) Kirschen nach der Applikation von Kaolin (2%). a) b) c) Abbildung 13: Auswertung von Kirschen zur Ernte aus neun (Kaolin) bzw. drei (Löschkalk) Hochstamm-Anlagen nach zwei bis drei Behandlungen mit Kaolin (2%) bzw. Löschkalk (0.75%). a) Anteil Kirschen mit Eiablagen, b) Zuckergehalt (Brix) von 50 Früchten und c) Fruchtgewicht (g) von 50 Kirschen. 13
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse 2.2.4 Direkte Bekämpfung durch Pflanzenschutzmittel Zum Zeitpunkt der Berichterstattung sind in der Schweiz für den Obstbau keine Pflanzenschutzmittel or- dentlich gegen die Kirschessigfliege zugelassen. Es gibt wirksame Pflanzenschutzmittel zur Bekämpfung der Kirschessigfliege, über die jeweils aktuelle Zulassungssituation wird im BLW-Pflanzenschutzmittelverzeich- nis informiert. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sollte nach allen vorbeugenden als letzte der Massnahmen vor der Ernte zur Bekämpfung der Kirschessigfliege in Steinobstanlagen ergriffen werden. Vorbeugende Applikatio- nen sind aufgrund der Wirkungsdauer und -mechanismen der verfügbaren Pflanzenschutzmittel nicht sinn- voll. Beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sollte wegen des kurzen Zeitabstandes zwischen dem Befalls- beginn und der Steinobsternte den vorgeschriebenen Wartefristen besondere Beachtung geschenkt werden. Der Befall von Früchten kann unter Umständen nicht gänzlich verhindert werden, weil eine Applikation von Pflanzenschutzmitteln unmittelbar vor der Ernte nicht mehr möglich ist. 2.2.5 Nach der Ernte Die möglichst rasche Kühlung von Früchten nach der Ernte unterbindet das Schlüpfen von Fliegenlarven aus schon abgelegten Eiern. Der Larvenschlupf wurde in verschiedenen Versuchen unter verschiedenen Lager- bedingungen geprüft. Eier von Kirschessigfliegen wurden in Nährmedium, Zwetschgen und Aprikosen ge- zählt, anschliessend wurden das Nährmedium bzw. die Früchte mit den Eiern bei verschiedenen Tempera- turen unterschiedlich lang gelagert. Nach der Lagerung wurden die geschlüpften Larven gezählt und die Schlupfrate berechnet (Abbildung 14). Eine 24-stündige Kühlzeit bei 3°C reduziert den Larvenschlupf signi- fikant. Je länger die Kühlzeit und geringer die Lagertemperatur, desto geringer die Schlupfrate. Da die Kühl- lagerung negative Effekte auf die Fruchtqualität haben kann, müssen die Bedingungen den gelagerten Sorten angepasst werden. Bei Aprikosen zum Beispiel geht die Kühllagerung sehr schnell auf Kosten der Frucht- qualität und ist deshalb nur bedingt umsetzbar. 1 1 1 1 0.8 0.8 0.8 Schlupfrate Schlupfrate 0.8 Schlupfrate 0.6 Schlupfrate 0.6 1°C 0.6 0.6 1°C 1°C 0.4 1°C 0.4 3°C 0.4 0.4 3°C 10°C 21° C 0.2 21° C 0.2 21° C 0.2 0.2 0 0 0 0 24h 72h 168h 4 Tage 8 Tage 5 Tage 24h 72h 168h Lagerzeit Lagerzeit Lagerzeit Lagerzeit Abbildung 14: Schlupfrate von Kirschessigfliegen nach Lagerung bei verschiedenen Temperaturen. a) Nährmedium nach 24, 72 bzw. 168 Stunden bei 1°C, 3°C bzw. 21°C; b) Zwetschgen nach 4 bzw. 8 Tagen bei 1°C bzw. 10°C; c) Aprikosen nach 5 Tagen bei 1°C bzw. 21°C. 14
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse 2.2.6 Schlussfolgerungen für den Steinobst-Anbau Die Kirschessigfliege ist eine grosse Herausforderung für den Steinobst-Anbau, denn die Kulturen sind sehr attraktiv für diesen invasiven Schädling. Er kann sich bei günstigen Bedingungen rasch vermehren und richtet den Schaden unmittelbar vor der Ernte an. Durch die erarbeiteten Massnahmen können Steinobstanlagen vor grossen Ernteausfällen geschützt werden. Dort, wo nicht alle Massnahmen umsetzbar sind, werden in Jahren mit starkem Schädlingsaufkommen erhebliche Ernteausfälle verzeichnet. Während der letzten Jahre intensiver Forschung wurde eine Vielzahl an Lösungsansätzen verfolgt. Manche davon wurden fallengelassen, weil sie nicht erfolgversprechend oder praxistauglich waren. Andere wurden weiterentwickelt und abschliessend in eine Bekämpfungsstrategie gegen die Kirschessigfliege integriert. Nicht in allen Kulturen sind dieselben Massnahmen wirksam. Durch die gemeinsame Forschung über Kultu- ren und Institutionen hinweg ist ein konstanter Informationsaustausch möglich, verschiedene Ansätze können koordiniert umgesetzt werden. Den ProduzentInnen stehen heute Werkzeuge zur Verfügung, mit deren Hilfe sie trotz der Kirschessigfliege qualitativ hochwertiges Steinobst produzieren können. 15
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse 2.3 Modul Trauben Eiablagen führen zu kleinen Einstichen in gesunden Traubenbeeren. In der Folge bilden sich häufig kleine Safttropfen auf den Früchten. Diese Verletzungen schaffen Eintrittspforten für Hefen und Bakterien sowie einheimische Essigfliegen. Dieser Komplex von Essigfliegen und Mikroorganismen begünstigt die Bildung und das Auftreten von Essigfäule im Rebberg. Nichtsdestotrotz konnte bis anhin kein eindeutiger Zusam- menhang zwischen Fallenfängen von D. suzukii, der Zahl der Eiablagen und dem Auftreten der Essigfäule belegt werden. Die genaue Rolle von D. suzukii in der Entwicklung der Essigfäule ist daher nur teilweise verstanden und wird zurzeit in einer vom Projekt teilweise finanzierten Dissertation weiter untersucht. Trotz alledem wurden seit 2014 wertvolle Erkenntnisse für den Schweizer Rebbau gewonnen und die Angst der Winzer vor diesem neuen Schädling hat sich weitgehend gelegt. Die Kirschessigfliege wird heute als ein wichtiger Rebbauschädling wahrgenommen, der in gewissen Jahren und Situationen erhebliche Ernteaus- fälle mitverursachen kann. Drosophila suzukii löst jedoch heute, auch dank der Task Force Kirschessigfliege, nicht mehr dieselben Ängste bei den Winzern aus wie noch Ende 2014. Auf den nachfolgenden Seiten wer- den die wichtigsten Erkenntnisse im Rebbau, die im Rahmen des Projekts gewonnen wurden, zusammen- gefasst. 2.3.1 Monitoring Seit 2015 wird im Schweizer Rebberg koordiniert durch Agroscope und mit Hilfe der Kantone ein jährliches nationales Eiablagemoni- toring durchgeführt. Dabei wurden anfangs mehr als 100'000 Bee- ren in mehr als 500 Parzellen kontrolliert, heute konzentriert sich das kantonale Monitoring überwiegend auf sensible Rebsorten an kritischen Lagen. Dank des Projekts kann der ermittelte Befallsver- lauf im Schweizer Rebberg seit 2017 auf Agrometeo grafisch mit- verfolgt werden (Abbildung 15). Abbildung 15: Grafische Darstellung der Drosophila suzukii Eiablage im Schweizer Rebberg am 15.9.2019. 16
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse 2.3.2 Sortenanfälligkeit Die Beobachtungen im Monitoring zeigen, dass neben einigen seltenen Sorten (Bondoletta, Chasselas rose, Kimisch Lutshitsi etc.) im Schweizer Rebbau insbesondere die dunklen Rebsorten Cabernet Dorsa, Cornalin, Divico, Dornfelder, Dunkelfelder, Galotta, Garanoir, Humagne rouge, Mara, Regent und Syrah das höchste Befallsrisiko aufweisen (Abbildung 16). Je nach Jahr und Lage können durch unterschiedliche Witterung und Umgebung aber auch die Hauptsorten Gamay, Pinot Noir und Merlot in grösserem Masse befallen werden. Abbildung 16: Prozentualer Anteil der kontrollierten Beeren mit Drosophila suzukii Eiablage nach Rebsorte im Schweizer Weinbau zwischen 2015 und 2017 (Ø ± Standardabweichung). Weisse Rebsorten in GROSSBUCHSTABEN; Zahlen über den Balken = Anzahl untersuchte Parzellen. 2.3.3 Befallsbegünstigende Faktoren Über die Dauer des Projekts hat sich gezeigt, dass verschiedene Faktoren den Kirschessigfliegen-Befall im Rebberg begünstigen oder reduzieren (Tabelle 1). Tabelle 1: Äussere Faktoren, welche einen Einfluss auf den D. suzukii Befall im Rebberg haben. Günstige Faktoren + Weniger günstige Faktoren - Risiko ab Farbumschlag Kein Risiko vor dem Farbumschlag Rote und rötliche Traubensorten Weisse Rebsorten Dünne Beerenhaut Dicke Beerenhaut Kompakte Trauben Lockerbeerige Trauben Sonnige, trockene, warme und durchlüftete Laub- Schattige, feuchte, kühle und dichte Laubwand, dich- wand, ausgelaubte Traubenzone, lockerer Trauben- ter Traubenbehang, starkwüchsige Reben behang, normaler Wuchs der Reben Hoher Unterwuchs bis in die Traubenzone Niedriger Unterwuchs Nähe zu Wald, Hecken, feuchte Habitate, Stein- Grosse, zusammenhängende Rebfläche obst, Beeren, heterogene Umgebung 17
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse Zum Ersten steigt das Befallsrisiko mit dem Reifegrad der Trauben, d.h. vor Farbumschlag kommt es nur äusserst selten zu Eiablagen und die Beeren sind am attraktivsten kurz vor der Lese. Ausserdem werden weisse Traubensorten generell weniger stark befallen als rote oder rötliche, ebenso wie lockerbeerige Trau- ben gegenüber von kompakten. Daneben nimmt das Befallsrisiko mit der Festigkeit der Beerenhaut ab (Ab- bildung 17). Ausserdem hat sich gezeigt, dass der Schädling gut besonnte Trauben meidet. In der Parzelle bietet ein hoher Unterwuchs dem Schädling ein schattiges und feuchtes Rückzugshabitat. Ausserhalb der Parzelle fördern Hecken, Wälder und alternative Wirtspflanzen das Vorkommen der Kirschessigfliege und erhöhen dadurch den Schädlingsdruck im angrenzenden Rebberg. Abbildung 17: Zusammenhang zwischen dem Penetrationswiderstand der Traubenhaut und dem prozentualen Anteil kontrollierter Parzellen mit Drosophila suzukii Eiablagen im Herbst 2015 in der Schweiz. 2.3.4 Boniturmethode und Befallsvorhersage Im Verlaufe des Projekts hat sich auch gezeigt, dass die anfangs verwendete Boniturmethode den Befall leicht unterschätzte. In einer mehrjährigen Studie wurde die Boniturmethode daher verfeinert und 2019 wurde die herkömmliche Beerenmethode durch die sensiblere Traubenmethode ersetzt (Abbildung 18). Die neue Traubenmethode besteht darin, dass fünf Trauben repräsentativ für die Parzelle eingesammelt werden. Aus jeder Traube werden fünf Beeren aus dem Traubeninnern und dem -äussern kontrolliert. Sind mehr als 4% der Beeren mit Eiern befallen (= Schadschwelle), kann je nach Zustand der Trauben und Erntetermin eine Behandlung der Parzelle in Betracht gezogen werden. Abbildung 18: Vergleich der beiden untersuch- ten Boniturmethoden im 2018. 18
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse In einer Masterarbeit wurde 2017 ebenfalls untersucht, ob chemische und physikalische Eigenschaften der Trauben in direktem Zusammenhang mit D. suzukii Befall stehen. Dabei hat sich gezeigt, dass Eiablagen mit der Reife und insbesondere dem Penetrationswiderstand, Zucker- und Säuregehalt korreliert werden können, dass für die einzelnen Eigenschaften jedoch kein eigentlicher Schwellenwert existiert, ab welchem es zu Befall kommen kann (Abbildung 19). Des Weiteren variierten die gemessenen Eigenschaften stark über die verschiedenen Standorte. Dies bedeutet, dass es mittels der chemischen und physikalischen Traubeneigen- schaften nur schwer möglich sein wird, einen effektiven Beerenbefall vorherzusagen oder gar zu modellieren. Externe Faktoren wie Witterung, Umland und Zufall scheinen einen mindestens ebenso bedeutenden Ein- fluss zu haben. %befallene Beeren Abbildung 19: Eiablage von Drosophila suzukii in Abhängigkeit des Penetrationswiderstandes auf verschiedenen Rebsorten in Pully im 2017. Penetrationswiderstand (cN) 2.3.5 Schutz der Reben Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass ein effektiver Pflanzenschutz als erstes auf einer konsequenten Umsetzung aller vorbeugenden Methoden basiert, insbesondere auf einer angepassten Entlaubung der Trau- benzone (Abbildung 20), einer Ertragsregulierung vor Farbumschlag und einer niedrigen Begrünung ab Far- bumschlag. 80 a) b) Nicht ausgelaubt % befallene Beeren Ausgelaubt 60 40 20 0 21.09. 28.9. 5.10. Abbildung 20: Einfluss einer a) angepassten Entlaubung auf b) die Entwicklung des Drosophila suzukii Befalles in einer Mara Parzelle in Echichens (VD) im 2016. 19
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse Eine vorbeugende Bekämpfung mit engmaschigen Netzen bietet ebenfalls einen sehr guten Schutz gegen die Kirschessigfliege. Gemeinsam mit den kantonalen Fachstellen durchgeführte Versuche im 2016 zeigten, dass insbesondere Insektenschutznetze und engmaschige Netze gegen Wespen und Vögel den Befall stark reduzieren (Abbildung 21). Hagelnetze stellten sich hingegen als ungenügend heraus. Ökonomische Analy- sen ergaben, dass sich Netze insbesondere bei anfälligen Rebsorten von hoher Wertschöpfung rechtfertigen sowie in Parzellen, die einen zusätzlichen Schutz gegen Vögel und Wespen verlangen. a) b) c) Abbildung 21: Foto a) eines engmaschigen Anti-Wespen/Anti-Vögel sowie b) eines Anti-Insekten Netzes. Grafik zur c) prozentualen Reduktion der Eiablage von Drosophila suzukii unter verschiedenen Netzen bei der Ernte. Falls die vorbeugenden Massnahmen nicht ausreichen, bevorzugen die Winzer, wie von Agroscope seit 2015 empfohlen, als zusätzliches Mittel den Einsatz von Kaolin. Kaolin ist ein inertes weisses Gesteinsmehl auf der Basis von Aluminiumsilikat, das auch im Biolandbau angewendet werden darf und dessen Nebenwirkun- gen auf Nützlinge vernachlässigbar sind. Kaolinpartikel haften an der Oberfläche von Trauben (Abbildung 22a) und bilden dadurch eine physikalische Barriere, welche die Eiablage der Kirschessigfliege verringert. In 23 Wirkungsversuchen hat sich gezeigt, dass Kaolin eine durchschnittliche Wirksamkeit von 56% besitzt (Abbildung 22b). Zudem beeinflussten Kaolinbehandlungen in einem kontrollierten Vinifikationsversuch we- der die Fermentation noch den Weingeschmack (Abbildung 22c) und die gemessene Aluminiumkonzentra- tion in den behandelten Weinen verblieb weit unter dem tolerierten Maximalwert. Es ist empfohlen, die ande- ren zugelassenen Insektizide nur als letztes Mittel einzusetzen. Einbezogen werden muss dabei der voraus- sichtliche Erntetermin, die Wartefrist, die kurze Wirkungsdauer und die limitierte Anzahl bewilligter Applikati- onen. Neben der Rückstands- und Resistenzproblematik birgt der Einsatz von herkömmlichen Insektiziden auch Gefahren für Nützlinge und er kann die öffentliche Wahrnehmung des Schweizer Weinbaus negativ beeinflussen. Gesamteindruck a) b) 100 c) (P=0.74) Struktur Farbintensität (P=0.98) (P=0.99) 80 % Abnahme Eiablage Bitterkeit Fruchtig (P=0.95) (P=0.26) 60 Trockenheit/Herbe Würzig (P=0.60) (P=0.86) 40 Tanninqualität Finesse (P=0.75) (P=0.59) 20 Tanninintensität Geschmeidigkeit (P=0.69) (P=0.82) Säure 0 (P=0.99) Kaolin 1% Kaolin 1% Kaolin 2% Kaolin 2% Kontrolle 3mal Kaolin 1% 3mal Kaolin 2% präventiv kurativ präventiv kurativ Abbildung 22: Einfluss von Kaolin auf a) das Erscheinungsbild der Trauben, b) die Abnahme der Eiablagen in 23 Wir- kungsversuchen 2016 und c) die sensorischen Eigenschaften der vinifizierten Mara-Weine 2015. 20
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse 2.3.6 Schlussfolgerungen für den Rebbau Die Kirschessigfliege bevorzugt dunkle, weiche und dünnhäutige Früchte wie Kirschen, Himbeeren, Brom- beeren, Heidelbeeren oder Holunder und die Rebe ist weitgehend eine sekundäre Wirtspflanze. Der Befall im Rebberg ist zudem stark abhängig von der D. suzukii Populationsentwicklung über die Saison, der unmit- telbaren Umgebung, der Witterung nach dem Farbumschlag, der Rebsorte sowie des Gesundheitszustandes der Trauben. Ausserdem steuern Temperatur und Feuchtigkeit, ob sich abgelegte Eier in den Beeren entwi- ckeln können und ob die Bildung von Essigfäule durch Mikroorganismen begünstigt wird. Diese Komplexität verunmöglicht es, einfache und allgemeingültige Aussagen für den Schweizer Rebbau zu machen. Vielmehr muss eine angepasste Pflanzenschutzstrategie situativ und in Abhängigkeit des Jahres getroffen werden. Trotz alledem basiert der Schutz der Kulturen vor der Kirschessigfliege in erster Linie auf der konsequenten Umsetzung aller vorbeugenden Massnahmen und einer regelmässigen Kontrolle des Gesundheitszustandes der Trauben. In gefährdeten Reblagen kann zudem eine präventive Bekämpfung mit engmaschigen Netzen oder der Applikation von Gesteinsmehlen einen zusätzlichen Schutz bieten. Bei starkem Befall empfiehlt es sich hingegen, den Lesetermin kurzfristig vorzuziehen und langfristig weniger anfällige Sorten in gefährdeten Lagen anzupflanzen. 21
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse 2.4 Modul Bio-Anbau Wie bei anderen Schädlingen im Bioanbau, ist auch bei der Kirschessigfliege die Befallsprävention entschei- dend. Zur Erarbeitung einer Strategie mussten zahlreiche Fragen zur Biologie, Ausbreitung und Vermehrung geklärt werden. Für die Bekämpfung wurden Fallen und Lockstoffe, Repellentien und Bio-Insektizide geprüft. 2.4.1 Biologie und Vorbeugung Das FiBL untersuchte die folgenden Schwerpunkte: (1) Anfälligkeit der verschiedenen Kulturen und Sorten (2) Temperaturabhängige Eiablage der verschiedenen Kirschessigfliegenmorphen (3) Einfluss natürlicher Habitate in der umgebenden Landschaft (1) Anfälligkeit der verschiedenen Kulturen und Sorten: Hierfür wurden zahlreiche Studien zur Anfälligkeit verschiedener Sorten im Labor durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass z.B. alle Kirschsorten eine hohe Anfäl- ligkeit aufweisen, während es bei Reben starke Sortenunterschiede gibt (Abbildung 23). Helle Rebsorten sind bis zur Ernte wenig anfällig und bei den dunklen Sorten gibt es bereits während der Reifung starke Sorten- unterschiede. Generell ist der Penetrationswiderstand der Fruchthaut massgeblich dafür verantwortlich, ob eine Eiablage möglich ist (Abbildung 24). Die Inhaltsstoffe in der Beere bestimmen, ob sich die Larven ent- wickeln können und somit tatsächlich ein Schaden (und eine Folgegeneration) entsteht. Weiterführende Informationen: orgprints.org/32318/; orgprints.org/32319/; orgprints.org/32052/ Abbildung 23: Verschiedene Fruchtcharakteristika, wie Penetrationswiderstand, Farbe und Fruchtzucker, ändern sich mit fortlaufendem Reifestatus. Dies – und die Traubensorte – haben Einfluss auf die Eiablage (Grafiken: Eiablage in zehn verschiedene Sorten in Abhängigkeit vom Erntezeitpunkt). Abbildung 24: Die Eiab- lage ist vom Penetrations- widerstand (gemessen mit einer stumpfen Nadel, Corex®, No. 3.) abhängig (linke Grafik). Die Überle- benswahrscheinlichkeit der Larven in den Beeren ist von den Inhaltsstoffen – u.a. dem Zuckergehalt – abhängig (rechte Grafik). 22
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse (2) Temperaturabhängige Eiablage der verschiedenen Kirschessigfliegenmorphen: Laborversuche zeigten, dass sich die dunkleren und grösseren Wintermorphen entwickeln, wenn die Temperatur während der zweiten Hälfte der Puppenphase 15°C beträgt. Bei Kälteimpulsen zu früheren Zeitpunkten entwickelten sich die helleren Sommermorphen oder Mischformen. Die unterschiedlichen Morphen, die an die Jahreszei- ten angepasst sind, reagieren unterschiedlich auf Temperatur und andere Faktoren (Abbildung 25). Dies muss für Prognosemodelle beachtet werden. Die gemessene Eiablagerate hängt vom Eiablagemedium, der Sommer- oder Winterform und von der Temperatur ab. Abbildung 25: Die Eiablage der Sommermorphen in künstli- ches Medium (ohne Frucht- haut) steigt mit zunehmender Temperatur an. Bei der Eiab- lage in Pflaumen stellt die dicke Fruchthaut einen Widerstand dar: Die Eiablage steigt mit zu- nehmender Temperatur nicht an. 15 ºC 23 ºC 30 ºC 15 ºC 23 ºC 30 ºC Bei 15°C hemmt ein steigender Penetrationswiderstand die Ei- ablage von Sommermorphen, nicht aber von Wintermorphen (Grafik links). Bei höheren Temperaturen (23°C) aber ha- ben Wintermorphen mit stei- gendem Penetrationswider- stand Mühe (Grafik rechts). Bei 15°C ist die Eiablage von Sommermorphen (SM) auf dickschaligen Pflaumen redu- ziert, während es bei dünn- schaligen Heidelbeeren keine Unterschiede zwischen der Ei- ablage der Sommer- und Win- termorphen (WM) gibt. Bei 23°C unterscheidet sich die Ei- ablageleistung zwischen Som- mer- und Wintermorphen nicht. (3) Einfluss natürlicher Habitate in der umgebenden Landschaft: Das Monitoring der Kirschessigfliege auf Landschaftsebene zeigte, dass sich die Fliegen vor allem an Wildstandorten vermehren und von dort in die Kulturen einfliegen. Insbesondere wilde Brombeerhecken bieten fast ganzjährig optimale Bedingungen (Schatten, hohe Luftfeuchte, Windstille, geeignete Früchte) für die Kirschessigfliege. Zur Überwinterung wer- den auch immergrüne Pflanzen (Koniferen, Hecken, Wälder) genutzt, da sie Schutz, ausreichende Feuchte und Nahrung bieten. Generell erwiesen sich artenreiche Hecken nicht als Treiber des Befalls, sondern kön- nen im Gegenteil durch die Förderung von Antagonisten sogar die Regulierungsmassnahmen unterstützen. 23
Versuchstätigkeit und Forschungsergebnisse Beim Einflug in die Kulturen zeigte sich, dass der Abstand zwischen Wald und Kultur entscheidend für den Einflugbeginn ist: d.h.in waldnäheren Kirschanlagen wurden während der Fruchtreife mehr Fliegen gefangen. Zur Ernte hin glich sich der Unterschied aber wieder aus. Insgesamt – in allen Versuchen – hatte die Umge- bungsvegetation weniger Einfluss auf den Befallsverlauf als die jährlich und saisonal schwankenden Witte- rungsbedingungen. Die Untersuchungen in Kirschanlagen zeigten ausserdem, dass das Mikroklima (insbe- sondere Feuchtigkeitsunterschiede) einen Einfluss auf die Aktivität und Eiablage der Kirschessigfliege hat. Weiterführende Informationen: orgprints.org/33703/ In der Summe zeigen die Ergebnisse, dass die Kirschessigfliege unter verschiedenen Bedingungen sehr variabel reagiert. Die Populationsentwicklung und damit der Befallsdruck ist abhängig vom Klima (Tempera- tur, Luftfeuchte), von der zeitlichen Verfügbarkeit von Wirtsfrüchten, sowie der Eignung von Wirtsfrüchten (Fruchtqualität) und dem Vorhandensein von Rückzugshabitaten (zur Überwinterung; und feuchte Orte zur «Übersommerung»). Aus diesen Versuchen resultieren Empfehlungen für befallsvorbeugende Massnahmen in verschiedenen Kulturen. Daneben wurden die Informationen über die Verbreitung und Biologie der Kirsch- essigfliege als Grundlage für die Modellierung der Populationsbiologie in einem zusätzlichen Projekt genutzt: Das Entscheidungshilfesystem SIMKEF (SIMulation KirschEssigFliege), welches in Zusammenarbeit mit deutschen, französischen und Schweizer Projektpartnern im Interreg-Projekt ‘InvaProtect’ entwickelt wurde, simuliert aufgrund der Populationsbiologie die Eiablagewahrscheinlichkeit der Kirschessigfliege. Das Modell wird weiter validiert und verbessert und soll ab 2021 auf isip.de und bioaktuell.ch zur Verfügung stehen. Empfehlungen: (1) Nicht alle Kulturen und Sorten sind gleich anfällig. Im Rebbau werden vor allem dunkle, dünnschalige Sorten mit kompakter Traubenstruktur stark befallen. Diese Sorten sollten langfristig ersetzt werden. Bei anderen Sorten kann in Jahren mit heissem, trockenem Sommer auf eine Kirschessigfliegenbe- kämpfung verzichtet werden. Bei Zwetschgen/Aprikosen gibt es auch Sortenunterschiede, während bei Kir- schen und Beeren praktisch alle Sorten befallen werden und bei feuchter, milder Witterung entsprechend geschützt werden müssen. (2) Die Larven sind empfindlich auf kühle Temperaturen: Erntegut sofort kühlen (optimal: 0-3°C) und Kühlkette bis zum Konsumenten halten. (3) Die Kirschessigfliegen bevorzugen feuchte Standorte. Alle Massnahmen, die zu einem trockenen Bestandesklima führen haben präventive Wirkung und sollten konsequent umgesetzt werden (Schnittsystem anpassen; Unterwuchs mulchen; Bewässerung anpas- sen; Rebbau: Traubenzone entlauben). 2.4.2 Prüfung von Fallenfarben und Lockstoffen und Monitoring der Kirschessigfliege In den ersten beiden Versuchsjahren war die Prüfung verschiedener Fallentypen und verschiedener Köderflüssigkeiten ein Schwerpunkt (Abbildung 26). Ziel war es, den Produzenten möglichst rasch Empfeh- lungen für ein geeignetes Monitoringsystem machen zu können. Frucht- saftbasierte Köder (z.B. der Firma Riga) zeigten eine gute Fängigkeit. Die grosse Hoffnung, die Attraktivität der fruchtsaftbasierten Köder durch Zusatzstoffe so weit zu erhöhen, dass ein Massenfang der Kir- schessigfliege möglich wird, erfüllte sich leider nicht. Zahlreiche Stoffe (z.B. Acetone) zeigten zwar im Labor eine gute Lockwirkung, waren aber im Freiland in Konkurrenz mit den reifenden Früchten zu wenig wirksam (bzw. zu teuer). Weiterführende Informationen: orgprints.org/29698/; org- Abbildung 26: Am attraktivsten für die Kirschessigfliegen waren rote prints.org/29866/ oder schwarze Fallen. Zusätzliche Empfehlungen: Die Fallen (am besten: Profatec‐Falle mit dem Lock- Muster konnten die Fängigkeit nicht erhöhen. stoff Riga) sollten an schattigen, geschützten Stellen und an den Par- zellenrändern montiert werden und während der Flugsaison von April bis Oktober bzw. ab Reifebeginn bis zur vollständigen Ernte der Kultur wöchentlich kontrolliert werden. Massenfang kann nur für wenig attrak- tive Kulturen unter Netzabdeckung empfohlen werden. 24
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