FÜR EINE LEBENSWERTE (INNEN-)STADT - * ANALYSE * FAKTEN * POSITIONEN VER.DI LANDESBEZIRK NRW FACHBEREICH HANDEL

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FÜR EINE LEBENSWERTE (INNEN-)STADT - * ANALYSE * FAKTEN * POSITIONEN VER.DI LANDESBEZIRK NRW FACHBEREICH HANDEL
FÜR EINE
LEBENSWERTE
(INNEN-)STADT
* ANALYSE
* FAKTEN
* POSITIONEN

VER.DI LANDESBEZIRK NRW
FACHBEREICH HANDEL
FÜR EINE LEBENSWERTE (INNEN-)STADT - * ANALYSE * FAKTEN * POSITIONEN VER.DI LANDESBEZIRK NRW FACHBEREICH HANDEL
Impressum

ver.di Landesbezirk NRW
Fachbereich Handel
Karlstraße 123-127, 40210 Düsseldorf

Verfasser: Dr. Jürgen Glaubitz, Düsseldorf
Stand der Bearbeitung: Ende Oktober 2020

Redaktionell:
Silke Zimmer, Nils Böhlke,
Heino Georg Kaßler, Daniela Arndt

Gestaltung und Produktion:
Druckerei Paniczek
47802 Krefeld
www.druckerei-paniczek.de

Düsseldorf, Dezember 2020
FÜR EINE LEBENSWERTE (INNEN-)STADT - * ANALYSE * FAKTEN * POSITIONEN VER.DI LANDESBEZIRK NRW FACHBEREICH HANDEL
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                                                                                                             Vorwort

                     Liebe Kolleginnen und Kollegen,

                     lebendige und lebenswerte Innenstädte sind elementar für das gesellschaftliche Leben und die Attraktivität
                     unserer Städte. Sie sind Begegnungsstätte für alle Menschen der Stadt. Der Handel trägt wesentlich dazu
                     bei, dass Innenstädte Anziehungspunkte für die Menschen und damit lebendig sind.

                     Mit dem ersten Lockdown aufgrund der Corona-Pandemie im März 2020 sind unsere Innenstädte wieder
                     stärker in den Fokus gerückt. Die Sorge um ein Ladensterben machte die Runde. Diese Sorge ist aber nicht
                     nur in der Pandemie akut, sondern war in den letzten Jahrzehnten immer mal wieder im Blickfeld der
                     öffentlichen Debatte.

                     Diese Broschüre zeigt die Branchenveränderungen im Einzelhandel der letzten Jahrzehnte anhand von
                     Daten und Fakten. Der Landesbezirksfachbereich Handel NRW hat im Herbst 2020 noch vor dem zweiten
                     Lockdown im Dezember in einem ausführlichen Diskussionsprozess unter Einbeziehung der Bezirksfach-
                     bereiche ein Positionspapier aus Sicht der Beschäftigten und ihrer Interessen erarbeitet. Dieses ist in dieser
                     Broschüre enthalten und stellt Forderungen für lebenswerte (Innen-)Städte auf.

                     Sicherlich hat sich die Situation in einigen Bereichen des Einzelhandels aufgrund des zweiten Lockdowns
                     verschärft. Dies macht es aber erst recht notwendig, sich in die gesellschaftliche Debatte über die Zukunft
                     der Innenstädte gemeinsam mit weiteren Akteuren einzumischen.

                     Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!

                     Silke Zimmer
                     ver.di Fachbereichsleiterin für den Handel in NRW

                                                                                                                                 1
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                     Inhalt

                     Vorwort                                                           Seite 1

                     1.    50 Jahre Stadt und Handel:                                  Seite 4
                           Die Krisen der Innenstadt und was wir daraus
                           lernen können

                           1.1. Vorbemerkungen                                         Seite 4

                           1.2. Die Stadt und der Handel                               Seite 5
                                Braucht der Handel die Stadt?
                                Deutschland: „Land der Mittelstädte“

                           1.3. Erste Krise des innerstädtischen Handels –             Seite 8
                                Der Konkurrent „Grüne Wiese”
                                Der Siegeszug der „Flachmänner“
                                Verkaufsflächenexpansion – und kein Ende
                                Warenhäuser unter Druck
                                Die Verödung der Innenstädte
                                Fazit

                           1.4. Die Renaissance der Innenstädte                       Seite 15

                           1.5. Die nächste Krise:                                    Seite 18
                                Die Uniformität der Innenstädte
                                Uniformität statt Vielfalt
                                Fazit

                           1.6. Die dritte Krise des innerstädtischen                 Seite 23
                                Handels – Der Konkurrent Internet
                                Das Internet forciert den Verdrängungskampf
                                Überproportionales Wachstum im Onlinehandel
                                Multichannel ist keine Einbahnstraße
                                Trotz Onlineboom wurde die Verkaufsfläche erweitert
                                Der Boom der Einkaufszentren ist vorbei
                                Besonders im Fokus: Der Textileinzelhandel
                                Fazit

                           1.7. Die vierte Krise des innerstädtischen                 Seite 33
                                Handels – Der Feind Covid-19
                                Der Onlinehandel profitiert von der Corona-Krise
                                Covid-19 ist nicht an allem schuld!

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                           Übersichten zu Kapitel 1:
                                Der deutsche Einzelhandel auf einen Blick
                                Überblick über planungsrechtliche Instrumente
                                Die größten Einkaufszentren/Die größten Factory Outlet Center
                                Die beliebtesten Einkaufsstraßen in Deutschland
                                Deregulierung im Einzelhandel
                                Die 25 größten Bekleidungseinzelhändler in Deutschland
                                50 Jahre Strukturwandel im Handel. Sprüche, Fakten & Zitate
                                Zitate zum Thema Zukunft der Innenstadt

                     2.    ver.di-Handel NRW Positionspapier:                                   Seite 36
                           Für eine lebenswerte (Innen-)Stadt
                           Innerstädtischer Handel in der Krise
                           ver.di-Handel NRW für eine lebenswerte (Innen-)Stadt
                           Unsere 8 Kernforderungen für eine lebenswerte (Innen-)Stadt

                     3.    Anhang                                                               Seite 49
                           Stellungnahmen und Positionen von Parteien in Nordrhein-Westfalen
                           zum Thema Stadt und Handel

                           Organisationen und Verbände zum Thema Zukunft der Innenstädte

                           Programme und Maßnahmen von Ministerien zum Thema Stadt und Handel

                           Einzelhandelskonzepte in NRW

                           Der HDE und die ominöse Zahl 50.000

                           Zitate und Infos zum Warenhaus

                           Literaturliste

                           Bildnachweise

                           Internetadressen

                           Abkürzungsverzeichnis

                                                                                                      3
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                     KAPITEL 1.

                     50 JAHRE
                     STADT UND HANDEL:

                     DIE KRISEN DER INNENSTADT
                     UND WAS WIR DARAUS LERNEN KÖNNEN

                     1.1. Vorbemerkungen
                     Derzeit wird im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie viel über die Krise des innerstädtischen Einzel-
                     handels debattiert. Von „Ladensterben“ und „sterbenden Citys“ ist die Rede. Gleichzeitig gibt es eine inten-
                     sive Diskussion um die Zukunft der Innenstädte.

                     Diese Debatte ist nicht neu: In den letzten Jahrzehnten hat es mehrere Aufs und Abs gegeben. Der Einzel-
                     handel hat sich dabei in heftigen Wellen bewegt und gewandelt. Über den Zeitraum eines halben Jahr-
                     hunderts hat der innerstädtische Handel mehrere Krisen erlebt - und überlebt. Die einzelnen Phasen lassen
                     sich zeitlich nicht punktgenau abgrenzen. Grob vereinfacht verlief die Entwicklung in folgenden Zyklen:

                      Das goldene Zeitalter der Warenhäuser – Expansion auf Kosten des
                       mittelständischen Facheinzelhandels (60er und 70er Jahre);

                      der Siegeszug der Grünen Wiese - auf Kosten der Warenhäuser
                       (ab Mitte der 70er Jahre);

                      nach einer Zeit der Verödung der Innenstädte folgte ihre Revitalisierung,
                       die Renaissance der City begann (ab Mitte der 80er Jahre);

                      das Vordringen großer Ketten und Einkaufszentren sorgte für immer mehr
                       Uniformität – die Innenstädte verloren an Attraktivität (ab 90er Jahre);

                      Onlinehandel als neue Vertriebsform in Konkurrenz zum stationären
                       (innerstädtischen) Handel (ca. ab 2010);

                      Corona-Pandemie (ab 2020).

                     Wir wollen uns im Folgenden ansehen, wie dieser Prozess verlaufen ist und welche Faktoren und Akteure
                     die Entwicklung maßgeblich geprägt haben.

                          Ganz nach dem Motto:
                          • „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und
                            die Zukunft gestalten“ (August Bebel).

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                     1.2. Die Stadt und der Handel
                     Handel und Stadt sind seit jeher eng verflochten. In einer Broschüre verweist der HDE auf die historisch er-
                     folgreiche Verbindung zwischen Handel und Städten: „Stadt und Handel leben seit Jahrhunderten in einer
                     engen Symbiose. [...] Die Handelsunternehmen sind die Zugpferde der Innenstädte. [...] Der Handel ist der
                     Magnet für viele Besucher aus dem Umland.“

                     Innenstädte wurden als Herzkammern einer Stadt begriffen, als Motor für die Wirtschaft. Warenhäuser
                     waren Fixpunkte mit großer Magnetwirkung. Der Handelsforscher Erich Greipl bezeichnete den Handel –
                     etwas pathetisch - als den „Kristallisationsbereich städtischer Kultur“. Eine Innenstadt ohne Warenhaus sei
                     „wie ein Dorf ohne Kirche“.

                     Doch ganz so einfach und harmonisch ist dieses Zusammenleben schon seit langem nicht mehr. Das
                     Schreckgespenst der Verödung geisterte schon vor Jahrzehnten erstmals durch den Blätterwald. „Die Kom-
                     munen befürchten eine Verödung der Innenstädte“, diese Zeile stammt aus grauen Vorzeiten, als es noch
                     keinen Onlinehandel gab, ganz zu schweigen von Covid-19 (Die Zeit vom 2.7.1976).

                     Der Einzelhandel in Deutschland befindet sich in einem ständigen Veränderungsprozess. Strukturwandel
                     heißt permanente Wandlung und Erneuerung der Vertriebsformen und Betriebsgrößen sowie die Verteilung
                     der Betriebsstätten auf unterschiedliche Standorte.

                     Neue Formate (Discounter, Fachmärkte u.a.) und die expansive Verkaufsflächenpolitik der Handelskonzerne
                     sorgten für Dynamik. Die Unternehmenskonzentration nahm stark zu, zehntausende kleinerer Geschäfte
                     und auch einige „Große“ verschwanden von der Bildfläche. An Namen wie Hettlage, Wehmeyer, Hertie,
                     Horten, Schlecker, Cramer & Meermann oder Boecker erinnert sich heute kaum noch jemand.

                     Einige Vertriebsformen siedelten sich außerhalb der Städte an, es kam zu massiven Kaufkraft- und Stand-
                     ortverlagerungen. Gleichzeitig verloren die Warenhäuser erheblich an Strahlkraft und büßten viel ihrer Mag-
                     netwirkung ein. Später folgte eine Revitalisierung der Innenstädte, immer mehr große Ketten drangen nun
                     mit ihren Filialen in die City. Bald herrschte hier monotone Uniformität vor – eine Einkaufsstraße glich der
                     anderen. Die Innenstädte verloren an Attraktivität und damit auch wieder Frequenz und Umsatz.

                     Später dann sorgte das Internet für weitere Umsatzverschiebungen, der Onlinehandel etabliert sich neben
                     dem stationären Handel als weitere Vertriebsform. Und schließlich führt die Corona-Pandemie zu gravie-
                     renden Veränderungen des Verbraucherverhaltens mit Auswirkungen auf den innerstädtischen Handel.

                     Braucht der Handel die Stadt?
                     Das Verhältnis Stadt und Handel ist brüchig geworden. Der Satz: „Der Handel braucht die Stadt“ stimmt in
                     dieser Absolutheit schon lange nicht mehr, denn ein großer Teil des Handels findet auf der Grünen Wiese
                     oder im Netz statt. Der Handel braucht also die Stadt nur bedingt.

                     Oft liest man nur die schlechten Nachrichten, es gibt viele Schließungen und Leerstände. Häufig sieht man
                     nur die Überschriften, wie „Ist die Krise der Warenhäuser nur die Spitze des Eisbergs?“ oder „Sterben wegen
                     Internet und Covid-19 unsere Innenstädte?“. Es gibt viel Unsicherheit über die Zukunft des innerstädtischen
                     Handels, und damit auch über die Zukunft der Arbeitsplätze.

                     Aber es gibt nicht nur Krisen, Schließungen, Leerstände, Verödung und „sterbende Städte“! Es gibt auch
                     ganz andere Nachrichten: Trotz der überproportionalen Zuwächse des Onlinehandels wird der Umsatz im
                     Einzelhandel immer noch überwiegend stationär getätigt. Ab Mitte des Jahres bis zum zweiten Lockdown
                     im Dezember 2020 verzeichnete der Einzelhandel wieder kräftige Umsatzzuwächse. Große Textilhändler

                                                                                                                               5
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                     erzielten in dieser Zeit – trotz Corona – schon wieder Gewinne. Immer mehr Filialen von Aldi und Lidl
                     eröffnen in der City, Ikea sucht innerstädtische Standorte. Der Top-Besuchergrund für Innenstädte ist immer
                     noch „Einkaufen, Einkaufsbummel“. Die Innenstadt ist also noch lange nicht tot!

                     Fakt ist, dass der Handel weiterhin ein wichtiger Impulsgeber für die Innenstädte ist. Und in zahlreichen
                     Städten fungieren Warenhäuser immer noch als Umsatzmagneten.

                     Allerdings kann der Handel ganz unterschiedliche Wirkung entfalten: Er sorgt für Lebendigkeit - oder für
                     Leerstände und Trostlosigkeit:

                     Der Handel als Impulsgeber für die Innenstädte

                         Handel kann ...                                   Handel kann ...
                         ... zur Attraktivität der Innenstädte             ... den Zerfall von Innenstädten
                         beitragen!                                        herbeiführen!

                     Wir wollen uns im Folgenden genauer anschauen, wie sich das Verhältnis von Stadt und Handel in den
                     letzten 50 Jahren entwickelt hat. Dabei gilt es zu beachten: Jede Stadt ist verschieden, jede Stadt hat ein
                     eigenes Profil und eine eigene Geschichte. Es gibt also nicht „die“ Innenstadt, und es gibt nicht nur Groß-
                     städte, es gibt vor allem sehr viele Mittel- und Kleinstädte. Und trotz aller Probleme im Allgemeinen gibt es
                     immer noch eine ganze Reihe deutscher Städte, die ihre Attraktivität erhalten und zum Teil sogar noch ver-
                     bessert haben.

                     Deutschland: „Land der Mittelstädte“
                     In Deutschland gibt es insgesamt 81 Großstädte, davon allein 30 in NRW. Das Ruhrgebiet ist mit 5,7 Millio-
                     nen Einwohnern die Region mit den meisten Einwohnern in Deutschland.

                     Im Fokus stehen meist die Großstädte mit ihren Pracht- und Flaniermeilen. Dabei wird übersehen, dass
                     Deutschland ein „Land der Mittelstädte“ ist. Die Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung (GMA) rechnet
                     zu dieser Kategorie alle Städte zwischen 40.000 und 120.000 Einwohnern. In ihrer letzten Untersuchung
                     kommt die GMA auf eine Gesamtzahl von 209 Mittelstädten. 77 davon liegen in Nordrhein-Westfalen. Die
                     fünf größten Mittelstädte in NRW sind Bottrop, Recklinghausen, Bergisch-Gladbach, Remscheid und Moers.

                     Städte- und Gemeindetypen

                         Großstädte
                         Ab 500.000 Einwohner – große Großstadt
                         Ab 100.000 Einwohner – kleine Großstadt
                         Die sieben größten Städte in Deutschland sind Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt/M.,
                         Stuttgart und Düsseldorf.

                         Mittelstädte
                         Ab 50.000 Einwohner – große Mittelstadt
                         Ab 20.000 Einwohner – kleine Mittelstadt

                         Kleinstädte
                         Quelle: Nach der Definition des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung

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FÜR EINE LEBENSWERTE (INNEN-)STADT - * ANALYSE * FAKTEN * POSITIONEN VER.DI LANDESBEZIRK NRW FACHBEREICH HANDEL
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                     Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) untersucht regelmäßig, welche Einzelhandelszentralität die
                     einzelnen Städte haben, also wie groß ihre Anziehungskraft ist. Ein Fazit der letzten Untersuchung lautet:
                     „Mittelstädte werden für Einzelhändler immer attraktiver“. Und weiter: „Viele Grund- und Mittelzentren sind
                     hochattraktive Einzelhandelsstandorte“ (marktforschung.de). In dem GfK-Ranking liegen sechs der Top 10
                     Stadtkreise in Bayern. Im GMA-Städte-Ranking der attraktivsten Mittelstädte schaffen es immerhin sechs
                     Städte aus NRW unter die Top 20, nämlich Troisdorf (Platz 1), Meerbusch (9), St. Augustin (14), Hürth (15),
                     Frechen (19) und Bottrop (20).

                       Es gibt also nicht nur Schließungen, Leerstand und „sterbende Städte“.
                       Die Realität ist differenzierter. Vielen Innenstädten droht vielleicht eine Verödung,
                       aber nicht der Tod. Und viele Städte in Deutschland stehen nach wie vor gut da.

                     Der deutsche Einzelhandel auf einen Blick (2019)

                     Konsumausgaben der privaten Haushalte: 1.707 Milliarden Euro

                        Größte Ausgabenblöcke:
                        1.   Wohnung, Wasser, Strom, Gas
                        2.   Verkehr, Nachrichtenübermittlung
                        3.   Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren

                        Mehr als 23 Prozent der privaten Konsumausgaben gehen im Durchschnitt
                        allein für „Wohnen“ drauf (401 Mrd. Euro).

                        Einzelhandelsumsatz:          543 Mrd. Euro

                        Der Anteil des Einzelhandels am privaten Konsum beträgt 32 Prozent.

                        Umsatz stationärer EH         484 Mrd. Euro                 (89 %)
                        Umsatz Onlinehandel            59 Mrd. Euro                  (11 %)
                        Größte Sortimentsbereiche im Einzelhandel:
                        Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren:             237 Mrd. Euro
                        Einrichtungsgegenstände, Geräte für den Haushalt: 111 Mrd. Euro
                        Bekleidung und Schuhe:                             77 Mrd. Euro
                        Über 43 Prozent des gesamten Umsatzes im deutschen Einzelhandel entfallen auf
                        Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren.

                        Einzelhandelsverkaufsfläche                         125,1 Mio. qm
                        Anzahl Arbeitnehmer*innen gesamt                         3.190.500

                        sv. Vollzeit                                              1.174.700    (36,8 %)
                        sv. Teilzeit                                              1.186.000     (37,2 %)
                        Geringfügig Beschäftigte                                   829.900     (26,0 %)
                        Quellen: statista, HDE, Wabe-Institut und eigene Berechnungen.

                                                                                                                              7
FÜR EINE LEBENSWERTE (INNEN-)STADT - * ANALYSE * FAKTEN * POSITIONEN VER.DI LANDESBEZIRK NRW FACHBEREICH HANDEL
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                     1.3. Erste Krise des innerstädtischen Handels –
                          Der Konkurrent „Grüne Wiese”
                     Über viele Jahre ging es mit den Innenstädten in Deutschland stetig voran. Insbesondere die großen Wa-
                     renhäuser sorgten für viel Frequenz. Mit ihrem breiten und tiefen Sortiment („Alles unter einem Dach“) und
                     qualifiziertem Personal waren sie lange Zeit die unbestrittenen Platzhirsche. Warenhäuser waren „Anker“
                     für die Innenstadt. Die Konsumpaläste erlebten ihre Blütezeit in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahr-
                     hunderts. „Es war die Zeit, in der Kaufhauskönige wie Helmut Horten mit dem Hubschrauber über Deutsch-
                     land flogen, um neue Handelsflächen ausfindig zu machen“ (FR vom 7. 7. 2020).

                     Mitte der 70er Jahre erreichten die vier Warenhauskonzerne mit 10,5 Prozent Marktanteil ihren Zenit. Von
                     nun an ging es bergab. Neue Vertriebsformen und -konzepte sorgten für viel Dynamik im Wettbewerb. Es
                     handelte sich um die großflächigen SB-Warenhäuser und Verbrauchermärkte (die sogenannten Flachmän-
                     ner), Discounter und Fachmärkte. Anschließend entstanden immer mehr große Einkaufszentren, und eine
                     ganze Zeit später dann auch noch Factory Outlet Center.

                     Die Konkurrenz siedelte sich vorrangig außerhalb der Stadt an, wo die Mieten wesentlich niedriger waren
                     und die Erreichbarkeit (incl. Parken) für die Kunden oft besser. Die Zeit schrieb 1976: „Fern vom teuren
                     Pflaster der mit Autos verstopften Innenstädte bauen sie ihre Lagerhallen außerhalb der Stadtgrenze.“

                      „Grüne Wiese“: Ausdruck von Stadtplanern im Rahmen der Planung und Bebauung von
                      Flächen, die zuvor nicht zum Siedlungsgebiet der Stadt oder Gemeinde gehörten. Gewer-
                      beflächen in Randbezirken, oft spricht man auch von nichtintegrierten Standorten.

                     Die Filialen von Discountern, Fachmärkten, Verbrauchermärkten und SB-Warenhäusern schossen wie Pilze
                     aus dem Boden. Zwischen 1970 und 1988 vergrößerte sich allein die Verkaufsfläche der Verbrauchermärkte
                     von 2 auf 8 Millionen qm. Ab 1980 begann die Expansion der Baumärkte.

                     Kaufhaus Hertie

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                     Die Grüne Wiese war zu einer gefährlichen Konkurrenz für den innerstädtischen Einzelhandel herangewach-
                     sen. Es kam zu einer massiven Kaufkraftabschöpfung. Die Einkaufszentren erwiesen sich als starke Kauf-
                     kraftmagneten und wurden oft als „Feinde der Innenstadt“ verteufelt.

                     Der Siegeszug der „Flachmänner“
                     Die großflächigen Verbrauchermärkte und SB-Warenhäuser entwickelten sich zu einer äußerst potenten
                     Konkurrenz für den innerstädtischen Einzelhandel. Quasi aus dem Nichts kommend (ihr Marktanteil betrug
                     1966 0,9 Prozent) steigerte die „Großfläche“ ihre Umsätze nun Zug um Zug.

                     Umsatzentwicklung der SB-Warenhäuser 1970 bis 1987

                         Jahr       Umsatz in Mrd. DM
                         1970            5,1
                         1975           12,6
                         1980          20,8
                         1985           26,7
                         1987           30,1
                         Quelle: Vademecum des Handels.

                     Die „Flachmänner“ konnten ihren Umsatz vervielfachen und erreichten Ende der 1980er Jahre einen Markt-
                     anteil von rund 14 Prozent. Damit hatten sie nach nur 15 Jahren eine stärkere Marktstellung als die Waren-
                     häuser nach mehr als 100 Jahren. Die Verbrauchermärkte und SB-Warenhäuser galten zu jener Zeit als
                     Katalysatoren des Strukturwandels, ihr Wachstum sorgte für immer mehr Wettbewerbsdruck. Mit ihrem
                     Ansatz strikter Servicereduktion und radikaler Selbstbedienung fuhren sie mit völlig anderen Personalstruk-
                     turen und dementsprechend geringeren Personalkosten als ihre Konkurrenz in der City. Ein „zusätzlicher“
                     Arbeitsplatz im SB-Warenhaus verdrängte zu der Zeit aufgrund der dreifachen Pro-Kopf-Umsatzleistung
                     praktisch drei qualifizierte Arbeitsplätze im traditionellen Facheinzelhandel.

                     Personal wurde durch Fläche „ersetzt“, wie die folgende Übersicht einiger Einzelhandelskennziffern für NRW
                     bezogen auf den Zeitraum 1979 bis 1985 verdeutlicht:

                     Zeitraum 1979 – 1985         Veränderung in %

                         Beschäftigung                                    - 8,1
                         Fläche                                          + 8,8
                         Umsatz                                         + 20,3
                         Quelle: Hatzfeld, ILS, S. 37.

                     In dem Maße wie die Grüne Wiese boomte, begann der innerstädtische Handel zu leiden. Die Kunden-
                     frequenz ging zurück, die Umsätze brachen ein. Eine Momentaufnahme aus dem Jahre 1984 zeigt, wie
                     drastisch sich die Situation für einzelne Akteure darstellte.

                     Umsatzentwicklung nach Vertriebsformen 1984 (Veränderung zu 1983 in %)

                         Verbrauchermärkte und SB-Warenhäuser                 + 10,3 %
                         Warenhäuser                                            - 3,2 %

                                                                                                                              9
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                     Verkaufsflächenexpansion – und kein Ende

                     Die Entwicklung war geprägt von einer permanenten Expansion der Einzelhandelsverkaufsflächen. Diese
                     wurde in Westdeutschland zwischen 1970 und 1990 nahezu verdoppelt. Die Handelskonzerne setzten
                     Flächenexpansion als Instrument im Wettbewerb zur Verdrängung der Konkurrenz ein.

                     Verkaufsflächenexpansion in Deutschland (1970 bis 1990)

                          1970               39 Mio. qm
                          1980               63 Mio. qm
                          1990               77 Mio. qm
                          Quelle: HDE/statista.

                     Dies hatte vielfältige negative Konsequenzen, für die Innenstädte – und für die Beschäftigten (Substitution
                     von Personal durch Fläche).

                     Es gab nun erste kritische Debatten über die Folgen der Überkapazität an Verkaufsflächen. Doch die Politik
                     ließ dem „freien Spiel der Kräfte“ seinen Lauf. Die Grüne Wiese boomte weiter. Es kam zu einigen spekta-
                     kulären Ansiedlungen, wie z.B. der 1996 eröffneten „Neuen Mitte“ Oberhausen. Das CentrO verfügt über
                     120.000 qm Verkaufsfläche mit über 260 Geschäften.

                      „Oberhausen erhielt mit dem Centro zwar eine Neue Mitte, seine eigene jedoch verlor es“
                       (WAZ vom 2.4.2009).

                     Centro Oberhausen

                     10
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                     Warenhäuser unter Druck

                     Die innerstädtischen Anbieter, allen voran die Warenhäuser, mussten reagieren. Doch die Warenhausma-
                     nager taten sich schwer, der jahrelange Erfolg hatte sie wohl verwöhnt und träge werden lassen. Die großen
                     Tanker mit ihren „Flaggschiffen“ hielten sich offenbar für unsinkbar.
                     Nachdem man über lange Zeit die preisaggressive Konkurrenz der Grünen Wiese ignoriert hatte, sollte nun
                     aber das Ruder mit aller Gewalt rumgerissen werden. Doch es fehlten wirksame Konzepte. Anstatt sich
                     „neu zu erfinden“, setzten die Vorstände auf Differenzierung, Diversifizierung, Ausgliederung und Umbau.
                     Weltstadthäuser und Nahversorger, „Flaggschiffe“ und „Spartaner“, die Bildung von Tochtergesellschaften,
                     die Ausgliederung der Lebensmittelabteilugen und der Gastronomie. Doch all das hat nicht zum Wieder-
                     erstarken der Warenhäuser geführt.
                     Die Warenhausvorstände setzten auf radikalen Personalabbau, Teilzeit statt Vollzeit und die Kürzung be-
                     trieblicher Sozialleistungen. Man griff zu drastischen Maßnahmen. Allein zwischen 1980 und 1983 verrin-
                     gerten die Warenhäuser ihre Belegschaften um 36.000 Beschäftigte, ein Abbau von 19,5 Prozent.

                     Beschäftigte der Warenhäuser (1980 bis 1983)

                                                       1980               1983           Differenz
                         Karstadt AG                  64.106            55.380              - 8.726
                         Hertie Konzern               50.079            39.705             - 10.374
                         Kaufhof AG                   44.842            33.396             - 11.446
                         Horten AG                    23.838            18.688               - 5.150
                         Summe                       182.865            147.169           - 35.696
                         Quelle: Glaubitz, Neonlicht, S. 39.

                     All dies brachte den Erfolg nicht zurück. Im Gegenteil: Insbesondere der massive Personalabbau und der
                     Verlust qualifizierter Fachkräfte beschleunigten den schleichenden Bedeutungsverlust der ehemaligen Kon-
                     sumpaläste.

                     Rund die Hälfte des Umsatzes entfiel auf Bekleidung. Hier entwickelte sich nun sehr starke innerstädtische
                     Konkurrenz durch internationale Ketten: Vertikale Anbieter wie H&M traten auf den Plan. In anderen wich-
                     tigen Warengruppen, wie z.B. im Elektronikbereich machten ihnen nun Fachmärkte das Leben schwer. Diese
                     konnten das Sortiment in der Tiefe kompetenter darstellen. Innerstädtische Shoppingcenter boten mehr
                     Vielfalt und Ambiente. Die Warenhäuser waren nun in keiner Warengruppe mehr besonders kompetent!

                     Die Warenhauskonzerne verloren weiter an Boden. Der Wettbewerbsdruck war mittlerweile enorm gestie-
                     gen. Gefordert waren Flexibilität und schnelle Anpassungsfähigkeit. Doch hier hatte die „alte Dame“ Wa-
                     renhaus Defizite und konnte nicht recht mithalten. „Alles unter einem Dach“ zog nicht mehr bei der
                     Kundschaft. Man hatte sich nun irgendwo in die Mitte, zwischen Billigangebot und Hochpreissegment ma-
                     növriert. Doch die Kund*innen hatten das mittlere Segment zwischen Discounter und Luxus aus den Augen
                     verloren! Kurzum: Die Warenhäuser hatten ihr Profil verloren.

                      „Die Warenhäuser haben immer versucht, den sinkenden Erträgen hinterherzusparen,
                       statt eigene Strategien zu entwickeln“ (G. Hessert, in: Stuttgarter Nachrichten vom 27. 8.2014).
                     Nachdem dann Mitte der 1980er Jahre der Umsatz weiter einbrach, kam es in den folgenden Jahren zu
                     den ersten Schließungswellen. So schloss Hertie u.a. die Häuser in Castrop-Rauxel, Dortmund und Ratingen.
                     Wertheim machte in Essen und Bochum dicht.
                     Insbesondere in den betroffenen Mittelstädten hinterließen die Schließungen der Warenhäuser tiefe Spuren.

                                                                                                                           11
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                    Die Verödung der Innenstädte

                    Die Innenstädte verloren Frequenz und sie verloren an Attraktivität. Nun war von der „Entleerung“ der City
                    die Rede. Das Thema „Verödung der Innenstädte“ machte die Runde. Es war Gegenstand zahlloser Tagun-
                    gen und Kongresse. Es mangelte zu jener Zeit nicht an klugen Referenten und profunden Einschätzungen.
                    Es mangelte jedoch an Taten!

                    Denn die Krise der Innenstädte hätte verhindert, oder doch zumindest in einem merklichen Umfang abge-
                    mildert werden können, wenn die politisch Verantwortlichen gehandelt hätten. Der planungsrechtliche
                    Instrumentenkasten war schließlich vorhanden und allen bekannt! In den meisten Bundesländern gibt es
                    entsprechende Regelungen in den Raumordnungsprogrammen sowie Einzelhandelserlassen.

                    Es fehlte in jener Zeit nicht an Bekundungen und an „eindeutigen Bekenntnissen“ zur Innenstadt. Diese
                    standen jedoch in einem krassen Widerspruch zum tatsächlichen Handeln. Insbesondere wenn es um die
                    Zulassung großflächiger Einzelhandelseinrichtungen ging. Der Ansiedlungsdruck von Verbrauchermärkten
                    auf der Grünen Wiese begann bereits Anfang der 70er Jahre. Anstatt sich aber mit den möglichen negativen
                    Folgen dieser Ansiedlungen zu befassen, und politisch-steuernd in den Prozess einzugreifen, waren die
                    politisch Verantwortlichen „im Regelfall gerne bereit, die von den Unternehmen gewünschten Ansiedlungs-
                    voraussetzungen zu schaffen“ (Hatzfeld, ILS, S. 25).

                    Ein großes Problem war die Kirchturmpolitik vieler Bürgermeister*innen. Die Konkurrenz der Kommunen
                    um Ansiedlungen auf der Grünen Wiese führte zu massiven negativen Auswirkungen für angrenzende
                    Städte und Gemeinden. Dieser interkommunale Wettbewerb um Investoren hatte enormes Zerstörungs-
                    potential. Indem immer neue und immer größerer „Einkaufparks“ rund um die Großstädte zugelassen wur-
                    den, verschärften sich die Probleme der Innenstädte zunehmend.

                    Die Stimmen derjenigen, die für eine bessere Steuerung des großflächigen Einzelhandels plädierten, mehr-
                    ten sich. Mehr regionale Kooperation statt Fortsetzung der Kirchturmpolitik hieß das Motto. Es gab nun
                    endlich auch eine Diskussion über die Wirkungszusammenhänge von einer ungesteuerten Ansiedlungs-
                    politik und deren Konsequenzen auf die regionale Wirtschaft, Beschäftigung, Städtebau, Verkehr und
                    Ökologie.

                    Um eine weitere Entwertung der Innenstädte zu vermeiden, besann man sich ab Mitte der 1990er Jahre
                    darauf, die vorhandenen Steuerungsinstrumente der Ansiedlungspolitik nun doch etwas strikter anzuwen-
                    den.

                     „Über Jahre hinweg haben Kommunen Baugenehmigungen erteilt für Shopping- und
                      Outlet-Center sowie große Verbrauchermärkte. Alles auf der Grünen Wiese“ (RP vom 3.9.2020).

                      FAZIT

                      Der Boom der Grünen Wiese und der gleichzeitige Aderlass der Innenstädte war keine gott-
                      gewollte oder naturgegebene Entwicklung. Dahinter standen konkrete Handlungen realer
                      Akteure:

                      Handelskonzerne, die mit ihren Investitionen dafür sorgten, dass immer mehr Flächen hinzu-
                      kamen und der Flächenüberhang immer größer wurde.

                      Städte und Gemeinden, die diesen Flächenwahnsinn zuließen und weitgehend darauf verzich-
                      teten, das vorhandene Planungsinstrumentarium anzuwenden.

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                       Kommunen, die gleichzeitig im interkommunalen Wettbewerb das Ganze sogar noch anheizten.

                       Politik und Verwaltung, die dem „freien Spiel der Kräfte“ seinen Lauf ließen – getreu dem Motto,
                       der „Markt“ wird es schon richten.

                       Innerstädtische Händler, die es versäumten, sich frühzeitig der Dynamik des Wettbewerbs zu
                       stellen und ihre Vertriebspolitik (Service, Beratung, Sortimente) so anzupassen und weiterzuent-
                       wickeln, dass sie der Grünen Wiese hätten Paroli bieten können.

                       Rufer in der Wüste

                       Es fehlte nicht an kritischen Stimmen, die sich gegen diese ungesteuerte Entwicklung, gegen das „freie
                       Spiel der Kräfte“ wendeten. Bereits 1968 (!), als die ersten negativen Konsequenzen des Vordringens
                       der Verbrauchermärkte und SB-Warenhäuser erkennbar wurden, kam es auf Initiative des Landes NRW
                       zur Novellierung des § 11,3 Baunutzungsverordnung (siehe: Bauleitplanung).

                       Ähnliche planungsrechtliche Ansätze gab es in anderen Bundesländern, insbesondere auch der Bremer
                       Ansatz mit einem Kaufkraft-Kapazitätsmodell ist erwähnenswert.

                       Die Gewerkschaft HBV hatte ebenfalls sehr früh dafür plädiert, mittels Planungsrecht einzugreifen um
                       diesen Prozess zu steuern. Ende der 70er Jahre forderte HBV, das Bau- und Planungsrecht voll aus-
                       zuschöpfen, um die „weitere Ansiedlung von großflächigen Einkaufseinrichtungen“ zu kontrollieren
                       (Glaubitz/Marth). In einer umfangreichen Arbeitshilfe zum innerstädtischen Einzelhandel wurden de-
                       taillierte Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt (Behling/Glaubitz). 1991 hat HBV ein ausführliches Positi-
                       onspapier über die Zukunft des ostdeutschen Einzelhandels vorgelegt, in dem detaillierte Vorschläge
                       für eine verbrauchernahe und differenzierte Strukturentwicklung präsentiert werden (HBV-Positions-
                       papier).

                       In einem Positionspapier zur Verkaufsflächenexpansion von 1997 heißt es: „Der krisenverschärfenden
                       Flächenexpansion muss Einhalt geboten werden. Wir fordern: eine gestaltende Raumordnungspolitik,
                       Ansiedlungsstopp an überbesetzten Standorten“. 2001 hat ver.di dann eine weitere umfangreiche Ar-
                       beitshilfe zur Bewertung der Ansiedlung von Einzelhandelseinrichtungen veröffentlicht.

                       „Stoppt den Flächenwahn!“

                       „Wir fordern die Städte und Gemeinden auf: Stoppen sie den ungezügelten Verkaufsflächenzuwachs!“
                       (BAG-Hauptgeschäftsführer R. Pangels, in: etailment.de vom 17.12.2008).

                       Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe (BAG) hat sich über Jahre immer sehr
                       deutlich zum Problem der Flächenexpansion positioniert. Bereits 2004 forderte der Verband ein „Ende
                       der Flächenexpansion“ (HB vom 6.10.2004).

                       Nach ihrer Auflösung 2009 verstummte diese Stimme, der Handelsverband Deutschland (HDE) lässt
                       diese Klarheit leider vermissen! Hier geben Andere den Ton an. Meist äußerte man sich zum Thema
                       Flächenexpansion eher nebulös, getreu dem Motto „allen wohl und keinem weh“.

                                                                                                                            13
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                       Überblick über planungsrechtliche Instrumente

                       Um die Innenstädte als Orte des Handels, der Kultur und der lokalen Identität zu sichern und weiter zu
                       entwickeln, sollten sich Standortentscheidungen im Einzelhandel an der Förderung der Innenstadtent-
                       wicklung orientieren.

                       Die Steuerungsmöglichkeiten der kommunalen Planungsebene sind insbesondere durch das BauGB
                       und die BauNVO, d.h. bundeseinheitlich geregelt.

                       Zu den Instrumenten zur Steuerung des Einzelhandels zählen Standortanalysen, Einzelhandelskonzepte
                       und regionale Einzelhandelsplanungen.

                       Maßgebliche Grundlage in Nordrhein-Westfalen ist der Einzelhandelserlass („Ansiedlung
                       von Einzelhandelsbetrieben; Bauleitplanung und Genehmigung von Vorhaben”,
                       22.09.2008).

                       Unter Punkt 1.1. Zweck des Erlasses steht:
                       Der Einzelhandel hat besondere Bedeutung für
                        die Versorgung der Bevölkerung, insbesondere auch für Personen mit einer geringen
                          Mobilität,
                        die Stadtbildung (Belebung der Innenstädte und Nebenzentren sowie der Oberzentren),
                        die Stadtgestalt (Denkmalschutz, Maßstäblichkeit),
                        den Verkehr (motorisierter Einkaufsverkehr, öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV),
                          Wirtschaftsverkehr)
                       und
                        die soziale Integration (Nahversorgung, öffentlicher Raum, Kommunikation).

                       Um funktionsfähige lokale und regionale Versorgungsstrukturen zu erhalten und zu schaffen ist ein
                       ausgewogenes Verhältnis zwischen

                        den Einzelhandelsstandorten (Innenstadt/Nebenzentren, wohnortbezogene und
                          dezentrale Lagen),
                        den einzelnen Handelsbetriebsformen (Branchenmischung, Betriebsformenmischung)
                       und
                        den Angebotsstrukturen zwischen der Stadt und dem Umland anzustreben.

                       Unter Punkt 1.3. Anwendungsbereich heißt es
                       Dieser Erlass ist anzuwenden bei Planungen – insbesondere bei
                        der Regionalplanung,
                        der Bauleitplanung,
                        regionalen und kommunalen Einzelhandelskonzepten
                       sowie
                        bei der Zulassung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben (...).

                     14
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                       Infos zur Bauleitplanung
                       Wesentliche Informationen zur Bauleitplanung liefert ein Onlineportal des Ministeriums für Heimat,
                       Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NRW (bauportal.nrw):
                        Bauleitplanung;
                        Flächennutzungsplan;
                        Bebauungsplan;
                        städtebauliche Satzung.

                     1.4. Die Renaissance der Innenstädte

                     Die Innenstadt wurde wieder attraktiver, ihre „Revitalisierung“ begann. Neue Einkaufszentren, Kulturangebote
                     und Gastronomie sorgten für mehr Frequenz – und damit auch wieder für mehr Umsatz im innerstädtischen
                     Handel. Dies hatte zum einen mit den planungsrechtlichen Restriktionen einiger Bundesländer zu tun, die die
                     Ansiedlung neuer Objekte auf der Grünen Wiese erschwerten und war gleichzeitig auch Folge eines teilweise
                     veränderten Konsumverhaltens. Mehr „Freizeitshopper“ und Touristen kamen in die Stadt.

                     Nun interessierten sich auch Discounter, Drogeriemärkte und Verbrauchermärkte wieder für innerstädtische
                     Standorte. Edeka und Rewe forcierten ihre Nahversorger-Formate.

                     Jetzt siedelten die neuen Verkaufsflächen vorrangig in den innerstädtischen Bereichen an. Besonders stark
                     war der Zustrom großer internationaler Textilfilialisten. H&M eröffnete 1980 seine erste Filiale in Deutsch-
                     land, 2010 waren die Schweden bereits mit 377 Stores in den deutschen Innenstädten präsent. Und jedes
                     Jahr kamen neue Filialen in dem bereits stark umkämpften Textileinzelhandel hinzu. Der Branchenmix des
                     innerstädtischen Einzelhandels wurde damit immer textillastiger. Damit war die Grundlage für die heutigen
                     Probleme geschaffen.

                     Auch die Einkaufszentren drängten nun stärker in Citylagen. Fachmärkte (Sport, Elektro u.a.) zog es ebenfalls
                     wieder verstärkt in die Innenstadt, zum Teil waren sie Magnetbetriebe in den großen Shoppingcentern.

                     Die Anzahl dieser Zentren nahm sprunghaft zu. Ihre Anzahl stieg weiter an, die Verkaufsfläche wuchs
                     rasant. 232 der großflächigen Shoppingcenter befinden sich in Innenstädten. Einige Handelsexpert*innen
                     sahen in den Shoppingcentern einen Ersatz für das „Auslaufmodell Warenhaus“.

                     Einkaufszentren in Deutschland

                         Jahr             Anzahl EKZ           Verkaufsfläche in Mio. qm

                         2000             280                                             9,2

                         2010             428                                            13,5

                         2020             489                                            15,8

                         Quelle: HDE, Zahlenspiegel/handelsdaten.de.

                     Die „Rückkehr“ des Handels in den innerstädtischen Bereich schlug sich natürlich auch in der räumlichen
                     Verteilung der Flächen nieder. Interessant ist dabei vor allem, wie sich die Verkaufsflächen zwischen 1980
                     und 2010 zwischen den beiden konkurrierenden Standortlagen Innenstädte/integrierte Standorte und

                                                                                                                              15
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                     Grüne Wiese/nicht-integrierte Standorte verteilen. Wie die folgende Übersicht zeigt, war 2010 praktisch der
                     gleiche Zustand wie 1980 wieder hergestellt:

                                  Innenstädte/ integrierte Standorte            Grüne Wiese/ nicht-integrierte Standorte

                          1980                                         63                                                     37

                          1990                                         55                                                     45

                          2010                                         62                                                     37

                          Quelle: HDE, 2011 (Angaben in Prozent).

                     Doch die Tabelle zeigt nur die relative (prozentuale) Aufteilung der Verkaufsflächen. Allerdings hatte sich in
                     der Zwischenzeit „einiges“ getan: Die Verkaufsfläche war von 63 auf 121,5 Millionen Quadratmeter
                     gestiegen, hatte sich also fast verdoppelt.

                     Die größten Einkaufszentren (EKZ) in Deutschland

                          Auf einen Blick: Aktuell gibt es 489 EKZ mit einer Gesamtverkaufsfläche von 15,8 Mio. qm. Das
                          erste EKZ hierzulande wurde 1964 im Main-Taunus-Zentrum eröffnet. Die größten Betreiber sind
                          ECE (98 Objekte), MEC (34) und Unibail (24).

                          Centro Oberhausen                             120.000 qm

                          Ruhrpark Bochum                                115.600 qm

                          Paunsdorf Center Leipzig                       115.000 qm

                          Ostseepark Schwentinental                      110.000 qm

                          Chemnitz-Center                                 95.600 qm

                          Stand: 2017, Quelle: de.statista.com 2020

                     Outlet Center Ochtrup

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                     Die größten Factory Outlet Center (FOC) in Deutschland

                         Auf einen Blick: Aktuell gibt es 16 FOC mit einer Gesamtverkaufsfläche von 245.000 qm. Weitere
                         4 FOC sind in Planung. Das erste spektakuläre Objekt entstand Ende der 1990er Jahre in Zwei-
                         brücken.

                         Die marktführenden Betreiber hierzulande sind McArthur-Glen, Value Retail und Neinver.

                         Wertheim Village

                         Ingolstadt Village

                         Designer Outlet Neumünster

                         Zweibrücken Fashion Outlet

                         Designer Outlet Berlin

                         Designer Outlet Soltau

                         Designer Outlet Ochtrup

                         Designer Outlet Wolfsburg

                         Outletcity Metzingen

                         City-Outlet Bad Münstereifel

                     1.5. Die nächste Krise:
                          Die Uniformität der Innenstädte

                     Zwar hatten die Zentrifugalkräfte (der Zug auf die Grüne Wiese) etwas nachgelassen, dafür war aber nun
                     der Flächendruck enorm gestiegen. Der Verdrängungswettbewerb verschärfte sich. Die fortschreitende
                     Konzentration, in Kombination mit den massiven Flächenüberkapazitäten, führte zu aggressiven Preiskämp-
                     fen in den jeweiligen Teilbranchen.

                     Und ein Weiteres kam hinzu: Je stärker die Global Player des Textilhandels in die 1 A-Lagen der Großstädte
                     drängten, desto mehr stiegen jetzt die Mieten.

                     Handelsimmobilien spielten nun „in derselben ‚Liga’ wie Büroimmobilien“. Investitionen in diese Immobilien
                     „wurden so lukrativer und damit auch attraktiver“ (BBSR, S. 25). Immer mehr internationale Investoren wur-
                     den auf dem deutschen Markt aktiv. Dadurch änderte sich „die traditionelle Einheit von Investition, Eigentum
                     und Nutzung“, sie löste sich praktisch auf.

                                                                                                                             17
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                     Die teuersten Einkaufsstraßen (Monatsmieten in Euro/qm, 2. Quartal 2020)

                          Kaufingerstraße – Marienplatz, München       360

                          Tauentzienstraße, Berlin                     330

                          Zeil, Frankfurt/M.                            310

                          Königsallee, Düsseldorf                      290

                          Spitalerstraße, Hamburg                      280

                          Königstraße, Stuttgart                        270

                          Schildergasse, Köln                          250

                          Georgstraße/Bahnhofstraße, Hannover          185

                          Ludwigplatz, Nürnberg                        160

                          Petersstraße, Leipzig                        120

                          Quelle: statista.

                     Der Immobilienboom ist zu einer großen Gefahr für viele Händler geworden. Die Gewerbemieten in den
                     Großstädten gehen durch die Decke, die hohen Mieten verdrängen alteingesessene Geschäfte und führen
                     tendenziell zu einer Verödung von Zentren. Die Mieten waren immer schon ein zentraler Kostenfaktor für
                     die Händler, in den Innenstädten wurden sie aber nun zunehmend zu einem „Auslesefaktor“.

                       „Wohnen“

                       Die Entwicklung der Grundstücks- und Immobilienpreise sowie das Interesse an hoher Kapitalverwer-
                       tung führten dazu, dass sich viele Funktionen in der Stadt nicht mehr rechnen, so z.B. das Wohnen.
                       Wohnen wurde von Nutzungen mit höherer Rendite verdrängt. Der dann folgende Rückgang der in-
                       nerstädtischen Wohnbevölkerung führte zu einer Schwächung der City. „Die Innenstädte verloren zum
                       Teil ihr ‚normales Leben““ (BBSR, S. 74).

                     Uniformität statt Vielfalt

                     Steigende Mieten bei sinkenden Frequenzen und rückläufigen Umsätzen wurde für viele Anbieter zu einem
                     existenziellen Problem. Immer mehr inhabergeführte Facheinzelhandelsgeschäfte mussten aufgeben. Mit
                     den traditionellen Geschäften verschwindet aber gleichzeitig auch die Individualität der Innenstädte.

                      „Es rächt sich jetzt, dass die Innenstädte Jahrzehnte lang nur nach dem Prinzip der
                       Mietenmaximierung bewirtschaftet wurden“
                       (Stadtforscher Th. Krüger, in: spiegel.de vom 1.8.2020).

                     Die beliebtesten Einkaufsstraßen in Deutschland nach Passantenfrequenz im Jahr 2019

                          Neuhauser Straße München

                          Schildergasse Köln

                          Georgstraße Hannover

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                         Flingerstraße Düsseldorf

                         Hohe Straße Köln

                         Spitalerstraße Hamburg

                         Westenhellweg Dortmund

                         Königstraße Stuttgart

                         Schadowstraße Düsseldorf

                         Große Bockenheimer Straße Frankfurt/M.

                         Quelle: de.statista.com 2020.

                     Ein weiterer Grund für den wieder einsetzenden Attraktivitätsverlust der Innenstadt war der fortschreitende
                     Abstieg der Warenhäuser. Sie verloren zunehmend ihre Magnetkraft.

                     Es gab nun wieder zahllose Tagungen, kluge Vorträge, Glanzbroschüren und Initiativen. Als wesentliche
                     Ursachen für den Verlust der Attraktivität der Innenstadt kristallisierten sich folgende Punkte heraus:

                        Wachsender Filialisierungsgrad.
                        Trading down (Niveauverluste durch uniforme, kurzlebige Geschäftstypen; 1-Euro-Shops etc.).
                        Wachsende Leerstandsquoten.
                        Einheitlicher Branchenmix.
                        Konkurrenz durch E-Commerce und Grüne Wiese u.a.m.

                     Die Innenstädte veränderten sich, viele verloren ihre Unverwechselbarkeit und damit auch ihre Anziehungs-
                     kraft, immer mehr Tristesse, überall die gleichen Konzerne, Vertriebsformen und Sortimente. Uniformität statt
                     Vielfalt. Städteplaner beklagten „kommerzielle Monokulturen“, überall die gleichen globalen Ankermieter.
                     Von einer „Gesichtslosigkeit“ der Innenstädte, von einer „Banalisierung des Konsums“ war die Rede. Die Uni-
                     formität führt zu Langeweile unter den Konsumenten und zu sinkenden Frequenzen in der Innenstadt.

                     Innenstadt Bochum 2008

                                                                                                                              19
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                     Vor allem haben viele Mittelstädte an Attraktivität eingebüßt und an Bedeutung verloren. Billigheimer, Leer-
                     stände, Nagelstudios, 1-Euro-Shops, Handy-Läden und leere Schaufenster prägen hier oft das Bild. Meist
                     wurde eine Warenhausfiliale geschlossen, damit fehlte dann der wichtigste Publikumsmagnet - und danach
                     ging es mit einer ganzen Straße bergab. In bestimmten Regionen kommt es zu „Dominoeffekten“, wenn
                     mehrere Betriebe aufgeben müssen. Damit kommt es dann zu einer deutlichen Entwertung und Entleerung
                     dieser Innenstädte.

                      „Wenn Geschäftsstraßen erst mal sichtbar bröckeln, ist es wahnsinnig schwer, sie zu
                       beleben“ (Stadtforscher Th. Krüger in: spiegel.de vom 1.8.2020).

                     Doch dies trifft keineswegs auf alle Mittelstädte zu! Wie die Untersuchungen von GMA und
                     GfK eindrucksvoll zeigen, gibt es eine Reihe von Mittelstädten, die durch eine kluge Politik vor
                     Ort einen ganz anderen Weg eingeschlagen haben. Diese positiven Beispiele sollten zu denken
                     geben!

                     Die GfK-Studie zur Einzelhandelszentralität 2019 untersucht, welche Regionen durch Kaufkraftzuflüsse
                     von überdurchschnittlichen stationären Einzelhandelsumsätzen profitieren.

                     Die Top 10 sind:
                          Trier
                          Passau
                          Würzburg
                          Straubing
                          Schweinfurt
                          Weiden
                          Zweibrücken
                          Flensburg
                          Rosenheim
                          Koblenz

                     Das GMA-Städteranking deutscher Mittelstädte untersucht ein ganzes Bündel von Faktoren.

                     Daraus ergab sich 2017 folgende Gesamtreihenfolge der attraktivsten Mittelstädte:
                          Troisdorf
                          Ludwigsburg
                          Sindelfingen
                          Erlangen
                          Langenhagen
                          Rüsselsheim
                          Ulm
                          Landshut
                          Meerbusch
                          Hanau

                     20
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                       Deregulierung im Einzelhandel

                       Der Wettbewerb im Einzelhandel wird maßgeblich von rechtlichen Rahmenbedingungen beeinflusst.
                       Hier kam es in der besagten Zeit zu gravierenden Veränderungen. Einige markante Beispiele:

                        1996 Verlängerung der Öffnungszeiten auf 6 bis 20 Uhr, samstags bis 16 Uhr (damit sollten
                         lt. Ifo-Institut angeblich 50.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden).

                        2000 Arbeitgeberverband kündigt die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge auf
                         und ermöglicht per Satzungsänderung die OT-Mitgliedschaft.

                        2001 Abschaffung des Rabattgesetzes (damit sollte der Wettbewerb „dynamisiert“ werden).

                        2003 Verlängerung der Samstagöffnung auf 20 Uhr.

                        2003 Hartz-Gesetze treten in Kraft, mit massiven negativen Auswirkungen auf die Entwicklung
                         im Einzelhandel (Zeit- und Leiharbeit, Minijobs, Befristungen, Werkverträge, etc.).

                        2006 Ladenschluss wird Ländersache. Es kam nun zu ganz unterschiedlichen Regelungen.
                         In den meisten Bundesländern wurden eigene Gesetze erlassen, überwiegend gilt dort die
                         „6x24-Regelung“, womit eine Rund-um-die-Uhr-Öffnung möglich wird – so auch in NRW.
                         In Bayern und im Saarland hingegen gelten nach wie vor das Ladenschlussgesetz
                         (werktags 6-20 Uhr). Rheinland-Pfalz und Sachsen haben die Öffnungszeiten auf 22 Uhr
                         begrenzt.

                        2018 Schwarz-gelbe NRW-Landesregierung dereguliert das Gesetz noch weiter,
                         u. a. wurde eine Erhöhung der Anzahl möglicher Öffnungen an Sonn- und Feiertagen
                         von vier auf acht durchgesetzt.

                       Die staatlichen Deregulierungsmaßnahmen haben die ohnehin problematische Entwicklung im Ein-
                       zelhandel gravierend verschärft.

                       Mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes wurde eine Schleuse für prekäre Beschäftigung geöffnet.
                       Mit der massiven Ausdehnung der Öffnungszeiten wurde der Verdrängungskampf angeheizt. Zu der
                       Überkapazität an Verkaufsfläche kam nun noch ein „Mehr“ an Öffnungszeit. Der vorhandene Umsatz
                       verteilte sich auf immer mehr Quadratmeter und noch mehr Stunden. Das hat zu mehr geringfügiger
                       Beschäftigung, Leih- und Zeitarbeit sowie Befristungen geführt.

                       Mit der Aufkündigung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) der Tarifverträge haben die Ar-
                       beitgeber des deutschen Einzelhandels eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Damit wurde ein ruinöser
                       Unterbietungswettbewerb in Gang gesetzt. Nach dem Motto: Wer kann die Lohnkosten am besten
                       nach unten treiben!

                       Aus dem Wettbewerb im Einzelhandel ist ein aggressiver Verdrängungskampf geworden. Mit nega-
                       tiven Folgen für Mittelstand, Beschäftigte – und den Standort Innenstadt.

                       Hier sind also nicht anonyme Kräfte am Werk! Nicht irgendein „mörderischer Wettbewerb“ ist schuld
                       an den Problemen. Dieser „mörderische Wettbewerb“ wird von Menschen gemacht und angeheizt.
                       Von realen Personen. Von Politiker*innen in Parteien und Ministerien, von Manager*innen in den Un-
                       ternehmen und von Funktionär*innen im Verband.

                                                                                                                         21
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                     FAZIT

                       Die Entwicklung der Innenstädte folgt einem ständigen Auf und Ab. Nach einer Zeit der
                       „Blüte“ folgte eine schwierige Phase, die Grüne Wiese saugte Kaufkraft ab, in dessen Folge
                       einige Innenstädte verödeten.

                       Der Handel floh in den suburbanen Raum. Später kam es zur „Rückkehr“ und damit auch
                       zur Revitalisierung der Innenstädte. Doch dieser Ansturm auf den Standort City war nun
                       so massiv und ungestüm, dass viele Städte bald wieder an Attraktivität einbüßten.

                       Die Kommunen haben es zugelassen, dass die großen Ketten ihre aggressive Expansion
                       mit immer mehr Filialen und immer mehr Fläche ungestört durchsetzen konnten. Man über-
                       ließ die Stadtentwicklung weitestgehend dem „freien Spiel der Kräfte“.

                       Je mehr Fläche hinzu kam, desto größer wurde der Flächenüberhang. Deregulierungen und
                       Tarifflucht sorgten dafür, dass der Wettbewerb nun immer mehr ruinöse Züge annahm und
                       zur massiven Verdrängung mittelständischer Konkurrenz führte.

                       Im Zuge dieser Entwicklung kam es gleichzeitig zu drastischen Steigerungen der Mieten in
                       den Großstädten. Damit wurde auch das „Wohnen“ mehr und mehr aus den Innenstädten
                       verdrängt.

                       Je uniformer die Städte wurden, desto mehr verloren sie ihr „Gesicht“, desto mehr litt ihre
                       Attraktivität. Umsätze und Frequenzen in den Innenstädten gingen zurück. Das „freie Spiel
                       der Kräfte“, ungestört von Politik und Verwaltung, hatte sich als krisenverschärfend
                       erwiesen.

                       Dass die ungezügelte Flächenexpansion Städte und Gemeinden gefährdet war Vielen bewusst.
                       Darauf haben einige Handelsexperten immer wieder, und mit Nachdruck hingewiesen. Doch ihre War-
                       nungen stießen meist auf taube Ohren. Dabei sprachen die Zahlen doch für sich! E. Greipl hatte für
                       den Zeitraum 1991 bis 2004 Kennziffern veröffentlicht, die eigentlich kommunale Entscheidungsträger
                       hätten wachrütteln müssen:

                        Flächenwachstum + 42 %;
                        Umsatzwachstum + 6 %;
                        Entwicklung der Flächenproduktivität – 25 % (Greipl, S. 22).

                       Zwei Nachrichten aus Duisburg

                       Der EH-Verband Niederrhein kritisiert das neue Zentrenkonzept für Duisburg.
                       190.000 qm zusätzliche Verkaufsfläche „gehe an den tatsächlichen Entwicklungen vorbei“
                       (RP vom 26.2.2010).

                       „Zu viel Leerstand. Duisburgs City muss attraktiver werden“ (WAZ vom 24.11.2018).

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                     1.6. Die dritte Krise des innerstädtischen Handels –
                          Der Konkurrent Internet

                     Nachdem der Handel wieder in die Innenstadt „zurückgekehrt“ war, dachten Viele, dass nun auch die alte
                     Formel „die Stadt braucht den Handel, der Handel braucht die Stadt“ wiederhergestellt sei.

                     Doch Anfang des 21. Jahrhunderts wuchs plötzlich ein neuer „Standort“: Neben Innenstadt und Grüner
                     Wiese etablierte sich ein dritter, ein virtueller Standort. Seine Bedeutung wuchs, zunächst langsam, und
                     dann immer schneller.

                     E-Commerce, Umsätze B2C von 2000 bis 2019

                         Jahr                        Umsatz in Mrd. Euro

                         2000                                          1,3

                         2005                                          6,4

                         2010                                         20,2

                         2015                                         39,9

                         2019                                         59,2

                         Quelle: HDE, Zahlenspiegel.

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                     Der E-Commerce braucht theoretisch keinen materiellen Standort. Viele Onlineplayer, wie z.B. Zalando,
                     Möbel24 und Fahrrad.de haben ihren Onlineauftritt mittlerweile um einen Stationären ergänzt. Und doch
                     hat das Internet gravierende Konsequenzen auf das gesamte Standortgefüge im Handel. Mit dem Internet
                     löst sich der Handel vom physischen Raum - Stadt und Handel sind nicht mehr untrennbar verbunden.

                      „Früher hat die Stadt den Handel gebraucht wie der Handel die Stadt.
                       Das Internet aber braucht die Stadt nicht“ (W. Christ, in: FR vom 23.8.2018).

                     Das Internet forciert den Verdrängungskampf

                     Das Internet wirkt wie ein Katalysator im Wettbewerb. Die Markttransparenz wird deutlich erhöht, Preis-
                     und Produktvergleiche werden einfacher. Die Kostenvorteile des Onlinehandels (keine teuren Ladenmieten,
                     höhere Produktivität etc.) führen zu einer zusätzlichen Verschärfung des Preis- und Verdrängungswett-
                     bewerbs. Hinzu kommt, dass sich die marktführenden Konzerne - hier vor allem Amazon und Zalando -
                     zusätzliche Kostenvorteile verschaffen, indem sie ihren Beschäftigten Lohn vorenthalten und sie deutlich
                     unter Handelstarif bezahlen und zumindest der Marktführer Amazon entzieht sich seiner Steuerpflicht.

                      Der innerstädtische Handel hatte nun zwei starke Konkurrenten
                       die Grüne Wiese auf der einen – und das Internet auf der anderen Seite.

                     Amazon-Lager in Rheinberg; Foto: ver.di

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                         E-Commerce-Boom und die Folgen

                         Der Onlinehandel bringt aus Verbrauchersicht ohne Zweifel eine Reihe von Vorteilen. Unbestritten
                         ist aber auch, dass der E-Commerce gleichzeitig enorme gesellschaftliche Kosten produziert, riesige
                         Belastungen für Verkehr und Umwelt! Über 2,3 Milliarden E-Commerce-Sendungen werden von
                         DHL, Hermes & Co. pro Jahr befördert und zugestellt. Mehr als 300 Millionen Pakete werden über-
                         dies jährlich zurückgesendet, Deutschland ist „Retourenweltmeister“. Die Städte versinken mittler-
                         weile in der Flut von Paketen. Der Verkehr kommt nicht von der Stelle, Paketdienste parken oft in
                         der 2. und 3. Reihe.

                     Überproportionales Wachstum im Onlinehandel

                     Die Wachstumsraten des Onlinehandels sind nach wie vor hoch. 2019 wurden die Umsätze wiederum
                     um 11 Prozent erhöht. Der Marktanteil des Onlinehandels am gesamten Einzelhandel betrug zuletzt
                     10,9 Prozent. Bei Nonfood waren es 15,8 Prozent, bei Food 1,4 Prozent.

                     Nach einer Hochrechnung des Portals Statista steigt der Anteil des Onlinehandels am Gesamtumsatz bis
                     2023 allerdings auf lediglich 11,5 Prozent. Damit fände nach wie vor 88,5 Prozent des Handels weiterhin
                     stationär statt.

                                                                                                                               25
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