Faktenpapier Energiewende digital - Bürgerforum Energieland Hessen Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen
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Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen Faktenpapier Energiewende digital Bürgerforum Energieland Hessen www.energieland.hessen.de
2 Inhalt Inhalt 1 Einführung ............................................................................................................................................................4 2 Die wichtigsten Erkenntnisse des Faktenpapiers auf einen Blick ...........................................................................5 3 Hintergrund: zwei Faktenchecks zum Thema .....................................6 4 Energiewende und Digitalisierung ........................................................................9 4.1 Der Umbau des Energiesystems .......................................................................................................... 10 4.2 Handlungsfelder der Digitalisierung ................................................................................................ 11 5 Handlungsfeld I: Lastmanagement .................................................................. 13 5.1 Intelligente Netze ............................................................................................................................................ 14 5.2 Prosumer und Netzdienlichkeit ............................................................................................................. 19 6 Handlungsfeld II: Marktzugänge .......................................................................... 22 6.1 Virtuelle Kraftwerke ....................................................................................................................................... 23 6.2 Regionale Energiemarktplätze .............................................................................................................. 26 6.3 Quartierskraftwerke ....................................................................................................................................... 31 6.4 Die neue Rolle der Energieversorger ............................................................................................... 33
Inhalt 3 7 Handlungsfeld III: Datenaustausch ................................................................... 37 7.1 Internet der Dinge .......................................................................................................................................... 38 7.2 Smart Meter ........................................................................................................................................................ 39 7.3 Verbraucherdaten schützen .................................................................................................................... 42 7.4 Sicherheit des Energiesystems .............................................................................................................. 45 8 Ausblick ............................................................................................................................................................... 48 9 Die Referentinnen und Referenten ................................................................... 50 10 Zum Weiterlesen ................................................................................................................................. 57
4 1 Einführung 1 Einführung Das Land Hessen hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 seine Energie komplett aus erneuerbaren Ressourcen zu gewinnen. Hierzu müssen die Potenziale von Solarener- gie, Biomasse, Geothermie, Wasserkraft und Windkraft so genutzt werden, dass das ganze Land damit versorgt werden kann. Fortschritte auf diesem Weg zeichnen sich bereits heute deutlich ab: Der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch in Hessen beträgt aktu- ell knapp ein Viertel.1 Damit das Land aber vollkommen unabhängig von fossilen Energiequellen wird, sind wei- tere Schritte nötig. Die Energie muss möglichst effizient genutzt, der Verbrauch möglichst sparsam gesteuert werden. Erzeugung und Konsum sind noch besser als in der Gegenwart aufeinander abzustimmen. Ein Schlüssel dazu lautet: Digitalisierung. Aber was bedeutet die Digitalisierung für die Energiewende? Ist die Informationstechnologie dafür gerüstet? Werden städtische Ener- gieversorger überflüssig, wenn Bürger selbst Energie gewinnen und verkaufen? Und reicht das tatsächlich, um in Quartieren, Kommunen, Industriebetrieben und schließlich im gan- zen Land Versorgungssicherheit zu gewährleisten? Auf zwei vom Bürgerforum Energieland Hessen (BFEH) ausgerichteten Faktencheck-Ver- anstaltungen in Darmstadt tauschten sich Sachverständige aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zu diesen und weiteren Fragen aus. Um die Ergebnisse der Veranstaltungen zu dokumentieren und zugleich einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, hat das Team des Bürgerforums die Tagungen – wie es sich bereits in der Vergangenheit vielfach bewährt hat – in Form eines Faktenpapiers aufbereitet. Es soll ebenso wie die anderen Broschüren der „blauen Reihe“, die das Bürgerforum im Auftrag des Hessischen Ministe- riums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen erstellt hat, zur Meinungsbildung der interessierten Bürgerschaft beitragen und Kommunen bei der Entscheidungsfindung eine Hilfe sein. Energiewende-Projekte vor Ort gelingen umso besser, je früher und transparenter die be- teiligten Akteure kommunizieren und dabei auch Bürgerinnen und Bürger einbeziehen und informieren.2 Deshalb unterstützt das Land Hessen mit dem Programm Bürgerforum Ener- gieland Hessen seine Kommunen beim Austausch mit der Bürgerschaft rund um Planung und Nutzung erneuerbarer Energien. Zu dessen Leistungen zählen moderierte Bürger- und Expertenveranstaltungen ebenso wie Informationsmaterialien. Weitere Informationen zum Landesprogramm finden Sie unter www.energieland.hessen.de/buergerforum_energie 1 Vgl. Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung (2018): Energiewende in Hessen. Monitoringbericht 2018 (Online-Dokument). Abrufbar unter: https://wirtschaft.hessen.de/sites/default/files/media/hmwvl/monitoringbericht_2018_100dpi.pdf [15.03.2019]. 2 Zugunsten einer besseren Lesbarkeit wird im weiteren Dokument auf die explizite Nennung beider Geschlechter verzichtet.
2 Die wichtigsten Erkenntnisse des Faktenpapiers auf einen Blick 5 2 Die wichtigsten Erkenntnisse des Faktenpapiers auf einen Blick Digitalisierung ist essentiell für die Energiewende – insbesondere aufgrund der dezentra- len und volatilen Energieerzeugung. Digitale Technologien sind in hohem Maße erforder- lich für den Datenaustausch, das Lastmanagement und für die Marktzugänge der Anlagen. Zugleich geht die Digitalisierung mit Herausforderungen einher: Verbraucherdaten und die Funktionsfähigkeit des Versorgungssystems sind unbedingt zu schützen. Digitale Technologien kommen im Energiesystem bereits heute zum Einsatz. Eine wichtige Voraussetzung für ihre Weiterentwicklung ist die Einführung von Smart-Meter-Gateways, die Verbrauchsdaten engmaschig erfassen und sicher übertragen können. Das erste Gerät wurde im Dezember 2018 zertifiziert, sodass der gesetzlich vorgeschriebene Einbau vor- aussichtlich in naher Zukunft beginnt. Digitale Plattformen schaffen Absatzmöglichkeiten für erneuerbare Energien. Virtuelle Kraftwerke bündeln schon heute viele kleine Anlagen, sodass sie Großkraftwerke in ihrer Leistung ersetzen können. Schätzungsweise 1,6 Millionen Prosumer (Producer + Consumer = Prosumer) in Deutsch- land erzeugen derzeit selbst Strom und tragen so zur Energiewende bei – vor allem mit Photovoltaikanlagen. Bisher hat die Vielzahl an Energieerzeugungsanlagen die Versorgungssicherheit nicht ge- schwächt, wie Zahlen der Bundesnetzagentur zeigen. Der jährliche Stromausfall betrug 2017 trotz der zahlreichen Anlagen im Bundesdurchschnitt eine Viertelstunde – und damit weniger als zehn Jahre zuvor. Bei der IT-Sicherheit ist ein Umdenken erforderlich. Nicht mehr nur „Burgen“, das heißt Großkraftwerke, sind zu schützen, sondern alle Akteure und Geräte. Weil viele Konsumenten inzwischen auch selbst Strom produzieren, ändert sich die Rolle der Energieversorger. Sie integrieren nicht nur neue Anlagen, sondern werden auch zu- nehmend zu Energieberatern und Bereitstellern von Infrastruktur. Digitalisierung ist laut Einschätzung der Energieversorger das zentrale Zukunftsthema der Branche. Die große Mehrheit der Unternehmen gibt in Umfragen an, sich in den kommen- den Jahren intensiv damit auseinandersetzen zu wollen.
7 3 Hintergrund: zwei Faktenchecks zum Thema Digitalisierung erfasst bereits heute sämt- Faktencheck „Energiewende digital I“ liche Lebens- und Wirtschaftsbereiche und macht auch vor dem Energiesystem nicht Die Energiewende kommt ohne Digitali- halt. Inwieweit ist sie hier Chance, inwie- sierung nicht aus – so das Fazit der Fach- weit Risiko? Um die Herausforderungen veranstaltung „Faktencheck Energiewende und Potenziale zu erörtern, die die Digita- digital“ am 25. Oktober 2017 in Darmstadt. lisierung für die Energiewende bereithält, Die Themen der Referenten spiegelten die hat das Bürgerforum Energieland Hessen vielfältigen Herausforderungen wider, die (BFEH) auf zwei aufeinander aufbauenden für Gesellschaft und Wirtschaft mit dem Me- Expertenveranstaltungen Sachverständige gatrend Digitalisierung einhergehen. Etwa aus verschiedenen Bereichen ins Gespräch 60 Gäste konnten die Gastgeber, der Darm- gebracht. Die wichtigsten Erkenntnisse der städter Oberbürgermeister Jochen Partsch beiden Faktenchecks sind in dieser Bro- und Dr. Rainer Kaps von der Hessischen schüre zusammengestellt. LandesEnergieAgentur, zu der Veranstal- tung im darmstadtium begrüßen. Wer war beteiligt? Zentrale Fragen dieses Faktenchecks waren Die Politik legt den Grundstein und setzt die unter anderen: Rahmenbedingungen für die Energiewen- de, die IT-Branche unterstützt mit innovati- • Auf welchem Stand ist die Digitalisie- ven Lösungen. Regionalversorger reagieren rung der Energiewende? darauf und erschließen neue Geschäftsfel- der. Konsumenten sollen mit Hilfe digitaler • Wie sicher ist die Informationstech- Technologien kostengünstiger, sparsamer nologie, die dabei zur Anwendung und somit auch nachhaltiger Energie ver- kommt? brauchen. Kurz: Die Digitalisierung der Ener- giewende betrifft eine Vielzahl von Akteuren • Was bedeutet die Digitalisierung der aus den unterschiedlichsten Bereichen. Energiewende für den Verbraucher? Daher ist bei der Auseinandersetzung mit • Welche Konsequenzen hat die Digi- diesem Thema ein möglichst breites Spek- talisierung der Energiewende für die trum an Perspektiven einzubeziehen: Auf städtischen Energieversorger? den Faktencheck-Veranstaltungen gewähr- ten Wissenschaftler, Unternehmer aus Ener- gie- und IT-Wirtschaft sowie Vertreter von Fachbehörden und Interessengruppen Ein- blicke in ihr Beschäftigungsfeld und sorgten so für solide Information aus erster Hand wie auch für kontroverse Diskussionen. Die Experten werden am Ende dieses Faktenpa- piers vorgestellt.
8 3 Hintergrund: zwei Faktenchecks zum Thema Faktencheck „Energiewende digital II • Von welchen digitalen Technologien – Prosuming stärken, Quartiere ent- können die sogenannten Prosumer wickeln, Kommunen vernetzen“ profitieren? Auf der zweiten Faktencheck-Veranstaltung • Wie geht es nach dem Einbau der am 25. Oktober 2018 tauschten sich Experten Smart-Meter-Gateways weiter? aus Forschung, Politik und Energiewirtschaft erneut im Darmstädter Wissenschaftszent- Auf beiden Faktenchecks zur Digitalisierung rum darmstadtium zu Digitalisierungsfragen wurde deutlich, dass der Wandel zu einem in der Energiewende aus; auf Einladung der digitalen Energiesystem noch am Anfang Hessischen LandesEnergieAgentur und der steht. Er findet derzeit größtenteils in Form Digitalstadt Darmstadt nahmen rund 70 in- von Pilotprojekten statt. Auch der verzögerte teressierte Gäste teil. Rollout der Smart-Meter-Gateways – ein zen- traler Bestandteil im vernetzten Energiesys- Zentrale Fragen dieses Faktenchecks waren tem – lässt erkennen, dass der Weg zu einem unter anderen: digitalen Energiesystem erst begonnen hat. Gleichwohl ist bereits heute offensichtlich, • Inwieweit leistet die Digitalisierung dass ein auf erneuerbaren Ressourcen beru- einen Beitrag dazu, Erzeugung und hendes Energiesystem auf digitale Techno- Verbrauch von Energie aufeinander logien angewiesen sein wird. abzustimmen? • Gelingt es, ganze Quartiere mithilfe digitaler Technologien mit selbst er- zeugter Energie zu versorgen?
10 4 Energiewende und Digitalisierung Damit das letzte Kernkraftwerk in Deutsch- Ein Energiesystem, das auf erneuerbaren land im Jahr 2022 vom Netz gehen kann und Quellen beruht, stützt sich auf unzählige ver- der geplante Kohleausstieg gelingt, muss gleichsweise kleine, über das Land verteilte die Energieversorgung umgestellt werden. Anlagen. Dass Strom und Wärme dezentral In der jetzigen Übergangsphase sind fossile und nicht mehr von wenigen großen Kraft- Ressourcen noch notwendig, um bedarfs- werken erzeugt werden, stellt eine Heraus- gerecht Strom zu erzeugen, doch erneuer- forderung für die Energieversorgung dar. bare Energien werden diese zunehmend Eine zweite wesentliche Herausforderung ersetzen. Langfristig verfolgen Bund und ergibt sich aus der Volatilität der Energie- Länder das Ziel, den Bedarf an Strom und produktion, denn die Erzeugung von Solar- Wärme vollständig mit regenerativen Quel- und Windenergie hängt von Witterung len zu decken. und Tageszeit ab. Folglich ist das Angebot Schwankungen unterworfen. Diese erneuerbaren Energieträger liefern Strom und Wärme nach anderen Gesetz- Damit Privathaushalte und Industrie jeder- mäßigkeiten als fossile oder atomare Quel- zeit mit Energie versorgt werden können, len, sodass auch ein Umbau des bisherigen sind technische Maßnahmen nötig. So Energiesystems erforderlich ist. Digitale muss beispielsweise das Stromnetz vom Technologien leisten einen wichtigen Bei- Norden in den Süden ausgebaut werden. trag dazu, dass die Versorgung sowohl wirt- Weiterhin bedarf es einer fortlaufenden schaftlich als auch sicher bleibt. Etablierung von Speicherkapazitäten am Markt.3 4.1 Der Umbau Mit dem Netzausbau und vermehrten Ein- satz von Speichern allein ist es jedoch nicht des Energiesys- getan. Zusätzlich muss ein funktionsfähiges Lastmanagement auf die Beine gestellt wer- tems den. Das heißt, dass Angebot und Nach- frage in möglichst kleinen Zeiteinheiten aufeinander abgestimmt werden. Digitale Konventionelle Kraftwerke, die nach Bedarf Technologien sind nötig, damit dies trotz herauf- und herunterfahrbar sind, diverse der Vielzahl von Akteuren flexibel und kurz- Arten von Stromspeichern, Möglichkeiten fristig gelingt. des Imports und des Exports von Strom so- wie die Steuerung der Nachfrage – all diese Daneben erleichtert die Digitalisierung Aspekte werden die Energiewende wäh- den dezentralen Energieerzeugern den rend der Umbauphase des Energiesystems Zugang zum Markt, sodass sie im Zusam- in den kommenden Jahren begleiten. menspiel dauerhaft bedarfsgerecht Ener- gie bereitstellen („Dauerlastfähigkeit“). Digitale Handelsplattformen ermöglichen, 3 Vgl. HA Hessen Agentur GmbH im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung (2017): Faktenpapier Speicher in der Energiewende (Online-Dokument). Abrufbar unter: https://www.energieland.hessen.de/mm/14853_ Faktenpapier-Speicher_online.pdf [21.05.2019].
4.1 Der Umbau des Energiesystems 11 die Energie vieler Produzenten gebündelt Markt und ist folglich an der Schnittstel- zu vermarkten.4 le zwischen ihnen angesiedelt. An diesen Schnittstellen ergeben sich für die Digitali- Zugleich bringt die Digitalisierung selbst ei- sierung der Energiewende drei Handlungs- gene Herausforderungen mit sich: Sowohl felder: das Versorgungssystem als auch Verbrau- cherdaten sind vor Manipulation und Miss- • An der Schnittstelle von Erzeugung brauch zu schützen. und Übertragung ist das Lastmanage- ment zu optimieren. All diese Aspekte der Digitalisierung, ihre Chancen und Risiken sind Thema des vor- • An der Schnittstelle von Erzeugung liegenden Faktenpapiers. und Markt bedarf es neuer Marktzu- gänge für Anlagenbetreiber. 4.2 Handlungs- • An der Schnittstelle von Übertragung, Markt und Verbrauch erfordert die felder der Digita- Abstimmung von Angebot und Nach- frage den Austausch von Daten. lisierung An diesen Handlungsfeldern orientiert sich der Aufbau dieses Faktenpapiers. Damit Der Umbau des Energiesystems ist zwar geht diese Broschüre in ihrer Darstellung eingeleitet, doch sind die Strukturen noch vom Energiesystem aus – und nicht, wie die immer auf das alte Versorgungssystem aus- meisten anderen Publikationen zum Thema, gerichtet, das durch wenige Großkraftwerke von den Technologien oder den Akteuren. und damit wenige Anbieter charakterisiert Die nachfolgende Grafik veranschaulicht, ist. Als Erfordernisse für die Energiewende wo die Handlungsfelder im Energiesystem gelten gemeinhin der Zubau von Anlagen verortet sind (Abb. 1). zur Gewinnung erneuerbarer Energien so- wie die Optimierung von Erzeugung, Über- tragung, Markt und Verbrauch. Dazu gehört beispielsweise, dass Photovoltaikanlagen zugebaut, dass Windenergieanlagen leis- tungsstärker und Gebäude energieeffizien- ter werden. Doch nicht nur die Bereiche Erzeugung, Übertragung, Markt und Verbrauch sind bestmöglich zu gestalten, sondern auch die Schnittstellen zwischen ihnen. Die Frage, wie auch kleinere Anlagen wirtschaftlich rentabel betrieben werden können, betrifft beispielsweise die Bereiche Erzeugung und 4 Über die hier skizzierte Darstellung der Transformation des Energiesystems herrscht in der Fachliteratur weitestgehend Konsens. So schreibt beispielsweise der Physiker Thomas Unnerstall, der mehrere Sachbücher zu den Grundlagen der Energiewende verfasst hat und heute als Berater tätig ist: „In der Zukunft – beginnend im nächsten Jahrzehnt, intensiv dann ab 2030/2035 – wird es durch die Energiewende aller Voraussicht nach ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Bausteine geben […]. Es liegt auf der Hand, dass dafür hoch entwickelte, weitgehend automatisierte Steuerungssysteme erforderlich sind. Daher wird auch in der Energiewirtschaft die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft eine zentrale Rolle spielen.“ Thomas Unnerstall (2016): Faktencheck Energiewende. Konzept, Umsetzung, Kosten – Antworten auf die 10 wichtigsten Fragen. Berlin, Heidelberg: Springer, S. 91.
12 4.2 Handlungsfelder der Digitalisierung Die Komplexität der Energiewende mit digitaler Technologie managen ÜBERTRAGUNG / MARKT Smartes Regionaler Flexibilisierung Lastmanagement Energiemarktplatz des Verbrauchs Smart Meter Neue Marktzugänge Smart Grid Internet für erneuerbare Energien der Dinge Virtuelles Quartiers- Kraftwerk Digitale kraftwerk Energiewende ERZEUGUNG Prosumer VERBRAUCH = Digitale Lösungen = Handlungsfelder (Quelle: eigene Darstellung) Abbildung 1: Digitale Technologien sind vorrangig an den Schnittstellen von Energieerzeugung, -übertragung und -verbrauch notwendig.
Handlungsfeld I: Lastmanagement
14 5 Handlungsfeld I: Lastmanagement Im gegenwärtigen Energiesystem gleichen stellen ein für die Netzstabilität erforderli- fossile Kraftwerke Schwankungen bei der ches Mindestmaß an regelbarer Leistung Verfügbarkeit regenerativ erzeugten Stroms („Must-run-Kapazität“) bereit. Bei einem aus. Das wird künftig eine noch größere Überangebot werden Windenergie- und Herausforderung sein: Mit der Energiewen- Photovoltaikanlagen temporär vom Netz de gewinnen Quellen an Bedeutung, die genommen. Über diese als positive oder Strom und Wärme zum Teil nur unbeständig negative Regelenergie bezeichneten Ener- produzieren. Damit Versorgungssicherheit giemengen halten Netzbetreiber die Span- dennoch gewährleistet werden kann und nung im Stromnetz konstant. Damit dieser die Übertragung problemlos funktioniert, Mechanismus des Ausgleichs funktioniert, müssten Erzeugung und Verbrauch flexib- hängen die Kraftwerke über das sogenann- ler gesteuert und aufeinander abgestimmt te Verbundnetz zusammen. werden können. Mit intelligenten Netzen und einem netzdienlichen Verhalten großer Je mehr dezentrale, volatile Anlagen im Verbraucher, etwa aus Industrie und Handel, Zuge der Energiewende in das Netz inte- und der sogenannten Prosumer lässt sich griert werden müssen, desto komplexer die verfügbare Strommenge beeinflussen. wird die Stromversorgung. Auch der stei- Beides trägt zu einem gut funktionierenden gende Autarkiegrad vieler Konsumenten, Lastmanagement bei. die selbst Energie erzeugen, ist mit Heraus- forderungen verbunden. Was, wenn ihre Versorgung ausfällt? Hier sind die Energie- 5.1 Intelligente versorger und Netzbetreiber als Rückfall- ebene gefragt. Das gilt insbesondere für Netze sogenannte Mieterstrommodelle, bei der größere Wohneinheiten mit auf dem Dach gewonnenem Solarstrom über eine Art Are- Das Stromnetz transportiert Strom von den alnetz auf privatem Grund versorgt werden. Kraftwerken zu den Verbrauchern. In Wech- selstromnetzen schwingt die Netzspannung Zu den Anforderungen an ein intelligentes periodisch. Die Netzfrequenz bezeichnet Stromnetz („Smart Grid“) gehört, die Netz- die Zahl dieser Schwingungen pro Sekunde stabilität trotz der Vielzahl von Akteuren und wird in Hertz angegeben. Sie muss re- und zahlreicher Unvorhersehbarkeiten auf- lativ konstant gehalten werden. In Deutsch- rechtzuerhalten – und zwar unter Berück- land liegt der Richtwert für die Netzfrequenz sichtigung des Stromverbrauchs in Echtzeit bei 50 Hertz. Liegt die Frequenz niedriger, sowie unter Zuhilfenahme möglichst präzi- ist nicht genug Strom im Netz. Liegt sie hö- ser Prognosen von Energieerzeugung und her, befindet sich hingegen zu viel Strom im -verbrauch (Abb. 2). „Um das Stromnetz Netz. Eine konstante Netzfrequenz ist wich- auch dann stabil zu halten, wenn zu viel ein- tig für die Versorgungssicherheit. gespeist wird oder zu wenig, werden Daten im 15-Minuten-Intervall, wie sie heute vorlie- Gegenwärtig werden Spannungsschwan- gen, nicht ausreichend sein“, sagt Reinhard kungen in den Stromnetzen vor allem Kalisch, Geschäftsführer des Verteilnetzes durch große Kraftwerke ausgeglichen. Sie e-netz Südhessen.5 5 Reinhard Kalisch in seinem Impulsvortrag auf dem Faktencheck Digitalisierung der Energiewende II am 25.10.2018 in Darmstadt. Er tritt dafür ein, die Rückfallebene mit einem Preis zu versehen. „Wenn Prosumer am Netz bleiben, aber keinen Beitrag für die allgemeine Energieversor- gung leisten, könnte man über einen Preis für die Vorhaltung der Leistung nachdenken“, so Kalischs Plädoyer.
5.1 Intelligente Netze 15 Energieverbrauch von Kleinkunden Energieverbrauch von industriellen / kommerziellen Kunden Abbildung 2: Eine Vielzahl von Daten ist nötig, damit Netzbetreiber stets wissen, was in ihren Stromnetzen vor sich geht. Die Abbildung zeigt eine Visualisierung dieser Daten durch das Schweizer Softwareunternehmen Adaptricity für die Stadt Basel. (Quelle: Adaptricity / ETH Zürich) Dass Schwankungen möglichst frühzeitig werden soll. Je besser diese Abstimmung erkannt und ausgeglichen werden können, funktioniert, desto weniger teure Regelkraft- setzt also eine riesige Datenmenge voraus. werke müssen zum Ausgleich von Schwan- In Gebäuden und im Stromnetz könnten di- kungen bereitstehen.7 Dass das Stromnetz gitale Sensoren den Durchfluss von Strom nicht nur Energie, sondern auch etliche und Wärme in noch viel stärkerem Ausmaß Daten transportiert, ist neu. Im bisherigen als heute erfassen und zeitnah an Energie- Energiesystem entzog es sich der Kenntnis versorger und Netzbetreiber übermitteln.6 der Netzbetreiber, wie viel Strom welche Gleichzeitig müssen Wetterprognosen eine dezentrale Energieanlage wo einspeiste.8 möglichst genaue Voraussage zu der Erzeu- gung von Solar- und Windenergie zulassen. Zum Konzept des intelligenten Stromnet- Das zu bewältigende Datenaufkommen ist zes gehört weiterhin der Einsatz sogenann- immens. ter Demand-Response-Technologien. Das bedeutet, dass nicht die Energieerzeuger Wenn diese Daten vorliegen, kann eine zen- Schwankungen ausgleichen, sondern die trale Stelle die Abstimmung übernehmen. Verbraucher. Damit dies für den Verteilnetz- Das heißt, sie meldet zurück, ob die Ener- betreiber berechenbar ist, regeln Verträge, gieerzeugung gesteigert oder gedrosselt in welchen Zeitfenstern sie Verbraucher 6 Mehr zur Sensorik unter Ronge, Karlheinz und Wittwer, Christof (2013): Einsatz von Sensoren für die Energieflussanalysen für Energienetze, Smart Grids, Smart Metering (Online-Dokument). Abrufbar unter: www.fvee.de/fileadmin/publikationen/Workshopbaende/ws2013/ ws2013_05_01.pdf [18.03.2019]. 7 Vgl. Beck, Hans-Peter und Springmann, Jens-Peter: Das Stromnetz im Zeichen der Energiewende (Online-Dokument). Abrufbar unter: www.bpb.de/izpb/169514/das-stromnetz-im-zeichen-der-energiewende?p=all [17.03.2019]. 8 Vgl. Umweltbundesamt: Was ist ein ‚Smart-Grid‘? (Online-Dokument). Abrufbar unter: www.umweltbundesamt.de/service/uba-fragen/ was-ist-ein-smart-grid [17.03.2019].
16 5.1 Intelligente Netze zu- oder abschalten können. Dies ist für den aufeinander abgestimmt werden können. Netzbetreiber technisch sinnvoll und ver- In Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und spricht vor allem Großkunden Kostenvorteile. im Saarland testet das Projekt „Designnetz“, wie unterschiedliche Netzebenen miteinan- Die USA sind führend bei der Steuerung des der kommunizieren können (siehe Infobox Energiesystems über die Nachfrage, doch „SINTEG-Verordnung“). auch Deutschland könnte hiervon profitieren: „Aufgrund von problematischen Netzsituatio- Das intelligente Stromnetz erfordert neben nen steigt auch in Europa und Deutschland dem Ausbau der Netze und der Entwicklung der Anreiz, Demand Response umzusetzen. besserer Speichertechnologien auch techni- Besonders gut geeignet dafür sind Anlagen, sches Equipment zur digitalen Erfassung von die mindestens einmal pro Tag zu- oder ab- Stromerzeugung und -verbrauch. Hierfür sind geschaltet werden, aber auch Anlagen, de- mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Ener- ren Produktion z. B. durch Speicher oder giewende aus dem Jahr 2016 zwar formal die thermische Trägheit vom restlichen Produk- Voraussetzungen geschaffen, doch hat sich tionsprozess entkoppelt ist. Infrage kommen der im Gesetz vorgegebene Fahrplan zum Branchen wie Ernährung, Chemie, Papier, Ma- Einbau der Geräte verzögert. Nachdem im terialverarbeitung, Automobil, Maschinen- Dezember 2018 der erste intelligente Strom- bau und Glasindustrie.“9 In Haushalten sind zähler zugelassen wurde, sind nun auch die Nachtspeicherheizungen und Wärmepum- technischen Grundlagen für die Weiterent- pen wegen ihrer regulierbaren Steuerung in- wicklung der intelligenten Netze geschaffen. teressant. Die energieintensive Industrie nutzt schon heute flexible Lasten, doch wird deren Intelligente Stromnetze sind künftig nicht nur Potenzial bei weitem nicht ausgeschöpft (sie- aufgrund der Vielzahl dezentraler Energieer- he auch Kap. 7.1). zeuger und angesichts von witterungsbeding- ten Schwankungen bei der Energiegewin- Die flächendeckende Einführung intelligenter nung bedeutend, sondern auch weil über die Netze steht noch aus, die Netzbetreiber be- sogenannte Sektorenkopplung immer mehr finden sich derzeit noch am Anfang der Ent- Lebensbereiche – wie beispielsweise die Elek- wicklung. Erste Pilotprojekte wie z. B. im Rah- tromobilität – von der Stromversorgung ab- men von SINTEG, einem Förderprogramm hängen und in das Versorgungssystem integ- des Bundesministeriums für Wirtschaft und riert werden müssen. Dies bringt jedoch nicht Energie, experimentieren aber bereits er- nur neue Abhängigkeiten hervor; gleichzeitig folgreich damit. In diesem Programm erpro- entstehen auf diesem Weg neue Möglich- ben fünf Modellregionen in Deutschland keiten der Flexibilisierung, etwa durch netz- wesentliche Aspekte intelligenter Energie- dienliches Verhalten aufseiten der Erzeuger versorgung. So widmet sich beispielsweise und Konsumenten. Die Frage, wie die soge- das Projekt „C/sells“ in Baden-Württemberg, nannten Prosumer zur Stabilität der Energie- Bayern und Hessen der Frage, wie Verbrauch versorgung beitragen können, behandelt das und Erzeugung von Solarenergie besser folgende Unterkapitel. 9 Dürr, Thomas und Heyne, Jean-Christophe: Virtuelle Kraftwerke für Smart Markets, S. 661. Erschienen in Doleski, Oliver D. (Hrsg.): Heraus- forderung Utility 4.0. Wie sich die Energiewirtschaft im Zeitalter der Digitalisierung verändert, Wiesbaden: Springer Vieweg, S. 653-681.
5.1 Intelligente Netze 17 Drei Fragen an Prof. Dr.-Ing. Peter Birkner Geschäftsführer des House of Energy e. V., Kassel 1_ Herr Professor Birkner, das House of Ener- regionen, das vom Bundeswirtschaftsministe- gy koordiniert den hessenweiten Austausch rium mit 230 Millionen Euro unterstützt wird. zwischen Politik, Forschung und Wirtschaft In Bayern, Baden-Württemberg und Hessen bei der Energiewende und initiiert For- führt C/sells erstmals alle Elemente zusam- schungs- und Entwicklungsprojekte. Welche men, die für ein intelligentes Energienetz der Rolle spielt dabei die Digitalisierung? Zukunft erforderlich sind. Als House of Ener- gy koordinieren wir dabei die hessischen Teil- Die Digitalisierung ist eine entscheidende nehmer. Voraussetzung für das Gelingen der Ener- giewende. Daten schaffen Transparenz über 3_ Können Sie bereits etwas zur Gestaltung Energieströme, ermöglichen die Koordinati- des Energienetzes der Zukunft sagen? Wie on von volatilen Erzeugern und Verbrauchern sieht es aus, und was steht seiner Einführung und identifizieren Effizienzpotentiale. Letz- noch im Weg? teres gilt nicht nur für den Energieeinsatz, sondern auch für betriebliche Prozesse und Künftig wird es zelluläre Strukturen geben, die Aspekte. untereinander Energie austauschen und sich so gegenseitig stabilisieren: Gebäude, Quar- Ein Beispiel: Elektrische Generatoren, wie wir tiere, Städte und Regionen. Dadurch kann die sie in Windenergieanlagen oder thermischen hohe Volatilität der erneuerbaren Energien Kraftwerken finden, sind heute mit zahlrei- effizient beherrscht werden. Derartige Ener- chen Sensoren ausgestattet, die online riesi- giestrukturen werden im Projekt C/sells etab- ge Datenmengen erfassen. Damit lassen sich liert und erprobt. Dass dies alles Realität wird, mittels mathematischer Verfahren Datenkom- ist weniger eine Frage der Technik als viel- binationen identifizieren, die im Vorfeld von mehr des rechtlichen Rahmens. Die Sektoren Störungen aufgetreten sind. Wird ein ver- Strom, Gas, Wärme und Verkehr müssen ge- gleichbares Datenmuster in einem anderen koppelt werden. Abgaben, Steuern und Um- Generator dieser Serie erkannt, so ist das ein lagen sind heute sektorenspezifisch ausge- Indiz dafür, dass sich der Fehler wiederho- prägt und werden vor allem einseitig nur bei len könnte. Die entsprechende Komponente der Entnahme von Energie aus einem Netz sollte dann präventiv ausgetauscht werden. erhoben. Dies macht viele Technologien und Schwere Schäden und lange Betriebsausfälle vor allem Speicher unwirtschaftlich. Auch sind können so verhindert werden. aktuell keinerlei Anreize vorhanden, die eine Energiezelle – beispielsweise ein Quartier – 2_ Im Projekt „C/sells“ wird erprobt, wie das dazu motivieren, ihre Energiebilanz möglichst Energienetz der Zukunft gestaltet sein könn- eigenständig auszugleichen. Wir haben heu- te. Was hat es damit auf sich? te an vielen Stellen die physikalische Realität verändert. An diese geänderte Realität ist der Das Projekt „C/sells“ ist Teil des Förderpro- Gesetzesrahmen anzupassen, damit sich das gramms „SINTEG – Schaufenster intelligente Energiesystem der Zukunft entwickeln kann. Energie – Digitale Agenda für die Energie- Auch hierzu werden bei C/sells verschiedene wende“ mit über 200 Partnern in fünf Modell- Ansätze experimentell untersucht.
18 5.1 Intelligente Netze Infobox: SINTEG-Verordnung Die sogenannte SINTEG-Verordnung schafft mit einer Experimentierklausel den rechtlichen Rahmen dafür, dass in den fünf Modellregionen in Deutsch- land neue – darunter auch digitale – Technologien überhaupt erprobt wer- den können. Dazu gehört, dass sich Projektteilnehmer während der Laufzeit des Projekts, die bis 2022 angesetzt ist, wirtschaftliche Nachteile, die ihnen im Zuge des Projekts durch etwa höhere Stromkosten entstehen, erstatten lassen können. Dieses Vorgehen soll auch die Grenzen des geltenden Rechtsrah- mens und den zukünftigen Regelungsbedarf beim Umbau des Energiesys- tems identifizieren. Ein Automatismus, dass der rechtliche Rahmen sodann auch in der Weise angepasst wird, besteht hingegen nicht.
5.2 Prosumer und Netzdienlichkeit 19 5.2 Prosumer und und weitere Systemleistungen erbringen können“, schreiben Wissenschaftler des Ins- Netzdienlichkeit tituts für ökologische Wirtschaftsforschung.11 Allerdings: Prosumer verhalten sich nicht In einem dezentralen Energieversorgungs- automatisch netzdienlich in dem Sinne, dass system können viele Energiekonsumenten sie dem Stromnetz flexibel und bedarfsge- auch Energieproduzenten sein. Das kommt recht den selbstproduzierten Strom zufüh- in dem Terminus „Prosumer“ zum Ausdruck, ren. Zu den Hauptmotivationen der Prosu- der sich aus den beiden englischen Be- mer zählt nicht nur, ökologisch Energie zu griffen „producer“ und „consumer“ zusam- erzeugen und mit den Anlagen nachhaltige mensetzt. Prosumer gewinnen Energie zum Investitionen zu tätigen, sondern auch ei- Beispiel über Photovoltaikanlagen auf dem nen möglichst hohen Grad an Autarkie zu Hausdach oder über ein Blockheizkraftwerk erreichen, wie aus einer Untersuchung der im Keller. Auch kombinierte Verfahren der Energieökonomen Reinhard Madlener und Energiegewinnung sind möglich. Christian Oberst hervorgeht.12 Es gibt schätzungsweise um die 1,6 Millionen Netzdienliches Verhalten muss daher über Prosumer in Deutschland.10 Dabei handelt Anreize erst generiert werden. Hier wirken es sich überwiegend um Besitzer von Ein- sich politische und wirtschaftliche Rahmen- oder Zweifamilienhäusern. Sie leisten einen bedingungen aus. Nicht allein ein hoher wichtigen Beitrag für die Energiewende. Autarkiegrad muss sich lohnen, sondern Die erzeugte Energie nutzen die Prosumer auch systemdienliches Erzeugen, Verbrau- entweder selbst oder sie verkaufen sie über chen und Speichern von Energie. Zu den das Stromnetz – in der Regel an Energiever- Instrumenten zählen beispielsweise fle- sorger oder Zwischenhändler. Nachdem die xible Tarife, die sich nach der tatsächlich Einspeisevergütung gesunken ist, ist der Ei- verfügbaren Strommenge richten und bei genverbrauch inzwischen lukrativer als das Knappheit von Energie im Stromnetz das Einspeisen von Energie ins Stromnetz. Einspeisen attraktiv vergüten. Solche flexib- len Tarife gibt es bisher nur in einzelnen Pio- Indem Prosumer Energie nicht nur erzeu- nierprojekten, künftig werden sie aber aller gen, sondern auch verbrauchen und zum Voraussicht nach zum Alltag gehören. Teil sogar über Speicherkapazitäten ver- fügen, tragen sie einerseits zur Komple- Konkret kann dies beispielsweise auch be- xität, andererseits zur Flexibilisierung des deuten, dass Prosumer bei Überlastungen Stromnetzes bei. „Für Deutschland lässt sich im Verteilnetz finanzielle Kompensationen zusammenfassen, dass Prosumer derzeit erhalten, wenn sie ihre Anlagen vom Netz noch Vorreiter sind, aber mit einer größe- nehmen und den selbst gewonnenen Strom ren Verbreitung ein Standbein des dezen- entweder verbrauchen oder speichern. Ins- tralen Ausbaus erneuerbarer Energien und besondere in ländlichen Gebieten, wo mehr bei netzdienlicher Systemintegration eine Energie als im städtischen Raum gewonnen Lösung für Engpässe beim Netzausbau sein wird, wäre dies ein sinnvoller Mechanismus, 10 Vgl. Steiner, Anna (2018): Wir machen uns unsere Energie selbst! (Online-Dokument). Abrufbar unter: www.faz.net/aktuell/finanzen/pro- sumer-bewegung-energie-selbst-produzieren-15511240.html [17.03.2019]. Angaben zur Zahl der Prosumer in Deutschland variieren unter anderem in Abhängigkeit von der Art der Energieerzeugung bzw. der Abgrenzung nach Anlagengröße. 11 Aretz, Astrid et al. (2016): Prosumer für die Energiewende (Online-Dokument). Abrufbar unter: https://oekologisches-wirtschaften.de/index. php/oew/article/viewFile/1477/1448 [18.03.2019]. 12 Vgl. Oberst, Christian und Madlener, Reinhard (2014): Prosumer preferences regarding the adoption of micro-generation technologies: Empirical Evidence for Homeowners (Online-Dokument). Abrufbar unter: www.fcn.eonerc.rwth-aachen.de/global/show_document. asp?id=aaaaaaaaaaoqwnx [24.04.2019].
20 5.2 Prosumer und Netzdienlichkeit empfehlen Wissenschaftler um den Öko- Photovoltaik-Anlage deshalb häufig am nomen Reinhard Madlener von der RWTH Eigenverbrauch orientiert und nicht an der Aachen im Schlussbericht über ein For- geeigneten Dachfläche. So geht der Ener- schungsprojekt zu Prosumern.13 giewende Potenzial verloren.14 Sie argumentieren vor dem Hintergrund Schon heute kann ein durchschnittlicher der gesunkenen Einspeisevergütung wei- Vier-Personen-Haushalt allein mit einer ter, dass die Rentabilität von Photovol- Photovoltaikanlage bereits einen Autar- taik-Anlagen mit einem zunehmenden kiegrad bei der Stromversorgung von Eigenverbrauchsanteil steigt. Je kleiner rund 25 Prozent erreichen, wie aus Berech- die Anlagengröße, desto höher der Eigen- nungen des Instituts für ökologische Wirt- verbrauchsanteil. Die Wissenschaftler ge- schaftsforschung hervorgeht – in Kombina- ben zu bedenken, dass sich die Größe der tion etwa mit einem Batteriespeicher sind Autarkiegrad bei der Stromversorgung Photovoltaikanlage mit Südausrichtung Photovoltaikanlage mit Südausrichtung + Batteriespeicher Photovoltaikanlage mit Südausrichtung + Wärmepumpe Photovoltaikanlage mit Südausrichtung + Kraft-Wärme-Kopplung* Kraft-Wärme-Kopplung Kraft-Wärme-Kopplung + Batteriespeicher 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % *) Kraft-Wärme-Kopplung: erdgasbetriebenes Nano-Blockheizkraftwerk (Quelle: Gährs et al. 2015, S. 12 | eigene Darstellung) Abbildung 3: Autarkiegrad bei der Stromversorgung, wie er sich mit unterschiedlichen Anlagen der Energie- erzeugung erreichen lässt. 13 Vgl. ebd. 14 Vgl. Gährs, Swantje et al. (2015): Private Haushalte als neue Schlüsselakteure einer Transformation des Energiesystems (Online-Dokument). Abrufbar unter: www.prosumer-haushalte.de/data/prohaus/user_upload/IOEW_Arbeitspapier-AP3_Simulation-von-Prosumer-Haushalten_ Final.pdf [17.03.2019].
5.2 Prosumer und Netzdienlichkeit 21 auch höhere Autarkiegrade möglich.15 Es ist Allerdings möchte nicht jeder Energie- davon auszugehen, dass sich die Selbstver- verbraucher zugleich Prosumer sein. „Die sorgung aufgrund von effizienteren Anla- Autarkiesucher gehören zu einer Graswur- gen, mehr Speicherkapazität und digitalen zelbewegung, jedoch bei der großen Mehr- Steuerungsmöglichkeiten künftig deutlich heit der Energiekunden handelt es sich weiter erhöhen lässt (Abb. 3). weiterhin um Versorgt-werden-Woller“, sagt Elie-Lukas Limbacher vom Bundesverband Was die Netzdienlichkeit anbelangt, kommt der Energie- und Wasserwirtschaft.18 Damit insbesondere Speichern große Bedeu- fasst er ein Ergebnis der Studie zur Trans- tung zu. Indem sie überschüssige Energie formation des Energiesystems aus Kunden- für spätere Bedarfszeiträume bereithalten, sicht zusammen, die sein Arbeitgeber 2017 können Prosumer im Zusammenspiel mit durchführte.19 Regelenergie-Kraftwerken konventionelle Kraftwerke zumindest in bestimmten Zeit- Zusammenfassend lässt sich festhalten, fenstern entlasten.16 dass Prosumer-Haushalte einen kleinen, aber wichtigen Teil zum Gelingen der Prosumer sind ein wichtiger Baustein im Energiewende beisteuern. Berechnungen neuen Energiesystem. Im Vergleich zu dem zufolge könnten Privathaushalte mit Solar- Einfluss, den netzdienliches Verhalten von energie und Blockheizkraftwerken im Jahr Industrie und Handel hat, spielt der Beitrag 2030 allein in Nordrhein-Westfalen mehr von Prosumern eine kleinere Rolle. Sowohl als neun Terawattstunden Strom produzie- die Zahl geeigneter Immobilien (bei Photo- ren. Das ist ein Viertel des voraussichtlichen voltaik etwa aufgrund der Ausrichtung des landesweiten Stromverbrauchs.20 Auch in Dachs) als auch der Grad der technisch um- Hessen hat der Zubau von Photovoltaik- setzbaren Selbstversorgung (bei Photovol- Anlagen zuletzt wieder angezogen. Nach- taik etwa aufgrund der verfügbaren Dach- dem er aufgrund der Verringerung der Ein- fläche) lassen sich nicht beliebig steigern. speisevergütung im Jahr 2010 über Jahre Dass das Photovoltaik-Potenzial von Dach- hinweg wenig dynamisch war, nahmen die flächen in Hessen jedoch bislang nicht ein- Investitionen in Photovoltaik 2017 und 2018 mal annähernd ausgeschöpft ist, zeigt das wieder deutlich zu.21 Hessische Solar-Kataster, ein kostenloses In- ternetprogramm des Landes Hessen.17 Dies trifft auch für Deutschland als Ganzes zu. 15 Vgl. Gährs, Swantje et al. (2015): Private Haushalte als neue Schlüsselakteure einer Transformation des Energiesystems (Online-Dokument). Abrufbar unter: www.prosumer-haushalte.de/data/prohaus/user_upload/IOEW_Arbeitspapier-AP3_Simulation-von-Prosumer-Haushalten_ Final.pdf [17.03.2019]. 16 Vgl. Plenz, Maik und Hirschl, Bernd (2016): Prosumer im Energiesystem (Online-Dokument). Abrufbar unter: www.oekologisches-wirtschaften. de/index.php/oew/article/view/1478 [18.03.2019]. 17 Dr. Justus Brans vom Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen auf dem Faktencheck Digitalisierung am 25.10.2017 in Darmstadt. 18 Elie-Lukas Limbacher in seinem Impulsvortrag auf dem Faktencheck Digitalisierung der Energiewende II am 25.10.2018 in Darmstadt. 19 Vgl. BDEW (2017): Digitalisierung aus Kundensicht (Online-Dokument). Abrufbar unter: www.bdew.de/media/documents/Digitalisierung_ aus_Kundensicht_Broschuere_final.PDF [13.04.2018]. 20 Vgl. Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (2017): Prosumer in der Energiewende (Online-Dokument). Abrufbar unter: www.energie 2020.nrw/wissen/energie/prosumer-in-der-energiewende-13700 [18.03.2018]. 21 Vgl. Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung (2018): Energiewende in Hessen. Monitoringbericht 2018, a.a.O., S. 56 und 97.
Handlungsfeld II: Marktzugänge
23 6 Handlungsfeld II: Marktzugänge Soll das Energiesystem der Zukunft vor- Kraftwerks eingebürgert. Diese, für das Ge- nehmlich auf der Erzeugung erneuerbarer lingen der Energiewende essenziellen, neu- Energien basieren, müssen auch kleine- en Vertriebsmodelle basieren auf digitalen re Energieerzeuger stärker als bisher die Technologien. Möglichkeit haben, selbständig am Ener- giemarkt zu partizipieren. Tausende Wind- 6.1 Virtuelle energie- und noch weit mehr Photovol- taikanlagen werden ab 2020 und in den Kraftwerke folgenden Jahren das Ende ihrer zwan- zigjährigen Vergütungslaufzeit nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) errei- chen. Danach erhalten Sie keine fixe Ein- Will man konventionelle Großkraftwerke speisevergütung mehr.22 Damit die Wind- mit ihrer Leistung und Zuverlässigkeit bei und Solarenergieanlagen auch nach dem der Energieversorgung durch viele kleine Ende der festgelegten Einspeisevergütung Anlagen ersetzen, so ist es hilfreich, sie zu noch rentabel betrieben werden können bündeln. Eine Vielzahl von beispielsweise und ihr Potenzial dem Energiesystem nicht Windenergie- und Photovoltaikanlagen, verloren geht, herrscht hier Handlungs- von Wasserkraftwerken und Biogasanlagen druck. sowie Blockheizkraftwerken bildet dann zu- sammen ein virtuelles Kraftwerk. Als virtu- Gegenwärtig entstehen für Betreiber von elles Kraftwerk werden sie bezeichnet, weil Anlagen im Bereich der erneuerbaren Ener- sie physisch nicht zusammenhängen, aber gien immer mehr Möglichkeiten, Strom und dennoch gemeinsam Leistung bringen. Es Wärme zu verkaufen. Neben der Einspei- ist nicht nötig, dass die Anlagen auf einem sung ins allgemeine Stromnetz können sie geografisch eng begrenzten Raum stehen, ihre Ware zunehmend über neue Kanäle wohl aber, dass es eine zentrale Steuerung vertreiben. Dazu gehört beispielsweise der gibt (Abb. 4). Virtuelle Kraftwerke können sogenannte Peer-to-Peer-Handel, bei dem sogar über Ländergrenzen hinweg arbeiten. Geschäfte direkt zwischen den Akteuren ohne Zwischenhändler geschlossen wer- den. Es ist ebenfalls ist möglich, die Ener- gie von mehreren Erzeugungsanlagen zu bündeln, so als handelte es sich von der Leistung her um ein großes Kraftwerk. Hier- für hat sich die Bezeichnung des virtuellen 22 Vgl. Deutsche WindGuard (2017): Perspektiven für den Weiterbetrieb von Windenergieanlagen nach 2020 (Online-Dokument). Abrufbar unter: www.fachagentur-windenergie.de/aktuell/detail/studie-perspektiven-fuer-den-weiterbetrieb.html [21.05.2019]. Vgl. auch Diermann, Ralph (2018): Tausende Windräder stehen vor dem Aus (Online-Dokument). Abrufbar unter: www.spiegel.de/wirtschaft/ soziales/energiewende-so-sollen-windraeder-vor-dem-aus-gerettet-werden-a-1239385.html [13.04.2019].
24 6.1 Virtuelle Kraftwerke Erneuerbare Energien gebündelt vermarkten im virtuellen Kraftwerk Windkraft Netzbetreiber Nachfrage Virtuelles Kraftwerk nach Flexibilität Wasserkraft Bedarfs- Strompreis- Erzeugungs- Lieferung von prognose prognose prognose Flexibilitätspotenzial Speicher Strommarkt Solar Geothermie Biogas (Quelle: eigene Darstellung) Abbildung 4: Virtuelle Kraftwerke greifen auf die Leistung zahlreicher Energieerzeugungsanlagen zu. So können sie den Netzbetreibern Flexibilität anbieten. Die Abstimmung von Produktion und Ver- soll sichergestellt werden, dass der Verbund brauch in Echtzeit erfordert eine genaue netzdienlich arbeitet. Beobachtung der angeschlossenen Anla- gen und ihrer Leistung sowie die Berück- Die Entwicklung virtueller Kraftwerke wur- sichtigung von Wetterprognosen. Weil der de bislang vor allem von Start-ups vorange- Verbund von Anlagen ebenso wie einzelne trieben. Bundesweit ist nur eine Handvoll Anlagen witterungsbedingten Schwankun- solcher überregionaler Schwarmkraftwer- gen unterliegt, sind beispielsweise auch ke im Betrieb, allerdings greifen sie auf Speicher und flexible Lasten angeschlos- beachtliche Energiemengen zu: Das 2009 sen. Sie dienen dazu, Unregelmäßigkeiten gegründete Unternehmen Next Kraftwerke bei der Erzeugung abzupuffern und die zum Beispiel hatte im Dezember 2018 nach erforderliche Energiemenge verfügbar zu eigenen Angaben Zugang zu knapp 6.000 halten. Mit diesen Steuerungsmechanismen Megawatt Nennleistung.23 Somit kann der 23 Vgl. Next Kraftwerke: Unser Unternehmen (Online-Dokument). Abrufbar unter: www.next-kraftwerke.de/unternehmen [19.03.2019].
6.1 Virtuelle Kraftwerke 25 virtuelle Verbund, der von Köln aus gesteu- bestehen mit Forschungsprojekten wie ert wird, die Nennleistung von fünf mittle- C/sells, das in Hessen, Baden-Württemberg ren Großkraftwerken zumindest temporär und Bayern erprobt, zellular und regional ersetzen. Flexibilität im Stromnetz zu schaffen. Auch mit Stadtwerken gebe es Formen der Zu- Next Kraftwerke vernetzt knapp 7.000 Er- sammenarbeit, berichtet Schwill. neuerbare-Energien-Anlagen. Es handelt sich um Biogas und Biomasse, Solar-, Wind- Mit den klassischen Privathaushalten als und Wasserkraft, Biomethan und Klärgas, Prosumern arbeitet das Unternehmen bis- Kraft-Wärme-Kopplung und Notstrom-Ag- her nicht zusammen. „Heute lohnt es sich gregate. Rein rechnerisch steuert jede An- erst ab 100 Kilowatt, Flexibilitäten zu integ- lage knapp ein Megawatt bei. „Wir fangen rieren, ansonsten rentiert es sich nicht, die aber tatsächlich bei ungefähr 100 Kilowatt Anlagen anzuschließen“, sagt der Gründer. an und enden bei 20, 30 Megawatt Anla- Dies könnte sich künftig ändern – vorausge- genleistung“, sagt Co-Gründer und Ge- setzt, die Flexibilität ist dann über angebots- schäftsführer Jochen Schwill. „Dann vernet- orientierte Stromtarife mehr wert als heute. zen wir sie zur Bereitstellung von Flexibilität für den Strommarkt.“24 Es gibt auch Plattformen, die ebenfalls Pooling-Modelle betreiben, sich damit Next Kraftwerke überwacht, koordiniert aber speziell an Prosumer-Haushalte rich- und steuert über ein Leitsystem die einzel- ten. Virtuelle Kraftwerke bieten ihnen Ver- nen Anlagen individuell und nach Bedarf: marktungsmöglichkeiten, die unter Um- „Wenn ich Anlagen drossele, verliere ich ständen rentabel für sie sein können. Seit Strom. Aber der Biogasanlage kann ich sa- 2015 stellt beispielsweise das Unterneh- gen: Erzeuge den Strom später, wenn die men Sonnen mit Hauptsitz im bayerischen Windfront vorbei ist“, erklärt Schwill. So ent- Wildpoldsried, ein Hersteller von Strom- stehe im Zusammenspiel Flexibilität. speichern vor allem für Privathaushalte mit Photovoltaikanlagen, seinen Kunden auch Next Kraftwerke verkauft den Übertragungs- eine Plattform als Stromerzeugergemein- netzbetreibern also Energie nach Bedarf. schaft bereit. Bei Netzengpässen, wenn eine Überlastung der Leitung droht, sind Redispatch-Maßnah- Über eine Sharing-Plattform sind die Mit- men zur Steuerung des Lastflusses üblich. glieder des Netzwerks und ihre Energie- Dabei kann es sich um kurzfristige Zu- oder anlagen und Speicher miteinander ver- Abschaltungen von Kraftwerkskapazitäten bunden. Verbraucht ein Haushalt den handeln. Ein konventionelles Kraftwerk selbst gewonnenen Strom nicht, kann er hochzufahren ist jedoch sehr teuer. „Oft Überschüsse innerhalb der Gemeinschaft sind diese Dinge in Verträgen zwischen verkaufen – zum Beispiel aus Bayern nach Großkraftwerken und Übertragungsnetzbe- Hamburg, wo es möglicherweise gerade treibern geregelt, doch auch da können wir bewölkt ist und deshalb kein Strom gewon- helfen“, resümiert Schwill. nen werden kann. Unternehmensangaben zufolge kann die Gemeinschaft von Strom- Energieerzeugende Partner sind vor allem produzenten die bisherigen Stromversor- andere Unternehmen: Industriebetriebe ger der Mitglieder vollständig ersetzen.25 oder Landwirte, die inzwischen auch im 160.000 Menschen würden so bereits mit Energiebereich tätig sind. Kooperationen Energie versorgt. Das Unternehmen nutzt 24 Jochen Schwill in seinem Vortrag auf dem Faktencheck Digitalisierung der Energiewende II am 25.10.2018 in Darmstadt. 25 Vgl. Sonnen: Sonnen-Community (Online-Dokument). Abrufbar unter: www.sonnen.de/sonnencommunity/ [30.03.2019].
26 6.2 Regionale Energiemarktplätze den Strom der Mitglieder auch, um dem Kunden können auf regionalen Energie- Übertragungsnetzbetreiber Regelstrom zur marktplätzen sogar zwischen einzelnen An- Verfügung zu stellen. lagenbetreibern wählen. Die angeforderte Menge wird ins Stromnetz eingespeist. Dort Dass auch öffentliche Träger virtuelle Kraft- befindet sich immer ein Strommix, der sich werke betreiben können, zeigt das Beispiel aus unterschiedlichen Quellen zusammen- des Landkreises Ebersberg in Bayern. Dort setzt. Die Konsumenten verbrauchen den haben die Kommunen ein gemeinsames von ihnen bestellten Strom also nicht phy- Stadtwerk auf Landkreis-Ebene gegründet sikalisch, sondern bilanziell. Damit tragen – das Eberwerk. Es betreibt unter anderem sie über die Nachfrage zur Gestaltung der ein virtuelles Kraftwerk, in dem momentan örtlichen Energieproduktion bei. acht Ökostrom-Anlagen aus dem Gebiet des Landkreises gebündelt sind. „Wir haben Wie ein solcher Energiemarktplatz in der vermutlich das kleinste virtuelle Kraftwerk Praxis funktioniert, zeigt das Beispiel der ins Leben gerufen“, sagt Hans Gröbmayr, Wuppertaler Stadtwerke. Der kommunale der als Klimaschutzmanager des Landkrei- Energieversorger bietet Stromkunden über ses sicherstellen soll, dass die Kommunen die Plattform Tal.Markt an, ihren Strommix bei ihrer Energieversorgung bis 2030 ohne prozentual aus einer Liste regionaler Wind-, fossile Quellen auskommen.26 „Momentan Solar-, Wasser- oder Biomasseanlagen zu- sind sechs Biogasanlagen beteiligt, eine sammenzustellen. Die Anteile lassen sich Windenergieanlage und ein Blockheizkraft- immer wieder ändern. Das Angebot rich- werk, aber wir hoffen, dass wir wachsen.“ tete sich zunächst an alle Ökostromkunden Dieser regionale Ökostrom werde als Eber- Wuppertals. strom verkauft. „Wir wollten wissen: Geht das? Und wie geht das?“ erklärt Elmar Thyen, Pressesprecher 6.2 Regionale des Energieversorgers, die Motivation des Unternehmens zur Entwicklung des Markt- Energiemarkt- modells.27 Auch die Versorgungssicherheit sei eine wichtige Triebfeder gewesen: Vie- plätze len Windrädern droht ab 2021 die Abschal- tung, weil dann ihre Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz ausläuft. Fin- Während virtuelle Kraftwerke den Austausch det sich für sie keine andere Möglichkeit von Strom über weite räumliche Distanzen des rentablen Betriebs, geht ihre Leistung hinweg koordinieren, verfolgen regiona- dem Strommarkt verloren. Mit einem Mo- le Energiemarktplätze das Ziel, den Strom dell wie Tal.Markt könnten Windenergiean- dort zu verkaufen, wo er produziert wird: lagen auch ohne die Förderung wirtschaft- vor Ort. Hier erfolgt der Verkauf der Energie lich betrieben werden, so Thyen. nicht gebündelt, sondern direkt zwischen Erzeuger und Konsumenten. Zielgruppe ist Damit der Stromhandel über die Plattform der Endkunde, nicht der Netzbetreiber. Zu- funktioniert, hat der Energieversorger so- gleich bieten diese Modelle Konsumenten wohl Kunden als auch Erzeuger mit einem die Möglichkeit, auf die regionale Strom- Smart Meter, also mit einem digitalen Zäh- produktion Einfluss zu nehmen – und damit ler mit Datenschnittstelle, ausgestattet. Die darauf, ob die Energie aus erneuerbaren Kunden haben damit Transparenz über ihre Quellen stammt oder nicht. Verbrauchskurven. Wenn sie beispielsweise 26 Hans Gröbmayr in einer Podiumsdiskussion auf dem Faktencheck Digitalisierung der Energiewende II am 25.10.2018 in Darmstadt. 27 Elmar Thyen in seinem Impulsvortrag auf dem Faktencheck Digitalisierung der Energiewende II am 25.10.2018 in Darmstadt.
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