IN DIE KRISE GERATENE ENERGIELIEFERANTEN - MS SICHER BILLIG ENERGIE - ENERGIE - VZBV
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ENERGIE MS-SICHER-BIL LIG-ENERGIE IN DIE KRISE GERATENE ENERGIELIEFERANTEN Eine Untersuchung des Marktwächters Energie – Dezember 2019
VORWORT Dieser Bericht wurde im Rahmen des Projekts Markt- wächter Energie der Verbraucherzentralen und des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e. V. verfasst, dessen Mittelbewilligung durch das Bundesminis- terium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) sich über den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 31. Dezember 2019 erstreckte. Beteiligte Verbraucherzentralen: • Hamburg • Sachsen-Anhalt • Baden-Württemberg
Inhalt | 3 INHALT ABBILDUNGSVERZEICHNIS 5 1. ZUSAMMENFASSUNG 6 2. EINLEITUNG 7 3. METHODISCHES VORGEHEN 10 3.1. Sektoranalyse 10 3.2. Online-Umfragen 10 3.2.1. Umfrage unter Beratungskräften der Verbraucherzentralen 11 3.2.2. Umfrage unter Wechseldienstleistern 11 3.3. Auswertung des Frühwarnnetzwerks 13 3.4. Experten-Interviews 13 4. AUSWERTUNG DER ONLINE-UMFRAGEN 16 4.1. Auswertung Online-Umfrage Rechtsberater der Verbraucherzentralen 16 4.1.1. Aufstellung möglicher Vorgehensweisen 16 4.1.2. Ranking der „TOP-5“-Vorgehensweisen 16 4.1.3. Chancen der Verbraucher 18 4.1.4. Verbesserungsvorschläge für Position 1 (verzögerte Auszahlung bestehendes Guthaben) 19 4.1.5. Verbesserungsvorschläge für Position 2 (verzögerte Bonuszahlungen) 19 4.1.6. Verbesserungsvorschläge Position 3 (verzögerte Berechnung von Guthaben) 20 4.1.7. Verbesserungsvorschläge Position 4 (Abschlagserhöhungen) 20 4.1.8. Verbesserungsvorschläge Position 5 (verzögerte Jahresrechnung) 20 4.1.9. Allgemeine Fragen an alle Berater 21 4.2. Fazit Auswertung Umfrage Rechtsberater der Verbraucherzentralen 22 4.3. Auswertung Online-Umfrage Wechseldienstleister 23 4.3.1. Bewertungen der gelisteten Energielieferanten 23 4.3.2. Einzelne Bewertungsfaktoren 23 4.3.3. Informationsweitergabe an Verbraucher vor Vertragsschluss 24 4.3.4. Anzeichen einer Krise 26 4.3.5. Maßnahmen zum Schutz der Kunden 26 4.3.6. Weitere Anregungen zum Thema Krise und/oder Insolvenzen von Energielieferanten 26 4.4. Fazit Auswertung Umfrage Wechseldienstleister 27 5. FALLSTUDIEN: BEV UND E:VEEN 28 5.1. Auswertung Fallbeschwerden BEV 29 5.1.1. Preiserhöhung 29 5.1.2. Kontakt zum Unternehmen 30 5.1.3. Bonus 31 5.1.4. Guthaben 31 5.1.5. Jahres- und Schlussrechnungen 32
4 | Inhalt 5.2. Auswertung Fallbeschwerden e:veen 32 5.2.1. Untergeschobener Vertrag 32 5.2.2. Guthaben 33 5.2.3. Jahres- und Schlussrechnung 33 5.2.4. Abschläge 34 5.2.5. Kontakt 34 5.3. Fazit Auswertung BEV und e:veen 34 6. GEGENÜBERSTELLUNG DER ERGEBNISSE AUS DEN ONLINE-UMFRAGEN UND FALLSTUDIEN 36 7. AUSWERTUNG EXPERTEN-INTERVIEWS 37 7.1. Auswertung: Bundesnetzagentur 37 7.1.1. Krisenanzeichen von Energielieferanten 37 7.1.2. Beschwerden und aggressive Preisstrategien als mögliche Anzeichen einer Insolvenz? 38 7.1.3. Verbraucherschutz im Fall einer möglichen Krise 38 7.2. Fazit Experten-Interview mit der Bundesnetzagentur 39 7.3. Auswertung: Vergleichsportale 40 7.3.1. Experten-Interview CHECK24 40 7.3.2. Online-Recherche Verivox 43 7.4. Fazit Experten-Interview CHECK24 sowie Online-Recherche Verivox 44 8. SCHLUSSBETRACHTUNG 45 9. LITERATURVERZEICHNIS 47
Abbildungsverzeichnis | 5 ABBILDUNGSVERZEICHNIS 1 Der Strompreis für Haushalte (in Euro-Cent pro Kilowattstunde und Anteile in Prozent) für die Jahre 2006 bis 2019 (Quelle: BDEW Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft e. V.) 8 2 Online-Umfrage Rechtsberater – Ranking der Anzeichen einer Unternehmenskrise anhand der Vorgehensweise 16 3 Online-Umfrage Rechtsberater – Einstufung der Verbraucherchancen sich gegen Vorgehsweisen zu wehren 18 4 Online-Umfrage Wechseldienstleister – Bewertungsfaktoren 24 5 Online-Umfrage Wechseldienstleister – Anzeichen für eine kritische Situation beim Energielieferanten 25
6 | Zusammenfassung 1. ZUSAMMENFASSUNG Mit Teldafax, FlexStrom, Care-Energy, Bayerische Ener- haben werden verzögert oder gar nicht erstellt, gieversorgungsgesellschaft mbH, e:veen Energie eG, • bestehende Guthaben des Kunden werden (trotz energycoop eG haben in der letzten Zeit bereits einige mehrfachen Anmahnens durch Verbraucher) Energielieferanten einen Antrag auf Eröffnung des In- nicht ausgezahlt, solvenzverfahrens stellen müssen. Verbraucherinnen • der Energielieferant ist telefonisch und schriftlich und Verbraucher 1 verlieren im Insolvenzfall oft Geld, da nur schwer zu erreichen, Beschwerden werden Boni oder Guthaben nicht mehr oder nur noch zu gerin- ausgesessen, ignoriert, gen Anteilen ausgezahlt werden. Auch die Chance auf • es werden (unwirksame) versteckte Preiserhö- eine spätere Erstattung ist gering und erfordert einen hungen vorgenommen. langen Atem von den betroffenen Verbrauchern. Häufig geht einer Insolvenz eine Unternehmenskrise voraus. Von außen betrachtet2 kann aber aus einzelnen Vorge- Aber gibt es bestimmte Vorgehensweisen, an denen hensweisen kein zuverlässiger Rückschluss auf eine Verbraucher eine Krise des Unternehmens erkennen Krise gezogen werden, da sich hierunter auch (tech- können? nische) Probleme im Unternehmensablauf verbergen könnten. Die oben angeführten Vorgehensweisen müs- Die vorliegende Untersuchung des Marktwächters sen daher nicht zwingend auf eine Krise hinweisen. Energie (EMW) der Verbraucherzentralen und des vzbv kommt zum Ergebnis, dass es keine eindeutige bezie- Aus den Untersuchungsergebnissen des EMW lässt hungsweise singuläre Vorgehensweise von Energielie- sich aber ableiten, dass ein gleichzeitiges Auftreten feranten gibt, anhand derer Verbraucher eine Krise mit von mehreren der oben angeführten Vorgehensweisen an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausma- ein Indikator für eine Krise eines Energielieferanten chen können. Jeder Krisenverlauf und die zur Abwen- sein könnte. Gerade das gleichzeitige Auftreten von dung der Krise eingeleiteten Maßnahmen können sich Vorgehensweisen, die monetäre Aspekte aufweisen unterscheiden. – also Verbraucher infolge der Vorgehensweisen der Unternehmen Gelder nicht oder verzögert ausgezahlt Verbraucher, die von einer Krise bedrohte Anbieter bekommen – kann ein Krisenindikator sein. meiden möchten, sollten Kundenbewertungen und In- formationen zum Anbieter insbesondere auf das Vor- Diesbezüglich relevante Informationen über Anbieter liegen der folgenden Vorgehensweisen hin überprüfen: und deren Kundenverhalten können Verbraucher unter anderem bei den Verbraucherzentralen, dem Bund der • Verbrauchern wird am Telefon oder an der Haus- Energieverbraucher, auf den Internetseiten von Wech- tür ein Vertrag untergeschoben, seldienstleistern sowie aus den Nutzerbewertungen • Abschlagserhöhungen werden in der laufenden der Vermittlungsportale erhalten. Abrechnungsperiode eingefordert, obwohl zum Beispiel der Strom- und/oder Gaszähler nicht Konkrete Handlungsempfehlungen für Verbraucher so- abgelesen wurde, wie Antworten auf häufige Fragen und praktische Tipps • vereinbarte Boni des Kunden werden (trotz mehr- zu dem Thema finden sich unter www.verbraucherzent- fachen Anmahnens durch Verbraucher) nicht rale.de. Auch alle bundesweiten Beratungsstellen sind ausgezahlt, dort verzeichnet. • Jahres- und Schlussrechnungen werden nicht fristgerecht erstellt, • Jahresabrechnungen mit (voraussichtlichem) Gut- 1 Die im weiteren Text gewählte männliche Form bezieht sich immer zu- gleich auf Personen aller Geschlechter. Wir bitten um Verständnis für 2 „Von außen betrachtet“ meint hier und im Folgenden unternehmens den weitgehenden Verzicht auf Mehrfachbezeichnungen zugunsten extern, d. h. aus der Sicht von Dritten, die keinen direkten Einblick in einer besseren Lesbarkeit des Texts. die internen Unternehmensabläufe haben.
Einleitung | 7 2. EINLEITUNG Vor mehr als 20 Jahren wurden die Energieversorger- nen.10 Auf diesen werben Anbieter Neukunden häufig monopole abgeschafft, seitdem existiert in Deutsch- mit Rabatten und (Neukunden-)Boni.11 Durch diese ver- land ein liberalisierter Strom- und Gasmarkt. Energie- günstigten Angebote gelingt es ihnen, auf den vorde- versorgungsunternehmen erwirtschaften ihre Gewinne ren Plätzen der Portale zu landen, da diese in der Regel üblicherweise mit der Erzeugung von und dem Handel nach dem Preis ranken. Gerade die günstigen Tarife mit Energie, mit ihren Netzen und mit ihrem Servicege- sind im Fokus der wechselwilligen Verbraucher. Denn schäft. Dabei wird der Energiemarkt von wenigen gro- der Preis ist immer noch das Hauptauswahlkriterium ßen Unternehmen dominiert. Der übrige Teil ist stark beim Versorgerwechsel, wobei der Kundenservice zu- fragmentiert und überwiegend durch kommunale und nehmend an Bedeutung gewinnt.12 städtische Energieversorgungsunternehmen geprägt.3 Der Strompreis für Privatverbraucher verharrte in Im Zuge der Energiewende und der Neuausrichtung der den letzten dreizehn Jahren allerdings auf einem ho- Energiewirtschaft hat die Kreditwürdigkeit vieler deut- hen Preisniveau, wie Abb. 1 zeigt.13 scher Energieversorgungsunternehmen abgenommen. Rund 20 Prozent der Unternehmen verfügen (Stand: Mitursächlich für die hohen Strompreise sind die Ent- 2018) nicht über eine sehr gute oder gute Bonität.4 wicklungen von Steuern, Abgaben und Umlagen, die Der Gewinn5 dieser Unternehmen hat sich im letzten private Verbraucher zusätzlich zum eigentlichen Strom- Jahrzehnt von durchschnittlich 20 Prozent auf sechs preis zahlen müssen. Die Stromversorger haben dabei Prozent verringert. Zudem wird der Verschuldungsgrad einen eher geringen Einfluss auf den Preis des Stroms, vieler Versorger als beunruhigend hoch eingeschätzt.6 den sie liefern. Denn knapp 80 Prozent des Stromprei- ses machen Steuern, Abgaben, Umlagen oder Netzent- Neben der im Zuge der Energiewende erfolgten Abkehr gelte aus, die der Versorger an den Staat oder die von fossilen Energieträgern und dem Trend zu nachhal- Netzbetreiber weitergeben muss. Das heißt, die Stro- tiger Energieversorgung werden als Ursache für diese manbieter können lediglich rund 20 Prozent des Strom- Entwicklung auch die veränderten Kundengewohn- preises durch Energiebeschaffung, Vertrieb und Marge heiten gesehen.7 So ermöglicht zum Beispiel die fort- aktiv beeinflussen.15 schreitende Digitalisierung Kunden zum Ende der Ver- 10 So wurden im Jahreszeitraum 2016 bis Oktober 2017 ca. 3,5 Mio. Ener- tragslaufzeit mithilfe von Online-Diensten schnell den gieverträge (Strom und Gas) über Vergleichsportale vermittelt, vgl. Anbieter zu wechseln. Dabei können sie unter einer Bundeskartellamt (2019): Sektoruntersuchung Vergleichsportale. Er- Vielzahl von Anbietern wählen.8 schienen im April 2019. S. 24. 11 Ob sich Bonus-Tarife für Verbraucher finanziell rentieren, sie ausrei- chend über die Bedingungen der Inanspruchnahme des Bonus infor- Bei der Suche nach einem geeigneten Energieanbieter miert werden, sowie das Verhalten von Energieversorgungsunterneh- greifen Verbraucher auch auf Wechseldienstleister und men nach Vertragsschluss hat der EMW in einer weiteren vertiefenden Marktanalyse untersucht, vgl. Marktwächter Energie (2019): Bonusta- Vergleichsportale zurück. Über diesen Weg wird fast rife auf dem Energiemarkt. Veröffentlichung für Dezember 2019 ge- jeder vierte Energieversorgungsvertrag von Haushalts- plant. 12 Kreutzer Consulting GmbH (2019): Vertriebskanalstudie Energie 2019. kunden abgeschlossen.9 Für Energieanbieter scheint In: Onvista Mein Finanzportal. Erschienen am 17.07.2019. URL: https:// sich der Vertrieb über Vergleichsportale daher zu loh- www.onvista.de/news/ots-kreutzer-consulting-gmbh-insolvenzwelle- bei-energieversorgern-fuehrt-255665747; Abruf am 14.08.2019. 3 Vgl. Henzelmann (2018): Energiewirtschaft, Neue Geschäftsmodelle 13 Die Entwicklung der durchschnittlichen Gaspreise wird von der Bun- gesucht. In: Sturmtief voraus? Wo Unternehmen trotz guter Konjunktur desnetzagentur in den letzten Jahren als stabil eingestuft, vgl. Bun- mit sektoralen Krisen rechnen müssen, Roland Berger Focus. desnetzagentur (2019): Monitoringbericht 2018. S. 448. 4 Vgl. Henzelmann (2018). 14 BDEW Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft e. V (2019): 5 EBITDA-Marge (Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen). Strompreis für Haushalte. In: BDEW-Strompreisanalyse Juli 2019: 6 Vgl. Henzelmann (2018). Haushalte und Industrie. URL: https://www.bdew.de/media/docu- 7 Ebd. ments/190723_BDEW-Strompreisanalyse_Juli-2019.pdf; Abruf am 8 Im bundesweiten Durchschnitt können Haushaltskunden in ihrem 25.10.2019. Netzgebiet zwischen 98 Gaslieferanten und 124 Stromlieferanten wäh- 15 Die Entwicklung der durchschnittlichen Gaspreise wird von der Bun- len, vgl. Bundesnetzagentur (2019): Monitoringbericht 2018. S. 9, 335. desnetzagentur in den letzten Jahren als stabil eingestuft, vgl. Bun- 9 Bundesnetzagentur (2019): Monitoringbericht 2018. S. 478. desnetzagentur (2019): Monitoringbericht 2018. S. 279.
8 | Einleitung 1 DER STROMPREIS FÜR HAUSHALTE (IN EURO-CENT PRO KILOWATTSTUNDE UND ANTEILE IN PROZENT) FÜR DIE JAHRE 2006 BIS 2019 (QUELLE: BDEW BUNDESVER- BAND DER ENERGIE UND WASSERWIRTSCHAFT E. V.)14 Der harte Kampf um Marktanteile führte schon bei ei- Erstattung ist gering und erfordert einen langen Atem nigen Anbietern zu finanziellen Schwierigkeiten. Mit von den betroffenen Verbrauchern.17 Teldafax, FlexStrom, Care-Energy, Bayerische Ener- gieversorgungsgesellschaft mbH, e:veen Energie eG, Um sich vor den finanziellen Folgen einer Insolvenz energycoop eG haben in der letzten Zeit einige Energie- eines Energielieferanten zu schützen, sollten Verbrau- lieferanten einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenz- cher krisenbedrohte Anbieter meiden. Doch kann eine verfahrens16 stellen müssen. Für Verbraucher kann die Krise18 beim Energielieferanten von außen, das heißt Insolvenz des Energieversorgungsunternehmens mit fi- nanziellen Einbußen verbunden sein, da Boni oder Gut- 17 Bei der Insolvenz des Anbieters Teldafax hatte insbesondere die Bezahlung per Vorkasse zu erheblichen Verlusten bei Verbrauchern haben nicht mehr oder nur noch zu geringen Anteilen geführt. Dies hatte anschließend Änderungen auf den Seiten der Ver- ausgezahlt werden. Auch die Chance auf eine spätere gleichsportale zur Folge. Vorauskasse und Kautionen sind seitdem nicht mehr voreingestellt, vgl. Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfa- len (2018): 20 Jahre Strommarkt. Erschienen im Mai 2018. URL: https: //www.verbraucherzentrale.nrw/sites/default/files/2018-05/20-Jah- re-Strommarkt.pdf; Abruf am 22.10.2019. 18 Der Begriff Krise ist nicht legal definiert. Laut Duden ist hierunter eine schwierige Lage, Situation, Zeit (die den Höhe- und Wendepunkt ei- 16 Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger eines Schuldners ner gefährlichen Entwicklung darstellt) zu verstehen. Eine Unterneh- zu befriedigen, indem das gesamte Vermögen verwertet und der Erlös menskrise liegt vor, wenn das Unternehmen auf der Kippe steht: ent- verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung ins- weder noch unbemerkt, bereits absehbar oder ganz akut. Dabei wird besondere zum Erhalt des Unternehmens (Veräußerung, Sanierung) zwischen Strategie-, Erfolgs- und Liquiditätskrisen unterschieden. Ein getroffen wird. Allgemeiner Grund zur Eröffnung ist die Zahlungsun- Instrument für die schnelle Selbstdiagnose von Unternehmen ist die fähigkeit, beim Antrag des Schuldners auch die drohende Zahlungs- sogenannte Früherkennungstreppe. Sie soll dem Unternehmen bei unfähigkeit, d.h. wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage der Ermittlung des individuell dringendsten Handlungsbedarfs unter- sein wird, die bestehenden Zahlungsverpflichtungen im Zeitpunkt ih- stützen, vgl. BMWI (2019): Gründer Zeiten 13 – Krisenmanagement. rer Fälligkeit zu erfüllen, Groh in Creifelds kompakt Rechtswörterbuch. Erschienen im Juli 2019.
Einleitung | 9 von Verbrauchern, erkannt werden? Und falls ja, an wel- chen Merkmalen und Vorgehensweisen ließe sich die Krise gegebenenfalls festmachen? Die vertiefende Marktanalyse des EMW hat das Ziel, einen ersten Einblick in das Thema zu gewähren und ist als Diskussionsanstoß innerhalb dieses umfang- reichen Themenkomplexes zu verstehen. Es wird da- her ausdrücklich kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben: Eine Berechnung des volkswirtschaftlichen Schadens, der von in Krisen geratenen Energieliefe- ranten verursacht wird, erfolgt nicht. Ebenso nimmt die Untersuchung ausschließlich die Problemlage auf dem Strom- und Gasmarkt in den Blick. Aspekte, die sich aus einer Krise ergeben können, zum Beispiel eine spätere Insolvenz des Energielieferanten und die damit einhergehenden rechtlichen Probleme, sind ebenfalls nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Mithilfe der vom Marktwächter Energie der Verbrau- cherzentralen und des vzbv bereitgestellten Informati- onen sollen Verbraucher vielmehr für mögliche Anzei- chen einer Krise des Energielieferanten sensibilisiert werden. Die Informationen können Verbraucher auch dabei unterstützen, seriöse von unseriösen Anbietern zu unterscheiden. Des Weiteren sollen die gewonnenen Erkenntnisse an Politik und Aufsichtsbehörden weitergegeben werden. Gegebenenfalls kann somit auch ein Dialog zwischen allen Beteiligten – auch unter Einbeziehung der Ener- gielieferanten sowie der Vergleichs- und Wechselpor- tale – angestoßen werden.
10 | Methodisches Vorgehen 3. METHODISCHES VORGEHEN Um zu erfahren, woran Verbraucher eine sich an- 3.2. ONLINE-UMFRAGEN bahnende Krise eines Energielieferanten erkennen können, wählte der EMW ein mehrstufiges Untersu- Ein Teil der Empirie zur vorliegenden Untersuchung chungsdesign. Zum einen wurden Online-Umfragen basiert auf Online-Umfragen unter zwei für das Un- unter Rechtsberatern der Verbraucherzentralen und tersuchungsthema relevanten Akteursgruppen: Bera- unter Wechseldienstleistern durchgeführt. Dabei soll- tungskräfte der Verbraucherzentralen sowie Anbieter ten Erkenntnisse über mögliche Krisenindikatoren von Wechseldienstleistungen auf dem Strom- und Gas- aus der Perspektive beider Akteursgruppen ermittelt markt – im Folgenden „Wechseldienstleister“ genannt. werden. Zum anderen wurden die ins Frühwarnnetz- werk der Marktwächter gemeldeten Verbraucherbe- 3.2.1. Umfrage unter Beratungskräften der schwerden über Anbieter, die kürzlich einen Antrag Verbraucherzentralen auf Eröffnung des Insolvenzverfahren gestellt ha- ben, exemplarisch ausgewertet. Dies betraf die An- Beratungskräfte in den Verbraucherzentralen der bieter Bayerische Energieversorgungsgesellschaft Bundesländer kommen im Rahmen der Verbraucher- mbH (BEV) und die e:veen Energie eG (e:veen).19 beratung regelmäßig mit dem Thema „Krisen von Un- Die Auswertung von Fallbeispielen erfolgte, um mög- ternehmen“ in Berührung. Um die dabei gesammelte liche Muster und Indikatoren in der Vorgehensweise Erfahrung und Expertise in diese Untersuchung ein- aufzudecken. Schließlich wurden Experten-Inter- fließen zu lassen, wurde mithilfe des Umfragetools views mit Vertretern der Bundesnetzagentur und der LimeSurvey eine Online-Umfrage durchgeführt, an der CHECK24 Vergleichsportal Energie GmbH (CHECK24) sich potenziell alle Beratungskräfte der Verbraucher- durchgeführt. Im Fokus dieser Interviews stand unter zentralen (Grundgesamtheit) beteiligen konnten. Für anderem, wie diese Akteure den Begriff Krise definie- die Teilnahme wurde an die Vorstände und Geschäfts- ren, ab wann Maßnahmen zum Schutz von Verbrau- führer der 16 Verbraucherzentralen ein Befragungslink chern eingeleitet und welche konkreten Maßnahmen zur Weiterleitung an die Beratungskräfte versandt. dabei veranlasst werden. Im Zeitraum vom 24.06.2019 bis 01.08.2019 haben 3.1. SEKTORANALYSE insgesamt 92 Beratungskräfte aus 13 Verbraucherzent- ralen an der Umfrage teilgenommen und den Fragebo- Im Vorfeld der Untersuchungen führte der EMW eine so- gen komplett beantwortet. genannte Sektoranalyse20 durch. Hierbei wurden aus- schließlich Informationen berücksichtigt, die frei über das Internet verfügbar waren. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse flossen in die Formulierung der Umfra- gen, in die Experten-Interviews sowie in die Gesamt- auswertung mit ein. 19 Zum Zeitpunkt der Insolvenzen von Teldafax, FlexStrom und Care-Ener- gy war der EMW und damit auch das Frühwarnnetzwerk noch nicht ak- tiv. Zu diesen und weiteren Anbietern – die einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahren gestellt haben – lagen keine oder nicht aus- reichende Fallbeispiele von Verbraucherbeschwerden vor, um diese entsprechend den Vorgaben des Untersuchungsdesigns berücksich- tigen zu können. Die exemplarische Fallauswertung konzentrierte sich daher auf die Anbieter e:veen und BEV. 20 Zusammenfassung bekannter Ergebnisse über ein Thema, die vor allem auf publizierten Berichten basiert, aber auch weiterführende Informationen ( z. B. Gespräche mit relevanten Akteuren für das Thema) einbezieht.
Methodisches Vorgehen | 11 getreten. Die Dienstleistung von Wechseldienstleis- METHODENSTECKBRIEF tern besteht darin, Verbraucher bei der Auswahl eines neuen Energielieferanten zu unterstützen und dabei – falls gewünscht – den Wechselprozess vollständig zu Untersuchungsmethode: übernehmen. Dabei bieten die Dienstleister auch Pa- Online-Umfrage kete an, bei denen die Preise der Energielieferanten langfristig überwacht und bei Bedarf Anbieterwechsel Vorgehen: vorgeschlagen und/oder eingeleitet werden, um so die Online-Befragung mithilfe eines standardi- Preise für die Kunden kontinuierlich zu optimieren. sierten Fragebogens über das Befragungstool LimeSurvey; Versand eines offenen Teilnah- melinks per E-Mail an die 16 Vorstände und METHODENSTECKBRIEF Geschäftsführer der Verbraucherzentralen mit Bitte um Weiterleitung an die Energierechts- beziehungsweise Rechtsberater Untersuchungsmethode: Online-Umfrage unter Wechseldienstleistern Erhebungszeitraum: 24.06.2019 bis 01.08.2019 Vorgehen: Online-Befragung mithilfe eines standardi- Grundgesamtheit: sierten Fragebogens über das Befragungstool Beratungskräfte der Verbraucherzentralen LimeSurvey; Versand eines offenen Teilnahme- links per E-Mail Nettostichprobe: 92 Beratungskräfte aus 13 Verbraucherzentralen Erhebungszeitraum: 24.06.2019 bis 01.08.2019 Grundgesamtheit: Relevante Wechseldienstleister mit Bezug zum Von diesen 92 Beratungskräften haben 78 bei der Ein- Energiemarkt stiegsfrage angegeben, (auch) zum Energierecht zu be- raten. 13 Beratungskräfte haben dies verneint, in einem Nettostichprobe: Fall wurde hierzu keine Angabe gemacht. Bestimmte 9 Wechseldienstleister Fragen der Online-Umfrage richteten sich nur an die 78 Energierechtsberater, da diese einen spezifischen Bezug zum Energiemarkt haben. Von Interesse waren aber auch die Einschätzungen und Erfahrungen der Beratungskräfte aus anderen Marktbereichen. Einige Um das Vorgehen dieser Dienstleister in solchen Fällen Fragestellungen richteten sich daher sowohl an Ener- näher zu beleuchten, wurde unter Verwendung des Umfra- gierechtsberater als auch an jene Verbraucherberater, getools LimeSurvey eine Online-Umfrage durchgeführt. die keinen Beratungsschwerpunkt im Energierecht an- Im Vorfeld wurden relevante Teilnehmer identifiziert, gegeben hatten. die für einen Erfahrungsaustausch in Betracht kommen könnten. Bei der Auswahl wurde nicht das Ziel verfolgt, 3.2.2. Umfrage unter Wechseldienst alle am Markt tätigen Wechseldienstleister zu ermit- leistern teln und zu befragen. Zur Ermittlung relevanter Anbie- ter erfolgte im April 2019 eine Internetrecherche. Die Online-Wechseldienstleister bieten eine Schnittstel- Ergebnisse wurden mit den Unternehmenslisten der lenfunktion zwischen Verbrauchern und Anbietern jüngsten Untersuchungen des niedersächsischen Lan- an. In jüngerer Vergangenheit sind diese als weiterer Marktteilnehmer auf dem Energiemarkt in Erscheinung
12 | Methodisches Vorgehen desmarktwächters Energie21 und der Stiftung Waren- Rückschluss auf die Häufigkeit des Vorkommens in der test22 abgeglichen. Insgesamt wurden so 13 potenzielle Verbraucherberatung oder in der Gesamtbevölkerung Teilnehmer (beziehungsweise die dortigen Ansprech- insgesamt ist nicht möglich. Anhand der Beschwerden partner) ermittelt und ab Ende Juni 2019 per E-Mail lassen sich typische Verbraucherprobleme allerdings zur Teilnahme an der Online-Umfrage (offener Teilnah- gut erläutern und mit konkreten Fallbeispielen unter- melink) eingeladen. Im Zeitraum vom 24.06.2019 bis mauern. 01.08.2019 haben 9 dieser 13 Wechseldienstleister an der Umfrage teilgenommen und den Fragebogen komplett In der jüngeren Vergangenheit haben die Anbieter Bay- beantwortet, was einer Rücklaufquote von 70 Prozent23 erische Energieversorgungsgesellschaft mbH (BEV) und entspricht. e:veen Energie eG (e:veen) einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahren gestellt. Zu beiden Anbietern Sechs dieser Anbieter machten von der freiwilligen erreichten den EMW auch Verbraucherbeschwerden. Nennung des Unternehmensnamens Gebrauch: Ener- Um mögliche Muster in der Vorgehensweise aufzu gyhopper, Stromauskunft.de, SwitchUp.de, Wechselfa- decken, wurden daher die in das Frühwarnnetzwerk ge- brik GbR, Wechselpilot GmbH, WECHSELSTROM (www. meldeten Verbraucherbeschwerden über diese beiden wechselstrom-ac.de). Die befragten Wechseldienstleis- Anbieter exemplarisch ausgewertet. Hierfür wurden die ter betreuen nach eigenen Angaben eine Kundenanzahl Verbraucherbeschwerden zuvor entwickelten Kategori- von 250 bis zu 10.000 Kunden. Die Angaben und Aus- en zugeordnet. Auf diese Kategorien wird später noch sagen der einzelnen Dienstleister wurden aggregiert genauer eingegangen. und anonymisiert ausgewertet. 3.3. AUSWERTUNG DES FRÜHWARN NETZWERKS Beim Frühwarnnetzwerk handelt es sich um ein quali- tatives Erfassungs- und Analysesystem für auffällige24 Sachverhalte aus der Verbraucherberatung. Grundlage stellt eine ausführliche Sachverhaltsschilderung durch die Beratungskräfte der Verbraucherzentralen dar, die eine Kategorisierung sowie eine anschließende quali- tative Analyse ermöglicht. Zudem werden die von den Verbrauchern über das online zugängliche Marktwäch- terformular (www.marktwaechter.de) eingegangenen Beschwerden ausgewertet, wobei die relevanten Fäl- le in das Frühwarnnetzwerk einfließen. Eine Quanti- fizierung der Daten, die aus dem Frühwarnnetzwerk stammen beziehungsweise ein darauf basierender 21 Landesmarktwächter Energie (2018): Wechseln lassen statt selber wechseln. Erschienen am 17.05.2018. URL: https://www.marktwaech- ter-energie.de/wp-content/uploads/2018/05/Untersuchungsbe- richt_Wechselservices.pdf; Abruf am 27.09.2019. 22 Finanztest 04/2019 S. 67 ff. 23 Vor dem Hintergrund der niedrigen Fallzahlen wird die Rücklaufquote hier lediglich zu Informationszwecken aufgeführt. 24 Wann ein Fall als auffällig gilt, wird an verschiedenen Kriterien fest- gemacht: Neuigkeit (z. B. Anbieter, Maschen, Vertriebsmethoden), Rechtsrelevanz (z. B. ungeklärte Rechtslage), Häufigkeit (z. B. Problem bei einem Anbieter in einem kurzen Zeitraum), subjektive Einschät- zung (z. B. besonders „dreiste“ oder ungewöhnliche Fälle), „Dauer- brenner“ (z. B. typische Fälle), hohe Schadenssummen bzw. hohe Anzahl betroffener Verbraucher sowie Zielgruppenthemen (z. B. Be- troffenheit, Ausschluss oder Ausnutzung be-stimmter Zielgruppen).
Methodisches Vorgehen | 13 Hintergrundinformationen zur Arbeitsweise und zu METHODENSTECKBRIEF Erfahrungswerten der Interviewpartner ab. Untersuchungsmethode: METHODENSTECKBRIEF Auswertung des Frühwarnnetzwerks Vorgehen: Untersuchungsmethode: Sichtung und inhaltliche Analyse sämtlicher Experten-Interviews Fallbeschreibungen, die im Erhebungszeit- raum ins Frühwarnnetzwerk gemeldet wurden Vorgehen: und sich auf die insolventen Anbieter BEV und Leitfadengestützte Einzelinterviews mit Ver- e:veen beziehen tretern des Vergleichsportals CHECK24 und der Bundesnetzagentur, durchgeführt auf telefoni- Erhebungszeitraum: 25 schem Wege (CHECK24) und als Selbstausfüller 22.06.2017 bis 30.04.2019 (BEV) (Bundesnetzagentur) 30.10.2017 bis 30.04.2019 (e:veen) Zeitraum der Interviews Grundgesamtheit: Telefonisches Interview mit Vertretern von Verbraucher, die in einer der bundesweit rund CHECK24: 08.08.2019; Dauer: 30 Minuten 200 Beratungsstellen der Verbraucherzentralen Schriftliches Interview mit Vertretern der Bun- die rechtliche Beratung zur BEV oder zu e:veen in desnetzagentur: Übersendung des Interview- Anspruch nahmen oder die bezüglich dieser bei- leitfadens als Word-Dokument per E-Mail am den Anbieter das Beschwerdeformular auf der 29.07.2019; Erhalt des beantworteten Interview- Internetseite der Marktwächter nutzten leitfadens am 23.08.2019 Betrachtete Fälle: 1.990 (BEV: 1.850 und e:veen: 140) auffällige Fallbeschreibungen aus allen deutschen Bun- desländern, darunter 440 Schilderungen, die CHECK24 wurde aufgrund der hohen Relevanz für Ver- auf Beratungen der Verbraucherzentralen zu- braucher bei der Wahl des Energieversorgers als Inter- rückgehen, und 1.550 Hinweise, die über das Be- viewpartner ausgewählt.26 Das 30-minütige leitfadenge- schwerdeformular auf www.marktwaechter.de stützte Interview mit Mitarbeitern von CHECK24 wurde eingingen am 08.08.2019 durch den EMW auf telefonischem Wege durchgeführt, anschließend transkribiert und anony- misiert ausgewertet – ein Rückschluss auf die teilneh- menden Mitarbeiter ist nicht möglich. Das zweite große Vergleichsportal auf dem deutschen Energiemarkt, die 3.4. EXPERTEN-INTERVIEWS Verivox GmbH (Verivox), wurde ebenfalls für ein telefoni- sches Leitfadeninterview angefragt, stand aber dafür nicht Weitere Erkenntnisse wurden im Rahmen von Ex- zur Verfügung. Die Erkenntnisse zu diesem Vergleichspor- perten-Interviews mit Vertretern der CHECK24 Ver - tal wurden daher über eine Online-Recherche gewonnen. gleichsportal Energie GmbH (CHECK24) und der Bundesnetzagentur gewonnen. Dieser qualitative Die Bundesnetzagentur wurde als Interviewpartner aus- Ansatz zielte insbesondere auf die Ermittlung von gewählt, da sie als oberste deutsche Regulierungsbehör- 25 Die Erhebungszeiträume decken bei beiden Anbietern die Zeitspan- 26 CHECK24 und Verivox dominieren den Markt über die Vermittlung von ne von der jüngsten bis zur ältesten eingegangenen Beschwerde ab Strom- und Gaslieferverträgen über Vergleichsportale. Bundeskartell- (Stand 30.04.2019). Da diese Zeitspannen nicht deckungsgleich sind, amt (2019): Sektoruntersuchung Vergleichsportale. Erschienen im unter-scheiden sich auch die Erhebungszeiträume. April 2019. S. 24.
14 | Methodisches Vorgehen de für die Aufrechterhaltung und Förderung des Wettbe- werbs auf dem Strom- und Gasmarkt zuständig ist. Zur Durchsetzung der Regulierungsziele ist die Bundesnetz- agentur mit Informations- und Untersuchungsrechten27 sowie abgestuften Sanktionsmöglichkeiten ausgestattet worden. Im Strom- und Gasmarkt sind diese Befugnisse im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) normiert. Das Exper- ten-Interview wurde auf Wunsch der Bundesnetzagentur in schriftlicher Form durchgeführt. Hierfür wurde an die zuständige Mitarbeiterin der Bundesnetzagentur ein In- terviewfragebogen per E-Mail übersendet. Die Antworten erfolgten anschließend separat zu jeder Interviewfrage. 27 Gegen die BEV wurde am 16.01.2019 ein Aufsichtsverfahren gemäß § 65 EnWG wegen intransparenter Zwischenabrechnungen und Nicht- Einhaltung der Anforderungen nach § 40 EnWG an Rechnungen für Energielieferungen eröffnet.
Auswertung der Onlineumfragen | 15 4. AUSWERTUNG DER ONLINE-UMFRAGEN Um wiederkehrende unseriöse Vorgehensweisen zu cher) nicht ausgezahlt. identifizieren und falls möglich zu kategorisieren, wur- • Vereinbarte Boni32 des Kunden werden (trotz den unterschiedliche Marktbeteiligte nach ihren Er- mehrfachen Anmahnens durch Verbraucher) nicht fahrungswerten befragt. Im Rahmen der Untersuchung ausgezahlt. wurden hierfür zwei Fragebögen erstellt. Ein Fragebo- • Jahresabrechnungen mit (voraussichtlichem) Gut- gen richtete sich an die Berater der Verbraucherzent- haben werden verzögert oder gar nicht erstellt. ralen. Ein weiterer Fragebogen richtete sich an Wech- • Es werden Abschlagserhöhungen in der laufenden seldienstleister. Beide Fragebögen konnten von den Abrechnungsperiode eingefordert, obwohl zum Teilnehmern online ausgefüllt werden. Beispiel der Strom- und/oder Gaszähler nicht ab- gelesen wurde. 4.1. AUSWERTUNG ONLINE-UMFRAGE • Jahres- und Schlussrechnungen werden nicht RECHTSBERATER DER VERBRAUCHER- fristgerecht erstellt. ZENTRALEN • Der Energielieferant ist telefonisch und schriftlich nur schwer zu erreichen, Beschwerden werden An der Online-Umfrage nahmen insgesamt 92 Berater28 ausgesessen, ignoriert. teil. Bestimmte Fragen der Online-Umfrage richteten • Netzbetreiber beginnen, die Durchleitung von sich ausschließlich an Energierechtsberater.29 Die Ant- Energie eines Lieferanten zu unterbinden. worten wurden anonym erhoben und ausgewertet. • Es werden (unwirksame) versteckte Preiserhö- hungen vorgenommen. 4.1.1. Aufstellung möglicher Vorgehens- • Der Energielieferant verfolgt eine aggressive weisen Preispolitik, Verbrauchern werden Verträge mit auffällig niedrigen Preisen und/oder großzügigen Im Vorfeld der Untersuchung wurden zunächst Vor- Boni angeboten. gehensweisen von Energielieferanten, die auf eine • Der Energielieferant fordert den Verbraucher auf, Krise hinweisen könnten, gesammelt. Diese Zusam- von dem bisherigen Lastschriftverfahren auf menstellung der potenziellen Vorgehensweisen er- Überweisung 33 umzustellen. folgte auf der Grundlage der bisherigen Erfahrung • Verbrauchern (VB) wird am Telefon oder an der aus der Beratungspraxis der Verbraucherzentralen. 30 Haustür ein Vertrag untergeschoben. Insgesamt konnten so 19 mögliche Vorgehensweisen • Neue Kunden werden mit teils auffallend niedri- ermittelt werden: gen Preisen angelockt, trotzdem werden hohe Ab- schlagszahlungen verlangt. • Bestehende Guthaben31 des Kunden werden • Widerruf oder Kündigung wird nicht akzeptiert, (trotz mehrfachen Anmahnens durch Verbrau- bearbeitet oder bestätigt. • Der Energielieferant setzt aggressive Vertriebs- 28 78 Teilnehmer gaben an, dass ihr Beratungsschwerpunkt im Energie- methoden ein. recht liegt, 13 Teilnehmer gaben an, ihren Schwerpunkt in anderen • Der Energielieferant bucht, trotz Widerruf der Ein- Fachbereichen zu haben, und ein Teilnehmer machte hierzu keine An- gabe. zugsermächtigung, weiterhin vom Bankkonto des 29 Vgl. Kapitel 3.2.1. Verbrauchers ab. 30 Mitarbeiter der Verbraucherzentralen erarbeiten in sogenannten • Der Energielieferant verlangt vom Kunden Vorkas- Netzwerkgruppen Beratungsstandpunkte und weitere Materialen zur Unterstützung der Verbraucherberatung. Die darin enthaltenen Er- se für ein ganzes Jahr. kenntnisse über mögliche Vorgehensweisen wurden bei der Zusam- • Anbieterwechsel werden vom Energielieferanten menstellung berücksichtigt. Auch auf die bisherigen Erkenntnisse des Landesmarktwächters Energie in Niedersachsen wurde zurückgegrif- verzögert, misslingen oder werden verweigert. fen, vgl. Landesmarktwächter Energie (2018): Insolvenzen von Ener- gieversorgern. Erschienen am 20.12.2018. URL: https://www.markt- 32 Vertraglich vereinbarte Boni, z. B. Sofortbonus, Neukundenbonus, waechter-energie.de/insolvenzen-von-energieversorgern/; Abruf am Wechselbonus. 11.09.2019. 33 Umstellung auf Überweisung, um eine Rückbuchung durch den 31 Guthaben aus Jahres- oder Schlussrechnungen. Verbraucher zu unterbinden.
16 | Auswertung der Onlineumfragen • Es werden vom Kunden Kautionen oder Sonderab- 4.1.2. Ranking der „TOP-5“-Vorgehenswei- schläge gefordert, die vertraglich nicht vereinbart sen sind. • Der Energielieferant setzt Verbraucher mit (un- Im Rahmen der Online-Umfrage konnten die Energie- berechtigten) Forderungen unter Druck, zum Bei- rechtsberater (n=78) aus diesen 19 Vorgehensweisen spiel Schadensersatz wegen Verletzung von Mit- maximal jene 5 auswählen, die nach ihrer Auffassung wirkungspflichten. am eindeutigsten die Vorgehensweisen von in Krisen 2 ONLINE-UMFRAGE RECHTSBERATER – RANKING DER ANZEICHEN EINER UNTER NEHMENSKRISE ANHAND DER VORGEHENSWEISE 0 10 20 30 40 50 60 70 Bestehende Guthaben nicht ausgezahlt 59 Vereinbarte Boni nicht ausgezahlt 47 Keine bzw. verzögerte Jahresabrechnungen 41 Abschlagszahlungen in lfd. Abrechungsperiode Top 5 37 eingefordert Jahres- und Schlussrechnungen 34 nicht fristgerecht erstellt Energielieferant kaum erreichbar 27 Netzbetreiber unterbinden Durchleitung von Energie 21 (Unwirksame) versteckte Preiserhöhungen 21 Aggressive Preispolitik des Energielieferanten 19 Energielieferant fordert Umstellung 19 von Lastschrift auf Überweisung VB wird Vertrag untergeschoben 10 (telefonisch/Haustür) Neukunden: mit niedrigen Preisen gelockt, 10 dann hohe Abschlagszahlen Widerruf/Kündigung nicht akzeptiert, 9 bearbeitet o. bestätigt Energielieferant setzt aggressive 7 Vertriebsmethoden ein Trotz Widerruf der Einzugsermächt. 7 weiterhin Abbuchung vom Bankkonto Energielieferant verlangt Vorkasse für ganzes Jahr 6 Anbieterwechsel verzögert, misslungen o. verweigert 4 Kautionen oder Sonderabschläge gefordert 2 (vertraglich nicht vereinbart) Energielieferant setzt VB mit (unberecht.) 1 Forderungen unter Druck Basis: n=78 (alle beendeten Interviews von Energierechtsberatungskräften); Angaben in Absolutwerten Mehrfachauswahl: max. 5 Antworten; Im Durchschnitt haben die Befragten 4,9 Antworten abgegeben. Frage: Welche Vorgehensweisen von Unternehmen zeigen Ihrer Meinung nach am eindeutigsten eine Krise an?
Auswertung der Onlineumfragen | 17 befindlichen Unternehmen anzeigen. Die Einstufungen zugestellt oder gar nicht erstellt. Dadurch verzögern der Berater zu den Vorgehensweisen können der Abbil- sich auch die Guthabenauszahlungen an die Ver- dung 2 entnommen werden. braucher. Infolgedessen stehen dem Energieliefe- ranten die hieraus erwachsenden finanziellen Mittel Im Folgenden wird auf fünf von den Beratungskräften länger als gesetzlich vorgesehen zur Verfügung.35 am häufigsten genannte Vorgehensweisen näher ein- Diese Vorgehensweise zeigt für 41 der 78 Berater eine gegangen, wobei sich die Reihenfolge (beziehungs- bevorstehende Krise an. weise die Position) an der Häufigkeit der Nennung in absteigender Reihenfolge orientiert. Position 4: Abschlagserhöhungen werden in der lau- fenden Abrechnungsperiode eingefordert, obwohl zum Position 1: Bestehende Guthaben des Kunden werden Beispiel der Strom- und/oder Gaszähler nicht abgele- (trotz mehrfachen Anmahnens durch den Verbraucher) sen wurde (37 von 78 Beratern) nicht ausgezahlt (59 von 78 Beratern) In der Vergangenheit kam es bereits vor, dass Energie- Mit Erstellung von Jahres- oder Schlussrechnungen lieferanten Abschlagserhöhungen forderten, obwohl können sich für Verbraucher Guthaben ergeben,34 sich der Verbrauch des Kunden nicht erhöht hatte. Die zum Beispiel weil sie zu hohe Abschläge bezahlt ha- Abschlagserhöhungen werden teilweise mit faden- ben. Diese werden vom Anbieter, trotz mehrfachen An- scheinigen Argumenten (zum Beispiel witterungsbe- mahnens durch den Verbraucher, teilweise nicht aus- dingte Abschlagserhöhung) begründet. Diese Vorge- gezahlt. 59 der 78 befragten Energierechtsberater sind hensweise sehen 37 der 78 befragten Berater als ein der Ansicht, dass dies eine Vorgehensweise ist, die klar klares Anzeichen für eine Krise an. auf eine bevorstehende Krise hinweist. Position 5: Jahres- und Schlussrechnungen werden Position 2: Vereinbarte Boni des Kunden werden (trotz nicht fristgerecht erstellt (34 von 78 Beratern) mehrfachen Anmahnens durch den Verbraucher) nicht ausgezahlt (47 von 78 Beratern) Es kommt vor, dass sich Energielieferanten nicht an die gesetzlichen Vorgaben halten und die Jahres- und Als Anreiz für den Abschluss eines Vertrags bieten Schlussrechnungen erst zu einem späteren Zeitpunkt Energielieferanten den Verbrauchern auch Bonuszah- versenden.36 Diese Vorgehensweise wurde von 34 der lungen an (Sofortbonus, Neukundenbonus, Wech- 78 befragten Berater als eindeutiges Vorzeichen einer selbonus). Diesen Bonusversprechungen wird nicht Krise ausgewählt. immer (rechtzeitig) nachgekommen. Für 47 der 78 befragten Berater ist diese Vorgehensweise eines der Bei der Betrachtung der fünf meistgenannten Vorge- eindeutigsten Zeichen für eine bevorstehende Krise hensweisen fällt auf, dass die überwiegende Anzahl des Energielieferanten. einen monetären Aspekt aufweist, also Verbraucher infolge der Vorgehensweisen der Unternehmen Gelder Position 3: Jahresabrechnungen mit (voraussichtli- nicht oder verzögert ausgezahlt erhalten. chem) Guthaben werden verzögert oder gar nicht er- stellt (41 von 78 Beratern) Die befragten Energierechtsberater (n=78) konnten im Anschluss an die geschlossene Abfrage der 19 vorge- Die von Energielieferanten zu erstellenden Jahresab- gebenen Indikatoren zudem offen auch weitere Vorge- rechnungen, aus denen sich ein Guthaben ergeben hensweisen benennen, die ihrer Erfahrung nach bei könnte, werden in manchen Fällen mit Verzögerung 35 Siehe Fußnote 25. 36 Gemäß § 40 Abs. 3 EnWG sind Lieferanten verpflichtet, den Energie- 34 Grundversorger müssen Guthaben unverzüglich erstatten, spätestens verbrauch nach ihrer Wahl monatlich oder in anderen Zeitabschnitten, aber mit der nächsten Abschlagsforderung verrechnen, vgl. § 13 Abs. die jedoch zwölf Monate nicht wesentlich überschreiten dürfen, abzu- 2 StromGVV/GasGVV. Im Sonderkundenvertrag ergibt sich die Pflicht rechnen. Dabei müssen sie sicherstellen, dass der Kunde die Abrech- zur unverzüglichen und vollständigen Auszahlung bereits aus allge- nung spätestens sechs Wochen nach Beendigung des abzurechnen- meinen Rechtsgrundsätzen, vgl. OLG Düsseldorf Urteil vom 16.12.2014 den Zeitraums und die Abschlussrechnung spätestens sechs Wochen Az.: I 20 U 136/14. nach Beendigung des Lieferverhältnisses erhält.
18 | Auswertung der Onlineumfragen einer Krise zu beobachten sind. Dabei wurden folgende Guthaben Schlussrechnungen – Energieversor- zusätzliche Vorgehensweisen benannt: ger drohen (teilweise) indirekt und/oder direkt, falls keine (unberechtigte) Forderung fristge- • „Rechnungen und Schriftwechsel enthalten recht gezahlt wird, den Vorgang der Schufa etc. ohne Hinweis neuen Firmennamen, der sich von zu melden“ dem im Vertrag unterscheidet“ • „Zwischenabrechnungen werden erstellt, bei • „Undurchsichtiges Firmenkonstrukt“ denen der Kunde eine Nachzahlung leisten muss.“ • „(…) Nutzt der Verbraucher sein Sonderkün- digungsrecht (wegen Preiserhöhung (A. d. R.)), wird ihm die Kündigung zu sofort bestätigt, 4.1.3. Chancen der Verbraucher sodass er nicht die notwendige Laufzeit zusam- men bekommt, um den Bonus kassieren zu kön- Im Anschluss an die individuelle Auswahl der fünf ein- nen.“ deutigsten auf eine Krise von Unternehmen hinwei- senden Vorgehensweisen sollten die Energierechts- • „Einschreibebriefe des Verbrauchers werden berater die Chancen einschätzen, mit denen sich in der Annahme verweigert / kommen als nicht- Verbraucher gegen diese Vorgehensweisen zur Wehr zustellbar wieder zurück“ setzen können. • „Insolvenzverwalter erstellt (verspätet) und Die folgende Auswertung bezieht sich wieder aus- ohne Berücksichtigung der Verrechnung von schließlich auf die unter Abs. 4.1.2 insgesamt fünf 3 ONLINE-UMFRAGE RECHTSBERATER – EINSTUFUNG DER VERBRAUCHERCHANCEN SICH GEGEN VORGEHENSWEISEN ZU WEHREN 0 10 20 30 40 50 60 Bestehende Guthaben des Kunden werden (trotz mehr- 4 24 26 4 1 fachen Anmahnens durch Verbraucher) nicht ausgezahlt. (n=59*) Vereinbarte Boni des Kunden werden (trotz mehrfachen 4 22 18 2 1 4 Anmahnens durch Verbraucher) nicht ausgezahlt. (n=47*) Jahresabrechungen mit (voraussichtlichem) Guthaben 4 17 17 2 1 werden verzögert oder gar nicht erstellt. (n=41*) Es werden Abschlagserhöhungen in der laufenden 8 14 8 6 1 Abrechnungsperiode eingefordert – mit fadenscheinigen Argumenten oder unter Androhung erheblicher Nachzah- lungen, obwohl z. B. der Strom- und/oder Gaszähler nicht abgelesen wurde. (n=37*) Jahres- und Schlussrechnungen werden nicht fristgerecht 5 17 8 4 erstellt. (n=34*) sehr gute Chancen gute Chancen teils-teils geringe Chancen keine Chance weiß nicht/keine Angabe Frage: Wie schätzen Sie die Chancen ein, mit denen sich Verbraucher gegen diese Vorgehensweise zur Wehr setzen können? (Top 5) *Jeweils nur dejenigen, die diese Vorgehensweise bei der Frage „Welche Vorgehensweisen von Unternehmen zeigen Ihrer Meinung nach am eindeutigsten eine Krise an?“ (Mehrfachauswahl: max. 5 Antworten) ausgewählt haben | (Angaben in Absolutwerten)
Auswertung der Onlineumfragen | 19 meistgenannten Vorgehensweisen. Die Bewertung der Verbraucher einräumten, sich zur Wehr zu setzen, nach Verbraucherchancen gegen diese Vorgehensweisen ist Vorschlägen für Veränderungen befragt, welche die in der Abbildung 3 dargestellt. rechtliche Situation von Verbrauchern hinsichtlich die- ser jeweiligen Vorgehensweisen verbessern könnten. Auffällig ist, dass Verbraucher – nach Einschätzung der Berater – bei 4 dieser 5 Vorgehensweisen in der Ten- Zu der Vorgehensweise „Bestehende Guthaben37 des denz allenfalls nur zum Teil oder gar geringe Chancen Kunden werden (trotz mehrfachen Anmahnens durch haben, um sich (allein) gegen diese Vorgehensweise Verbraucher) nicht ausgezahlt“– machten zehn Rechts- zur Wehr zu setzen. Die tendenziell besten Möglich- berater konkrete Vorschläge zur Verbesserung der keiten, sich zu erwehren, sehen die Beratungskräfte in rechtlichen Situation von Verbrauchern. Jeweils zwei- Bezug auf Abschlagserhöhungen in der laufenden Ab- mal wurde die Einleitung von Aufsichtsmaßnahmen rechnungsperiode: Insgesamt 22 von 37 Beratern stu- durch die Bundesnetzagentur und die Einführung von fen hier die Chancen für Verbraucher als sehr gut (8 von Regelungen, die ein entsprechendes Anbieterverhalten 37) beziehungsweise gut (14 von 37) ein. sanktionieren, benannt. Weitere Einzelvorschläge der Berater lauteten: Auch dieser Frage wurde eine Folgefrage angeschlos- sen: So sollten diejenigen Berater, die die Chancen je- • „Sonderkündigungsrecht für Verbraucher.“ weils als „gering“ oder „nicht vorhanden“ (d. h. „keine Chancen“) einschätzten, dies offen, das heißt ohne • „Meldestelle für Verbraucher, damit sofort vorgegebene Antwortmöglichkeiten, näher begründen. an einer Stelle auffällt, dass hier etwas nicht Diese Begründungen – so wurde in der Auswertung stimmt.“ deutlich – ähneln sich bei der überwiegenden Anzahl der Vorgehensweisen stark und wurden deshalb zu- • „Guthaben sollte auf einem Extra-Konto de- sammengefasst. Die Quintessenz: Bei der überwiegen- poniert werden (ähnlich der Kaution im Miet- den Anzahl der Vorgehensweisen werden die „geringen recht).“ Chancen“ und „keine Chancen“ für die Durchsetzung der Ansprüche durch den Verbraucher unter anderem • „Eine Regelung, die den Verbraucher berech- damit begründet, dass tigt nach Fristsetzung eine Abschlagszahlung einzubehalten, ohne dass er dadurch selbst in • der Anbieter auf die Kontaktmaßnahmen des Verzug gerät.“ Verbrauchers nicht mehr reagiert, • der auf eine Insolvenz zusteuernde Anbieter kein • „Aufsichtsmaßnahmen der Bundesnetz- Geld mehr hat, das er auszahlen kann, agentur müssen Pflichterfüllung im Rahmen • Verbraucher sich zu schnell verunsichern lassen des Vertrags forcieren.“ beziehungsweise nicht ihre rechtlichen Möglich- keiten kennen, • Verbraucher die Auseinandersetzung mit dem 4.1.5. Verbesserungsvorschläge Position 2 Anbieter und den Aufwand der Auseinanderset- (verzögerte Bonuszahlungen) zung scheuen, • erfahrungsgemäß Verbraucher erst mit Einschal- In Bezug auf „Vereinbarte Boni38 des Kunden werden ten der Verbraucherzentrale erfolgreich sind. (trotz mehrfachen Anmahnens durch Verbraucher) nicht ausgezahlt“ wurden acht Vorschläge zur Ände- 4 4.1.4. Verbesserungsvorschläge Position 1 rung angegeben, um die rechtliche Situation von Ver- (verzögerte Auszahlung bestehendes brauchern zu verbessern. Zwei Vorschläge benannten Guthaben) Veränderungsbedarf innerhalb der Rechtsprechung. Weiterhin wurden die Energierechtsberater, die bei den 37 Guthaben aus Jahres- oder Schlussrechnungen. fünf unter Abs. 4.1.2. meistgenannten Vorgehenswei- 38 Vertraglich vereinbarte Boni, z. B. Sofortbonus, Neukundenbonus, sen von Unternehmen maximal geringe Chancen für Wechselbonus.
20 | Auswertung der Onlineumfragen Ein weiterer Vorschlag beinhaltete die Einrichtung ei- • „Mehr Personal bei Anbietern.“ ner Meldestelle für Verbraucher, damit Verdachtsfälle schneller erkannt werden können. Weiterhin werden • „Einführung hoher Strafen (Ordnungsgeld?) jeweils einmal vorgeschlagen: für Energieversorger, wenn er Obliegenheiten wie Erstellung/Versand der Jahresabrechnung • „Fälle müssen gesammelt werden und Auf- oder Auszahlung von Guthaben nicht wie ge- sichtsbehörden oder Verbraucherzentralen müs- setzlich vorgesehen vornimmt.“ sen schneller mit zum Beispiel Abmahnung reagieren.“ • „Aufsichtsmaßnahmen der Bundesnetzagen tur müssen Pflichterfüllung im Rahmen des Ver- • „Einführung hoher Strafen (Ordnungsgeld?) trags forcieren.“ für Energieversorger, wenn er Obliegenheiten wie Erstellung/Versand der Jahresabrechnung oder Auszahlung von Guthaben nicht wie ge- 4.1.7. Verbesserungsvorschläge Position 4 setzlich vorgesehen vornimmt.“ (Abschlagserhöhungen) • „Eine Regelung, die den Verbraucher berech- Für die Vorgehensweise „Es werden Abschlagserhö- tigt, nach Fristsetzung eine Abschlagszahlung hungen in der laufenden Abrechnungsperiode einge- einzubehalten, ohne dass er dadurch selbst in fordert, obwohl zum Beispiel der Strom- und/oder Gas- Verzug gerät.“ zähler nicht abgelesen wurde“ wurden drei Vorschläge zur Änderung angegeben, um die Situation der Ver- • „Das in Aussicht gestellte Geld für die Boni braucher zu verbessern: müsste getrennt von den eingehenden Beiträ- gen deponiert sein.“ • „Eine Regelung, in der vorgeschrieben wird, dass eine Erhöhung nur dann berechtigt ist, • „Boni-System auf monatlich umstellen und wenn der Versorger dies nachweisen kann.“ Verbrauchern das Aufrechnen mit Abschlag er- möglichen“ • „Anbieterschreiben dürfen keinen einlullen- den Text haben, Meldestelle für Verbraucher, damit sofort an einer Stelle auffällt, dass hier 4.1.6. Verbesserungsvorschläge Position 3 etwas nicht stimmt.“ (verzögerte Berechnung von Guthaben) • „Zurückbehaltungsrecht sollte auch schon Zur Vorgehensweise „Jahresabrechnungen mit (voraus- bei niedrigeren Rückständen aufgrund unter- sichtlichem) Guthaben werden verzögert oder gar nicht jähriger Abschlagserhöhung, Preiserhöhung erstellt“ wurden elf Vorschläge zur Änderung angegeben, etc. bestehen.“ um die Situation der Verbraucher zu verbessern. Die Vor- schläge beinhalten dreimal die Aufklärung der Verbrau- cher, ihre Abschläge richtig anzupassen, um keine Gut- 4.1.8. Verbesserungsvorschläge Position 5 haben anzuhäufen. Ebenfalls drei Berater schlugen vor, (verzögerte Jahresrechnung) eine Meldestelle für Verbraucher einzurichten. Weiterhin wird jeweils einmal von den Beratern vorgeschlagen: Zur Vorgehensweise „Jahres- und Schlussrechnungen werden nicht fristgerecht erstellt“ machten sechs Ener- • „Verbraucher sollten ihre Abschläge selbst gierechtsberater Änderungsvorschläge, um die Situati- anpassen können.“ on der Verbraucher zu verbessern. Dreimal wurde vor- geschlagen, die Anbieter zu sanktionieren, wenn diese • „Verbraucher dürfen ausstehende Guthaben Rechnungen nicht fristgerecht erstellen. Die Schaffung mit zu leistenden Abschlagszahlungen verrech- einer gesetzlich verpflichtenden Regelung, bis wann nen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.“
Auswertung der Onlineumfragen | 21 der Energieanbieter die Rechnung erstellen muss, wur- vorgeschlagen, dass die Regulierungsbehörde bereits de zweimal benannt.39 bei „insolvenzverdächtigem“ Verhalten eines Anbie- ters einschreiten müsse, um Verbraucher vor einer In- 4.1.9. Allgemeine Fragen an alle Berater solvenz zu schützen. Ebenfalls ein Berater schlug vor, dass Netzbetreiber eine Warnung aussprechen könn- Alle befragten Rechtsberater konnten offen, das heißt ten, wenn Zahlungsunregelmäßigkeiten festgestellt ohne vorgegebene Antwortmöglichkeiten, angeben, werden. welche bestehenden Regelungen aus anderen Fachbe- reichen ihrer Einschätzung nach auf das Energierecht Weiterhin sollten alle Befragten angeben, ob ein Ver- übertragbar wären, um Verbraucher besser vor den Fol- braucher ihrer Erfahrung nach das Risiko minimieren gen von Insolvenzen zu schützen. 39 von 92 Befragten kann, Kunde eines Unternehmens zu werden, das wäh- haben hierzu konkrete Angaben gemacht. Diese Anga- rend der Vertragslaufzeit einen Insolvenzantrag stellt. ben wurden für die Auswertung zu Kategorien zusam- 54 der 92 befragten Rechtsberater gehen davon aus, mengefasst: dass dies möglich ist, 17 Befragte schließen es aus. Weitere 21 Befragte machten hierzu keine Angaben. 24 Befragte schlagen Sicherungsmechanismen vor, zum Beispiel eine Verpflichtung von Energielieferan- Die 54 Befragten, die Möglichkeiten zur Risikominimie- ten zum Abschluss einer Insolvenzversicherung oder rung sehen, konnten in einer offenen Abfrage zusätz- die Einführung von Sicherungsrücklagen und Siche- lich darlegen, von welchen Möglichkeiten Verbraucher rungsscheinen.40 Zweimal wurde die Übertragung von ihrer Ansicht nach Gebrauch machen könnten. Einige mietrechtlichen Regelungen auf das Energierecht vor- Befragte gaben auch mehrere Risikominimierungshin- geschlagen.41 weise. Daneben wurden an dieser Stelle von den Rechtsbera- tern noch allgemeine Aspekte angeführt, die dazu bei- Von den 54 Beratern waren 24 der Ansicht, dass der tragen könnten, Verbraucher besser vor den Folgen von Verbraucher die Preispolitik des Anbieters kritisch be- Insolvenzen zu schützen. Aus informatorischen Grün- trachten und sich zum Beispiel nicht von Lockpreisen, den werden an dieser Stelle ausgewählte Vorschläge hohen Boni beziehungsweise einer aggressiven Preis- angeführt: politik leiten lassen sollte. Um den finanziellen Schaden für Verbraucher zu mi- Ausgewählte Nennungen: nimieren, wurde von jeweils zwei Befragten vorge- schlagen, dass Verbraucher mehr Rechte bei der Be- • „Keine Lockangebote wählen, die in der Ran- stimmung der Abschlagshöhe bekommen und ihnen kingliste ganz oben stehen, keine Unterneh- bezüglich ihrer Abschläge auch ein Zurückbehaltungs- men mit Bonuszahlungen wählen (…).“ recht eingeräumt werden sollte. Zwei Berater schlugen vor, dass Energielieferanten im Falle von verspäteten • „Sich nicht von extrem günstigen Preisen lo- Rechnungen Geldstrafen zahlen sollten. Einmal wurde cken lassen.“ • „Nicht immer das billigste Angebot wählen.“ 39 Bisher müssen Energielieferanten lediglich sicherstellen, dass der Verbraucher die Abrechnung spätestens sechs Wochen nach Beendi- gung des abzurechnenden Zeitraums erhält, vgl. § 40 Abs. 4 EnWG. • „Finger weg von (aggressiven) Billiganbie- 40 Ähnlich wie bei der Einlagensicherung der Banken oder der Siche- tern.“ rungsscheine im Reiserecht, § 651r BGB. 41 Einmal die Einführung eines Zustimmungserfordernisses des Verbrau- chers zur Preiserhöhung des Energielieferanten in Anlehnung an die 24 von 54 Beratern empfehlen vor Abschluss eines Ver- Regelung des § 558b BGB. Ein weiterer Vorschlag betraf eine Aus- schlussfrist für Ansprüche des Energielieferanten nach Maßgabe des trags, über den Anbieter im Internet, bei den Verbrau- § 556 Abs. 3 S. 3 BGB. Demnach muss der Vermieter die Betriebskos- cherzentralen oder anderen unabhängigen Stellen, wie tenabrechnung dem Mieter spätestens bis zum Ablauf des zwölften dem Bund der Energieverbraucher, Informationen ein- Monats nach Ende des Abrechnungszeitraums mitteilen. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung einer Nachforderung durch den zuholen. Vermieter ausgeschlossen.
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