Zulieferer vor der Zerreißprobe - Wie Zulieferer im Automobil- und Maschinenbau den Wandel durch Industrie 4.0 meistern können - IHK Stuttgart
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Zulieferer vor der Zerreißprobe Wie Zulieferer im Automobil- und Maschinenbau den Wandel durch Industrie 4.0 meistern können
Zulieferer vor der Zerreißprobe Wie Zulieferer im Automobil- und Maschinenbau den Wandel durch Industrie 4.0 meistern können
Herausgeber Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart Jägerstraße 30, 70174 Stuttgart Postfach 10 24 44, 70020 Stuttgart Telefon 0711 2005-0 Telefax 0711 2005-1354 www.stuttgart.ihk.de info@stuttgart.ihk.de Konzeption Abteilung Industrie und Verkehr Autoren Michael Luckert Martina Schiffer Dr. Hans-Hermann Wiendahl Oliver Schöllhammer Johannes Köpler Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA Abteilung Fabrikplanung und Produktionsmanagement Nobelstraße 12 70569 Stuttgart Telefon +49 711 970 – 1800 Redaktion Mitglieder des IHK-Erfahrungs austauschkreises Industrie 4.0 Holger Triebsch, Dr. Hans-Jürgen R eichardt, IHK Region Stuttgart Satz und Druck Druckerei W. Kohlhammer GmbH + Co. KG Projektmanagement Print Sybille Wolff, IHK Region Stuttgart Titelbild Zapp2Photo – Thinkstock Stand Februar 2018 © 2017 Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Vervielfältigung auf Papier und elektronischen Datenträgern sowie Einspeisungen in Datennetze nur mit Genehmigung des Herausgebers. Alle Angaben wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet und zusammengestellt. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Inhalts sowie für zwischenzeitliche Änderungen übernimmt die Industrie- und Handels- kammer Region Stuttgart keine Gewähr.
Inhaltsverzeichnis Vorwort 5 1. Management Summary 6 2. Einleitung 9 2.1 Problemstellung und Zielsetzung 9 2.2 Betrachtungsgegenstand und methodisches Design 10 2.3 Befragte 12 3. Rahmenbedingungen Region Stuttgart 13 3.1 Sachstand Industrie 4.0 13 3.2 Analyse der Wirtschafts- und Wissenschaftsstruktur 16 3.2.1 Darstellung der Wirtschaftsstruktur Region Stuttgart 16 3.2.2 Stärken und Schwächen der Region hinsichtlich Industrie 4.0 16 3.2.3 Darstellung der regionalen Forschungslandschaft 19 4. Ergebnisse 20 4.1 Allgemeiner Teil 20 4.1.1 Übergreifende Trends 20 4.1.2 Strategien 22 4.1.3 Digitalisierungsaktivitäten 24 4.2 Detaillierter Teil 27 4.2.1 Veränderungen der Supply Chain Komplexität 27 4.2.2 Veränderungen der Supply-Chain-Informationstiefe 31 4.2.3 Veränderungen der Supply-Chain-Kommunikationstechnologien 35 5. Handlungsempfehlungen 38 5.1 Strategische Entwicklungsrichtungen 38 5.2 Handlungsfelder und Vorgehensleitfaden für Tier 2/n-Zulieferer 41 5.2.1 Strategische Handlungsfelder 41 5.2.2 Taktische Handlungsfelder 43 5.2.3 Operative Handlungsfelder 46 5.2.4 Umsetzungsleitfaden für Tier 2/n-Zulieferer 46 5.3 Handlungsempfehlungen für Politik und Wirtschaftsakteure 49 6. Anhang50 1. Allgemeiner Teil / Übergreifende Trends 50 1.1 Grundlegende Thesen 50 1.2 Einordnung des Unternehmens 50 1.3 Digitalisierungsstrategien 51
Inhaltsverzeichnis 2. Detaillierter Teil 51 2.1 Veränderungen der Produktstruktur 51 2.2 Veränderungen der Produktion 52 2.3 Veränderungen der Supply Chain 53 2.4 Veränderungen beim Informationsaustausch 53 2.5 Spezifische Herausforderungen der Automotive Branche 54 7. Literatur 55 4
Vorwort Der Automobil- und Maschinenbau mit seinen Herstellern, Zulieferern, Fabrikausrüstern und industrienahen Dienstleistern ist für die Region Stuttgart von größter Bedeutung und international viel beachtet. Milliardeninvestitionen, zahlreiche Arbeitsplätze, ein einzigarti- ges Wertschöpfungsnetzwerk aber auch ein ausgeprägtes ehrenamtliches Engagement vieler ansässiger Unternehmen sind seit Jahrzehnten die Grundlage für den Wohlstand der Region. Insbesondere die kleinen und mittleren Zulieferer sind fast schon traditionell enormen Herausforderungen wie einer starken Internationalisierung, Einführung von Just-in-Time- Management, steigender Konkurrenz- und Kostendruck, Auditierungen durch die Original Equipment Manufacturer (OEM) und mehr unterworfen. Bislang konnten die anstehenden Anforderungen häufig aus eigenen Anstrengungen heraus und nicht zuletzt aufgrund einer hohen Anpassungsfähigkeit gestemmt werden. Die aktuellen Entwicklungen - wie etwa die Suche nach alternative Antriebskonzepten oder die Digitalisierung und Vernetzung von Fahrzeugen - erscheinen allerdings funda- mentaler, besitzen größere Dynamik und gesteigerte Komplexität. Vor allem aber müssen unternehmerische Entscheidungen auf Grundlage erhöhter Unsicherheit getroffen werden. Es ist erkennbar, dass die anstehenden Herausforderungen, wie Produkte für verschiedene Antriebskonzepte liefern zu können oder auch den Anforderungen der Hersteller bezüglich Datengewinnung und -weitergabe gerecht zu werden, nicht mehr von einem Unternehmen alleine zu meistern sind. Doch volle Auftragsbücher wiegen so manchen Zulieferer in einer trügerischen Sicherheit. Dabei sollten diese die Gunst der Stunde nutzen und aus einer Posi- tion der Stärke heraus die nötigen Weichen für die Zukunft stellen. Die vorliegende Studie wurde vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Auto- matisierung IPA erstellt. Ermittelt wurden hierbei aktueller Stand und Entwicklungstrends im Wertschöpfungsnetzwerk des Automobil- und Maschinenbaus entlang der Supply Chain (Lieferkette). Hervorzuheben ist, dass im ersten Schritt direkt bei den Taktgebern der Supply Chain, den Herstellern und großen Zulieferern mit strukturierten Einzelinterviews angesetzt wurde. In einem zweiten Schritt wurden mittels einer Online-Umfrage die Sichtweisen und Einschätzungen der weiteren Supply-Chain-Akteure eingeholt. Aus den gewonnenen Erkenntnissen konnten Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Diese sollen kleine und mittelgroße Zulieferer im Automobil- und Maschinenbau unterstützen, die Herausforde- rungen bei Strategie und Umsetzung im operativen Geschäft systematisch anzugehen und erfolgreich zu meistern. Neben den Unternehmen sind dabei auch Politik, Verbände und Kammern gefordert wie nie zuvor, flankierend zu unterstützen und gemeinsam den digitalen Wandel aktiv zu gestalten. Stuttgart, im Februar 2018 Marjoke Breuning Johannes Schmalzl Präsidentin Hauptgeschäftsführer 5
1. Management Summary Die Automobilbranche ist tiefgreifenden Veränderungen IT-Kompetenz der Führungskräfte und die fehlende Strategie- unterworfen. Ein „digitales“ Auto, hergestellt in einer digi- definition genannt. Die aktuell zumeist gute wirtschaftliche talisierten Produktion, erscheint plötzlich in greifbarer Nähe. Situation fördert zudem Unverständnis für die Notwendigkeit Konzepte wie autonomes Fahren, alternative Antriebe oder der Digitalisierung. serviceorientierte Geschäftsmodelle rufen neue Wettbewer- ber, amerikanische wie Tesla, Google aber vor allem asiatische Die Ergebnisse zu den Digitalisierungsstrategien zeigen: wie NIO ES8 (China), Hyundai Ioniq (Südkorea) auf den Markt und bedrohen die etablierten Automobilhersteller und ihre • Über eine Digitalisierung ermöglichen die OEMs im Auto- Zulieferketten nachhaltig. Dieser Wandel betrifft die Region mobilbau ihren Kunden die Produkte zunehmend zu indivi- Stuttgart mit seiner weltweit führenden Kompetenz im Auto- dualisieren, außerdem entwickeln sie neue Mobilitätskon- mobil- und Maschinenbau in besonderem Maße. zepte. Bei zunehmender Variantenanzahl reduzieren sie im Leistungserzeugungsprozess ihre Wertschöpfungstiefe. Ziel der vorliegenden Studie ist es daher, den aktuellen Stand Höhere Variantenvielfalt, kürzere Lieferzeiten und engere und absehbare Entwicklungen dieses Wandels mit Fokus auf Lieferfenster steigern die Komplexität der Supply Chains die Digitalisierung der Supply Chain im Automobil- und Ma- insgesamt. Um diese wirkungsvoll zu beherrschen, fordern schinenbau zu erheben, um daraus Handlungsempfehlungen sie von ihren direkten Lieferanten die Entwicklung und für kleine und mittelständische Tier 2/n-Zulieferer abzulei- Herstellung kompletter Module. Außerdem setzen sie auf ten. Die hierzu erarbeiteten Ergebnisse sind dreigeteilt: umfangreich digitalisierte Herstellprozesse, was sie eben- falls von ihren Lieferanten erwarten. Das verlagert einen • Ausgangspunkt bilden die Rahmenbedingungen der Regi- Teil der Komplexität zu den Lieferanten. on Stuttgart (Abs. 3.2), • Die großen Tier 1-Zulieferer zeigen ein zweigeteiltes Bild: • Die Befragungsergebnisse sind in einen übergreifenden Zum einen folgen sie der Anforderung zum Modullieferan- Teil (Entwicklungstrends, Strategien und Digitalisierungs- ten, auch weil sie damit ihre eigene Wettbewerbsposition aktivitäten, Abs. 4.1) und einen detaillierten Teil zur Supply gegenüber dem OEM stärken möchten. Elektromobilität Chain (Abs. 4.2) unterteilt. und Assistenzsysteme bieten hier anschauliche Beispiele für die Bereitstellung solcher Komplettlösungen. Zum an- • Die Handlungsempfehlungen kristallisieren aus den Be- deren diversifizieren sie ihr Angebot und senken so die Ab- fragungsergebnissen Strategien der drei Supply Chain Ak- hängigkeit von der Automobilindustrie, insbesondere von teursgruppen (OEM/Tier 1-Zulieferer, Tier 2/n-Zulieferer, Komponenten des Verbrennungsmotors. Fabrikausrüster) heraus (Abs. 5.1), und leiten daraus in- haltliche und vorgehensbezogene Empfehlungen als Ori- • Die stärkste Veränderung zeigt sich bei den Fabrikausrüs- entierungshilfe für KMU-Zulieferer (Abs. 5.2) sowie für tern. Diese digitalisieren ihre Produkte konsequent und weitere Akteure (Abs. 5.3) ab. entwickeln gleichzeitig in hohem Tempo neue, serviceba- sierte Angebote. So werden sie zum Digitalisierungsena- Die Ergebnisse basieren auf 17 Experteninterviews mit Füh- bler ihrer Kunden. Auch sie setzen auf digitalisierte Her- rungskräften und Fachexperten im Automobil- und Maschi- stellprozesse, im Vergleich zum Automobilbau aber mit nenbau sowie einer Online-Befragung mit 167 Teilnehmern langsamerer Umsetzungsgeschwindigkeit. und geben einen guten Eindruck des aktuellen Stimmungsbil- des dieser beiden Branchen. Eine zentrale Herausforderung für die Automobilbranche bildet die erwartete politische Einflussnahme auf den Automobilmarkt: So erwarten über 75 Prozent der Befragten eine Förderung der Elektromobilität und Fahrverbote für Verbrennungsmotoren. Klare und verlässliche Rahmenbedingungen fehlen allerdings, was die Unsicherheit bei allen Beteiligten erhöht. Die größten Herausforderungen der Digitalisierung für die Unternehmen sind fehlende Standards zum Datenaustausch, das Gewinnen geeigneter Mitarbeiter, und deren Verfügbar- keit und vor allem Themen des Veränderungsmanagements. Besonders häufig wird hierbei eine geringe Veränderungsbe- reitschaft von Führungskräften und Mitarbeitern, mangelnde 6
1. Management Summary Für Tier 2/n-Zulieferer des Automobil- und Maschinenbaus Vor dem Hintergrund dieser strategischen Grundüberle- eröffnen sich somit unterschiedliche strategische Handlungs- gungen sind nun im nächsten Schritt geeignete inhaltliche optionen. Abbildung 1 zeigt ihre vier Aspekte. Handlungsfelder mit besonderem Blick auf die kleinen und mittelständischen Tier 2/n-Zulieferer inklusive eines Vorge- I. Fokus der Digitalisierung: Die Unterscheidung identifizier- hensleitfadens abgeleitet: te zwei Gruppen von Tier 2/n-Zulieferern mit unterschied- lichem digitalem Entwicklungspfad: Gruppe 1 digitalisiert Einerseits sind die Handlungsfelder nach Betrachtungsebene ihre Leistungserzeugung und vernachlässigt hierbei die in strategisch, taktisch und operativ sowie zeitlich in Kon- Digitalisierung ihrer Produkte. Gruppe 2 digitalisiert die zept- und Umsetzungsphase unterteilt. Leistungsangebotsseite, setzt aber auch auf eine Digitali- sierung des Leistungserzeugungsprozesses. Andererseits sind neben diesen allgemeinen Aspekten die aus der Befragung erkannten Entwicklungstendenzen der Supply Marktbezogener Entwicklungspfad: In Abhängigkeit der Zu- Chain des Automobil- und Maschinenbaus zu berücksich- kunftsfähigkeit der eigenen Produkte und der Unternehmens- tigen. Für die wesentlichen Entwicklungstrends sind Hand- größe sind darüber hinaus drei weitere Aspekte relevant: lungsfelder abgeleitet, die Tabelle 1 zusammenfasst. II. Re-Positionierung innerhalb der Lieferkette: Ermöglicht ein verändertes eigenes Leistungsangebot eine Neupositio- nierung in der Lieferkette in Richtung OEM? III. Kooperation: Welche Kooperationsmöglichkeiten verbes- sern die eigene Marktposition? IV. Diversifikation des Produkt- und Kundenportfolios: Lässt sich das eigene Know-how in anderen Branchen ein- setzen? Abbildung 1: Strategische Handlungsoptionen für Tier2/n-Zulieferer Abbildung 1: Strategische Handlungsoptionen für Tier 2/n-Zulieferer I II Tn T2 T1 OEM Fokus der Digitalisierung Re-Positionierung innerhalb der Lieferkette III IV Erhöhte Marktabdeckung Diversifikation des Produkt- über Kooperation/Fusion und Kundenportfolios MUL, HHW Fraunhofer IPA Stand 06.01.2018 : 7
1. Management Summary Tabelle 1: Entwicklungstrends und Handlungsfelder Entwicklungstrends Handlungsfelder Steigende Anzahl • Produktmodularisierung und -konfiguration Produktvarianten • Konfiguration über Software • Montage „ohne Band und Takt” Komplexere Supply Chains • Durchgängiger Anforderungsdialog OEM – Tier 1 – Tier 2/n Engere Lieferfenster • Fairer Austausch von Planungs- und Auftragfortschrittsdaten entlang der gesamten Supply Chain • Einsatz neuer und verbesserter Planungs- und Steuerungsmethoden Digitalisierte technische • Identifikation von Herstellprozesse schützenswerten Daten (da Know-how bestimmend) endproduktqualitätbestimmenden Prozessdaten • MDE: Datenerfassung technischer Prozessparameter • (Echtzeit-) Datenbasierte Prozessoptimierung Digitalisierte logistische • Identifikation von kooperationsrelevantem Wissen Herstellprozesse • BDE: Datenerfassung Auftragsfortschritt (feinerer Detaillierungsgrad, geringerer Rückmeldeverzug) Digitalisierte Beschaffung • Automatische Bedarfs- / Bestellgenerierung • Ankopplung an Bestellplattform Abschluss der Handlungsempfehlungen bildet ein Vorgehens- leitfaden. Dieser verbindet die allgemeinen Anforderungen der Digitalisierung mit den beschriebenen Automotive-rele- vanten Aspekten und fasst sie nachvollziehbar für die Digita- lisierungsverantwortlichen der Unternehmen zusammen. 8
2. Einleitung Die Gesellschaft ist einer großen Veränderungsdynamik mit 2.1 Problemstellung und Zielsetzung vielfachen Auswirkungen auf die Wirtschaft und deren ver- netzten Strukturen ausgesetzt: Durch Globalisierung und Viele der kleineren, meist mittelständischen Zulieferer (KMUs) Digitalisierung entstehen eng gekoppelte und hoch speziali- des Automobil- und Maschinenbaus reagieren auf die oben sierte Wertschöpfungsnetzwerke, in denen Anzahl der Bezie- geschriebenen Veränderungen abwartend und überlassen den hungen und gegenseitige Abhängigkeit der Partner steigen. großen Zulieferern und OEMs die Führung. Doch dies birgt Veränderliche Kundenanforderungen und ein schneller tech- das Risiko, hinter dem Wettbewerb zurückzubleiben. nologischer Fortschritt erhöhen die Dynamik zusätzlich und verkürzen Produktlebenszyklen; die Variantenvielfalt steigt Um diesen Risiken wirkungsvoll zu begegnen und die führen- und kurzfristige Produktionsprogrammänderungen werden de Wettbewerbsposition der KMU-Zulieferer des Automobil- Normalität. und Maschinenbaus aufrechtzuerhalten, sind aus künftigen Anforderungen der OEMs und Tier 1 (Zulieferer der ersten Diese Veränderungen erzeugen vielfältige Herausforderun- Lieferstufe) und den erweiterten Angeboten der Fabrikausrüs- gen, welche insbesondere der Automobil- und Maschinenbau ter notwendige Handlungsfelder abzuleiten. Hieraus ergeben spürt. Das physische Produkt eines Automobils ist zunehmend sich folgende Zielsetzungen dieser Studie: mit digitalen Inhalten verwoben. Nur ein enges Partnernetz- werk kann die dafür nötigen Kompetenzen (Mechanik, Elek- • Identifikation von Industrie 4.0-Themen und -Projekten, tronik, IT, Produktions- und Geschäftsprozesse), in interdis- welche die OEMs und Tier 1-Zulieferer im Automobil- und ziplinärer Zusammenarbeit entlang des Produktlebenszyklus, Maschinenbau absehbar umsetzen. bereitstellen. Richtungsweisende Akteure dieser Branche ha- ben ihre unternehmerischen Wurzeln in der Region Stuttgart. • Ermitteln des Einflusses dieser Aktivitäten auf die Tier 2/n- Zulieferer sowie sich daraus ergebene Anforderungen. Antworten auf die oben genannten Herausforderungen ver- sprechen neue Digitalisierungs- und Automatisierungsmög- • Abgleich dieser Anforderungen mit dem aktuellen Umset- lichkeiten, oft unter dem Begriff „Industrie 4.0“ zusammen- zungsstand und der zukünftigen Perspektive der Tier 2/n- gefasst: Sie verheißen sowohl ein Beherrschen der steigenden Zulieferer. Komplexität als auch neue Geschäftschancen, vor allem durch Vernetzung bestehender Systeme oder Partner und die • Ableitung von Handlungsempfehlungen für die Tier 2/n- Nutzung kontextbezogener Daten. Dies führt jedoch zu tief- Zulieferer, um sich zielgerichtet auf die Erfüllung der zu- greifenden Veränderungen bestehender Arbeitsweisen und künftigen Anforderungen der OEMs und Tier 1-Zulieferer bedarf hoher Investitionen, was ein strategiegeleitetes und vorbereiten zu können. planvolles Umsetzungsvorgehen erfordert. Dies gilt insbeson- dere für die Zulieferer des Automobil- und Maschinenbaus, • Ableitung von Handlungsempfehlungen für weitere Wirt- die sich auf diese Herausforderungen einstellen müssen. schaftsakteure, um die Tier 2/n-Zulieferer entsprechend wirksam bei der Vorbereitung auf die zukünftigen Anfor- Ausgehend von dieser Ausgangssituation erarbeitet Abs. 2.1 derungen unterstützen zu können. der Studie, welche Grundlage für die Studienziele ist. Dem- entsprechend leitet Abs. 2.2 das Studiendesign und den Be- trachtungsrahmen ab. Abs. 2.3, gibt einen Überblick über das Teilnehmerfeld der Studie. Es beschreibt die über Interviews und Online-Fragebögen befragten Fachexperten und die zu- gehörigen Unternehmen. 9
2. Einleitung Abbildung 2: Strategische Handlungsoptionen für Tier 2/n-Zulieferer Ausgangssituation Problematik Studienziele • Gesellschaftliche Megatrends führen zu • Unsicherheit bzgl. • Identifikation Industrie 4.0 Themen großer Veränderungsdynamik Industrie 4.0 führt bei OEMs und Tier 1 im Automobil- • Höhere Supply Chain-Komplexität durch zu abwartender und Maschinenbau dynamische Kundenanforderungen, zu- haltung (ins. • Ableitung entsprechender Anforde- nehmende Vernetzung und Spezialisierung KMUs) rungen für die Tier 2/n-Zulieferer und der Partner sowie technischen Fortschritt • Abwarten birgt Abgleich mit deren Umsetzungsstand • Unklares Themenfeld Industrie 4.0 erzeugt das Risiko des • Ableitung von Handlungsempfehlun- Unsicherheit Zurückbleibens gen für die Tier 2/n Zulieferer und • Industrie 4.0 als Chance zur Bearbeitung Wirtschaftakteure steigender Komplexität und Volatilität Die Abbildung 2 fasst die Ausgangssituation, Problematik und Studienziele zusammen. 2.2. Betrachtungsgegenstand und beeinflussen aufgrund ihrer Position in der Supply Chain ei- methodisches Design nen Großteil der Anforderungen für die Tier 2/n, so dass für letztere eine starke Abhängigkeit bezüglich der Umsetzung von Industrie-4.0-Themen entsteht. Logischer Ausgangspunkt Im Fokus der Betrachtungen stehen Tier 2/n-Zulieferer des der Untersuchung bilden daher Experteninterviews entlang Automobil- und Maschinenbaus sowie die ihnen vorgelager- der Supply Chain. Basierend auf den daraus gewonnenen ten OEMs und Tier 1-Zulieferer. Tier 2/n nehmen in der aktu- Erkenntnissen wird eine breitere Online-Befragung durchge- ellen Entwicklung eine besondere Rolle ein. OEMs und Tier 1 führt, um daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten. Abbildung 3: Betrachtungsgegenstand und Befragungsstruktur Tier 2 - Tier 1 OEM Kunde Tier n Ausrüster Ausrüster Ausrüster Veränderungen der Supply Chain Komplexität – Informationstiefe –IT-Technologien Automotive Branche Trends – Strategien – Digitalisierungsaktivitäten Materialfluss Informationsfluss Abbildung 3 gibt einen Überblick über den Betrachtungsgegenstand und die inhaltliche Befragungsstruktur. 10
2. Einleitung Das Vorgehen der Studie teilt sich in die folgenden fünf Beteiligten zu erfahren, um daraus zukünftige Anforde- Schritte: rungen an Zulieferer im Bereich Automobil- und Maschi- nenbau zu ermitteln. 1. Rahmenbedingungen der Region Stuttgart: Diese Be- schreibung umfasst einerseits einen Überblick des Sach- 3. Online-Befragung: Auf diesen Erkenntnissen baut die standes Industrie 4.0 als Basis für die Interpretation von Online-Befragung auf. Diese erfragt Industrie 4.0-Trends, Handlungsempfehlungen. Durch die neuen Ansätze und -Umsetzungsstand und Entwicklungsziele bei OEMs, Aus- die daraus resultierenden Anforderungen entstehen auch rüstern und Zulieferern des Automobil- und Maschinen- für die hiesigen Wirtschafts- und Wissenschaftsstruktu- baus. ren neue Möglichkeiten zur Stärkung der Region Stutt- gart. Hierfür sind Stärken und Schwächen der Region 4. Die Auswertung erfolgt in zwei Stufen: Stuttgart im Allgemeinen sowie im Besonderen für die 1. Die Ergebnisse werden einzeln auf Kernaussagen hin OEMs und Tier 1-Zulieferer im Automobil- und Maschi- untersucht. nenbau hinsichtlich der Industrie 4.0-Aspekte beleuchtet. 2. Die Antworten werden qualitativ und sofern möglich Als weiterer Aspekt wurden die für den Automobil- und quantitativ über alle Antworten hinweg ausgewertet. Maschinenbau relevanten führenden Forschungsinstitute und Technologienetzwerke der Region Stuttgart im Be- 5. Handlungsempfehlungen: Aufbauend darauf ergeben reich Industrie 4.0 zusammenfassend dargestellt. sich strategische, taktische und operative Handlungsemp- fehlungen für die Industrieunternehmen des Automobil- 2. Telefonische Experteninterviews über die gesamte Sup- und Maschinenbaus, in einem weiteren Schritt Hand- ply Chain (OEMs, Ausrüstern und Zulieferern im Bereich lungsempfehlungen in Bezug auf die Politik und regionale Automobil- und Maschinenbau sowie Fachexperten): Be- Wirtschaftsakteure der Region Stuttgart. Abbildung fragungsziel ist4: denStudiendesign aktuellen Industrie 4.0-Umsetzungs- stand (inklusive Themen und absehbaren Projekten) der Abbildung 4: 1. Studiendesign Tier-2/n Tier-2/n OEM Tier 1 Tier 2/n Ausrüster 2 3 Experteninterviews Online-Befragung 5 • Umsetzungsstand • Umsetzungsstand Industrie 4.0 Industrie 4.0 Handlungs- Grundlage 4 • Anforderungen an • Hürden der Weiterentwicklung bei empfehlungen Tier 2/n Tier 2/n Auswer- tung • Tier 2/n • Regionale Wirtschaftsakteure 1 Rahmenbedingungen Region Stuttgart Sachstand Industrie 4.0 Wissenschafts- und Wirtschaftsstruktur Anforderungen, Chancen, Risiken Stärken & Schwächen 6 SGH, HHW © Fraunhofer IPA Stand 16.01.2018 : 11
2. Einleitung Abbildung 5: E inordnung der Teilnehmer der Befragungen Befragte Experteninterviews % 30 25 20 15 10 4 4 2 4 3 Gesamtsumme 17 5 0 OEM Tier 1 Tier 2/-n Ausrüster Fachexperten Zulieferer Zulieferer (z.B. Maschinen- bauer) Befragte Online-Befragung % 45 40 35 30 25 20 15 10 Gesamtsumme 167 5 34 44 20 66 3 0 OEM Tier 1 Tier 2/-n Ausrüster Sonstige Zulieferer Zulieferer (z.B. Maschinen- bauer) 2.3 Befragte ternehmen war eine Mehrfachzuordnung möglich: Demnach zählen sich 49 Prozent der Befragten zu „Treibern“ (vor al- Insgesamt wurden 17 Experteninterviews mit der obersten lem Führungskräfte) und weitere 41 Prozent zu „Anwendern“ Führungsebene und Fachexperten führender Unternehmen (Führungskräfte oder Fachexperten, die Teile des Fabrikbe- des Automobil- und Maschinenbaus sowie weiteren Exper- triebs verantworten). Die Perspektive der „Umsetzer“ mit 29 ten durchgeführt, (Abbildung 5, oben). Ihre Zuordnung zu Prozent (oft Umsetzungsverantwortliche der Unternehmens- den Akteuren zeigt die breite Abdeckung der gesamten Sup- führung) sowie die Perspektive der „Ausrüster“ mit 22 Prozent ply Chain. Viele Befragte antworteten in der Doppelrolle als sind etwas geringer vertreten. Anwender und Fabrikausrüster, die in der Auswertung nicht gekennzeichnet ist. Die Befragten betrachten das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie decken die relevanten Akteure in der Supply Die Online-Befragung wurde als elektronische Blindversen- Chain sowie die hinreichenden Rollen im Unternehmen ab. dung durchgeführt (Rücklaufquote 1,8 Prozent). Insgesamt Gut zwei Drittel der Befragten sehen sich selbst als Leitanbie- waren 167 Fragebögen auswertbar, die breite Verteilung über ter oder Impulsgeber. Die Ergebnisse bieten somit die Grund- alle Akteure in der Supply Chain, (Abbildung 5, unten). Bei lage für ein aktuelles Stimmungsbild. der Abfrage der eingenommenen Rollen der Befragten im Un- 12
3. Rahmenbedingungen Region Stuttgart Der Begriff Industrie 4.0 beschreibt ein neues Zeitalter der 3.1 Sachstand Industrie 4.0 Industrialisierung: Intelligente Objekte, Maschinen und Gerä- te vernetzen sich und kommunizieren mit den Menschen auf Die Umsetzung einer intelligent vernetzten Wertschöpfungs- natürliche Weise. So entsteht zum einen ein neuer Grad in kette erfordert eine digitalisierte Produktion. Die hierfür er- Organisation und Steuerung der Wertschöpfungsketten. Zum forderliche technologische Basis lässt sich zu drei Technolo- anderen eröffnet dies die Chance auf neue Geschäftsmodelle giefeldern ordnen. mit disruptivem Charakter. Folglich wird die Digitalisierung zum Innovationstreiber der Produktion. Eine zentrale Heraus- Cyberphysische Systeme forderung besteht darin, echtzeitnahe Informationen bereit- zustellen und dynamische Reaktionen und Optimierungen zu Nach klassischem Verständnis sind physisches System und di- ermöglichen (Kagermann, 2013; Reinhart, 2017; Fraunhofer gitales Abbild streng getrennt. Cyberphysische Systeme lösen IPA, 2017). diese Trennung auf: Systeme wie beispielsweise Transport- behälter oder Maschinenkomponenten beinhalten Sensoren Doch inwieweit ist die Region Stuttgart auf diese Heraus- und Aktoren sowie eingebettete Software mit der Fähigkeit forderungen eingestellt? Hierzu sind zunächst die durch die zur Datenverarbeitung und selbständigen Kommunikation. neuen Ansätze entstehenden Anforderungen kompakt zu be- Dies ermöglicht die intelligente Vernetzung bisher passiver schreiben (Abs. 3.1). Diesen stehen die Möglichkeiten gegen- Objekte. Ihre eindeutige Kennung erlaubt eine entsprechend über, die die lokalen Wirtschafts- und Wissenschaftsstruktu- individuelle Kommunikation. Die unmittelbare physikalische ren bereitstellen (Abs. 3.2). Erfassung, Auswertung und Speicherung der Daten über Sen- soren vereinfacht bisher manuell erforderliche Tätigkeiten dramatisch. Abbildung 6: Technologiefelder Industrie 4.0 Cyberphysische Systeme Cloud Computing Smart Factory • Sensoren und Aktoren • Big Data • Plug and Produce • Automatisierter Informations- • Echtzeitdaten • Intelligente Vernetzung austausch zwischen Objekten • Apps Mensch – Maschinen der Wertschöpfungskette • Digitaler Schatten • Smarte Produkte • Preiswerte Automatisierung Quelle: Fraunhofer IPA 13
3. Rahmenbedingungen Region Stuttgart Abbildung 7: Klassen von IT-Diensten • Infrastructure as a Service stellt Hardware physikalisch oder virtuell bereit. • Plattform as a Service stellt Betriebssysteme b eziehungsweise Middleware bereit. • Software as a Service stellt Software, also modularisierte Funktionsbausteine, bereit. • Business Process as a Service wickelt komplette G eschäftsprozesse als Service ab. Business Process Prozesse as a Service Software Software as a Service Middleware Plattform as a Service Betriebssystem Virtuelle Hardware Infrastructure as a Service Physikalische Hardware Quelle: Gabler Wirtschaftslexikon, 2017 Cloud Computing Smart Factory Cloud Computing stellt Daten, Technologien und IT-Ressour- Stark sinkende Automatisierungskosten begünstigen die Di- cen über das Internet dezentral und dynamisch bereit. Der gitalisierung in der Produktion: Plug-and-Produce-Module, Wechsel von vormals stark lokal geprägten, individuellen Lö- eine intelligente Vernetzung von Mensch und Maschine mit sungen hin zu global verfügbaren, standardisierten Lösungen entsprechenden Schnittstellen sowie ein digitaler Schatten erhöht Transparenz und Vergleichbarkeit. Das führt wieder- eröffnen neue Flexibilität, auf unerwartete Kunden- und Pro- um zur Industrialisierung der IT-Ressourcen und ermöglicht duktionsänderungen zu reagieren und dennoch die Effizienz neue Geschäftsmodelle. Deren Kernidee besteht häufig darin, der Produktion zu steigern. entsprechende Dienste als Service mit nutzungsabhängiger Vergütung anzubieten. Entsprechend der Anwendungsschich- Neben den Technologiefeldern sind weitere Faktoren zu be- ten werden vier Klassen unterschieden, wie in Abbildung 7 trachten. Abbildung 8 zeigt die heute anerkannten Rahmen- dargestellt. bedingungen für die Entwicklung von Industrie-4.0-Lösungen (W&P, Fraunhofer IPA 2015): Cloud-Lösungen ermöglichen eine unternehmensweite und -übergreifende Datenspeicherung und Informationsweiterga- Technologie-Reifegrad: Basis für eine wirkungsvolle Vernet- be. Plattformen verknüpfen einzelne Anwendungen nutzer- zung und Kommunikation bildet die Verfügbarkeit entspre- spezifisch. Solche Anwendungen dominieren den Consumer- chender Technologien (Technology Push). Diese bestimmen Bereich bereits heute: Endverbraucher können Millionen von Möglichkeiten und Grenzen heutiger Konzepte und Lösungen. Apps über Plattformen, beispielsweise Google Play oder den Apple AppStore, beziehen. Politische Unterstützung: Politik wirkt als Impulsgeber – ein- drucksvoll an der Begriffssetzung Industrie 4.0 im Rahmen der Hightech-Strategie erkennbar. Durch Gesetze und Fördermaß- nahmen wurden und werden entsprechende Impulse gesetzt. 14
3. Rahmenbedingungen Region Stuttgart Abbildung 8: Klassen von IT-Diensten Rechtssicherheit Marktakzeptanz IT-Sicherheit Wettbewerb Politische (IKT) Standards Unterstützung Technologie- Reifegrad Quelle: W&P, Frauenhofer IPA 2015 Wettbewerb: Generell gilt: Wettbewerb fördert Innovationen Bezogen auf den Betrachtungsgegenstand sind zwei Aspekte und begünstigt die Verbreitung neuer Ideen und Lösungen. der Digitalisierung zu unterscheiden (Bauernhansl, 2017): Hier sind vor allem durch disruptive Technologien und Ge- schäftsmodelle Veränderungen zu erwarten. What – Digitalisierung der Produkte: In welchem Umfang sind die Produkte selbst digitalisiert, entwickeln sich in Richtung Marktakzeptanz: Darüber hinaus ist auch die Akzeptanz bei smarter Produkte und ermöglichen so neue Leistungsangebo- Gesellschaft und Verbraucher bei der Etablierung neuer Tech- te, beispielsweise in Form der oben genannten Dienste? nologien im Markt entscheidend. Hierbei bestimmt das Ver- trauen in die neuen Technologien und das Erkennen von de- How – Digitalisierung der Leistungserzeugung: In welchem ren Mehrwert die Umsetzungsgeschwindigkeit. Im Vergleich Umfang ist der Herstellprozess selbst stärker digitalisiert und zum privaten Nutzer zeigt sich der industrielle Anwender vor ermöglicht so den Weg zur bereits oben erläuterten, hoch fle- allem beim Thema Datensicherheit skeptisch. xiblen und effizienten Smart Factory? Rechtssicherheit: Industrie 4.0 erzeugt in massivem Umfang Steigende Datenumfänge und Datengenauigkeit bergen also Daten, was den Wert solcher abstrakten Güter steigert. Deshalb die Chance beziehungsweise Perspektive, umfassender und sind vor allem die Aspekte der Erzeugung, Anwendung und Ei- vor allem genauer auf veränderte Situationen der Wert- gentumsrechte dieser Daten sowie Haftung zu berücksichtigen. schöpfungskette zu reagieren. Somit werden Fabrikausrüster zum Enabler für Verbesserungen der in einer Lieferkette an- IT-Sicherheit: Mit stärkerer IT-Durchdringung steigt die Be- geordneten Herstellprozesse. Wie erwähnt birgt dies sowohl deutung der IT-Sicherheit. Hier sind zwei Bereiche zu unter- Potenziale zur Leistungsdifferenzierung als auch zur Kosten- scheiden: Die Betriebssicherheit (Safety) fokussiert auf den senkung. sicheren Betrieb aller Objekte einer Fabrik und betrachtet Si- cherheit und Gesundheitsschutz der Menschen. Der Betriebs- Risiken oder Probleme ergeben sich zum einen aus den in- schutz (Security) betrachtet die Sicherheit und die Vertrau- haltlichen Realisierungshürden bei der Umsetzung. Diese lichkeit (Privacy) aufgenommener Daten. lassen sich aus den oben beschriebenen Technologiefeldern sowie den Rahmenbedingungen ableiten. Zum anderen erge- (IKT-)Standards: Standards der Informations- und Kommu- ben sich diese aus entgangenen Markchancen beziehungs- nikationstechnologien begünstigen eine IT-technische Ver- weise einer Verschlechterung der Wettbewerbsposition. Hier netzung. Wie oben erwähnt basieren klassische Konzepte auf ist eine unternehmensindividuelle Betrachtung erforderlich. lokalen und statisch konfigurierten Punkt-zu-Punkt-Verbin- Im Grundsatz ist hierfür ein Vergleich erwarteter (Markt-) dungen. Eine wesentliche Herausforderung besteht also in der Entwicklungen und eigener geplanter Aktivitäten notwendig. dynamischen Anbindung von lediglich zeitweise in die Pro- duktion eingebundenen cyberphysischen Modulen. 15
3. Rahmenbedingungen Region Stuttgart 3.2 Analyse der Wirtschafts- und Clustern eng verstrickt. Dieser starke Fokus zeigt sich auch Wissenschaftsstruktur anhand der Ingenieursdichte von fünf Prozent, die höher ist als in jeder anderen Region Deutschlands (Strukturbericht Region Stuttgart, 2017; IHK Region Stuttgart, 2011). Die Region Stuttgart umfasst neben der Landeshauptstadt Stuttgart die Landkreise Böblingen, Esslingen, Göppingen, Die Wissenschaftslandschaft der Region Stuttgart führt den Ludwigsburg und Rems-Murr. Auf der Fläche von 3.654 km² Bereich der Forschung und Entwicklung deutschlandweit an. wohnen rund 2,74 Millionen Menschen (Statistisches Landes- Keine andere deutsche Region meldet mehr Patente an. Die amt BW, Stand 2015). Grundlegende Kennzahlen zeigen die Investitionsquote liegt mit 4,0 Prozent vom Umsatz sowohl wirtschaftliche Bedeutung: Auf zehn Prozent der Landesfläche über dem Bundes- als auch über dem Landesdurchschnitt werden 30 Prozent des Bruttoinlandprodukts erwirtschaftet (Region Stuttgart, 2017). Im innerdeutschen Vergleich besitzt (Statistisches Landesamt BW, Stand 2013). Damit liegt die die Region den höchsten Anteil an Wissenschaftlern gemes- Wirtschaftsleistung pro Einwohner deutlich über dem Bundes- sen an der Anzahl an Erwerbstätigen, siehe Abbildung 9. und Landesdurchschnitt. Auch im europäischen Vergleich ist die Region in dieser Hinsicht auf einem Spitzenplatz. 3.2.2 Stärken und Schwächen der Region hinsichtlich Industrie 4.0 3.2.1 Darstellung der Wirtschaftsstruktur Region Stuttgart In Baden-Württemberg investiert der Maschinen- und Auto- mobilbau am stärksten: Insgesamt tätigten beide Branchen Das produzierende Gewerbe bildet mit etwa 40 Prozent der im Jahr 2016 ungefähr 56 Prozent der gesamten Investitio- regionalen Wertschöpfung den industriellen Anker der Re- nen von etwa 12,9 Milliarden Euro des verarbeitenden Ge- gion. Aus wirtschaftlicher Sicht bilden der Automobil- und werbes (Statistisches Landesamt Baden-Württemberg). Ziel Maschinenbau mit Abstand die wichtigsten Bereiche des ver- der Landesregierung ist es, das Land zur digitalen Leitregion arbeitenden Gewerbes. Unternehmen anderer Branchen wie zu machen. Deshalb werden bis ins Jahr 2021 rund eine Mil- Elektrotechnik, Metallgewerbe oder Unternehmen aus dem liarde Euro in die Digitalisierung investiert. Dabei fließen 265 Dienstleistungssektor sind mit den beiden dominierenden Millionen Euro in Digitalisierungsprojekte und 100 Millionen Abbildung 9: Wissenschaftleranteil in ausgewählten Regionen Deutschlands Schleswig-Holstein 0,31 % Sachsen-Anhalt 0,34 % Oberfranken 0,43 % Thüringen 0,56 % Leipzig 0,64 % Hannover 0,69 % Tübingen 1,08 % Oberbayern 1,63 % Stuttgart 1,68 % 0% 2% Quelle: Verband Region Stuttgart, 2015 16
3. Rahmenbedingungen Region Stuttgart Abbildung 10: Landkarte CPS-Befähiger und CPS-Integratoren a) CPS-Befähiger b) CPS-Integratoren (Beispiele) (Beispiele) Wittenstein ABB ABB Mannheim Mannheim Heidelberg Heidelberg Würth SEW-Eurodrive Heilbronn Karlsruher Institut für Heilbronn Karlsruher Institut für KOMET Technologie Technologie CSL Karlsruhe Fraunhofer IOSB Karlsruher Institut für Technologie IMT Karlsruhe Bosch Trumpf Viastore Fraunhofer IPA Stuttgart Bosch Rexroth Bosch IMS CHIPS Festo Hochschule der Medien Universität Stuttgart Stuttgart Pilz Universität Stuttgart IAS Balluff Fraunhofer IAO Universität Ulm Fraunhofer IPA Universität Stuttgart IFM Synapticon IFM HSG -IMAT Reutlingen Fraunhofer IAO Universität Homag Universität Stuttgart IAT Tübingen NMI Ulm Reutlingen Ulm Sick Universität HSG-IMIT Freiburg IMTEK Freiburg Fraunhofer IPM Fraunhofer IAF Freiburg Konstanz Konstanz Unternehmen: Smarte Sensorik Unternehmen: Smarte Aktorik Forschungseinrichtungen Forschungseinrichtungen Unternehmen: Hardware/Benutzerschnittstellen Universitäten Unternehmen Universitäten Hochschulen Hochschulen Quelle: Ministerium für Finanzen und Wirtschaft BW, 2014 Euro in den Ausbau des Breitband-Internets (Land Baden- men zu einem Gesamtsystem verbinden, wie Werkzeugma- Württemberg, 2017). schinen-, Förder- oder Lagertechnikhersteller). Baden-Württemberg ist in einer guten Ausgangslage hin- Darüber hinaus ist die Entwicklung digitaler Geschäftsmodel- sichtlich der digitalen Transformation. Historisch begründet le entscheidend: Hier führt die Metropolregion Stuttgart ver- sich dieser Vorteil gegenüber anderen Regionen in der star- glichen mit anderen deutschen Metropolregionen wie Mün- ken Stellung der Fahrzeugtechnik sowie des Maschinen- und chen, Rhein-Ruhr oder Nord. Es beschäftigen sich die meisten Anlagenbaus mit seiner Innovationskraft. Das Land beher- KMUs mit der für die Digitalisierung essentiellen Entwicklung bergt eine Vielzahl an Unternehmen und Forschungsstätten digitaler Geschäftsmodelle (IHK Region Stuttgart, 2017). mit nennenswerten Aktivitäten im Bereich Industrie 4.0. Der beispielhafte Blick auf Hersteller und Forschungsstätten im Doch die Region Stuttgart tut sich (noch) schwer mit der Bereich CPS konkretisiert die Vorteile der Region Stuttgart, Bereitstellung der technischen Infrastruktur: Beispielsweise vergleiche Abbildung 10. Folgende Kategorien lassen sich un- beklagen zwei Drittel der Unternehmen eine unzureichende terscheiden: Breitbandversorgung mit entsprechenden Abwanderungsrisi- ken. Fehlende Glasfaseranschlüsse in neuen Gewerbegebieten CPS-Befähiger (Hersteller und Dienstleistungsanbieter von verhindern Unternehmensansiedlungen in diesen Kommunen. Komponenten und Teilsystemen cyberphysischer Systeme wie Die Umsetzung scheint langwierig und beschäftigt die Politik smarte Sensorik oder Aktorik, Software, Benutzerschnittstel- bis heute (Stuttgarter Zeitung, 21. Juli 2015, 22. November len, Software-Architektur oder IT-Sicherheit). 2017). CPS-Integratoren (Hersteller und Dienstleistungsanbieter, die Zukunftsweisend sind aber vor allem die verschiedenen Akti- Komponenten und Teilsysteme von cyberphysischen Syste- vitäten größerer und kleinerer Unternehmen – teilweise auch 17
3. Rahmenbedingungen Region Stuttgart in Kooperation mit Forschungsinstituten. Viele Betriebe sind ry. Im September 2017 wurde eine Demonstrationsfabrik in aktiv in der Forschung und Umsetzung der Produktion der Chicago eröffnet. Die Tochterfirma Axoom ist Lieferant einer Zukunft beteiligt und es entstehen Leuchttürme mit Vorbild- digitalen Plattform, die eine Umsetzung der Prinzipien von funktion für andere Unternehmen. Hier einige Beispiele: Industrie 4.0 ermöglicht (Trumpf, 2017). Die PKW-Sparte der Daimler AG strebt eine Digitalisierung Festo setzte in seiner 2015 eröffneten Technologiefabrik der gesamten Wertschöpfungskette mit den Zielen der Fle- Scharnhausen einige Kernelemente von Industrie 4.0 bereits xibilitätserhöhung und Lieferzeitverkürzung individueller um: Mitarbeiter kooperieren mit Robotern, die für Menschen Produkte an. Bereits umgesetzt sind die vernetzte Produkti- nicht-ergonomische Montagetätigkeiten ausführen. In einem onsorganisation und die Technologiefabrik in Sindelfingen. evolutionären Prozess wird auf die komplett vernetzte Fabrik So können neue Produktionskonzepte eingehend getestet hingearbeitet. Festo bietet mit Festo Didactic eine Hilfestel- und anschließend in der Massenproduktion angewendet lung für andere Unternehmen für den Einstieg in den The- werden. Der Einsatz von Methoden der digitalen Fabrik er- menkomplex Industrie 4.0 und dessen Umsetzung an (Festo, möglicht Prozesssimulationen entlang der gesamten Ferti- 2017). gung. Geplant ist die Zusammenführung der Smart Factory aus den einzelnen Konzepten (zum Beispiel 3D-Drucken und Wittenstein betreibt eine Innovationsfabrik und eine Produk- Maschinelles Lernen) noch in diesem Jahrzehnt. Dies findet tion im urbanen Bereich. Im Vordergrund stehen vernetzte in Kooperation mit dem Fraunhofer IPA im kooperativen For- physikalische und virtuelle Produktionselemente mit entspre- schungscampus ARENA2036 statt. chender Steuerung (Wittenstein, 2017). Mit dem Ziel einer vernetzten Fabrik bietet Bosch eine um- Ein genauerer Blick auf die Einführungshemmnisse zeigt eine fassende Produkt- und Servicepalette zum Einstieg und zur positive Veränderung gegenüber vorangegangenen Studien. Vertiefung in die Digitalisierung: Software (Wertstrom- oder Den meisten Befragten sind Nutzen und Verständlichkeit klar. Shop-Floor-Management), Dienstleistungen (Logistik, Ser- Sie schätzen allerdings Einführungsaufwand und Kosten als vice, Consulting) sowie Produkte (Beispiel Track-and-Trace- hoch ein (Bauernhansl, 2016) siehe Abbildung 11. Systeme, kollaborative Roboter, Sensor Cloud, …) sowie neue Geschäftsmodelle (Software as a Service) sind ebenfalls mög- Doch trotz regionaler Leitanbieter mit großer Strahlkraft zei- lich (Robert Bosch GmbH, 2017). gen viele kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) teilweise Umsetzungsdefizite: Der Service TruConnect von Trumpf unterstützt bei der Um- wandlung der Produktion in eine individuelle Smart Facto- Abbildung 11: Hemmnisse beim Einsatz von Produktions-IT Aufwändige 25,8 % Einführungsphase Kostenintensiv 22,1 % Sicherheitsbedenken 15,9 % Unflexibel 12,6 % Intransparente 11,8 % Rahmenbedingungen Unverständlich 8% Geringer Nutzen 3,9 % 0% 30 % Quelle: Bauernhansl, 2016 18
3. Rahmenbedingungen Region Stuttgart Nutzenhebel Produktions-IT: Die Software-Architektur in ei- • Smarte Sensorik und Aktorik: IMTEK (Freiburg), IFM (Stutt- ner Produktion bildet die Basis für den effektiven Einsatz von gart), IMT (Karlsruhe), wbk (Karlsruhe), IFM (Ulm), Hahn- Sensoren und Aktoren. Doch solange diese Basis für eine digi- Schickard-Gesellschaft: HSG-IMIT (Villingen-Schwenningen), talisierte Produktion nicht erkannt ist beziehungsweise fehlt, HSG-IMAT (Stuttgart). IMS CHIPS (Stuttgart), NMI (Reutlin- können die Unternehmen keine wirksamen Projekte starten gen), Fraunhofer Institute: IPM (Freiburg), IAF (Freiburg), IPA und Verbesserungen erzielen. (Stuttgart), IOSB (Karlsruhe), ICT (Pfinztal), EMI (Freiburg), und den Hochschulen Furtwangen, Esslingen und Aalen. Handlungsbereitschaft der KMU im Maschinen- und Anla- genbau: Im Jahr 2016 nannten knapp sechs Prozent der be- • Das Spitzencluster MicroTEC Südwest vereinigt zahlreiche fragten Unternehmen konkrete Industrie 4.0-Aktivitäten. Zir- Forschungsinstitute und Industriepartner. ka 18 Prozent stehen mit ersten Konzepten und Maßnahmen noch am Anfang. Die überwiegende Mehrheit (76 Prozent) • Benutzerschnittstellen: Universitätsinstitute: CSL (Karls- unternahm gar keine Aktivitäten (Bauernhansl, 2016). ruhe), IIF (Freiburg), WSI (Tübingen), IAS (Stuttgart), IAT (Stuttgart), IKT (Ulm); Hochschule der Medien (Stuttgart); Selbstverständnis: Detailstudien zeigen bei vielen KMU eine Fraunhofer Institute IAO und IPA (beide Stuttgart). sehr selbstkritische Einschätzung ihrer eigenen Aktivitäten: Obwohl sie Teilthemen sogar konsequent aufgreifen, inter- • Software: Universität Stuttgart: IAT, IAAS, IPVS, IKTD und pretieren sie diese eher als typische (Weiter-) Entwicklungs- der Exzellenzcluster SimTec; Universitätsinstitute: wbk themen, obwohl sie bei näherer Betrachtung durchaus zum (Karlsruhe), IMI (Karlsruhe); die Fraunhofer Institute IPA Thema Industrie 4.0 gehören. Hier fehlt es dann eher an einer (Stuttgart), IAO (Stuttgart) und IOSB (Karlsruhe). übergeordneten Klammer – also einer Industrie 4.0-Strategie und strukturierten Vorgehensweise (Bauernhansl, 2017). • Software-Architektur und IT-Sicherheit: Fraunhofer IPA (Stuttgart), Fraunhofer IOSB (Karlsruhe), FZI (Karlsruhe) Insgesamt verdichtet sich folgender Eindruck: • CPS-Integration: Fraunhofer-Institute, Universität Stutt- Viele Leitanbieter zeigen Aktivitäten mit großer Strahlkraft, gart, Karlsruher Institut für Technologie. Im Forschungs- je nach Umsetzungsfortschritt zeigen sich auch bereits erste projekt ARENA2036 der Universität Stuttgart sind 22 messbare Ergebnisse. Hierbei ist die Unternehmensgröße kein Mitglieder aus Industrie und Forschung beteiligt. Neben Kriterium für Innovationskraft oder Umsetzungsgeschwin- großen Konzernen wie Daimler und Bosch beteiligen sich digkeit. Kleineren Unternehmen gelingt es immer wieder, mit auch KMUs. Auf wissenschaftlicher Seite sind neben dem innovativen Ansätzen für Aufsehen zu sorgen. Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmo- toren Stuttgart (FKFS) und der Universität Stuttgart die Viele KMU erscheinen zurückhaltender – zumindest nach au- Fraunhofer-Institute IPA und IAO beteiligt. ßen. Sie kommunizieren ihre Aktivitäten kaum, sodass aus einer Außensicht der Eindruck einer beobachtenden Grund- Diese Aufzählung zeigt das breite Forschungsengagement in haltung entsteht. Notwendig wären hier die zunächst erfor- Baden-Württemberg hinsichtlich aller Bereiche zum Thema In- derlichen unternehmensspezifischen Grundüberlegungen: dustrie 4.0. Darüber hinaus stehen auf Bundes-, Landes- und Diese beginnen ganz klassisch mit der Marktanalyse eigener Regionalebene Technologienetzwerke bereit, innerhalb derer Stärken und Schwächen sowie eines gemeinsamen Verständ- Erfahrungen und Anregungen diskutiert werden können: nisses zum Thema Industrie 4.0. Erst auf dieser Basis können neue Angebote bis hin zu entsprechenden Geschäftsmodellen • Plattform Industrie 4.0 – deutschlandweit entwickelt werden. • Allianz Industrie 4.0 Baden-Württemberg – landesweit • Erfa-Kreis der IHK Region Stuttgart – regional 3.2.3 Darstellung der regionalen Forschungslandschaft Die Forschungslandschaft im Bereich Industrie 4.0 in Baden- Württemberg umfasst Hochschulen, Universitäten und For- schungseinrichtungen. 2014 zeigten sich insgesamt rund 400 größere Akteure. Im Folgenden werden die Forschungsinstitu- tionen anhand der bereits zuvor getroffenen Untergliederung aufgeführt: 19
4. Ergebnisse Die Studienergebnisse sind zweigeteilt: Der allgemeine Teil Die Experteninterviews bestätigten, dass sich alle OEMs und beschreibt Entwicklungstrends, Strategien und Digitalisie- auch Tier 1 intensiv mit diesen Fragestellungen auseinander- rungsaktivitäten im Automobil- und Maschinenbau. Der de- setzen. taillierte Teil erläutert Veränderungen in den Supply Chains des Automobil- und Maschinenbaus hinsichtlich ihrer Kom- 2. These: Transparenz der Supply Chain plexität, der zur Planung und Steuerung verfügbaren Infor- mationen sowie der verwendeten IT-Technologien zum Infor- „Die Digitalisierung von Prozessen eröffnet die Möglich- mationsaustausch. keit höherer Transparenz in der Lieferkette. Zentrales Ele- ment für eine Verbesserung der Planung und Steuerung ist ein stärkerer Austausch von Informationen zwischen den 4.1 Allgemeiner Teil Partnern der Supply Chain.“ Ausgangspunkt der Studie bilden vier übergreifende Trends, Auch diese These stieß erwartungsgemäß auf breite Zustim- die erkennbare und erwartete Entwicklungstrends in der Au- mung (100 Prozent der Interviewten, 96 Prozent der Online- tomobilbranche (1. und 2. These) und ihrer Fabrikausrüster, Befragten). Hierbei sind zwei Aspekte zu unterscheiden: den Maschinenbau (3. und 4. These) charakterisieren (Abs. 4.1.1). Die Folgeabschnitte beschreiben Strategien (Abs. • Neue Technologien eröffnen Kostensenkungspotenziale: 4.1.2). und Digitalisierungsaktivitäten (Abs. 4.1.3), mit denen Aus technischer Sicht ermöglichen digitalisierte Prozesse die Unternehmen diesen Veränderungen begegnen. eine höhere Transparenz der Lieferkette. Doch wirksam wird diese erst durch einen stärkeren Informationsaus- 4.1.1 Übergreifende Trends tausch der Supply-Chain-Akteure über Bedarfs-, Kapazi- täts- und Auftragsfortschrittsdaten. Eine Automatisierung Die übergreifenden Trends wurden in Form von Thesen for- des unternehmensübergreifenden Informationsaustauschs muliert, bei denen die Befragten zustimmen oder ablehnen reduziert die mit der Informationsübermittlung verbunde- konnten. Im Rahmen der Interviews resultierten daraus teil- nen Transaktionsprozesse bei den beteiligten Partnern und weise vertiefende Diskussionen. damit auch die Kosten (vgl. Göpfert et. al., 2017). 1. These: Wandel der Automobilbranche • Neue Technologien eröffnen Leistungsverbesserungspo- tenziale: Aus inhaltlicher Sicht dominierten in der Ver- „Das Automobil steht vor/ist in einem grundlegenden gangenheit Planungsaktivitäten auf Basis von Vertrauen Wandel unter anderem in Bezug auf das Antriebskonzept. und Erfahrungen. Doch dynamischere Wertschöpfungs- Dabei wird der klassische Verbrennungsmotor durch al- ketten verdeutlichen die Grenzen eines solchen Ansatzes. ternative Antriebe ersetzt. Beispiele hierfür sind Hybrid-, Die Erfolgsbeispiele zeigen, dass eine höhere Transpa- Wasserstoff-, oder rein batterieelektrische Antriebe.“ renz und vor allem echtzeitnahe Steuerungsmaßnahmen erfolgskritisch werden. Sind Systemänderungen sowie Diese These stieß erwartungsgemäß auf breite Zustimmung deren Auswirkungen echtzeitnah erkennbar, steigt die (100 Prozent der Interviewten, 86 Prozent der Online-Befrag- Wirksamkeit eingeleiteter Steuerungsmaßnahmen, so- ten). Die vertiefenden Diskussionen in den Experteninterviews dass die Logistikleistung (beispielsweise die Liefertreue) war die voraussichtliche Dauer des Wandels allerdings um- steigt. stritten und reichte von zehn bis 30 Jahren. 3. These: Smarte Supply Chain Die Automobilbranche vollzieht aktuell einen tiefgreifender Wandel. Lange fokussierten sich die Hersteller auf eine kon- „Eine smarte Supply Chain basiert auf einem hohen Grad tinuierliche Verbesserung bestehender Technologien und auf an Transparenz. Dies erfordert unter anderem smarte Pro- die Optimierung traditioneller Geschäftsmodelle. Vier Trends dukte der Fabrikausrüster bezüglich Produktions-, Logis- erscheinen für die aktuell beobachtbare Transformation ent- tik- und Lagermittel zur Datenerhebung.“ scheidend: Auch diese These stieß auf breite Zustimmung (100 Prozent • Digitalisierung und Vernetzung der Fahrzeuge der Interviewten, 92 Prozent der Online-Befragten). Somit • Autonomes Fahren werden smarte Produkte der Fabrikausrüster zum „Digitali- • Suche nach alternativen Antriebskonzepten, insbesondere sierungsenabler“ – also zur unabdingbaren Voraussetzung – Elektromobilität einer smarten Supply Chain. Denn erst durch die Kombination • Neue Mobilitätskonzepte, insbesondere im Bereich vernetzter Maschinen und Anlagen mit den IT-Systemen in Carsharing den Lieferketten aller beteiligten Unternehmen können Pro- 20
4. Ergebnisse duktions- und Absatzprozesse neu gestaltet werden (vgl. Lü- Wesentlichen von der Investitionsart (zum Beispiel Neu- nendonk, 2016). investitionen bei einem Modellwechsel) abhängen.“ Auch die in den Interviews geführten Diskussionen verdeut- Diese These stieß auf breite Ablehnung und wurde am kont- lichten die Doppelrolle des Maschinenbaus: Einerseits ist er roversesten diskutiert: Lediglich 15 Prozent der Interviewten Anwender von Industrie 4.0-Konzepten, andererseits auch und 25 Prozent der Online-Befragten stimmten dieser These gleichzeitig Anbieter solcher Lösungen. Dies erklärt die Not- zu. Die Experteninterviews verdeutlichten hier zwei Entwick- wendigkeit für die Branche, sich frühzeitig und intensiv mit lungstendenzen: den entsprechenden Konzepten zu befassen. • Einerseits höhere Anforderungen bezüglich der gefor- 4. These: Lieferbedingungen der Fabrikausrüster derten Liefergenauigkeit (Lieferfenster) – dies gilt ins- besondere für die Fabrikausrüster der OEMs mit ihren „Die Digitalisierung bringt keine grundlegenden Verän- weltweiten Standardisierungsansprüchen. Die Interviews derungen der Lieferbedingungen der Fabrikausrüster mit verdeutlichten die Ursachen: Enge Lieferfenster entste- sich. Lieferzeiten und Lieferfenster für diese werden, auch hen zum Beispiel aufgrund eng eingeplanter Wartungs- in Zukunft, weitestgehend unverändert bleiben und im fenster oder der Betreibermodelle der Fabrikausrüster (vgl. a. Abs. 1.2). Abbildung 12: Einfluss politischer Maßnahmen Erwarten Sie eine Beeinflussung des Absatzmarktes durch politische Maßnahmen? Förderung Elektromobilität 81 % Fahrverbot Verbrennungsmotoren (Innenstadt/Ballungsraum) 76 % Verschärfung der Abgasgrenzwert 64 % und Flottenverbräuche Änderung der Gesetzeslage 56 % bezüglich autonomem Fahren Forschungsdruck durch direkte Konkurrenten 39 % Erwartungen/Druck durch die Entwicklung anderer Märkte 38 % Verlagerung internationaler Handelsbeziehungen 26 % Anpassung der Sicherheitsvorschriften 25 % Sonstige 3% 0% 100 % Gültige Fälle: n=110; Prozentwerte beziehen sich auf die Anzahl gültigen Fälle (alle bzw. je Akteur) 21
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