Film, Aktivismus und Feminismus - Die Rolle des Films innerhalb der Frauenbefreiungsbewegung (FBB) - Seminar für Filmwissenschaft
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Seminararbeit am Seminar für Filmwissenschaft Titel der Lehrveranstaltung: «Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte» Film, Aktivismus und Feminismus Die Rolle des Films innerhalb der Frauenbefreiungsbewegung (FBB) Verfasserin: Simone Locher Matrikel-Nr.: 12-750-212 Studiengang: Filmwissenschaft MA 30 KP Fächerkombination: Englische Sprachwissenschaft (90) HS 2019 Dozent*innen: Prof. Dr. Margrit Tröhler, MA Severin Rüegg, MA Seraina Winzeler Abgabedatum: April 2020
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ......................................................................................................................................... 2 2 Entstehungsgeschichte der FBB .................................................................................................... 4 2.1 Von der ‚alten‘ Frauenbewegung zur FBB ............................................................................... 4 2.2 Der Aktionskreis der FBB ......................................................................................................... 5 2.3 Die politische Ausrichtung der FBB.......................................................................................... 6 2.4 Feministische Strömungen im Schweizer Film .......................................................................... 7 3 Die Rolle von Video und Film innerhalb der FBB ....................................................................... 8 3.1 Audiovisuelle Medien zum Zweck der Eigenwerbung ............................................................... 9 3.2 Der Film als Diskussionsinitiator ........................................................................................... 10 3.3 Der Aufklärungsfilm ................................................................................................................ 12 3.4 Der Film als Provokationsmittel ............................................................................................. 13 3.5 Filmische Selbstdarstellung..................................................................................................... 13 3.6 Film-Aktivismus durch die Filmauswahl ................................................................................. 14 3.7 Der Film als interventionistisches Instrument ........................................................................ 15 3.8 Die medienwirksame Ablehnung von frauenfeindlichen Filmen ............................................. 17 4 Die Nutzung des Films im Kino Xenia im Vergleich zur FBB .................................................. 18 4.1 Soziale und kulturelle Anliegen ............................................................................................... 18 4.2 Etablierung einer Frauenkultur .............................................................................................. 19 4.3 Die ‚Stellung der Frauen‘ ....................................................................................................... 20 4.4 Gesellschaftspolitische Anliegen ............................................................................................. 21 5 Fazit ................................................................................................................................................ 23 6 Bibliografie .................................................................................................................................... 26 6.1 Primärquellen / Archivmaterialien.......................................................................................... 26 6.2 Sekundärliteratur ..................................................................................................................... 27 7 Filmografie..................................................................................................................................... 28 8 Abbildungsverzeichnis.................................................................................................................. 29 1
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte 1 Einleitung Die Zürcher Frauenbefreiungsbewegung (FBB) entstand im Jahr 1968 in der Folge der Jugend- und Studentenbewegung und machte sich in den 1970er einen Namen als autonome aktivistische Gruppierung, die sich für die Stellung der Frauen in der Gesellschaft einsetzte und dabei die von oben vorgegebenen, oppressiven Strukturen kritisierte. Die FBB war dabei Teil einer internationalen Entwicklung und knüpfte an die feministischen Bewegungen unter anderem in den USA und Frankreich an. Gleichzeitig kann die FBB aber auch als eine Reaktion auf die alte Schweizer Frauenbewegung verstanden werden, da sie sich vorwiegend aus jungen, linken Frauen zusammensetzte, die viele Ansichten ihrer Vorgängerinnen hinterfragten oder gar kritisierten. Was der FBB ihren höchsten Bekanntheitsgrad bescherte, war allerdings eine Reihe an meist spontan organisierten, äusserst provokativen Aktionen. Entsprechend stellten der Aktivismus und die Aufmerksamkeitserregung sowie die damit einhergehende Verbreitung der eigenen politischen Ansichten und Ideologien zentrale Elemente der Bewegung dar. In diesen vielschichtigen Bestrebungen und Aktionsformen spielte der Einsatz diverser audiovisueller Medien eine grosse Rolle, die ich in meiner Arbeit untersuchen möchte. Die Nutzung dieser Medien durch die FBB war breit gefächert; so wurde der Film etwa als politisches Instrument gegen aussen oder als Mittel zur Aufklärung der eigenen Anhängerschaft eingesetzt. Wichtige Themen bildeten dabei zeitgenössische Problematiken wie etwa das Frauenstimmrecht, die Straflosigkeit der Abtreibung, die Homosexualität, die Gleichstellung von Frauen und Männern im Beruf sowie allgemein die Gleichberechtigung der Frauen. Im Laufe des rund zwanzigjährigen Bestehens setzte die FBB den Aktivismus auf verschiedenen Ebenen fort, wobei über die Jahre immer deutlicher wurde, wie unterschiedlich die individuellen Interessen und Absichten der einzelnen Aktivistinnen waren. Diese teilweise schwer miteinander vereinbar scheinenden Anliegen führten dazu, dass sich die FBB zunehmend in verschiedene Arbeitsgruppen aufspaltete, die am Ende als eigenständige Gruppierungen aus der Bewegung hervorgingen. So wurde das Kino Xenia, auf das ich ebenfalls zu sprechen komme, von Frauen initiiert, die wiederum einer neuen, jüngeren Generation angehörten. Dennoch vertraten sie anfänglich durchaus ähnliche Ansichten wie die FBB, insbesondere in Hinsicht auf die Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen. Aus diesem Grund sind viele Themen, die zu den Hauptanliegen der FBB gehörten, ebenfalls in den ersten Programmheften des Xenia zu 2
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte finden. Im Laufe der Zeit aber entwickelten sich die filmischen Schwerpunkte im Kino Xenia in eine andere Richtung, wodurch sich die beiden Generationen in ihren Kernanliegen immer stärker unterschieden. Vor diesem sozialen und politischen Hintergrund möchte ich mich in der vorliegenden Seminararbeit dem Thema der Frauenbefreiungsbewegung in der Schweiz widmen. Dabei werde ich die folgenden Forschungsfragen analysieren: Welcher Stellenwert wurde dem Film innerhalb der FBB zugesprochen? An wen richteten sich die Filme? Und ist das von der FBB durch den Film vermittelte Frauenbild lediglich eine Reflexion zeitgenössischer Diskurse und Sichtweisen, oder wurde es überhaupt erst durch den Film konstruiert und kann daher als Ursprung und somit als eigenständiger Beitrag der FBB zum Feminismus im Schweizer Film gewertet werden? Zur Beantwortung dieser Fragen werde ich untersuchen, welche filmischen Einsatzformen und Verwendungszwecke innerhalb der FBB zu beobachten sind und welche Rolle dabei die zahlreichen filmkulturellen Veranstaltungen und medienwirksamen Aktionen, aber auch die politische Ausrichtung der FBB, spielten. In einem zweiten Schritt werde ich die filmische Verhandlung der in den Forschungsfragen implizierten feministischen und sozialpolitischen Themengebiete innerhalb der FBB mit den Anliegen des Kino Xenia vergleichen. Dabei stelle ich die Hypothese auf, dass der Film für beide feministischen Bewegungen – wenn auch mit unterschiedlichen Akzentsetzungen – wesentlich dazu beitrug, eine weibliche bzw. feministische Identität zu konstituieren. Im folgenden Kapitel gebe ich einen Überblick über die Geschichte der FBB, ihren Aktionsradius sowie ihre politische Ausrichtung und erörtere kurz die Videobewegung Schweizer Feminismus im Kontext der Frauenbewegung. In Kapitel 3 lege ich die verschiedenen Einsatzformen von Video und Film innerhalb der FBB dar und ergründe deren Bedeutung für die Bewegung, während ich in Kapitel 4 die Verwendung des Films innerhalb der FBB mit der im Kino Xenia vergleiche. In Kapitel 5 werde ich schliesslich die wichtigsten Erkenntnisse dieser Arbeit konsolidieren und ein Fazit ziehen. Zum Schluss dieser Einleitung noch ein Wort zur Archivrecherche: Ich stützte mich für mein Vorhaben auf die Bestände zur Frauenbefreiungsbewegung (FBB) und zum Frauenfilmclub Xenia im Schweizerischen Sozialarchiv Zürich, soweit ich sie vor der Schliessung des Archivs wegen der Corona-Pandemie sichten konnte. Vorgesehen war, dass ich meine Recherchen in der Gosteli-Stiftung – Archiv zur Geschichte der schweizerischen Frauenbewegung (in Worblaufen bei Bern) fortsetzen würde, wo weitere Materialien zur 3
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte FBB archiviert sind. Dies war aufgrund der aktuellen Situation nicht möglich; allerdings erhielt ich per Email die Auskunft, dass in den Findmitteln zu dem Bestand keine Hinweise auf die Nutzung von Film durch die FBB vermerkt seien. Auch jene Dokumente der FBB im Sozialarchiv, die ich nicht erschöpfend bearbeiten konnte (vgl. Signaturen in der Bibliografie), schienen mir nach einer ersten Durchsicht kaum explizite Informationen zum Einsatz von Filmen zu enthalten. Eine vertiefte Konsultation dieses Materials bleibt jedoch in beiden Fällen späteren Untersuchungen überlassen. Neben den Primärquellen und der Sekundärliteratur habe ich mich für meine Untersuchung zusätzlich zu den Schriftdokumenten auf Fotografien und Videos aus dem Online-Archiv des Schweizerischen Sozialarchivs (Datenbank Bild und Ton) abstützen können (vgl. Angaben in der Bibliografie sowie in der Filmografie). 2 Entstehungsgeschichte der FBB 2.1 Von der ‚alten‘ Frauenbewegung zur FBB Die Geschichte der FBB beginnt an der Feier zum 75. Jubiläum des Zürcher Frauenstimmrechtsvereins am 10. November 1968. Damals störte eine kleine Gruppe von jungen Frauen und Männern, die vorwiegend aus der rebellischen Linken stammten, die Festlichkeiten, um darauf aufmerksam zu machen, dass sich die Frauen des Frauenstimmrechtsvereins nicht genug für die „fehlende Gleichberechtigung von Mann und Frau“ einsetzten (Suter und Bernasconi 2008, 183). Im Unterschied zur ‚alten‘ Frauenbewegung begnügten sich die jungen Aktivistinnen nämlich nicht mit dem Kampf und dem Einsatz für das Frauenstimmrecht, da sie der Ansicht waren, dass das Wahlrecht alleine das generelle Problem der Unterdrückung der Frauen innerhalb einer vorwiegend patriarchal strukturierten Gesellschaft nicht lösen würde und daher umfassender für die Gleichberechtigung gekämpft werden müsse. Entsprechend wurden auch viele Haltungen und Ansichten der alten Frauenbewegung, insbesondere deren Idealvorstellung eines letztlich äusserst konservativen Frauenbildes, kritisiert. Einige Monate später, am historischen Frauenstimmrechtstag vom 1. Februar 1969, traten die Aktivistinnen schliesslich erstmalig als Frauenbefreiungsbewegung in Erscheinung. Zu den Themen, für die sie sich besonders interessierten, gehörten gemäss Anja Suter und Sara Bernasconi (2008, 183) bis dato weitestgehend tabuisierte Themen wie „freie Sexualität, Verhütung und Abtreibung, 4
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte antiautoritäre Erziehung“ sowie „Frau und Arbeit“. Aufgrund der Vielfalt der teilweise doch sehr unterschiedlichen Interessensgebiete splittete sich die FBB jedoch schon bald in verschiedene Arbeitsgruppen auf. Im Zuge dieser Aufteilung entstanden unter anderem die Homosexuelle Frauengruppe, kurz HFG (1974-1980), oder die Frauen-Lesben-Bibliothek, genannt schema-f. Innerhalb dieser kleineren und spezifischen Gruppen konnten sich die Frauen mit ihren jeweiligen Kernanliegen besser verständigen. Diese Anliegen lassen sich am besten veranschaulichen, wenn man sich die damalige politische Landschaft der Schweiz vor Augen führt: Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre war etwa der Schwangerschaftsabbruch schweizweit „ein strafrechtlicher Tatbestand“, die Verhütungspille für „nicht Verheiratete schwierig erhältlich“ und das „Konkubinat verboten“ (Suter und Bernasconi 2008, 186). Entsprechend führten diese das Leben der Frauen teilweise stark einschränkenden Verbote und Gesetze dazu, dass sich die FBB in der Pflicht sah, durch oftmals spontan organisierte Aktionen auf zeitgenössische Missstände aufmerksam zu machen. So forderte die FBB nicht nur die Legalisierung der Abtreibung, sondern auch, dass die komplette Bezahlung durch die Krankenkasse zu erfolgen habe und Verhütungsmittel kostenlos abgegeben werden sollen. Vor diesem thematischen Hintergrund eröffnete die FBB-Arbeitsgruppe Sexualität und Aufklärung im September 1972 schliesslich die INFRA, eine Informationsstelle für Frauen, die kostenlose Beratung zu rechtlichen und medizinischen Fragen rund um das Thema Schwangerschaftsabbruch anbot (vgl. Schmitter 2014, 161). 2.2 Der Aktionskreis der FBB Anfänglich war die FBB vorwiegend lokal organisiert; der Aktionsradius erstreckte sich auf die Stadt Zürich und die nahe Umgebung. Die teilweise aufsehenerregenden Aktionen der Frauengruppe erreichten jedoch schon bald weitere Teile des Landes. Ein Ereignis, das über die Grenzen Zürichs hinaus Wellen schlug und der Bewegung somit nationale Aufmerksamkeit verschaffte, war die „erste Frauendemonstration in der Schweiz seit 1927“ am 15. März 1975, anlässlich derer die FBB-Frauen die „Freigabe der Abtreibung“ forderten (Suter und Bernasconi 2008, 190). Von diesem Zeitpunkt an fand jedes Jahr am 8. März, am Internationalen Frauentag, der seit 1921 an diesem Tag gefeiert wird, eine nationale Frauendemonstration statt, die jeweils in einer anderen Schweizer Stadt durchgeführt wurde; gleichzeitig gab es dezentrale Demonstrationen, u. a. in Basel, aber auch in „Aarau, Baden, Bern, Olten, Zürich, Genf, Fribourg“ und „Neuchâtel“ etc. (Foto Gertrud Vogler: 5
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte Frauendemonstration Basel 1977a; vgl. Abb. 1). Dieser Umstand ermöglichte die gesamtschweizerische Verbreitung und Bekanntmachung der Bewegung. Ausserdem trat die FBB ab dem Jahr 1974, in dem die Koordinationsstelle geschaffen wurde, als „landesweite Bewegung“ auf (Suter und Bernasconi 2008, 190) und wurde anschliessend auch vermehrt als solche wahrgenommen. Mit der Gründung der Koordinationsstelle konnten zudem weitere regionale FBB-Gruppen organisiert werden, etwa in „Basel, Biel, Bern und Luzern“ sowie französisch-sprachige Gruppierungen in „Freiburg, Genf und Lausanne“ und die italienisch- sprachigen Pendants in „Locarno und Bellinzona“ (Suter und Bernasconi 2008, 190). Somit weitete sich der Aktionsradius der FBB ab Mitte der 1970er Jahre auf die ganze Schweiz aus. Abb. 1 FBB-Demonstration zum Internationalen Frauentag, 08.03.1977, Basel; Foto: Gertud Vogler 2.3 Die politische Ausrichtung der FBB Aus politischer Sicht orientierte sich die FBB bis Anfang der 1970er an der sozialdemokratisch ausgerichteten Neuen Linken, insbesondere an der linken Frauenszene und der lesbischen Community. Gegen Ende der 1970er aber wurde eine neue politische Ausrichtung spürbar, denn die FBB positionierte sich „verstärkt feministisch“ und distanzierte sich in ihren Wertvorstellungen in einigen Belangen von den Ansichten der Neuen Linken (Fonjallaz 2008, 48). Mit der Gründung des Zürcher Frauenzentrums im Jahr 1974 spaltete sich die FBB schliesslich von den (partei-)politisch organisierten Linken ab. Dies war vor allem dem Umstand geschuldet, dass in den „gemischten Gruppierungen der Neuen Linken“ aus Sicht der FBB eine „traditionelle Arbeits- und Rollenverteilung der Geschlechter“ vorherrschte, wo die Frauen vorwiegend „Flugblätter tippten“ und „Kaffee 6
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte servierten“, während die Männer „weltverändernde Theorien“ entwarfen (Lenzin 2000, 52). Aus diesem Grund begann die FBB vermehrt damit, die Linke zu kritisieren und sich gar gegen diese zu stellen. Die FBB-Frauen machten die Themen Gleichberechtigung und Emanzipation der Frau sowie die von den Frauen getragene Last des Patriarchats zu ihren zentralen Anliegen. Trotz dieser Ablösung von der Linken wurde die FBB in der Öffentlichkeit, insbesondere in den Medien, lange Zeit mit ihr in Verbindung gebracht, nicht zuletzt auch deswegen, weil viele der FBB-Frauen nebenbei im linken Milieu aktiv waren. Diese politische Zuordnung der eigentlich autonomen FBB lockerte sich allerdings ab März 1977 zunehmend, als die FBB eine „allgemeine Patriarchatskritik“ der „konkreteren Forderung“ nach der Ermöglichung einer straffreien Abtreibung vorzuziehen begann (Suter und Bernasconi 2008, 190). In den 1980er Jahren schlossen sich mit Beginn der Schweizer Jugendunruhen zudem vermehrt jüngere Frauen mit neuen und moderneren Perspektiven der Bewegung an, was die Veränderung der politischen Ausrichtung der FBB weiter vorantrieb. 2.4 Feministische Strömungen im Schweizer Film Wie Cecilia Hausheer darlegt, war die Schweizer Filmlandschaft der 1970er geprägt von Filmemacherinnen, die sich vermehrt „öffentlich wahrnehmbar als Frauengeneration“ formierten, was unter anderem zur Folge hatte, dass diverse „feministische Anliegen“ in ihre Filmarbeit einflossen. Die Frauenbewegung war hier zentral, da durch sie ein neuer „Orientierungspunkt“ geschaffen wurde, der mit einer „neuen Vernetzung im Frauenzusammenhang“ einherging (Hausheer 1995, 45). Im Bereich des Films und des Kinos entstand eine Vielzahl von Kollektiven, die sich ausschliesslich aus Frauen zusammensetzten, die „Filmreihen mit Produktionen von Regisseurinnen organisierten“ – eine soziale Gruppe, die bisher im Kinoprogramm weitestgehend marginalisiert war (Quetting 2007, 24). Tatsächlich gab es vor dem Aufkommen der neuen Frauenbewegung und der Gründung der FBB nur wenige Schweizer Filmemacherinnen, selbst wenn Frauen an vielen Filmen prominent beteiligt waren. Diese veränderte filmische und politische Landschaft ermöglichte auch den Einbezug von neuen Themen, die bis dahin bestenfalls am Rande angesprochen wurden. Dazu gehörten beispielsweise Werke, die „Rollenverhalten und -erwartungen oder Phänomene und Probleme des weiblichen Körpers“ unter verschiedensten, teilweise „tabuisierten Aspekten“ behandelten (Hausheer 1995, 45). Esther Quetting betont, dass diese Thematiken auf eine „neuartige, unkonventionelle und provozierende Art“ präsentiert wurden 7
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte (Quetting 2007, 24). Zur gleichen Zeit entwickelte sich innerhalb der neuen Frauenbewegung auch eine Strömung, die „die weiblichen Werte“ hervorhob sowie „nach der vergessenen Geschichte und Kultur der Frauen“ suchte, und sich ausserdem „mit weiblicher Spiritualität“ befasste (Sutter et al. 1998, 4). Im Gegensatz zur Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen und an der unterbewerteten Stellung der Frau fokussierte sich diese Strömung vorwiegend auf eine feministische Ästhetik, die auch konkrete Auswirkungen auf den Alltag hatte. Denn daraus entstand eine „frauenspezifische Subkultur“, die zunehmend erweitert und ausgebaut wurde, etwa durch „Dienstleistungsbetriebe“ wie „Frauenbuchläden, Frauenwerkstätten, Quartierläden“ sowie „Kontakt- und Beratungsstellen für Ausländerinnen“ (Sutter et al. 1998, 4). Zudem nahmen die Frauen vermehrt selber das Ruder in die Hand, indem sie Frauenveranstaltungen auf die Beine stellten, Selbstverteidigungskurse organisierten und „Selbsterfahrungsgruppen zu den Themen Sexualität und Gesundheit“ bildeten (Sutter et al. 1998, 4). 3 Die Rolle von Video und Film innerhalb der FBB Die neue feministische Bewegung im Schweizer Film und die Gründung und Entwicklung der FBB sind zeitlich etwa parallel einzuordnen. Der Film war zu dieser Zeit ein bereits häufig verwendetes Mittel zur Verbreitung von feministisch ausgerichteten kulturellen, politischen und sozialen Anliegen. Innerhalb der – internationalen wie der schweizerischen – Frauenbefreiungsbewegung wurde der Film daher auf verschiedene Weise als „Gebrauchsfilm“ (im Sinne von Zimmermann 2011) eingesetzt, was sich auf mehreren Ebenen abzeichnete. Neben den politisch aktivistischen Themen und der weiblichen Filmästhetik waren vor allem theoretisch-philosophische Aspekte von Bedeutung, wozu etwa die Auffassung gehörte, dass der Film, folgt man der theoretischen Argumentation von Sarah-Mai Dang, „Frauen nicht einfach abbildet“, sondern diese „sich durch ihn als solche überhaupt erst konstituieren“ (Dang 2016, 18); dabei stehen weniger die weiblichen Autorinnen im Fokus als die Zuschauerin, die „als ein bestimmtes Subjekt“ im „Rezeptionsprozess hervorgebracht“ wird. Im Folgenden möchte ich die Rolle von Video und Film innerhalb der FBB genauer analysieren und ergründen, inwiefern durch die vielfältige Verwendung dieser Medien das von der FBB propagierte Frauenbild geprägt wurde, das somit auch zur Herausbildung des Konzepts eines ‚weiblichen Subjekts‘ beitrug. 8
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte 3.1 Audiovisuelle Medien zum Zweck der Eigenwerbung Ein erstes Beispiel der Nutzung von audiovisuellen Medien innerhalb der FBB stellte deren Einsatz als Werbemittel für Kampagnen und Initiativen dar. Dies zeigte sich erstmalig im Jahr 1974, als sich die FBB für die Gründung des Frauenzentrums in Zürich stark machte. Konkret forderten die Frauen die Schaffung eines Ortes, an dem sie sich treffen konnten; ausserdem wurden Räumlichkeiten für die diversen Arbeitsgruppen der FBB, speziell für die INFRA, benötigt. Das Frauenzentrum sollte auch eine professionellere Organisation der Bewegung ermöglichen. Daher lancierten die FBB-Frauen eine öffentliche Kampagne, indem sie auf dem Paradeplatz in Zürich mehrere Informationsstände aufstellten, um Passant*innen für ihre Initiative zu begeistern und Unterschriften zu sammeln (vgl. Abb. 2). Abb. 2 FBB-Standaktion am Paradeplatz, 1974, Zürich Neben der Verteilung von Flyern spielten die audiovisuellen Medien eine wichtige Rolle, denn die Frauen warben mit „eine[r] Tonbildschau“ für das Frauenzentrum (Bucher und Schmucki 1995, 39). Diese Tonbildschau beinhaltete visuell ansprechend gestaltete weiterführende Informationen über die FBB und das Frauenzentrum, die das Interesse der Passant*innen wecken und sie zum Unterschreiben animieren sollten. Es zeichnete sich also bereits in der frühen Phase der FBB eine erste Form der Nutzung von Bild und Ton ab. In den darauffolgenden Jahren führten die Frauen ausserdem zahlreiche Filmabende durch, die eine „Werbeaktion für die Initiative, aber auch für die FBB“ darstellten (Bucher und Schmucki 1995, 62). 9
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte Aufgrund der Verwendung von audiovisuellen Medien als Mittel der Eigenwerbung, sowohl für die Gründung des Frauenzentrums als auch für die FBB selber, lässt sich diesen eine entscheidende Funktion zuschreiben, denn durch sie konnte die Bewegung nicht nur in geeigneter Form auf ihre Anliegen aufmerksam machen, sondern sie erhöhten die mediale Aufmerksamkeit und ermöglichten auch die Erzielung einer gewissen Pressewirksamkeit, wodurch potentielle Unterstützer*innen und Befürworter*innen des Frauenzentrums sowie der FBB insgesamt hinzugewonnen werden konnten. Die audiovisuellen Medien entwickelten sich also zum Werbeinstrument, auf dessen Einsatz die Bewegung in ihrem Fortbestehen zwingend angewiesen war. Diese für damalige Verhältnisse äusserst moderne Form der medialen Eigenwerbung verbreitete zudem ein unabhängiges, unternehmerisches und selbstbestimmtes Frauenbild. 3.2 Der Film als Diskussionsinitiator Eine zweite von der FBB aktiv benutzte Form des Einsatzes von Film und Video war deren Nutzung, um Diskussionen und Debatten zu initiieren. Dies zeigte sich beispielsweise am 1. August 1974: Anlässlich der offiziellen Einweihung des Frauenzentrums an der Lavaterstrasse 4 fand die erste „Frauenwoche“ (21. bis 27. Oktober 1974) statt, während derer unter anderem verschiedene Video-Essays und Kurzfilme zu den zeitgenössischen Problemen „Arbeiterinnen, Verhütung und Abtreibung“ gezeigt wurden (Bucher und Schmucki 1995, 41). Ausserdem trat innerhalb der Frauenwoche erstmalig die HFG in Erscheinung, die sich vor dem Hintergrund der spürbaren homophoben Tendenzen in der damaligen Gesellschaft für die Anliegen von lesbischen Frauen einsetzte, weshalb die gezeigten Filme vermehrt auch homosexuelle Thematiken einbezogen. Im Anschluss an die gemeinsame Visionierung wurde jeweils eine Diskussionsrunde über die in den Filmen behandelten Themen veranstaltet. Ähnliche Anlässe fanden auch im Laufe der Abstimmungskampagne zur Fristenlösung von 1977 statt (vgl. Abb. 3), als die FBB „Film- und Diskussionsabende“ organisierte, die teilweise von Theateraufführungen begleitet wurden (Schmitter 2014, 121). In diesem Rahmen wurde auch LIEBER HERR DOKTOR (CH 1977) gezeigt, eine Produktion der Filmgruppe Schwangerschaftsabbruch, die auf der Kooperation des Filmkollektivs Zürich, der INFRA und der Vereinigung Unabhängiger Ärzte (VUAZ) beruhte (vgl. Schmitter 2014, 121); ich komme unter 3.7 darauf zurück. 10
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte Abb. 3 FBB-Abstimmungsplakat: „Ja zur Fristenlösung“, 27.09. 1977 In diesem sozialen Kontext vermitteln die Filme ein modernes Geschlechterverständnis, welches das traditionelle, teilweise veraltete Frauenbild herausfordert. Gleichzeitig stellen sie auch eine zeitgenössische Reflexion über Themen dar, die die Öffentlichkeit, vor allem die Frauen, zur damaligen Zeit bewegten. Die filmische Darstellung von Weiblichkeit eröffnet somit einerseits neue Perspektiven auf alternative Ideologien und Sichtweisen, andererseits wird eine Debatte über die Frage nach einer neuen „weibliche[n] Filmsprache und -ästhetik“ (Quetting 2007, 26) angestossen. Förderlich für diese Debatte war unter anderem, dass in den gezeigten Programmen mehrheitlich Filme von Regisseurinnen im Fokus standen, die einem ähnlichen rhetorischen Muster folgten. Des Weiteren übernehmen die Filme die wichtige Rolle, eine gemeinsame Diskussion unter den FBB-Anhängerinnen zu lancieren, wobei sie eine „Initialwirkung“ (Fonjallaz 2008, 52) hatten. Damit ist auch angesprochen, dass neben dem Inhalt vor allem die Rezeptionsform entscheidend war, insbesondere das Verhältnis des Frauenpublikums zum Film und also die Filmerfahrung. Für die Diskussion ist die Wirkung der Filme auf die Zuschauerinnen von grosser Bedeutung, die dazu kritische, fantasievolle, kreative und auch persönliche Beiträge leisteten. Mit der gemeinsamen Visionierung der Filme bildete sich ein kollektiver Raum, in dem die Frauen die Gelegenheit hatten, sich aktiv in die Diskussion einzubringen und ihre Standpunkte zu vertreten, wie es für sie im privaten, meist bürgerlichen Raum kaum möglich gewesen wäre. 11
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte 3.3 Der Aufklärungsfilm Ein weiterer Zweck von Filmen stellte ihre Verwendung als Informationsquelle, insbesondere zur filmischen Aufklärung der FBB-Anhängerinnen, dar. Eines der zentralsten und prägendsten Themen, das auf diese Weise behandelt wurde, war die Abtreibung. Daher gründete die FBB unter anderem die Arbeitsgruppe „Schwangerschaftsabbruch“, die an drei Abenden pro Woche eine Veranstaltung im Stadthof 11 durchführte (vgl. Bucher und Schmucki 1995, 62). In dieser Veranstaltung ging es vor allem darum, die Frauen aus der Umgebung „mittels Film und Referaten über verschiedene Methoden von Abtreibung und Verhütung“ aufzuklären (Bucher und Schmucki 1995, 62); in diesem Rahmen wurde auch der eben erwähnte Film LIEBER HERR DOKTOR gezeigt. Ein zweites Thema, das von der FBB zur Aufklärung ihrer Anhängerschaft filmisch problematisiert wurde, war die Verhütung. Anlässlich des Internationalen Frauentages warb die FBB mit Plakaten für einen Event, der am Dienstag, den 8. März 1977, um 20 Uhr im Frauenzentrum stattfand. Ein Hauptpunkt bildete der Aufklärungsfilm WIE MACHT FRAU KEINE KINDER (CH 1977[?]), gefolgt von einer „Diskussion über Verhütungsmittel“ (Plakat FBB von 1977, Bern; vgl. Abb. 4). Abb. 4 Werbe-Aktion für Filmabend: WIE MACHT FRAU KEINE KINDER, 08.03.1977, Bern; Foto: Helga Leibundgut Der Film übernimmt in beiden Fällen die wichtige Funktion, bis dato weitestgehend tabuisierte Themen wie den Schwangerschaftsabbruch oder die Verhütung auf eine didaktische Weise möglichst realitätsgetreu zu veranschaulichen, gleichzeitig jedoch auch die 12
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte Emotionen und Ansichten der Protagonistinnen adäquat zu vermitteln. Denn: Wichtig war neben der Entwicklung neuer Perspektiven und Ansichtsweisen die Darstellung der Probleme aus Sicht der Betroffenen selbst. Das Medium Film wird somit als Gebrauchsfilm zu einem konkreten Zweck genutzt und konstruiert gleichzeitig ein aufgeklärtes und emanzipiertes Frauenbild. 3.4 Der Film als Provokationsmittel Auf einer anderen Ebene nutzte die FBB den Videofilm zur Festhaltung und Verbreitung von provokativen Aktionen. Dazu gehörte die Dokumentation der von der Bewegung organisierten Wochenend-Abtreibungsreise nach Holland, im Zuge derer fünf Schwangere sowie vier FBB-Frauen in die Niederlande reisten, um einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. Wie Leena Schmitter ausführt, wurde diese spontane Aktion „begleitet von einer Pressekonferenz vor der Abreise“ sowie „einer Demonstration bei der Rückkehr“. Dabei erstellten einige Frauen der Gruppe „Frauen Film Fabrica“ einen Film, um „die Aktion bildlich festzuhalten“, der jedoch laut Schmitter nicht überliefert ist (Schmitter 2014, 92). Auf diese Weise wird der Film einerseits dazu eingesetzt, Aktivismus zu dokumentieren; anschliessend wird er zur Stärkung des Zusammenhalts und einer kollektiven Identitätsbildung der eigenen Anhängerschaft vorgeführt. Andererseits verleiht der Film der Handlung eine intensivere Form der Provokation, denn die alleinige Tatsache, dass das Ereignis filmisch festgehalten wurde, kann als Kampfansage an die Abtreibungs-Gegner gewertet werden. Das Medium Film wird somit wichtiger Bestandteil einer Aktionsstrategie. Ausserdem etablierte die filmische Bescheinigung der öffentlichkeitswirksamen Auftritte rund um die Auslandreise zum Zweck einer Abtreibung in einer Gesellschaft, die sich grösstenteils gegen den Schwangerschaftsabbruch stellte, eine emanzipierte und kämpferische Form der Weiblichkeit. Das vermittelte Frauenbild widerspiegelt daher nicht die zeitgenössische Ideologie, sondern wird in diesem Fall aktiv von der FBB gestaltet. 3.5 Filmische Selbstdarstellung Die FBB nutzte die filmische Festhaltung ihrer Aktivitäten mitunter auch zum primären Zweck der Selbstdarstellung, wie sich am Beispiel des Umzugs des Frauenzentrums im Winter 1979/1980 zeigt. Da die FBB den aktuellen Standort in Zürich aufgrund einer baulichen Neugestaltung verlassen musste, sahen sich die Frauen gezwungen, eine neue 13
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte Liegenschaft zu finden. Dabei entstand das Video WECHSELBAD ODER AUS DER LAVA IN DIE MATTE GASSE (CH 1979), das die Suche nach neuen Räumlichkeiten sowie den Umzug an die Mattengasse 27 filmisch dokumentierte. Das von der Homex AG produzierte Video ist in einem Essay-Stil gestaltet und mischt Radiobeiträge und die Erzählungen einer FBB-Anhängerin mit Aufnahmen der neuen und alten Liegenschaft; die Ereignisse werden aus einem feministischen Blickwinkel dargestellt und kommentiert. Eine weitere dokumentarische Berichterstattung widmete sich der Frauenwoche, in der diverse Filme vorgeführt wurden, die eine „Rückschau auf die Geschichte der Bewegung“ erlaubten (Bucher und Schmucki 1995, 41). In diesem Kontext dient der Film den Frauen als Mittel zu Reflexion und Selbstdarstellung, mit dem sie sich und ihre Rolle in der Gesellschaft aus einer aussenstehenden Position mit einer gewissen Distanz zu analysieren vermochten. Auch solche Produktionen wirken identitätsstiftend für die Gruppe der aktiven Frauen und für die Bewegung. 3.6 Film-Aktivismus durch die Filmauswahl Eine weitere Einsatzform des Filmes zu aktivistischen Zwecken ist (wie in 3.2 schon kurz angesprochen) in der gezielten Auswahl von Filmen für das Filmprogramm der FBB erkennbar. Die ausgewählten Filme behandeln spezifische, aktuelle Thematiken, wozu etwa der Kampf gegen die Heteronormativität und die Diskriminierung von Schwulen und Lesben gehörten, was zentrale Anliegen der neuen Frauenbewegung waren. Dies bewies die FBB wiederholt an Demonstrationen, wie an den Frauendemonstrationen im März 1979 in Zürich, als sie deklamierte: „Zwang zur Heterosexualität – nein danke!“ (Foto von Gertrud Vogler: Frauendemonstration Zürich 1979), oder im März 1980 in Luzern, als die FBB propagierte: „Frauenliebe ist natürlich“ (Foto Getrud Vogler: Frauendemonstration Luzern 1980). Diese progressiven Ideen spiegelten sich in der Auswahl der von der FBB zusammengestellten Filmprogramme wider; dazu zählte beispielsweise die Vorführung der beiden filmischen Essays TAUSENDUNDEINENACHT … EIN FILM ÜBER DIE LIEBE (Homex AG, CH 1979) und … ABER NORMAL IST ES JA GERADE NICHT (Homex AG, CH 1978). Beide Film-Essays sind in einem sachlichen rhetorischen Grundton gehalten; die amateurhaft wirkenden Aufnahmen in TAUSENDUNDEINENACHT … EIN FILM ÜBER DIE LIEBE zeigen Frauen in den Räumen des Frauenzentrums, beispielsweise beim Opern-Gesang oder beim orientalischen Tanz, sowie Aussenaufnahmen von Passant*innen, die in abwechselnden 14
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte Gender-Konstellationen als Paare auftreten. Die Aufnahmen werden vom Voice-over einer jungen Frau begleitet, die ihre Frustration darüber kundtut, dass sie ihre Liebe zur gleichgeschlechtlichen Partnerin insbesondere in ländlicheren Gegenden nicht öffentlich zeigen kann, da ein entsprechendes Verhalten durch abschätzige Blicke von Mitbürger*innen quittiert würde. Der filmische Essay … ABER NORMAL IST ES JA GERADE NICHT enthält unter anderem eine Strassenumfrage zur lesbischen Liebe. Dabei werden Passant*innen von einer FBB-Anhängerin gefragt, was sie über Homosexualität denken. Obwohl sich einige Befragte durchaus positiv zu gleichgeschlechtlichen Paaren äussern, bezeichnet eine Mehrheit Homosexuelle als ,nicht normal‘ und ‚krank‘. Was die Gestaltung betrifft, fällt auf, dass beide Filme keine chronologisch gegliederte Erzählung mit einem logischen Handlungsstrang präsentieren, sondern vielmehr verschiedene, teils voneinander unabhängige Szenen auf assoziative Weise verknüpfen. Die einzelnen Szenen dieser essayistischen Filme besitzen indes auch dokumentarischen Charakter, da sie auf eine pragmatische Art bildlich die Erlebnisse der einzelnen Protagonistinnen festhalten. Diese Beispiele zeigen, dass es sich bei den von der FBB aufgerollten Themen um gesellschaftspolitische Fragen handelte, die unter einem geschlechtsspezifischen Blickwinkel betrachtet wurden. Ziel dieses fokussierten Einsatzes von Filmen war es, neue Sichtweisen, die nicht der Norm entsprachen, zu etablieren und somit einen alternativen Standpunkt zu diesen Themen zu propagieren. Durch die gezielte Auswahl der gezeigten Filme werden frauenspezifische Anliegen und sozialkritische Perspektiven verbreitet. Gleichzeitig wird damit aber auch ein alternatives Kino gefördert, das sich inhaltlich und formal stark vom kommerziellen Kino unterscheidet. 3.7 Der Film als interventionistisches Instrument Unter dem Aspekt der Öffentlichkeitswirksamkeit ist zudem die Nutzung von Filmen als interventionistisches Instrument erkennbar. Ende der 1970er setzte die FBB den Film vermehrt als „Mittel der politischen Aufklärung und Meinungsbildung zu spezifischen Frauenanliegen“ ein (Hausheer 1995, 48). Dadurch konnte die FBB ihren diversen gesellschaftskritischen Anliegen Ausdruck verschaffen und auf politische Missstände aufmerksam machen, was sich vor allem in der Mobilisierung zum Thema Schwangerschaftsabbruch widerspiegelte. Dabei ergriff die FBB erstmalig selbst die Initiative und leistete einen eigenen Beitrag zur Produktion des Interventionsfilms LIEBER 15
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte HERR DOKTOR (Filmgruppe Schwangerschaftsabbruch, CH 1977). Ein „Interventionsfilm“ hat die klare Funktion, sich in demokratische Entscheidungsprozesse einzumischen (vgl. Huber 1977, 49). Der Film wurde insbesondere deshalb gedreht, weil die FBB im Abstimmungskampf zur Fristenlösung nach einer Möglichkeit für eine „breite Informationskampagne“ suchte (Bucher und Schmucki 1995, 102). Das Thema Schwangerschaftsabbruch war das prägendste Thema für die FBB, die für eine Legalisierung und Liberalisierung der Abtreibung sowie für die Selbstbestimmung der Frauen kämpfte. Im Jahr 1971 lancierte daher ein „über-parteiliches Komitee die erste Initiative zur straflosen Schwangerschaftsunterbrechung“ (Hausheer 1995, 49). Der Film wurde, wie oben erwähnt, von der Filmgruppe Schwangerschaftsabbruch, einer Kooperation der INFRA, der Vereinigung Unabhängiger Ärzte Zürich sowie des Filmkollektivs Zürich produziert (Bucher und Schmucki 1995, 150). Interessanterweise lässt sich in LIEBER HERR DOKTOR jedoch kein direkter Bezug zur Frauenbewegung erkennen; Julia Zutavern zufolge ist der Film somit auch kein „Bewegungsfilm“, der von der Bewegung und für die Bewegung gemacht wird (Zutavern 2015, 151). Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass eine möglichst breite Masse an potentiellen Wähler*innen angesprochen werden sollte, insbesondere auch jene, die „der Frauenbewegung und ihren Themen sonst eher skeptisch“ gegenüberstanden (Zutavern 2015, 151). Dennoch vermochte LIEBER HERR DOKTOR die „Forderung der Neuen Frauenbewegung nicht nur zu propagieren, sondern ihr auch filmisch zu entsprechen“ (Zutavern 2015, 153). Dass die FBB entgegen ihrem sonstigen aktivistischen Auftreten nicht explizit in Erscheinung treten wollte, kann also dadurch erklärt werden, dass der primäre Wert des Filmes in anderen, externen Einsatzmöglichkeiten zu finden ist. Dazu gehörte die Funktion oder der ‚Gebrauch‘ des Filmes zur Sensibilisierung und Aufklärung von Frauen und Männern, wozu „Filmabende mit Diskussionen zur Abtreibung“ organisiert wurden (Bucher und Schmucki 1995, 102). Als Gebrauchsfilm hatte der Film genau diesen Zweck zu erfüllen; entsprechend wird LIEBER HERR DOKTOR gemeinhin auch als „Diskussionsfilm“ bezeichnet (Fehr und Zschokke 1977, 42). Neben der gewünschten Erzielung von Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zur Beeinflussung der bevorstehenden Abstimmung diente der Film auch dazu, eine interne Debatte auszulösen, vor allem in Hinsicht auf die Themen „Verhütungsmittel, Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft“ sowie „Mutterschutz“ (Schmitter 2014, 144). Aufgrund seiner enormen Reichweite und überwältigenden Resonanz in der Bevölkerung kann man davon ausgehen, dass LIEBER HERR DOKTOR im Kontext der 16
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte politischen Arbeit der FBB dazu beigetragen hat, die Wahrnehmung von Frauen in der Schweizer Gesellschaft längerfristig zu verändern. Das durch den Film und letztlich durch die FBB vermittelte Frauenbild kann zudem als eigenständiger Beitrag der Gruppe zum Wandel der Darstellung und Wahrnehmung der Frauen im Schweizer Film gewertet werden. 3.8 Die medienwirksame Ablehnung von frauenfeindlichen Filmen Ein letzter in diesem Zusammenhang zu erwähnender Aspekt ist, dass die FBB Filme, die nicht mit den eigenen ideologischen Vorstellungen vereinbar waren, als Anlass nutzte, ihre sozialkritischen Anliegen und ihre ablehnende Haltung gegenüber diesen Filmen mit Hilfe von diversen aufsehenerregenden Aktionen an die Öffentlichkeit zu tragen. Gezielt nutzten die FBB-Frauen dabei das Mittel der Provokation und erreichten mit diversen Protestaktionen einen hohen Bekanntheitsgrad, was sich unter anderem darin widerspiegelte, dass über die Bewegung regelmässig in den Tageszeitungen berichtet wurde. Dazu gehörte etwa der Protest vom 7. November 1975 vor den Eingängen des Kinos Le Paris, bei dem die FBB- Frauen mit einem Transparent auf sich aufmerksam machten, auf dem geschrieben stand: „Mir Fraue sind keis Pornovieh – Le Paris chlöpft’s jetz denn glii“ (zit. in: Bucher und Schmucki 1995, 71). Auslöser dieses Protestes war eine Verfilmung des gleichnamigen Romans Histoire d’O von Pauline Réage (Pseudonym von Anne Desclos) von 1954, die das Kino in seinem Programm aufführte. Der Film propagiere mit seinem „sado-masochistischen Inhalt“ in vielerlei Hinsicht eine Unterwerfung der Frau, die zur Sklavin des Mannes degradiert werde, was die FBB als sexistisch und „frauen-diskriminierend“ verurteilte (Bucher und Schmucki 1995, 71). Um auf ihre Ansicht aufmerksam zu machen, verteilten die Frauen ein Flugblatt mit dem folgenden Text: „Wir protestieren gegen die Diskriminierung der Frau als Sexualobjekt und ihre Ausbeutung zu kommerziellen und emotionalen Zwecken. Wir verlangen, im Namen aller Frauen, die Absetzung der uns diskriminierenden Pornofilme“ (zit. in: Bucher und Schmucki 1995, 71). Die ablehnende Haltung der FBB gegenüber Filmen mit pornografischen Inhalten wurde auch an der Frauendemonstration in Basel vom 12. März 1977 thematisiert, anlässlich derer die FBB erklärte: „Gewalt gegen Frau ist: wenn Frauen durch Pornofilme und Pornophotos diskriminiert werden“, sowie „Gewalt gegen Frau ist: wenn der Chef die Frau als Bedienstete benützt“ (Foto Gertud Vogler: Frauendemonstration Basel 1977b). 17
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte Mit solchen Protestaktionen setzte sich die FBB für die Selbstbestimmung der Frau über ihren eigenen Körper ein, deckte sexistische Ideologien auf und stellte sich gegen die Kommerzialisierung des weiblichen Körpers und die herrschende Sexualmoral. Vor allem kritisierte sie dabei die den Männern untergeordnete Position der Frauen in der Gesellschaft sowie die Sichtbarmachung von Körperlichkeit zu wirtschaftlichen Zwecken. Diese medienwirksame Ablehnung von Filmen, die die Frau als minderwertiges Objekt inszenieren und damit eine diskriminierende Form von Weiblichkeit propagieren, ist daher als ein weiterer Beitrag der FBB zur Konstruktion eines weiblichen Subjektes zu sehen. 4 Die Nutzung des Films im Kino Xenia im Vergleich zur FBB Im Laufe der 1980er Jahre wurde es zunehmend ruhiger um die FBB, bis sie sich 1989 nach 20-jährigem Bestehen schliesslich auflöste. Das Kino Xenia schloss zeitlich an die FBB an; die Frauen des Xenia gehörten zur folgenden und somit zu einer jüngeren Generation. Der Bezug zwischen den beiden Generationen trat erstmals zutage, als das Kino Xenia, nachdem das Quartierzentrum Kanzlei geschlossen worden war und sich der Verein Frauenétage im Kanzleizentrum dazu entschied, seinen Namen in Frauen fordern Räume umzuändern, Interesse an einer Niederlassung in den neuen Räumlichkeiten anmeldete (vgl. Schreiben an die Vereinsmitglieder, Oktober 1992 im Dossier zur FBB; Verein Frauenétage; siehe ebenfalls: „FRAUENÉTAGE VIDÉO“). Im Folgenden werde ich das vom Xenia propagierte Frauenbild untersuchen und mit der medialen Darstellung von Weiblichkeit innerhalb der FBB vergleichen. 4.1 Soziale und kulturelle Anliegen Gemäss den Statuten vom 28. Mai 1989 handelte es sich beim Kino Xenia um einen Verein, der bezweckte, „ausschliesslich weiblichen Mitgliedern das Filmschaffen von Frauen auf nicht kommerzielle Weise näherzubringen und nicht gewinnstrebige, filmkulturelle Aktivitäten dritter Frauen zu unterstützen“ (Statuten Kino Xenia 1989: o.S.). Insbesondere setzte sich das Kino zum Ziel, von Frauen gemachte, „unabhängige, engagierte und experimentelle Film- und Videoproduktionen“ zu zeigen (Statuten Kino Xenia 1989: o.S.). Im Programm von 1994 gab das Kino Xenia ausserdem an, dass ein grosses Anliegen darin bestand, „kultur- und filmhistorisch wichtige Produktionen von Frauen an die Öffentlichkeit 18
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte zu bringen“ (Programm Kino Xenia von 1994: o.S.). In diesen Zitaten lässt sich die Absicht erkennen, ein alternatives Programm anzubieten, das gesellschaftliche Thematiken aus einem neuen Blickwinkel betrachtet und sich somit in aktueller und historischer Perspektive vom klassischen Kino abhebt. Mit diesem Bestreben knüpft das Kino Xenia in seiner Anfangszeit in vielerlei Hinsicht an die Kernanliegen der FBB an. Jedoch wird im Verlaufe des Bestehens des Xenia ersichtlich, dass viele der ursprünglichen Zielsetzungen auf die Dauer nicht mit dem Wandel der Zeit vereinbar waren, da eine unabwendbare gesellschaftliche Entwicklung stattfand, die nicht nur die Interessen der Xenia-Frauen selber, sondern vor allem auch die der Zuschauerinnen tangierte. Aufgrund dieser Umstände sind Veränderungen in der Programmauswahl des Xenia zu beobachten. So verschoben sich die ursprünglichen Ziele der Aufklärung und des Aktivismus hin zu zeitgenössischeren Themen wie etwa „[Z]wei Monate ganz im Zeichen der Mode“ (Programm Kino Xenia von 1997) oder „Frauen am Computer“ (Programm Kino Xenia von 1998b). Diese Modernisierung hatte auch zur Folge, dass sich das durch die Filme skizzierte Frauenbild veränderte und die feministische Filmästhetik vermehrt in den Hintergrund trat. 4.2 Etablierung einer Frauenkultur Eine Gemeinsamkeit zwischen der FBB und dem Xenia war das Bestreben, einen Ort zu schaffen, an dem sich Frauen begegnen und austauschen konnten. Daher war etwa die Eröffnung des ersten Frauenzentrums der Schweiz am 1. Juli 1974, das „ausschliesslich den Frauen“ vorbehalten war, eine grosse Errungenschaft für die FBB (Bucher und Schmucki 1995, 43). Aber auch die Etablierung der Frauenétage im 3. Stock des Quartierzentrums Kanzlei im Oktober 1989 konnte die Frauenbewegung als Erfolg verbuchen. Sie nutzte dabei die Räumlichkeiten des Kino Xenix zur Vorführung von feministischen Filmen. Für die nachfolgende Generation der Frauen des Xenia stand in den 1990ern ebenfalls der Wunsch an oberster Stelle, „Kino und Bar als Forum für – durch Filmprogramme angeregte – Auseinandersetzungen und gleichzeitig als Treffpunkt, wo Frauen unter sich sein können“, zu betreiben (Programm Kino Xenia von 1998a, o.S.). Somit waren es nicht bloss der örtliche Treffpunkt und die damit gewonnene Unabhängigkeit, die für die Frauen wichtig waren, sondern vor allem die gemeinsame Visionierung von Filmen und Videos, die jeweils von Debatten und Diskussionen innerhalb der Frauengruppe begleitet wurden. In dieser Hinsicht sind die Rezeptionsform und die Filmerfahrung entscheidend, da sich das weibliche Subjekt 19
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte im Film überhaupt erst „durch Erfahrungen, welche wiederum durch Diskurse und soziale wie kulturelle Praktiken konstruiert werden“, formieren kann (Dang 2016, 18). Durch dieses Zusammenspiel vermochte sich letztlich eine eigenständige Frauenkultur zu entfalten, was für die Frauen beider Generationen von zentraler Bedeutung war. 4.3 Die ‚Stellung der Frauen‘ Hinsichtlich der ‚Stellung der Frauen‘ innerhalb der Gesellschaft lassen sich Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen den Ideologien der FBB und des Xenia feststellen. So ist es beispielsweise beiden Gruppen ein grosses Anliegen, Frauen als emanzipierte Kämpferinnen und gleichgestellte Subjekte zu propagieren, wodurch ihre starken Seiten und ihr Durchsetzungsvermögen hervorgehoben werden, anstatt sie als Opfer zu stilisieren und einen mitleidvollen Blick auf sie zu werfen, wie Feministinnen oft vorgeworfen wird. Gleichzeitig sind jedoch auch sich widersprechende Haltungen zwischen FBB und Xenia zu erkennen, etwa in Bezug auf die erotische Darstellung des weiblichen Körpers im Film. Wie anlässlich ihrer Demonstration im November 1975 deutlich wurde (vgl. oben 3.8), erkannte die FBB in Filmen mit pornografischem Inhalt primär eine Diskriminierung und Kommerzialisierung der Frau. Die stereotypen medialen Darstellungsweisen sowie die Inszenierung der Rolle von Frauen als passive Objekte des männlichen Blickes wurden stark kritisiert; die FBB kämpfte gegen Filme mit einer exzessiven Zurschaustellung von Weiblichkeit. Im Gegensatz zur FBB erweist sich die Herangehensweise des Xenia an diese Thematik als provozierender und frecher. So wurden Filme mit pornografischem Inhalt beispielsweise in der Themenwoche „HEXE rotik“ vom Januar 1993 gezeigt, die dank ihrem ironischen und leicht anzüglichen Wortspiel im Titel herausstach (Programm Xenia von 1993; vgl. Abb. 5). Dieselbe provokante Herangehensweise lässt sich auch im Programm von 1992 beobachten, das eine Themenwoche beinhaltet, die mit dem unmissverständlichen Titel „Lesbenfilme“ angepriesen wurde (Programm Xenia von 1992). Dabei zeigt sich, dass die Frauen des Xenia, obwohl sie grundsätzlich dieselben Wertevorstellungen wie die FBB vertraten, bei ihrem Einsatz von Filmen sehr viel lockerer und ungezwungener vorgingen, indem sie, anstatt pornografische und klischeehafte Filme abzulehnen, auf das demonstrative Aufdecken und Sichtbarmachen setzten, wodurch sie ein moderneres und mutigeres Frauenbild etablierten. 20
MA Seminar-Arbeit Simone Locher Bilder einer Stadt: Eine Zürcher Film- und Stadtgeschichte Abb. 5: Plakat für Frauenkino Xenia, Programm „HEXE rotik“, Januar 1993; Zürich 4.4 Gesellschaftspolitische Anliegen In Hinsicht auf gesellschaftspolitische Anliegen gibt es verschiedene Interessensgebiete, die das Xenia und die FBB teilten. Dazu gehört vor allem der offene Umgang mit dem Thema gleichgeschlechtlicher Liebe; ein Thema, für das sich die FBB bereits in den 1970er Jahren einsetzte, als sie erklärte: „Zwang zur Heterosexualität – nein Danke!“ (Plakat FBB von 1979, Zürich). In der Anfangsphase des Kino Xenia war das Programm ebenfalls stark von der Thematisierung sozialpolitischer Probleme und Missstände geprägt, wodurch die Xenia- Frauen auf Ungerechtigkeiten in der Schweizer Gesellschaft aufmerksam machen wollten. Im Kampf gegen normative Kategorien und als Ermutigung zur Akzeptanz von nonkonformen sexuellen Orientierungen ist daher zehn Jahre nach der Aktion der FBB im Programm des Xenia vom Juni 1989 dieselbe Aussage wiederzufinden, als die Frauen forderten: „Schluss mit dem herrschaftlichen Zwang zur Heterosexualität!“ (Programm Kino Xenia von 1989a; vgl. auch Plakat Xenia vom Juni 1989). Doch das Xenia kritisierte ausser den gesellschaftlichen Strukturen auch die Gesetzgebung, wozu die Frauen im Programm von 1996 den Artikel 194 aus dem Schweizerischen Strafgesetzbuch von 1989 abdruckten. Dieser hielt fest: „[…] das Bundesgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Jugendliche durch homosexuelle Beeinflussung dauernd auf Abwege geraten können“ (Programm Kino Xenia von 1996, o.S.). Die Xenia-Frauen kommentierten den Gesetzesartikel mit folgenden lakonischen Worten: „[…] erst 1992 wurde dieser Artikel revidiert“ (Programm Kino Xenia von 1996, o.S.). Ein weiteres politisches Thema, wozu das Xenia Stellung nahm, war die Gleichstellung in Lohnfragen und die unbezahlte Arbeit von 21
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